Vorträge über die Sendschreiben

Philadelphia

Werfen wir jetzt einen Rückblick auf den allgemeinen Entwicklungsgang der ersten Versammlungen, so entdecken wir zunächst den Rückschritt, dann sehen wir, wie Satan sie vom Wege ablenkt, und endlich folgen Warnungen. Hier in Philadelphia wird ein Überrest ermuntert. Was die Getreuen hier kennzeichnet, ist, dass sie, obwohl im Besitz einer nur kleinen Kraft, in inniger Verbindung mit dem Herrn Jesu Christo selbst stehen. Das Kennzeichen der Väter in Christus besteht, wie wir im ersten Brief des Johannes lesen, darin, dass sie Den kennen, der von Anfang ist. So ist auch hier in Philadelphia allerdings nur eine kleine Kraft vorhanden, aber der Name des Herrn wird nicht verleugnet. Das Sendschreiben an diese Versammlung, die Grundlage der ihr gemachten Eröffnungen, steht in Verbindung mit Christo. Es handelt sich um Ihn selbst, nicht um Macht. Aber wenn auch alles im Verfall ist, wie in der Epistel des Johannes, wo es heißt, dass schon viele Antichristen geworden seien, (Kap. 2,18) so gibt es dennoch auch solche, welche die Fähigkeit besitzen, die Verführer zu unterscheiden; denn „der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an.“ In dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit einer Wiederherstellung der Kirche hinsichtlich einer offenbaren Macht ist es die Bewahrung des Wortes des Ausharrens Christi, was die Versammlung in Philadelphia kennzeichnet; und der Name des „Heiligen“ und des „Wahrhaftigen“ ist ihr in ganz besonderer Weise aufgedrückt. In der Art und Weise, wie Christus sich hier darstellt, findet sich keine Macht, wie vorher in Sardes, wohl aber die unfehlbare Gewissheit dessen, was Er in Seinem Charakter ist und dessen, was Er gesagt hat – Er, der „Heilige“ und der „Wahrhaftige“. Durch diese beiden Dinge können wir alles beurteilen. Die Gläubigen sollten, da alles um sie her in einem schlechten Zustande war, an der Einfalt, die in Christo ist, festhalten, wie Johannes in seiner Epistel sagt: „Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.“ Er und seine Mitapostel hatten das ewige Leben in ihren Seelen empfangen, sie hatten Ihn mit ihren Händen betastet und durch den Glauben angeschaut, so dass sie bezeugen konnten, wer dieser „Wahrhaftige“ war, und auch zu sagen vermochten: „Dies ist der Heilige;“ denn Er ist nicht nur im Besitz der Macht, sondern Er ist auch der Heilige.

Beachten wir ferner, dass die Charakterzüge Christi, welche uns hier vor Augen gestellt werden, keinen Teil der Herrlichkeit Christi bilden, wie sie im ersten Kapitel der Offenbarung beschrieben wird, sondern dass sie sich auf Seinen moralischen Charakter beziehen; und diesen Charakter weiß der im Glauben geübte Heilige zu der Zeit, auf welche das Sendschreiben sich bezieht, zu unterscheiden. Die Heiligen, von denen hier die Rede ist, hatten das „Wort des Ausharrens Christi“  bewahrt, und wenn das Wort Gottes als solches geschätzt wird, dann ist es der Charakter Christi selbst, der die Seele beherrscht. Seine Vorschriften erhalten Autorität für uns, und Er leitet persönlich die Neigungen unsrer Herzen; das Auge ist einfältig und der Leib voll von Licht. So war es z. B. bei Maria, als der Augenblick des Hingangs des Herrn herannahte. Das Wort Gottes verbindet die Seele mit Christo, so wie Er war und wie Er ist; es gibt uns einen geschriebenen Christus. So lesen wir z. B. in Mt 5: „Glückselig die Armen im Geiste!“ – und wer war so arm im Geiste wie Christus? „Glückselig die Reinen im Herzen!“ – wer war so rein wie Er? „Glückselig die Sanftmütigen!“ – wer war so sanftmütig wie Er? „Glückselig die Friedensstifter!“ – Er war der große Friedensstifter, ja, der Fürst des Friedens selbst.

Zunächst handelt es sich natürlich darum, Ihn als den lebendigen Christus zum Heil der Seele zu besitzen; hernach empfangen wir durch das geschriebene Wort das geistliche Verständnis dessen, was dieser Christus ist, indem das geschriebene Wort der einfache Ausdruck von Christo selbst ist, von Dem, der das Bild Gottes war, der „Fleisch ward und wohnte unter uns, und wir haben Seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Und wenn wir so das Zeugnis empfangen, welches der Heilige Geist von Christo ablegt, dann klammert sich das Herz an Ihn an, als den „Heiligen“ und „Wahrhaftigen.“ So beherrscht der Christus, wie wir Ihn im Worte finden, unser Herz; wir möchten nicht ohne diesen geschriebenen Christus sein, oder uns von Ihm entfernen. Diese lebendige Verbindung mit einem lebendigen Christus ist unser einziger Schutz gegen solche, die uns verführen wollen. Ein heiliger Christus, in welchem wir die Wahrheit besitzen, ist die gesegnete, starke, moralische Burg der Seele, während ein mit der Welt vermengtes und lebloses Christentum nichts gegen die Verführung vermag, und die bekennende Kirche aus diesem Grunde unfähig ist, den einfachen Pfad zu unterscheiden. Wenn unter den Christen nicht Glauben genug vorhanden ist, um ohne die Welt voran zu gehen, und deshalb allenthalben Vermengung mit derselben stattfindet, dann ist für den Treuen ein heiliger und wahrhaftiger Christus der sichere Leiter und  die Stütze der Seele.

Dem Timotheus sagt Paulus: „Du kennst von Kind auf die Heiligen Schriften, die vermögend sind, dich weise zu machen zur Seligkeit durch den Glauben, der in Christo Jesu ist.“ Und gewiss kann es keine bessere Erkenntnis geben, als die Erkenntnis Christi. Um diese handelt es sich hauptsächlich in der Epistel des Johannes; der Vater in Christo hat „Den erkannt, der von Anfang ist“; er kann sagen, was der wahre Christus ist, er kennt den Heiligen und Wahrhaftigen. Nicht Entwicklung tut Not, sondern die Rückkehr zu der Einfalt in Christo – Ihn wahrhaftig zu kennen, welcher im Anfang geoffenbart ward, Ihn, der von Anfang war. Wenn deshalb meine Seele mit dem Christus des geschriebenen Wortes vereinigt ist, so ist der Christus, den ich hienieden geliebt habe, derselbe, dessen Ankunft ich zu meiner Aufnahme erwarte.

Das schöne Bild, das hier von dem Herrn entworfen wird, ist ein anderes, als dasjenige des ersten Kapitels: „Seine Augen wie eine Feuerflamme, und Seine Füße gleich glänzendem Kupfer, als glühten sie im Ofen“ – fest, unwandelbar, ein verzehrendes Feuer im Gericht, so ist Er dort geoffenbart. Das Bild aber, welches der Versammlung von Philadelphia von Ihm gegeben wird, steht in Verbindung mit Seinem moralischen Charakter, wie wir ihn in dem geschriebenen Worte finden: Er ist der Heilige und der Wahrhaftige.“

„Der den Schlüssel des David hat, der da öffnet, und niemand schließt, und schließt, und niemand öffnet.“ Christus forscht hier nicht nach Kraft in den Heiligen; Er zeigt sich uns vielmehr in Seinem eignen, persönlichen und besonderen Dienste, Er hält selbst den „Schlüssel“ in Seiner Hand, und dies gibt uns Vertrauen. Wenn sich auch schäumende Wogen um uns her auftürmen und die Predigt des Evangeliums untersagt zu werden droht, so wissen wir dennoch, dass alles in Seiner Hand ist. Ich wünsche vielleicht, dass das Evangelium in dem einen oder andern Lande gepredigt werden möchte, allein die Hindernisse scheinen zu zahlreich und zu groß zu sein; da ist es denn mein Trost, dass Christus den Schlüssel hat, und dass die Macht Gottes zu Seiner Verfügung steht. Etwas Ähnliches finden wir in Joh 10 in den Worten: „Diesem tut der Türhüter auf.“ Als Jesus Selbst auf dieser Erde auftrat, wie uns dies in den Evangelien mitgeteilt wird, da war niemand im Stande, Sein Zeugnis zu hindern. Alle Mächte der Erde – die Pharisäer, die Gesetzgelehrten, die Hohenpriester, die Landpfleger, Pilatus und Herodes (diese Füchse) – konnten kein einziges armes Schaf hindern, die Stimme des guten Hirten in den Tagen Seines Fleisches zu hören. So ist es auch heute noch, denn „Jesus Christus ist Derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.“ Dies ist unsere Zuversicht bei der Predigt des Evangeliums; denn trotz aller Freiheit, die wir in unserm so hoch begünstigten Lande genießen, könnten wir dennoch auf kein einziges Jahr länger rechnen, wenn wir nicht die einfache Verheißung besäßen: „Ich habe vor dir gegeben eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag.“ So kann ich auch ohne Furcht in irgendein anderes Land gehen, wie schwierig auch dessen äußere Verhältnisse liegen mögen, sobald ich sehe, dass Gott eine offene Tür vor mir gegeben hat. Selbstredend müssen wir warten, bis der Herr die Zeit für gekommen „hält, die Tür zu öffnen. So sehen wir z. B. bei Paulus, dass es ihm zu einer gewissen Zeit nicht erlaubt wurde, das Wort in Asien zu reden, während wir ihn später drei Jahre lang dort tätig finden, und der Herr sich so zu seiner Arbeit bekannte, dass ganz Klein-Asien, in dessen Hauptstadt Ephesus er eine Versammlung gründete, das Wort Gottes hörte. Wir werden uns ohne Zweifel damit zufrieden geben müssen, im Glauben uns auf den Arm Dessen zu stützen, der den Schlüssel hat, und unsere Seelen durch unser Ausharren zu gewinnen; denn stets werden Umstände vorhanden sein, die unsern Glauben üben, und Gott wird diese erlauben, um uns zu beweisen, dass wir nichts ohne Ihn tun können. Wir werden dann entdecken, dass wir keine Kraft haben, dass Gott aber nach Seiner eigenen Kraft unsrer Schwachheit zu Hilfe kommt, weil Er nicht anders kann, als dem Glauben, den Er gegeben, zu antworten: „Ich habe vor dir gegeben eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag.“ Dieses Wort: „die niemand zu schließen vermag,“ hat mir oft große Zuversicht gegeben. Es ist eine köstliche Ermunterung, dass, wenn Christus eine Tür geöffnet hat, niemand sie schließen kann, weder Mensch, noch Teufel, noch böse Geister; und selbst wenn wir nicht genug Kraft haben, die geöffnete Tür aufzustoßen, so ist sie doch für uns geöffnet. Die ganze Versammlung ist schwach, so schwach wie möglich, und zwar in einem schlimmen Sinne; denn was für einen Glauben besitzen wir? Wenn wir hören von einem kleinen Glauben, so zeigt Gott uns Seine Macht. Aber wo hört man unter uns von der Kraft und der Energie des Glaubens?

„Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, so will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung.“ Das besiegelt unsre Sicherheit und unsre Kraft. Es ist das Ausharren Christi, denn auch Er wartet auf das Reich: „fortan wartend, bis Seine Feinde gelegt sind zum Schemel Seiner Füße.“ Wir warten wie Er und mit Ihm; aber hier ist es das Wort des Ausharrens. Dieses Wort ist unser Gewährsmann und unsere Sicherheit; Er führt uns durch dasselbe in dieselbe Gesinnung und in denselben Geist ein, in welchem Er selbst wartet, getrennt von der Welt und mit Ihm eins in derselben Hoffnung, derselben Freude und demselben Glück, keine Ruhe findend, bis auch Er die Seinige gefunden hat. – Das Wort leitet unsre Gedanken, indem es uns die Seinigen mitteilt und uns in dieselbe Erwartung einführt, welche Er hat. Möchten wir nun in diesen letzten gefährlichen Zeiten das Wort des Ausharrens Christi festhalten! Unsere Kraft gegen den Widersacher ist die Erkenntnis, die wir von Christo selbst haben, nicht in Seiner kirchlichen Macht, sondern indem wir Ihn kennen als den Heiligen und Wahrhaftigen, indem wir warten wie Er, von der Welt getrennt, indem wir Sein Wort bewahren und für Ihn leben, wissend, dass Er uns aus der Versuchung, welche über die Welt hereinzubrechen droht, herausnimmt. Mittlerweile ist trotz allem die geöffnete Tür des Dienstes unser Teil.

Indem wir so mit Ihm verbunden sind, haben wir dasselbe Teil, wie Er. Da wir im Geiste nicht auf der Erde wohnen, sondern mit Ihm warten, lässt Er uns nicht durch die Stunde der Versuchung hindurch gehen, welche alle diejenigen sichten wird, die ihre Heimat hienieden haben. Die Menschen dieser Welt werden durch die Macht des Feindes und die Drangsal, die von Seiten Gottes über sie kommt, in Bestürzung geraten; für diejenigen unter den Seinigen aber, welche an dieser Welt hängen, wird Er die letztere so zur Qual machen, dass sie nicht länger damit verbunden bleiben können. Diesem allen entrinnt der Heilige von Philadelphia; er kann seine Augen zum Himmel und zu dem himmlischen Christus erheben, dem er angehört, und das mit Ihm verbundene Herz weiß, dass Christus es nicht täuschen wird, sondern dass Er, sobald Er sich erhebt, um Seinen Platz der Welt gegenüber einzunehmen und Seine Macht gegen sie zu offenbaren, Seine Geliebten zu sich nehmen wird, um bei Ihm zu sein, der Hoffnung gemäß, welche Er ihnen gegeben hat. Halten wir uns nur einfach an das geschriebene Wort Gottes, so können wir vor aller Macht unsrer Gegner Stand halten; nicht als ob wir ihre Gegner wären – Gott wolle uns davor bewahren! Aber in unserm Herzen möge das Bewusstsein lebendig sein, dass der Herr uns anerkennt; mögen wir mit unsern Herzen so in der Nähe Gottes uns befinden, dass wir Sein Wort, eben weil es Sein Wort ist, zu unserm Führer nehmen! Dann wird die Macht Christi, diese Seine Kraft, in unsrer Schwachheit vollbracht werden. Was die wahren Heiligen in der gegenwärtigen Zeit charakterisiert, ist das geschriebene Wort Gottes, welches dem Herzen den Charakter und den Namen Christi als Wahrheit und Heiligkeit mitteilt. Indem sie so in Gemeinschaft mit Dem wandeln, welcher „der Heilige und der Wahrhaftige“ ist, sind sie geborgen.

„Siehe, ich gebe aus der Synagoge des Satans von denen, die da sagen, dass sie Juden seien, und sind es nicht, sondern lügen; siehe, ich werde machen, dass sie kommen und huldigen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Hier begegnen wir Personen, die einen entgegen gesetzten Charakter tragen, und der Herr spricht sehr deutlich über sie. Er schont sie in keiner Weise: sie sind die Synagoge Satans. Worauf machten diese Juden Anspruch? Sie beriefen sich auf alles, was ihnen äußerlich ein religiöses Recht zum Regieren, zum Befehlen in Sachen der Wahrheit gab, nämlich auf das Altertum und die von Gott eingesetzten Satzungen, die ihnen wirklich anvertraut und der Beweis waren, dass sie das wahre und einzige Volk Gottes, das von Gott eingesetzte Priestertum bildeten. Sie machten Anspruch darauf, die einzigen berechtigten Verwalter der Segnungen Gottes und im Besitz Seiner Aussprüche zu sein; sie behaupteten auch, Eifer für Gott zu haben. Außer ihnen besaß niemand diese Vorrechte. Wo sollte man also anders das ewige Leben finden? Doch wenn die Autorität Christi im Herzen anerkannt wird, dann gilt das Wort: „Dies habe ich euch geschrieben, auf dass ihr wisset, dass ihr das ewige Leben habet, die ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes.“ Wenn Gott uns das ewige Leben in Christo gegeben hat, so bedürfen wir derjenigen nicht, welche sich anmaßen, die ausschließlichen Verwalter desselben zu sein; wir können auch nicht gestatten, dass irgend etwas zwischen uns und Ihn trete und uns von Ihm trenne; wir können nicht von Christo weggehen – und den wahren Christus haben wir im Worte gefunden – noch von etwas anderem reden, als von demjenigen, was wir gesehen und gehört haben. Wer mich anderswo hinführen möchte, den kann ich mit Leichtigkeit als der Synagoge Satans angehörend erkennen. Es mag sein, dass solche Personen jetzt Erfolge haben; ich aber will mit Christo warten und das Wort bewahren, worin Er mich anweist, mit Ihm zu warten, bis Er kommt und die Segnung und die Herrlichkeit offenbart.

Wenn Gott uns nun das ewige Leben gegeben hat, so sollten wir uns in gar keine Erörterung mit denen einlassen, welche der Synagoge Satans angehören, als ob sie irgend ein Recht von Gott hätten – denn sie haben keins; vielmehr haben wir zu beurteilen, ob wir ihnen oder Gott Gehorsam schuldig sind. Wir haben den „Heiligen und den Wahrhaftigen,“ und „das Geheimnis Jehovas ist für die, so ihn fürchten.“ Die Heiligen in Philadelphia sollten nicht mit dieser Synagoge Satans streiten; und obwohl sie nur „eine kleine Kraft“ und kein Ansehen hatten, so sollten sie dennoch ihre Seelen durch ihr Ausharren gewinnen, weil Christus Seine Liebe zu ihnen angesichts ihrer Gegner offenbaren wollte. Die Synagoge Satans war eine Religion des Fleisches, welche sich auf äußere Dinge, auf alles, was die Natur als religiös für sich in Anspruch nehmen kann, auf Werke, Satzungen und dergleichen stützte, indem ihre Bekenner den Platz der Juden, wie sie zur Zeit des Apostels Paulus auftraten, einnahmen und behaupteten. Heutzutage ist es in geistlicher Beziehung noch genau so. Aber: „Ich werde machen, dass sie erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Der griechische Text legt besonderen Nachdruck auf die Wörtchen „ich“ und „dich.“ Die Frage ist jetzt einfach die: Ist mir Christus genug? Ist die Anerkennung von Seiten Christi für mich ein genügender Beweggrund, mein Betragen zu leiten? Wenn diese Anerkennung nicht genügt, um eine Seele zu befriedigen, so kann diese Seele niemals richtig wandeln.

„Ich komme bald, halte fest, was du hast,“ nämlich „das Wort meines Ausharrens.“ Der Herr sagt gleichsam: „Ich warte, und ihr müsst warten.“ Er wartet bis Seine Feinde gelegt sind zum Schemel Seiner Füße. Anstatt unsre Bequemlichkeit zu suchen, haben wir zu warten, bis Er auf den Schauplatz tritt, gleich wie Er stets wartete, bis Sein Vater eingriff, und wie Er jetzt wartet, bis Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt werden. Ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, welchen hervorragenden Platz das Wort "mein" in diesem Sendschreiben hat. Wir sehen darin die praktische Einsmachung der Gläubigen mit dem „Heiligen und Wahrhaftigen;“ wir, die wir mit Ihm warten, verworfen von denen, welche alle Satzungen und das Altertum für sich haben, werden Mitteilnehmer Seiner Herrlichkeit sein. Das Wort "mein" steht in besonderer Weise in Verbindung mit alledem, was in der Herrlichkeit ist. Ihr wäret schwach im Zeugnis hienieden, aber ihr habt „das Wort meines Ausharrens“ bewahrt, und ihr werdet eine „Säule“ der Kraft sein „in dem Tempel meines Gottes.“ „Ich will auf euch schreiben den Namen meines Gottes, den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel hernieder kommt von meinem Gott, und meinen neuen Namen.“ Diese Einsmachung mit Christo im Ausharren, ja in allem, ist voll des höchsten Interesses und der tiefsten Belehrung.

Der Herr gebe uns Gnade, in der Kraft des Geistes zu wandeln! Er gebe uns, dass unsere Herzen so auf Ihn gerichtet seien, wie Er als der Heilige und Wahrhaftige geoffenbart ist, indem wir das Wort Seines Ausharrens bewahren, damit Seine Anerkennung unsre ewige Belohnung sei! Möge Er uns getrennt erhalten von der Welt, über welche Er zum Gericht kommen wird! Wie ganz anders ist es, etwas zu erwarten, das gleich einem gezückten Schwerte über dem Haupte hängt oder aber Christum so zu kennen, Ihn so völlig als den Gegenstand unsrer Wünsche und unsrer Liebe zu besitzen, dass, wenn Er sagt: „Ja, ich komme bald!“ die unmittelbare Antwort unsrer Herzen ist: „Amen! Komm, Herr Jesu!“

Wir haben uns am vorigen Abend die allgemeinen Charakterzüge der Versammlung zu Philadelphia vergegenwärtigt, so weit es nötig war, um den Zusammenhang dieser Versammlung mit der vorigen (Sardes) zu zeigen. Mit des Herrn Hilfe werden wir heute die Einzelheiten der Versammlung von Philadelphia betrachten. Da ist zunächst als ein Hauptzug hervorzuheben, dass es sich in diesem Sendschreiben um eine besondere Segnung handelt, einem besonderen Bedürfnis gegenüber. Nachdem wir in den vorhergehenden Versammlungen die Entfaltung des schrecklichen Bösen gesehen haben, finden wir jetzt bei Philadelphia nur Barmherzigkeit und Segnung.

