Der Brief an die Philipper

Kapitel 2

Der Brief an die Philipper

Paulus wünschte, dass die Philipper seine Freude vollkommen machen möchten und dass ihre gegenseitige Liebe und ihre Einigkeit völlig würde, denn es war während seiner Abwesenheit Uneinigkeit und Parteiung entstanden. Die Philipper hatten ihre Liebe zu Paulus gezeigt, indem sie seiner Notdurft gedachten. Die Ermunterung in Christus, der Trost der Liebe, die Gemeinschaft des Geistes, die innerlichen Gefühle und Erbarmungen, die alle in Christus zu finden sind, hatten sich auch in diesem schönen Beweis ihres Dienstes an Paulus offenbart und hatten dem Apostel große Freude bereitet. „Erfüllt nun meine Freude“, d. h. macht nun meine Freude vollkommen, sagt er, „Indem ihr einerlei gesinnt seid, dieselbe Liebe habt und einmütig, eines Sinnes seid“ (Vgl. Verse 1.2).

Obschon die Heiligen zu Philippi in solch einem guten geistlichen Zustande waren, dass der Apostel Gott allezeit danken konnte für ihre Gemeinschaft mit dem Evangelium, vom ersten Tag an bis jetzt, und stets mit Freudigkeit für sie bitten konnte, so waren dennoch Mängel unter ihnen. Es war im Allgemeinen wohl Einigkeit vorhanden, aber nicht alle waren eins in Herz und Sinn. (Siehe Kap. 4, 2.) Nun will der Heilige Geist, dass alle Gläubigen gleich gesinnt seien und dieselbe Liebe gegen einander haben. Es ist nicht genügend zu wissen, dass alle Gläubigen durch denselben Geist zu einem Leib getauft sind, und dass zwischen allen, wo sie sich auch aufhalten, dasselbe Band der Gemeinschaft besteht, sondern sie sollten auch wirklich in der Praxis gleich gesinnt sein. Wie beschämend sind diese Worte für die zerrissene Christenheit in unsern Tagen! Ach, wo ist die Einheit unter den Gläubigen zu finden? Wo findet man dieselbe Liebe? Wo, dass sie eine Seele wären und einerlei Gesinnung hätten? O, wie betrübend für den Herrn, der die Einheit der Seinen auf dieser Erde praktisch dargestellt sehen möchte!

Und wodurch ist dieser traurige Zustand der Zerrissenheit entstanden? Der Apostel sagt es uns. „Tut nichts aus Parteisucht oder eitlem Ruhm“ (Vers 3). Diese zwei Dinge sind die Ursache der Uneinigkeit und der Trennungen. Wenn die Gläubigen sich nicht ausschließlich um Christus scharen, sondern ihre Meinungen und Überzeugungen betreffs einiger Punkte der Wahrheit zum Mittelpunkt ihrer Vereinigung machen, dann muss notwendig Trennung entstehen. Oder wenn ein Einzelner die Gläubigen an sich zu ziehen und zu binden sucht, entsteht ebenfalls Trennung; das Gleiche geschieht, wenn andere sich wieder in besonderer Weise zu einem bestimmten Menschen hingezogen fühlen. Das ist Parteisucht und eitler Ruhm. Ist aber Christus allein der Mittelpunkt der Vereinigung, dann bleibt die Einheit gewahrt, dann wandelt man in derselben Liebe, dann ist man miteinander ein Herz und eine Seele. Die Parteien, in welche die Christenheit zerteilt ist, würden dann aufhören zu bestehen, und die verschiedenen Namen, nach denen man sich nennt, würden als fleischlich verurteilt werden und verschwinden. Gebe der Herr uns Gnade, nach diesem göttlichen Grundsatz in der Versammlung Gottes zu handeln!

