Einführender Vortrag zum 1. Petrusbrief

Kapitel 1

Einführender Vortrag zum 1. Petrusbrief

Die Briefe des Petrus sind an die auserwählten Juden seiner Tage gerichtet, welche natürlich an den Herrn Jesus glaubten und die in einem großen Teil von Kleinasien verstreut lebten. Der Apostel verwendet besondere Sorgfalt, sie in die Bedeutung vieler der Sinnbilder einzuweisen, welche in den levitischen Zeremonien enthalten sind, mit denen sie vertraut waren. Auf der einen Seite stellt er die christliche Stellung in einen Gegensatz zu ihrer früheren jüdischen, um sie auf ihrem jetzigen Platz und in ihrer Berufung in und durch Christus zu stärken. Auf der anderen achtet er sorgsam darauf, jede gemeinsame Wahrheit zwischen den Christen und den Erlösten des Alten Testaments völlig anzuerkennen. Denn es ist wohl kaum notwendig, einen verständigen Gläubigen darauf hinzuweisen – wie immer die neuen Vorrechte und folglich auch die neuen Verpflichtungen sind, die aus jenen Vorrechten hervorgehen –, daß es gewisse unwandelbare sittliche Grundsätze gibt, welche Gott in allen Zeitaltern festhält. Darauf bestand Gott im Alten Testament – vor allem in den Psalmen und in den Prophetenbüchern; und der Apostel warnt vor der falschen Schlußfolgerung, daß es keine gemeinsamen Grundlagen gibt, nachdem wir in gewissen Beziehungen in einem Gegensatz zu den alt-testamentlichen Gläubigen stehen.

Mögen wir gut bedenken, daß Gott das festhält, was Er für alle die Seinen hinsichtlich Seiner sittlichen Regierung niedergelegt hat. Diese Regierung mag in ihrem Wesen und in ihrer Tiefe unterschiedlich sein; es mag bei passenden Gelegenheiten eine weit eingehendere Beschäftigung mit Seelen geschehen (was seit der Erlösung zweifellos der Fall ist). Gleichzeitig schwächt das Christentum in keinster Weise die allgemeinen Grundsätze Gottes, sondern stärkt und klärt dieselben beträchtlich. Nehmen wir zum Beispiel die Pflicht des Gehorsams! Den Wert eines gnade- und friedevollen Wandels auf der Erde! Das Maß des Vertrauens auf Gott! Es war immer richtig, daß die Liebe zu anderen hinausging – sei es in allgemeiner Freundlichkeit zur gesamten Menschheit, sei es in besonderer Zuneigung zur Familie Gottes. Diese Verpflichtungen galten als Grundsatz immer und dürfen niemals angetastet werden, solange der Mensch auf der Erde lebt.

Ebenso gilt, daß Petrus vom Anfang seines ersten Briefes an den Gegensatz zwischen der christlichen Stellung zu der alten jüdischen herausstellt. Selbstverständlich waren die Juden als Nation auserwählt; doch gerade darin standen sie im Gegensatz zu einem Christen. Was immer wir auch in geistlichen Liedern und Predigten oder in der Theologie finden – die Heilige Schrift kennt keine auserwählte Kirche.1 … Ein Hauptpunkt des Christentums besteht darin, daß die Auserwählung persönlich ist – es geht um einzelne Menschen. Dieses Problem wird von jenen, die gegen die Wahrheit von der Auserwählung kämpfen, stets am meisten gefühlt. Sie stimmen zu, daß eine Körperschaft in einer allgemeinen Weise auserwählt ist; und danach werden die Einzelpersonen, welche diese Körperschaft bilden, sozusagen hineingeführt, und zwar unter gewissen Voraussetzungen in Bezug auf ihr gutes Verhalten. Ein solcher Gedanke ist im Wort Gottes nicht aufspürbar. Gott hat Einzelpersonen auserwählt. Das wird im Epheserbrief gesagt. Er hat uns auserwählt, nicht die Kirche, sondern uns als Individuen. „Die Kirche“ als solche wird erst am Ende des ersten Kapitels erwähnt. Zuerst werden Einzelpersonen gezeigt, die von Gott vor Grundlegung der Welt auserwählt wurden.

Auch hier spricht der Apostel nicht einfach in einem abstrakten Sinn von der Auserwählung. Das ist nirgendwo die Weise der Heiligen Schrift. Die Erlösten wurden „auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters“ [V. 2], denn es geht jetzt nicht mehr um einen Herrscher, der eine Nation besitzt, in welcher Er Seine Weisheit, Macht und gerechten Wege entfalten wollte. Daran und an noch mehr waren die Menschen im Judentum gewöhnt. Doch nun war alles vorbei. Die Juden hatten Gottes Regiment durch ihre Rebellion gegen Seinen Namen verächtlich gemacht; und Jahwe hatte es sittlich für notwendig gehalten, Sein Volk der Macht seiner Feinde auszuhändigen. Folglich war jene Nation als Entfaltung Seiner Herrschaft ein Gegenstand der Vergangenheit. Natürlich, ein Überrest wurde aus Babylon herausgeführt zu dem Zweck, durch die Darbietung des Messias an ihn auf eine neue Probe gestellt zu werden. Aber ach!, sie geschah in Hinsicht auf ihre Verantwortlichkeit und nicht nach ihrem Glauben; und – sei es die Verantwortlichkeit bezüglich des Gesetzes, sei es der Glaube an den Messias – alles blieb in seinem Ergebnis eins, soweit der Mensch betroffen war. Das Geschöpf ist vollständig und in jeder Weise verdorben; und je geistlicher die Erprobung, um so schneller zeigt sich die Verderbnis.

Wie bekannt, war somit die Verwerfung des Messias in ihren Folgen unvergleichlich verhängnisvoller für die Juden, als sogar der Bruch des göttlichen Gesetzes in alten Zeiten. Damit erhielt Gott die Gelegenheit, eine neue Art der Auserwählung zu verwirklichen. Zweifellos gab es immer seit dem Sündenfall und lange vor Abraham und seinem Samen eine geheime Erwählung von Heiligen. Jetzt hingegen wurde die Erwählung der Erlösten offen sichtbar, ein Zeugnis vor den Menschen, obwohl letzteres natürlich vor dem Erscheinen der Herrlichkeit nicht vollkommen sein kann. Gott erwählt gegenwärtig nicht nur aus den Menschen, sondern sogar aus den Juden. Diesen Gesichtspunkt stellt Petrus seinen Lesern vor. Das war für einen Juden überraschend. Aber wenn er nur ein wenig darüber nachdachte, mußte er erkennen, wie wahr dieser Gedanke ist. „Auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters.“ Er bildet jetzt eine Familie und regiert nicht länger ein einziges auserwähltes Volk. Diese Angesprochenen aus den Juden gehörten zu den Auserwählten. „Auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters.“

Doch darin liegt noch mehr. Es ging jetzt nicht mehr um Verordnungen, die die Betroffenen vom Rest der Welt sichtbar absonderten. Es handelt sich um ein wirkliches inneres Beiseitesetzen und nicht um ein nur äußerliches. Es geschieht „durch Heiligung des Geistes.“ Gott sondert Menschen für Sich selbst ab durch die wirksame Tätigkeit des Heiligen Geistes. Wir hören hier nicht von der Gabe des Geistes. „Heiligung des Geistes“ ist etwas anderes als Seine Gabe. Seine Heiligung ist das wirkungsvolle Werk der göttlichen Gnade, welches zunächst eine Person von der Welt für Gott absondert – sei sie Jude oder Nichtjude. Wenn ein Mensch sich zum Beispiel zu Gott umwendet, wenn er an Jesus glaubt und wenn er vor Gott Buße tut – das sind die Zeichen der Heiligung durch den Geist Gottes. Das gilt sogar, wenn der Glaube wenig entwickelt und geübt ist und die Buße verhältnismäßig oberflächlich erscheint. Dabei setze ich natürlich wirklichen Glauben voraus und eine Buße durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes.