Es ist sehr köstlich, zu bemerken, dass Gott, so arm und schwach Sein Volk auch sein mag, selbst wenn die Getreuen sich auf einen Überrest von einzelnen Personen beschränken, dieselben nie vergisst. Sein Auge ruht stets auf ihnen, um ihnen aus Seinen eigenen Hilfsquellen darzureichen, wie und wann sie es bedürfen, in einer Zeit, wo alles um sie her so dunkel wie möglich ist. Wenn beide, Kirche und Welt, sich in einer Finsternis befinden, dass man sie mit Händen greifen kann, so besitzen die wenigen Getreuen am meisten „Licht in dem Herrn.“ Denn das Leben des Glaubens wird stets durch die treue Gnade Christi in einer Weise genährt und unterstützt, die im Verhältnis steht zu der Macht, die sich dem Glauben entgegenstellt, und zu den Schwierigkeiten, die es durchzumachen gibt. Es ist eine andere Frage, in welchem Maße der Herr sich in dieser Zeit des Verfalls Seines Volkes als Zeugnis bedienen kann; dies wird Seine Weisheit entscheiden. Ein Beispiel hiervon sehen wir in Israel, wie wir dies schon früher bemerkten. Die Sünde des Volkes anlässlich der Aufstellung des goldenen Kalbes fand ihre Antwort in der inneren geistlichen Kraft bei Mose, als er das Zelt außerhalb des Lagers aufschlug; und als späterhin der Baalsdienst öffentlich anerkannt und eingeführt war, erweckte Gott Elias und Elisa mit gewaltigen äußern Offenbarungen der Macht, während die siebentausend Getreuen damals von Gott verborgen waren. Der Herr mag es nicht für gut finden, das, was gefehlt hat, mit der äußeren Ehre des Zeugnisses zu bekleiden; aber Er verleiht die nötige Gnade und die innere Macht des Lebens, um die einzelne Seele zu unterstützen, und diese Gnade, welche im Blick auf die jetzigen Heiligen von dem verherrlichten Haupte zur Erhaltung des Leibes auf Erden ausströmt, kann nie fehlen. So mögen z. B. jene Gaben in der Versammlung, welche zuweilen „Wundergaben“ genannt werden – als „Sprachen, Gaben der Heilung“ usw. – und der Versammlung als ein Zeugnis für die Welt und als Zeichen für die Ungläubigen gegeben waren, verschwunden sein; aber die Gaben, welche zur Erhaltung der Glieder des Leibes von dem Haupte herabfließen, können nie zurückgezogen werden; „denn niemand hat jemals sein eignes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, gleichwie auch der Christus die Versammlung.“

In dem Briefe an die Epheser, wo die Versammlung in besonderer Weise als der Leib Christi dargestellt ist, wird von den Gaben gesagt, dass sie der Versammlung „zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi“ gegeben sind. Hier werden die Wundergaben mit keinem Worte erwähnt, während wir im Korintherbrief von „Gaben der Heilung“, Arten der Sprachen“, „Auslegung der Sprachen“ etc. lesen. Wir finden also in der Schrift zwei bestimmt unterschiedene Arten von Gaben, zunächst die Wundergaben, d. h. öffentliche Zeichen, welche der Versammlung zum äußeren Zeugnis gegeben waren, damit eine ungläubige Welt dadurch angezogen werde; und dann jene Gaben, welche von dem Haupte zur Ernährung des Leibes ausströmen. Diese Ernährung muss stets fortdauern, sei es in Verbindung mit einem äußerlichen Zeugnis, oder sei es, dass sie unmittelbar von Christo selbst durch die Wirksamkeit Seiner Gnade ausgehe; nie aber wird diese von dem Haupte ausströmende Gnade fehlen. Und gerade dieses ist es, was in der Versammlung von Philadelphia zu Tage tritt; denn was sie kennzeichnet, ist Schwachheit – ein offener Mangel an Kraft, aber ein um so näheres Verhältnis zu Ihm, der die Kraft ist, ein höherer Grad von Liebe zu dem Herrn, eine größere Innigkeit der Gemeinschaft und endlich ein viel bestimmteres Einssein mit Ihm in den ihr gegebenen Verheißungen.

Die Versammlung zu Philadelphia kennzeichnet sich durch ihre Schwachheit aus , ohne dass der Herr jedoch einen Tadel für sie hat. Und wir müssen uns stets daran erinnern – mag Gott durch äußerliche Entfaltung Seiner Macht, durch Gaben der Heilungen, durch Sprachen und dergleichen der Welt gegenüber ein Zeugnis geben, oder mögen diese alle aufgehört haben – dass in dem Bewusstsein der Schwachheit stets eine hinlängliche Kraft liegt, vorausgesetzt, dass dasselbe mit dem Glauben vermischt ist. Das Herz mag bei diesem Bewusstsein der Schwachheit beklommen sein, ohne dass gerade Unglauben zu Grunde liegt. In dem Herrn Jesu war dieses Bewusstsein der traurigen Szene um Ihn her in so hohem Maße vorhanden, und Er gab demselben in den Worten Ausdruck: „Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Aber gerade dieses Gefühl war es, das Ihn unmittelbar mit Seinem Vater verband.

Bei uns ist es leider nur zu oft der Fall, dass wir uns so sehr mit den traurigen Umständen um uns her einlassen und unsere Seelen mit den Gegenständen der Trauer beschäftigen, dass wir in Gefahr kommen, zu zweifeln, ob Gott auch im Stande sei, in dieser Not zu helfen. Anstatt zu sagen: Bei der Menge meiner Kummergedanken in meinem Innern haben Deine Tröstungen mit Freude erquickt meine Seele,“ sind wir in der Menge unserer Gedanken nur damit beschäftigt, zu ratschlagen, was zu tun ist; und indem wir so auf die Umstände blicken, sowie auf das, was wir in uns finden, und uns damit beschäftigen, lassen wir Gott ganz aus dem Spiele. So handelte der Herr Jesus aber nie. Sobald die Stunde der Angst vor Seine Seele trat, rief Er aus: „Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Wenn wir uns in einer anderen Weise mit unserer Schwachheit beschäftigen, als dass wir dadurch zu dem unmittelbaren Gefühl der Kraft Gottes gebracht werden, in welcher Er mit uns und für uns ist, so ist es Unglauben. Zudem liegt unsere Kraft nicht in dem Gefühl der Größe der Gaben und Offenbarungen Gottes; denn Zeichen und Wunder teilen keine innere Kraft mit. Wohl können sie uns in Zeiten der Prüfung Sein Wort bestätigen, nie aber verleihen sie innere Kraft. Es ist sehr wichtig, dieses recht zu verstehen. Nehmen wir als Beispiel den Apostel Paulus. Er ward in den dritten Himmel entrückt und hörte dort Worte, welche auszusprechen einem Menschen unmöglich war.

Dies war etwas Außerordentliches, und die Seele des Paulus fand ohne Zweifel in der Erinnerung daran eine Art Halt in den mannigfachen Prüfungen Seines Weges; aber innere Kraft verlieh es ihm nicht. Im Gegenteil, sein Fleisch würde sich, ohne die allmächtige Bewahrung Gottes, erhoben haben – und das ist nicht Kraft. Als er aber etwas empfing, das ihn zum Bewusstsein seiner eignen Schwachheit brachte, da konnte sich die Kraft Gottes geltend machen. Und so verhält es sich mit uns; unsere Herzen sind so trügerisch, und unser Fleisch ist so schlecht, dass, wenn wir nicht darüber wachten, wir alles missbrauchen würden, was Gott uns kund macht. Wir brauchen uns nicht bei der Frage aufzuhalten, worin jener „Dorn im Fleische“ für Paulus bestand – obwohl man oft aus bloßer Neugierde viel darüber nachgeforscht hat; es ist für uns von viel größerer Wichtigkeit, zu bemerken, dass ein jeder von uns einen besonderen Dorn haben wird, je nach der Gefahr, der er ausgesetzt ist. Soviel wissen wir aus Gal 4,13+14, dass es etwas war, das ihn dem Fleische nach verächtlich machen konnte, und so in seinem Dienste eine fühlbare Schwachheit hervorrief. Deshalb schrie Paulus dreimal zum Herrn, dass Er es wegnehmen möchte, aber der Herr antwortete ihm: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.“ Paulus musste diese Schwachheit fühlen, um zu lernen, wo die wahre Kraft war; und dann konnte er sich seiner Schwachheit rühmen, auf dass die Kraft Christi ihm einwohnte, wie er sagt: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich mächtig.“ Der Blick auf Gott verleiht immer Kraft; wenn aber unser Geist bei seiner Schwachheit stehen bleibt, anstatt sie vor Gott zu bringen, so ist das Unglauben. Schwierigkeiten mögen sich erheben, und Gott mag gestatten, dass mancherlei kommt, was unsere Schwachheit an den Tag bringt; allein der einfache Weg des Glaubens besteht darin, dass wir „vorangehen, ohne im voraus zu untersuchen, was wir zu tun haben, indem wir auf die Hilfe rechnen, welche wir bedürfen und auch finden werden, sobald es an der Zeit ist. Im Bewusstsein unsers eigenen Nichts sind wir glücklich, uns selbst vergessen zu dürfen, und dann wird Christus alles für die Seele. Wenn wir den einfachen Weg des Gehorsams in dem, was uns zu tun obliegt, verfolgen, so ist wirkliche Kraft für uns vorhanden, worin auch die Prüfung bestehen mag. So verhielt es sich auch mit David, als er kämpfen musste. Er sagte zu Saul: „Jehova, der mich errettet hat aus der Hand des Löwen und aus der Hand des Bären, Er wird mich erretten aus der Hand dieses Philisters.“ Für David war es nicht von Wichtigkeit, ob es sich um den Löwen, den Bären, oder den Riesen der Philister handelte; alles das war für ihn dasselbe, denn in sich selbst war er eben so schwach dem Einen wie dem Anderen gegenüber; doch er geht ruhig voran und tut seine Pflicht, in der vollen Gewissheit, dass Gott mit ihm sein werde. Das ist Glauben. Einen völligen Gegensatz hierzu finden wir in dem Unglauben der von Mose ausgesandten Kundschafter. Sie sagten zitternd, dass sie wie Heuschrecken gewesen seien in den Augen ihrer Feinde, und vergaßen so völlig, was Gott für sie war. Sie stellten sich selbst den Kindern Enaks gegenüber, anstatt diese Gott gegenüber zu stellen. Sehe ich aber einfach auf den Herrn, so „vermag ich alles in Dem, der mich kräftigt.“ Wenn die Schwierigkeiten kommen, so sollte unser Blick nicht auf uns, sondern in dem Bewusstsein, dass wir nichts als Schwachheit sind, einfach auf den Herrn gerichtet sein, in welchem alle Kraft für uns ist.