„Tut nichts aus Parteisucht oder eitlem Ruhm, sondern in der Demut achte einer den andern höher als sich selbst“ (Vers 3). Welch ein wichtiger Grundsatz! Fürwahr, wenn dieser uns leitet, kann keine Rede sein von Parteisucht oder eitlem Ruhm. Wandeln wir in der Demut, dann halten wir uns selber für die Geringsten und andere für vortrefflicher als uns selber.

Ebenso werden wir vor Parteisucht und eitlem Ruhm bewahrt, wenn wir nicht nur auf das Unsrige sehen, sondern auch auf das der Andern (Vers 4). Nicht unsere Ehre, unser Ruhm, unsere Bequemlichkeit, sondern das Heil und das Wohl der Andern stehen dann im Vordergrund. Die Folge ist, dass wir in Liebe mit ihnen umgehen und die Einheit des Geistes im Band des Friedens zu bewahren suchen.

Der Apostel geht nun noch weiter und stellt den Gläubigen das Vorbild des Christus vor. Christus ist in allem die einzige Regel, das wahre Vorbild für den Wandel des Christen, nicht nur das geschriebene Wort, sondern das in Christus verwirklichte Wort, gleichwie Er hienieden Gott in allem verherrlicht hat. „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war“ (Vers 5). Und welches war die Gesinnung des Christus? „Welcher, da Er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem Er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in Seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“ (Verse 6–8). Welch eine herrliche Offenbarung in Bezug auf die Person und das Werk des Christus! Stehen wir einige Augenblicke dabei still!

Zuerst finden wir hier verschiedene Beweise für die Gottheit des Christus. Er war in der Gestalt Gottes. Er ist somit kein Geschöpf, sondern hatte Seine eigene Gestalt. Und dennoch achtete Er es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Adam, der tatsächlich in der Gestalt eines Menschen war, suchte sich die Gottgleichheit zu errauben. Christus tat gerade das Gegenteil. Er achtete es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, da Er in der Gestalt Gottes war; ja Er war Gott selbst. Er brauchte sich die Gottheit nicht zu rauben, wie es Adam tun wollte. Er erniedrigte sich selbst und nahm die Gestalt eines Knechtes an. Das ist ein neuer und herrlicher Beweis Seiner Gottheit, denn niemand als Gott selber kann die Gestalt eines Knechtes annehmen. Alle Geschöpfe – Menschen oder Engel – können ihre Stellung, welche Gott ihnen in der Schöpfung gab, nicht ändern. Es kann also bei ihnen keine Rede sein von Annehmen einer anderen Stellung; sie müssen in der ihr zugewiesenen verharren. Ein Mensch wird immer ein Mensch und ein Engel immer ein Engel bleiben. Gott allein kann nach Seinen souveränen Rechten, in Seiner Allmacht und nach Seiner Liebe, Seinen „ersten Zustand“ verlassen. Bei jedem anderen Wesen wäre das Aufstand, selbst bei einem Engel Gabriel oder Michael. Der Mensch trachtet zwar stets danach, sich einen höheren Platz zu verschaffen, und diese Selbsterhebung wird am Ende der Tage seinen Höhepunkt im Antichristen finden (2. Thes 2,4).

„Er entäußerte sich selbst.“ Das will natürlich nicht sagen, dass Christus Mensch werdend, aufhörte eine göttliche Person zu sein. Das war unmöglich. Es ist ebenso unmöglich für eine göttliche Person, aufzuhören Gott zu sein, wie es für einen Menschen unmöglich ist, Gott zu werden. Als Christus hier auf Erden als Mensch wandelte, war Er zugleich Gott, Er sagt selber: „Ich und der Vater sind eins“. Und Johannes bezeugt: „Das Wort, das bei Gott war und Gott war, ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“. Aber das war die Freude und der Triumph der göttlichen Gnade, dass Er, der Gott war, dem Vater gleich, Mensch wurde. Wenn wir Jesus hier auf Erden wandeln sehen, dann erblicken wir einen Menschen in Knechtsgestalt, arm und verachtet, leidend und verfolgt, so sehr, dass Er keinen Platz hatte, wo Er Sein Haupt niederlegen konnte. Aber durch dieses menschliche Kleid hindurch sieht der Glaube den Sohn Gottes, Gott gleich. Wiewohl Er Knecht geworden, so sieht der Glaube die Strahlen der göttlichen Herrlichkeit und Majestät durch die Hülle Seiner Niedrigkeit hindurch zum Vorschein kommen. Der wahrhaftige Gott ist wahrhaftiger Mensch geworden. Der Glaube betet an und beugt sich nieder.

