König – Priester – Richter
Messianische Herrlichkeiten in Psalm 110

Teil 4: Christus als Richter (Verse 5.6)

Vers 5: Der Herr zu deiner Rechten zerschmettert Könige am Tag seines Zorns.

Jetzt wird die dritte Herrlichkeit des Herrn vorgestellt. Er ist nicht nur der König und Priester, sondern zugleich der Richter. König und Priester ist Er für sein irdisches Volk. Für die feindlichen Mächte hingegen ist Er der Richter.1

Bevor Ruhe und Frieden im Reich endgültig hergestellt werden, wird Christus alle feindlichen Mächte richten. Das Neue Testament zeigt uns zwei Arten von Gericht, die Er ausüben wird.

  • Das eine ist das Gericht vor einem Richterstuhl (Thron). Ausleger nennen diese Art von Gerichten gerne „Sitzungsgerichte“.
  • Das andere ist das Gericht durch kriegerische Auseinandersetzungen. Ausleger sprechen hier gerne von „Kriegsgerichten“.

Beide Arten von Gericht finden wir wiederholt in der Offenbarung und auch in den prophetischen Büchern des Alten Testamentes.

Wenn wir die Verse 5 und 6 zusammen sehen, finden wir vier Punkte, die dieses Gericht ausmachen und die deutlich machen, dass es in Psalm 110 besonders um Kriegsgerichte geht.

  • Er zerschmettert Könige am Tag seines Zorns.
  • Er richtet unter den Nationen.
  • Er füllt alles mit Leichen.
  • Das Haupt über ein großes Land zerschmettert Er.

Wir denken daran, dass Salomo – ein Hinweis auf den Herrn in seiner Regierung des Friedens – zu Beginn seines Königtums Gericht ausübte. Drei große Widersacher Davids (der Rebell Adonia, der Mörder Joab und der Lästerer Simei) wurden durch Benaja getötet (1. Kön 2). Erst danach konnte seine Friedensherrschaft beginnen.

Der Herr zu deiner Rechten

Erneut ist die Rede von dem „Herrn“ (ohne Kapitälchen). Im Gegensatz zu Vers 1 steht hier im Grundtext jedoch nicht „Adon“ (Einzahl), sondern „Adonai“, d. h. die Mehrzahlform von „Adon“, die ausschließlich für Gott gebraucht wird. In 1. Mose 15,2 kommt dieser Titel zum ersten Mal vor, als Abraham Gott so anredet. Es ist die Ansprache der Unterordnung unter jemand, der Autorität besitzt. Der Herr steht in seiner Autorität allmächtig über allem und allen – auch über seinen Feinden (mögen sie noch so mächtig erscheinen). Verstärkt wird dieser Gedanke dadurch, dass es der „Herr zu deiner Rechten“ ist. Der Platz zur Rechten ist der Platz der Ehre und Herrlichkeit, aber eben auch der Macht und Autorität (vgl. Vers 1, wo das gleiche Wort steht).

Nachdem Gott sein Volk aus Ägypten befreit, es durch das Rote Meer geführt und den Pharao mit seiner Heeresmacht vernichtet hatte, sang das erlöste Volk am anderen Ufer des Meeres: „Der Herr ist ein Kriegsmann, Herr ist sein Name“ (2. Mo 15,3). Hier in unserem Vers ist es jedoch nicht der Herr (Jahwe), sondern der Herr (Adonai) – ein weiterer Beweis dafür, dass der Messias Gott ist.

J. Flanigan schreibt: „Der Herr zu deiner Rechten ist der Messias, der jetzt seinen Platz verlässt, um in Macht und Herrlichkeit zu erscheinen und Gericht zu halten. Wenn dies die richtige Interpretation ist, dann gibt es eine sehr gewichtige Schlussfolgerung: ... Es ist ein implizites Zeugnis der Gottheit von Christus: Der Messias ist Adonai, eine göttliche Person.“2

In Psalm 16,8 hören wir die Worte des Messias: „Ich habe den Herrn stets vor mich gestellt; weil er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken.“ Das bezieht sich auf das Leben des Herrn auf der Erde, als Er als Mensch hier gelebt hat. Der Herr (Jahwe) war zu seiner Rechten. Im Licht des Neuen Testamentes wissen wir, dass der Vater mit dem Sohn und bei dem Sohn war. Er hat Ihn nicht allein gelassen, weil Er immer das Wohlgefallen des Vaters tat (Joh 8,29). In Vers 1 ist der Messias (der Herr) zur Rechten Jahwes im Himmel. Doch dieser Herr ist niemand anderes als der, der einmal Gericht üben wird. Es geht also um den Augenblick, wo tatsächlich die Feinde als Schemel seiner Füße gelegt werden.