Es gibt Menschen, die ständig an die Heiligung denken und von ihr sprechen, als handle es sich um praktisches Geheiligtsein – und zwar ausschließlich. Wir müssen zugeben: In der Schrift finden wir Heiligung, die von unserem Verhalten abhängt. Darum geht es hier indessen nicht, sondern um einen tieferen Gesichtspunkt. Der einfache Grund dafür liegt in der Tatsache, daß praktische Heiligung immer nur bedingt oder eine Frage des Maßstabs sein kann. Die „Heiligung des Geistes“, von der an dieser Stelle gesprochen wird, ist unumschränkt. Es geht nicht darum, inwieweit sie im Herzen eines Gläubigen verwirklicht wird; denn sie umfaßt wirklich und in gleicher Weise alle Gläubigen. Sie ist ein wirkungsvolles Werk des Geistes Gottes vom Anfangspunkt unseres Glaubensweges an. Natürlich waren diese Juden in Gottes Herzen von aller Ewigkeit her auserwählt; sie wurden indessen geheiligt von dem ersten Augenblick an, in dem der Heilige Geist ihre Augen für das Licht der Wahrheit in Christus öffnete. Der Geist erweckt die Gewissen durch das Wort (denn ich spreche jetzt nicht von irgend etwas Natürlichem, von sittlichen Bedürfnissen oder Gefühlen des Herzens). Wo immer ein echtes Werk des Geistes Gottes stattfindet – nicht einfach ein Zeugnis an das Gewissen, sondern ein wirkungsvolles Erwecken desselben vor Gott – wird die Heiligung des Geistes verwirklicht.

Falls jemand fragt, warum dieses als die Bedeutung des Ausdrucks angenommen werden müsse, gestehe ich die Verpflichtung ein, eine Begründung für das zu geben, was zweifellos von der Ansicht vieler Menschen abweicht. Daher antworte ich, daß nach meinem Urteil die richtige und einzige Bedeutung des Begriffs erwiesen wird durch die Tatsache, daß von den Erlösten gesagt ist, sie seien „auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi.“

Die Reihenfolge hier ist genau und lehrreich; denn die praktische Heiligung folgt der Besprengung mit dem Blut Jesu Christi, während die Heiligung des Geistes, von der Petrus spricht, ihr vorausgeht. Die Erlösten sind auserwählt durch Heiligung des Geistes zum Gehorsam. Diese Wahrheit bietet der Theologie einige Schwierigkeiten, weil im allgemeinen sogar verständige und gottesfürchtige Seelen von den vorherrschenden Gemeinplätzen der Menschen gebunden sind. Fern sei es von mir, ihre Festigkeit zu tadeln, mit der sie an der Wahrheit und täglichen Pflicht festhalten, in der praktischen Heiligkeit oder dem, was sie „Heiligung“ nennen, zu wachsen! Beides ist an seinem Platz wahr und wichtig. Der Fehler besteht darin, die andere und noch grundlegendere Bedeutung des Wortes „Heiligung“ zu leugnen, welche Petrus hier in ihrer richtigen Verbindung zum Gehorsam aufweist. Eine Wahrheit ist nicht die Wahrheit. Wahres Wachstum im praktischen Leben geschieht zugegebenermaßen erst nach der Rechtfertigung, die Heiligung in 1. Petrus 1, 2 indessen vor der Rechtfertigung. Offensichtlich befindet sich ein Mensch nach der Rechtfertigung unter der Wirksamkeit des Blutes Christi. Er wartet nicht länger auf die Aussprengung jenes kostbaren Blutes; denn er ist damit schon vor Gott besprengt. Die Heiligung des Geistes jedoch, welche hier aufgezeigt wird, ist die Voraussetzung für die Besprengung mit dem Blut Jesu. Falls du nicht die Gnade Gottes zunichte machen und eine Fülle von Bibelstellen bezüglich der Rechtfertigung durch den Glauben verdrehen willst, kann diese Heiligung sich nicht auf unser praktisches Verhalten Tag für Tag beziehen.

Vermische das eine mit dem anderen und du stellst das Evangelium auf den Kopf! Unterscheide die grundsätzliche Heiligung für alle von den Urzeiten an von der praktischen Heiligung der Gläubigen in ihren verschiedenen Ausmaßen, so erkennst du die Wahrheit, welche Petrus hier lehrt und welche von dem größten Teil der Christenheit vergessen worden ist! Falls jemand sagt: Die praktische Heiligung geht dem Gestelltwerden unter das Blut Jesu voraus, dann frage ich: Wie wird jemand heilig? Woher kommt die Kraft und das Wachstum in der Heiligkeit? Sicherlich entspricht diese Voraussetzung nicht der Belehrung des Wortes Gottes an irgendeiner Stelle, noch weniger besteht der Apostel Petrus hier darauf. In der von ihm vorgestellten Wahrheit liegt ein ausgedehnterer und, falls möglich, tiefgehenderer Gedanke als den an das Maß unseres Wandels. Letzterer unterscheidet sich auf jeden Fall in den Kindern Gottes – keine zwei stimmen überein; und wir alle sind abhängig von Selbstgericht sowie dem Wachstum in der Erkenntnis des Herrn und Seiner Gnade. Das Wort Gottes, Gebete, der Gebrauch, den wir von den Gelegenheiten machen, welche Seine Güte uns sowohl öffentlich als auch im persönlichen Leben schenkt – alle Mittel, welche uns über den Willen Gottes belehren und uns diesbezüglich üben, tragen zweifellos zu dieser praktischen Heiligkeit bei.

Der Apostel spricht jedoch in diesem Vers nicht davon. Statt dessen erfahren wir, wie der Geist die Erlösten absondert, um so zu gehorchen, wie Christus gehorcht hat, und um mit Seinem Blut besprengt zu sein. So geschieht es im wirklichen Leben; und so steht es in der Heiligen Schrift. Saulus von Tarsus, zum Beispiel, empfing diese Heiligung des Geistes in dem Augenblick, als er, auf die Erde niedergeworfen, das Zeugnis des Herrn vom Himmel erhielt. Danach durchlebte er ein tiefgehendes Werk in seinem Gewissen. Drei Tage und Nächte aß und trank er nichts, wie wir alle wissen. Das war durchaus zeitgemäß; und danach wurde, wie uns gesagt wird, die Blindheit weggenommen und er mit Heiligem Geist erfüllt. Letzteres ist nicht die Heiligung des Geistes. Die Erfüllung mit Heiligem Geist war sicherlich eine Folge davon, daß ihm der Geist gegeben worden war. Aber die Gabe des Geistes ist nicht die Heiligung des Geistes. Die Heiligung des Geistes war jene Anfangshandlung, welche Paulus erfuhr, bevor er Frieden mit Gott erlangte. Wenn ein Mensch durch das Zeugnis Gottes erreicht und dazu erweckt wird, seine Sünden zu hassen, sowie vor Gott und nicht vor sich selbst überführt wird – wenn ein Mensch sich alles dessen schämt, was er in Gegenwart der Gnade Gottes gewesen ist, so wenig er letztere auch kennt und versteht – wo immer ein echtes Werk in der Seele abläuft, geschieht die Heiligung des Geistes. Das sollte für das schwächste Kind Gottes nicht ein Grund zur Beunruhigung, sondern zu großem Trost sein. Keinem von ihnen fehlt diese Heiligung des Geistes. Es mag bedrückt sein in Hinsicht auf praktische Heiligung; aber die grundlegende und unbedingt notwendige Heiligung des Geistes haben alle Kinder Gottes in gleicher Weise empfangen. Ich spreche nicht von einer besonderen Lehre. Darum geht es nicht. Ich spreche von einer Seele, die von dem Heiligen Geist zum Leben erweckt worden ist durch die Annahme der Wahrheit, auch wenn dieses in einer äußerst einfachen und eingeschränkten Weise geschah; denn es ist eine Wirklichkeit. Von dieser Zeit an wird die Heiligung des Geistes zu einer Tatsache.

Aber wozu sind sie auf diese Weise vom Heiligen Geist geheiligt worden? – Zum Gehorsam Jesu Christi und zur Blutbesprengung Jesu Christi! Die Beifügung „Jesu Christi“ gehört zu beiden Ausdrücken. Auch das stellt für manche eine Schwierigkeit dar. Sie würden die Besprengung mit Blut eher an die erste Stelle rücken, gefolgt vom Gehorsam. Ich kann sie verstehen, stimme ihnen aber in keinster Weise zu. Tatsächlich zeigen solche Schwierigkeiten, wo sich die Menschen wirklich befinden. Die Wurzel von diesem allen liegt darin, daß sie zuerst mit sich selbst beschäftigt sind, anstatt sich auf den Herrn zu stützen. Zweifellos, wenn eine Person plötzlich durch die Besprengung des Blutes Jesu den Trost eines vollen Friedens mit Gott empfangen hat, genügt dieses den Empfindungen ihres Herzens hinsichtlich ihrer Not. Das entspricht indessen nicht dem, was das Wort Gottes über jene bekehrten Seelen zeigt, auf die ich mich beziehe. Was sagt Saulus von Tarsus infolge der Wirkung jenes Lichts Gottes, das über ihm aufleuchtete? – „Was soll ich tun, Herr?“ [Apostelgeschichte 22, 10]. Geschah das nicht, bevor er den ganzen Trost und die Segnung der Blutbesprengung Jesu erfahren hatte?