Der Sohn Gottes nahm die Gestalt eines Knechtes an, als Er den Menschen gleich wurde. Welch eine Erniedrigung! Der Schöpfer Himmels und der Erde nahm Seinen Platz ein unter den Geschöpfen! Der Sohn Gottes, der alle Gewalt im Himmel und auf Erden hatte, wurde ein abhängiger Mensch, ein Knecht. Der König des Weltalls wurde ein Untertan, der sich der menschlichen Obrigkeit unterwarf. Der Sohn, der das Wohlgefallen des Vaters hatte, wurde der Spott der Menschen. Aber noch mehr: Der Apostel geht noch einen Schritt weiter. Der Sohn Gottes ist nicht nur herabgekommen auf diese Fluch beladene Erde, um Mensch zu werden und Knecht zu sein, sondern Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tode am Kreuz. In allem war Er dem Vater unterworfen, denn Er kannte keinen eigenen Willen. Er wandelte den von Gott Ihm vorgezeichneten Weg von der Krippe bis zum Kreuze. Nicht als ein Machthabender, sondern als ein unterworfener Mensch ging Er Seinen Pfad. Obwohl Er über allen stand und alle Ihm gehorchen mussten, lernte Er jetzt Gehorsam an dem, was Er litt (Heb 5,8). Gehorsam zu sein war für Ihn etwas Neues, denn gehorchen geziemt sich nicht für Gott, wohl aber für den Menschen. Adam fehlte darin, der Mensch Christus Jesus aber war gehorsam. Jeder Tag war für Ihn eine neue Gelegenheit, um Seinen Gehorsam zu zeigen. Anbetungswürdiger Herr! Wie groß war Deine Liebe, denn Deine Erniedrigung war zu unserer Erhöhung. Du kamst nicht, um bedient zu werden, sondern um zu dienen. Den letzten Platz nahmst Du auf Erden ein. Eine Tierkrippe war Dein erster – ein Kreuz Dein letzter Platz hienieden. O, lehre mich, Deine Erniedrigung, worin sich Deine Herrlichkeit offenbart, mehr erkennen und würdigen, damit mein Herz Deine unendliche Liebe genieße.

Noch eine Bemerkung wollen wir machen über die Worte „indem Er gehorsam ward bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz“. Es geht daraus hervor, dass der Tod nicht das Teil des Herrn als Mensch war, sondern dass Er, Mensch geworden, sich selber erniedrigt hat bis zum Tod. Es war kein Tod, dem Er wie wir unterworfen gewesen wäre, denn der Tod ist der Lohn der Sünde, und in Ihm war keine Sünde. Sogar der Mensch war vor seinem Fall nicht dem Tod unterworfen, wieviel weniger dann der Sohn Gottes. Wie konnte Er denn sterben? Hier liegt der Unterschied zwischen Ihm und dem ersten Adam. Der erste Adam wurde ungehorsam und das brachte ihm den Tod, Christus hingegen war gehorsam bis zum Tod. Niemand anders hatte Macht, sein Leben abzulegen. Sünder haben kein Leben zu geben, denn sie sind tot in ihren Missetaten. Der Tod des Christus in einer Welt von Sünde war nicht nur Gnade, sondern Seine Herrlichkeit. „Ich habe Gewalt, Mein Leben zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen“, sagte der Herr. Im Ablegen Seines Lebens machte Er die Herrlichkeit Gottes vollkommen. „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in Ihm.“

