Das Herz gewinnen
Eine Auslegung zum Philemonbrief

Anhang 2: Sklaverei im Neuen Testament

Das Herz gewinnen

Das Neue Testament spricht an verschiedenen Stellen über Knechte und Herren. Gerade in seinem Brief an die Kolosser schreibt Paulus darüber relativ ausführlich. In Kolossä lebte Philemon, und dorthin kehrte Onesimus zurück. Die Erklärungen in seinem Brief an die Kolosser und an Philemon gewähren nicht nur einen gewissen Einblick in die Sklaverei während der Zeit der ersten Christen, sondern sie zeigen uns, welche Haltung der Christ der Sklaverei gegenüber damals haben sollte.

Dabei müssen wir bedenken, dass Sklaven damals nicht zwingend und ausschließlich niedrige Tätigkeiten verrichteten. Häufig waren es „Hausknechte“, die durchaus qualifizierte Arbeiten verrichteten. Dennoch waren es „Leibeigene“, die völlig der Willkür ihrer Herren ausgeliefert waren und keinerlei eigene Rechte besaßen.

Es mag nützlich sein, folgende grundsätzliche Erklärungen dazu abzugeben:

  1. Die Arbeit selbst stammt aus dem Paradies (1. Mo 2,15.19). Adam sollte den Garten bebauen und bewahren (körperliche Arbeit) und den Tieren Namen geben (geistige Arbeit). Nach dem Sündenfall war die Arbeit dann mit Schweiß und Mühe verbunden (1. Mo 3,19). Das war vorher nicht der Fall. Erst deutlich später – nach der großen Flut – lesen wir von „Knechten“. Noah sagte von seinem Nachkommen: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Sems; und Kanaan sei sein Knecht!“ (1. Mo 9,26). Wir können sicher sein, dass diese Beziehung von „Knechten“ und „Herren“ nie Gottes ursprüngliche Absicht war. Der Mensch ist im Bild und im Gleichnis Gottes geschaffen (1. Mo 1,26), und es ist nicht sein Wille, dass ein Mensch der Eigentümer eines anderen Menschen ist. Dennoch erkennt Gott dieses Verhältnis – als eine Folge des Sündenfalls – an.
  2. Selbst in der christlichen Zeit des Neuen Testaments gibt es keine Aufforderung, die Sklaverei abzuschaffen. Das Thema wird in den Briefen häufig behandelt (1. Tim 6,1; Tit 2,9.10; 1. Pet 2,18 ff.; Eph 6,5 ff.; Kol 3,22–4,1). Allerdings werden die Sklaven an keiner Stelle aufgefordert, gegen ihr Los zu rebellieren oder es mit Gewalt abzuwerfen. Wenn sie frei werden konnten, dann sollten sie die Chance nutzen, wenn nicht, sollten sie es so belassen, wie es war (1. Kor 7,21–24).
  3. Das Christentum ändert die Beziehungen auf dieser Erde nicht grundsätzlich und schafft sie nicht ab. Es verändert vielmehr die Menschen, die in diesen Beziehungen leben. Es ist nicht unsere Aufgabe, gesellschaftliche Strukturen zu verändern oder zu verbessern. Die Ursache der existierenden Missstände liegt in der sündigen Natur des Menschen. Das Evangelium geht der Sache deshalb auf den Grund und verändert Menschen.

Ein bekehrter Sklave sollte also nicht gegen die Sklaverei protestieren und demonstrieren, sondern vielmehr in seinem Leben als Sklave zeigen, was es bedeutete, jetzt als Christ in dieser Beziehung zu leben. Durch sein Verhalten konnte er die Lehre über den Heiland-Gott zieren (Tit 2,10). Ein Sklave sollte – wie wir alle – als Licht in einer verdrehten und verkehtren Welt scheinen (Phil 2,15). Umgekehrt galt für gläubige Herren, dass sie sich ihrer Würde als Christ bewusst sein und entsprechend mit ihren Knechten umgehen sollten.

Es liegt auf der Hand, dass wir die Belehrungen an Sklaven und an Herren nicht unmittelbar auf uns übertragen können. Heute werden Arbeitsverhältnisse erstens freiwillig geschlossen. Zweitens können sie beendet werden. Drittens gibt es rechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz beider Seiten. Das war damals komplett anders. Sklaven wurden wie „Ware“ behandelt und waren der Willkür ihrer Herren ausgesetzt.

Wir können die biblischen Belehrungen zu diesem Thema natürlich auf die Arbeitswelt anwenden. Die Hinweise für „Knechte“ helfen heute denen, die in einer untergeordneten Stellung arbeiten und einen Vorgesetzten über sich haben. Die Hinweise für „Herren“ helfen denen, die Mitarbeiter unter sich haben, die weisungsgebunden sind. Das können Arbeitgeber und Mitarbeiter in leitender Funktion sein.

Darüber hinaus gibt es noch eine weitere Lektion für uns. Gerade der Brief an Philemon macht klar, dass soziale Unterschiede bis heute durch die Bekehrung nicht aufhören zu existieren. Es ist unbedingt wahr, dass es in unserer Stellung vor Gott keinen Unterschied gibt – nicht einmal den Unterschied zwischen einem Mann und einer Frau. Wenn es allerdings um unsere Beziehungen auf dieser Erde geht, bleiben sie unverändert existent.

Bis heute verändert die Bekehrung nicht die irdischen Beziehungen von Menschen, sondern sie verändert die Menschen, die in diesen Beziehungen leben. Soziale – und andere – Unterschiede können selbst unter Gläubigen zu erheblichen Spannungen führen. Dennoch schafft Gott sie nicht ab. Wir sollen uns vielmehr als Christen darin bewähren und sie mit dem Herrn durchleben. Die vorhandenen Unterschiede sind da. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Dazu gibt der Brief an Philemon wichtige Hinweise.

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