Der erste Antrieb eines Bekehrten besteht darin, den Willen Gottes zu tun. Es mag noch kein Gefühl von Freiheit, nicht einmal Freude im Herrn vorliegen – kein gefestigter Friede irgendwelcher Art. Das wird alles zu gelegener Zeit folgen – sogar sehr schnell, möglicherweise noch in derselben Stunde. Doch das Allererste ist der Wunsch einer aus Gott geborenen Seele, um jeden Preis Seinen Willen zu tun. Genau das erfüllte auch Jesus in vollkommener Weise. Es ging nicht darum, was Er erwerben oder vermeiden sollte. Statt dessen stand geschrieben: „Siehe, ich komme …, um deinen Willen, o Gott zu tun.“ [Hebräer 10, 7]. Für mich gibt es nichts Wunderbareres in unserem gepriesenen Herrn hier auf der Erde als diese Hingabe an Seinen Vater. Sie zeigte sich nicht hin und wieder, sondern war der eine Beweggrund, der Ihn vom Anfang bis zum Ende Seines Laufes hienieden bewegte. Er kam, um den Willen Gottes zu tun, und zwar nicht, wie es das Gesetz versprach, damit es Ihm gut ginge und Er lange auf der Erde leben mochte. Diesen Beweggrund besaß Er nie, obwohl Er das Gesetz vollkommen erfüllte. Im Gegenteil wußte Er sehr gut, bevor Er in die Welt kam, daß Er nicht ein langes Leben, sondern den Tod am Kreuz finden würde. Er sollte das Opfer für die Sünde werden und sich selbst aufgeben trotz Seiner Leiden von seiten der Menschen und von Gott. Um jeden Preis mußte Gottes Wille ausgeführt werden. „Durch welchen Willen wir geheiligt sind durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi.“ [Hebräer 10, 10]. Derselbe Grundsatz gilt auch für den Gläubigen, obwohl er natürlich auf reiner Gnade ihm gegenüber beruht. Bei Jesus hingegen war es sittliche Vollkommenheit. Bei uns geschieht alles durch Jesus – zweifellos bewirkt durch den Heiligen Geist. Das ist der Instinkt der neuen Natur – des Lebens in dem Gläubigen, der, aus Gott geboren, notwendigerweise diese Gefühle der neuen Natur besitzt, nämlich den Willen Gottes zu tun. Tatsächlich ist Christus das Leben des Gläubigen. Daher können wir gut verstehen, daß das Leben Christi, sei es in seiner ganzen Vollkommenheit in Ihm, sei es in abgewandelter Form in uns, nichtsdestoweniger dasselbe Leben ist. In unserem Fall wird es allerdings, ach!, durch alle Arten von Umständen behindert und vor allem durch das Übel unserer alten Natur, welche uns umgibt. In Ihm ist dieses Leben, wie wir wissen, uneingeschränkt vollkommen und ohne Vermischung.

In diesem Fall erscheint mir die Reihenfolge göttlich vollkommen, und zwar ganz offensichtlich. Nachdem wir durch den Geist geheiligt sind, werden wir berufen, so zu gehorchen, wie Christus gehorcht hat. Das ist ein anderer Charakter und ein weiteres Maß der Verantwortlichkeit. Der Jude als solcher war gebunden, dem Gesetz zu gehorchen. Für ihn ging es darum, nicht das zu tun, wozu ihn seine Natur antrieb. Das galt aber niemals für Jesus. Unter keinen Umständen verlangte Er das Geringste, das nicht dem Willen Gottes entsprach. Auch die neue Natur im Gläubigen hat niemals einen anderen Gedanken oder andere Empfindungen; nur befindet sich bei uns außerdem noch die alte Natur, welche, ach!, dafür kämpft, ihren eigenen Weg durchzusetzen. Darum hat Gott Sein besonderes weises, heiliges und gnädiges Verfahren, damit umzugehen. Wir werden es später in unserem Brief sehen. Daher brauche ich jetzt nichts weiter dazu zu sagen.

Hier finden wir als erste grundlegende Tatsache, daß der christliche Jude nicht mehr zur auserwählten Nation gehört. Aus dieser früheren Stellung ist er herausgenommen worden und in einer ganz neuen Form auserwählt. In diesem Fall gilt, daß diejenigen, welche ausdrücklich im Brief angeschrieben wurden, früher zwar zum auserwählten Volk gehört hatten, jetzt aber auserwählt waren nach der Vorkenntnis Gottes des Vaters. Das war kein nachträglicher Beschluß, sondern Sein festgelegter Plan. Es war die Vorkenntnis Gottes des Vaters kraft (ἐν) der Heiligung des Geistes zum Gehorsam Jesu Christi (jene Art des Gehorsams) und der Besprengung des Blutes. Diese beiden Punkte müssen sorgfältig erwogen werden – christlicher Gehorsam und Christi Blutbesprengung. Ich denke, daß beide in einem offensichtlichen Gegensatz zu denselben beiden Elementen unter dem Gesetz in 2. Mose 24 stehen, die hier anscheinend vor Augen treten. In jenem Kapitel sehen wir Israel, wie es allem zustimmt, was das Gesetz fordert. Darum wird das Blut gewisser Opfer genommen und auf das Volk gesprengt sowie auch auf das Buch, welches sie verpflichtete.

Es ist ein großer Fehler anzunehmen, daß das Blut dort als Zeichen von der Wegnahme der Sünden benutzt wird. Dieser Gesichtspunkt ist nicht die einzige Bedeutung des Blutes – selbst dort nicht, wo es im Zusammenhang mit einem Opfer verwandt wird. Ich denke, die Tragweite liegt darin: Das Volk verpflichtete sich förmlich einem gesetzlichen Gehorsam und versprach in dieser ernsten Weise zu gehorchen. So wie das gesprengte Blut von den geschlachteten Tieren stammte, die im Blick auf den alten Bund getötet worden waren, so schreckten sie nicht vor den schrecklichen und strengen Forderungen zurück, die im Fall ihres Versagens beim Gehorsam gegen Gottes Willen drohten. Sie legten damit den Fluch des Todes von seiten Gottes auf sich, falls sie Seine Gebote verletzen sollten. Aus diesem Grund stellen wir fest, daß gleichzeitig ein Besprengen des Buches erfolgte. Das hat überhaupt nichts mit Sühne zu tun – eine Annahme, die ausschließlich in jenen Menschen aufsteigt, welche ihre Augen vor anderen Wahrheiten der Bibel verschließen und welche damit zu ihrem eigenen Schaden selbst solche Wahrheiten verdunkeln, die sie festhalten. Wir müssen für die ganze Wahrheit offen sein. Die Sühne hat ihren eigenen unvergleichlichen Platz. Aber als die Israeliten sich zum Halten des Gesetzes verpflichteten, waren sie sicherlich so weit wie möglich von einem Bekenntnis der Sühne entfernt. Es ist ein unbedingter Trugschluß – entehrend für die Herrlichkeit Gottes und zum Schaden für unsere Seelen –, die Bibel in dieser Weise auszulegen. Damit wird nur Verwirrung hervorgerufen, indem Gesetz und Evangelium durcheinander geworfen werden zum Schaden für beide und in Wirklichkeit zum Verderben der Schönheit und Kraft der Wahrheit.

Bei den Christen ist alles anders; denn Christus teilte uns eine neue Natur mit, die es liebt, Gottes Willen zu gehorchen. Sie wurde uns folglich bei der Bekehrung gegeben, bevor wir (und es mag lange vorher gewesen sein) uns des Friedens erfreuten. Von dem Augenblick an, in dem wir diese neue Natur empfingen, möchte das Herz gehorchen. Das war – von keiner Unvollkommenheit behindert – der Gehorsam Christi.