„Darum hat Gott Ihn auch hoch erhoben.“ Weil Christus sich selbst erniedrigt hat und gehorsam gewesen ist bis zum Tod, hat Gott Ihn erhöht und Ihm einen Platz zu Seiner Rechten im Himmel gegeben. Die Menschwerdung, das Leben des Christus auf Erden und Sein Tod am Kreuz werden hier unter dem Gesichtspunkt Seiner Erniedrigung und Seines Gehorsams gegen Gott betrachtet und nicht als Sühnung für die Sünde. Dieses finden wir an andern Stellen. Hier beschäftigt sich der Heilige Geist mit dem, was Christus getan hat zur Verherrlichung Gottes. „Ich habe Dich verherrlicht auf der Erde“, spricht der Herr in Seinem Gebet in Johannes 17, „Ich habe das Werk vollbracht, welches Du Mir gegeben hast, dass Ich es tun sollte. Und nun verherrliche Du, Vater, Mich bei Dir selbst, mit der Herrlichkeit, die Ich bei Dir hatte, ehe die Welt war.“ Und Gott hat Ihn verherrlicht mit der Herrlichkeit, die Er hatte, ehe die Welt war. Beachten wir jedoch den Unterschied: vor Grundlegung der Welt hatte Er die Herrlichkeit als Gott, jetzt hat Er sie als Mensch. Gott der Sohn ist in Liebe auf die Erde herabgestiegen und ist Mensch geworden; und nun ist der Mensch in den Himmel erhöht nach der Gerechtigkeit Gottes, weil Christus als Mensch Gott vollkommen verherrlicht hat. Und obschon dies in unserm Kapitel nicht gesagt wird, wissen wir doch, dass wir aus diesem Grund teilhaben an der Herrlichkeit des Christus „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die Du Mir gegeben hast.“ Unaussprechliche Gnade! Gott ist in Christus, dem Menschen, und wir dürfen mit Christus teilhaben an Seiner Herrlichkeit.

„Darum hat Gott Ihn auch hoch erhoben und Ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Verse 9–11). Gott hat Christus nicht nur zu Seiner Rechten erhöht, sondern Ihm auch alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Christus hat die Herrschaft über alles und über alle. Einmal werden sich alle Knie vor Ihm beugen und alle Zungen bekennen, dass Er Herr ist über alle, und das wird zur Herrlichkeit Gottes, des Vaters, sein. Nicht nur werden sich Engel und Erlöste vor Ihm beugen und Ihn als Herrn anerkennen, sondern auch die Verlorenen: Alle Knie werden sich beugen und alle Zungen bekennen, auch die Unseligen, die unter der Erde sind. Die Engel und die Erlösten werden es tun zu ihrer ewigen Glückseligkeit; die Unseligen zu ihrer ewigen Schmach und Schande. Christus wird über alles Herrscher sein. Wer Ihn verwarf, wird von Ihm verworfen und verurteilt werden. Auch der Teufel und seine Engel werden in den Feuerpfuhl geworfen werden. Man redet darum zu Unrecht von der Hölle als dem Reich des Teufels. Der Teufel wird ohne Rang und Titel ebenso gut wie die Verlorenen für ewig unter dem Gericht des Menschensohnes sein; alle, ohne Ausnahme, werden sich Ihm unterwerfen und Ihn als Herrn anerkennen müssen. Herrliche Hoffnung für die Heiligen! Furchtbarer Zustand für die Unseligen! Die Seligen werden sich ewig an Jesu Herrlichkeit erfreuen; die Unseligen werden gezwungen sein, sich Seiner Herrschaft in ewiger Qual für immer zu unterwerfen.