In Philadelphia sehen wir offenbare Schwachheit, – aber zugleich auch Treue. Es kann scheinbar eine große Kraft vorhanden sein und dennoch ist es nichts als Schwachheit; es kann, wie der Heilige Geist zu den Korinthern sagt, die Gabe, mit den Sprachen der Menschen und der Engel zu reden, das Verständnis aller Geheimnisse und alle Erkenntnis vorhanden sein, und doch zugleich die allergrößte Schwachheit herrschen, weil dieses alles nicht in Gemeinschaft mit Gott ausgeübt wurde. Es gibt keinen gefährlicheren Zustand, als wenn die äußere Kundgebung von Kraft die innere Verbindung und Gemeinschaft der Seele mit Gott überschreitet; das innere Leben muss in Übereinstimmung sein mit  der äußeren Entfaltung der Kraft.

„Dieses sagt der Heilige und der Wahrhaftige.“ Wir sehen hier in Philadelphia den Herrn in Seinem moralischen Charakter, nicht aber in Seiner persönlichen Macht als Sohn Gottes. Sein Charakter als „der Heilige und der Wahrhaftige“ ist der Maßstab des Gerichts über alles, was mit Ihm nicht übereinstimmt; zugleich aber passt Er sich auch als solcher in Gnade der Lage und den Bedürfnissen Seiner Getreuen an und gibt ihnen durch Seine Wahrheit die Fähigkeit des Urteils, die Sicherheit des Herzens und das Vertrauen. Es stehen Ihm auch zu Gunsten der Versammlung solche Mittel zu Gebote, dass, wenn Er eine Tür öffnet, niemand zu schließen, und wenn Er sie schließt, niemand zu öffnen vermag. Wir finden hier also zweierlei: Zunächst ist Er für alle, welche Ihm vertrauen, der Heilige und der Wahrhaftige; und dann besitzt Er, obwohl wir hier nicht die wirkliche Entfaltung der Gewalt sehen, den Schlüssel der Gewalt, wie Jehova von Eliakim zu Sebna (Jes 22,22) sagt: „Und auf Seine Schulter will ich legen den Schlüssel des Hauses Davids, und Er wird öffnen und niemand zuschließen, und Er wird zuschließen und niemand öffnen.“ Wo also jede Schwachheit sich findet, ermuntert Er die Versammlung, auf Ihn, den Heiligen und den Wahrhaftigen, zu blicken und Ihm zu vertrauen; und wo Sein Recht, zu öffnen und zu schließen, der Stützpunkt der Seele ist, wo dieses Vertrauen auf Seine Person, diese Gleichförmigkeit mit Seinem Charakter vorhanden ist, da ist die Versammlung in völliger Sicherheit. Was sich auch ereignen möge, selbst wenn die Macht des Menschen und des Satan bis zum äußersten ginge – ruhe ich in Christo, der vollkommen wahrhaftig ist, und hat Er eine Tür vor mir geöffnet, so kann weder Mensch noch Teufel sie schließen.

Diese Stellung der Versammlung zu Philadelphia hat eine überraschende Ähnlichkeit mit derjenigen des Herrn, als Er hienieden war. Alles suchte vor Ihm die Tür zu verschließen: Pilatus, Herodes, Schriftgelehrte, Pharisäer und das ganze Volk der Juden. Auch befand Er sich, gleich der Versammlung in Philadelphia, inmitten einer Ordnung von Dingen, welche Gott einst eingesetzt hatte, die aber in gänzlichen Verfall geraten war; denn zur Zeit Christi war keine Bundeslade da, keine Urim und Thummim, keine Schechinah (die Herrlichkeit der Gegenwart Gottes im Tempel); alles das, was die sichtbare Entfaltung der Macht und des Zeugnisses ausgemacht hatte, war verschwunden, und anstatt, dass Jehova in Jerusalem einen Thron gehabt hätte, waren die Juden selbst unter die Macht der Nationen geraten, waren Sklaven eines menschlichen Thrones geworden. Gerade dieses Verhältnis machte die Frage der Pharisäer und Herodianer: „Was denkst Du: Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht?“ so überaus spitzfindig. Hätte der Herr mit „nein“ geantwortet, so würde Er damit die Strafe Gottes wegen ihrer Sünden geleugnet haben; hätte Er ihre Frage bejaht, so würde das einem Aufgeben Seiner Rechte als Messias gleichgekommen sein. Doch Er erkannte ihre Bosheit, und Seine Antwort ließ sie verstummen. Die Bedeutung derselben war diese: Da ihr euch wegen eurer Sünden unter diese Herrschaft gebracht habt, so müsst ihr euch jetzt den Gesetzen derselben unterwerfen. Er erklärt damit nicht allein, dass die Gewalten, welche sind, von Gott verordnet sind, und wir uns derselben als solchen zu unterwerfen haben, sondern hier in dem Fall Israels würde Er, wenn Er anders geantwortet, verneint haben, dass die Strafe Gottes wegen ihrer Sünden über sie gekommen war, wie geschrieben steht: „Siehe, wir sind heute Knechte... um unsrer Sünden willen.“

Der Herr selbst unterwarf sich der Entrichtung der Tempelsteuer. Aber wenn auch Israel – als Volk – Gott gegenüber nicht treu geblieben war, so konnte doch Gott Seine Treue gegen dasselbe nicht verleugnen; denn Sein Geist wohnte in der Mitte. (Vgl. Haggai 2,5) Deshalb gab es auch einen kleinen Überrest in Israel, wie z. B. Hanna und Simeon, welcher auf die Erlösung in Israel wartete. Es herrschte also ein Zustand gänzlicher Finsternis in Israel, und als Der, welcher das Licht war, erschien, wurde Er alsbald verworfen. Aber war nun die Tür vor Ihm verschlossen? Nein, – sondern „diesem tut der Torhüter auf“ (Joh 10,3). Christus ging durch die Tür in den Schafhof ein und stieg nicht wie die, welche vor Ihm diesen Platz beansprucht hatten, anderswo hinüber. Er betrat, indem Er in göttlicher Macht wirkte, den von Gott bezeichneten Weg, und niemand konnte die Tür vor Ihm verschließen. Ebenso hat Gott auch uns den Weg bezeichnet; Christus sagt von sich selbst: „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, der wird errettet werden.“

Alles was unsere Stellung mit Christo, als einem Beispiel  und Muster, verbindet, ist in Wahrheit eine Segnung für uns. Hat es wohl je einen Menschen gegeben, der in allem eine solch wunderbare, demütige Treue Gott gegenüber bewies, wie Er? Vergleichen wir z. B. Seinen niedrigen Pfad mit demjenigen des Elias. Elias übte seinen Dienst aus mit großer, äußerer Machtentfaltung, indem er Feuer vom Himmel herabfallen ließ, um die Propheten Baals zu vernichten, und er meinte, er sei allein Gott treu geblieben, während Gott noch siebentausend Mann kannte, die ihre Knie nicht gebeugt hatten vor Baal; aber Elias hatte sie nicht entdeckt. Christus dagegen war zufrieden, nichts zu sein in einer Welt, wo der Mensch alles und wo Gott ausgeschlossen war; Er ließ es über sich ergehen, als der Auskehricht der Welt behandelt zu werden. Und doch gab es zu gleicher Zeit kein einziges verlorenes Schaf vom Hause Israel (mochte es auch der verworfenste Sünder, das Weib von Samaria, die Ehebrecherin, oder ein Zöllner sein) das Seine Stimme, die Stimme des guten Hirten, nicht erreicht, oder das Sein Auge nicht entdeckt hätte. Deshalb stellt Er, kraft dieser Seiner Erniedrigung, alle, welche jetzt nur jene „kleine Kraft“ besitzen, an denselben Platz, den Er eingenommen hat, und gleichwie der Türhüter Ihm aufgetan, so tut Er jetzt auch ihnen die Tür auf, welche niemand zu schließen  vermag.

Wir warten auf die Herrlichkeit: „die Herrlichkeit, die DU mir gegeben, habe ich ihnen gegeben;“ aber während wir so warten, müssen wir einen Schauplatz durchschreiten, der gleichsam die Überschrift „Ikabod“ (Nicht-Herrlichkeit; vgl. 1. Sam 4,21) trägt. Das Zeugnis der gegenwärtigen Verwaltung ist, was seine öffentliche Macht anlangt, dahin, um nie wieder hergestellt zu werden. Was der Herr jetzt Seinen Heiligen einschärft, ist, dass sie nicht denken sollen, ein Übel, wie dasjenige von Thyatira und Sardes, könne je wieder geordnet werden. Er sagt nur: „Ich komme bald; halte fest, was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme;“ das heißt: Bewahre das Wort meines Ausharrens, bis ich komme. Wir befinden uns also in Umständen, die denjenigen des Herrn ähnlich sind, und wenn Er sagt: „Ich komme bald,“ so geschieht dies, um unsere Stellung der Seinigen um so ähnlicher zu machen – eine Stellung, welche, wenn auch verbunden mit Prüfungen und Demütigungen, eine sehr segensreiche ist, indem sie derjenigen völlig gleicht, welche Jesus einnahm und dieselbe Verheißung hat: eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag. Der Glaube ist nötig für die gegenwärtige Zeit. Es handelt sich nicht um viel Kraft; was wir am meisten bedürfen, ist mehr Ähnlichkeit mit der  Stellung Christi.

