Der Brief an Titus

Kapitel 3

Der Brief an Titus

Die beiden ersten Verse von Kapitel 3 behandeln das gleiche Thema und nennen weitere Einzelheiten des gottesfürchtigen Verhaltens, das vom Evangelium geprägt ist. Gehorsam und Unterordnung gegenüber der Obrigkeit, Sanftmut und Milde gegenüber allen Menschen sind Wesenszüge, die das genaue Gegenteil von dem sind, was die Kreter von Natur aus waren. Sie sind auch das genaue Gegenteil von allem, was wir alle waren, und das betont der Apostel in Vers 3. „Auch wir“, sagt er im Gegensatz zu dem „sie“ in Vers 1. Was für ein Bild gibt er uns von sich und Titus und von uns allen, wenn wir unseren natürlichen Eigenschaften nach betrachtet werden. Eine furchtbare Anklage, aber wahr. Es ist kaum überraschend, daß wir einander haßten, denn wir waren schließlich selbst hassenswürdig. Wie wunderbar ist danach Vers 4!

Wir waren hassenswürdig, jeder von uns. Obwohl wir alle blind waren für die häßlichen Züge in uns, empfanden wir sehr deutlich, was an anderen Leuten hassenswürdig war, und so ist die Welt voller Haß. Nun sieht Gott auf diesen Schauplatz herab, und über diese Welt des Hasses bricht das Licht Seiner Freundlichkeit und Liebe herein. Daß Gott liebte, was nicht liebenswert war, ist wunderbar. Daß Er aber das liebte, was ausgesprochen häßlich war, ist noch wunderbarer! Aber genau das tat Er. Die Güte und Menschenliebe unseres Heiland-Gottes sind erschienen. Das Wort bedeutet, daß Gott den Menschen nicht nur liebt, wie Er alle Seine Geschöpfe liebt, sondern daß Er eine besondere Zuneigung für den Menschen hegt - eine besonders warme Ecke in Seinem Herzen für den Menschen hat, wenn wir es so sagen dürfen. Seine Menschenliebe drückte sich aus in Güte und Gnade, und durch Seine Gnade sind wir gerettet worden. Seine Menschenliebe fand ihren Ausdruck in Freundlichkeit und Barmherzigkeit, und durch Seine Barmherzigkeit sind wir gerettet worden.

In der Schrift wird die Errettung im allgemeinen in Verbindung gebracht mit einem für uns vollbrachten Werk. Das gilt für die Vorbilder im Alten Testament und auch für die Lehre des Neuen Testaments. Wir müssen stillstehen und die Rettung sehen, die der Herr außerhalb von uns schafft. Der vorliegende Abschnitt bildet jedoch eine Ausnahme von der allgemeinen Regel, insofern als gesagt wird, daß wir durch ein Werk für und in uns errettet sind. Das Werk in uns ist genauso nötig wie das Werk für uns. Das wird ganz klar, wenn wir das Bild von der Befreiung Israels aus Ägypten betrachten. Sie wurden aus dem Land der Knechtschaft durch das mächtige Werk gerettet, das Gott für sie tat. Doch trotz all der Wunder, die ihretwegen vollbracht wurden, fiel die große Mehrheit von ihnen in der Wüste und erreichte nie das Land der Verheißung. Warum? Die Antwort der Schrift lautet: „Und wir sehen, daß sie nicht eingehen konnten wegen des Unglaubens“ (Heb 3,19), d. h., sie hatten keinen Glauben, in ihnen fand kein Werk Gottes statt.

Nach Vers 5 geschieht die Errettung nicht nach unseren Werken der Gerechtigkeit, sondern nach Gottes Barmherzigkeit, und das Mittel dazu ist „die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes“. In Johannes 3,3-6, wo es um die neue Geburt geht, sehen wir den Heiligen Geist als Wirkenden und das „Wasser“ als das Mittel, das sie bewirkt. Hier haben wir auch den Geist und das Wasser, letzteres allerdings angedeutet mit dem Wort „Waschung“. Aber wir müssen beachten, daß das Wort „Wiedergeburt“ in unserem Vers nicht eine genaue Entsprechung der neuen Geburt ist. Die einzige andere Stelle im Neuen Testament, wo das Wort gebraucht wird, ist Matthäus 19,28, wo wir einen Hinweis auf die neue Ordnung der Dinge finden, die aufgerichtet am Tag der Herrlichkeit Christi werden soll. Wir haben die neue Ordnung der Dinge noch nicht, aber wir stehen schon unter der Waschung, der Reinigung, der moralischen und geistlichen Erneuerung, die jenem Tag entspricht.

Diese Waschung geschieht durch das Wort. So steht es in Epheser 5,26. Nur bezeichnet es da die wiederholte und ständige Wirkung des Wortes. Hier ist es die ein für allemal, nie wiederholbare Wirkung des Wortes bei unserer neuen Geburt. Das Wort wirkt auf uns, aber nicht unabhängig vom Handeln des Heiligen Geistes, der mit erneuernder Kraft wirkt.