Nachdem der Apostel den Philippern den erhöhten Herrn vor Augen gestellt hat, wendet er sich aufs neue an seine geliebten Kinder im Glauben, deren geistlicher Zustand so war, dass er sie loben konnte: „Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirkt eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern“ (Vers 12). Welch ein Unterschied besteht zwischen den Galatern und den Philippern! Jene waren bald vom Glauben, den Paulus ihnen gepredigt hatte, abgewichen und hatten ihr Ohr falschen Lehrern geliehen, so dass der Apostel ihnen schreiben muss: „Es ist aber gut, allezeit im Guten zu eifern, und nicht allein, wenn ich bei euch gegenwärtig bin“ (Gal 4,18). Hinsichtlich der Philipper dagegen kann er bezeugen, dass sie nicht bloß gehorsam waren in seiner Gegenwart, sondern noch viel mehr in seiner Abwesenheit. Die Abwesenheit des Apostels hatte sie nicht erschlaffen, sondern vielmehr in Wachsamkeit und Gehorsam zunehmen lassen. Darum ermahnt er sie denn auch: „Bewirkt eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, nach Seinem Wohlgefallen“ (Verse 12. 13). Als der Apostel bei ihnen war, wirkte er durch Predigt, Ermahnung und Trost an ihrer Errettung; da er nun von ihnen entfernt war, weist er sie auf Gott hin, der, auch ohne des Paulus apostolische Wirksamkeit, das Wollen und das Vollbringen wirkt, nach Seinem Wohlgefallen. Er sagt mit andern Worten: Habe, als ich bei euch war, ich an eurer Seligkeit gearbeitet, so bewirkt nun, während ich abwesend bin, eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern, im Bewusstsein, dass Gott es ist, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Vollbringen, nach Seinem Wohlgefallen. Er hatte zu dieser Ermahnung den Mut, weil die Philipper in seiner Abwesenheit noch gehorsamer waren als in seiner Gegenwart.

Für viele Christen bedeuten diese Worte eine unüberwindliche Schwierigkeit. Sie sagen: Wie kann Epheser 2,6, wo die Gläubigen bereits als in Christus in den Himmel versetzt gesehen werden, mit diesen Worten des Apostels in Übereinstimmung gebracht werden? Und sicherlich, wenn das Wort „Seligkeit“ in der Schrift lediglich eine Bedeutung hätte, dann ständen wir vor einem unlösbaren Rätsel. Wir müssen beachten, dass das Wort „Seligkeit“ in mehr als einem Sinn in der Schrift gebraucht wird. In Römer 13,11 schreibt Paulus: „Jetzt ist unsere Errettung (Seligkeit) näher, als da wir geglaubt haben“. In Hebräer 7,25: „Daher vermag Er auch völlig zu erretten, die durch Ihn Gott nahen“, und in Hebräer 9,28: „Christus wird zum zweiten Male ohne Sünde erscheinen denen, die Ihn erwarten zur Seligkeit.“ In diesen Stellen wird von der Seligkeit als von einer zukünftigen Sache gesprochen, die uns beim Kommen des Christus zuteilwerden wird. Die Seligkeit in diesem Sinn schließt also die vollkommene Erlösung, nicht allein von der Sünde und der Verdammnis, sondern auch vom sterblichen Leib in sich. In diesem Sinn wird das Wort „Seligkeit“ auch hier in Philipper 2 gebraucht. In Kapitel 3 (Vers 21) werden wir das noch bekräftigt finden. Wir befinden uns in einer Welt voll Versuchungen, wo der Teufel stets damit beschäftigt ist, uns von Christus und unserer himmlischen Berufung abzuziehen, darum müssen wir, wegen seinen listigen Verführungen und unserer großen Schwachheit mit Furcht und Zittern erfüllt, unsere Laufbahn fortsetzen, um endlich die vor uns gestellte Seligkeit zu empfangen. Nicht dass wir dazu die Kraft in uns selber hätten, nein, es ist Gott, der beides in uns wirkt, das Wollen und das Vollbringen, nach Seinem Wohlgefallen. Wir könnten unmöglich in unserem Wandel unserer himmlischen Berufung entsprechen, wenn wir nicht unserer völligen Errettung durch den Glauben an Christus gewiss wären. Um das Ende der Laufbahn zu erreichen, müssen wir erst in der Laufbahn drin sein, und da hinein kommen wir durch den Glauben an Christus und die Erlösung, die durch Sein Werk zustande gebracht ist. Diese Worte sollten uns instand setzen, unsern Weg ruhig und glücklich – wenn auch mit aller Entschiedenheit fortzusetzen. Ist Satan wider uns, Gott ist für uns. Trachtet ersterer, uns vom rechten Weg abzubringen, so wirkt Gott das Wollen und das Vollbringen in uns, so dass wir auf der rechten Bahn bleiben. Welche Gnade! Möchten wir sie stets würdigen und uns durch sie leiten lassen!

