Das Evangelium nach Johannes

Kapitel 7

Das Evangelium nach Johannes

Zu Beginn dieses Kapitels finden wir, daß Er nicht in Judäa wandeln wollte, weil die Juden Ihn zu töten suchten. Seine Brüder nehmen Ihm gegenüber eine zweifelnde Haltung ein. Sie glaubten noch nicht wirklich an Ihn; sie verstanden nicht Sein Verhalten und daß Er es vermied, sich öffentlich zur Schau zu stellen. Sie wünschten von Ihm, daß Er Seine Fähigkeit in der Hauptstadt unter Beweis stellen solle, und zwar so, um alle Welt für sich einzunehmen. Der Herr wies ihren Rat zurück. Die Welt konnte sie nicht hassen, denn bis jetzt hatten sie keine Trennung von ihr vollzogen. Ihn haßte sie, weil Er von Anfang an von ihr abgesondert war und gegen ihre bösen Werke zeugte.

Zudem folgte Er nur dem Willen des Vaters, deshalb war Seine Zeit noch nicht da. Sie handelten nach ihren eigenen Gedanken, wie der Geist der Welt sie ihnen eingab, und so war ihre Zeit stets bereit. Wenn wir 1. Johannes 3,12.13 lesen, sehen wir, daß die Situation, in der der Herr sich befand, schon in der Abels vorgebildet war. Die gerechten Werke im Namen Seines Vaters zeugten gegen die bösen Werke der Juden, deshalb suchten sie Ihn zu töten, und, um es zu erreichen, würden sie Ihn umringen, wenn seine Stunde gekommen war. Zur passenden Zeit ging auch Er zu dem Fest der Laubhütten hinauf, wo viele nach Ihm forschten und insgeheim von Ihm sprachen. Das zeigt uns, daß die Masse des Volkes sich gleichgültig verhielt, im Unterschied zu ihren Führern, die Ihn zu töten suchten. In der Menge ging Neugierde um; da waren Fragen, und Meinungen wurden ausgetauscht; doch sie waren in ihren Gewissen nicht so angesprochen, daß es sie zu einer Entscheidung gedrängt hätte. Heutzutage sieht es nicht anders aus. Einige trachten Ihm nach dem Leben, andere zweifelten, falsche Jünger waren bereit, Ihn zu verkaufen, die Volksmenge blieb gleichgültig; doch einige, darunter Petrus und die Zehn, erkannten Ihn als den Herrn des Lebens ohne Seinesgleichen.

Um die Mitte des Festes trat Jesus auf und lehrte. Sogleich wurde die Vollmacht Seiner Worte gespürt, und ein Fragen und Forschen setzte ein. Er hatte keine Schulen der Menschen durchlaufen, woher denn solche Gewalt der Rede? Er antwortete ihnen, daß Seine Lehre von Gott her sei, der Ihn gesandt habe. Er war gekommen, um Sein Wort zu verkünden, und das tat Er in vollkommener Weise. Irgendwelche Schwierigkeiten im Verständnis hatten ihre Ursache in der Einstellung des Fragestellers. Fände sich bei ihnen ein aufrichtiges Verlangen, den Willen Gottes zu tun, dann würden sie von der Lehre wissen, ob sie aus Gott sei. Wenn wir Gottes Willen zu tun wünschen, dann gehören dazu Aufrichtigkeit und Unterwerfung, und von da aus klären und berichtigen sich unsere Überzeugungen. Ein Nebel von Zweifel hüllt den Geist derer ein, die nur oberflächlich und neugierig sind.

