Jakob - Gott kommt zum Ziel

Noch einmal Lea und Rahel (1. Mo 30,14–24)

Jakob - Gott kommt zum Ziel

Die nun folgenden, von Gott aufgezeichneten Schilderungen enthalten eine zweifache Belehrung, die freilich dem gelehrten Unglauben entgeht, weil er über die Heilige Schrift zu Gericht sitzt, nur um sie dann zu verachten. So verharrt man in seiner geradezu selbstzufriedenen Unwissenheit.

„Und Ruben ging in den Tagen der Weizenernte hinaus und fand Dudaim auf dem Feld; und er brachte sie seiner Mutter Lea. Und Rahel sprach zu Lea: Gib mir doch von den Dudaim deines Sohnes. Und sie sprach zu ihr: Ist es zu wenig, dass du meinen Mann genommen hast, dass du auch die Dudaim meines Sohnes nehmen willst? Da sprach Rahel: So mag er denn diese Nacht bei dir liegen für die Dudaim deines Sohnes. Und als Jakob am Abend vom Feld kam, da ging Lea hinaus, ihm entgegen, und sprach: Zu mir sollst du eingehen, denn ich habe dich fest angeworben für die Dudaim meines Sohnes. Und er lag bei ihr in dieser Nacht“ (V. 14–16).

Auf den ersten Blick scheinen diese Szenen tatsächlich relativ unbedeutend zu sein. Sie präsentieren die demütigende Geschichte des Stammvaters eines Volkes, das Gott sich als Eigentum für die Erde erwählt hatte. Darüber hinaus geben sie uns aber auch einen Einblick in das Geheimnis der Gnade Gottes, die sich über all das erhob, was seiner Natur als Licht und Liebe so völlig zuwider war. Gott schaute nämlich voraus auf den, der genau aus dieser Familie hervorkommen sollte – auf Christus, der über allem ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit, und der ebenso Gott ist wie sein Vater.

Sicher war manche Mutter in Israel durch einen Glauben ausgezeichnet, der sich auf die ihren Vätern gegebenen Verheißungen stützte und sich nach der Person ausstreckte, die sie einst erfüllen würde. Aber ob diese beiden Frauen (Lea und Rahel) wirklich so große Hoffnungen hegten, wie sie ihnen von manchen frommen Auslegern zugeschrieben wurden, mag bezweifelt werden. Mussten sich nachfolgende Generationen nicht Gedanken machen, warum Mose inspiriert wurde, diese Geschehnisse dauerhaft niederzuschreiben? Mussten sie nicht feststellen, dass sie ebenso jämmerlich waren wie die, von denen sie abstammten?

Aber auch wir können reichen Nutzen aus diesen Berichten ziehen. Wir leben in der Zeit zwischen dem Untergang und der Wiederherstellung Israels. Wir werden bessere Segnungen erhalten, denn wir sind Miterben dessen, der jetzt verherrlicht im Himmel ist und der wiederkommt, um uns zu sich in seine Herrlichkeit droben einzuführen. Aber auch unser „Fleisch“ verwandelt sich niemals zu „Geist“. Auch in uns wohnt nichts Gutes. Wenn wir leben, dann ist es durch den Glauben an den Sohn Gottes. Nicht das alte, für Gott tote Ich, sondern Christus lebt in uns.

Kein Schleier wird über den beklagenswerten Unglauben der beiden Frauen und ihre niederträchtige Eifersucht gelegt, keine Entschuldigung gegeben für ihr abergläubisches Vertrauen auf die Wirksamkeit von Liebesäpfeln – ein heidnischer Brauch syrischer Frauen. Es ist offenkundig, dass Rahel durch den Fund Rubens nichts gewann; aber mit Lea, die sich ständig um einen Anteil an der Liebe ihres Mannes bemühte, hatte Gott Erbarmen.

