Vorträge über die Sendschreiben

Sardes

Der Anfang dieses Kapitels ist ganz besonders tröstlich, zugleich aber verbunden mit dem außerordentlichen Ernst, der sich in dem Sendschreiben an die Versammlung zu Sardes kundgibt. Ich kenne nichts Ernsteres, als den Gesichtspunkt, von welchem aus der Geist Gottes in diesem Sendschreiben die bekennende Kirche hinsichtlich ihres Namens, ihres Charakters und ihrer Verantwortlichkeit in der Welt betrachtet. Denn während das Schreiben sich an die Versammlung richtet, ist der Punkt, von welchem aus sie betrachtet wird, der Sohn Gottes Selbst in Seiner eigenen Fülle der Segnung, und zwar deshalb, weil die Versammlung in der Macht der göttlichen Gnade der Ausdruck der Natur und der Kraft Dessen sein sollte, Dem sie ihr Leben verdankt. Notwendigerweise wendet sich daher das Schreiben an die bekennende Kirche, und zwar der Stellung gemäß, die sie durch ihr Bekenntnis eingenommen hat. Ich finde es immer etwas schwierig, über diesen Gegenstand zu reden, weil ich fühle, welche Verantwortlichkeit damit verbunden ist, und ich bitte den Herrn, dass Er allen den Seinigen dasselbe Gefühl, ja in einem noch höheren Maße, wie mir, verleihen möge. Die Versammlung zu Sardes befand sich in der Tat in einem sehr ernsten Zustande. Jedoch liegt ein Trost in der Fülle und der Vollkommenheit Christi, wie sie hier den Bedürfnissen der Versammlung dargereicht werden. Wenn auch alles andere fehlen mag, so offenbart Christus nur umso mehr jene unveränderliche Fülle, auf welche wir  stets  bei Ihm rechnen  dürfen.

Der Charakter, in welchem der Herr sich in den einzelnen Sendschreiben einführt, ist, wie ich schon früher bemerkte, durchgängig dem Zustande der betreffenden Versammlung angepasst. „Dieses sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne.“ Hier wird nicht, wie in dem Sendschreiben an Ephesus, gesagt: „Der die sieben Sterne hält in Seiner Rechten,“ sondern „der die sieben Sterne hat.“ Und beachten wir wohl, dass in der Schrift nie ein Wort weggelassen oder verändert wird, ohne dass dies seine volle Bedeutung hätte. Die sieben Sterne, (die Engel) sind die sinnbildlichen Stellvertreter der Versammlungen, hier betrachtet als solche, die unter Ihm, dem Haupte der Regierung, einen Charakter der Autorität tragen. In dem Sendschreiben an Ephesus hält Christus die ganze Autorität in Seiner Hand (indem die Sterne, wie ich soeben bemerkte, die sinnbildlichen Stellvertreter dieses ganzen Systems der Autorität sind - dieser tätigen Energie, welche die Versammlungen in den Augen Christi kennzeichnet, in Seinem Namen in der Mitte wirkt und sie vor Ihm darstellt); deshalb finden wir Christum in Ephesus dargestellt als den, der inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelt, den Zustand der Versammlung beurteilend und ihre Stellvertreter in Seiner Rechten haltend. Hier in Sardes aber ist Verfall, ja sogar der geistliche Tod eingetreten: „Ich kenne deine Werke, dass du den Namen hast, dass du lebest, und bist tot.“ Wir wissen, dass der Abfall und der Verfall schon früher in die Versammlung eingedrungen waren. Sardes aber befand sich in einer Beziehung in einem noch schlimmeren Zustande als jede andere Versammlung vor ihr; denn sie hatte den Namen, dass sie lebte, und sie war tot. Es gebrach ihr an der nötigen Lebenskraft; wir haben hier nicht die Macht der Wirksamkeit des Bösen, sondern eine moralisch verdorbene Sache. In Folge dessen stellt sich der Herr Sardes gegenüber als derjenige dar, welcher für den Glauben über die ganze Fülle des Heiligen Geistes verfügen kann - „der die sieben Geister Gottes hat.“ Zugleich stehen ihm auch die sieben Sterne, d. h. die ganze Macht in der Versammlung, zur Verfügung, indem sieben das Symbol der Vollkommenheit ist.

Worin auch die Versammlung gefehlt und wie sehr sie sich mit der Welt verbunden haben mag - dennoch bleibt es immer wahr, dass die volle göttliche Allgenügsamkeit des Heiligen Geistes in all Seinen Eigenschaften ihr Teil ist, und zwar unter Ihm, welcher das Haupt der Versammlung ist, der für sie sorgt, sie liebt und über sie wacht, so dass einerseits die Versammlung ohne Entschuldigung dasteht und anderseits der Heilige, welcher Glauben hat, eine Zufluchtsstätte besitzt. Sobald aber, wie in Sardes, ein gänzlicher Verfall eingetreten ist, sobald die Heiligen Gottes nicht nur durch die falsche Lehre des Balaam verführt werden, sondern auch Jesabel in der Versammlung eine Heimat gefunden und Kinder geboren hat, sobald sich, mit einem Wort, das Böse völlig entwickelt hat, eröffnet sich ein neuer Schauplatz, ein Zustand des Todes, obwohl die ganze geistliche Energie und die gebietende Kraft hier in Christo Selbst, mit Dem sie es zu tun hat, vorhanden sind. Und so sehr auch die Tatsache, dass diese Dinge stets in Christo sind, die bekennende Kirche verurteilen mag, so wird doch die köstliche Wahrheit, dass damals sowohl, wie immer, alle Macht in Verbindung mit dem Heiligen Geist ist, zum Trost und zum Segen des treuen „Überwinders“ vorgestellt. Dies ist seine Stütze inmitten des überströmenden Bösen.

