Er lehrte sie vieles in Gleichnissen (Band 2)

Die zehn Jungfrauen

Er lehrte sie vieles in Gleichnissen (Band 2)

Auf das Gleichnis von dem »treuen und dem bösen Knecht« am Ende von Matthäus 24 folgt direkt zu Anfang des 25. Kapitels das Gleichnis von den »zehn Jungfrauen«. Es ist eines der bekanntesten Gleichnisse, was jedoch nicht bedeutet, dass es auch immer gut verstanden wird. Auch dieses Gleichnis des Herrn birgt eine Fülle von Belehrungen, die gerade für unsere Tage von größter Bedeutung sind. Mit der Hilfe des Heiligen Geistes und mit aller gebotenen Sorgfalt wollen wir versuchen, diese Belehrungen zu erfassen, um sie in unserem Herzen zu bewahren und danach zu handeln.

Rückwärts gerichtete Betrachtungsweise

Wie die das Gleichnis einleitenden Worte deutlich machen, haben wir hier erneut ein Gleichnis vom „Reich der Himmel“ vor uns:

„Dann wird das Reich der Himmel zehn Jungfrauen gleich werden, die ihre Lampen nahmen und ausgingen, dem Bräutigam entgegen (Mt 25,1).

Der Herr vergleicht also die christliche Epoche – das Reich der Himmel – mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Er benutzt dabei einen Vorgang, wie er im Orient üblich war: Jungfrauen gingen am Tag der Hochzeit dem Bräutigam entgegen, um ihn mit Fackeln in das Haus seiner Braut zu geleiten.

Mit dem Eingangswort »Dann« stellt Er die Verbindung zum vorhergehenden Gleichnis her. »Dann« bezieht sich keineswegs auf die große Drangsalszeit und deren Ende, wie manche meinen, sondern auf die christliche Zeit, von der der Herr schon im ersten Gleichnis gesprochen hatte. Der treue und kluge Knecht würde das Wiederkommen seines Herrn im Auge und im Herzen haben und in einem inneren Bereich für Ihn arbeiten und „seinem Gesinde die Nahrung geben zur rechten Zeit“. Der böse Knecht dagegen würde in seinem Herzen sagen: „Mein Herr bleibt noch aus“ und würde anfangen, sich über seine Mitknechte zu erheben und sie zu schlagen. Schließlich würde er sich sogar mit den Betrunkenen einsmachen. Genau diese Abwärtsentwicklung ist in der Christenheit eingetreten.

Durch die besondere Ausdrucksform „wird gleich werden“ (oder wörtlich: „wird gleich gemacht werden“) deutet der Herr an, dass Er besonders eine bestimmte spätere Zeit dieser Epoche im Auge hat. Dann nämlich würde das Reich der Himmel gewisse sittliche Charakterzüge angenommen haben. Diese Zeit liegt sicherlich am Ende der Epoche. Die Betrachtungsweise in diesem Gleichnis ist deswegen zum Teil rückwärts gerichtet. Anders als zum Beispiel bei den Gleichnissen vom Reich der Himmel in Kapitel 13, wo die Entwicklung des Reiches von einem gegebenen Startpunkt aus in die Zukunft hin entfaltet ist, wird hier die Situation am Ende gezeigt, jedoch nicht ohne den Blick rückwärts gerichtet zu haben auf den Punkt, wo diese Sache ihren Anfang nahm.

Über die Deutung von Gleichnissen

Wenn wir jetzt auf die einzelnen Symbole eingehen, die der Herr benutzt, sei noch einmal an das erinnert, was wir uns ganz zu Anfang unserer Betrachtung über die Gleichnisse gesagt hatten: dass wir grundsätzlich nicht alle Einzelheiten eines Gleichnisses „vergeistlichen“ können. Wir können, ja, wir dürfen nicht jedem in einem Gleichnis erwähnten Umstand unbedingt eine geistliche Bedeutung beimessen wollen. Jedem Gleichnis unterliegt eine Grundlinie, und die heißt es zu erfassen. Die Grundlinie in unserem Gleichnis ist, für die Ankunft des Bräutigams bereit zu sein. Darum geht es hier, und in Verbindung mit dieser Grundlinie erhalten die Einzelheiten des Gleichnisses ihre übertragene Bedeutung.

Grundsätzlich werden in einem Gleichnis keine Nebenlinien verfolgt, es wird nicht auf Wahrheiten eingegangen, die mit der in dem jeweiligen Gleichnis vorgestellten Wahrheit oder Belehrung ebenfalls in Beziehung stehen. So wird zum Beispiel die Braut in unserem Gleichnis nicht erwähnt. In Kapitel 22 haben wir ein Gleichnis, das von dem Zustand der Gäste handelt. In unserem Gleichnis geht es um das Kommen des Bräutigams. Und erst in Offenbarung 19 und 21 sehen wir die himmlische Braut.

Natürlich ist der Herr Jesus der große, der göttliche Lehrer, und wenn Er ein Gleichnis erzählt und dabei bestimmte Symbole verwendet, dann weiß Er ganz genau, warum Er gerade so und nicht anders spricht. Wenn Er Seine Worte so wählt, dann hat das unbedingt seine Bewandtnis. Seine Worte sind stets vollkommen und voll göttlicher Weisheit. Wir wollen das ganz gewiss festhalten. Dennoch bleibt das Gesagte bestehen: Der Herr will in dem jeweiligen Gleichnis eine grundsätzliche Belehrung erteilen. Diesen Hauptgedanken zu erfassen sollte unser erstes Anliegen sein, ehe wir fragen, was uns der Herr noch mit dieser oder jener Einzelheit zu sagen hat.

Es sei noch erwähnt, wie dankbar wir dafür sein sollten, dass der Herr Jesus sich herablässt, uns Seine göttlichen Gedanken anhand von Vorgängen oder Geschehnissen aus dem natürlichen Leben klarzumachen. Wir nehmen Bilder oft viel leichter auf als abstrakte Worte.