Dann gibt es noch etwas anderes, was der Versammlung in Philadelphia eigentümlich ist. Der Herr beschäftigt sich nicht damit, ihre Werke zu prüfen, sondern Er stellt die Herzen dieser Armen und Schwachen zufrieden mit dem Bewusstsein, dass Er dieselben kennt. Bei den früheren Versammlungen war es anders; dort hob Er stets den Charakter ihrer Werke hervor. So sagt Er zu Sardes: „Ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott.“ Für uns aber genügt es, zu wissen, dass Er unsere Werke kennt. Welch ein Trost ist das für uns! Ach! wenn wir nach Vollkommenheit zu suchen hätten, wie schwer würde es uns werden, Rechnung abzulegen! Die gegenwärtige Verwirrung, der schwache Glaube, alles das würde uns verzagt machen; denn unsere Werke entsprechen in Wirklichkeit durchaus nicht der empfangenen Gnade. Wohl ist viel Tätigkeit vorhanden, viel, was von Seiten des Menschen Beifall finden kann; wenn wir aber den allgemeinen Charakter des Dienstes betrachten, wie schwer ist es dann, etwas zu finden, das Gottes Beifall haben könnte. Im Blick auf den allgemeinen Zustand der Dinge um uns her und denjenigen der Versammlung Gottes selbst würden unsere Herzen ganz und gar verzagen müssen, wenn wir unsere Zuflucht nicht zu der gesegneten Wahrheit nehmen  könnten,  dass Christus  alles weiß.

Doch sagt der Herr, dass gar nichts bei ihnen vorhanden sei? O nein; Er sagt: „Du hast mein Wort bewahrt.“ Das, was Christum charakterisierte, muss auch das Kennzeichen der Versammlung Gottes sein. Christus konnte sagen: „In meinem Herzen habe ich verborgen Dein Wort,“ und dies ist auch das besondere Kennzeichen der Treue in den letzten Tagen. Paulus schreibt an Timotheus, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten kommen und eine schreckliche Form der Gottseligkeit ohne Kraft vorhanden sein würden – denn schon damals war das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam – und dass „böse Menschen und Gaukler im Bösen fortschreiten“ würden. Den einzigen Schutz gegen dieses Übel bezeichnet der Apostel mit den Worten: „Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und dessen du überzeugt bist, da du weißt, von wem du gelernt hast, und weil du von Kind auf die Heiligen Schriften kennst,“ – jenes einfache, geschriebene Wort, welches wir die Bibel nennen und das er von Jugend auf gelesen hatte. Die Sicherheit sollte nicht in der Kundgebung äußerer Macht, noch auch in Zeichen und Wundern bestehen, sondern einfach und allein in dem geschriebenen Wort. Dies war das Mittel der Segnung, dies die von Timotheus anerkannte Autorität. Selbstredend war die Gnade Gottes zu seiner Bekehrung notwendig gewesen.

Ich erwähne dies hier, weil das treue Festhalten an dem Worte, an der unbedingten Autorität des Wortes Gottes selbst, in diesen letzten Tagen die einzige Sicherheit bietet. Das war es, was Timotheus als Kind in den Schriften gefunden hatte; und diesem war natürlich das hinzugefügt worden, was er von den gleichfalls inspirierten Aposteln gelernt hatte, und was auf diese Weise für ihn zu einer gekannten und unmittelbar göttlichen Autorität in einer Person wurde – „du weißt.“ sagt der Apostel, „von wem du gelernt hast“ – und was seitdem für uns das geschriebene Wort geworden ist. Dieses geschriebene Wort Gottes ist es, in welchem für uns durch die Gnade alle Sicherheit liegt.

Der Herr sagt nicht zu Philadelphia: „Ihr habt Kraft,“ wohl aber: „ihr habt mein Wort bewahrt; auch sagt Er nicht: „ihr habt mich unter diesem oder jenem Charakter gekannt,“ sondern: „ihr habt meinen Namen nicht verleugnet.“ Der Name des Herrn bedeutet immer die Offenbarung dessen, was Er ist. Der Herr sagt hier gleichsam: Da du an mir festgehalten hast, so wie ich mich geoffenbart habe, so will ich machen, dass die, welche einen falschen Namen und falsche Ansprüche haben, „kommen und huldigen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“

Hier sehen wir die beiden Charaktere einander gegenübergestellt. Beachten wir auch den Nachdruck, der auf dem Worte „mein“ liegt. Ich bin berufen, mich auf das Wort Christi zu stützen. „Mein Wort“ sagt Er; es ist das Wort Christi selbst, die persönliche Gemeinschaft mit Ihm selbst – nicht das Wort der Kirche. Würde ich z. B. das Wort der Kirche annehmen, so schriebe ich dadurch der Kirche Autorität zu; ist es aber das Wort Christi, das ich annehme, so besitze ich die Autorität Christi selbst, und durch dieses Wort muss ich alles, auch wenn es die Kirche selbst betrifft, beurteilen. Das Wort Christi verbindet uns mit Ihm, mit Seinem Namen und mit Seiner Person, und beides ist für uns ganz besonders nötig, um uns in den Stand zu setzen, den verführerischen Mächten zu widerstehen, welche, wie wir wissen, ein Charakterzug dieser letzten Tage sind; wie geschrieben steht: „Böse Menschen aber und Gaukler werden im Bösen fortschreiten;“ und: „dieses habe ich euch von denen geschrieben, die euch verführen.“

Wenn es sich um den allgemeinen Charakter der Zeiten handelt, so wissen wir, dass wir jetzt eine verführerische Macht zu erwarten haben. Ein persönlicher Antichrist wird erscheinen, um diese Macht der Verführung in ganz besonderer Weise zu offenbaren; aber „auch jetzt sind viele Antichristen geworden,“ und deshalb haben wir „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen.“ Wenn der, dessen Ankunft nach der Wirksamkeit Satans ist, in aller Macht und Zeichen und Wundern der Lüge, diejenigen betrügen wird, welche verloren gehen, „darum dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden,“ so tut es uns Not, an dem festzuhalten, was uns vor ihm, der als ein Engel des Lichts erscheint, allein bewahren kann; die aber, welche die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, werden in seinen Schlingen gefangen werden. Und diesen Schutz besitzen wir in dem Worte Christi selbst, indem wir das Wort Seines Ausharrens bewahren und Seinen Namen nicht verleugnen. Es muss dies eine persönliche Sache sein; denn da die verführerische Macht vorhanden ist, so sind die Zeiten, in denen wir leben, „schwere Zeiten“ – nicht wegen offener Verfolgungen oder ähnlichen Schwierigkeiten, sondern weil unsere Herzen, gleichwie Eva durch List der Schlange verführt wurde, in Gefahr stehen, verderbt und von der Einfalt, die in Christo ist, abgewandt zu werden. Und ich wiederhole noch einmal, dass der einzige Schutz gegen die List und Macht Satans nicht in unserer Kraft besteht – denn wir sind die Schwachheit selbst: „du hast eine kleine Kraft“ – sondern darin, dass eine jede einzelne Seele persönlich an dem geschriebenen Worte Christi festhält und Seinen Namen nicht verleugnet.

Es scheint nicht viel zu sein, wenn von den Gläubigen zu Philadelphia gesagt wird, dass sie Sein Wort bewahrt und Seinen Namen nicht verleugnet haben; Sie hatten in der Tat nicht viel getan. Allein wenn dieses von ihnen gesagt werden konnte zu einer Zeit, da die verführerische Macht des Bösen vorhanden war, so war damit alles gesagt. Sie bewahrten das geschriebene Wort, als alles um sie her darauf hinarbeitete, es bei Seite zu setzen; sie verleugneten den Namen Christi nicht, während er auf allen Seiten verleugnet wurde. In den Augen Gottes ist es nicht etwas Großes, Feuer vom Himmel herabfallen zu lassen, wie Elias dies tat, sondern treu zu sein inmitten der uns umgebenden Untreue. So schien es auch nicht viel zu sein, wenn von den Siebentausend, die sich dem groben Baalsdienste nicht angeschlossen hatten, gesagt wurde: „sie haben ihre Knie nicht vor Baal gebeugt!“ in Wahrheit aber hieß dies alles zu ihren Gunsten sagen, da ihre ganze Umgebung sich willig vor Baal in den Staub beugte. So wurde auch die Kirche Gottes im Anfang in Macht aufgerichtet, aber bald wurde das Unkraut in Menge unter den Weizen gesät. Das Kennzeichen der Getreuen besteht nun darin, dass sie, wenn die verführerische Macht des Bösen hereinbricht, sich durch dieselbe nicht verführen und mit fortreißen lassen. Es besteht nicht in der Kundgebung äußerer Macht, sondern in der Treue im Wandel mit Gott inmitten des Bösen. In der Versammlung zu Philadelphia war diese Treue im Wandel vorhanden, und sie verlieh den Getreuen innere Kraft, obwohl keine äußere Machtentfaltung vorhanden war.

„Siehe, ich gebe aus der Synagoge des Satans von denen, die da sagen, dass sie Juden seien, und sind es nicht, sondern lügen.“ Hier wird diese persönliche Treue in einem verborgenen Wandel mit Gott denjenigen gegenübergestellt, welche einem festgestellten System anhingen, dem es an Formen und an Ansehen im Fleische nicht fehlte. Dieselben rühmten sich, Juden zu sein, und unternahmen es, dasjenige wieder aufzurichten, was äußerlich das Volk Gottes gekennzeichnet hatte; aber sie berücksichtigten nicht, dass Gott etwas „Neues“ aufgerichtet hatte, welches das Herz auf die Probe stellt. Sie verwarfen das Wort Gottes nicht (ebenso wenig wie die Juden es taten) aber sie ließen sich nicht durch dieses Wort leiten. Die Juden erkannten die Schrift an, aber sie verwarfen Christum und töteten Ihn; wie Jesus selbst sagte: „Sie werden euch von der Synagoge ausschließen.“ Und sie taten dies in der Meinung, Gott damit einen Dienst zu erweisen. „Es kommt aber die Stunde, dass jeglicher, der euch tötet, meinen wird, Gott einen Dienst darzubringen.“ Dies aber war nichts anderes, als die Verwerfung des von Gott gesandten Lichtes: „Und dies werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben.“ (Joh 16,2+3) Eine althergebrachte Wahrheit, welche in der Welt Anerkennung gefunden hat und deshalb als orthodox bezeichnet wird, kann das Herz nicht auf die Probe stellen; sie verleiht der Natur Ansehen und verschafft Achtung. Wenn die Religion mir Anerkennung verschafft, anstatt das Herz in der Übung des Glaubens auf die Probe zu stellen, so kann ich versichert sein, dass es nicht die Religion Gottes ist. Es mag bis zu einem gewissen Grade die Wahrheit sein, aber es ist nicht der Glaube an Gott. So setzten jene Juden den Namen und das Wort Christi beiseite für Dinge, auf welche sie sich stützen konnten, während es kein Herz für Christum mehr gab. Überlieferungen, Satzungen, die Väter usw., das waren die Dinge, welche sie liebten, aber nicht das Wort Christi. Allerdings waren die Juden das Volk Gottes gewesen, aber sie hatten den Namen Christi verworfen und mit Füßen getreten. Und dies ist es, was den ganzen Unterschied ausmacht. Seitdem Christus geoffenbart worden ist, erwartet Gott einen unbedingten Gehorsam gegen Seinen Sohn. Ein treues Anhangen an Christo ist jetzt alles.

