Botschafter des Heils in Christo 1863

Was der Christ ist

„Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (Off 1,5.6).

Es gibt gewisse Ausdrücke in dem Wort Gottes, welche auf eine höchst einfache Weise dartun, was der Christ ist; und gewiss würde mancher, wenn er sie nur einigermaßen mit Ernst betrachtete sagen müssen: „Ist es das, was ein Christ ist, so verstehe ich nichts von dieser Sache.“

Und jene Ausdrücke sind nicht mit Gewalt herbeigezogen, oder etwa auf eine Ungewisse Hoffnung gegründet, sondern mit einer ruhigen Gewissheit teilen sie die herrliche Segnung mit. So sagt z. B. Johannes in obiger Stelle von allen Christen, an welche er schrieb: „Der uns geliebt und uns von unseren Sünden in seinem Blut gewaschen hat usw.“ Wenn ich nun dich, der du vielleicht beleidigt sein würdest, wenn ich dir sagte, dass du kein Christ wärst, fragte: „Bist du gewiss, dass Christus dich liebt, dass Er dich von deinen Sünden in seinem Blut gewaschen hat?“ so würdest du vielleicht, wenn du aufrichtig wärst, antworten müssen: „Das weiß ich nicht.“ Und dennoch ist es gerade dieses, woran man die Christen erkennt.

Oder kannst du wirklich sagen: „Ja, gepriesen sei Gott! obschon ich arm in mir selbst bin, so weiß ich doch, dass Gott mich liebt.“ Dies sagen zu können, ist das gemeinschaftliche Teil der Gläubigen. Es steht geschrieben: „Wir wissen, dass wir aus Gott sind, und die ganze Welt liegt in dem Bösen.“ alle Christen werden dadurch erkannt, dass sie sich ihrer Errettung bewusst sind. In 2. Petrus 1 ist die Rede von einem solchen, der vergessen hat, dass er von seinen früheren Sünden gereinigt ist. Er kann aber nicht vergessen, was er niemals gewusst hat. Zu vergessen, „dass er gereinigt ist“, ist ein zurückgehen; der wahre christliche Zustand ist seine Reinigung zu kennen.

Es werden im Wort Gottes verschiedenartige Ermahnungen an den Gläubigen gerichtet; aber alle setzen voraus, dass er schon zu Gott gebracht ist. Und ich frage dich: „Würde es deine Seele nicht in einen ruhigeren, glücklicheren Zustand bringen, wenn du gewiss wärst, dass Gott dich liebte?“ Es können keine glücklichen Gefühle und Neigungen da sein, wo das Zutrauen zu Gott fehlt. Jene sind das Resultat der Erkenntnis Gottes, welche das ewige Leben ist. Gott ist die Liebe; und wenn du das nicht weißt, so weißt du nichts. Und wo bist du, wenn du Gott nicht kennst?
Wenn du aber völlig glaubtest, dass Gott Liebe ist, Liebe gegen dich welche Gedanken würdest du alsdann von Ihm haben? Würdest du denken, dass du gehorchen müsstest, um seinem gerechten Zorn zu entrinnen? Würdest du an Ihn, als einen Richter, denken? O nein; solche Gedanken sind nicht die Gedanken von jemand, der mit der errettenden Liebe Gottes bekannt ist.

Natürlich gibt es ein Gericht; wenn aber dies stattfindet, dann ist keine Gnade mehr. Und wenn Christus kommt, um zu richten wirft du vor Ihm bestehen können, wenn Er Ungerechtigkeit zurechnet? Kannst du auf deine Übertretungen Ihm ein Wort antworten? Sicher nicht. Wenn du aber jetzt in Wahrheit an sein gerechtes Gericht glaubtest, so würdest du ausrufen: „Gehe nicht ins Gericht mit mir; denn kein Lebendiger ist vor dir gerecht.“ Doch jetzt ist Christus nicht ein Richter, sondern ein Erretter. Es ist jetzt alles Gnade. Er rechnet Keinem, der Ihm naht, seine Übertretungen zu. Jedes Auge muss Ihn einmal sehen. Der Christ sieht Ihn jetzt durch den Glauben, und zwar als seinen Erretter. Du, der du nicht glaubst, schiebst es bis zum Gericht auf, Ihn zu sehen, indem du hoffst, fähig zu sein, Ihm alsdann begegnen zu können; aber zu jener Zeit werden „alle Geschlechter der Erde seinetwegen wehklagen.“ Dann ist Er nicht mehr ein Erretter, sondern ein Richter. Dann ist das Gericht, und nicht mehr die Frage ob du Ihm entrinnen wirst. Jetzt gilt die Frage nicht, ob du ein Sünder bist oder nicht, sondern ob du Christus annehmen willst oder nicht. Dein Herz ist auf die Probe gestellt. Und sicher wird dein halsstarriges Herz Ihn auch jetzt noch verwerfen, wenn die Gnade dich nicht in dem Gefühl der Sünde niederbeugt. An jenem Tag aber wird Er die Sünde dartun, welche die Ursache des Gerichts ist. Jede geheime Sache wird alsdann offenbar werden. Dort wird es sich nicht mehr um die Frage handeln, ob man Christus annehmen will oder nicht; sondern um das Gericht. Jene Frage ist jetzt erhoben; sie wird jetzt vor die Seele hingestellt. Und wer im Licht Gottes seinen wahren Zustand erkennt, der rechtfertigt Gott und verurteilt sich selbst. Das Auge Gottes bringt das Gericht in sein Gewissen und er beugt sich davor. Er fühlt und sagt, dass Gott solch einen nichtswürdigen Menschen vor Ihm nicht leben lassen sollte. Er verabscheut sich selbst und bekennt, dass er ganz Sünde und Finsternis gewesen ist. Ja, im Licht Gottes wird jede Selbstrechtfertigung verstummen.