Auch das vorhegende Gleichnis ist ein mit göttlich vollkommener Hand entworfenes Gemälde, und wir werden gewiss darüber erstaunt sein, was der große Meister da alles hineingelegt hat.

Christentum ist Ausgehen, ist Bewegung

Wenn der Herr das Symbol der Jungfrauen benutzt, dann will Er uns sogleich mit einem Grundgedanken des Christentums bekannt machen: Absonderung – Absonderung von der Welt, von allem, was nicht Ihm entspricht. Die Wortwurzel, die dem griechischen Wort für »Jungfrau« zugrunde liegt, bedeutet »absondern«. Wahre Christen sind Menschen, die für ihren Herrn, die für Gott abgesondert sind. Der Herr Jesus hat sich selbst für unsere Sünden hingegeben, „damit er uns herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt (Zeitlauf), nach dem Willen unseres Gottes und Vaters“ (Gal 1,4). Der Dienst des Apostels Paulus ging dahin, die Gläubigen in Korinth „als eine keusche Jungfrau dem Christus darzustellen“ (2. Kor 11, 2). Sind wir uns immer dieser Stellung bewusst, liebe Freunde?

Die Jungfrauen nahmen ihre Lampen. Die Lampe ist ein treffliches Bild von dem Zeugnis des Christen. Christen sind berufen, in der Welt ein Zeugnis für Christus zu sein. Sie haben das Vorrecht, „inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts“ wie Lichter in der Welt zu scheinen (Phil 2,1s). Dadurch, dass sie in ihrem Leben und durch ihre Worte zeigen, wer Christus ist, verbreiten sie in der finsteren Welt geistliches, sittliches Licht. Ist das nicht eine erhabene Aufgabe? Wollen wir uns nicht erneut an diese Aufgabe erinnern lassen, wenn wir hier von den Jungfrauen hören, dass sie ihre Lampen nahmen?

Auf diese Weise gerüstet, „gingen sie aus, dem Bräutigam entgegen“. Das ist außerordentlich bemerkenswert; denn wir lernen hier einen weiteren, einen dritten Charakterzug wahren Christentums kennen: Christen bleiben nach den Gedanken Gottes nicht dort, wo sie waren, als sie errettet wurden. Vielmehr gehen sie aus, verlassen im religiösen Sinn ihre früheren Verbindungen und Beziehungen. Der Jude hört auf, ein Jude zu sein, der Heide hört auf, ein Heide zu sein, „wo nicht ist Grieche und Jude ..., sondern Christus alles und in allen“ (Kol 3, 11).

Aber auch in einem anderen Sinn verlassen sie ihre bisherige Position: Das, was sie bis dahin in der Welt wertgeschätzt haben, geben sie um des Herrn willen auf, um Ihm entgegenzugehen – um „eine Begegnung mit Ihm“ zu haben.1 Ich denke jetzt nicht an natürliche, von Gott geschaffene Beziehungen, wie sie zum Beispiel zwischen Mann und Frau oder Eltern und Kindern bestehen. Gewiss müssen wir auch sie in der Nachfolge des Herrn bisweilen hintanstellen. Ich denke vielmehr an das System der Welt, das mit seinen Freuden und Vergnügungen den Menschen gefangen hält. Gern verlässt der gläubig gewordene Mensch diese alten Bindungen und hohlen Freuden, die ihm nichts mehr bedeuten. Wenn man wirklich „dem Bräutigam“ entgegengeht, fällt das nicht im Geringsten schwer.

Wir sehen dieses Hinausgehen so schön bei den Gläubigen in Thessalonich. Sie hatten sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten (1. Thes 1, 9.10). Die hebräischen Christen wiederum mussten die Erfahrung machen, dass es unmöglich war, im »Lager«, dem religiösen jüdischen System, zu bleiben und zugleich die christlichen Segnungen zu genießen. „Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Heb 13,13.14). Sind auch wir, Geliebte, „in Bewegung“, weg von dem Alten und hin zu Ihm, dem Kommenden?

Doch hier wird erneut ein Unterschied zu der Stellung der gläubigen Juden späterer Tage deutlich: Während die Christen berufen sind, „hinauszugehen“, dem Bräutigam entgegen, hat der jüdische Überrest diese Berufung nicht. Er bleibt in den Beziehungen, die ihn bis dahin kennzeichneten, und erwartet in ihnen das Kommen des Messias zur Errettung. Die Verse 40 und 41 von Matthäus 24 reden davon: Einer (oder eine) wird genommen (durch Gericht), und einer (oder eine) wird gelassen werden (für das Reich).

Was den Bräutigam angeht, so haben wir keine Schwierigkeit, darin ein Bild von dem Herrn Jesus zu erkennen. Schon in Kapitel 22 hatte der Herr Jesus das Reich der Himmel mit einem König verglichen, der seinem Sohn Hochzeit machte. Wenn Gott – im Bilde gesprochen – Seinem Sohn Hochzeit machen möchte, dann ist es völlig klar, wer der Bräutigam ist: Er, der Herr Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.

Auffallend ist noch, dass in beiden Gleichnissen die Braut nicht erscheint. Wenn ich jetzt trotzdem etwas über die Braut sage, dann deswegen, weil wir in Bezug auf sie in Verbindung mit unserem Gleichnis zuweilen inkorrekte Vorstellungen haben.

  • Wir müssen hier bei der Braut nicht an die Versammlung Gottes denken. Gewiss ist die Versammlung die himmlische Braut Christi, das Weib des Lammes (Off 19,7; 21,2; 22,17), aber diese Wahrheit ist hier noch nicht offenbart.
  • Auch sollten wir bei der Betrachtung unseres Gleichnisses nicht dem Gedanken Raum geben, als würden die Jungfrauen während des Verlaufs des Gleichnisses unversehens selbst zur Braut. Das wird zwar des Öfteren so dargestellt, meist sogar unbewusst, aber es ist nicht richtig.