„Und Gott erhörte Lea, und sie wurde schwanger und gebar Jakob einen fünften Sohn. Da sprach Lea: Gott hat mir meinen Lohn gegeben, weil ich meine Magd meinem Mann gegeben habe! Und sie gab ihm den Namen Issaschar. Und Lea wurde wiederum schwanger und gebar Jakob einen sechsten Sohn. Da sprach Lea: Mir hat Gott ein schönes Geschenk gegeben; diesmal wird mein Mann bei mir wohnen, denn ich habe ihm sechs Söhne geboren! Und sie gab ihm den Namen Sebulon. Und danach gebar sie eine Tochter und gab ihr den Namen Dina“ (V. 17–21).

Wie erstaunlich niedrig war Leas Zustand, dass sie glaubte, Gott habe ihr Issaschar als Lohn dafür gegeben, dass sie Jakob ihre Magd gegeben hatte! Wie niedrig auch, dass sie mit Sebulon ihrer törichten Hoffnung Ausdruck gab, die Liebe ihres Mannes würde sich jetzt als beständig erweisen! Auch der Name ihrer Tochter, der mit dem Namen Dan verwandt ist, deutet nicht auf eine höhere Geisteshaltung hin.

Dann aber werden unsere Herzen erfrischt, wenn wir lesen, dass die rücksichtsvolle Barmherzigkeit Gottes sich schließlich auch Rahel zuwendet. Wegen ihrer unwürdigen Selbstsucht hatte sie lange Zeit die Schmach der Kinderlosigkeit ertragen müssen, doch jetzt gefiel es dem HERRN, sich über sie zu erbarmen und ihr den ersehnten Sohn zu schenken. Da sagte sie: „Gott hat meine Schmach weggenommen!“ (V. 23). Denn trotz ihrer hochmütigen Haltung fühlte sie, dass sie unter der Züchtigung Gottes gestanden hatte. Der Name, den sie ihrem Erstgeborenen gab, ist bemerkenswert, denn Joseph bedeutet: „Er füge hinzu“. Sie bekräftigte es mit den Worten: „Der HERR füge mir einen anderen Sohn hinzu!“ (V. 24).1 Gott, der HERR, stand jetzt vor ihrer Seele. Doch wie wenig wusste sie, dass dieser Sohn Benjamin ein Benoni sein würde, dass der „Sohn der Rechten“ seines Vaters ein „Sohn meiner Not“ für sie sein würde! Sie ahnte nicht, dass seine Geburt ihr den Tod bringen würde!

Rahels Glaube war echt, und er wird vom Heiligen Geist sowohl im Alten als auch im Neuen Testament bezeugt (vgl. Mt 2,18). Aber es ist offensichtlich, dass das „edle Metall“ ihres Glaubens – wie stark er auch angesichts größter Gefahren gewesen sein mochte – doch deutlich von der „Legierung“ ihres alten Ichs begleitet war: Wie wir noch sehen werden, zögerte sie nicht, andere in die Irre zu führen (vgl. 1. Mo 31,34.35). Wie viel besser ist es doch, auf die nie versagende Liebe und Weisheit Gottes zu vertrauen, als sein Herz auf irgendetwas hier auf der Erde zu richten!

Wenn der Messias das bußfertige Israel am Ende der Tage unter dem neuen Bund zu ewiger Freude und Segnung annehmen wird – wie werden sie dann die Geschichte ihrer Vorfahren überdenken! Sie werden feststellen, dass es ihre eigene Geschichte ist, eine Geschichte schmerzlichen Versagens unter dem Gesetz. Doch wie beeindruckend wird für sie die Erkenntnis sein, dass sie den Segen und die Herrlichkeit unter dem, den sie so lange blind verachtet haben, ausschließlich der Barmherzigkeit Gottes zu verdanken haben!

Fußnoten

  • 1 W. Kelly bezieht sich auf die Übersetzung „Der HERR wird mir einen anderen Sohn hinzufügen“ und kommentiert dazu: „Ihr Glaube sah in Joseph die Verheißung für Benjamin. Nie zuvor hatte sie eine solche Erwartungshaltung gehabt. Denn der Mund verrät das Geheimnis oder zumindest die Fülle des Herzens.“
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel (kaufen)