Jesus redete wirklich nicht aus sich selbst, sondern aus Gott, deshalb wurden Gottes Wahrheit und Gerechtigkeit offenbar. Er war gekommen, um die Ehre Gottes zu suchen; nicht Seine eigene Ehre, dann hätte Er aus sich selbst sprechen müssen. Wenn es für Ihn Ungerechtigkeit gewesen wäre, Seine eigene Ehre zu suchen, obwohl Ihm doch alle Herrlichkeit gerechterweise zukommt, um wieviel mehr ist es dann Ungerechtigkeit, wenn einer von uns, die wir Ihm dienen, seine eigene Ehre suchen würde, da wir doch sehen, daß uns gar keine Ehre zusteht. Ein Gedanke, der uns alle erforschen und überzeugen sollte! Zur Prüfung dient der Maßstab, den der Herr in sich selbst gesetzt hat.

Für das Volk war zunächst Mose der Prüfstein, und von ihm aus beurteilt, waren sie alle schuldig. Jesus wußte, daß sie Seinen Tod suchten, und das war eine empörende Verletzung des Gesetzes Moses. Die Menge mochte eine solche Verschwörung noch ableugnen; möglicherweise war ihnen bis dahin unbekannt, was ihre Obersten längst beratschlagten. Ihre feindseligen Gefühle aber zeigten sich in der entsetzlichen Beschuldigung, Er habe einen Dämon. In Seiner Erwiderung kam der Herr auf das Wunder in Kapitel 5 zurück, das Er während des vorherigen Besuches in Jerusalem gewirkt hatte, und Er zeigte ihnen, wie ungerecht und oberflächlich sie ihre Urteile in der Handhabung der Beschneidung fällten. An dieser Stelle mischten sich noch andere von den Bewohnern Jerusalems ein, die durch ihre Äußerungen bestätigten, was der Herr vorher gesagt hatte, nämlich, daß man Ihn zu töten beabsichtigte; was auch die aus der Volksmenge zweifeln ließ, die bisher solche Verschwörungsabsichten nicht wahrhaben wollten. Sie glaubten dennoch nicht an Ihn; und weil sie Seine menschliche Herkunft zu kennen meinten, ärgerten sie sich an Ihm. Doch indem diese Menschen sich gegenseitig ihre Behauptungen bestritten, brachten sie den wahren Sachverhalt ans Licht.

Da Er ihre Gedanken kannte, ging Er, im Tempel lehrend, darauf ein; Er zeigte ihnen, daß, wenn sie Ihn auch menschlicherweise kannten und um Seine Herkunft aus der Zimmermannswerkstatt in Nazareth wußten, sie doch den nicht kannten, der Ihn gesandt hatte. Die menschliche Seite war ihnen wohl klar, aber gegenüber der göttlichen Seite waren sie völlig blind. Doch es gab etliche, die unter dem Eindruck Seiner Wunder geneigt waren, zu glauben, daß Er der Messias sein könnte. Dagegen verharrten die Pharisäer und Hohenpriester in unerbittlicher Feindschaft; sie sandten Diener, daß sie Ihn greifen möchten, doch Seine Stunde war noch nicht gekommen. In Wirklichkeit hatten sie keine Macht über Ihn, wie die Verse 33 und 34 erkennen lassen. Wenn Seine Stunde sehr bald gekommen sein würde, dann würde Er zu Dem gehen, der Ihn gesandt hatte, und der Himmel würde Ihn aufnehmen, wo Er immer schon wohnte und der für sie unerreichbar war. So sprach Er von höchster Warte aus von Seinem Tod und Seiner Auferstehung. Die Verse 35 und 36 bezeugen uns noch einmal die gänzliche Unfähigkeit der Juden, auch nur ahnungsweise die Bedeutung Seiner Worte zu verstehen.