Gemischte Grundsätze in der Christenheit

„Fünf von ihnen aber waren töricht und fünf klug. Denn die Törichten nahmen ihre Lampen und nahmen kein Öl mit sich; die Klugen aber nahmen Öl mit in den Gefäßen, zusammen mit ihren Lampen“ (Mt 25, 2–4).

Interessant, wie der Herr Jesus die Dinge darstellt: Von den zehn Jungfrauen waren fünf klug und fünf töricht. Die Zahl Fünf redet von menschlicher Verantwortlichkeit. Ihr Doppeltes, die Zahl Zehn, verstärkt noch den Gedanken, den wir übrigens auch schon bei den »zehn Geboten« finden. Durch die Verwendung dieser Zahlen will der Herr Jesus also andeuten, dass der Bereich des Christentums der menschlichen Verantwortlichkeit anvertraut worden ist. Dies ist der Grund, warum Er zweimal die Fünf benutzt, nicht etwa, weil beide Gruppen gleich groß wären.

Doch wenn von Gott etwas der Verantwortlichkeit des Menschen übergeben worden ist, dann ist es noch allemal durch den Menschen verdorben worden. Das sehen wir auch hier: Von denen, die symbolisch für das Christentum stehen, sind nur fünf klug, die anderen fünf sind töricht. Was immer das im Einzelnen bedeuten mag – und wir werden uns sogleich damit beschäftigen das eine lernen wir hier: In dem Bereich des christlichen Zeugnisses auf der Erde herrschen gemischte Grundsätze, in diesem Bereich sind kluge und törichte Menschen nebeneinander vorhanden. Auch im ersten und im dritten Gleichnis haben wir dieselbe Erscheinung. Neben dem treuen und klugen Knecht findet sich der böse Knecht, und neben den guten und treuen Knechten, die mit der Habe ihres Herrn treu umgingen, gab es auch den bösen und faulen Knecht, der das Talent seines Herrn in der Erde verbarg. Gut und Böse nebeneinander – das ist heute das Kennzeichen des Reiches der Himmel, der Christenheit.

Dass das so kommen würde, hatte der Herr schon im 13. Kapitel des Matthäus-Evangeliums vorhergesagt. Er, der gute Sämann, würde guten Samen säen, aber Sein Widersacher würde sogleich Unkraut säen mitten unter den Weizen. Es wäre gut und außerordentlich hilfreich für die Beurteilung dessen, was sich in unseren Tagen in der Christenheit findet, wenn wir diese Tatsache fest ins Herz fassten, wenn wir zudem stets bedächten, dass das Reich der Himmel nicht gleichbedeutend ist mit der Versammlung Gottes. In der Versammlung muss Zucht ausgeübt werden („Tut den Bösen von euch selbst hinaus“, 1. Kor 5,13), im Reich der Himmel dagegen gilt der Grundsatz: „Lasst beides zusammen wachsen bis zur Ernte“ (Mt 13,30).

Kein Öl

Die Klugheit der klugen Jungfrauen zeigte sich darin, dass sie Öl in ihren Gefäßen mit ihren Lampen mitnahmen. Die Torheit der törichten gab sich darin kund, dass sie wohl ihre Lampen nahmen, aber kein Öl darin mitnahmen. Lampen hatten sie beide. Aber ob Öl vorhanden war oder nicht, das machte den alles entscheidenden Unterschied aus.

Eine in der Christenheit weit verbreitete Meinung ist, dass wir in den klugen Jungfrauen ein Bild treuer Christen, in den törichten jedoch ein Bild untreuer Christen sehen müssen, dass die klugen auf den Herrn warteten, während die törichten das nicht taten. Die Wahrheit indes ist dies: Alle Jungfrauen schliefen ein, nicht nur die törichten. Insofern waren sie alle untreu. Nein, das Fehlen des Öles war es, was die törichten von den klugen Jungfrauen unterschied und was den törichten schließlich zum Verhängnis wurde.

Das ist in der Tat Torheit – eine Lampe zu haben, aber kein Öl darin mitzunehmen! Die »Lampe« spricht, wie wir schon sagten, vom Bekenntnis, aber wenn dem Bekenntnis zu Christus das »Ö1« fehlt, ist es ein hohles, ein leeres Bekenntnis. Man kann sich durchaus äußerlich zu Christus bekennen und doch kein »Ö1« haben.

Was will der Herr Jesus damit sagen, wenn Er die einen im Besitz von Öl zeigt, die anderen jedoch als solche vorstellt, die kein Öl haben? Nun, Öl ist im Alten wie im Neuen Testament oft ein Bild des Heiligen Geistes. Bei gewissen Anlässen wurden im Alten Testament Personen und auch Gegenstände gesalbt, stets jedoch war es Öl, das dabei verwendet wurde.

Auf diesen alttestamentlichen Gebrauch anspielend, spricht das Neue Testament von einer Salbung, die Kinder Gottes empfangen haben: „Ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisst alles“ (1. Joh 2,20). Es ist eine bildhafte Ausdrucksweise für das Empfangen des Heiligen Geistes, das an anderer Stelle mit Versiegelung beschrieben wird (Eph 1,13). Wenn jemand das Evangelium Gottes hört und dem glaubt, was darin gesagt ist, wird er mit dem Heiligen Geist versiegelt, empfängt er die Salbung von „dem Heiligen“, das heißt von Christus.2

„Der uns aber mit euch befestigt in Christus und uns gesalbt hat, ist Gott, der uns auch versiegelt hat und das Unterpfand des Geistes in unsere Herzen gegeben hat“ (2. Kor 1,21.22). In dieser letzten Stelle werden drei Ausdrücke für dieselbe Sache, für das Empfangen des Heiligen Geistes, verwendet: salben – versiegeln – das Unterpfand des Geistes ins Herz geben.

