Lasst uns die Mauer Jerusalems aufbauen!

Der Bund

Das Volk ist zum Wort Gottes zurückgekehrt. Sie haben vor Gott an ihre Geschichte zurückgedacht und dabei entdeckt, dass die Quelle ihrer gegenwärtigen Notlage im Nichtgehorchen gegenüber dem Wort Gottes liegt. Nachdem sie ihr Versagen in der Vergangenheit gesehen und zugegeben haben, versuchen sie sich gegen eine Wiederholung abzusichern. Das Mittel, das sie wählen, um dieses wünschenswerte Ziel zu erreichen, ist der Eintritt in einen festen Bund, der geschrieben und untersiegelt ist (9,38). Nehemia, 22 Priester, 17 Leviten und 44 Häupter des Volkes unterschreiben den Bund (10, 1–27). Durch diesen Bund verpflichten sie sich selbst mit einem Eid (eigentlich Fluch) und einem Schwur (V. 28,29):

1. In Bezug auf ihren persönlichen Wandel, dass er in Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes, welches durch Moses gegeben worden war, sein sollte (V. 29).

2. In Bezug auf die sie umgebenden Nationen wollten sie eine heilige Absonderung aufrechterhalten (V. 30).

3. In Bezug auf Jehova wollten sie Ihm durch die Beobachtung des Sabbaths, der heiligen Tage und des Gesetzes des siebten Jahres hingebungsvoll das Ihm Gebührende geben (V. 31).

4. In Bezug auf das Haus Gottes verpflichteten sie sich selbst für die Aufrechterhaltung des Dienstes und das Nichtverlassen des Hauses (V. 32–39). Alles das ist vorzüglich zu seiner Zeit, und der Bund in diesem Kapitel ist die Folge und der passende Abschluss des Bekenntnisses des vorausgegangenen Kapitels. Wie ein anderer gesagt hat: „Das Ablassen vom Bösen muss gefolgt sein vom Lernen, das Gute zu tun. Wenn wir falsch gehandelt haben, ist es richtig, mit dem Bekennen des Unrechts zu beginnen, bevor wir uns vornehmen, das Rechte zu tun. Aber das Tun dessen, was recht ist, muss dem Bekenntnis der falschen Tat unbedingt folgen. Und alle diese moralischen Schönheiten sehen wir, wenn wir vom 9. Kapitel zum 10. übergehen.“

Indem wir auf die Bedingungen des Bundes hinweisen, ist es bedeutsam, zu bemerken, dass die Stadtmauern und Tore nicht erwähnt werden, während dem Haus Gottes ein auffallender Platz eingeräumt wird. Warum wohl dieses Weglassen, da wir doch gesehen haben, dass sich die besondere Aufgabe Nehemias auf die Mauern und Tore bezog? Und warum, so mögen wir fragen, wird soviel aus dem Haus Gottes gemacht? Ist es nicht, um die große Tatsache hervorzuheben, wie ein anderer geschrieben hat, „dass der große Prüfstein der Treue die Instandhaltung des Hauses war, die Unterstützung derer, die es bedienten und der notwendige Gehorsam gegenüber und die Übereinstimmung mit den Grundsätzen der göttlichen Ordnung, wovon das Haus immer ein Hinweis und ein Symbol war? Aber dieses Haus war keine besondere äussere Erscheinung mehr, wie der frühere Tempel. Es war nur in dem Maß von Wert, wie seine moralischen Grundzüge festgehalten wurden. Das Volk innerhalb der Stadt und das Volk außerhalb der Stadt – das ganze Volk – bekundeten durch ihre Unterschrift ihre Absicht, sich dem Willen Gottes zu unterwerfen und verpflichteten sich eher zum Unterhalt des Hauses Gottes als der Mauer. (Die Mauer zu verstärken, ohne vor allem die Bedeutung und die Reinheit des Hauses zu beachten, würde nur das traurige Abweichen und die Verstocktheit früherer Jahre wiederholen). Daher musste alles, die Familien, das Vieh, die Früchte, die Ernten, die Weinlese, von dem Land für das Haus beitragen, als Anerkennung Gottes und zur Unterstützung der Priester, Leviten, Sänger und Torhüter.

Die Verwirklichung des zurückgekehrten Überrests, dass all ihr Wohlstand und Segen vom Unterhalt des Hauses abhing, ist sehr schön und zeigt den Weg geistlichen Wohlergehens und Segens für das Volk Gottes in unseren Tagen (Hag 2,18.19). Die Art und Weise jedoch, mit der sie ihre Verpflichtungen auszuführen gedachten, sollte für die, welche in Tagen der Gnade leben, eher als Warnung denn als Beispiel dienen. Dass der Überrest in Nehemias Tagen den Unterhalt des Hauses auf dem Weg eines Bundes übernahm, steht in Verbindung mit der Haushaltung des Gesetzes, in der sie lebten. Und doch will uns die Geschichte dieses Volkes vor der Nutzlosigkeit eines Bundes warnen, den der Mensch gegenüber Gott eingeht. Machte Israel in seinen früheren Tagen nicht einen Bund mit verheerenden Folgen? Nach drei Monaten beständiger Fehltritte auf ihrer Seite und unermüdlicher Gnade auf seiten Jehovas, traten sie am Sinai in einen Bund, indem sie sagten: „Alles was Jehova geredet hat, wollen wir tun“ (2. Mose 24).