Wenn ich aber zur Erkenntnis meiner Sünde gebracht bin, so werde ich nicht mehr einem Ungewissen Gefühl vertrauen, dass Gott barmherzig ist. Hiermit beruhigte sich Petrus nicht, als er sich selbst als einen Sünder in der Gegenwart des Herrn fand. Er sagte: „Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr!“ Er fühlte, dass die Sünde und Christus, der heilige Herr, nicht zusammen sein konnten. So ist es immer, wenn die Seele dahin gebracht ist, sich vor Gott zu fürchten. Die Idee eines Vergleichs wird ein Schrecken für den sein, dessen Gewissen über die Sünde aufgeweckt ist. Worauf aber kann er dann in Wahrheit sein Vertrauen setzen? Allein darauf, dass Gott voll Gnade und Erbarmen ist, und dass Er gerade für solche, wie er einer ist, seinen eingeborenen Sohn dahingegeben hat.

Wenn ich um mich her blicke, so sehe ich Beweise der Güte Gottes, aber auch weit ausgedehntes Elend und Jammer, so dass ich nicht begreife, wie man dabei sagen kann, dass Gott die Liebe ist. Und jene Beweise der Güte verurteilen mich sogar; denn ich habe diesen Gott beleidigt. Wenn ich mich zur Vorsehung wende, so finde ich alles in Verwirrung. Wie oft hat der Gottlose die Oberhand. Wenn ich auf das Gesetz sehe, es verdammt mich, und lässt mich ohne Hoffnung.

In der Schöpfung um mich her sehe ich Dinge, die von Gott zeugen, aber nichts, was Ihn offenbart. In Christus aber finde ich, was Gott offenbart. Er ist der „treue Zeuge“ Gottes, und zwar in dieser Welt, die voll von Sünde ist. Im Himmel wird kein Zeugnis nötig sein. Ich kann jetzt zu Jesu gehen, und Gott in Ihm sehen. Und Haft du je eine Tat oder ein Wort dieses treuen Zeugen während seines Wandels hienieden, gefunden, das nicht Liebe war? Niemals. Natürlich musste Er den Heuchler entlarven. Aber sobald jemand aufrichtig ist und wäre er der größte Sünder in der Welt sobald er nichts anders sein will, als was er in der Gegenwart Christi wirklich, ist, wird er niemals finden, dass Gott etwas anders gegen ihn ist, als Liebe. Er muss uns von der Sünde überzeugen. Er wird uns die Maske abnehmen, unsere Selbsttäuschung uns aufdecken; aber dann ist Er vollkommene Liebe und nichts anderes. Weshalb kam Christus hernieder? Um zu sehen, ob Sünde da war? O nein. Das wusste Er; Er kam einfach hernieder, weil die Sünde da war. Dieselbe Sünde, die mich zu Schanden macht, ist dieselbe Sache, welche Ihn in Liebe herniedergebracht hat.

Bei dem Weib, welche eine Sünderin war, in Lukas 7, demütigt Christus den Simon, und bekümmert sich nicht um die Gäste. Warum? Weil ein armes Weib da war, die in Liebe getröstet zu werden bedurfte. Christus kam an den Ort, wo die Sünde war. Er kennt meine Sünden; Er weiß alles, was ich bin; und dennoch liebt Er mich. Sicherlich liebt Er nicht den sündhaften Zustand, worin ich bin, aber Er liebt mich, der ich darin bin. Er wird auf den Boden schreiben (Joh 8), um mein Gewissen wirken zu lassen; Er wird nicht zugeben, dass ich mit mir selbst zufrieden bin, sondern Er will haben, dass ich in seinen Gedanken über mich ruhe. Das Herz zwar müht sich oft lange ab, um mit sich selbst zufrieden zu sein; aber Gott reißt diese falsche Stütze nieder; und sobald dies geschehen, ist Er bemüht, dass wir an Ihm, wie wir sind, unser Genüge haben. Er will uns ruhen lassen in der Erkenntnis seiner vollkommenen Liebe. „In Ihm, der uns geliebt hat“, finden wir allein wahre Ruhe.

