Das Buch Ruth – praktische Lektionen für das Glaubensleben des Christen

Anhang: Der (Er)Löser im Buch Ruth

Das Buch Ruth ist mit Recht das „Buch der Erlösung“ genannt worden, weil über zwanzigmal von „lösen“ (eig. erlösen) gesprochen wird. Boas wird als „Blutsverwandter“ Elimelechs vorgestellt. Dieses Wort bedeutet eigentlich „Löser“ (oder Erlöser). Es wird auch mit „rächen“, „zurückkaufen“, „freimachen“ oder „beanspruchen“ übersetzt. Gott hatte im Gesetz an verschiedenen Stellen dazu detaillierte Vorschriften gegeben. Es geht dabei um Anordnungen, die mit dem israelitischen Familienrecht zu tun hatten und die Beziehungen zwischen Familienmitgliedern regelten. Das Buch Ruth zeigt uns an einem konkreten Beispiel, wie diese Anordnungen umgesetzt werden konnten.

Insgesamt unterscheidet das Gesetz vier Fälle, von denen die ersten beiden im Buch Ruth eine Rolle spielen. Alle vier Fälle haben dabei zunächst eine historische und dann eine prophetische Bedeutung:

  1. In 3. Mose 25 wird gesagt, dass der Löser das Erbteil eines Israeliten zurückkaufen sollte, wenn dieser verarmt war und seinen Grund und Boden deshalb verkauft hatte. Das Erbteil sollte gelöst, d. h. freigekauft und dem ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden. Die Begründung dafür lautet, dass das Land letztlich dem Herrn gehörte. Für Israel wird das in der Zukunft erfüllt werden. Gott wird das Land für sie freikaufen und lösen. Davon spricht der Prophet Jesaja (vgl. Jes 63,16–18).
  2. In 5. Mose 25 geht es um die sogenannte „Schwagerehe“. Wenn ein Mann starb und seine Frau kinderlos zurückblieb, sollte der Bruder des Verstorbenen die Witwe heiraten und ihr „Samen erwecken“, d. h. für Nachkommen sorgen. Diese Gepflogenheit gab es schon in der Zeit vor dem Gesetz (vgl. 1. Mo 38), sie wurde von Gott im Gesetz jedoch klar geregelt. Der Bruder des Verstorbenen erlöste die Witwe also von ihrer Kinderlosigkeit. Deshalb wird von dem geborenen Sohn der Ruth in Kapitel 4,17 gesagt, dass er der Sohn der Noomi war. In 5. Mose 25 steht zwar nichts von Lösen, aber im Buch Ruth finden wir, dass dieser Vorgang ein „Lösen“ war. In Jesaja 54,1–10 wird darüber ausführlich im Blick auf die Zukunft Israels gesprochen. Vers 5 nennt den Erlöser und Ehemann in einem Vers zusammen.
  3. In 3. Mose 25,47 wird der Fall beschrieben, dass ein Hebräer zum Sklaven eines Ausländers (Fremden) geworden war und sich ihm verkauft hatte. Es war dann die Aufgabe des Lösers, ihn freizukaufen. Das wird im Blick auf Israel ebenso wahr werden. Gott wird sie aus der Hand aller Bedränger befreien und sie lösen (vgl. Jes 51,11).
  4. In 4. Mo 35 und 5. Mose 19 ist die Rede von Schuld durch Totschlag (nicht Mord). Gott gibt die Anweisungen über die Zufluchtsstädte im Land. Jemand, der seinen Bruder versehentlich getötet hatte, hatte die Möglichkeit, in eine dieser Städte zu fliehen, um so dem „Bluträcher“ (eigentlich „Blutlöser“, denn Rächer ist das gleiche Wort wie Löser oder Erlöser) zu entkommen. Die Aufgabe des „Bluträchers“ war es, die Schuld zu lösen, indem er den Totschläger umbrachte. Auf diese Weise wurde die Schuld eingelöst, in die jemand gekommen war. Im Blick auf Israel finden wir das z. B. in Jesaja 47,3.4.