Doch außerdem stellt das Evangelium den Gläubigen nicht unter das Blut der Bedrohung mit dem Tod oder des Fluches im Fall eines Versagens. Nicht das schreckliche Zeichen seines Untergangs, falls er nicht gehorsam ist, steht ihm vor Augen. Es versetzt ihn unter die Blutbesprengung Jesu, welche ihn einer vollständigen Vergebung versichert. Mit dieser Gewißheit soll er sein Christenleben anfangen. Er beginnt seinen Lauf mit diesem gesegneten Schutz, welcher ihm sagt, daß er in den Augen Gottes ein gerechtfertigter Mensch ist, dem seine Sünden vergeben sind, bevor er den Pfad christlichen Gehorsams betreten hat. Das ist die angemessene und eindrucksvolle Vorrede, mit der unser Apostel beginnt, indem er das Teil des Gläubigen in Christus dem der Juden gegenüberstellt, wie es in ihren eigenen geheiligten Büchern steht, deren göttliche Autorität nicht nur sie, sondern auch wir anerkennen.

Als nächstes folgen die Grüße. „Gnade und Friede sei euch vermehrt!“ ist die übliche christliche oder apostolische Anrede. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, welches in den Himmeln aufbewahrt ist für euch, die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung, die bereit ist, in der letzten Zeit geoffenbart zu werden.“ [V. 2–5]. So stellt Petrus zur Bestätigung gerne noch einmal die neue Beziehung vor, in welcher sie vor Gott standen. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus!“ Hier geht es nicht um die Segnungen in den himmlischen Örtern. Das ist nicht das Thema von Petrus. Es wurde einem anderen Werkzeug [Gottes; Übs.] mitgeteilt, welches geeigneter war, die himmlische Stellung des Gläubigen zu offenbaren. Aber wenn Petrus auch nicht unsere Vereinigung mit Christus und unseren vollkommenen Platz in Ihm vor Gott zeigt, so bezeugt er doch eindeutig unsere Hoffnung im Himmel. Darauf geht er gleich weiter ein. Indem er von Gott spricht, schreibt er: „Der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, welches in den Himmeln aufbewahrt ist.“ Es ist jetzt nicht das allumfassende Erbteil, welches der Apostel Paulus behandelt. Somit erkennen wir klar einen ausdrücklichen Unterschied zwischen Petrus‘ Zeugnis und dem des Paulus.

Beachten wir, daß das eine genauso christlich ist wie das andere. In ihrer Autorität gibt es keinen Unterschied! Aber beide haben ihre besondere Bedeutung. Ein Mensch, der allein den Brief an die Epheser annehmen will, erweist sehr bald seinen Mangel in Bezug auf den Petrusbrief. Ich bin davon überzeugt, daß eine Verhärtung des Charakters, die für geistlich gesinnte Menschen unerträglich ist, unausweichlich hervorgebracht wird, wo unsere geistliche Speise ausschließlich aus Epheser- und Kolosserbrief entnommen wird. Die Wirkung wird anderen bald in schmerzlicher Weise fühlbar werden. In ihrer Folge wird notwendigerweise viel von dem geistlichen Empfinden, welches die Seele demütigt, und von dem Bedürfnis nach der gnädigen gegenwärtigen Vorsorge des Herrn Jesus als Sachwalter und Priester in der Höhe für uns unberücksichtigt bleiben. Mit anderen Worten: Wenn wir an Festigkeit sowie an unsere Zugehörigkeit zum Himmel denken – an ein strahlendes, triumphierendes Bewußtsein von der Herrlichkeit – müssen wir sicherlich in die kostbare Wahrheit von unserem Einssein mit Christus eingedrungen sein und sie genießen. Doch das ist nicht alles. Wir benötigen genauso das Eintreten Christi für uns wie das Vorrecht, in Ihm zu sein. Wir benötigen Ihn, wie Er in Seiner Liebe für uns vor unserem Gott tätig ist und nicht allein den geistlichen Zustand, in dem wir vor Gott stehen. Petrus behandelt hauptsächlich den ersten Gesichtspunkt, Paulus beide, obwohl besonders den letzteren. So sind unter Gottes Hand die dargelegten Gegenstände an beide aufgeteilt. Der Hebräerbrief ist von allen paulinischen Episteln derjenige, welcher sich am meisten dem Zeugnis von Petrus annähert und mit ihm übereinstimmt. Dort finden wir nicht unsere Einheit mit dem Haupt, sondern die „himmlische Berufung“. Diese Linie der Wahrheit erkennen wir im wesentlichen im 1. Petrusbrief.

Wir sehen hier auch nicht ausschließlich die Blutbesprengung Jesu, sondern auch jenes Leben, welches die Gnade uns gegeben hat und welches durch Auferstehungskraft gekennzeichnet ist. Wir sind „wiedergezeugt“, schreibt Petrus, „zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten.“ Das Blut Jesu Christi, so kostbar und unentbehrlich es ist, macht einen Menschen weder seinem Verständnis nach noch in Hinsicht auf die Wirklichkeit seiner Stellung zu einem Christen. Es ist die Grundlage dafür; und jeder, der auf dem Blut Christi ruht, ist sicherlich ein Christ. Aber ich wiederhole: Sowohl für unsere Stellung vor Gott als auch für ein volles Verständnis von ihr und Kraft für die Seele benötigen und besitzen wir mehr. Nehmen wir an, Gott würde dem Gläubigen nur entsprechend seinen eigenen Gedanken (die oft so dürftig sind) geben – nehmen wir an, ein Mensch glaubt in voller Wirklichkeit an die Kraft des kostbaren Blutes Christi, besitzt indessen nicht mehr als dieses Bewußtsein von seiner tatsächlichen Stellung durch den Heiligen Geist – eine solche Person, daran halte ich fest, wäre in der Tat ein trauriger Christ! Zweifellos ist das Blut, soweit es reicht, von all-umfassender Bedeutung. Niemand könnte ohne dasselbe ein Christ sein. Dennoch benötigt der Christ die Wirksamkeit der Auferstehung Jesu, welche Seiner Blutbesprengung folgt. Ich sage nicht: Die Auferstehung ohne Sein Blut! Noch weniger spreche ich von Herrlichkeit ohne beide. Ein ganzer Christus wurde gegeben und benötigt. Ich glaube nicht an jene Herrlichkeits-Menschen oder Auferstehungs-Menschen ohne das Blut Jesu. Auf der anderen Seite sind wir in der Schrift genauso wenig auf jene wunderbarste aller Grundlagen beschränkt, nämlich die Erlösung durch Christus Jesus, unseren Herrn. Wenn wir uns darauf beschränken würden, wäre es ein Unrecht, und zwar nicht so sehr gegen deine eigene Seele, sondern vielmehr gegen Gottes Gnade, und falls es da einen Unterschied geben könnte, vor allem gegen Ihn, der alles um der Herrlichkeit Gottes willen und für unsere unendliche Segnung erduldete.

In diesem Brief finden wir also den Christen, wie er durch die göttliche Gnade eine neue Natur besitzt, welche zu gehorchen liebt. Er ist mit Christi Blut besprengt, welches ihm Vertrauen und Freimütigkeit im Glauben vor Gott mitteilt, weil er die Echtheit jener Liebe kennt, die seine Sünden durch Blut weggenommen hat. Doch außerdem – welch eine Quelle ist der Seele anvertraut durch das Bewußtsein, daß ihr Leben das Leben Christi in der Auferstehung ist! So fügt Petrus hinzu, daß den Erlösten ein gleiches Erbteil wie Christus Selbst gehört – „ein unverwesliches und unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil, welches in den Himmeln aufbewahrt“ wird, wohin der Herr schon gegangen ist. Aber noch mehr! Wir besitzen vollkommene Sicherheit, obwohl wir durch eine Welt zu gehen haben, welche von Haß und Gefahr erfüllt ist, insbesondere für die Christen. „Die ihr“, schreibt er, „bewahrt werdet“; denn die christliche Lehre lautet nicht, wie so oft gesagt wird, daß die Erlösten durchhalten müssen. Ich jedenfalls glaube nicht daran. Wir sehen nämlich, ach!, viel zu häufig, wie die Erlösten in die Irre gehen und in der Regel vergleichsweise selten durchhalten, insbesondere wenn wir von ihrer unerschütterlichen Treue und Hingabe sprechen. Doch es gibt etwas, das niemals versagt: „Gottes Macht durch Glauben.“ Von dieser wird der Gläubige bis zum Ende bewahrt. Ausschließlich sie stellt das Gleichgewicht wieder her. So werden wir von unserem Dünkel hinsichtlich unserer eigenen Festigkeit befreit. Wir benötigen Barmherzigkeit, um so zu sein, wie wir sein sollen. Wir schauen in Abhängigkeit hinauf zu einer Person, die sich unstreitig über uns befindet und uns gleichzeitig unendlich nahe ist. Das sollte die Quelle all unseres Vertrauens sein: Gott Selbst mit Seiner ganzen Macht bewahrt uns. Einer Seele, die auf diese Weise auf Gottes Macht, die sie bewahrt, vertraut, wird eine ganz andere Stimmung mitgeteilt, als sie derjenige besitzt, der meint, als ein Erlöster aus sich selbst heraus durchhalten zu müssen. Es ist also viel besser, „durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt“ zu werden. Auf diese Weise ist unser Wandel nicht getrennt von unserem Aufblick zu Ihm.

