Josia und seine Reformen

4. Ein trauriges Ende

Josia und seine Reformen

„Nach allem diesem“ (2. Chr 35,20), so beginnt der göttliche Bericht über das Ende Josias. Fast möchte man den Abschnitt überlesen und das Abweichen des großartigen Mannes Gottes gar nicht zur Kenntnis nehmen. Und doch, auch durch diese traurige Begebenheit möchte Gott zu uns reden. Gottes Geschichtsschreibung – und das wird hier noch einmal ganz klar – ist immer realistisch. Die Bibel erzählt uns nichts von Helden, die keine Fehler gehabt hätten. Selbst Männer wie Abraham, Isaak, Josua, David u.a. kannten Perioden oder zumindest Situationen in ihrem Leben, in denen sie nicht in Übereinstimmung mit ihrem Gott handelten. Wenn Gott uns darüber überhaupt etwas sagt, dann ganz bestimmt nicht, damit wir darüber zu Gericht sitzen, sondern damit wir daraus etwas für uns lernen. Wenn wir Vollkommenheit suchen, dann werden wir sie nur im Leben unseres Herrn finden. Bei Ihm gab es auch nicht die geringste Abweichung von dem Weg, den Er zur Ehre Seines Vaters ging.

Was den Lebensverlauf Josias so tragisch macht, ist die Tatsache, dass er am Ende plötzlich zu Fall kam. Als Jugendlicher hatte er angefangen, Gott zu suchen, als junger Mann führte er ein aktives Glaubensleben und motivierte dabei sogar andere, aber im gereiften Mannesalter fiel er. Ein guter Start, eine gute Fortsetzung, aber ein trauriges Ende – so könnte man sein Leben zusammenfassen. Ein Leben, das Gott gebrauchen konnte, geht auf tragische Weise zu Ende. Das muss uns irgendwie nachdenklich stimmen.

13 Jahre Schweigen

Wir haben Josia als einen Mann der Reformen kennengelernt. Sein Glaubensleben begann, als er 16 Jahre alt war. Über einen Zeitraum von 10 Jahren berichtet uns Gott ausführlich über das, was dieser junge Mann bewegt hat. Höhepunkt seiner Reformen war ohne Zweifel das Passah, das unter seiner Regierung gefeiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Josia 26 Jahre alt. Und dann heißt es ganz unvermittelt: „Nach allem diesem“. Josia starb im 31. Jahr seiner Regierung, also im Alter von 39 Jahren. Wenn wir rechnen, dann liegt zwischen dem Bericht über das Passah und den Worten: „nach allem diesem“ ein Zeitraum von 13 Jahren. Man steht unter dem Eindruck, dass Gott diese 13 Jahre im Leben Josias einfach übergeht.

13 Jahre Schweigen! Hat Josia in dieser Zeit nichts getan? Hat er nichts bewegt? Wir finden keine klare Antwort auf diese Frage. Was wir sagen können, ist dies, dass Josia nichts getan hat, worüber Gott etwas zu berichten gehabt hätte. Darin sehen wir ein wichtiges Prinzip, das wir des öfteren in der Bibel finden. Gott redet zu uns durch das, was Er sagt. Er redet manchmal aber auch zu uns durch das, was Er nicht sagt. Die Belehrungen liegen nicht immer direkt an der Oberfläche. Manchmal müssen wir – auch wenn es etwas Mühe macht – ein wenig mehr graben und auch zwischen den Zeilen lesen und das bedenken, was Gott eben nicht sagt. Warum lesen wir z.B. im Leben Abrahams nichts von einem Altar, als er im Land Ägypten war (1. Mo 12,9-20)? Oder warum lesen wir nichts von einem Gebet Davids, als er zu Achis, dem König der Feinde Israels floh (1. Sam 27-29)? Das Schweigen Gottes redet – auch im Leben Josias.

Was hat dieses Schweigen uns zu sagen? Gibt es auch in unserem Leben solche Zeiten, über die Gott nichts zu berichten hat; Zeitperioden, die für Gott wertlos sind, weil keine Frucht für Ihn gefunden wird? Gott sucht Frucht in unserem Leben, das heißt, Er möchte etwas von den

herrlichen Wesenszügen Seines Sohnes in uns sehen. Was Frucht für Gott ist, beurteilt übrigens Gott selbst und niemand anders. In den Augen der Menschen mag manches gut aussehen, aber was zählt, ist die Beurteilung durch Gott.