Außerdem gab es nach der Regierung des gottlosen Königs Manasse eine Erweckung unter Josia und eine Rückkehr zum Wort Gottes. Daraufhin machte der König einen Bund vor dem Herrn, um Jehova nachzuwandeln und seine Gebote zu beobachten. „Und das ganze Volk trat in den Bund“ (2. Kön 23,3).

Was war die Folge dieser Bündnisse? Kurz nachdem Israel in den Bund eingetreten war, um alles zu tun was der Herr geredet hatte, stellten sie sich ein Götzenbild auf und fielen von Gott ab. Und vom Bund aus Josias Tagen wird uns durch den Propheten Jeremia gesagt, dass das Volk „mit Falschheit“ zu Jehova zurückgekehrt sei (Jer 3,10).

Mit so traurigen Beispielen vor uns wird uns die Sinnlosigkeit menschlicher Bündnisse bewusst. Obwohl das Volk Gottes zur Autorität des Wortes Gottes zurückgekehrt sein mochte und sich im Selbstgericht darunter gestellt hatte, würden sie in der Zukunft doch nicht fähig sein, durch ihre eigene Anstrengung dem Wort gemäß zu wandeln.

Das Volk war vollkommen aufrichtig und meinte es wirklich ernst. Doch die Tatsache, dass sie die Mauern wieder aufgebaut und die Tore aufgerichtet hatten, dass sie zum Wort Gottes zurückgekehrt waren, indem sie ihre Sünden bekannten, verleitete sie anscheinend zum Gedanken, dass sie sich in der Zukunft besser verhalten würden als ihre Väter.

Indem sie offenbar ihre eigene Schwachheit vergaßen und von der Begeisterung des Augenblicks mit fortgerissen wurden, gingen sie so einen Bund in Bezug auf ihr zukünftiges gutes Verhalten ein.

Dürfen wir, wenn wir den Überrest im Licht der Haushaltung, in der er lebte, betrachten, nicht dennoch sagen, dass sie Grund für den Weg hatten, den sie einschlugen? Ob sie einen Bund machten oder nicht, sie waren verpflichtet, dem Gesetz zu gehorchen. Sie anerkannten diese Verpflichtung durch einen Bund. Das Licht, das sie besaßen, hätte sie kaum auf einen anderen Weg führen können, obwohl die Zwecklosigkeit der Bündnisse sich in der Geschichte des Volkes gezeigt hatte. Für den Christen aber gibt es keine Entschuldigung. Mit den Warnungen der alttestamentlichen Bündnisse und dem Licht der Wahrheit, das den Platz des Gläubigen als „nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ zeigt, wie könnten wir mit Recht zu einem Bund zurückkehren, der uns an gesetzliche Verpflichtungen bände? Und dennoch, wie oft hat sich das Volk Gottes – in unseren Tagen und während der ganzen christlichen Zeitperiode – durch Bündnisse verpflichtet. Zuzeiten haben aufrichtige Männer, indem sie den vorherrschenden niederen Zustand unter dem Volk Gottes verurteilten, intensiv und mit Recht aufgefordert, zum Wort Gottes zurückzukehren. Die Tatsache, dass einige dies in gewissem Maß getan haben, verleitete sie zuzeiten zu denken, sie seien ein bisschen besser oder anders als die, welche vor ihnen gelebt hatten. Die Folge war, dass sie versuchten, für ihren zukünftigen Gehorsam gegenüber dem Wort vorzusorgen, durch Mittel, die im Grundsatz einem geschriebenen und untersiegelten Bund glichen. In der Begeisterung einer neuen Bewegung versuchen sie schriftlich klar bekanntzugeben, was die Begrenzungen ihrer Gemeinschaft, die Bedingungen, nach denen sie zusammenzukommen gedenken, die Art und Weise ihrer Zulassung und die Merkmale ihrer Zucht sind. Und das wird veröffentlicht, unterschrieben mit den Namen ihrer Führer. Aber was ist dies im Grundsatz anderes als ein geschriebener und untersiegelter Bund, der die Gesetzlichkeit unserer Herzen verrät, die gern eine geschriebene Urkunde haben, auf die sie zurückgreifen können? Der gesetzliche Sinn aber, wenn er noch so aufrichtig ist, bleibt immer blind für seine eigene Schwachheit und vertrauensvoll in seine eingebildete Kraft. Darin liegt die Schwachheit aller solcher Methoden; sie legen soviel Wert auf den Menschen und verlassen sich auf seine Erklärungen, Auslegungen und Anstrengungen. Sie stützen sich zuwenig auf den Herrn und zeigen zuwenig Abhängigkeit von seiner Weisheit, seiner Leitung und seiner Gnade.

Alle, die auf dem Grundsatz des geschriebenen und untersiegelten Bundes zu handeln versuchen, werden feststellen, dass es unter dem Einfluss einer neuen Bewegung sehr leicht scheint, die vereinbarten Formen der Gemeinschaft auszuführen. Doch wenn der erste Eifer der Bewegung vorbei ist, werden die vereinbarten Abmachungen in steigendem Maß nicht beachtet. Unabhängigkeit und Eigenwille machen sich geltend und Zerfall setzt ein. Dass dies der Fall ist, beweist nur, dass es unmöglich ist, das Volk Gottes durch eine menschliche Formel zusammenzuhalten, wie aufrichtig, sorgfältig und sogar schriftgemäß sie auch ausgedacht ist.

Es genügt nicht, zur Heiligen Schrift zurückzukehren. Wir müssen auch den Herrn selbst haben, um uns zu führen, und den Heiligen Geist, um uns zu leiten.

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