Dass auch schon im Alten Testament das Salben in Verbindung mit dem Heiligen Geist gebracht wird, macht folgende Stelle aus dem Propheten Jesaja deutlich. Es ist eine Weissagung auf den Herrn Jesus: „Der Geist des Herrn, Jehovas, ist auf mir, weil Jehova mich gesalbt hat, um den Sanftmütigen frohe Botschaft zu bringen“ (Kap. 61,1; vgl. auch Lk 4,18–21; Apg 10,38).

Eine Form ohne Leben

Ich hoffe, dass wir klar genug gesehen haben, was mit dem Besitz oder Nicht-Besitz von »Öl« gemeint ist. Jemand, der Christi Geist nicht hat, der ist nicht Sein (Röm 8,9). Das ist außerordentlich ernst. Er mag eine »Lampe«, mag ein äußeres Bekenntnis zu Christus haben. Er mag eine gewisse „Form der Gottseligkeit“ aufweisen können; hat er aber nicht den Heiligen Geist, verleugnet er deren Kraft (2. Tim 3,5). Ach, wie viele Menschen in der Christenheit begnügen sich mit einer äußeren christlichen Form! Sie haben sich nie darum gekümmert, in den Besitz von »Ö1« zu kommen. Sie besitzen kein göttliches Leben, besitzen nicht den Heiligen Geist, der als Kraft in diesem Leben wirkt. Das allein würde sie befähigen, für Christus und Sein Kommen bereit zu sein. Und erinnern wir uns noch einmal: Das ist ja der Punkt, um den es in diesem Gleichnis geht – für den Bräutigam, wenn Er kommt, bereit zu sein.

Was uns der Herr Jesus hier in bildlicher Weise vorstellt, drückt Er im letzten Buch der Bibel knapp und unmissverständlich so aus: „Ich kenne deine Werke, dass du den Namen hast, dass du lebst, und du bist tot“ (Off 3,1). Welch ein erschütternd ernster Zustand! Welch eine verhängnisvolle Täuschung, der sich, so müssen wir befürchten, ungezählte Menschen in unseren Ländern hingeben! Sie haben ein christliches Bekenntnis; sie meinen, Leben aus Gott zu haben, sie sind aber tot – tot für Gott, geistlich tot (Eph 2,1).

Halten wir noch einmal fest: Die klugen Jungfrauen sind ein Symbol von wahren Gläubigen, von Kindern Gottes. Ihr charakteristisches Merkmal ist, dass sie den Heiligen Geist besitzen, diese Salbung, die in ihnen bleibt (1. Joh 2,27). Sie stehen dadurch in einer unauflöslichen Lebensverbindung mit Christus, ihrem Herrn. Die törichten Jungfrauen dagegen stellen ungläubige Bekenner dar, die kein göttliches Leben, die nicht den Heiligen Geist besitzen und damit all das entbehren, was sie in den Stand setzen könnte, Christus glücklich willkommen zu heißen. Der natürliche Mensch – und sei er noch so religiös und christlich – besitzt nichts, was ihn wirklich mit Christus verbindet und Ihn herbeisehnt.

Einwände

„Aber“, fragt vielleicht jemand, „sind nicht alle zehn Jungfrauen ein Bild von Gläubigen? Werden sie nicht alle unterschiedslos als Jungfrauen bezeichnet?“ Gewiss bezeichnet der Herr alle als Jungfrauen, aber in Verbindung mit der Zahl Zehn wird klar, dass es hier weit mehr um ihre Verantwortlichkeit geht, in diesem Zustand (rein, abgesondert) zu sein, als darum, ob sie tatsächlich in diesem Zustand sind.

Zudem werden auch im vorhergehenden und nachfolgenden Gleichnis die bösen Knechte neben den guten gezeigt, und der Herr sagt nicht, dass Er nicht der Herr auch der bösen Knechte ist. Im Gegenteil! Wir lesen: „... so wird der Herr jenes Knechtes kommen“ (Mt 24,50), und: „Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht!“ (Kap. 25,26). Wenn jemand vorgibt, ein Knecht des Herrn zu sein, dann begegnet ihm der Herr auf diesem Standpunkt, sei es zum Guten (Belohnung) oder zum Bösen (Gericht). Auf dieser Linie der Verantwortlichkeit bewegen wir uns in allen drei Gleichnissen.

Ein weiterer Einwand wird nicht selten erhoben: „Die törichten Jungfrauen hatten im Gegensatz zu den klugen nur keine zusätzlichen Gefäße, in denen sie Öl mitnahmen.“ Nun, es scheint so zu sein, dass die klugen neben Öl in ihren Lampen auch noch besondere Gefäße mit Öl mitnahmen. Doch das ändert nichts daran, dass es von den törichten heißt: „... sie nahmen kein Öl mit sich.“ Darin bestand ihre Torheit, und das wurde ihnen zum Verhängnis.

„Aber die Lampen der törichten Jungfrauen brannten doch, denn sie reden später von deren Erlöschen!“ Darauf möchte ich nur antworten: Auch der trockene Docht eines verstandesmäßigen oder rein gefühlsmäßigen Glaubens flackert und schwelt für eine Zeit, aber im entscheidenden Augenblick wird er erlöschen. Wir werden das noch sehen. Der weitere Verlauf des Gleichnisses und besonders dessen Ende machen unzweideutig klar, dass es sich bei den törichten Jungfrauen nicht um errettete Menschen handelt.

Das Schlafen der Jungfrauen

„Als aber der Bräutigam noch ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein“ (Vers 5).