Wie läuft unser Leben ab? Vielleicht haben wir gut angefangen, haben uns für die Sache Gottes engagiert, dann aber nachgelassen und uns anderen Dingen zugewandt. Vielleicht ist uns manches, was wir früher aus Überzeugung getan haben, inzwischen zur Routine geworden. Junge Leute sind oft schneller für etwas zu begeistern, während im Alter die Begeisterung manchmal nachlässt. Im geistlichen Leben darf das anders sein. Der weise Salomo sagt: „Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe“ (Spr 4,18). Das glänzende Morgenlicht dürfen wir mit der Jugend eines Menschen vergleichen. Die Jugendzeit gleicht dem strahlenden Morgen, an dem die Sonne in ihrer Kraft aufgeht. Aber damit ist es nicht getan. Ein Leben für Gott ist ein Leben, das ständig heller leuchtet, bis zur Tageshöhe. Bei Josia war das so, bis sich der helle Schein plötzlich verdunkelte. Wie ist es bei mir und bei dir?

Josia war 39 Jahre alt, als er sich unnötigerweise in den Kampf mit Pharao Neko einließ. Er war kein junger Mann mehr, er war aber auch noch nicht alt. Mit 39 Jahren hat man normalerweise den Zenit seines Lebens erreicht. Man steht mitten im Leben. Das Ende Josias spricht zweifellos zu uns allen, aber dürfen wir, die wir in der Mitte unseres Lebens stehen, uns einmal besonders angesprochen fühlen? Wie ist unser Leben bis jetzt abgelaufen? Wie haben wir angefangen? Was haben wir erreicht? Waren und sind wir erfolgreich in dieser Welt? Haben wir Karriere gemacht? Haben wir eine intakte Familie? Das sind alles nur Fragen, über die wir nachdenken dürfen. Aber fragen wir uns auch: Was sind wir für den Herrn gewesen? Hat es vielleicht in der Vergangenheit Zeiten gegeben, wo wir uns mehr für Ihn und Seine Sache interessiert und eingesetzt haben? Gibt es vielleicht jüngere Geschwister, die es uns vormachen? Noch einmal: Es sind Fragen, über die wir einmal in Ruhe nachdenken dürfen, um uns dann selbst eine Antwort zu geben.

Noch ein anderer Gedanke drängt sich in Verbindung mit den 13 Jahren auf. Wir fragen uns: Was ist aus dem Reformwerk Josias geworden? Zeigte es gar keine Wirkungen mehr? Sicherlich doch, denn der letzte Vers von 2. Chronika 34 sagt uns: „Alle seine [Josias] Tage wichen sie nicht ab von der Nachfolge des HERRN“. Dies war die äußere Seite. Welche innere Haltung das Volk kennzeichnete, lesen wir im Propheten Jeremia. Er zeigt uns, wie die Dinge wirklich aussahen: „Und selbst bei diesem allen ist ihre treulose Schwester Juda nicht zur mir zurückgekehrt mit ihrem ganzen Herzen, sondern nur mit Falschheit, spricht der HERR“ (Jer 3,10). Dieses Wort wirft ein bezeichnendes Licht auf die Tage Josias. In Wirklichkeit muss dieser König ein einsamer Mann gewesen sein. Die große Masse des Volkes ist ihm nur äußerlich gefolgt. Von einer nationalen Umkehr konnte (leider) keine Rede sein. Josia konnte Vorbild sein, er konnte auch, was die äußeren Dinge betraf, Befehle erteilen und Anweisungen geben, aber er konnte die Herzen des Volkes nicht verändern. Wir sehen also ein Reformwerk, das äußerlich auch in diesen 13 Jahren weiterlief, ohne dass es mit innerem Leben erfüllt gewesen wäre. Aber Josia selbst, der Reformer, scheint sich in diesen 13 Jahren verändert zu haben.

Welche Anwendung lässt dieser Gedanke zu? Die Reformen des Königs mussten sich im Volk bewähren. Gott prüft.