Es gibt indessen auch noch Zucht. Gott stellt uns auf die Probe; und zweifellos müssen wir, falls der Unglaube wirkt, die bittere Frucht unserer eigenen Wege essen. Es ist gut, wenn wir empfinden, daß es sich um Unglauben handelt und daß dieser nichts als Tod hervorrufen kann. Das mag in unterschiedlichem Maß geschehen; und darum liegt nichts ferner als die Annahme, daß ein Mangel an Glauben erlaubt sei. In einem Ungläubigen, wo dieser Mangel ungehindert wirkt, sind die Folgen verhängnisvoll und ewig. In einem Gläubigen befindet sich das „böse Herz des Unglaubens“ [Hebräer 3, 12] notwendigerweise dadurch, daß es an Christus glaubt, in einem anderen Zustand, weil der Erlöste ewiges Leben besitzt. Aber dennoch besteht auch hier, soweit der Unglaube wirkt, dem Grundsatz nach der Tod als Folge. Aber die Gläubigen werden „durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt … zur Errettung.“ Hier ist es gut und wichtig zu beachten, daß die Errettung im Petrusbrief auf die Zukunft blickt, jedenfalls soweit sie nicht anders gekennzeichnet wird. Das ist eine wichtige Wahrheit. Die Errettung wird behandelt, als sei sie noch nicht gekommen. Im allgemeinen Sinn des Wortes wird dazu die Offenbarung des Herrn Jesus Christus erwartet. Sie setzt voraus, daß der Gläubige aus allem, was zur irdischen Natur gehört, herausgeführt worden ist, sogar aus seinem Leib – daß er schon verwandelt ist in die Gleichheit Christi. „Errettung“, sagt Petrus, „die bereit ist, in der letzten Zeit geoffenbart zu werden.“ Das ist der Grund, warum er sie mit dem Erscheinen Christi verbindet. Es geht nicht nur darum, daß die Errettung bewirkt worden ist; sie muß auch geoffenbart werden. Darum erwartet sie notwendigerweise die Offenbarwerdung Jesu Christi.

Errettung gibt es auch noch in einem anderen Sinn; und wir werden bald sehen, daß unser Apostel dieses keineswegs übergeht. Aber dann macht er nähere Angaben zu diesem Ausdruck. Wenn er sich auf die Gegenwart bezieht, spricht er von der Errettung der Seelen, nicht der Leiber. Auch das ist ein sehr wichtiger Punkt des Unterschieds für einen Christen; und es ist jetzt wünschenswert, davon zu sprechen. Auf der anderen Seite, wenn, wie hier, einfach von Errettung in ihrer Fülle gesprochen wird, führt uns das zum Offenbarwerden in der letzten Zeit. „Worin ihr frohlocket, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es nötig ist, betrübt seid durch mancherlei Versuchungen.“ [V. 6]. Solcherart ist der Pfad der Prüfung, auf dem der Gläubige voran schreitet, indem der Glaube, welchen Gott ihm gegeben hat, auf die Probe gestellt wird. „Auf daß die Bewährung eures Glaubens [nicht des Fleisches, wie unter dem Gesetz], viel köstlicher als die des Goldes, das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, erfunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi.“ [V. 7].

Es wird nicht vom Kommen Christi gesprochen. Die Erprobung unseres Glaubens wird nicht [in ihren Ergebnissen; Übs.] zu dieser Zeit geoffenbart, sondern „in der Offenbarung Jesu Christi.“ Das ist der Grund, warum die Offenbarung [„Erscheinung“ in der engl. „King-James-Bible“; Übs.] Jesu hier eingeführt wird. Der Ausdruck „Kommen des Herrn“ könnte mißverstanden werden, weil er mehr umfaßt als Sein Erscheinen oder Seine Offenbarung. Sein Kommen (παρουσία) spricht von Seiner Rückkehr, welche die Wegnahme und Aufnahme der Erlösten zu Ihm in den Himmel bewirkt. Sein Erscheinen zeigt die Gläubigen später mit Ihm vor der Welt. Folglich umfaßt das Wort nur einen Teil der Ereignisse, die Seine Gegenwart auf der Erde beinhaltet. Es ist der spezielle Begriff (nicht der allgemeine). Das Erscheinen Jesu geschieht ausschließlich, wenn der Herr sich offen zeigt und von jedem Auge gesehen wird. Offenkundig wird der Herr kommen und sich allein denen sichtbar machen, an welchen Er interessiert ist und die persönlich mit Ihm verbunden sind. Das steht, wie ich nicht bezweifle, als Wahrheit in der Heiligen Schrift. Aber später handelt Er ausgedehnter: Er zeigt sich der Welt. Das ist das „Erscheinen“ Jesu. Davon spricht der Apostel Petrus in Bezug auf die Offenbarung der Söhne Gottes in Herrlichkeit. Zu jener Zeit wird die Bewährung des Glaubens der Christen in der Herrlichkeit offen gesehen. Wo immer die Gläubigen Glauben oder Unglauben gezeigt haben, sei es, daß die Welt, das Fleisch oder der Teufel sie gehemmt haben – was auch immer ihr besonderer Fallstrick gewesen sein mag, der sie vom Weg abgebracht hat – alles wird dann ausgebreitet.2 Die Eigenliebe wird keine Möglichkeit mehr haben, einen frommen Augenschein aufrecht zu erhalten. So wie der Unglaube jetzt wertlos ist, so wird er dann seinen Schaden zeigen. Die Bewährung des Glaubens hingegen, soweit letzterer echt ist, wird „erfunden … zu Lob und Herrlichkeit und Ehre.“ Nachweislicher Unglaube wird sicherlich zu niemandes Lob beitragen. Wo hingegen in der Prüfung schwankender Glaube zutage trat, wird er bestimmt von der Gnade Gottes vergeben werden. Nichtsdestoweniger muß Gott Versagen unbedingt verurteilen. Das Fleisch erwartet niemals etwas Gutes von Gott. Deshalb wird nachgewiesen, daß jeder Unglaube aus dem Fleisch hervorkommt und nicht aus dem Geist und niemals entschuldigt werden kann.

Aber dieses gibt dem Apostel eine Gelegenheit, von Jesus zu sprechen, insbesondere nachdem er von Seinem Erscheinen geredet hat. Dabei stellt er in bemerkenswerter Weise das Wesen des Christentums heraus. „Welchen ihr“, sagt er, „obgleich ihr ihn nicht gesehen habt, liebet.“ [V. 8]. Auf dem ersten Blick erscheinen ein solcher Ton und eine solche Wahrheit seltsam. Doch letztendlich sind sie sehr kostbar. Wer liebte jemals eine Person, die er noch nie gesehen hat? – Wir wissen, daß in den menschlichen Beziehungen es nicht so ist. In göttlichen Dingen erweist gerade diese Tatsache, die Kraft und den besonderen Charakter des christlichen Glaubens. „Welchen ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt, liebet; an welchen glaubend, obgleich ihr ihn jetzt nicht sehet, ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlocket, indem ihr das Ende eures Glaubens, die Errettung der Seelen, davontraget.“ Hier geht es nicht um die Errettung des Leibes, sondern um die Seelen-Errettung. Das gibt uns sofort ein wahres und lebendiges Bild von dem, was das Christentum ist. Die Erwägung dieser Wahrheit war von einzigartiger Wichtigkeit für die Juden, weil sie stets nach einem lebendigen Messias – dem königlichen Sohn Davids, welcher zweifellos der Gegenstand aller Verehrung, Huldigung und Treue für ganz Israel ist – Ausschau hielten. Hier geht es hingegen um völlig andere Linien der Wahrheit. Ein verworfener Messias ist der passende Gegenstand der Liebe des Christen, obwohl letzterer Ihn niemals gesehen hat; und da Er bisher ungesehen blieb, wird Er um so mehr der einzige und unvermischte Gegenstand des Glaubens und damit die Quelle „unaussprechlicher und verherrlichter Freude.“