„Ich werde machen, dass sie kommen und huldigen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Gott erkannte diejenigen, welche jenes religiöse Altertum für sich in Anspruch nahmen, nicht als Sein Volk an. Das einzige, was für sie blieb, war, zu erkennen, dass Christus diesen armen, verachteten Überrest geliebt hatte. „Ich werde machen, dass sie erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Hieraus ersehen wir, was das Herz befriedigen soll; es ist nicht die gegenwärtige Anerkennung von Seiten derer, welche vorgeben, Gott zu kennen, während sie Ihn in ihren Werken verleugnen, sondern das stille, feste Vertrauen, dass es von Christo geliebt ist. Darin wird das Herz auf die Probe gestellt. Suchst du gegenwärtigen Genuss, schöne Gemälde für deine Sinne, das, was den Geschmack befriedigen und die Einbildungskraft nähren kann; wünschest du Menschen zu gewinnen und etwas vom „ehrwürdigen Altertum“ zu haben, so wisse, dass Christus in keinem dieser Dinge ist. Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit,“ und Er Selbst ist die Wahrheit, „der Heilige und Wahrhaftige.“ Und wenn die Liebe zu Jesu als etwas Gegenwärtiges unsere Seelen erfüllt, so haben wir in Ihm alles, was wir bedürfen.

Man hört sehr oft die Frage: Was ist Wahrheit? In den Augen aller, die so fragen, mögen die oben genannten Ansprüche Gewicht haben. Die Synagoge Satans kann eine alte, geachtete Religion sein, voll von Anziehungskraft und von alledem, was Autorität über das Fleisch hat, und sie wird von allen angenommen, die dem Pilatus gleichen, welcher fragte: was ist Wahrheit? – dann aber Jesum, der die Wahrheit ist, kreuzigte, um den Priestern der damaligen Zeit zu gefallen. Der Charakter dieser letzten Tage ist eben der, dass die Menschen immer die Wahrheit suchen, aber nie zur Erkenntnis derselben kommen. Ich habe nicht nötig zu fragen: Was ist Wahrheit? wenn ich die Wahrheit besitze. Was jemand sucht, das hat er noch nicht. Ein Mensch, der stets die Wahrheit sucht, bekennt damit, dass er sie noch nicht besitzt. Christus hat gesagt: „Ich bin die Wahrheit;“ Er ist der Mittelpunkt aller Wahrheit und die Grundlage von allem, was uns mit Gott verbindet. Ein Ungläubiger wird in Bezug auf alles Zweifel erheben, aber nichts Gewisses aufstellen können. Wir bedürfen aber etwas Gewisses, und sobald wir die Person Christi haben, so besitzen wir die Wahrheit. „Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat Ihn kundgemacht.“ Wenn ich wissen will, was Gott ist und was der Mensch ist, so habe ich in Christo ein vollkommenes Bild von dem, was Gott für den Menschen ist und was Christus, als Mensch, für Gott ist. Alles findet sich in Christo. Sicherlich haben wir in dieser Erkenntnis zu wachsen. Ein Herz, welches Christum besitzt, braucht die Synagoge Satans nicht. Ein jeder, der Sein Zeugnis angenommen hat, hat besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist; die Seele, welche dies weiß, wird auf die einfachste Weise von dem Bösen bewahrt. Ich habe ebenso wohl Gnade als Wahrheit empfangen: „Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden.“ Als ich in der Lüge lebte, war es die Gnade, welche die Wahrheit in meine Seele brachte; und was bedarf die Seele mehr? Wohl empfindet sie Schmerz, weil der Schauplatz, den sie durchpilgert, verunreinigt ist; aber sie ist nicht mehr in Ungewissheit darüber, was ihr Teil ist – sie hat alles in Christo gefunden. Es braucht zu der verborgenen Segnung nichts mehr hinzugefügt zu werden. „Ich werde machen, dass sie kommen und huldigen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Wir kennen diese Liebe jetzt schon, doch nicht als ob wir sie verdient hätten – denn alles ist Gnade; aber wir genießen sie jetzt durch die Gegenwart Christi. Wir kennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, sowie die Liebe des Vaters nach den Worten des Herrn: „Ich habe ihnen Deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, auf dass die Liebe, womit Du mich geliebt, sei in ihnen und ich in ihnen.“ Die Welt weiß es jetzt nicht, aber an jenem Tage wird sie erkennen, dass der Vater uns geliebt hat, gleichwie Er Seinen Sohn geliebt. Wenn das Herz diese Liebe Christi versteht, so ruht es in derselben; es ist zufrieden, in der Gegenwart die Liebe Christi zu genießen, wenn auch seine Umgebung nichts davon versteht. Der Herr ist jetzt in mancherlei Weise bemüht, unsere Herzen von allem, was uns hier umgibt, zu entwöhnen, damit wir in dem Zeugnis Seiner persönlichen Liebe zu uns das finden möchten, was unsern Glauben stärkt, das Gewissen befestigt und das Herz leitet. Christus sagt: „Ich bin der Hirte,“ und dies berechtigt das Schaf, Ihm zu folgen.

Als Er hienieden war, bestand die jüdische Haushaltung noch; Gott hat sie eingesetzt, und niemand war ermächtigt, aus dem jüdischen System auszutreten, bis Christus dies tat; dann aber hatte das Herz, welches sich zu Christo hingezogen und mit Ihm verbunden fühlte, den besonderen Befehl, ebenfalls aus diesem bestehenden System hinaus und zu Ihm hinzugehen: „dem Lamme zu folgen, wohin irgend es geht.“

In dem Sendschreiben an die Versammlung zu Philadelphia finden wir die Verheißung, welche der Hoffnung der Getreuen, bei Christo in der Herrlichkeit zu sein, begegnet. Indem sie sich eins machen mit Ihm in Seiner Stellung, werden sie auch eins gemacht mit Ihm selbst und mit dem Worte Seines Ausharrens. Nicht die ganze Kirche war eines Sinnes mit den Gläubigen in Philadelphia, auch genossen diese noch nicht das völlige Resultat Seiner Liebe, insofern sie Christum noch nicht persönlich und völlig bei sich hatten. Aber wenn die Liebe Christi die Richtschnur meines Verhaltens ist, so wünscht mein Herz, Christum bei sich zu haben; denn wenn wir jemanden lieben, so wünschen wir sicherlich bei Ihm zu sein. Ist aber Christus in unsern Herzen, dann bewahren wir das „Wort Seines Ausharrens. Es ist allerdings eine Zeit der Prüfung, der Sichtung, der Reinigung, der Übung, allein wir müssen warten. Beachten wir, wie dieses gesegnete Einssein und die Verbindung mit Ihm beständig betont wird. Es heißt nicht einfach: das Wort des Ausharrens, sondern „meines“ Ausharrens.“ Und weshalb? Weil Christus noch wartet. (s. Ps 100) Dies bestimmt unser ganzes Verhalten; denn wenn Christus wartet, so müssen auch wir noch warten. Christus verharrt in einem Zustande des Wartens, sozusagen in der Übung des Ausharrens, bis zu der vom Vater bestimmten Zeit. Dies ist auch, wie ich nicht zweifle, der Sinn Seiner Worte, wenn Er sagt: „Von der Stunde weiß niemand, nur der Vater.“

Christus hat alles getan, was nötig war für Seine Freunde, um sie Gott darzustellen, und hat sich zur Rechten Gottes gesetzt, „fortan wartend, bis Seine Feinde gelegt sind zum Schemel Seiner Füße.“ Christus wartet, bis Er alle Seine Freunde gesammelt hat, bevor Er auf der Erde gegen Seine Feinde in Tätigkeit tritt. Deshalb liegt für uns in dem Ausdruck: „mein Ausharren“ gerade das, was wir bedürfen; denn wir erwarten den Tag, von welchem Christus zu uns sagt: „Ich komme wieder und will euch zu mir nehmen.“ (Joh 14)

Die ganze Schöpfung um uns her seufzt in der Erwartung dieses Tages, und auch wir selbst seufzen in uns selbst, indem wir die Erlösung des Leibes erwarten. Aber bis dahin ist alles in Unordnung. Wo sind die Juden, „die immer noch Geliebten um der Väter willen?“ Sie irren heimatlos auf der ganzen Erde umher, ohne Priester, ohne Zyhod und Urim und Thummim, ohne alles; sie sind wie ein verdorrter Baum, wie eine Eiche, wenn sie ihre Blätter abgeworfen hat, (Jes 6,13) obwohl der Herr unter ihnen wirkt. Blicke auf die Welt, so ist alles Sünde und Elend; betrachte die ganze Schöpfung – sie seufzt; und von dem, was sich Kirche nennt, höre ich den allgemeinen Ausruf: „Wer wird uns das Gute schauen lassen?“ – Wer fühlt sich befriedigt durch irgendetwas, was es auch sei? Ich rede nicht von dem Gefühl der Unzufriedenheit im schlechten Sinne; aber es gibt nichts, worin die Seele Ruhe finden könnte, gleichviel, welches System man auch ins Auge fassen mag. Das allgemeine Gefühl ist, die Grundfesten der Welt wanken. Wohl mag der Rabe ausfliegen und sich auf einen schwimmenden Leichnam niederlassen; die Taube aber findet nirgends Ruhe für ihren Fuß, als nur in der Arche. Was haben wir inmitten der dichten Finsternis der Nacht, was unsern müden Seelen Ruhe geben könnte? Nichts, als die gewisse Erwartung der Ankunft des glänzenden Morgensterns.