„Tut alles ohne Murren und zweifelnde Überlegungen“ (Vers 14). Nicht in knechtischem Gehorsam sollen wir den Willen Gottes vollbringen, sondern ohne Murren und Widerspruch, mit willigem und glücklichem Herzen. Gott sieht uns ins Innerste, es genügt Ihm nicht, dass wir äußerlich gut wandeln, Er wünscht, dass wir es mit Freuden und nicht als Seufzende tun. Vor Gott hat es keinen Wert, wenn wir seufzend und murrend Seine Gebote befolgen. Es steht geschrieben: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“. So ist es in allen Dingen, Gott schaut auf die Beweggründe unserer Handlungen und nicht allein auf unser Tun. „Dass ihr tadellos und lauter seid, unbescholtene Kinder Gottes inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts“ (Vers 15). Das ist das Verlangen des Vaters, dass wir uns in dieser Welt als Seine Kinder offenbaren und durch einen tadellosen Wandel Ihn verherrlichen.

„Unter welchem ihr scheint wie Lichter in der Welt“ (Vers 15); dies ist das neue Wesen der Gläubigen; sie sind Kinder des Tages, nicht der Nacht und der Finsternis, und darum scheinen sie als Lichter in dieser dunklen Welt.

„Darstellend das Wort des Lebens, mir zum Ruhme auf den Tag des Christus, dass ich nicht vergeblich gelaufen hin, noch auch vergeblich gearbeitet habe“ (Vers 16). Wandelten die Philipper untadelig und unsträflich, dann würden sie am Tag des Christus, wenn alle Dinge offenbar werden, zum Ruhm des Apostels Paulus dienen, der sie durch das Evangelium gezeugt hatte, dessen Kinder sie in Christus waren. Es würde zum Ruhm des Paulus gereichen, wenn die Philipper an jenem Tag als treue Christen bezeichnet und belohnt würden.

Die zwei folgenden Verse zeigen uns aufs Neue die Hingabe des Apostels und seine große Liebe für den Herrn und die Seinen. „Wenn ich aber auch als Trankopfer über das Opfer und den Dienst eures Glaubens gesprengt werde, so freue ich mich und freue mich mit euch allen“ (Vers 17). Dies erinnert uns an das Alte Testament. Über das Schlachtopfer wurde ein Trankopfer gesprengt zu einem lieblichen Geruch für den HERRN. Die Philipper hatten ihre Hingabe an Christus gezeigt, indem sie an den Apostel dachten und für seine Bedürfnisse sorgten; und Paulus betrachtet das Werk ihres Glaubens als ein Opfer für Gott. Vielleicht musste er sein Leben hingeben für das Evangelium, für das auch sie sich opferten, und so wäre die Hingabe seines Lebens gleichsam ein Opfer, das gesprengt würde über den Dienst ihres Glaubens; und darin freute er sich. Zum Opfer der Philipper wollte Paulus das Opfer seines eigenen Lebens hinzufügen, damit es für Gott ein lieblicher Wohlgeruch wäre. Und hierin würden sie sich miteinander freuen.