Während diese Wahrheit in völligem und offensichtlichen Gegensatz zum Judentum steht, bedarf es nur eines geringen Beweises dafür, daß sie den Rahmen für die angemessene Entfaltung des Christentums liefert, welches erst in seinem wahren Licht gesehen werden konnte, nachdem Christus die Welt verließ. Es ist Unwissenheit und Irrtum, den Zustand, als der Herr auf der Erde war, „Christentum“ zu nennen, so gesegnet und notwendig Seine Anwesenheit auch war. Natürlich war Christus letzten Endes in einem Sinn viel wichtiger als das vollbrachte Werk, um uns zu Gott zu führen. Alles, auf das jemand mit Wonne und Lob blicken konnte, war in Seiner Person konzentriert. Was waren damals die Jünger? Glieder Seines Leibes? Wer sagt dir das? Niemand kann es in der Schrift finden. Bis zu jener Zeit gab es keine Gliedschaft am Leib Christi; und niemand war „in Ihm“. Folglich konnten diese Wahrheiten auch nicht irgendeiner Seele bezeugt werden, noch dem fortgeschrittensten Gläubigen bekannt sein. Alles bestand darin, was Christus für ihn war. Niemand vermutete im geringsten (denn es entsprach noch nicht den Tatsachen), daß jemand in Ihm war. Der Herr sprach von einem Tag, an dem sie es erkennen sollten. Doch bis dahin war nicht einmal die Grundlage dafür gelegt. Das erfolgte in dem gewaltigen Werk des Heilands am Kreuz; und nicht allein die Tatsache selbst, sondern auch ihre Ergebnisse wurden verwirklicht, als Christus, nachdem Er Sein eigenes Auferstehungsleben in sie gehaucht hatte [vergl. Johannes 20!], in den Himmel gestiegen war. Danach sandte Er den Heiligen Geist hernieder, damit sie die Freude jenes Werkes genießen und dessen Macht besitzen sollten. Das schaffte Raum für das ganze praktische Wirken des Christentums. Damit letzteres auftreten konnte, mußte Jesus weggegangen sein. Natürlich – ohne das Kommen Christi konnte es kein Christentum geben. Doch so lange Er sichtbar auf der Erde gegenwärtig war, konnte wirkliches Christentum noch nicht einmal beginnen.

Als der Gestorbene zum Himmel hinaufstieg, erschien das Christentum in seiner vollen Kraft; und demnach zeigte sich der Glaube in seinem schönsten und wahrhaftigsten Charakter. Während Jesus auf der Erde war, gab es eine Art vermischter Erfahrung – teilweise bestand sie im Glauben und teilweise im Schauen. Doch nach Seinem Weggang blieb nur noch Glaube und nichts als Glaube. Solcherart ist das Christentum. Doch außerdem, solange Christus hier war, konnte es genau genommen noch nicht die Hoffnung geben. Wie konnte man auf jemand hoffen, der gegenwärtig war, so sehr auch Sein damaliger Zustand von dem abwich, der erhofft und erwartet wurde? So besaß weder der Glaube seinen ihm angemessenen und passenden Bereich, noch die Hoffnung ihren ordnungsgemäßen Charakter, bevor Jesus wegging. Nachdem Er die Erde verlassen hatte, insbesondere als der Gekreuzigte, gab es wirklich Raum für den Glauben; und nichts außer Glauben empfängt, schätzt und genießt alles. Bevor Er wegging, hinterließ Er indessen die Verheißung Seiner Rückkehr für die Gläubigen. Auf diese Weise nahm sozusagen auch die Hoffnung auf Sein Zusammentreffen mit ihnen ihren Anfang, wobei es in der Tat das Werk des Heiligen Geistes ist, Glaube und Hoffnung zu entfalten, welche Er gegeben hat.

Das möge also genügen, um das wahre Wesen des Christentums zu zeigen. Es wurde nach der Erlösung eingeführt, gründet sich auf sie und formt in uns himmlische Beziehungen und Hoffnungen, während Jesus abwesend ist. Wir warten auf Seine Rückkehr. Es ist vielleicht nicht nötig zu sagen, wie das Herz erprobt wird. Alles soll, wie wir gesehen haben, nicht nur dem Glauben und der Hoffnung ihren vollen Platz zuweisen, sondern auch der Liebe. So wird uns hier geschrieben: „Welchen ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt, liebet“ Es ist folglich kein Wunder, wenn Petrus hinzufügt: „An welchen glaubend, obgleich ihr ihn jetzt nicht sehet, ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlocket.“ Dennoch könnte keines dieser Wunder der Gnade bestehen außer durch die Erlösung. So empfangen wir inzwischen das Ende unseres Glaubens, nämlich die Errettung der Seelen.

In den nächsten Versen folgt eine sehr wichtige Weiterentwicklung. „Über welche Errettung Propheten nachsuchten und nachforschten, die von der Gnade gegen euch geweissagt haben.“ [V. 10]. Wie wenig haben anscheinend die alt-testamentlichen Propheten ihre eigenen Prophezeiungen verstanden! Wie sehr sind wir dem Heiligen Geist verpflichtet, der jetzt einen schon gekommenen Christus offenbart! Die Propheten sagten unaufhörlich, daß die Gerechtigkeit Gottes nahe war und Sein Heil geoffenbart werden sollte. Daran erkennen wir, daß sie gerade von unseren Dingen reden. Sie weissagten von der Gnade gegen uns, „forschend, auf welche oder welcherlei Zeit der Geist Christi, der in ihnen war, hindeutete, als er von den Leiden, die auf Christum kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach zuvor zeugte.“ [V. 11]. Nimm Psalm 22 oder Jesaja 53, wo wir die Leiden, die Christus trafen, und die Herrlichkeiten danach finden! Beachte aber: „Welchen es geoffenbart wurde, daß sie nicht für sich selbst, sondern für euch die Dinge bedienten, die euch jetzt verkündigt worden sind … durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist.“ [V. 12]. Das ist Christentum. Dieser Vers stellt keineswegs die Stellung und das Zeugnis der Propheten auf denselben Boden, wie wir ihn unter der Gnade und durch einen bei uns gegenwärtigen Heiligen Geist besitzen. Petrus zeigt, daß zunächst einmal dieses Zeugnis aus dem bestand, was nicht sie selbst betraf, sondern uns. Es begann natürlich mit dem bekehrten jüdischen Überrest – jenen christlichen Juden, die dem Evangelium glaubten, welches aber dem Grundsatz nach uns aus den Nichtjuden genauso gut gehört wie ihnen.

Das Christentum ist jetzt zu uns gekommen. Doch wo Menschen es wirklich kennen, geht es nicht einfach um ein prophetisches Zeugnis, obwohl letzteres von Gott kommt, sondern vor allem um die Predigt des Evangeliums durch den Heiligen Geist, der vom Himmel gesandt wurde. Das Evangelium setzt eine gegenwärtige Erfüllung voraus – soweit es die Seele angeht, ist die Errettung vollbracht. Gleichzeitig ist der Tag für die Erfüllung der Prophezeiungen in ihrer Gesamtheit noch nicht gekommen. Dieser wichtige Unterschied wird hier geoffenbart. Drei ausdrückliche Wahrheiten enthalten diese Verse, wie schon oft angemerkt wurde, und zwar, wie wir gesehen haben, sehr eindeutig. „Deshalb umgürtet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüchtern und hoffet völlig auf die Gnade, die euch gebracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi.“ [V. 13]. Dann werden alle Prophezeiungen erfüllt. Auf diese Weise stellt der Herr Jesus, der schon einmal gekommen ist und bald wiederkommen wird, zwei dieser Phasen dar, während die Sendung des Heiligen Geistes für das Evangelium den Zwischenraum ausfüllt. Gäbe es nur ein einziges Kommen Christi, dann würden die heutige Erfüllung der Prophetie und die zukünftige zusammenfallen – soweit das überhaupt möglich wäre. Aber zwei verschiedene Kommen des Herrn (eines in der Vergangenheit, das andere in der Zukunft) trennen die Ereigniskette in diese voneinander gesonderten Teile. Das bedeutet: Einiges finden wir schon in der Vergangenheit erfüllt; andererseits warten wir noch auf die vollständige Erfüllung aller Vorausblicke auf das kommende Königreich in der Zukunft. Nach der einen Erfüllung und vor der anderen ist der hernieder gesandte Heilige Geist die Kraft des christlichen Segens und, wie wir wissen, auch der Kirche und nicht weniger der Verkündigung des Evangeliums überall.