Bis wann wird Christus warten, um das Gericht auszuüben? Sobald Er Seine Freunde zu sich genommen hat, wird Er sich mit Seinem richterlichen Charakter bekleiden; ich meine nicht, dass Er dann alle Seine Feinde mit einem Schlage vernichten wird; aber wenn dieser Augenblick gekommen ist, wird Er Seine große Macht übernehmen. Vor allem aber wartet Er darauf, dass diejenigen, welche mit Ihm Teil haben, auch bei Ihm und Ihm gleich sind. Wir sind „zuvor bestimmt“, Seinem Bilde gleichförmig zu sein.“ (Röm 8,29) Und wenn Er einst Seine Braut bei sich haben wird in Seiner Herrlichkeit, dann wird Er „von der Mühsal Seiner Seele die Frucht sehen und gesättigt werden.“ Wenn der Starke, der als Haupt mit Seinen Gliedern zu einem Körper vereinigte Christus, dieser geheimnisvolle Mensch, das männliche Kind von Off 12, in Tätigkeit treten soll, muss Er zuvor vollständig sein; natürlich ist Er dies Seinem Wesen nach schon in Sich Selbst, aber noch nicht als das Haupt über alles, welches der Versammlung, Seinem Leibe, gegeben ist. Das Haupt und der Leib müssen vereinigt sein, ehe Er unter diesem Titel vor der Welt auftreten kann; denn das Haupt ohne den Leib bildet nicht den vollständigen Menschen, den Christus, der nach den Ratschlüssen Gottes als der, der alles in allem erfüllt, erscheinen wird, um das Gericht auszuüben. Deshalb muss die Versammlung, als der Leib, mit Christo, als dem Haupte, im Himmel vereinigt, also zu Ihm aufgenommen sein, ehe Christus zum Gericht erscheinen kann.

Was ist nun das große Hindernis, welches der völligen Segnung der Versammlung im Wege steht? – Von Anfang an hat sich alles verderbt: Adam – der Mensch vor der Flut – Noah – der Mensch unter dem Gesetz – und wenn wir auf das Christentum blicken, wie viel Unkraut ist unter den Weizen gesät worden! Betrachten wir endlich das Priestertum, so sehen wir, dass es unter dem Einfluss Satans den Platz Christi und unserer Verbindung mit Ihm einnimmt. Wenn dies alles zur Zeit des gänzlichen Abfalls seinen Höhepunkt erreicht haben wird, dann wird die Tätigkeit der richterlichen Macht beginnen, um das Böse hinweg zu tun. Die erste Handlung dieser Macht wird, nachdem Christus mit Seinem Leibe vereinigt ist, darin bestehen, dass Satan mit Seinen Engeln aus dem Himmel ausgeworfen wird, (Off 12,9) um nie wieder dort gesehen zu werden. Auf die Erde geworfen, wird der Teufel große Wut haben, „da er weiß, dass er wenig Zeit hat;“ in seinem Zorn wird er seinen Charakter als der große Widersacher des Herrn Jesu Christi in seiner höchsten Entfaltung zeigen, indem er alles wider Ihn aufwiegelt. Allein der Herr wird dann mit Seinen Heiligen kommen, um das Gericht auf Erden auszuführen. Er muss die Dinge dadurch zu Recht bringen, dass Er das Böse hinweg tut. Und sobald Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt sind, führt Er die Fülle der Segnung herbei. Ich wiederhole jedoch noch einmal, dass das Gericht erst nach der Vereinigung der Versammlung mit Christo erfolgen wird. Der geheimnisvolle Mensch muss erst in dem oben angedeuteten Sinne vollendet sein, ehe Er das Gericht ausführen kann. Sobald dies aber geschehen ist, nimmt Christus einen ganz neuen Charakter an. Bis zu dem Augenblick, da Er uns in die Herrlichkeit einführt, wird Er als Heiland dargestellt; und selbst nach der Aufnahme der Versammlung wird ohne Zweifel wieder ein geretteter Überrest vorhanden sein. Dann aber ist die Zeit der Annehmung vorüber, und Christus „richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit.“ Und wenn Er so erscheinen wird, werden wir völlig verstehen, warum es jetzt das „Wort Seines Ausharrens“ ist; denn bis dahin, dass Er Seine große Macht übernimmt und regiert, sind wir nach Herz und Sinn in dem Worte Seines Ausharrens mit Ihm verbunden; und die besondere Segnung, die für uns darin liegt, ist, dass wir mit Christo Selbst vereinigt sind und in allen Dingen vollkommen dasselbe Los haben, wie Er Selbst. Ohne im geringsten die göttliche Herrlichkeit Seiner Person anzutasten, können wir sagen, dass Christus, als Mensch, in Seinem Charakter als Diener, warten muss, bis es Gott gefällt, alles unter Seine Füße zu legen, und dies ist, wie ich nicht zweifle und bereits angedeutet habe, der Sinn der Worte: „Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, weder die Engel, noch der Sohn, sondern nur der Vater.“ (Mk 13,32) Indem wir so mit Christo verbunden sind und Seine stete Liebe als das Teil besitzen, das unsere Seele völlig befriedigt, ziehen wir vor, zu warten und das Glück mit Ihm zu empfangen, als vor Ihm. Eine vollkommene Verbindung mit Christo selbst ist, was die Versammlung Gottes charakterisiert; sie ist nicht nur gesegnet, sondern mit Dem verbunden, welcher segnet. Wir sind Seine Braut; dies ist unser besonderer Platz, und wenn wir in unsern Gedanken oder unserm Herzen nach einen niedrigeren einnehmen, so entfernen wir uns von der vollen Kraft der Gedanken der Liebe Gottes über uns und von dem, was Christus nach diesen Gedanken für uns ist.

Was auch von Christo in Bezug auf den Tag der Herrlichkeit gesagt werden mag, wir finden die Versammlung in allem mit Ihm verbunden. In Seinem Melchisedek-Charakter z. B. nimmt Er als König den höchsten Platz der Autorität und als Priester den nächsten in der Anbetung ein; so sind auch wir zu Königen und Priestern gemacht. Eva wurde dem Adam in der Herrschaft beigesellt; aber außer ihr gab es nichts in der ganzen Schöpfung, das diesen Platz hätte einnehmen können, wie geschrieben steht: „Für den Menschen fand Er keine Hilfe seines Gleichen.“ Als aber Eva zu Adam gebracht wurde, konnte er sagen: „Dieses Mal ist es Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleische.“ Jetzt war eine Gehilfin für ihn gefunden. Ebenso ist es mit dem Herrn und der Versammlung; auch Er kann sagen: „Dieses Mal ist es Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleische,“ und Er kann sich erfreuen und Seine Wonne finden in dem, was Seine eigne  Liebe hervorgebracht  hat.

Möge uns der Herr davor bewahren, dass wir eine geringere Stellung einnehmen, als diese, denn sie ist unser wahrer Platz! Möchte Er uns das tiefe und bleibende Gefühl schenken, dass wir auf diese Weise in eine völlige und gesegnete Verbindung mit Ihm gebracht sind; denn das Herz Christi könnte durch nichts anderes befriedigt sein, und das unsrige sollte es ebenso wenig sein. Es handelt sich nicht um unsre Würdigkeit, (denn in uns selbst, als im Fleische, sind wir nichts als elende Sünder) sondern es handelt sich um die Liebe Christi. Die wahre Demut besteht nicht darin, dass wir schlecht von uns denken, sondern dass wir gar nicht an uns denken; aber es ist viel schwerer, sich ganz zu vergessen, als selbst schlecht von sich zu denken. Wenn wir nicht demütig sind, so müssen wir gedemütigt werden.

„Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, so will auch ich dich bewahren“ etc. Beachten wir, dass der Herr nicht sagt: wenn du meine Anerkennung hast, dass du einige Kraft besitzest, sondern dass du „das Wort meines Ausharrens“.bewahrst; wenn Ich dich kenne, als vereinigt mit Mir Selbst, so „will Ich dich bewahren“ etc. So verbindet Er uns mit Sich Selbst, so arm und schwach wir auch sein mögen, gleichwie die Klippendächse nur ein kraftloses Volk sind und doch ihr Haus auf den Felsen setzen. (Spr 30,26) „So will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, zu versuchen, die auf der Erde wohnen.“ Welch ein Trost liegt in diesen Worten hinsichtlich alles dessen, was kommen wird! Es handelt sich keineswegs um Kraft, sondern darum, bewahrt zu werden vor einer schrecklichen Zeit, die da kommen soll, um „zu versuchen, die auf der Erde wohnen.“ Diese letzten Worte bezeichnen den moralischen Zustand einer Klasse von Personen. Hat Gott denn Wohlgefallen daran, Sein Volk in Trübsal zu bringen? Sicherlich nicht; Er wünscht nicht, uns in Versuchung zu führen. Aber wenn wir uns in eine Stellung begeben haben, in welcher wir mit denen vermengt sind, die auf der Erde wohnen, so muss auf uns eingewirkt werden, um uns von dem los zu machen, was dieser schrecklichen Stunde der Versuchung entgegen geht. In der gegenwärtigen Zeit wird das Evangelium verkündigt, und durch dasselbe werden Seelen aus der Welt herausgeführt, und alle Gedanken, Gefühle, Wünsche und Neigungen der Heiligen sollten auf den Tag der Herrlichkeit gerichtet sein. Wenn sie sich in der Stellung des Ausharrens Christi befinden, so haben' sie nicht nötig, wie die Welt gerichtet zu werden; sind sie aber mit der Welt vermengt, so müssen sie auch die Trübsale der Stunde der Versuchung teilen, welche kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen; oder sie müssen vorher praktisch gesichtet werden, um sie von der Welt zu trennen. 1 Die Zeit wird kommen, wo das Tier die im Himmel wohnenden lästern wird, aber es wird sie nicht  anzutasten vermögen.

Wenn wir unsern himmlischen Charakter kennen, so werden wir dadurch zu Fremdlingen und Pilgrimen auf der Erde, anstatt hier zu wohnen und unser Teil zu suchen; alle diejenigen aber, die hier ansässig sind, müssen durch diese Stunde der Versuchung hindurch gehen, welche diejenigen versuchen wird, die auf der Erde wohnen. Wir dürfen das hier Gesagte jedoch nicht mit der Trübsal verwechseln, von welcher in Mt 24 die Rede ist; denn diese Zeit der Drangsal beschränkt sich auf Jerusalem, wie wir in Jeremia lesen: „Es ist eine Zeit der Bedrängnis für Jakob; dennoch wird er daraus errettet werden.“ Hier aber ist es „die Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um zu versuchen, die auf der Erde wohnen.“ Diejenigen, welche jetzt das Wort des Ausharrens Christi bewahren, wird Er vor jener Stunde bewahren. Wenn der Herr jetzt bei ihnen eine Frucht findet, wie sie durch die Versuchung hervorgebracht werden soll, dann bedürfen sie der Versuchung nicht.