Der Herr „kennt alles“, in welcher Weise das Böse auch eingedrungen sein mag, sei es in der Jesabel- oder Balaam-Form. Selbst wenn der Tod seinen Stempel auf die bekennende Kirche aufgedrückt hat, so sagt Christus dennoch: Ich habe „die sieben Geister Gottes, und niemand kann dies antasten. Mag deshalb auch alles verkehrt gehen, so finden wir dennoch, dass Er noch alles besitzt, was zur vollen Segnung der Versammlung nötig ist. Er hat die „sieben Geister Gottes.“ Hieran haben weder die vielen Fehltritte des Menschen, noch die Bosheit Satans das Geringste zu ändern vermocht.

Auch in Off 4,5 und und, werden die sieben Geister Gottes erwähnt. Es ist dort die Rede von „sieben Feuerfackeln, brennend vor dem Throne,“ - von „sieben Hörnern und sieben Augen, welche die sieben Geister Gottes sind.“ Sie sind der Ausdruck der mannigfaltigen Macht und Weisheit Gottes. Wenn der Herr sich deshalb der Versammlung vorstellt als der, welcher die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat, so ist es, als ob Er sagte. „Alles ist vorhanden, was das Gute hervorbringen und sichern kann, und ich habe es in meiner Hut.“ In Thyatira war Er genötigt, die Getreuen zu lehren, auf Sein Kommen hinzublicken, als auf den einzigen Zufluchtsort für sie inmitten des Bösen; und diese Hoffnung wird als der glänzende Morgenstern eingeführt, um die Seele inmitten der sie umgebenden Finsternis zu erleuchten. In der Versammlung zu Sardes, die den Namen hatte, dass sie lebe, aber tot war, tröstet Er die Getreuen mit der Versicherung, dass die wahre Quelle aller Kraft in keiner Weise abgenommen habe. Wenn jede äußere Stütze verschwunden ist, so bleibt Er doch derselbe, und das will Er jetzt der Versammlung kund tun, um die wenigen Getreuen dadurch aufrecht zu halten und zu unterstützen; aber Er wirkt kein Wunder zu ihrer Errettung. So geschah auch, als Israel das goldene Kalb machte, kein Wunder, um ihrem Fall entgegen zu treten; aber es war geistliche Kraft in Mose vorhanden, als er das Zelt außerhalb des Lagers aufschlug. Ebenso weissagten die Propheten in Juda, aber sie wirkten keine Wunder, ausgenommen als der Sonnenzeiger Ahas als ein besonderes Zeichen für Hiskia, um zehn Stufen rückwärts ging. Sie legten Zeugnis ab, um den Menschen zu der allgemein anerkannten Wahrheit in einem göttlich errichteten System zurück zu führen und die Herzen der Getreuen zu trösten. Als sich aber das ganze Volk Israel unter Jerobeam öffentlich von Gott getrennt hatte und schließlich der Baalsdienst eingeführt wurde, da tat Gott Wunder durch die Hand Seiner Knechte Elia und Elisa. So sandte Gott in Seiner Gnade und Barmherzigkeit Juda zunächst ein Zeugnis nach dem andern, aber keine Wunder; sobald aber der offene Abfall eingetreten war, musste Er Seine Macht zeigen, um zu beweisen, dass Er Jehova war, im Gegensatz zu Baal; und Juda leugnete dies nicht. Taten der Macht inmitten solcher, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen, würden sie nur noch mehr verderben; aber die Macht als Zeugnis für diejenigen angewandt, welche völlig abgewichen sind, ist ein Zeichen der geduldigen Güte Gottes. Dies ist ein wichtiger Grundsatz in den Wegen Gottes; und auf diesen Grundsatz möchte ich aufmerksam machen, nicht so sehr auf die Wunder, welche geschahen. 1 Dieser wichtige praktische Grundsatz ist festgestellt worden, damit wir allezeit auf Gott rechnen dürfen, so groß auch der Verfall sein mag. Freilich werden wir stets ein Gefühl über den Verfall haben, ja, wir sollen ihn tief fühlen; nichtsdestoweniger aber dürfen wir diesem Gefühl über die Sünde des Menschen nie gestatten, das Auge des Glaubens in Bezug auf das Bewusstsein von der Macht Christi zu verdunkeln. Dasselbe soll sich vielmehr umso entschiedener und bestimmter auf das richten, was nie fehlen kann. Auf diese Weise können wir mit Ruhe auf den Verfall der Kirche blicken, weil wir ihn von dem Ruheplatz aus betrachten, den wir in der Liebe gefunden haben, welche nimmer fehlen kann, obwohl wir ihn immer tief fühlen und darüber betrübt sein sollten, weil er den Herrn verunehrt.