Der böse Knecht hatte in seinem Herzen gesagt: „Mein Herr bleibt noch aus“ (Kap. 24,48), und das war keine gute Herzenshaltung. Er war es ganz zufrieden, wenn sein Herr Sein Kommen hinauszögerte; denn dann konnte er hier inzwischen schalten und walten, wie es ihm gefiel. „So schnell kommt ja mein Herr nicht!“ Das erinnert uns an die Sprache der Spötter in den letzten Tagen: „Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an“ (vgl. 2. Pet 3,3.4.9).

Tatsächlich aber gefiel es dem Herrn, nicht sogleich am Anfang des Christentums zu kommen. Dafür gibt es gewiss mehrere Gründe. Einer ist mit Sicherheit darin zu finden, dass Gott noch viele Sünder erretten wollte. Wir finden diesen Gedanken in der angeführten Stelle aus dem zweiten Petrusbrief: „Sondern er ist langmütig gegen euch, da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“ (Vers 9)-

Zweifellos beschreibt der Herr Jesus in unserem Gleichnis jetzt eine zweite Periode, einen zweiten Abschnitt in der Geschichte der christlichen Kirche. Der erste war durch das Ausgehen der Jungfrauen gekennzeichnet gewesen. Der zweite, wesentlich längere Zeitabschnitt zeigt uns den Mangel an Wachsamkeit der christlichen Bekenner. Ob es sich um die klugen oder die törichten Jungfrauen handelte, sie alle wurden schläfrig (oder: „nickten ein“) und schliefen schließlich ganz ein. Das bedeutet offenbar, dass die Hoffnung auf das Wiederkommen Christi zur Entrückung der Seinen in der Christenheit relativ bald aufgegeben wurde und letztlich ganz verloren ging.

Genau das ist eingetreten, wie uns ein Blick in die Kirchengeschichte lehrt. Nach dem Abscheiden der letzten Apostel wurde die himmlische Berufung der Kirche gar bald aus dem Auge verloren und damit auch die Hoffnung auf das Wiederkommen Christi. Da Christus so weit, weit weg war, die Welt aber so nahe, machte man es sich in dieser Welt so angenehm wie möglich, ja, man verbrüderte sich mit ihr. Wenn die Zuneigungen für Christus nicht mehr wach sind, gibt es auf dem Weg abwärts kein Halten mehr. Sehr bald wurden selbst wahre Christen wie die Welt, und die Welt wurde wie die Christen. Die Christen fühlten sich heimisch in dieser Welt, sie brauchten Ihn nicht mehr. Die bloßen Bekenner hatten Ihn ohnehin nie begehrt. Und so schliefen sie tatsächlich alle ein, die klugen wie die törichten Jungfrauen.

Was so erschütternd bei allem ist: Nicht nur die Hoffnung auf die Ankunft Christi ging völlig verloren, sondern auch die Kenntnis der Wahrheit selbst darüber. Dass es ein Kommen des Herrn zur Entrückung der Heiligen geben wird (1. Thes 4,13–18), wurde sehr bald nicht mehr gesehen oder verstanden. Spätestens ab etwa 300 n. Chr. findet sich in der Literatur der Christenheit nirgends auch nur der geringste Hinweis auf die Kenntnis dieser kostbaren Wahrheit, deren Erfüllung die ersten Christen in ihren Verfolgungen so sehnlich erwartet hatten. Denn dies war ihr Gruß gewesen: „Maranatha - Der Herr kommt! „ (1. Kor 16,22).

Selbst treue Gläubige, die es zweifellos zu jeder Zeit gab, unterschieden sich in dieser Hinsicht nicht von den leblosen Bekennern. Männer und Frauen des Glaubens haben in Zeiten schwerster Not herrliche Gedichte und Glaubenslieder geschaffen, und sie erfreuen und stärken noch heute das Herz jedes Gläubigen.

Doch in keinem ihrer Lieder leuchtet irgendwo die Hoffnung auf die Entrückung der Gläubigen hindurch. Wie ist das möglich? Wir haben die Antwort darauf in unserem Gleichnis: „Als aber der Bräutigam noch ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.“

Das ist also der sittliche Zustand der Christenheit über viele Jahrhunderte hinweg gewesen: Das Wiederkommen des Herrn wurde von allen vergessen. Wie ernst und wie demütigend ist das! Wenn wir nicht mehr täglich auf den Herrn Jesus warten, ist dem Einzug der Weltförmigkeit in unser privates und unser gemeinsames Leben Tür und Tor geöffnet. Nichts bildet ja so sehr unseren Charakter wie die Hoffnung, die unser Herz belebt und beherrscht. Nichts trennt uns deswegen auch mehr von der Welt und all ihren Zielen als das beständige Warten auf Ihn.

Der Mitternachtsruf

„Um Mitternacht aber erhob sich ein lauter Ruf: Siehe, der Bräutigam! Geht aus, ihm entgegen! Da standen alle jene Jungfrauen auf und schmückten ihre Lampen“ (Mt 25,6.7).

Offenbar markiert der Mitternachtsruf eine dritte Periode in der Geschichte der Christenheit – eine sehr kurze Periode, die zudem ganz am Ende liegt. Die Frage ist nun: Ist dieser Ruf bereits geschehen oder müssen wir noch auf dieses Ereignis warten?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieser Ruf bereits ergangen ist. Wir finden ihn im Sendschreiben an Philadelphia beschrieben:

„Ich komme bald; halte fest, was du hast, damit niemand deine Krone nehme!“ (Off3,11).

Vor gut hundertsechzig Jahren gab es in der ganzen Christenheit ein mächtiges Wirken des Heiligen Geistes, das unter anderem auch dazu führte, dass die „alten“, längst verloren gegangenen Wahrheiten wieder ans Licht kamen. Nicht nur war es eine Zeit großer Erweckungen, in der viele zum Glauben an den Herrn Jesus kamen, sondern Gott schenkte es treuen Männern, die Lehre der Apostel (Apg 2,42) neu zu entdecken. Die Lehre selbst war nicht neu, aber man entdeckte sie neu.