„Ich komme bald.“ Wie ermunternd sind diese Worte! Es ist, als ob der Herr sagte: Ihr müsst fortfahren, mein Los im Ausharren und unter dem Kreuze zu teilen, wenn ihr meine Herrlichkeit teilen wollt; aber: „Ich komme bald.“ Seine Ankunft wird hier nicht, wie es Sardes gegenüber geschieht, wie die eines Diebes in der Nacht vorgestellt. Was der Herr jetzt der Versammlung ans Herz zu legen wünscht, ist, dass Seine Ankunft ganz nahe ist. Er bestimmt den Augenblick nicht, aber Er weist auf Seine Ankunft hin als auf ihren Trost, ihre Freude und Hoffnung, und lenkt dadurch das Herz auf Seine Eigne Person; denn es handelt sich nicht so sehr darum, dass Er bald kommt, als dass Er Selbst kommt: „Ich, Jesus“ usw. Wenn das Herz die Liebe Gottes genießt, welch ein Trost ist es dann, in Ihm Selbst zu ruhen, wie wir es am Ende dieses Buches sehen! Nachdem Christus die Blicke der Versammlung auf alles das hingelenkt hat, was Er auf Erden zu tun beabsichtigt, führt Er ihr Herz zu Sich Selbst zurück: „Ich Jesus.“

Der besondere Charakterzug der Versammlung in Philadelphia ist ihre unmittelbare Verbindung mit Ihm: es ist Christus Selbst, welcher kommt. Weder die Erkenntnis noch die Prophezeiung können das Herz befriedigen; aber der Gedanke, dass Christus kommt, um die Seinigen zu Sich zu nehmen, ist die gesegnete Hoffnung aller derer, welche durch die Gnade mit Ihm verbunden sind. Die Prophezeiung hat Bezug auf die Ankunft Christi auf der Erde; aber die eigentliche und köstliche Hoffnung dessen, der durch den Glauben mit Ihm verbunden  ist, besteht darin, zu Ihm zu gehen. Sicher habe ich alle Ehrfurcht vor den Mitteilungen Gottes, die das kommende Gericht ankündigen, aber diese rufen nicht die Gefühle des Herzens für Ihn hervor. Die Ratschlüsse Gottes über Jerusalem, Babylon und andere Gegenstände, wovon die prophetischen Schriften zeugen, sind überaus wichtig und lehrreich für unsern Geist; aber die Gefühle des Herzens werden nicht in Tätigkeit gesetzt durch die Kenntnis dessen, was das Los Babylons, des Antichristen etc. sein wird. Ich liebe Christum, und deshalb sehne ich mich danach, Ihn zu  sehen:  die Prophezeiungen über das kommende Gericht aber verbinden das Herz und den Geist nicht mit der Person des Herrn Jesu.

Auf die Ankündigung der baldigen Ankunft des Herrn folgt dann die Ermahnung: „Halte fest, was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme.“ O, möchte der Herr uns geben, Sein Wort zu bewahren und Ihn jeden Augenblick zu erwarten!  Wenn es dem Teufel gelänge, uns die Hoffnung Seiner Ankunft, als einer Sache, die wir jeden Augenblick erwarten dürfen, zu rauben, so würde uns dadurch unsere Krone genommen werden. Weder Mensch noch Teufel kann uns etwas nehmen, wenn nur das lebendige Bewusstsein des Glaubens in unsern Herzen ist, welches uns mit der jeden Augenblick zu erwartenden Ankunft des Herrn Jesu Christi verbindet. Wenn wir dieses Bewusstsein verlieren, so verlieren wir unsre geistliche Kraft; alles aber, was uns dieser Kraft in unsrer Verbindung mit Christo beraubt, führt uns zum Verlust unsrer Krone. Und, geliebte Brüder, unser Weg führt uns jetzt durch Dinge aller Art, die geeignet sind, uns unsere Krone zu rauben, Dinge, welche den Glauben an das Kommen Jesu auf die Probe und dieses Kommen selbst in Frage stellen können.

In dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen sehen wir, dass sie alle schläfrig wurden und einschliefen, die klugen sowohl wie die törichten; und um Mitternacht, als der Ruf erschallte: „Siehe, der Bräutigam!“ da standen sie alle auf und schmückten ihre Lampen. In dieser Hinsicht war also kein Unterschied zwischen Ihnen; allein die einen hatten das Öl des Geistes, die andern nicht. Aber zwischen dem Ertönen des Rufes und der wirklichen Ankunft des Bräutigams war Zeit genug, um die Lampen, welche kein Öl hatten, erlöschen zu lassen, und so bestand der wahre Unterschied zwischen den Jungfrauen in dem Vorrat des Öls, den die einen hatten, die andern aber nicht. Wäre der Bräutigam Selbst der erste Gedanke in den Herzen der törichten Jungfrauen gewesen, so hätten sie an das Licht gedacht, das Er bei Seiner Ankunft nötig haben würde. Allein sie dachten an etwas anderes; sie waren zufrieden damit, in der Gesellschaft der anderen Jungfrauen zu sein, und dafür genügten der Anzug und die Lampen ohne Öl. Aber ach, ohne das Öl konnten sie ihre Lampen nicht für ihren Herrn brennend erhalten, bis Er kam. Doch gab es auch solche, welche bereit waren, Ihn zu empfangen. Als „der Bräutigam kam,“ gingen diejenigen, welche bereit waren, mit Ihm ein zur Hochzeit, „und die Tür ward verschlossen.“ So ist es auch jetzt. Der Ruf ist erschollen, und zwischen dieser Zeit und der wirklichen Ankunft des Bräutigams prüft uns der Herr, um zu sehen, ob unsere Herzen wirklich auf Ihn gerichtet sind, oder nicht.

Kaum bleibt uns heute noch Zeit genug, um die im 12. Verse enthaltenen Verheißungen zu betrachten. „Wer überwindet, den will ich zu einer Säule machen in dem Tempel meines Gottes etc.“ Wir sehen hier, wie genau alle Verheißungen in Verbindung stehen mit der Zeit der Herrlichkeit – dem „neuen Jerusalem;“ – das Herz wird hier zu seinem eigentlichen Wohnplatz erhoben. Nehmen wir den Platz von Bewohnern des Himmels ein, während wir auf dieser Erde wandeln? Es ist bemerkenswert, wie ganz und gar die Heiligen mit dem himmlischen Jerusalem, ihrer ewigen Wohnung, verbunden sind. „Wer überwindet,“ der wird in dem Tempel Gottes sein – im Gegensatz zu der Synagoge Satans :- im vollen Genuss der Dinge Gottes, nachdem jeder Ratschluss Seiner Liebe völlig ausgeführt worden ist. „Den will ich zu einer Säule machen.“ Er mag schwach gewesen sein auf der Erde, während die bekennende Kirche groß war, aber ihren Platz, den sie nach den Gedanken Gottes einnehmen sollte, als „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit,“ nicht einnahm; dort aber wird er sogar die Säule der Kraft sein, ja, der Kraft Gottes selbst, weil er der Macht der Verführung gegenüber fest geblieben ist.

Es ist bemerkenswert, dass sich der Ausdruck „mein   Gott“ hier so  oft wiederholt; wir sehen  daraus, wie Christus  die Seinigen  stets mit sich selbst in Verbindung bringt. Er war einst dem Anscheine nach der Schwache auf dieser Erde, und Er sagt:  „Ich bin verworfen worden, und ihr habt diesen Platz der Verwerfung mit mir geteilt; aber ich kenne die, welche mir treu gewesen sind, und ich gehe zu meinem Vater und zu euerm Vater, zu meinem Gott und zu euerm Gott.“ Er ist der Geduldige, welcher für die Ihm gebührende Herrlichkeit des Vaters Zeit abwartet, und wir nehmen Teil an Seiner Geduld. „Ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes,“ d. h. des Gottes, wie Christus als Mensch Ihn kennt. Dieser Name wird den Getreuen öffentlich aufgedrückt sein; denn sie haben Seinen Namen hienieden nicht verleugnet. „Und den Namen der Stadt meines Gottes,“ jener Stadt, die sie im Glauben erwarteten – sie ist ihr Wohnort. Abraham erwartete die Stadt, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Sogar als das Fleisch eine irdische Stadt hier gebaut hatte, suchten jene für sich selbst eine himmlische. Dieses himmlische Bürgerrecht in der Stadt des Gottes unsers Herrn Jesu Christi, des Fremdlings hienieden, wird dann dem Getreuen aufgeprägt sein. Der Mensch kann jetzt, wenn er darnach trachtet, eine feste kirchliche Einrichtung haben; allein sie ist nicht nach Gottes Wort. Wenn es ihm aber genügt, jetzt einfach mit Christo zu wandeln, indem er wartet, bis Gott eine Stadt als die S e i n i g e anerkennt (die Stadt meines  Gottes), so wird er dann Teil an derselben haben. Sie kommt von Gott aus dem Himmel hernieder. Wenn ein Fürst aus seinem Lande vertrieben ist, so fühlen sich seine Anhänger, so lange er abwesend ist, als Fremdlinge in demselben. So verhält es sich jetzt mit dem Christen; er gehört Christo an und ist „ein Sohn des Tages;“ er wartet auf Christum und auf den Tag Seiner Erscheinung.

„Meinen neuen Namen“ – nicht Seinen alten Namen als Messias, sondern den wunderbaren, neuen Namen, den Er als Resultat einer durch Ihn vollbrachten himmlischen Erlösung angenommen hat. Wir werden dann das Feste und Beständige haben, worauf wir jetzt in gewissem Sinne verzichten müssen. Möchte der Herr uns zu verstehen geben, was das heißt, wirklich mit Ihm selbst verbunden zu sein, und möchten wir den gesegneten Ratschluss Gottes über uns kennen, wie Er in den Worten ausgedrückt ist: „auf dass Er erwiese in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade in Güte gegen uns in Christo Jesu!“ Er hat uns mit dem Gegenstand Seiner unbegrenzten und ewigen Wonne verbunden; denn wir sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleisch und von Seinen Gebeinen, und deshalb haben wir das Teil und die Vorrechte Jesu selbst. Möchte Gott unsere Herzen unbefleckt von diesem bösen, gegenwärtigen Zeitlauf und in der Frische der Liebe zu Ihm erhalten! Dies aber ist nur dann möglich, wenn wir in der Gemeinschaft mit Christo bleiben. Unser Teil in Ihm und die Kostbarkeit Seines Namens zu kennen, das gibt Mut und Kraft, um Sein Wort zu bewahren und Seinen Namen nicht zu verleugnen.

Fußnoten

  • 1 Ich glaube, dass der Vortragende einen Grundsatz im Blick auf unsere Verantwortlichkeit aussprechen will, wie auch das Wort Gottes oft in ähn¬licher Weise es tut. Erinnert sei hier nur an die Stelle in Röm 8,12+13. Ich hoffe, dass diese kurze Erklärung genügen wird, um solche Leser völlig zu beruhigen, die annehmen könnten, dass diese Worte im Widerspruch ge¬funden werden mit ihrer Überzeugung, dass bei der Ankunft des Herrn zur Aufnahme Seiner Versammlung keiner der Erretteten folgt. (Übs.).
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