Der letzte Teil dieses Kapitels lässt uns erkennen, welch innige Liebe und enge Gemeinschaft zwischen Paulus und seinen Mitarbeitern einerseits und den Philippern anderseits bestand. Der Apostel sehnte sich danach, von den Gläubigen in Philippi näheren Bericht zu bekommen und zu hören, wie es ihnen ging. Darum hoffte er, Timotheus bald zu ihnen zu senden. „Denn ich habe niemanden gleichgesinnt, der von Herzen für das Eure besorgt sein wird, denn alle suchen das Ihrige, nicht das, was des Jesus Christus ist. Ihr kennt aber seine Bewährung, dass er, wie ein Kind dem Vater, mit mir gedient hat an dem Evangelium“ (Verse 20–22). Welch ein schönes Zeugnis! Während alle Arbeiter, die in Rom waren, das Ihrige suchten und nicht das, was des Jesus Christus ist, war Timotheus gleichgesinnt mit dem Apostel Paulus. Sein Herz war mit derselben Liebe und derselben Teilnahme für das Wohl der Seelen erfüllt; und darum würde er die Angelegenheiten der Philipper in aller Treue wahrnehmen. Paulus hatte niemanden, der besser geeignet gewesen wäre als Timotheus, niemanden, der ihnen angenehmer sein konnte, da sie wussten, welch ein treuer Diener des Christus er war. Wie leuchtet da doch die Liebe des Apostels zu den Gläubigen in Philippi durch alle Not hindurch. Er saß im Gefängnis zu Rom, und während alle das Ihrige suchten, war Timotheus der Einzige, der gleicher Gesinnung war mit ihm, und diesen schickte er weg, weil er Nachricht von seinen geliebten Philippern haben wollte. Den Einzigen, mit dem er von Herz zu Herz reden und mit dem er innige Gemeinschaft des Geistes haben konnte, lässt er gehen, weil er mehr an das Wohl der anderen dachte als an sich selbst.