Nehmen wir als Beispiel den Apostel Paulus. Wie hoch erhebt er sich über die traurige Stellung der Korinther und Galater, sobald er zu der Quelle des Vertrauens in dem Herrn seine Zuflucht nimmt! Wie anstößig wandelten die Korinther, als Paulus an sie schrieb! Es war „eine solche Hurerei unter ihnen, die selbst unter den Nationen nicht stattfand.“ Er musste sie dieserhalb ernstlich zurechtweisen; allein er blickte über ihren gegenwärtigen Zustand hinaus zu der Quelle ihres Lebens und ihrer Hoffnungen hin; und deshalb konnte er, ehe er das Böse in ihrer Mitte berührte, zu ihnen sagen: „Ich danke meinem Gott allezeit eurethalben... welcher euch auch befestigen wird bis ans Ende, dass ihr tadellos seid an dem Tage unseres Herrn Jesu Christi;“ denn „Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid in die Gemeinschaft Seines Sohnes Jesu Christi, unsers Herrn.“ Ähnlich schreibt Paulus an die Galater. Wohl muss er ihnen sagen: Ich bin eurethalben in Verlegenheit.“ Sie hatten sich unter das Gesetz gestellt, und deshalb fragt Paulus, ob er seine Stimme umwandeln müsse, und wünscht zu wissen, wie er mit ihnen reden solle. Sie hatten den christlichen Boden der Gnade verlassen, und darum musste auch er seine Sprache verändern und mit ihnen dem Gesetz gemäß reden. Sobald er sich aber zu Christo erhebt, gelangt sein Herz zu der Quelle des Vertrauens - nicht des Vertrauens auf sie, sondern auf den Herrn in Bezug auf sie, und sogleich kann er sagen: „Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn, dass ihr nicht anders gesinnt sein werdet.“ Der richtige Zustand unsrer Seelen besteht darin, dass wir alles, was in Christo ist, und folglich alles, was die Versammlung für Christum sein sollte, nach seinem wahren Werte kennen und schätzen. Auf diese Weise werden wir, nach dem Maße dessen, was wir in Christo sehen, ein tiefes Gefühl von dem Verfall der Kirche haben, welche die getreue und fruchttragende Zeugin Christi sein sollte, und zugleich wird das Bewusstsein des Verfalls unser Vertrauen auf den Herrn Jesum nicht verringern, sondern vermehren. Dies ist es, was den Heiligen durch alles hindurch standhaft und ruhig erhalten wird, weil sein Vertrauen nicht darauf beruht, was die Versammlung für Christum sein sollte, sondern auf dem, was Christus für  sie ist.

In der Art und Weise, wie der Herr das Sendschreiben an Sardes beginnt, strahlt daher Seine Güte herrlich hervor. Ehe Er ihren schrecklichen Zustand berührt, stellt Er sich als derjenige vor, welcher auch noch die volle Macht des Geistes für den Glauben besitzt, so dass, trotz des Verfalls und des eingedrungenen Bösen, die überschwängliche Kraft des Geistes noch immer dieselbe ist; denn sie ist nicht abhängig von dem Wandel der Heiligen hienieden, sondern von dem Werte des Werkes Christi droben. Gleichwie Gott vormals durch den Mund des Propheten Haggai zu Israel sprach, als es gefallen war: „Nach dem Worte, nach welchem ich einen Bund mit euch gemacht, als ihr auszogt aus Ägypten, und mein Geist besteht in eurer Mitte; fürchtet euch nicht,“ so auch hier: „Dies sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne.“ Erst nachdem Er dies gesagt hat, nimmt Er Kenntnis von dem Zustande der Versammlung: „Ich kenne deine Werke, dass du den Namen hast, dass du lebest, und bist tot.“ Welch ein schrecklicher Zustand! In diesen Worten erblicken wir ein getreues Bild von dem, was wir rings um uns her sehen - ich meine jedoch nicht nur des Zustandes der Kirche von heute, sondern auch während des letzten Jahrhunderts und noch weiter zurück.

In Sardes wird die Versammlung nicht betrachtet, als ihre erste Liebe verlassen habend, wie in Ephesus, obwohl dies der Anfang von allem war, was seitdem erfolgt ist; auch nicht, wie in Smyrna, als leidend unter der Verfolgung Satans, der die Gewalt der Welt hat; noch auch wie in Pergamus, wo sie da wohnt, wo der Thron Satans ist, und solche unter sich zählt, welche die Lehre des Balaam und der Nikolaiten halten; noch endlich wie in Thyatira, wo der Prophetin Jesabel erlaubt wird, zu lehren und „meine Knechte zu verführen, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen.“ Auch ist sie noch nicht zu dem Zustande der Versammlung in Laodicäa gelangt, welche auf dem Punkte steht, ausgespieen zu werden, noch ist sie, wie Israel, die offenbare und unzweideutige Anbeterin Baals geworden. Nein, die Gnade hat noch ein Werk zu tun, und deshalb sehen wir dieselbe hie und da wirksam. Die Versammlung in Sardes hatte sich von schlechter Lehre und der tätigen Unterweisung im Verderben frei gemacht; ihr Übel war mehr negativer Art - eine tote Form ohne lebendige Kraft. Freilich hatte sie einen großen Namen, dass sie lebe. Sie besaß äußerliche Wahrheit, aber sie war tot, ohne lebendige Kraft. Sie trug ein gewisses äußerliches Bekenntnis und den Schein des Christentums zur Schau; aber ach! obwohl sie den Namen hatte, dass sie lebte, so war sie doch ohne Kraft des Lebens. Man bekannte sich zu dem Namen und zu der Lehre des Christentums, aber Christus selbst war nicht da. Betrachten wir die so genannte Orthodoxie, wie sie jetzt ist und seit langer Zeit bestanden hat - gleicht sie nicht ganz und gar diesem Zustande? Befreit von Jesabel, ist sie zu einem toten Körper geworden. Wir müssen uns jedoch wieder daran erinnern, dass in diesem Sendschreiben nichts von dem, was dem Gericht anheim fällt, in irgendwelcher Verbindung steht mit der wirksamen Energie des Heiligen Geistes. Die Sache, welche gerichtet wird, ist der Gebrauch, der von den Gnadenerweisungen und Gaben des Geistes Gottes gemacht worden ist.

