Die Versammlung Gottes im Matthäusevangelium

Teil 1: Einführung

Zweimal spricht der Herr Jesus selbst über die Versammlung (Gemeinde)1 Gottes, über die wir später in der Apostelgeschichte und den Briefen häufig lesen. In Matthäus 16 geht es darum, dass der Sohn Gottes seine Versammlung baut. In Matthäus 18 geht es darum, dass Er in der Mitte derer ist, die in seinem Namen versammelt sind. In diesem Artikel werden vor allem diese beiden direkten Aussagen des Herrn Jesus in ihrem Umfeld näher beleuchtet, erklärt und auf unsere Zeit angewandt. Es lohnt sich, beide Aussagen näher zu studieren, denn sie werfen Licht auf das, was wir in den übrigen Schriften des Neuen Testamentes über die Versammlung lernen.

Teil 1: Einführung

Eines der großen Themen des Neuen Testamentes ist das Thema „Christus und seine Versammlung“. Im Alten Testament wird darüber nicht direkt gesprochen. Es gibt lediglich Bilder davon, die wir heute im Licht des Neuen Testamentes erkennen und deuten. Die Wahrheit über die Versammlung selbst wurde dem Apostel Paulus offenbart, der diese Offenbarung unter der Leitung des Heiligen Geistes weitergegeben hat. In diesem Sinn war er ein „Verwalter des Geheimnisses“ (Eph 3,1–7).

Dennoch finden wir den Begriff „Versammlung“ nicht nur in den Briefen, sondern bereits in den Evangelien und in der Apostelgeschichte. Der Herr Jesus spricht zweimal namentlich von der Versammlung (Mt 16,18; 18,17–20), und es lohnt sich, diese Stellen näher anzuschauen, weil sie das Thema „Versammlung“ einleiten und wichtige Grundsätze enthalten. In der Apostelgeschichte finden wir, wie die ersten Gläubigen unter der Leitung des Geistes Gottes Versammlung Gottes praktiziert haben – und das, ohne am Anfang darüber genauer belehrt zu sein. Die eigentliche Belehrung erfolgt nämlich erst durch den Dienst des Paulus. In der Offenbarung werfen wir schließlich einen Blick auf die Zukunft der Versammlung.

Ein schönes und wichtiges Thema

Das Thema „Versammlung“ ist zuerst ein schönes Thema, sodann ist es wichtig.

  1. Ein schönes Thema: Ich bezeichne es deshalb so, weil es uns unmittelbar mit göttlichen Personen verbindet. Es ist die „Versammlung Gottes“ (Apg 20,28; Gal 1,13; 1. Tim 3,15). Der Vater hat den Ratschluss gefasst, der Sohn baut seine Versammlung und der Heilige Geist hat sie – der Zeit nach – durch sein Kommen auf die Erde gegründet. Die Versammlung ist eine „Behausung Gottes im Geist“ (Eph 2,22).
  2. Ein wichtiges Thema: Wir leben einer Zeit, in der es allein im deutschen Sprachraum ca. 1.500 christliche Gruppen und Benennungen gibt. Viele stellen sich – völlig zu Recht – die Frage, wie sie sich nach den Gedanken Gottes versammeln sollen und was eine örtliche Versammlung nach seinem Plan kennzeichnet.

Der Begriff „Versammlung“

Selbst wenn dieser Begriff vielen Lesern gut bekannt ist, sollten wir nicht vergessen, was er bedeutet. Das griechische Wort Ekklesia beschreibt in seiner eigentlichen Bedeutung Menschen, die „herausgerufen“ werden. Das Wort wird alternativ mit „Versammlung“, „Gemeinde“ oder „Kirche“ übersetzt. Welche Übersetzung man bevorzugt, ist letztlich nicht entscheidend, obwohl „Versammlung“ die beste Übersetzung des Wortes im Grundtext zu sein scheint. Wichtiger als die Übersetzung ist, dass man darunter das Richtige versteht.

Abgesehen von den Stellen im Neuen Testament, die sich auf die alttestamentliche Gemeinde Israels (Apg 7,38) oder eine römische Bürgerversammlung (Apg 19,32.39.40) beziehen, umfasst die „Versammlung“ im Neuen Testament alle Gläubigen der Zeit der Gnade, die das Evangelium des Heils angenommen haben und mit dem Heiligen Geist versiegelt worden sind (Eph 1,13). Wer diese beiden Voraussetzungen erfüllt, gehört zur Versammlung des lebendigen Gottes. Sie gehört Gott, weil Er sie sich erworben hat durch das Blut seines Eigenen (Apg 20,28). Sie gehört Christus, weil Er die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat (Eph 5,25). Im Ratschluss Gottes ist diese Versammlung ewig. In der Zeit nahm sie ihren Anfang, als „der Tag der Pfingsten erfüllt wurde“ (Apg 2,1). Ihre Geschichte auf der Erde endet, wenn Christus zur Entrückung der Gläubigen kommt. In diesem Sinn ist im Neuen Testament über 110 Mal von der Versammlung die Rede.