Gott testet. Das gilt auch für uns. Wir sind Teil einer Generation, die ein großes geistliches Erbe bekommen hat. Viele Wahrheiten des Wortes Gottes sind uns nicht unbekannt. Allein zu „erben“ genügt aber nicht. Bei aller Freude über das, was wir von unseren geistlichen Vätern übernommen haben, wollen wir nicht vergessen, dass mit diesem Erbe auch Verantwortung verbunden ist. Die Frage stellt sich, ob wir die Wahrheiten nur im Kopf oder auch im Herzen haben. Die Wahrheit Gottes verändert sich nicht. Wenn sich etwas verändert, dann sind wir es. Dürfen wir diese 13 Jahre im Leben Josias einmal als eine Probezeit Gottes ansehen? Welches Ergebnis kommt dabei für uns heraus? Was Josia gekennzeichnet hatte, war die Anerkennung des Wertes und der Autorität des Wortes Gottes. Er beugte sich unter dieses Wort. Er war abhängig. Ist nicht Unabhängigkeit ein großes Problem unserer Zeit? Wie leicht neigen wir dazu, Gottes Wort zu relativieren, wenn wir uns angesprochen fühlen sollten. Mangelnde Abhängigkeit führt entweder zu Eigensinn oder zur Routine. Beide Probleme kennen wir heute. Wir können im Eigensinn Wahrheiten des Wortes aufgeben, die uns früher einmal wertvoll waren und für die wir sogar gekämpft haben. Wir können aber auch routinemäßig an dem festhalten, was wir an Glaubensgut von unseren Vätern übernommen haben. Beides ist verkehrt. Gott sucht Glaubensfrische. Er sucht die Zuneigung unserer Herzen. Nehmen wir ein Beispiel: Macht die Gegenwart des Herrn in den Zusammenkünften noch einen tiefen Eindruck auf uns, oder kommen wir „nur“ aus Gewohnheit zu den Zusammenkünften? Haben wir uns so an den Ablauf unserer Stunden gewöhnt, dass alles zu einer Routine geworden ist? Die Gegenwart des Herrn wird nur dann jedes Mal neu ein Erlebnis für uns sein, wenn wir mit ganzem Herzen dabei sind. Gott sieht das Herz. Er beurteilt nicht nur die äußere Form, sondern vor allem die inneren Beweggründe.

Ein unnötiger Krieg

Das Volk Israel hat manchen Krieg geführt. Manchmal wurden sie angegriffen und mussten sich verteidigen. Manchmal waren sie selbst die Angreifenden. Es gab Kriege, in denen Gott mit ihnen war, und es gab Kriege, in denen Gott gegen sie sein musste. Aber unter den Kriegen, von denen Gottes Wort berichtet, war anscheinend keiner so unnötig und sinnlos wie der Krieg, den Josia jetzt gegen den Pharao Neko führt, obwohl die Beweggründe Josias natürlich unbekannt sind. Der historische Hintergrund dieses Krieges ist nicht klar. Es kann sein, dass der Pharao einen Krieg gegen die untergehende assyrische Weltmacht führen wollte. Es kann aber auch sein, dass sich sein Angriff gegen die aufstrebende babylonische Weltmacht richtete. Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass sich Josia ohne für uns erkennbaren Grund in diese Auseinandersetzung einmischt und trotz der Warnung des heidnischen Pharao den Kampf sucht. Josia, der in der Vergangenheit so tiefe Einsicht in die Gedanken Gottes hatte, scheint inzwischen sein Unterscheidungsvermögen verloren zu haben.

Beim Lesen dieser Begebenheit können wir an zwei Stellen aus den Sprüchen denken, die Salomo viele Jahre, bevor Josia lebte, aufgeschrieben hatte:

  • „Ehre ist es dem Mann, vom Streit abzustehen; wer aber ein Narr ist, stürzt sich hinein“ (Spr 20,3).
  • „Der ergreift einen Hund bei den Ohren, wer vorbeigehend sich über einen Streit ereifert, der ihn nichts angeht“(Spr 26,17).

Diese Worte reden auch zu uns. Wir glauben oft, kämpfen zu müssen, wenn Gott uns auffordert, zu fliehen. Es gibt wohl Situationen, wo wir dem Satan widerstehen sollen, nämlich dann, wenn er uns angreift, um uns unseren Glaubensbesitz wegzunehmen. In den allermeisten Fällen aber ist Flucht angesagt, ganz besonders dann, wenn Satan die Verführungen dieser Welt benutzen will, um uns zu Fall zu bringen. In solchen Situationen zu kämpfen, bringt eine sichere Niederlage. Das Beispiel Josephs ist gut bekannt und sei hier in Erinnerung gerufen. Allein seine tapfere Flucht hat ihn davor bewahrt, in sexuelle Sünde zu fallen.