Könige werden zerschmettert am Tag seines Zorns

Der „Tag seines Zorns“ leitet zweifelsfrei den „Tag des Herrn“ ein (vgl. z. B. Jes 13,9.13), von dem die Propheten immer wieder sprechen. Im Licht des Neuen Testamentes denken wir an den „Zorn des Lammes“ (Off 6,16), vor dem die Gläubigen der gegenwärtigen Zeit der Gnade gerettet werden (1. Thes 1,10). Dieser Zorn wird sich zum einen gegen sein eigenes abtrünniges Volk wenden und besonders gegen den Antichristen, den Er vernichten wird mit dem Hauch seines Mundes (Jes 30,33; 2. Thes 2,8). Zum anderen werden Zorn und Gericht alle feindlichen Mächte treffen. Nun es ist ohne Frage so, dass der Antichrist „der König“ ist (Jes 30,33; 57,9; Dan 11,36). Hier ist jedoch nicht von „dem König“ (Einzahl) die Rede, sondern von „Königen“ (Mehrzahl). Das zeigt, dass es in Psalm 110 nicht primär um das Gericht über die abtrünnigen Juden und ihr Haupt geht, sondern um das Gericht über alle feindlichen Mächte außerhalb Israels (sie sind jedenfalls eingeschlossen). Es sind Mächte, die sich gegen den Überrest und gegen Christus stellen, und sie werden zerschmettert werden. Wir können dabei besonders an die Schlacht von Harmagedon denken (Off 16,16). Der Prophet Joel beschreibt diese Schlacht so: „Dann werde ich alle Nationen versammeln und sie in die Talebene Josaphat hinabführen; und ich werde dort mit ihnen rechten… Eilt und kommt her, alle ihr Nationen ringsum, und versammelt euch! Dahin, Herr, sende deine Helden hinab! Die Nationen sollen sich aufmachen und hinabziehen in die Talebene Josaphat; denn dort werde ich sitzen, um alle Nationen ringsum zu richten. Legt die Sichel an, denn die Ernte ist reif; kommt, stampft, denn die Kelter ist voll, die Fässer fließen über! Denn groß ist ihre Bosheit. Getümmel, Getümmel im Tal der Entscheidung; denn nahe ist der Tag des Herrn im Tal der Entscheidung“ (Joel 4,2.11-14).

Im Propheten Daniel lesen wir von dem Standbild des heidnischen Königs Nebukadnezar, das ein Hinweis auf die politischen Mächte und Weltreiche ist. Dieses Standbild wird durch einen Stein vernichtet, der ohne das Zutun einer Menschenhand erscheint. So wird Christus alle feindlichen Mächte der Nationen vernichten (Dan 2,44). Dann erfüllt sich die Voraussage von Psalm 2,9: „Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern, wie ein Töpfergefäß sie zerschmeißen.“

Vers 6: Er wird richten unter den Nationen, er füllt alles mit Leichen; das Haupt über ein großes Land zerschmettert er.

Das Gericht unter den Nationen wird weiter beschrieben. Das Gericht wird so furchtbar sein, dass Er alles mit Leichen füllen wird. Dann ist die Rede von dem Haupt eines großen Landes, das Er zerschmettern wird. Wir können dabei an die große Macht im äußersten Norden von Israel denken, den letzten Feind, der besiegt werden wird, bevor endlich das Reich in Gerechtigkeit und Frieden seinen Anfang nehmen wird.

Er wird richten unter den Nationen

Der Herr richtet nicht nur die Könige (die Mächtigen und politisch Verantwortlichen), sondern Er richtet auch unter den Nationen. Es waren nicht nur die „Könige der Erde“ und die „Fürsten“, die sich gegen Christus wandten, sondern die Nationen tobten und die Völkerschaften sannen Eitles gegen den Sohn Gottes (Ps 2,1.2; vgl. Apg 4,25-27).

Der Vater hat dem Sohn das Gericht gegeben (Joh 5,22), und Er wird es ausüben. Als Er zum ersten Mal kam, kam Er nicht zum Gericht (Joh 12,47).3 Bei seinem zweiten Kommen ist das anders. Er kommt dann als Richter der Lebenden (2. Tim 4,1; 1. Pet 4,5). Wenn Er aus dem Himmel kommt, führt Er Krieg in Gerechtigkeit (Off 19,11). Mit dem Schwert, das aus seinem Mund kommt, wird Er seine Feinde töten und das Schlachtfeld „mit Leichen füllen“ (Jes 66,16; Zeph 1,17.18; Hes 35,8; Off 19,17.18).

Das Haupt eines großen Landes zerschmettert Er

Wer ist dieses „Haupt eines großen Landes“? Einige Ausleger denken hier an den Antichristen. Die Tatsache jedoch, dass diese Aussage damit verbunden wird, dass Er alles mit Leichen füllt, erinnert eher daran, wie der letzte große Feind, der König aus dem äußersten Norden, vernichtet wird (Hes 39,11.12). Es handelt sich um Rosch (Hes 38,2.3; 39,1), das viele Ausleger der Prophetie mit Russland verbinden.4 W. Kelly schreibt: „Das geschlagene Haupt eines großen Landes scheint entweder der König des Nordens oder Gog zu sein … Hier wird der Stab seiner Macht aus Zion gesandt, um zuerst mit dem König des Nordens zu verfahren, und schließlich mit seinem großen Unterstützer, dem Herrn aller Russen, der diesen König stark gemacht haben wird und dann selbst für immer fällt.“5

Obwohl einige Übersetzungen hier von „Häuptern“ sprechen, scheint die Übersetzung „das Haupt“ richtig zu sein, d. h. es geht nicht länger um „Könige“ in der Mehrzahl, sondern um ein besonderes Haupt. J. N. Darby drückt sich allerdings – ähnlich wie W. Kelly – vorsichtig aus. Er schreibt: „Ich dachte immer, dies sei der Antichrist; aber es scheint mir nicht sicher, dass es sich nicht um Gog handelt, denn er übt seine Autorität offenbar eher unter den Juden als unter den Heiligen aus.“6

Selbst wenn man unterschiedliche Erklärungen dafür hat, um wen genau es hier geht, ist die Hauptabsicht klar: Der Messias wird bei seinem Kommen alle Autoritäten und Mächte vernichten. Der Messias wird die Oberhand behalten. Danach wird das 1000-jährige Reich in seiner Herrlichkeit errichtet. Dann werden Gerechtigkeit und Frieden herrschen und jede Gefahr einer organisierten Rebellion wird bis zum Ende des Reiches eliminiert.

Fußnoten

  • 1 Andere Stellen zeigen uns, dass der Herr auch der Richter Israels ist (z. B. Jes 33,22; Mich 4,14), aber das ist nicht der Schwerpunkt in Psalm 110. Hier geht es um die Nationen, die gerichtet werden.
  • 2 J. Flanigan: The Psalm (in: What the Bible teaches; Ritchie Old Testament Commentaries). Dazu ist anzumerken, dass die Aussage, der Herr verlässt seinen Platz, nicht ganz korrekt erscheint. Jedenfalls verlässt der Herr den Platz zur Rechten Gottes nicht, um zu erscheinen. Er bleibt auf dem Platz und führt trotzdem das Gericht auf der Erde aus. Menschlich ist das unmöglich, aber wir haben es mit dem zu tun, der Gott und Mensch in einer Person ist.
  • 3 Das steht nicht im Widerspruch zu seinen eigenen Worten in Johannes 9,39: „Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die Nichtsehenden sehen und die Sehenden blind werden.“ Der Zusammenhang zeigt, dass das Gericht eine unabwendbare Folge dessen ist, dass man den Sohn Gottes abgelehnt hat. Es ist jedoch nicht der eigentliche (primäre) Grund, warum Er kam.
  • 4 Es ist interessant zu bemerken, dass Rosch im Hebräischen tatsächlich „Haupt“ bedeutet.
  • 5 W. Kelly: Notes on the Psalms
  • 6 J. N. Darby: The Psalms
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