Eine kostbare Perle

Bevor wir auf die beiden Stellen näher eingehen, in denen das Wort „Versammlung“ im Matthäusevangelium vorkommt, möchte ich auf ein Bild verweisen, dass der Herr selbst gerade in diesem Evangelium benutzt, in dem es an sehr vielen Stellen um das Reich Gottes (von der Versammlung Gottes zu unterscheiden) geht. In Matthäus 13 spricht der Herr in Gleichnissen von diesem Reich und erwähnt dann etwas, das in diesem Reich für Ihn einen besonderen Wert hat:

Wiederum ist das Reich der Himmel gleich einem Kaufmann, der schöne Perlen sucht; als er aber eine sehr kostbare Perle gefunden hatte, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie. (Matthäus 13,45.46)

Der Kaufmann ist der Herr Jesus selbst. Er besitzt nicht nur ein Reich – zu dem äußerlich alle gehören, die sich zu Ihm bekennen und seine Autorität anerkennen – sondern in diesem Reich hat Er etwas sehr Kostbares gefunden – eine Perle. Daraufhin macht Er sich auf, verkauft seinen gesamten Besitz und erwirbt diese Perle.

Im Licht des ganzen Neuen Testamentes gehen wir nicht fehl in der Schlussfolgerung, dass diese Perle die Versammlung ist. Das Bild der Perle lehrt uns folgendes:

  1. Eine Perle ist kostbar: Die Versammlung hat für Christus einen hohen Wert. Es ist etwas, an dem Er seine Freude findet. Sie war Ihm so viel wert, dass Er alles für sie aufgab. Epheser 5 zeigt uns, wie sehr Christus diese Versammlung liebt und sich um sie kümmert. Seine Fürsorge umfasst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In der Vergangenheit hat Er sich für sie hingegeben. In der Gegenwart nährt, pflegt und reinigt Er sie. In der Zukunft wird Er sich selbst die Versammlung verherrlicht darstellen (Eph 5,25–33). Darüber hinaus hat Gott sich diese Versammlung durch das Blut seines Eigenen erworben (Apg 20,28).
  2. Eine Perle ist unteilbar: Das ist ein erster Hinweis auf die Einheit der Versammlung, die in den Briefen wiederholt betont wird. Eine Perle hat nur dann Wert, wenn sie nicht zerstört wird. Anders als ein Edelstein, verliert sie sofort ihren Wert, wenn man sie (in Teile) zerstört. Aus der Sicht Gottes ist die Versammlung immer eine Einheit. Es gibt nur eine Versammlung Gottes. Selbst in einer Zeit der Zersplitterung der Gläubigen in viele Gruppen, sollten wir diese Sichtweise nicht aus dem Auge verlieren. Im Alten Testament war eine solche innere Einheit nicht bekannt. Das Volk Israel war eine nationale Einheit. Die Versammlung ist keine äußere Einheit von Menschen mit gleichen Interessen. Sie ist keine Organisation, sondern ein lebendiger Organismus, eine vom Heiligen Geist geschaffene Einheit (1. Kor 12,13).
  3. Eine Perle reflektiert Herrlichkeit: Die Versammlung ist untrennbar mit Herrlichkeit verbunden. Das bedeutet nicht nur, dass ihre Bestimmung die Herrlichkeit (das Haus des Vaters ist), sondern dass sie in der Ewigkeit nach der Zeit die Herrlichkeit Gottes reflektieren wird (vgl. Off 21,11). Christus wird sich selbst die Versammlung verherrlicht darstellen, die dann keine Flecken und keine Runzeln mehr haben wird (Eph 5,27). Sie ist etwas für sein Herz. Sie wird heilig und tadellos vor Ihm sein. Es sollte heute schon so sein, doch leider wissen wir, dass es – wenn es um unsere Praxis geht – nicht der Fall ist. Dennoch freuen wir uns an dem Gedanken, dass Gott mit seiner Versammlung zum Ziel kommen wird.

Zwei Referenzstellen

Zwei Stellen im Matthäusevangelium sprechen direkt von der Versammlung. Sie lauten:

„Aber auch ich sage dir: Du bist Petrus; und auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen. (Matthäus 16,18)

„Wenn aber dein Bruder gegen dich sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit durch den Mund von zwei oder drei Zeugen jede Sache bestätigt werde. Wenn er aber nicht auf sie hört, so sage es der Versammlung; wenn er aber auch auf die Versammlung nicht hört, sei er dir wie der Heide und der Zöllner. Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein. Wahrlich, wiederum sage ich euch: Wenn zwei von euch auf der Erde übereinkommen werden über irgendeine Sache, welche sie auch erbitten mögen, so wird sie ihnen zuteilwerden von meinem Vater, der in den Himmeln ist. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“ (Matthäus 18,15-20)

Ein erster Vergleich zeigt bereits etwas, was später in den Briefen deutlich sichtbar wird. Der Begriff „Versammlung“ wird von zwei verschiedenen Seiten betrachtet.