Immerhin kann er Timotheus nicht gleich senden. Darum fährt er fort: „Diesen nun hoffe ich sofort zu senden, wenn ich gesehen haben werde, wie es um mich steht“ (Vers 23); das will heißen, sobald ich weiß, welches Urteil über mich gefällt werden wird; so sende ich vorläufig Epaphroditus (Vgl. Vers 25). Paulus hoffte dennoch, losgelassen zu werden (siehe Kap. 1, 25) und schrieb darum: „Ich vertraue aber im Herrn, dass auch ich selbst bald kommen werde“ (Vers 24). Treffend und schön ist das, was uns von Epaphroditus mitgeteilt wird! Paulus nennt ihn „meinen Bruder und Mitarbeiter und Mitstreiter, aber euren Abgesandten und Diener meiner Notdurft“ (Vers 25). Die Philipper hatten Epaphroditus nach Rom gesandt mit dem, was sie für die Bedürfnisse des Paulus gesammelt hatten. Auf jener Reise war er krank geworden und dem Tod nahe gekommen. Wie, der Apostel schreibt, „achtete er nicht auf sein Leben, damit er den Mangel in eurem Dienst gegen mich ausfüllte“ (Vers 30). Diese letzten Worte haben Bezug auf die Gaben, welche die Philipper dem Apostel gesandt hatten. Welch eine Hingabe des Herzens! Durch nichts hatte sich Epaphroditus zurückschrecken lassen; er hatte die weite Reise von Philippi nach Rom unternommen, und obwohl er unterwegs todkrank wurde, hatte er dennoch seinen Auftrag ausgeführt. Aber noch lieblichere Dinge werden uns über ihn mitgeteilt. Epaphroditus hatte vernommen, dass die Philipper von seiner Erkrankung gehört hatten, und darum war er sehr ängstlich und sehr begierig, zu ihnen zurückzukehren, damit er ihre Sorge seinetwegen in Freude verwandle. Und was sagt Paulus? „Denn er war auch krank, dem Tod nahe, aber Gott hat sich über ihn erbarmt, nicht aber über ihn allein, sondern auch über mich, dass ich nicht Traurigkeit auf Traurigkeit hätte“ (Vers 27). Welch innige Gemeinschaft! Der Tod des Epaphroditus hätte für Paulus und die Philipper großes Leid bedeutet, er hätte ihm tatsächlich Traurigkeit über Traurigkeit gebracht. Zuerst war er betrübt wegen der Erkrankung seines Mitarbeiters; dann würde er über dessen Tod und schließlich wegen der Traurigkeit der Philipper voller Betrübnis gewesen sein. „Ich habe ihn nun desto eilender gesandt, damit ihr, wenn ihr ihn seht, wieder froh werdet, und ich weniger betrübt sei“ (Vers 28). Der Apostel nennt Epaphroditus seinen Bruder, Mitarbeiter und Mitstreiter und beweist damit, wie sehr er ihn schätzt und sich mit ihm verbunden fühlt. Doch kaum ist er von seiner schweren Krankheit genesen, so schickt ihn der Apostel nach Philippi zurück, damit die Glaubensgenossen dort nicht länger seinetwegen in Unruhe seien, sondern sich seiner Genesung freuen könnten. Fürwahr, hier finden wir die wahre Gemeinschaft der Heiligen. Paulus, Timotheus, Epaphroditus, die Philipper und alle sind mit derselben Liebe erfüllt; alle fühlen sich aufs Engste miteinander verbunden und wetteifern in der Erweisung ihrer selbstlosen Liebe. Sich selber zu vergessen und an die andern zu denken, das war die Freude ihres Lebens, das Bedürfnis ihres Herzens. Die Philipper dachten an Paulus und Epaphroditus, Paulus, Timotheus und Epaphroditus dachten an die Philipper. Wiewohl so weit voneinander entfernt, war die Gemeinschaft des Geistes nicht abgebrochen und die Liebe nicht abgeflaut. O, welche Beschämung ist diese liebliche Schilderung für unsere kalten, selbstsüchtigen Herzen. Möge der Herr uns erwärmen durch die Strahlen Seines Geistes.

„Nehmt ihn nun auf im Herrn“, fügt Paulus am Schluss hinzu, „mit aller Freude und hattet solche in Ehren, denn um des Werkes willen ist er dem Tod nahe gekommen, indem er sein Leben wagte, dass er den Mangel in eurem Dienst gegen mich ausfüllte“ (Verse 29–30). Aus dem, was uns hier in Bezug auf Epaphroditus mitgeteilt wird, können wir wohl schließen, dass er keinen besonderen Platz in der Versammlung einnahm; er scheint kein Lehrer oder Evangelist gewesen zu sein, er war einfach ein Abgesandter der Philipper, um ihre Gaben dem Paulus zu überbringen. Aber gerade deshalb ist das, was der Apostel hier schreibt, von solcher Wichtigkeit und auch für uns so wertvoll. Wie sehr wird der einfache Dienst des Epaphroditus von Paulus geschätzt! Er sagt, dass er um des Werkes willen dem Tod nahe gekommen sei, wiewohl er nichts anderes getan hatte, als die Gaben der Philipper zu überbringen, was allerdings mit viel Gefahren und Selbstverleugnung verbunden war. Paulus ermahnt die Gläubigen, ihn mit Freuden zu empfangen und als seinen Mitarbeiter in Ehren zu halten. Wie deutlich geht daraus hervor, dass nicht die Vorzüglichkeit der Gabe allein, sondern besonders auch die Hingabe des Herzens, womit der Dienst für den Herrn verrichtet wird, von Gott gewürdigt wird. Der einfachste Dienst, ausgeübt mit einem Herzen voll Liebe zu Christus, ist köstlich vor Gott und bleibt nie unbelohnt.

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