Aber das ist nicht alles. Es wird noch hinzufügt: „und uns von unseren Sünden in seinem Blut gewaschen hat.“ Es ist nicht gesagt: „der uns waschen will“, sondern „uns gewaschen hat.“ Wir bedürfen dies jetzt, um in Frieden und in heiliger Zuneigung vor Ihm zu sein: „In seinem Blut gewaschen“, Wer hat das getan? Christus; Er hat uns „von jedem Flecken gereinigt.“ Und wenn Er uns gewaschen hat, so hat Er es in Gerechtigkeit getan. Er hat alle unsere Sünden getilgt, und Zugleich diese ganze, vollkommene Gerechtigkeit bewahrt, die uns unserer Sünden wegen zittern machte. In Übereinstimmung mit derselben, „hat Er uns von unseren Sünden in seinem Blut gewaschen.“ Er wusste, was unsere Sünden vor Gott waren, und in diesem Bewusstsein gab Er sich hin; ja, Er selbst gab sich ganz und gar für mich dahin. Ein Engel konnte es nicht, noch sollte er es tun; er ist berufen seine erste Behausung zu bewahren, nur Christus allein vermochte es zu tun. In der Handlung Christi, um mich von meinen Sünden abzuwaschen, finde ich, dass Er sein Blut, sein Leben, sich selbst für mich hingegeben hat. Und nicht einen einzigen Beweggrund finde ich, der nicht Liebe zu mir war. Dies ist die Erkenntnis, die ich von Christus erlange. „Er hat mich gewaschen von meinen Sünden in seinem Blut.“ Dies ist es, was ich zuversichtlich glaube. Ich glaube, dass jede Sünde weggewaschen ist, und dass Er es getan hat wie im Hebräerbrief gesagt wird: „durch sich selbst hat Er uns von unseren Sünden gereinigt.“ „Ach“, sagst du vielleicht, „wenn ich dieses nur fühlte!“ Aber lass mich dich fragen: Werden deine Gefühle dem Wert des Blutes Christi hinzugefügt? O nein! Warum willst du denn nicht in dem ruhen, was Gott in Betreff deiner Sünden vollkommen befriedigt hat? Die Frage der Sünde brachte Christus zwischen Gott und sich selbst in Ordnung. „Durch sich selbst reinigte Er uns von unseren Sünden.“ Er tat es gemäß der Heiligkeit Gottes und gemäß meines Bedürfnisses. Und welche Reinheit habe ich durch Ihn erlangt? Die Reinheit, welche das Auge Gottes erfordert. Er beseitigte alles vollkommen, was uns von Gott trennte, so dass wir in das Licht gebracht sind, wie Gott im Licht ist; und indem Er es getan hat, ist seine vollkommene Liebe offenbart worden.

Noch mehr: „Und uns zu einem Königtum, zu Priestern. Seinem Gott und Vater gemacht hat.“ Wenn ich jemand in den Besitz von allem bringe, was ich selbst habe, so gebe ich ihm den völligsten Beweis meiner vollkommenen Gunst. Die Güte mag etwas für jemand hergeben; aber jenes ist vollkommene Liebe. Ich kann nicht mehr tun. Nun, dies ist es, was Christus getan hat; und Er ist der König und Priester. Dies ist umso mehr wert, weil es dieselbe Sache ist, die Er selbst hat. Dies alles aber verkündigt uns auch ebenso sehr die vollkommene Liebe des Vaters. Nicht die Liebe Jesu allein, sondern auch die Liebe des Vaters, von welcher Jesus uns die Erkenntnis gibt. Er macht uns zu Priestern seinem Gott und Vater. Gab es je eine Liebe gleich dieser? Niemals. War Christus je etwas anderes, als Liebe? Niemals. Er ist nichts als diese Vollkommenheit der Liebe für uns; die Summe von allem ist: „Er hat uns geliebt.“ Hat Er uns noch sonst etwas zu sagen? Nein. Was die Liebe zu tun hatte und zu tun vermochte, hat sie getan.

O welch eine Gnade, in Einfalt eines dankbaren Herzens sagen zu können: „Er hat Frieden gemacht durch das Blut seines Kreuzes!“ „Der uns geliebt, und uns von unseren Sünden in seinem Blut gewaschen hat, und uns zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater gemacht hat, Ihm sei die Herrlichkeit und die Stärke in die Zeitalter der Zeitalter! Amen.“

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel