Botschafter des Heils in Christo 1863

Vorsehung und Glaube

Der Christ ist berufen, kraft des Glaubens zu wandeln, und nicht des Schauens. „Wir dienen dem Herrn Christus.“ Es ist vergleichsweise eine leichte Sache, zu handeln, wie die Umstände uns zu leiten scheinen; wenn aber jene Umstände als eine göttliche Regel unserer Handlungen betrachtet werden – in wie viele Gruben wird dieser blinde Führer die unbedachtsamen oder die untreuen Christen leiten!

Sogar die Welt liebt von einer „Vorsehung“ zu reden. Es erfordert keinen Glauben; es schließt einen gegenwärtigen, handelnden und treuen Gott, der sich herablässt, um seine Kinder mit seinen Augen zu leiten, völlig aus. Die Welt liebt viel mehr über unbestimmte Vorstellungen ihres Geistes zu reden, als dem lebendigen Gott nahegebracht zu sein. „Vorsehung“ ist da ein familiäres und beliebtes Wort, wo der Herr Jesus – „Gott offenbart im Fleisch“ – ein fremder und unwillkommener Klang ist.

Es bedarf in der Tat wenig Geistlichkeit, um die Hand Gottes in den Umständen zu sehen; aber es erfordert nicht wenig Kraft des Geistes, um ihre Tragweite zu verstehen und um in ihrer Mitte den Pfad Christi zu unterscheiden. Nicht das, was gesehen wird,– sondern das, was nicht gesehen wird, sollte allein den Gläubigen leiten. Und dazu ist ein ungeteiltes Herz und ein, einfältiges Auge nötig. Nur dann ist der Leib voll von Licht. Wenn die Umstände, anstatt Christus, mein Auge füllen, so werde ich sicher irregehen. Es ist aber nicht damit gemeint, dass jemand die Handlungen der Vorsehung Gottes leugnen solle, oder dass ein Christ sie ohne Nachteil unbeachtet lassen könne. Was ich behaupte ist dies, dass die Umstände nicht geradezu der Führer der christlichen Handlungen sein können, und dass alle Umstände im Licht des vollkommenen Wortes Gottes beurteilt werden sollten. Ich glaube, dass, während Gott einerseits häufig in Ermangelung unseres Glaubens die Umstände beherrscht und überwacht, Er sie oft andererseits so ordnet, dass sie zum Prüfstein unserer Treue oder unserer Untreue dienen. Mit anderen Worten, es kann sich der Gläubige – nicht nach eigener Wahl, sondern nach Gottes Fügung – in einer Stellung befinden, die dessen ungeachtet der Glaube aufzugeben hat. Er darf nicht darin bleiben, obgleich die göttliche Vorsehung ihn dorthin gestellt haben mag. Hiervon gibt uns die Geschichte Moses einen schlagenden Beweis. Ich spreche jetzt nicht von dem Glauben, der die Eltern Moses kennzeichnete; denn es war Glauben, und nicht nur elterliche Liebe, der sie leitete, ihr Kind drei Monate lang zu verbergen; „und sie fürchteten sich nicht vor dem Gebot des Königs“ (Heb 11,23). Auch spreche ich hier nicht von der Unumschränktheit Gottes, um ihrem Glauben zu begegnen, und die Begebenheiten so zu ordnen, dass seine Ratschlüsse in Betreff seines Volkes erfüllt wurden. Es ist das Verhalten des Moses selbst, das so voll von Belehrung für alle ist, welche die wahre Beziehung des Glaubens zu den durch die Vorsehung bewirkten Umstände kennen zu lernen wünschen.