Der achte Tag des Laubhüttenfestes sollte nach 3. Mose 23 für Israel „eine heilige Versammlung“ sein. Diesen Tag, an dem die Fröhlichkeit des Volkes ihrem Höhepunkt zustrebte, benutzte Jesus zu Seiner zweiten großen Verkündigung über das „lebendige Wasser“. Er wußte, daß keines dieser jüdischen Feste den Durst der Menschen stillen konnte und daß es auch einige in der Menge gab, die das tief fühlten. Ihnen galt Seine Einladung, zu Ihm zu kommen, um zu trinken, da durch den Glauben an Ihn der Geist bald dargereicht würde. Zu der samaritischen Frau hatte Er von dem Geist gesprochen als einer Quelle; jetzt spricht Er von demselben Geist als von fließenden Strömen. Aus dem Inneren des Gläubigen sollen sich diese Ströme ergießen. Die Bedeutung dieses Bildes scheint zu sein, daß der Geist nicht nur empfangen, sondern geistlicherweise so „einverleibt“ werden soll, daß es zu einem solchen Ausfluß kommen muß. Und aus dem „Leibe“, nicht aus dem Kopf, werden sich diese Ströme ergießen.

Das soll geschehen „gleichwie die Schrift gesagt hat“; diese Mitteilung erfolgt hier mehr im allgemeinen Sinn, ohne daß sie sich auf eine bestimmte Schriftstelle bezieht. Zum Beispiel hatte Hesekiel 47,1–9 vorausgesagt, daß zur Zeit des Tausendjährigen Reiches Wasser aus dem Tempel fließen sollten und daß es sich dabei um lebendige Wasser handeln würde, denn „alles wird leben, wohin der Fluß kommt“. Und: „Der Name der Stadt soll von nun an heißen: Der Herr daselbst“ (Hes 48,35). Die lebendigen Wasser sollen anzeigen, daß der lebendige Herr in ihrer Mitte ist. Doch der Geist wurde ausgegossen lange vor Anbruch des Tausendjährigen Reiches, und bereits hier kündigt der Herr Seine Gegenwart und Sein Innewohnen in den Gläubigen an, und zwar durch das Hervorströmen lebendiger Wasser in einer geistlichen, nicht in einer materiellen Weise. Die Schrift hat also diese Prophezeiungen gegeben. Immer wieder finden wir die Tatsache bestätigt, daß die Segnungen, die Israel einmal in vornehmlich materieller Form zu jener Zeit genießen wird, von den Gläubigen der jetzigen Zeit in geistlicher Form bereits jetzt gekannt sind.

Vers 39 ist wichtig, weil er die Verbindung zwischen der Verherrlichung Jesu und der Ausgießung des Heiligen Geistes deutlich beschrieb. Durch diesen Akt sollte die Kirche gebildet und als der Leib mit seinem Haupt vereinigt werden. Auf Erden war Jesus der fleischgewordene Mensch, doch bevor Er als Herr und Christus die dem Leib so innig verbundene Stellung des Hauptes einnahm, waren vier Ereignisse notwendig – Tod, Auferstehung, Himmelfahrt und Verherrlichung. Danach wurde der Heilige Geist ausgegossen, und die lebendigen Wasser begannen hervorzuströmen, zuerst in Jerusalem und dann darüber hinaus. Vorausschauend gab der Herr diese Verheißung und fügte dem „Wer an mich glaubt“ keinerlei Einschränkungen hinzu. Und nicht nur die Zeit der Apostel war hier einbegriffen, sondern die unsere gleicherweise. Warum sieht man denn so wenig von den Strömen lebendigen Wassers? Kommt es daher, daß unser Inneres, von anderen Dingen verstopft, so wenig aufgeschlossen ist für Gottes Wirken?

Die Verse 40 – 44 zeigen uns das Volk unschlüssig und verwirrt. Verschiedene Meinungen stehen sich gegenüber. Etliche wollten Ihn greifen, aber keiner legte die Hände an Ihn. Alles schien in einer nutzlosen Auseinandersetzung zu enden. Doch schließlich entstand eine tiefe Spaltung. Es gibt wohl viele Weisen, gegen Christus zu sein; aber es gibt nur eine Weise, für Ihn zu sein – die Weise des Petrus, wie wir am Schluß von Kapitel 6 gesehen haben. Der tiefe Riß, einer Felsenschlucht des Colorado vergleichbar, besteht heute noch, und alle anderen Trennungen unter den Menschen sind, damit verglichen, nur flache Gräben. Immer noch besteht eine Spaltung in der Menschen Menge Seinetwegen.