  1. Die erste Seite ist die umfassende Seite, d. h. alle Gläubigen – vom Tag der Pfingsten an bis zum Kommen des Herrn – gehören dazu. Das ist die Versammlung, von der unser Herr in Matthäus 16 spricht. Dies wird manchmal der „ewige“ Aspekt der Versammlung genannt. Dabei gibt es andere Stellen, die unter diesem Gesichtspunkt alle zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Erde lebenden Gläubigen umfassen. Ausleger sprechen dann manchmal von dem „weltweiten“ Aspekt. Insgesamt gibt es ca. 20 Stellen in der Bibel, die die Versammlung unter diesem umfassenden (oder universellen) Gesichtspunkt sehen.
  2. Die zweite Seite zeigt den örtlichen Aspekt der Versammlung. Um die weltweite Versammlung sichtbar zeigen (darstellen) zu können, gibt es örtliche Versammlungen, die sich versammeln. Davon spricht der Herr in Matthäus 18.

Versammlung Gottes oder Versammlung Israels?

Bevor wie auf die beiden Stellen eingehen, scheint es zunächst sinnvoll zu sein, kurz auf ein Argument einzugehen, das gerade in letzter Zeit immer wieder von sogenannten Theologen und Auslegern ins Feld geführt wird. Sie behaupten, dass Christus in diesen beiden Stellen nicht von der neutestamentlichen Versammlung (den Gläubigen der Gnadenzeit) spricht, sondern von der „Gemeinde Israels“, die den Jüngern aus dem Alten Testament bekannt war. Wer das behauptet, irrt sich und nimmt diesen beiden Stellen ihre Schönheit. Zwei Argumente sprechen eindeutig gegen diese Sichtweise:

  1. Der Zusammenhang: Gerade die Stelle in Kapitel 16 zeigt, dass es sich bei „Versammlung“ um etwas ganz Neues handeln muss, das es bisher nicht gegeben hatte. Wie könnte Christus von sich sagen, dass Er in Zukunft die „Gemeinde Israels“ bauen würde? Israel existierte schon lange als eine nationale Einheit. Wie könnte Er von einer Offenbarung des Vaters sprechen, wenn es um etwas geht, das im Alten Testament nicht unbekannt war und bereits existierte? Es wäre ein Widerspruch in sich.
  2. Der Vergleich mit anderen Aussagen: Es gibt andere Aussagen Christi, die auf etwas hinweisen, was im Alten Testament unbekannt war und erst später in den Briefen erklärt wird. Als Beispiel nenne ich das „Mahl des Herrn“, die „christliche Taufe“ oder das „Haus meines Vaters“. Christus hat über diese Dinge gesprochen – ohne sie im Detail zu erklären – obwohl sie im Alten Testament völlig unbekannt waren. Ähnlich verhält es sich hier mit der Versammlung.

Es ist unstrittig, dass es eine „Gemeinde Israels“ gibt (vgl. z. B. die Formulierung in 2. Mo 12,6). Es ist allerdings ebenso unstrittig, dass der Herr in den beiden Stellen im Matthäusevangelium nicht davon spricht. Er meint die Versammlung, so wie wir sie im Neuen Testament (in der Apostelgeschichte, den Briefen, der Offenbarung) finden.

Drei Hauptbilder

Eine weitere Vorbemerkung scheint angebracht zu sein. Wir wollen noch kurz einen Blick auf drei Bilder werfen, die das Neuen Testament uns zeigt, um die Wahrheit von der Versammlung besser zu verstehen. Ein Bild haben wir bereits in der Perle gesehen. Die drei wichtigsten Bilder sind diese:

  1. Der Leib: Hier steht der Gedanke der Einheit und der Beziehung zu unserem Herrn und untereinander im Vordergrund. Dabei ist es wichtig, dass es trotz der vorhandenen Einheit eine große Verschiedenheit der einzelnen Glieder (Gläubigen) gibt.
  2. Die Braut und die Frau: Hier steht einerseits der Gedanke der Frische und der Tiefe der Liebesbeziehung im Vordergrund. Christus hat die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben. Er wird sich ewig an ihr erfreuen. Anderseits wird die Fürsorge des Herrn für seine Versammlung gezeigt.
  3. Das Haus: Hier steht der Gedanke des Bauens und des Wohnens im Vordergrund. Es ist ein großer Gedanke, dass Gott ein Haus hat, in dem Er wohnt und das auf der Erde gebaut wird. Das führt uns nun direkt zu unserem ersten Text in Matthäus 16.

Fußnoten

  • 1 Im Folgenden wird durchweg der Ausdruck „Versammlung“ gebraucht. Der Grund ist, dass die von mir bevorzugte Elberfelder Bibelübersetzung (Edition CSV) das Wort „Ekklesia“ (wörtlich: Herausgerufene) mit Versammlung wiedergibt.
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