In dem großen Werke der Reformation sehen wir eine treffende Darstellung dieser Wahrheit. Es gab in diesem Werke, was die Energie betrifft, die es hervorbrachte, unzweifelhaft ein Werk des Geistes Gottes, und mit Freuden entdecken wir das, was Gott getan hat und nicht was Er richten wird. Die Schwierigkeit, in welche man leicht gerät, rührt daher, dass man diesen Unterschied nicht macht. Es könnte nun die Frage erhoben werden: Wo ist die Frucht, welche als Folge der Vorrechte, die durch die Reformation gebracht und so lange genossen worden sind, hätte zum Vorschein kommen sollen? Gott zündet nicht ein Licht an, um es unter den Scheffel zu stellen; sein Platz ist auf dem Lampengestell, und dann leuchtet es allen, die im Hause sind. Hernach sieht Gott, ob das Licht, das Er gegeben hat auch leuchtet. In den Schreiben an die Versammlungen ist von einem guten oder von einem schlechten Zustand die Rede; nie aber wird der gute Zustand erwähnt in Verbindung mit dem Heiligen Geiste, als dem, der ihn hervorbringt

„Ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott.“ Die Versammlung war in all der Vollkommenheit dessen, was in Christo für sie war, errichtet worden, und deshalb forscht der Herr nach dem, was dieser Vollkommenheit, in welche sie ursprünglich eingesetzt war, entspricht. Auf diese Weise stellt Er sich als derjenige vor, welcher alle diese Vollkommenheit in geistlicher Macht und Energie besitzt, und sucht das, was derselben entspricht. Man möchte fragen: Ist es nicht befremdend, dass ihre Werke als „nicht völlig“ bezeichnet werden, während zugleich von ihnen selbst gesagt wird, dass sie „tot“ sind? Keineswegs; denn der Herr kann nie Seinen Maßstab erniedrigen, wenn es sich um das Böse handelt, mag sich das in der Versammlung oder in einem Einzelnen vorfinden. Er muss die Versammlung nach den Hilfsquellen richten, die sie zur Verfügung hat. Gott kann nie einen geringeren Maßstab anlegen, wenn es sich um die Frucht dessen handelt, was Er getan hat. Deshalb haben wir uns zu fragen, ob wir, als einzelne Person, vor der Welt die Heiligkeit darstellen, deren wir teilhaftig geworden, sowie die Liebe, deren Gegenstände wir sind? Es gibt sehr viele, welche Christum bekennen, verhältnismäßig aber nur wenige, die für Ihn leben. Der Herr legt der Versammlung zu Sardes weder Balaam, noch seine verderbte Lehre - „Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben“ - zur Last, noch beschuldigt Er sie, Jesabel in ihrer Mitte zu haben. Er forscht vielmehr danach, ob Leben vorhanden ist. Er sucht vollkommene Werke, welche dem Maße der Gnade entsprechen, mit welchem Er die Versammlung in Verbindung gebracht hat.

Wenn wir nun auf uns blicken, geliebte Freunde, was können wir dann sagen? Es handelt sich nicht darum, ob wir überhaupt Frucht bringen, sondern ob die Früchte, die hervorgebracht werden, für den passend sind, der den Boden bearbeitet hat. Wenn ein Acker, den ich bestellt und mit Weizen besät habe, keine Früchte hervorbringt, die der darauf verwandten Arbeit entsprechen, so gebe ich ihn auf und besäe ihn nicht mehr. Ich spreche hier nicht von der Errettung einer Seele, sondern von dem Urteil des Herrn über das, was in den Heiligen - in solchen, die schon errettet sind - zum Vorschein kommt. Es ist wahr, dass Gott die Früchte eines jeden Grundsatzes Seiner Gnade vollkommen hervorbringen wird, sobald Christus Seine Macht annimmt; aber vorher vertraut Er dies dem Menschen an. Er gab den Kindern Israel das Gesetz, in dessen Beobachtung sie gänzlich fehlten; Christus aber sagt: „Dein Wort habe ich verborgen in meinem Herzen.“ So wird auch Gott in den letzten Tagen das Gesetz in das Herz Israels schreiben. Jetzt ist Israel „zum Sprichwort und zur Spottrede unter allen Völkern,“ weil es untreu gewesen ist; aber am Tage der Macht Christi, wenn Gott die Frucht in Vollkommenheit und in Fülle hervorbringen wird, dann wird Israel blühen und sprossen, und sie werden mit Früchten erfüllen den Erdkreis.“ Ebenso ist es mit der Regierung. Dieselbe wurde in die Hand des Menschen gelegt. Die Macht ward Nebukadnezar anvertraut, und wir wissen, was daraus geworden ist. Indessen wird die Regierung in Vollkommenheit aufgerichtet werden, wenn „das Reich der Welt unsers Herrn und Seines Christus geworden ist.“ In ähnlicher Weise wurde auch die Versammlung Gottes auf der Erde errichtet, als vollendet in Christo, um die Herrlichkeit ihres abwesenden Hauptes im Himmel zu offenbaren, und es wurde ihr die Macht des Heiligen Geistes verliehen. Sie war die Behausung Gottes im Geiste. Aber ach! wie schrecklich hat sie gefehlt! Was Gott jetzt sucht, sind die Früchte der Gnade, als Zeugnis und ein Beweis von der Gnade, die sie von Ihm empfangen hat. Doch wenn Christus „kommen wird, verherrlicht zu werden in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben,“ dann wird auch die Versammlung in Herrlichkeit geoffenbart werden, und die Welt wird erkennen, dass sie geliebt worden ist mit derselben Liebe, womit Christus geliebt war. Jetzt aber handelt es sich um Verantwortlichkeit und zwar, wenn die Versammlung ihren Platz verlässt, um persönliche Verantwortlichkeit. Es wird dahin kommen, dass die bekennende Kirche aus dem Munde Christi ausgespieen wird. Aber ich wiederhole noch einmal, dass es sich hierbei nicht um die Errettung, sondern um das Bekenntnis vor der Welt handelt.