Diese Schriftstelle redet nicht nur vom Anfangswerk des Geistes in uns bei der Wiedergeburt und der Erneuerung, die die Folge davon ist, sondern auch von der Gabe des Geistes. Er ist reichlich über uns ausgegossen. Er ist uns also verliehen und versorgt das neue Leben, das wir besitzen, mit Kraft und bewirkt eine tägliche Erneuerung in uns, und diese bewirkt eine ständige und wachsende Befreiung vom alten Leben, das wir einst führten. Der Geist ist über uns ausgegossen worden „durch Jesus Christus, unseren Heiland“, und zwar als Frucht Seines Werkes. Er ist reichlich über uns ausgegossen worden, und deshalb dürfen wir in reichem Maß genießen, was wirklich Leben ist. Wir haben nicht nur Leben, sondern haben es in Überfluß, wie der Herr selbst uns in Johannes 10,10 sagt.

Das Werk in uns ist also genauso nötig wie das Werk für uns. Es ist genauso wahr, daß das Werk für uns genauso nötig ist wie das Werk in uns. Das lesen wir in Vers 7. Wir könnten niemals Erben Gottes werden allein durch das Werk des Geistes in uns, denn wir mußten vor Gott gerechtfertigt werden, und das wurde durch die Gnade vollbracht, die in Christus für uns wirkte. Weil wir gewaschen, erneuert und gerechtfertigt sind, konnte die Gnade weitergehen und uns zu Erben machen. Aber diese drei Dinge waren gleichermaßen nötig.

Beachte, daß wir Erben sind nach der Hoffnung des ewigen Lebens, d. h., wir teilen diese Hoffnung mit Paulus, wie man beim Vergleich dieses Verses mit dem zweiten Vers von Kapitel 1 sehen kann, obwohl keiner von uns wie er ein Apostel ist.

Gott errettet uns, um uns zu Erben zu machen, und es ist auffallend, wie Er uns in diesem Brief als Heiland vorgestellt wird. Noch auffälliger ist, wie der Ausdruck „Heiland“ sowohl auf Gott als auf den Herrn Jesus angewandt wird, um uns zu versichern, daß Jesus Gott ist. In Kapitel 1,3 heißt es „unseres Heiland-Gottes“, in Vers 4 „Christus Jesus, unserem Heiland“. In Kapitel 3,4 heißt es „unseres Heiland-Gottes“ und „durch Jesum Christum, unseren Heiland“ in Vers 6. In Kapitel 2,13 heißt es „unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus“.

Wenn der Apostel am Anfang von Vers 8 sagt: „Das Wort ist gewiß“, läßt sich nicht einfach sagen, ob er das auf das bezieht, was er vorher geschrieben hat, oder auf das, was unmittelbar folgt. Aber wahrscheinlich bezieht es sich auf das Vorhergehende. Es scheint, daß Titus den bekehrten Kretern ständig vor Augen halten sollte, wie sie gewaschen und erneuert und gerechtfertigt und zu Erben gemacht worden waren, um sie dazu anzureizen, die guten Werke weiterhin zu tun, die solcher Gnade entsprechen, und sie sollten nicht nur zur Gnade passen, sondern auch gut und nützlich für die Menschen sein. Wie deutlich veranschaulicht das, was oft gesagt wird, daß sich nämlich das passende Verhalten aus dem Verständnis der Stellung ergibt, in die wir gebracht wurden. Hier begegnen wir wieder der Tatsache, daß die Erkenntnis der Gnade praktische Heiligkeit bewirkt und nicht zu Nachlässigkeit führt.

Indem er ständig die Wahrheit predigte und beteuerte, würde Titus fähig sein, alle diese törichten Fragen und Streitereien über das Gesetz zu meiden, die damals so weit verbreitet waren. Nichts vertreibt das Böse besser als Eifer im Guten. Es könnte natürlich doch jemanden geben, der diese Fragen und Streitereien so weit treibt, daß er der Führer einer Gruppe innerhalb der Kirche wird, ein Sektierer. So jemand sollte ein- und zweimal ermahnt werden. Aber wenn er dann hartnäckig blieb, sollte er abgewiesen werden. Es ist eine ernste Sünde, sich zum Führer einer Partei zu machen.

Der Brief schließt mit einigen Worten über andere Arbeiter im Dienst des Herrn. Sie sollten mit allem Nötigen versorgt werden, und das führt den Apostel dazu, es allen Gläubigen als Pflicht aufzulegen, gute Werke zu betreiben, damit nicht nur sie selbst ihren Lebensunterhalt haben, sondern auch die Mittel, zu geben, und auf diese Weise fruchtbar zu sein. Der einst faule Kreter soll nun ein fleißiger Arbeiter sein und anderen helfen.

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