Es ist in dieser Verbindung sehr bemerkenswert, dass der Ruf um Mitternacht nicht so lautete, wie ihn die geschätzte Luther-Übersetzung noch in der Ausgabe von 1984 wiedergab: „Siehe, der Bräutigam kommt!“ Das Wort »kommt« steht nicht im Grundtext, und dieser Umstand ist von nicht geringer Bedeutung, wie ich glaube. Würde es nämlich geheißen haben: „Der Bräutigam kommt!“, würde das Gewicht der Botschaft ganz auf die Tatsache des Kommens des Herrn gelegt sein. Doch der Ruf: „Siehe, der Bräutigam!“ legt das Gewicht auf die Person Dessen, der kommt. In Übereinstimmung damit beschäftigte man sich in jener Zeit nicht nur mit der Wahrheit von dem Kommen des Herrn, sondern mehr noch mit all dem, was die Heilige Schrift über die Person Christi sagt. Die Herzen der Gläubigen damals hingen an der Person ihres Herrn und Heilandes, nicht nur an dieser oder jener Wahrheit. Ist das auch von uns heute wahr?

Einen zentralen Platz in der christlichen Lehre nimmt die Wahrheit von Christus und der Versammlung ein. Damit unzertrennbar verbunden ist die Wahrheit von dem Wiederkommen Christi zur Entrückung der Heiligen. Diese Männer Gottes nun hatten die Gnade, den Unterschied zwischen der Entrückung und dem Tag des Herrn wiederzuentdecken. Aber es war nicht allein ein lehrmäßiges Erkennen dieser Wahrheiten, sondern sie unterwarfen sich bereitwillig dem geistlichen Licht, das Gott ihnen gewährte. Das bedeutete nichts Geringeres, als dass ihre Herzen dazu entflammt wurden, täglich auf das Kommen Christi zur Entrückung der Seinen zu warten, mit allen Folgen, die für sie damit verbunden waren.

Was für Folgen ich meine? Nun, sie hatten den Ruf „Siehe, der Bräutigam! Geht aus, ihm entgegen!“ mit dem Herzen aufgenommen, und die Folge war, dass sie alle kirchlichen Verbindungen, in denen sie sich befunden hatten und die nicht in Übereinstimmung mit Gottes Wort waren, verließen, was sie das persönlich auch kosten mochte. Befreit von den Fesseln kirchlicher Tradition und Bevormundung, gingen sie neu dem Herrn entgegen.3

Aber mehr noch! Gott schenkte es ihnen, in Wort und Schrift die wiederentdeckten Wahrheiten des Neuen Testamentes wirksam zu verbreiten, so dass sie der ganzen Christenheit zugänglich wurden. Es ist genau das, was wir in unserem Gleichnis finden: „Da standen alle jene Jungfrauen auf und schmückten ihre Lampen.“ Dieser Ruf zu Mitternacht ergriff die ganze Christenheit, nicht nur einige wenige und nicht nur die Gläubigen. Tatsächlich ist seit jener Zeit die Wirkung des Mitternachtsrufes nicht mehr erloschen. Mehr denn je beschäftigt man sich in der Christenheit mit der Prophetie, und überall kann man – hier klarer, dort weniger klar – davon hören, dass der Herr Jesus kommen und die Seinen zu Sich nehmen wird. Nicht überall in der Christenheit ist die Lehre über die Entrückung klar und schriftgemäß. Häufig verbindet man sie mit irgendwelchen prophetischen Ereignissen, wie zum Beispiel mit der „siebten Posaune“, aber immerhin – man spricht davon.

Nach den Worten des Herrn rief der Mitternachtsruf eine Wirkung sowohl bei gläubigen wie bei ungläubigen Bekennern hervor: Sie alle schmückten ihre Lampen. Und doch glaube ich, dass dieses Schmücken der Lampen bei den einen wie bei den anderen nicht dasselbe bedeutet.

Während sich die wahren Christen wieder ihrer eigentlichen, himmlischen Berufung bewusst wurden – und ich darf wohl auch sagen: bewusst werden –, entfaltet die ungläubige Christenheit eine rege Tätigkeit auf politischem, kulturellem und vor allem auf sozialem Gebiet. Sehen wir das heute nicht überall um uns her? Wird nicht in weiten Teilen der Christenheit nur noch ein „soziales Evangelium“ verbreitet? Die Unterstützung von Friedensbewegungen und das Einfordern sozialer Rechte und ökologischer Vorstellungen stehen weit höher im Kurs als das Fragen nach den Rechten Gottes. Ja, auch die törichten Jungfrauen schmücken ihre Lampen, aber da ist kein Öl.

Die Mitternacht ist vorüber. Wie nahe muss der Morgenstern sein! Gehen auch wir „hinaus“, dem Bräutigam entgegen?

Nur Gott kann ewiges Leben geben

Noch eins macht der Mitternachtsruf deutlich: wer zu den klugen und wer zu den törichten Jungfrauen gehört. Sie beide schmücken zwar ihre Lampen, doch die Nachricht von dem Kommen des Bräutigams offenbart den wahren inneren Zustand beider. Ja, noch mehr, sie macht eine Scheidung zwischen den Klugen und den Törichten. Das deuten die Worte des Herrn an, mit denen Er das Gleichnis fortsetzt:

„Die Törichten aber sprachen zu den Klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen erlöschen. Die Klugen aber antworteten und sagten: Keineswegs, damit es nicht etwa für uns und euch nicht ausreiche; geht lieber hin zu den Verkäufern, und kauft für euch selbst (Mt 25, 8.9).