„Durch den Glauben verweigerte Moses, als er groß geworden war, Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, lieber wählend, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, indem er die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt, als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung hin“ (Heb 1,24–26). – Hier nun lernen Wir, dass, so gewiss als die Vorsehung ihn in das Haus Pharaos gebracht hatte, es der Glaube war, der ihn wieder hinausführte. Nie war eine durch die Vorsehung bewirkte Handlung stärker durch den Finger Gottes bezeichnet, als diese. Trotz des königlichen Befehls, nahm die Tochter Pharaos den ausgesetzten Moses auf und versorgt ihn wie ihren eigenen Sohn. Die Vorsehung Gottes hatte ihn ungesucht und wider alles Erwarten in eine glänzende Stellung versetzt. Und erzogen, wie es sich geziemte, „wurde er in aller Weisheit der Ägypter unterwiesen; und er war mächtig in seinen Worten und Werken“ (Apg 7,22). – Warum gebrauchte nun Moses nicht seine Macht und seine Weisheit? Warum gebrauchte er nicht den Einfluss, den sein hoher Rang und seine nahe Verbindung mit den fürstlichen Personen in der Regierung ihm darbot? Warum verwandte er solche augenscheinliche Gaben der Vorsehung nicht weise und dankbar für den Dienst des Volkes Gottes? Welch eine Segnung würde es gewesen sein, Pharao, den Tyrannen, in Pharao, den Beschützer Israels, umgewandelt zu sehen! Und welches Unternehmen hätte für einen, der so seltsam, ohne einen Wunsch und ohne eigene Anstrengung, in den Kreis des Thrones dieser Welt gebracht war, ehrenvoller sein können? Welch einen Gewinn würde er jener erlauchten Person, die ihn mit solch einer Güte überschüttet hatte, der schafft haben? Und zu welchem Zweck endlich hatte Gott so wunderbar gewirkt, wenn nicht deshalb, dass Moses das Zepter Ägyptens zur Befreiung und zum Vorteil des Volkes Gottes gebrauchen sollte? Aber nein; der Glaube verwirft alle diese, wenn auch scheinbar noch so richtigen Schlüsse, die auf die Vorsehung gegründet sind. „Durch den Glauben verweigerte Moses, als er groß geworden war, Sohn der Tochter Pharaos zu heißen.“ Für ihn war die einfache Frage: „Wird es Gott Wohlgefallen und Ihn verherrlichen?“ Wo ist die Liebe Gottes? Ruht sie nicht auf seinem Volk? Dies Volk mochte in einem schimpflichen, elenden und leidenden Zustand sein; es mochte wenig verstehen und schlecht vergelten; aber die Liebe und der Glaube konnten von diesem allen absehen. Es mochte den Schutz des Sohnes der Tochter Pharaos einem sich selbst aufopfernden Moses, der solch eine Stellung verweigerte und lieber mit ihnen Ungemach leiden wollte, weit vorziehen; aber für Moses war es genug, dass die armen Gefangenen das Volk Gottes waren. Es war ihm aber nicht genug, dass sein Herz bei ihnen war, und er selbst weit entfernt an dem glänzenden Hof Ägyptens. Sein einfältiges Auge verurteilte alles, was Pharaos Tochter ihm darbieten konnte, als die zeitliche Ergötzung der Sünde. Er entsagte wohlbedacht den glänzenden Ehren und dem weltlichen Einfluss, womit die Vorsehung ihn umgeben hatte, „indem er die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt, als die Schätze Ägyptens.“ Mit wem war Gott vereinigt? Mit dem Palast Pharaos oder mit Israel im eisernen Feuerofen. Würde Moses der Vorsehung gefolgt sein, so würde er Hilfe und Beistand gesucht, und vielleicht durch die Vorteile, die ihm seine Stellung verlieh, Israel zuletzt befreit haben; aber es war der Glaube, der ihn leitete, sich von der Welt zu entfernen und sich mit dem Volk Gottes eins zu machen. Die Welt hasst das Volk Gottes. Es kann ihr erlaubt werden, es zu unterjochen; – kann aber die Welt das Volk Gottes segnen? Gewiss nicht. Und Moses, als ein Mann des Glaubens, würde zurückgebebt sein vor dem Gedanken, der Welt einen solchen Platz einzuräumen. Er würde ihr erlaubt haben, der Größere zu sein; denn es ist „außer allem Widerspruch, dass der Geringere von dem Größeren gesegnet wird.“ Deshalb geschah es, dass Moses alles aufgab und allein in Gott ruhte. Sein Wunsch war nicht, sich vom Untergang, von Schmach und Leiden zu retten, sondern er erwählte es vielmehr, weil Gott da war; und Moses wünschte zu sein, wo Gott war, und bei denen, die Gott liebte. Seine Handlungsweise war verhältnismäßig nur der Widerschein der Gefühle Gottes gegen sein Volk, die uns in 2. Mose 3,7–9 so schon dargestellt werden.

Wir sehen also, dass die Vorsehung uns in eine Stellung versetzen kann, welche das Wort Gottes uns nicht erlaubt zu benutzen, sondern zu verlassen. Es mag in äußeren Dingen die meist begünstigte zu sein scheinen; aber der Glaube urteilt das Gegenteil, weil er nicht auf unsere, sondern auf Gottes Ehre, nicht auf unsere Erleichterung, sondern auf Gottes Befreiung schaut. Der Glaube ruht auf den Verheißungen Gottes für sein Volk; „denn er schaut auf die Belohnung hin.“

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