Am Tage der Pfingsten wurde der Heilige Geist gegeben, um gewisse Wirkungen hervor zu bringen, und die angemessenen Früchte kamen hervor. In der gegenwärtigen Zeit ist nun die Frage diese: Bringt die Kirche oder Versammlung Gottes Früchte für Gott, welche der Kraft des ihr anvertrauten Zeugnisses entsprachen? Nein, als Körper betrachtet, ist dies nicht der Fall. Dann wird es eine Frage persönlicher Verantwortlichkeit: „Wer ein Ohr hat, zu hören, der höre;“ und dies legt einem jeden von uns die Frage nahe: In wie weit geben wir persönlich der Gnade Gottes Zeugnis? Ich meine nicht ein Zeugnis, das in Übereinstimmung ist mit der ersten Fülle der öffentlichen Macht, wie sie sich im Anfang in der Versammlung kund gab, sondern ein Zeugnis, welches das Maß dessen erreicht, was wir persönlich empfangen haben. Denn nach diesem Maße handelt Gott jetzt in praktischer Beziehung mit der Versammlung, und hierfür ist die Gnade Christi immer hinreichend. Wenn diese Frage zwischen der Seele und Gott verhandelt wird, so werden wir sicher bekennen müssen, dass das persönlich empfangene Maß der Gnade nicht von uns erreicht wird. Wohl mögen wir mit Eifer für einen Namen streiten; aber vor Gott ist die Frage, ob sich bei uns Kraft und die vollkommenen Früchte der Gnade nach dem Maße dessen vorfinden, was wir empfangen haben. Es ist eine schreckliche Sache, sich auf einen religiösen Ruf zu stützen, während die Werke vor Gott nicht völlig erfunden werden.

Möge der Herr uns alle davor bewahren! Unter allen den schrecklichen Dingen, die einem Heiligen Gottes begegnen können, ist es eins der schlimmsten, wenn er auf einen religiösen Ruf vertraut; und dies ist ganz besonders der Fall bei jemanden, der sich bei dem Dienste beschäftigt. Wie oft haben wir gesehen, dass ein solcher mit Hingebung und großem Fleiß arbeitete und in seinen Arbeiten gesegnet war, indem er Andere wirklich zu Christo führte, dass er aber auf diese Weise einen Kreis um sich sammelte! Das Ich war auf dem Schauplatze, und so erhielt er den „Namen, dass er lebte,“ indem er sich zufrieden gab mit dem Kreise, den er gebildet hatte, und in den hervorgebrachten Früchten ruhte, anstatt in Ihm, der allein die Macht des Lebens ist. Auf diese Weise hörte seine Brauchbarkeit auf, und er selbst verfehlte das Ziel. Wie ganz anders war der Pfad des Herrn hienieden! Mit jedem Schritt, den Er tat, verlor Er den Beifall derer, die Ihn umringten; denn Er wandelte mit Seinem Vater, und der Lichtglanz Seines Wandels strahlte je länger je heller, bis zuletzt die Menschen den Glanz des wahrhaftigen Lichtes nicht mehr zu ertragen vermochten und denselben, soweit es sie betraf, am Kreuze vernichteten. Alle, die den Herrn umgaben, kannten nicht das Maß Seiner Gemeinschaft mit dem Vater und vermochten sich ganz und gar nicht zu demselben zu erheben. Selbst Seine Jünger blieben weit hinter dem zurück, was ihr Charakter als Jünger erforderte; auch sie verließen Ihn, wie Er gesagt hatte: „Siehe, es kommt die Stunde ... dass ihr werdet zerstreut sein, ein jeglicher in das Seinige, und mich allein lassen werdet; und ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.“ So sehen wir unsern hochgelobten Herrn in der Achtung der Menschen immer tiefer und tiefer herabsteigen, bis sie Ihn endlich zum Tode verurteilen, ja „zum Tode des Kreuzes.“

Wenden wir uns jetzt einen Augenblick zu Paulus. Welch eine geistliche Energie des Glaubens war in ihm vorhanden! Er wandelte mit Gott in Kraft; diejenigen aber, die um ihn her waren, konnten sich nicht bis zu der Höhe erheben, die er erreicht hatte, und darum musste er, indem er vorwärts eilte, notwendigerweise die Andern hinter sich zurücklassen. Sein Pfad wurde immer einsamer, und am Ende seiner Laufbahn musste er sagen: „Alle, die in Asien sind, haben sich von mir abgewandt“; und: „Alle verließen mich... der Herr aber stand mir bei.“ Unter allen denen, die Paulus gesammelt hatte, hören wir nur von einem Einzigen, der ihn im Gefängnis besuchte. Der Apostel bewahrte eine völlige Energie, in deren Kraft er mit Gott vorwärts wandelte, während Andere Rückschritte machten, von denen er sagt, „dass sie die Feinde des Kreuzes Christi sind ... die auf das Irdische sinnen.“ Und wenn auch Andere nicht so weit abwichen, so hielten sie doch den Standpunkt des Glaubens nicht aufrecht; sie verloren ihr himmlisches Bürgerrecht aus den Augen, sie suchten mehr das Ihrige, als das, was Christi Jesu ist.