Während sich die Klugen des Besitzes des Öles erfreuen und in Bezug auf die nahe bevorstehende Ankunft des Bräutigams völlig in Ruhe sind, sehen wir bei den Törichten eine hektische Unruhe ausbrechen. Beim Anzünden ihrer nunmehr geschmückten Lampen merken sie, dass sie sogleich wieder ausgehen. Im entscheidenden Augenblick müssen sie feststellen, dass ihnen das ausschlaggebende Element fehlt – Öl. Bedauernswerte, fatale Lage! Genügend vom Christentum zu kennen, um sich für eine Zeit über den wahren eigenen Zustand hinwegzutäuschen, um dann bei der Ankunft des Herrn feststellen zu müssen, dass es eine Täuschung war, und festzustellen, dass sie für den Bräutigam nicht bereit sind!

Sehr wohl wissen aber auch die Törichten, dass die Klugen das haben, was ihnen selbst fehlt. „Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen erlöschen.“ Hier wird eine weitere Torheit dieser Menschen sichtbar: Sie wenden sich an die falsche Adresse. Nicht nur bemühen sie sich zu spät um dieses Öl, sondern sie gehen in ihrer Not auch an den falschen Platz. Nein, Menschen können nicht anderen Menschen den Heiligen Geist geben, können nicht das ewige Leben vermitteln. Keine Kirche, keine christliche Gemeinschaft, kein noch so begnadeter Prediger, keine christliche Kulthandlung vermag das.

Als Simon, der Zauberer, für Geld die Gabe begehrte, anderen den Heiligen Geist zu geben, musste der Apostel Petrus ihm sagen: „Dein Geld fahre samt dir ins Verderben, weil du gemeint hast, dass die Gabe Gottes durch Geld zu erwerben sei!“ (Apg 8,20). In der Frage der Sündenvergebung hat es jeder Mensch allein mit Gott zu tun. Zu Ihm muss der Mensch gehen, und ich denke, dass wir das hier lernen sollen. „Keineswegs vermag jemand seinen Bruder zu erlösen, nicht kann er Gott sein Lösegeld geben; denn kostbar ist die Erlösung ihrer Seele, und er muss davon abstehen auf ewig“ (Ps 49,7.8).

Wir können und sollten versuchen, verlorene Menschen zu Gott zu bringen. Das ist sehr gut. Auch mag Gott Seine Kinder benutzen, anderen Licht in göttlichen Dingen zu geben. Aber das Vorrecht und die Macht, verlorenen Sündern Heil und Erlösung zu schenken, gehören Gott allein. Dennoch gehen Menschen lieber zu Menschen. Warum eigentlich? Weil sie die Gnade Gottes nicht kennen. Auch diese törichten Menschen kennen sie nicht, und wenn es schon zu spät ist, gehen sie auch noch an die falsche Stelle.

Ach, dass doch die Menschen in unseren christlichen Ländern dieses Wort zu Herzen nähmen: „Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn“ (Röm 6,23)! Sie würden im Bewusstsein ihrer Schuld Zuflucht nehmen zu der Gnade Gottes, würden sich glaubensvoll in die Arme Dessen werfen, der auch ihr Heiland sein will. „Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh 6,37), sagte der Herr Jesus. Und wie ergreifend ist die Einladung Gottes, die wir schon im Alten Testament finden: „He! ihr Durstigen alle, kommt zu den Wassern; und die ihr kein Geld habt, kommt, kauft ein und esst! ja, kommt, kauft ohne Geld und ohne Kaufpreis Wein und Milch!“ (Jes 55,1).

Kann niemand mehr errettet werden?

„Als sie aber hingingen, um zu kaufen, kam der Bräutigam, und die, die bereit waren, gingen mit ihm ein zur Hochzeit; und die Tür wurde verschlossen“ (Mt 25,10).

Wir sollten aus diesen Worten nicht den Schluss ziehen, dass niemand mehr errettet werden kann, seitdem der Mitternachtsruf erschollen ist. Gewiss gibt es einmal ein Zu-Spät, und das macht uns gerade unser Gleichnis deutlich. Aber der Einzelne kann heute noch zu Gott kommen, wenn er entdeckt, dass er kein »Ö1« hat. Wir haben eben die einladenden Worte Gottes vernommen, die bis zum Ende der Gnadenzeit ihre Gültigkeit behalten. Noch auf der letzten Seite der Heiligen Schrift werden sie in etwas anderer Form wiederholt: „Und wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“ (Off 22,17).

Wenn aber die Menschen in ihrer Torheit verharren, die wir, so denke ich, genügend beschrieben haben, dann bleibt für sie am Ende nur die erschreckende Feststellung, dass es für sie zu spät ist.

Wir können aber auch noch einen anderen Vergleich anstellen. So wie Gott nach der Verwerfung und Kreuzigung Seines Sohnes dem Volk Israel noch Zeit zur Buße gab, ehe Er im Jahr 70 n. Chr. das Gericht über dieses Volk brachte, so gibt Er auch seit dem Hörbarwerden des Mitternachtsrufes der Christenheit noch Zeit genug, von dem bösen Weg umzukehren, bis dann die Ankunft Christi der Gnadenzeit unwiderruflich ein Ende machen wird.

Wenn wir das alles vor unserem inneren Auge vorüberziehen lassen, dann festigt sich uns die Gewissheit: Der Herr Jesus muss sehr nahe sein (vgl. Phil 4,5).

Die verschlossene Tür

Die klugen Jungfrauen waren bereit, und sie gingen mit dem Bräutigam ein zur Hochzeit. Glückseliges Teil! Mit Ihmzur Hochzeit! Erinnern uns diese Worte nicht an das, was wir in 1. Thessalonicher 5, Vers 10, finden: „zusammen mit ihm leben“? Wenn wir auch in dem Gleichnis nicht unser Teil als die Braut Christi vorgestellt finden, so wird darin doch die unermessliche Segnung angedeutet, die unser sein wird – ewig zusammen mit Ihm, unserem Herrn und Erlöser, zu leben. In der Tat, wir werden nie mehr hinausgehen (Off 3,12)! „Ach, Herr Jesus, dass Du heute noch kämst!“

Doch dann diese fünf ernsten Worte: „Und die Tür wurde verschlossen.“ Nur wenige Worte, doch welch eine Tragweite haben sie! Heute kommen sie als eine Warnung vor uns, aber eines Tages werden sie eine vollendete Tatsache sein.