Wenn der Herr Jesus bald erscheint, gibt es das Evangelium nicht mehr, so wie es jetzt gepredigt wird, noch den Heiligen Geist, so wie Er jetzt vom Himmel gesandt worden ist. Statt dessen breitet sich das Wort Gottes an jenem Tag aus und wird der Geist in angemessener Weise ausgegossen. Die Wirksamkeiten des Heiligen Geistes werden sich möglicherweise noch weiter ausbreiten [als heute; Übs.], wenn Er über alles Fleisch ausgegossen ist. Dann ist Er nicht mehr nur ein Muster. Er wird dann in vollem Ausmaß (ich sage nicht: „in derselben Tiefe“) überall verbreitet sein, und zwar weit mehr als am Pfingsttag erfüllt wurde. Zur bestimmten Zeit werden alle Prophezeiungen auf den Buchstaben eintreffen. Demnach trat, wie wir bemerken können, das Christentum zwischen jene beiden Grenzpunkte, nämlich nach dem ersten und vor dem zweiten Kommen Christi. Genau das zeigt Petrus uns in diesem Brief. „Deshalb umgürtet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüchtern und hoffet völlig …“

Weiter lesen wir ab dem 14. Vers: „Als Kinder des Gehorsams bildet euch nicht nach den vorigen Lüsten in eurer Unwissenheit, sondern wie der, welcher euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in allem Wandel; denn es steht geschrieben: „Seid heilig, denn ich bin heilig“.“ [V. 14–16]. Das ist ein Beispiel von der Wahrheit, auf die ich schon hingewiesen habe: Die wesentlichen sittlichen Grundsätze des Alten Testaments werden in keinster Weise vom Christentum beeinträchtigt. Tatsächlich sehen wir das nicht nur bei Petrus, sondern auch bei Paulus. Paulus schreibt uns so, nachdem er gerade vorher gezeigt hat, daß der Christ dem Gesetz gestorben ist. Dabei benutzt er einen Ausdruck, welcher zeigt, daß er keineswegs meint, die Gerechtigkeit des Gesetzes würde in uns nicht erfüllt – im Gegenteil sie wird vor allem in uns erfüllt. In der Tat wird die Gerechtigkeit des Gesetzes in keinem Menschen erfüllt außer in einem Christen. Ein Mensch unter dem Gesetz erfüllt niemals das Gesetz. Ein Mensch unter Gnade hingegen wohl. Er ist der einzige; denn die Gerechtigkeit des Gesetzes ist in jenen erfüllt, „die nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln.“ [Römer 8, 4]. Petrus nimmt eine Aussage aus dem 3. Buch Mose und zeigt, daß sie in ausdrücklichster Weise gültiger ist (damit meine ich natürlich: in sichtbarer Weise gültiger) unter den Christen als im jüdischen System. Wie wir alle wissen, war damals vieles wegen der Härte des Herzens erlaubt, was heute ganz und gar verurteilt wird. Das bedeutet: Die Heiligkeit des Christen ist vollkommener und tiefer als die eines Juden. Daher kann Petrus durchaus dieses Zitat aus dem Gesetz nehmen, ohne damit in irgendeiner Weise anzudeuten, daß wir unter dem Gesetz ständen. Er verwendet die Wahrheit in einer à fortiori-Bedeutung.3 Als Christen stehen wir unter einem herzerforschenderen Grundsatz, nämlich dem der Gnade Gottes (Römer 6), welcher sicherlich weit bessere und fruchtbarere Ergebnisse zeitigen sollte.

Wir erkennen klar, wie Petrus diese Juden behandelt und wessen sie gewohnt waren, sich zu rühmen. „Wie der, welcher euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in allem Wandel; denn es steht geschrieben: „Seid heilig, denn ich bin heilig.“ Und wenn ihr den als Vater anrufet [das heißt, wenn ihr euch an Ihn als Vater wendet], der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht, indem ihr wisset, daß ihr nicht mit verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold, erlöst worden seid von eurem eitlen, von den Vätern überlieferten Wandel, sondern mit dem kostbaren Blute Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken; welcher zwar zuvorerkannt ist vor Grundlegung der Welt, aber geoffenbart worden am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubet an Gott, der ihn aus den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat, auf daß euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott sei.“ [V. 15–21]. Was könnte großartiger sein als diese Stellung des Christen auf seiner ihm angemessenen Grundlage?

Wir bemerken hier zwei Beweggründe für Heiligkeit. Der erste besteht darin, daß Gott uns berufen hat, der zweite, daß wir Ihn anrufen, und zwar unter dem lieblichen und vertraulichen Titel „Vater“. Wir stehen nicht mehr in Verbindung mit einem Gott, der herrscht und verwaltet und den wir als solchen anerkennen. So war Er in Israel bekannt. Aber solche Bekanntschaft kann in keiner Weise Gefühle erwecken wie die Anrede „Vater“. Uns wird gesagt und wir sollen wissen, daß so, wie Er uns durch Seine Gnade berufen hat, wir Ihn als Vater anrufen sollen. Das geschieht nicht wie bei einem Untergebenen in Bezug auf seinen Herrn, sondern wie bei einem abhängigen Kind in Hinsicht auf seine Eltern. Neben diesen beiden Beweggründen wird eine weitere Erwägung hinzugefügt, auf der alles beruht und ohne welche keine dieser Wahrheiten verwirklicht werden könnte. Wie konnte Er Wohlgefallen daran finden, uns auf diese Weise zu berufen? Und wie kommt es, daß wir Ihn „Vater“ nennen können? – Die Antwort lautet: „Indem ihr wisset, daß ihr nicht mit verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold, erlöst worden seid von eurem eitlen, von den Vätern überlieferten Wandel, sondern mit dem kostbaren Blute Christi.“ Die Juden waren alle mit einem Erlösungspreis vertraut, der üblicherweise in Silber gezahlt werden mußte. Es spielte indessen keine Rolle, ob jemand Silber oder Gold gab – beide waren vergänglich. Und was wird zuletzt mit ihnen geschehen?! – Das kostbare Blut Christi ist etwas ganz anderes. Allein dasselbe hat vor Gott Wirksamkeit. Genauso wurde auch Sein unvergänglicher Same, welcher Ihn selbst offenbart, in das Herz des Erlösten gepflanzt. [V. 23].

Sie waren also erlöst mit dem kostbaren Blut Christi als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken. Das war kein neuer Gedanke. Obwohl auf eine neue Weise herausgestellt, lag tatsächlich in ihm die älteste aller Absichten [Gottes; Übs.]. Prahlten die Juden mit ihrem Gesetz, konnte der Apostel sagen, daß das Christentum – die gegenwärtige gesegnete Offenbarung der Gnade Christi – vor Grundlegung der Welt im Herzen Gottes war. Darum konnte es auf dieser Grundlage keinen Vergleich geben, selbst nicht für einen Juden. Das war ein wichtiger Punkt; denn die Juden urteilten, daß Gott, wenn Er heute eine Wahrheit geoffenbart hat, morgen keine andere offenbaren könne. Sie überlegten, daß Gott, weil Er unwandelbar ist, keinen eigenen Willen habe. Nun, sogar dein Hund hat einen Willen; und, ich bin sicher, auch du hast einen Willen; und hierin liegt die erstaunliche Verblendung des Unglaubens. Gerade das System der Vernunft macht so viel aus dem Willen des Menschen und ist nicht wenig stolz auf ihn. Dennoch wollen sie Gott Selbst einen Willen absprechen und verbieten, daß Er ihn nach Seinem Belieben ausübt. Andernfalls klagen sie Ihn der Ungerechtigkeit an. Die Wahrheit ist jedoch: Bei einer Gelegenheit stellt Er den einen Teil Seines Charakters heraus, zu einer anderen einen weiteren. Daher möchte der Apostel, daß sie wissen, welch ein umfassender Fehler es ist, das Christentum für seine Neuheit anzuklagen; denn das Lamm ohne Fehl und ohne Flecken, wenn es auch spät geschlachtet wurde, war vor Grundlegung der Welt zuvorerkannt worden. Wenn Petrus sich auf das Lamm „ohne Fehl und ohne Flecken“ bezieht, weist er zweifellos auf die Vorbilder in ihrem Gesetz hin – ja, auf Christus vor jedem Sinnbild. Wir finden diese Wahrheit nämlich schon ganz am Anfang dargestellt, lange bevor es einen Juden gab und erst recht vor dem Gesetz, in dem ersten Bericht von einem Opfer. Worauf weist dieses alles hin? – Auf das kostbare Blut Christi, „als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken“! Es ist klar, daß Gott, indem Er das Opfer zuvorerkannte, auch Sorge traf, entsprechend zu handeln; und das geschah, lange bevor Judentum oder Gesetz bestanden.