Der Grad unsrer Absonderung von dem, was in dieser Welt ist, steht im Verhältnis zu dem Maß der verborgenen Gemeinschaft in unserm Wandel mit Gott, in dem, was stündlich zwischen unsrer Seele und Gott vorgeht. Ganz besonders haben wir unser Augenmerk darauf zu richten, dass alle unsre Werke vollkommen sind vor Gott, dass alles, was wir tun, gemessen wird nach der unmittelbaren Beziehung desselben zu Gott. Dies muss notwendig einen gewissen Grad von Absonderung hervorbringen. Mit Christus war es so; Er war immer niedrig und immer vereinsamt, und doch voll Liebe gegen alle, vollkommen in Seiner Güte gegen jede bedürftige Seele, wie auch gegen Seine Jünger. Es tut nichts zur Sache, ob wir in der Achtung Anderer sinken - es wird dies eine notwendige Folge der Treue sein. Das Gegenteil davon ist, obwohl ein großer Schein vor der Welt da sein mag, gerade dieses: „Du hast den Namen, dass du lebest, und bist tot.“ ... Denn „ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem  Gott.“ Die Werke sind mit Rücksicht auf den Menschen und nicht im Blick auf Gott getan.

Zu gleicher Zeit ist es ganz nötig, mit den Heiligen zu wandeln und die Gefühle der Liebe zu nähren und zu pflegen, obgleich, je treuer der persönliche Wandel ist, desto völliger auch die Absonderung sein muss, weil die Zahl derer, die ihn verstehen, gering sein wird. Nichtsdestoweniger wird, je näher wir Christo sind, eine umso größere Gnade in uns gegen Andere vorhanden sein; so wie Er gesagt hat: „Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebet, gleichwie ich euch geliebt habe.“ Wenn wir nahe mit Gott wandeln, so werden wir ein bleibendes Gefühl von Seiner Gunst haben; aber dann muss diese persönliche Abhängigkeit von Gott zur Absonderung führen. Unser Pfad wird ein einsamer sein, wie der Pfad Christi es allezeit war. Bei all Seiner Gnade und Demut, womit Er allen das Ohr lieh, allen diente, ja sogar die Füße der Jünger wusch, ward Er allein gelassen; doch Er war nicht verlassen von Gott, wie Er denn auch sagt: „Der mich gesandt hat, ist mit mir; Er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit tue, was Ihm wohlgefällig ist.“

Richten wir jetzt unsern Blick auf die Folgen der Werke, die nicht völlig erfunden werden vor Gott. Das ist gerade der Punkt, der in der hier gegebenen Warnung von so großem Ernste ist: „Gedenke nun, wie du empfangen und gehört hast, und bewahre und tue Buße.“ Beachten wir die beiden Worte: „empfangen und gehört.“ Zunächst hat die Versammlung die Gnade empfangen und ist in dieselbe eingesetzt worden; und dann besitzt sie das geoffenbarte Wort Gottes als ihre Richtschnur und ihren Führer. Die Gnade ist empfangen und das Wort mitgeteilt worden. Wir werden nicht ermahnt, das zu bedenken, was wir nicht empfangen haben, sondern, was wir empfangen haben. Der Herr stellt in diesen beiden Punkten das Maß der Verantwortlichkeit vor - das, was die Versammlung oder Kirche empfangen hat, in welches sie gesetzt worden ist, und das, was sie gehört hat. Gott gibt uns Sein Wort, um uns zu leiten, und Gnade, um demselben gemäß zu wandeln.

„Wenn du nun nicht wachen wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde.“ Nun aber ist das Wachen eine höchst lästige und ermüdende Sache; denn wir haben auch über uns selbst zu wachen, da wir anders bald in den Schlaf fallen werden. Das Herz wird müde, wenn es beständig auf alles, was vorgeht, ein wachsames Auge haben soll. Es ist unmöglich für uns zu wachen, wenn wir uns nicht nahe bei Christo halten, wenn wir nicht das Bewusstsein haben, dass Er über uns wacht und sich um nichts bekümmert. In unserm Dienste bedürfen wir besonders großer Wachsamkeit. Unser ganzer Dienst sollte tatsächlich, als eine Sache des persönlichen Glaubens, mit Gott in Verbindung stehen. Er mag Prüfungen und Schwierigkeiten mit sich bringen; das Gebüsch mag sehr dicht sein, aber der Gegenstand auf der andern Seite sollte hell und klar vor unserm Auge stehen. Es ist stets Gefahr für uns vorhanden, jene Klarheit des Urteils zu verlieren, welche wir haben werden, wenn wir uns nahe bei Christo halten. Beurteilen wir irgendeine Prüfung in der Gegenwart Christi, so scheint der Ausgang leicht; sobald wir uns aber in der Prüfung selbst befinden, so sehen wir ihn nicht mehr so klar. Wenn wir, um ein Beispiel anzuführen, im Begriff sind, in ein Tal hinab zu steigen, so sehen wir unser Ziel auf der andern Seite und die Richtung, die wir einzuschlagen haben, ganz deutlich; sind wir aber einmal in dem Dickicht des Tales angekommen, so ist es nicht so leicht, bei den vielen Einzelheiten des Weges den richtigen Pfad zu unterscheiden. Wie leicht geschieht es, dass wir in den zerstreuenden und ermüdenden Umständen der Prüfung die Klarheit des Verständnisses verlieren, welche wir besaßen, als wir sie in der Gegenwart Christi beurteilten. Keiner von uns wird leugnen, dass es sehr schwierig ist, in dem Dickicht des Tales so klar zu sehen, wie auf den Höhen mit Christo. Unser Auge muss einfältig sein, um den Willen Gottes zu tun; und je demütiger wir sind, desto einfältiger werden wir sein, und also durch die Wahrheit Seines Willens geleitet werden - durch den Willen Dessen, der das Ende beim Anfang sieht und uns durch Sein Wort und Seinen Geist leitet. Der schärfste menschliche Verstand kann niemals die Wege Gottes unterscheiden, während das kleine Kind, das auf Gott blickt, die Weisheit Gottes besitzt. Bei jedem Schritt, den wir tun, sollten wir das Gefühl des Beifalls Gottes haben: „Er leitet die Elenden im Recht und lehret Elende Seinen Weg.“