Für die, die drinnen sind, ist es etwas Beglückendes, dass die Tür hinter ihnen verschlossen wird. Nichts wird in jene Szene eindringen können, was sie in irgendeiner Weise stören könnte. Aber für die draußen Stehenden bedeutet es, dass sie für immer und ewig von den Freuden und Herrlichkeiten des Himmels ausgeschlossen sein werden. Wie schrecklich der Gedanke, auf ewig draußen zu sein!

„Später aber kommen auch die übrigen Jungfrauen und sagen: Herr, Herr, tu uns auf! Er aber antwortete und sprach: Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht“ (Mt 25,11.12).

Weil diese törichten Jungfrauen „Herr, Herr“ sagen, haben viele gemeint, dass es sich bei ihnen eben doch um Errettete handele. Aber das ist ein Irrtum. Schon in Matthäus 7 hatte der Herr Jesus gesagt: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich der Himmel eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? Und dann werde ich ihnen erklären: Ich habe euch niemals gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter!“ (Verse 21–23).

Das ist ja gerade das Erschütternde: Viele nennen sich nach Seinem Namen und erkennen Ihn ihrem Bekenntnis nach als Herrn an. Sie befinden sich somit äußerlich im Reich der Himmel und meinen vielleicht auch, viel für Ihn gearbeitet zu haben. Aber sie haben bei alldem nie eine lebendige Verbindung mit dem Herrn Jesus gehabt, haben nie erfahren, was es heißt, von neuem geboren zu sein (Joh 3,3). Seine Antwort an sie wird einmal sein: „Ich kenne euch nicht“ – „Ich habe euch niemals gekannt.“

Doch in dieser Weise spricht der Herr Jesus nie von den Seinen, die Er mit Seinem Blut so teuer erkauft hat. Nein, von ihnen sagt Er: „Ich bin der gute Hirte; und ich kenne die Meinen und bin gekannt von den Meinen“ (Joh 10,14). Und im zweiten Brief an Timotheus lesen wir die tröstlichen Worte: „Der Herr kennt die, die sein sind“ (Kap. 2,19).

Es fällt auf, dass dieses Gleichnis im Gegensatz zum vorausgehenden und zum nachfolgenden nicht mit der Ausführung des Gerichts an denen abschließt, die nicht zu den Seinen gehörten. Die törichten Jungfrauen werden nur draußen vor verschlossener Tür gesehen, und so endet das Gleichnis.

Der Grund dafür ist offenkundig: Wenn sich der Herr in Seiner Gnade als Bräutigam vorstellt, redet Er nicht von Gericht. Anders, wenn Er der Herr Seiner Knechte ist. Dann sagt Er: „Den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis: Dort wird das Weinen und das Zähneknirschen sein“ (vgl. Mt 24,51; 25,30).

Nichtsdestoweniger ist das Urteil des Herrn über die törichten Jungfrauen ein endgültiges, ewiges. Von den Segnungen Gottes ausgeschlossen zu sein, von dem Herrn nicht als eins der Seinen anerkannt zu werden bedeutet nichts weniger als ewige Verdammnis. Deswegen noch einmal die erforschende Frage an jeden Leser dieser Zeilen: Bist du bereit?

An jeden von uns richtet sich das Wort des Herrn, mit dem Er das Gleichnis von den zehn Jungfrauen abschließt:

„Wacht also, denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“

Der Herr Jesus erwartet von uns, dass wir in unseren Zuneigungen zu Ihm „wach“ sind und Seinem Kommen in Liebe entgegensehen. Der Zeitpunkt Seiner Wiederkunft ist uns nicht bekannt. Gewiss hat Er ihn absichtlich vor uns verborgen. Alle Versuche, ihn zu berechnen, sind falsch und vergeblich. Er will vielmehr, dass wir stets in der wachenden, wartenden Haltung sind.

Noch heute kann der Herr Jesus kommen. Denen, die bereit sind, kann tatsächlich nichts Besseres geschehen. Sie gewinnen Christus und mit Ihm alles. Denen jedoch, die es nicht sind, kann nichts Schlimmeres begegnen. Für sie bedeutet das Kommen des Herrn das endgültige Aus für jede Hoffnung auf Glück und Frieden.

Drinnen und Draussen – es ist der Unterschied zwischen Himmel und Hölle!

Fußnoten

  • 1 Es ist sehr bezeichnend, dass wir hier fast genau denselben Wortlaut, in Vers 6 unseres Kapitels sogar genau dieselbe Wortfolge haben wie in 1. Thessalonicher 4, Vers 17.
  • 2 Hier ist mit »der Heilige« Christus gemeint (vgl. Joh 6,69; Apg 3,14; Off 3,7). Wenn der Herr Jesus in Johannes 15 von dem Heiligen Geist als dem Sachwalter spricht, sagt Er: .. den ich euch von dem Vater senden werde“ (Vers 26). Es ist aber ebenso wahr, dass der Vater Ihn sendet (Joh 14,26) und dass der Heilige Geist von Sich aus kommt (Joh 16,7.8). Die Personen der Gottheit handeln in vollkommener Harmonie miteinander. Wohl deswegen wird in 2. Korinther 1, Verse 21 und 22, das Versiegeln der Gläubigen mit dem Heiligen Geist Gott als solchem zugeschrieben (vgl. auch Apg 5,32).
  • 3 Das erste Ausgehen war ein Ausgehen aus der Welt gewesen. Das zweite Ausgehen bezeichnet das Verlassen der von Menschen aufgerichteten christlichen Systeme.
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