Es fällt auf, dass das Wort „Löser“ im 3. Buch Mose, im Buch Ruth und im Propheten Jesaja mit Abstand am häufigsten vorkommt. Das 3. Buch Mose gibt die Vorschriften, das Buch Ruth zeigt ein praktisches Beispiel und der Prophet Jesaja die prophetische Erfüllung im Blick auf Israel1. Im Tausendjährigen Reich wird Gott sie aus der Knechtschaft ihrer Feinde erlösen und ihnen das verlorengegangene Erbteil zurückgeben. Er wird sich aufs Neue mit Israel vermählen, so wie Boas Ruth geheiratet hat.

Wir übersehen dabei nicht, dass es natürlich eine praktische Anwendung auf uns gibt. Der Herr Jesus hat uns erlöst (1. Pet 1,18). Dafür hat Er den hohen Preis bezahlt, den niemand als nur Er bezahlen konnte. Wir gehören heute zu den glücklichen Erlösten des Herrn. In Ihm sind wir zu Erben Gottes geworden. Wir werden mit Ihm über alle Werke der Hände Gottes herrschen. Gott hat uns den Heiligen Geist gegeben, der „das Unterpfand unseres Erbes ist, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise seiner Herrlichkeit“ (Eph 1,14). Er wird den Feind vernichten (Heb 2,14), den Er am Kreuz bereits besiegt hat. Er ist Mensch geworden und hat dem Teufel die Macht des Todes genommen. Er wird uns Frucht bringen lassen, die Er bei uns findet, die wir einst tot waren und jetzt Gegenstände der Gnade geworden sind.

Nicht jeder in Israel war qualifiziert dazu, Löser zu sein. Es gab mindestens drei Voraussetzungen oder Bedingungen, die erfüllt sein mussten:

  1. Der Löser musste ein Recht haben zu lösen: Es musste ein (naher) Verwandter dessen sein, der gelöst werden sollte. Wir sehen das bei Boas und bei dem „näheren Blutsverwandten“ im Buch Ruth. Wenn wir an den Herrn Jesus denken, war es unbedingt erforderlich, dass Er Mensch wurde, um Menschen erlösen zu können (vgl. Heb 2,14).
  2. Der Löser musste fähig sein zu lösen: Er musste das Lösegeld bezahlen können. Boas war dazu in der Lage und wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, dass der andere Blutsverwandte (wie er in Kapitel 3 und 4 genannt wird) ebenfalls zahlen konnte. Das Gesetz hätte – zumindest theoretisch – erlösen können, wenn denn nur jemand in der Lage gewesen wäre, es zu halten. (was aber nicht der Fall war). Wenn wir wiederum an den Herrn Jesus denken, so wissen wir, dass Er den höchsten Preis gezahlt hat, den Er zahlen konnte – sein eigenes Blut (vgl. 1. Pet 1,18.19).
  3. Der Löser musste willens sein zu lösen: Er musste die Bereitschaft dazu mitbringen. Boas wollte das Erbteil und Ruth lösen. Der andere Blutsverwandte war wohl an dem Erbe interessiert, jedoch nicht an Ruth. Deshalb sagte er: „Ich kann nicht für mich lösen, dass ich mein Erbteil nicht verderbe“ (Kap 4,6). Darin erkennen wir unschwer ein Bild des Gesetzes. Es ist dem Gesetz letztlich in der Praxis unmöglich, Menschen zu erlösen (Röm 8,3). Unser Herr war – wie Boas – bereit zur Erlösung. Was Er tat, tat Er aus Liebe (Gal 2,20).

So finden wir in dem Löser im Buch Ruth ein herrliches Bild von dem Herrn Jesus in seiner Erlöserherrlichkeit. Er ist der wahre Löser, unser Heiland und Erlöser!

Fußnoten

  • 1 Im Buch Ruth sind beide Frauen ein Bild von Israel. Noomi zeigt Israel unter Verantwortung und wie alles verlorengegangen ist. Ruth zeigt Israel unter Gnade und macht deutlich, wie der Segen durch die enge Bindung an Boas (der Erlöser und Messias) wiederhergestellt bzw. auf eine ganz neue Basis gestellt wird. Noomi wird in (oder durch) Ruth wiederhergestellt werden. Der Überrest Israels wird mit dem Messias eng verbunden sein –aber nicht auf der Basis eigenen Verdienstes, sondern auf der Basis reiner Gnade.
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