„Wenn du nun nicht wachen wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde.“ Wenn die Wachsamkeit in der bekennenden Kirche nicht vorhanden ist, wie ernst sind dann die Folgen: „so werde ich über dich kommen wie ein Dieb.“ Wie schrecklich ist es, wenn die bekennende Kirche mit ihren großen Namen nach der Schätzung und dem Urteil Gottes auf gleichen Boden mit der Welt gestellt werden muss, wenn ihre Werke den Erwartungen Gottes nicht entsprechen! Der Herr hatte ihre Werke nicht völlig erfunden vor Seinem Gott, weil sie den von Gott gegebenen Vorrechten nicht entsprachen. Gott sagt hier gleichsam zu der Versammlung: Wenn die Werke nicht gemäß der Vorrechte sind, die ich euch gegeben habe, wenn keine Wachsamkeit vorhanden ist, so muss ich euch behandeln wie die Welt. In 1.Thess. 5,2 wird hinsichtlich der Welt gesagt: „Der Tag des Herrn wird also kommen wie ein Dieb in der Nacht,“ während zu den Gläubigen gesagt wird: „Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis, dass euch der Tag wie ein Dieb ergreife; ... ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages.“ Und wenn Er kommt, der den Tag bringt, so werden die Kinder des Tages mit Ihm kommen; sie werden sein wie die Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit. „Wenn der Christus, der unser Leben ist, offenbar werden wird, dann werdet auch ihr mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit;“ „wenn Er kommen wird, verherrlicht zu werden in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben;“ und wiederum: „Und die Herrlichkeit, die Du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben ... auf dass die Welt erkenne, dass Du mich gesandt und sie geliebt, gleichwie Du mich geliebt hast.“

In 1. Thess. 5 stellt der Geist Gottes die Welt in Gegensatz zu der Versammlung Gottes, während Er hier in Sardes die bekennende Kirche den wahren Heiligen Gottes gegenüber stellt und ihr das Teil der Welt ankündigt. Die Anrede an Sardes ist deshalb derjenigen an die Welt gleich. Es trifft sie nicht dasselbe Urteil, wie Jesabel, sondern sie empfängt ihr Gericht dem entsprechend, was sie nach ihrem geistlichen Zustande ist, nämlich die Welt. Das Gericht der Welt ist das Teil der bekennenden Kirche, wenn sie das Maß dessen, was sie „empfangen“ und „gehört“ hat, nicht erreicht. Wenn sie nicht wachend erfunden wird, so zieht sie in ihrem Maße dasselbe Gericht auf sich, wie die Welt. Selbstredend will ich damit nicht sagen, dass die Versammlung Gottes, welche eins ist mit Christo in Herrlichkeit und deren Leben mit dem Christus in Gott verborgen ist, je so behandelt werden könnte; aber es ist ein überaus ernster Gedanke, dass der große bekennende Körper mit seinem „Namen, dass er lebe,“ und mit seinem schönen Schein im Fleische dasselbe Gericht zu erwarten hat, wie die Welt. Er ist in der Tat die Welt selbst. Nun aber entsteht die Frage: Inwiefern bezeugen wir durch unser Verhalten, dass fast alles um uns her, was den Namen Gottes trägt - während es nicht von Gott ist - die Namenkirche oder die Christenheit, wie man sie nennt, in Wahrheit die Welt ist, und weil sie jenen Namen und jene Stellung behauptet, auch als solche behandelt wird? Wie ernst ist die Tatsache, geliebte Freunde, dass wir in unsern Tagen einen Schauplatz zu durchpilgern haben, der also von Gott heimgesucht werden muss! Er selbst hat es gesagt - und ach! wir wissen nicht, wie bald. Ich kenne nichts Ernsteres, als diese Gleichstellung der bekennenden Kirche mit der Welt im Gericht, wie sie uns hier mitgeteilt wird.

„Du hast wenige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; und sie werden einhergehen mit mir in weißen Kleidern; denn sie sind es wert.“ Hier wird eine andere wichtige Sache vor unsere Augen gestellt. Wir finden hier die Charakterzüge dessen, was man oft die „unsichtbare Kirche“ nennt. „Du hast wenige Namen in Sardes.“ Diese Namen bezeichnen einzelne Personen, welche der Herr gezählt hat und welche Er alle mit Namen kennt. Es sind solche, „die ihre Kleider nicht besudelt haben.“ Sie sind nicht mit der Welt gegangen; die bekennende Kirche aber hat ihre Kleider besudelt. Es mag sein, dass Sardes weder die Verführungen Balaams, noch auch die Verderbnisse Jesabels zur Last gelegt werden; allein sie „sinnet auf das Irdische,“ und „ihre Ehre ist in ihrer Schande.“ Sardes hat ihre Kleider nicht unbefleckt von der Welt gelassen, und deshalb ist ihr Schandfleck „nicht der Schandfleck Seiner Kinder.“ (5. Mo 32,5) Gleichwie Paulus sagte und sogar mit Weinen sagte, „dass sie die Feinde des Kreuzes Christi sind.... die auf das Irdische sinnen.“ Das Herz ist vom Geiste der Welt erfüllt, als wäre sie der empfangene Gegenstand, und daher passt man sich ihr an, um mit ihr zu wandeln. Diejenigen aber, die mit unbefleckten Kleidern an dem Kreuze festgehalten haben, „werden einhergehen mit mir in weißen Kleidern, denn sie sind es wert.“