Geltungssucht

Man mag über die Motive nachdenken, die Josia veranlasst haben, diesen Krieg zu führen. Eine direkte Antwort finden wir in Gottes Wort nicht. Wenn wir aber ein wenig zwischen den Zeilen lesen, könnte man vielleicht fragen, ob Josia etwas in der Welt darstellen wollte. Er mischt sich in das aktuelle politische Geschehen seiner Zeit ein, das ihn möglicherweise gar nichts anging. Weder er selbst noch sein Volk waren in diesem Fall durch die kriegerischen Absichten der Ägypter bedroht.

Geltungssucht ist ein Übel, dass sich durch die ganze Bibel zieht. Es gibt eine Reihe von Beispielen, die Gott uns zur Warnung gegeben hat. Denken wir etwa an Lot, der seinen Platz im Stadtrat des sündigen Sodoms zu sehen meinte. Oder denken wir an Saul, der die Ehre vor dem Volk suchte. Denken wir an Nebukadnezar, der sich stolz erhob und so tief fiel. Auch hier erinnern wir uns an ein Wort des weisen Salomo: „Hoffart geht dem Sturz, und Hochmut dem Fall voraus“ (Spr 16,18). Diese Worte haben ihre Gültigkeit übrigens bis heute nicht verloren.

Wenn wir das auf uns beziehen, dann könnten wir uns fragen: Welche Ziele verfolgen wir? Wollen wir ein Faktor in dieser Welt sein, wollen wir etwas gelten? Das kann z.B. im Beruf der Fall sein. Streben wir mit aller Macht und ohne Rücksicht auf andere nach oben, frei nach dem Motto: „Jeder ist sich selbst der Nächste“? Oder meinen wir etwa, wir könnten uns in die Politik dieser Welt einmischen? Vielleicht tun wir es mit besten Absichten, aber es ist dennoch falsch. Wir haben hier auf der Erde kein Bürgertum. Es ist die Welt, die unseren Herrn verwarf und ans Kreuz brachte. Da kann es nicht unsere Aufgabe sein, eine Rolle in der Politik dieser Welt zu spielen, sei es auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene. Noch schlimmer aber kommt es, wenn wir einen Platz der Ehre und des Ansehens in der religiösen Welt einzunehmen suchen. Die religiöse Welt war genauso schuldig am Tod des Herrn wie die politische Welt. Auch in diesem „Teil“ der Welt kann niemals der Platz sein, wo wir Aktivitäten entwickeln sollen.

Geltungssucht kann es aber auch im Leben einer örtlichen Versammlung (Gemeinde) geben. Streben wir vielleicht hier einen der angesehen Plätze an? Wollen wir zu den ersten gehören? Johannes spricht in seinem dritten Brief von Diotrephes, einem Mann, „der gern unter ihnen der erste sein will“ (3. Joh 9). Das ist in der Tat ein trauriges Zeugnis. Da denken wir lieber an unseren Herrn, der sich selbst freiwillig erniedrigte und den letzten Platz einnahm. Seine Gesinnung darf uns kennzeichnen (Phil 2,5-8), dann wird es solche Probleme nicht geben. Er selbst hat Seine Jünger gelehrt, nicht nach den ersten Plätzen zu streben. Stattdessen sagte er: „... jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 14,11). Was wir auch in dieser Sache brauchen, ist „Einfalt gegenüber dem Christus“ (2. Kor 11,3).

Ungehorsam

Geltungssucht mag das äußere Motiv Josias für den Kampf gewesen sein. Aber wie sah es in seinem Innern aus? Müssen wir nicht sagen, dass Josia unabhängig und sogar ungehorsam geworden war? Wir lesen nichts von einem Wort Gottes, das ihm sagte, diesen Krieg zu führen, noch finden wir ein betendes Fragen Josias, ob er sich in den Kampf einmischen soll oder nicht. Josia handelt offensichtlich so, wie er es selbst für gut und richtig hält. Dann tritt Gott ihm direkt in den Weg. Durch einen heidnischen Regenten richtet er ein klares Wort an Josia: „Was haben wir miteinander zu schaffen, König von Juda? Nicht wider dich komme ich heute ... und Gott hat gesagt, dass ich eilen sollte. Stehe ab von Gott, der mit mir ist, dass er dich nicht verderbe!“ (2. Chr 35,21). Doch Josia hört nicht auf Gott. Das ist Ungehorsam, und die Folgen waren bitter.