So wurden sie also von der Torheit des jüdischen Arguments gegen das Christentum überführt, dasselbe sei etwas ausdrücklich Neues. Das Lamm wurde indessen „geoffenbart … am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubet an Gott.“ Hier geht es also nicht einfach um den Glauben an den Messias, sondern um den Glauben „an Gott, der ihn aus den Toten auferweckt“ hat.

Nun, ich glaube nicht, daß jemals ein Mensch in seiner Seele sicheren Frieden haben kann, bevor er auf Gott vertraut auf Grundlage der Wahrheit, daß Er Christus aus den Toten auferweckt hat. Schon einfach der Glaube an Christus macht einen Menschen glücklich, aber er gibt niemals in sich selbst dauerhaften, unzerstörbaren Frieden. Was einen Menschen in jenen Frieden führt, welcher allen Anläufen von außen, ihn zu nehmen, und jeder Schwachheit im Inneren, ihn aufzugeben, widersteht, beruht sicherlich auf der Gewißheit, daß mit Gott alles in Ordnung ist. Er ist es, der die Frage des Gewissens in Seinen Augen erhebt; und das ist um so schrecklicher, da wir als erneuerte Menschen unsere eigene Verschlagenheit und Seine unbefleckte Heiligkeit viel besser kennen. Es gehört zum Zustand des Menschen, in dem er sich als ein gefallenes Geschöpf befindet, daß er ein Gewissen von dem Guten hat, welches er, ach!, nicht tut. Gleichzeitig empfindet er in bezug auf das Böse, welches er tut, Furcht vor Gott, indem er weiß, daß dieser ihn für das Gute, das er gekannt, aber nicht getan hat, und das Böse, das er kannte und trotzdem tat, ins Gericht bringen muß. So kann der schuldige Mensch nur zittern, obwohl er sich aus der Furcht durch Skeptizismus [bewußte und gepflegte Zweifelssucht; Übs.] heraus vernünfteln kann. Vielleicht vermag er auch eine Religion zu finden, die sein Gewissen beruhigt oder zerstört. Aber daß der Mensch in seinem natürlichen Zustand dieses Gewissen besitzt, ist gewiß.

Ausschließlich das Christentum löst alle Fragen. Es schenkt uns nicht nur diesen gesegneten Heiland, der in unaussprechlicher Liebe herab kam, das Herz anzieht und das Gewissen erforscht – Er brachte durch die Erlösung auch alles für uns bei Gott in Ordnung. Er ist jedoch nicht nur von Gott hernieder gekommen, Er stieg auch zu Gott hinauf. Somit empfangen wir den Frieden, welchen wir als Christen benötigen, nicht hauptsächlich aufgrund Seines Kommens von Gott, sondern vielmehr aufgrund Seiner Rückkehr zu Gott. Folglich wird hier gesagt: „Die ihr durch ihn glaubet an Gott, der …“ – Der was? „Der Ihn sandte, auf daß Er Sein Blut vergoß“? – Ohne Blutvergießen kann es nichts geben. Es ist unmöglich, ohne dasselbe irgendeine heilige und beständige Segnung für die Seele zu besitzen. Dennoch wird hier nicht davon gesprochen. Der Wert des Blutes Christi wurde schon erörtert. Jetzt wird jedoch in Hinsicht auf Gott hinzugefügt: „Der ihn aus den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat.“ Wo? – In Seiner Gegenwart! Selbst das Königreich auf der Erde war noch nicht genug. Entsprechend dem Licht des Christentums vermag nur die Fähigkeit auszureichen, vor der Herrlichkeit Gottes stehen zu können. Das ist durch das Werk Christi für uns verwirklicht worden, weil gerade die Person, die sich für unsere Sünden am Kreuz verantwortlich gemacht hatte, sich jetzt in der Herrlichkeit befindet. Gott hat Ihn von den Toten auferweckt und Ihm Herrlichkeit gegeben.

Daraus folgt: Alles ist für immer geklärt und für solche in Ordnung gebracht, die an Gott glauben, „auf daß euer Glaube und eure Hoffnung [nicht: „auf Christus“, obwohl es natürlich stimmt, sondern mehr als das] auf Gott sei.“ Diese Wahrheit ist um so wichtiger, weil sie in sich selbst einen allgemein verbreiteten und für den Herrn Jesus schmerzlichen Gedanken vollständig vertreibt, nämlich daß allein Er derjenige sei, in dem die Liebe wohnt, und daß Seine Hauptaufgabe darin bestände, die völlig entgegengesetzten Gefühle, die sich in Gott befinden, abzuwenden. So ist es nicht. Er kam in der Liebe Gottes, der nichtsdestoweniger durch diesen Christus jede Seele, welche in Sünde und Unglauben lebt, richten muß. Andererseits wollte Christus nicht in den Himmel zurückkehren, bevor Er durch Sein eigenes Opfer die Sünde vollständig hinweg getan hatte. Das geschah nach dem Willen Gottes. (Psalm 40; Hebräer 10). Auf diese Weise trat Er in friedevollem Triumph in die Gegenwart Gottes, um unseren Glauben und unsere Hoffnung auf Gott, und nicht allein auf Sich selbst, auf eine feste Grundlage zu stellen.

Wir müssen indessen noch ein anderes Thema betrachten. „Da ihr eure Seelen gereinigt habt durch den Gehorsam gegen die Wahrheit zur ungeheuchelten Bruderliebe [das ist die unfehlbare Wirkung], so liebet einander mit Inbrunst aus reinem Herzen.“ [V. 22]. Dafür gibt es den schönsten und gewichtigsten Grund, weil die Natur, welche auf diese Weise in ihnen erzeugt worden ist, jene heilige Natur ist, die durch die Gnade von Gott selbst stammt. „Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes; denn „alles Fleisch ist wie Gras, und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt, und seine Blume ist abgefallen; aber das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.“ Dies aber ist das Wort, welches euch verkündigt worden ist.“ [V. 23–25].

Fußnoten

  • 1 Anm. d. Übers.: Die folgenden Zeilen stehen bei Kelly im Haupttext. Sie seien hier der Vollständigkeit halber gegeben, obwohl sie anscheinend für deutsche Übersetzungen des griechischen Textes nicht gelten. Andererseits mag in persönlichen Gesprächen eventuell das dargelegte Argument vorgebracht werden, sodaß die Ausführungen von Kelly möglicherweise doch für den einen oder anderen Leser relevant sind. Im Nachstehenden also Kelly: „Im letzten Kapitel unseres Briefes [nach der englischen „Authorized Version“; Übs.] hat es den Anschein, als gäbe es eine solche; doch das ist auf Einmischung des Menschen in den Text [bei der Übersetzung] zurückzuführen. In Kapitel 5 lesen wir:,Die Kirche, welche in Babylon ist, auserwählt mit euch.' Aber alle geben zu, daß der Ausdruck,die Kirche, welche in Babylon ist', von den Übersetzern eingefügt wurde. Er hat überhaupt keine Autorität. Es wird von einer Einzelperson und nicht von der Kirche (Versammlung) gesprochen. Wahrscheinlich geht es um eine wohlbekannte Schwester dort; und deshalb genügt es, einfach auf dieselbe hinzuweisen.,Es grüßt euch die Miterwählte in Babylon.' „
  • 2 Anm. d. Übers: Es ist fraglich, ob auch das Versagen der Gläubigen zu dieser Zeit (oder jemals) öffentlich der Welt bekannt gemacht wird. Die vorliegende Stelle spricht nur von der Bewährung. Mir ist auch keine andere Bibelstelle bekannt, die diesen Gedanken stützt. Mit unserem Versagen beschäftigt sich der Herr eindeutig am „Richterstuhl des Christus“ (2. Korinther 5,10) und ausschließlich im Himmel. Danach ist m. W. das Thema des Versagens der erlösten Christen endgültig behandelt.
  • 3 à fortiori (lat.) = aus gewichtigeren Gründen. (Übs.).
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