Der Charakter der Segnung entspricht immer der Schwierigkeit. Jene Getreuen haben hienieden ihre Kleider unbefleckt erhalten von der Welt; deshalb werden sie droben mit Ihm in weißen Kleidern wandeln; „und ich will seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buche des Lebens und will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor Seinen Engeln.“

Beachten wir, wie persönlich der Ausdruck ist: „seinen Namen!“ er wird sogar zweimal wiederholt. Der Ausdruck „das Buch des Lebens“ bezeichnet augenscheinlich ein allgemeines Register des Bekenntnisses und ist vielleicht dem Gebrauch städtischer Korporationen, Verzeichnisse der Namen ihrer Mitglieder zu führen, entlehnt. In diese Verzeichnisse kann ein Name eingetragen werden, von welchem es sich später erweisen mag, dass er kein Recht darauf hat. Auf den ersten Blick räumt diese Eintragung ein Anrecht auf irgendetwas ein; bei einer näheren Untersuchung aber stellt es sich heraus, dass der Name aus der Liste gestrichen werden muss. Diejenigen, welche in das Buch des Lebens eingeschrieben waren, hatten ein Bekenntnis, sie hatten „den Namen, dass sie lebten.“ Etwas ganz anderes ist es, wenn von dem Geschriebensein „in dem Buche des Lebens vor Grundlegung der Welt“ die Rede ist; in diesem Falle hat Gott selbst die Namen eingeschrieben; es ist das Buch der Ratschlüsse und der Vorsätze Gottes.

„Ich will seinen Namen bekennen“. Der Herr wird einen jeden der Seinigen auszeichnen. Zugleich sehen wir, dass in diesen einzelnen Personen, inmitten des allgemeinen Verfalls, die unsichtbare Kirche vorhanden ist; und wenn der sichtbare Körper gerichtet wird, so werden diese einzelnen entrinnen - und nicht nur entrinnen, sondern der Herr wird sie vor dem Gericht zu sich aufnehmen, so dass, wenn Er zum Gericht der Welt erscheint, sie mit Ihm kommen werden. Die sichtbare Kirche aber, welche der Gnade nicht entspricht, wird in derselben Weise wie die Welt behandelt werden. Es gibt deshalb, wenn man es so nennen will, eine unsichtbare Kirche; aber beachten wir, dass dann, wenn die wahre Kirche unsichtbar ist, mit der sichtbaren genau so verfahren wird, wie mit der Welt.

Jene sieben Versammlungen wurden Leuchter genannt, und Gott hatte ihnen Licht gegeben, jedoch nicht, um es unter den Scheffel zu stellen, sondern um es auf einen Leuchter zu setzen, damit es allen ringsum leuchte. Doch ich frage: Ist ein Licht unsichtbar? Wenn es unsichtbar ist, was hat es dann noch für einen Wert? Es verdient nichts anderes, als verworfen zu werden. Man hat seit etwa dreihundert Jahren gesagt, dass es eine unsichtbare Kirche gibt, und dies ist in gewisser Beziehung ganz richtig; damit aber spricht man eine direkte Verurteilung der sichtbaren Kirche aus. Wenn wir diese letztere in ihrem gemeinsamen öffentlichen Bekenntnis für Gott betrachten, sehen wir dann in ihrem Verhalten und Leben den Abdruck der Gebote Christi? Nein; und deshalb ist in der Kirche das sichtbare Zeugnis von all der Gnade, der Wahrheit und der Segnung, die ihr Teil in Christo ist, nicht gewesen.

Ich möchte schließlich noch auf die verschiedenen Gesichtspunkte aufmerksam machen, unter welchen uns die Ankunft des Herrn in diesem Sendschreiben vorgestellt wird. In Thyatira, wo Jesabel den Zustand der Kirche kennzeichnet, wendet der Herr das Auge von jeder Hoffnung auf ihre Wiederherstellung als ein Ganzes ab und richtet es auf den Morgenstern, zum Trost für alle diejenigen, welche, wiewohl sie nicht von der Nacht sind, aber wahrnehmen, dass es Nacht ist, den Morgenstern erwarten. Auf diese Weise wird inmitten des zunehmenden Bösen dem treuen Überwinder die Hoffnung Seiner Ankunft als eine Zufluchtsstätte gegeben. Hier in Sardes trägt die Ankunft des Herrn den Charakter des Gerichts. Ich werde „über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde.“ Sardes bringt, weil es in einem verfallenen und toten Zustande ist, notwendigerweise das Gericht über sich; denn wenn die bekennende Kirche in einem todesähnlichen Zustande ist, so muss sie auch wie die Toten behandelt werden. In Philadelphia aber tritt eine große Veränderung ein. Dort wendet sich der Herr inmitten des Abfalls, an einen schwachen, armen Überrest, mit der gesegneten und ermunternden Hoffnung Seiner baldigen Ankunft: „Siehe, ich komme bald!“

Fußnoten

  • 1 Moses hat Wunder getan zum Beweise seiner Sendung, als in Israel noch keine göttliche Einrichtung vorhanden war. Doch dies ist hier nicht unser Gegenstand; der Grundsatz aber ist derselbe. Die jüdischen Propheten beriefen sich auf die bestehende Einrichtung.
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