Gott prüft Seinen Knecht. Und Er prüft ihn gerade da, wo früher seine Glaubensstärken gewesen waren. Kompromisslose Beugung unter das Wort Gottes, das war es, was Josia einige Jahre vorher noch gekennzeichnet hatte. Das Wort Gottes hatte ihn zu Boden geworfen und in die Arme Gottes getrieben. Hier macht es offensichtlich nicht einmal mehr einen Eindruck auf ihn. Er ignoriert die Botschaft Gottes völlig. Es mag sein, dass er einfach nicht glauben wollte, dass es Gott war, der durch den Pharao zu ihm sprach. Aber das ändert nichts daran, dass er unabhängig und ungehorsam wurde.

Ungehorsam ist ohne Zweifel ein Kennzeichen unserer Zeit. Gehorsam zählt in unserer Gesellschaft immer weniger. Davon bleiben auch wir Gläubigen nicht unberührt. Aber Gottes Gedanken ändern sich deswegen nicht. Er erwartet von uns Gehorsam und Beugung unter sein Wort. Und Gott prüft uns auch, ob sich unser Gehorsam bewährt. Nun ist es einfach, über Gehorsam zu reden oder zu schreiben. Schwieriger aber ist es, ihn zu praktizieren. Wir denken an das erste Menschenpaar, das unter so günstigen Umständen geprüft wurde und in Ungehorsam fiel. Wir denken an uns, die wir oft in so kleinen Dingen auf die Probe gestellt werden und ungehorsam sind. Aber dann denken wir an unseren Herrn, der in die schwierigste Situation kam, die man sich vorstellen kann. Er fiel nicht in Ungehorsam, nein, Er war der eine, der „gehorsam wurde bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuz“ (Phil 2,8). Dieser Gehorsam erfüllt uns mit Bewunderung. IHM dürfen wir nacheifern.

Bemerkenswert ist an dieser Stelle auch, dass Gott einen ungläubigen Menschen benutzt, um Seinen Knecht zu warnen und ein Wort an ihn zu richten. Gott hat unterschiedliche Möglichkeiten, zu uns zu reden und uns zu leiten. Neutestamentlich Gläubige besitzen das vollständige Wort Gottes, und dieses Wort ist unseres Fußes Leuchte und Licht für unseren Weg. Durch den in uns wohnenden Geist macht Gott uns auf Sein Wort aufmerksam, und das je nach Situation sehr konkret. Es kann aber auch sein, dass Gott durch irgendwelche Umstände zu uns redet. Besonders ernst ist es allerdings, wenn Gott ungläubige Menschen benutzen muss, um Seine Kinder auf etwas aufmerksam zu machen. Es ist durchaus nicht abwegig, dass Gott ungläubige Menschen als Sprachrohr benutzt. Wir erinnern z.B. an Bileam oder an Kajaphas, die beide im Auftrag des Herrn etwas zu sagen hatten. In der Geschichte Josias ist es ein heidnischer König, den Gott gebraucht. Dabei spricht dieser nicht allgemein, sondern er wendet sich ganz konkret an Josia. Doch selbst diesen Hinweis nimmt der König nicht auf, sondern hält an seinem Ungehorsam fest.

Starrsinn

Ein weiteres Kennzeichen Josias ist sicher auch der Starrsinn, der sich bei ihm zeigt. Er gleicht dem Mann, von dem Salomo sagt: „…gegen alle Einsicht geht er heftig an“ (Spr 18,1). Man wird fast an ein kleines Kind erinnert, das trotz ausführlicher Erklärungen der Eltern einfach sagt: „Ich will aber nicht“. Der Hinweis des Pharaos durch den Mund Gottes war mehr als deutlich, und doch blieb Josia bei seiner Absicht. Er wollte den Krieg und ließ sich durch nichts davon abhalten.

Als er jung war, ließ er sich durch das Wort Gottes bilden. Er war kritik- und korrekturfähig. Als 39-jähriger war ihm diese Eigenschaft offensichtlich abhanden gekommen. Meinte er vielleicht, aufgrund seiner Lebenserfahrungen selbst die richtige Entscheidung treffen zu können?

In der Welt spricht man vom „Altersstarrsinn“, und in vielen Fällen ist das sicher auch berechtigt. Aber auch in jüngeren Jahren kann man starrsinnig und uneinsichtig werden. Diese Gefahr ist allerdings um so größer, je mehr Lebenserfahrung man hat. Selbst langjährige Erfahrung im Dienst für den Herrn kann – wenn wir nicht wachsam sind – dazu führen, dass wir auf unserer Meinung beharren und uns nicht mehr unter das Wort Gottes beugen. Vielleicht benutzt Gott eine Schwester oder einen Bruder, um uns auf eine Sache aufmerksam zu machen. Weil wir aber meinen, dass gerade diese Schwester oder dieser Bruder doch viel weniger Erfahrung haben als wir, sind wir vielleicht geneigt, nicht auf sie zu hören. Besserwisserei kann niemals eine von Gott gewirkte Eigenschaft sein. Wir sollten sensibel sein und bleiben und Korrektur akzeptieren, wenn sie angebracht ist. Josias Eigensinn und Starrsinn führten ihn schließlich in den Tod.

Versteckenspielen

Noch etwas fällt uns beim Lesen der Begebenheit besonders auf, nämlich die Verkleidung Josias. Was sollte diese Maskerade? Warum dieses Versteckspiel? Das Alte Testament gibt uns mehrere Beispiele ähnlicher Maskeraden. In 1. Mose 38 finden wir die erschütternde Geschichte von Tamar, der Schwiegertochter Judas. Mit einer Verkleidung leitete diese von Juda getäuschte und enttäuschte Frau eine schreckliche Sünde ein. In 1. Samuel 28 sehen wir den König Saul, der sich verkleidete, um zu einer Totenbeschwörerin zu gehen. Von ihm heißt es ausdrücklich: „Und Saul verstellte sich und zog andere Kleider an ...“ (1. Sam 28,8). Auch der König Ahab verkleidete sich, um – ähnlich wie Josia – unerkannt in den Kampf ziehen zu können (1. Kön 22,30). Zumindest in den Fällen von Tamar und Saul war mit dieser Maskerade offenkundige Sünde verbunden. Tamar gab sich der Hurerei und Saul dem Okkultismus hin. Beides war klar und eindeutig gegen die Gedanken Gottes. Beide wollten bewusst etwas gegen den Willen Gottes tun und verkleideten sich deshalb. Es war ein Aufgeben der eigenen Identität, um sie gegen eine andere (Schein-)Identität einzutauschen.

Bei Ahab und auch bei Josia war das Hauptmotiv der Verkleidung, dass sie unerkannt bleiben wollten. Die Feinde sollten in ihnen nicht den König und Befehlshaber der feindlichen Armee erkennen. Ob sie sich dabei auch vor Gott verstecken wollten? Ahab hatte das Gotteswort gehört, dass er sterben sollte, und auch bei Josia mag sich Zweifel eingeschlichen haben, ob Gott nicht doch gegen ihn sein musste.

Interessant mag in diesem Zusammenhang sein, dass der Prophet Zephanja davon spricht, dass der Herr die Fürsten und Königssöhne heimsuchen würde und alle, die sich mit fremder Kleidung bekleiden“ (Zeph 1,8). Dürfen wir diesen Tatbestand geistlich anwenden? Die Kleidung spricht in Gottes Wort oft von unserem Zeugnis, von dem, was man äußerlich an uns sieht. Fremde Kleidung zu tragen könnte dann in etwa bedeuten, dass wir uns nicht so verhalten, wie wir eigentlich sollten. Wir verstellen uns und geben unsere wirkliche Identität nicht preis. Auf diese Weise können wir Menschen etwas vormachen. Jahrelang sind wir mit Ungläubigen zusammen – z.B. am Arbeitsplatz oder in der Schule – und niemand hat gemerkt, dass wir Kinder Gottes sind. Oder wir verstellen uns nur vorübergehend, um vielleicht etwas zu tun, wovon wir genau wissen, dass es nicht in Ordnung ist. Eine perfekte Maskerade vor den Menschen. Niemand merkt etwas – außer Gott. Ihm können wir nichts vormachen. Er nimmt Kenntnis von dieser Art des Versteckenspielens.

Aber noch eine andere Anwendung sei erlaubt. Wir können uns auch verstellen, wenn es um die Darstellung dessen geht, was Gott uns anvertraut hat. Ist uns der Weg der Absonderung und des Gehorsams nach den Gedanken Gottes möglicherweise zu eng geworden? Fühlen wir uns in dem, was der Herr uns gegeben hat, nicht mehr wohl, weil wir einen größeren Wirkungskreis suchen? Dann stehen wir vielleicht in der Gefahr, aus unserer Identität herauszutreten, aus dem, was uns einmal wichtig gewesen ist. Wenn wir aus diesen Motiven heraus manches aufweichen, dann sind wir auf dem besten Weg, uns zu „verkleiden“. Das Auge Gottes sieht die Dinge immer so, wie sie in Wirklichkeit sind. Deshalb sollten wir darauf achten, auch Menschen gegenüber keine „fremde Kleidung“ zu tragen.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel (kaufen)