Am Schluß von Kapitel 6 drückte Petrus seine Wertschätzung der übernatürlichen Worte des Herrn aus; sie waren „Worte ewigen Lebens“. Hier finden wir, daß dieselbe Kraft auch von Menschen gefühlt wird, die auf der anderen Seite des tiefen Risses stehen, der das Volk spaltete. Die religiösen Führer hatten Männer geschickt, die Ihn verhaften sollten, aber sie waren ohne Ihn zurückgekehrt. Zum Fehlschlag ihres Auftrags, Hand an Ihn zu legen, hatten sie nur eine Erklärung: „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch.“ Sie verstanden nicht, was Er sagte, aber sie spürten an Seiner Sprache, daß Er mehr als bloß ein Mensch war; Seine Worte hoben Ihn aus der Klasse gewöhnlicher Menschen weit heraus. Sie mochten unwissend sein, doch ihr Empfindungsvermögen war nicht völlig abgestumpft.

Ihre Führer, die sie abgesandt hatten, kannten weder Gefühle dieser Art noch irgendwelche Bedenken. Dagegen kennzeichnet sie eine ungeheuerliche Selbstüberschätzung, die so weit ging, daß sie sich sicher wähnten, ihre Ablehnung des Herrn sei unanfechtbar und endgültig, so daß sie von jedermann gutgeheißen werden müsse. Wenn die Volksmenge oder irgend jemand da nicht mitmachte, so zeigte sich ihnen darin Unwissenheit, und sie sollte verflucht sein. Die Schafe verfluchen und sie im Stich lassen, das konnten nur falsche Hirten. Doch ihre eigene Unkenntnis verriet sich bald, als ihre anmaßende Frage, ob denn wohl jemand von den Obersten oder den Pharisäern an Ihn geglaubt hatte, von Nikodemus entkräftet wurde, der beides war, ein Pharisäer und ein Oberster. Obwohl er noch nicht so weit vorbereitet war, um als ein entschiedener Gläubiger aus der Verborgenheit herauszutreten, so enthüllte seine Frage dennoch, daß er in ihren Unglauben nicht einstimmte. Außerdem bewies ihre höhnische Bemerkung bezüglich Galiläas nur ihre Unwissenheit darüber, woher Christus gekommen war.

Die Szene in diesen Schlußversen von Kapitel 7 zeigt erstaunliche Ähnlichkeit, die zwischen diesen Menschen und modernistischen religiösen Leuten der gegenwärtigen Tage besteht. Sicher, heute geht es mehr um das geschriebene Wort Gottes, während damals das lebendige Wort gehört wurde, doch in derselben Weise wurde für Wissen und Klugheit des Menschen der höchste Platz beansprucht. Die moderne Phrase lautet: „Alle Gelehrten stimmen darin überein...“ – nun, im Ableugnen und Verächtlichmachen des Wortes Gottes. Aber heute wie damals stimmen alle Gelehrten durchaus nicht überein, und die Andersdenkenden sind nicht nur einer wie Nikodemus im Hohen Rat; auch ist deren Glaube an Christus und Sein Wort bei weitem klarer und entschiedener als in seinem Fall. Jedenfalls irren die führenden Vertreter des Modernismus hinsichtlich der grundlegenden Fakten ebenso wie ihre Vorläufer, die dem Herrn persönlich gegenübertraten. Christus war nicht „aus Galiläa“, was sie doch hätten wissen sollen; doch sie machten sich die Mühe nicht, tiefer hinter den äußeren Schein zu blicken. Moderner Unglaube ist reich an Spekulationen, Vermutungen, phantasievollen Einbildungen und schließlich an einem traurigen Unvermögen, gediegene unleugbare Tatsachen zu erkennen.

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