Ein Volk für seinen Namen (Apg. 14-17)

In Ikonium

Ein Volk für seinen Namen (Apg. 14-17)

Einleitung

In den beiden Kapiteln 13 und 14 der Apostelgeschichte wird uns die erste Missionsreise des Apostels Paulus geschildert, die er zunächst in Zypern begann und die er weiter in Begleitung von Barnabas durch die südlichen Gegenden von Galatien unternahm. Wir verließen die beiden Gesandten Gottes zuletzt in Antiochien in Pisidien, wo sie unter großem Segen gewirkt hatten, dann aber von den eifersüchtigen Juden vertrieben worden waren. Damit schloss das 13. Kapitel und ebenfallls Teil 6 von >Ein Volk für Seinen Namen<.

Kapitel 14, dem wir uns jetzt zuwenden wollen, ist verhältnismäßig kurz. Dennoch enthält es nicht nur den Rest des Werkes, den abschließenden Dienst auf dieser Missionsreise, sondern auch die Rückkehr nach Antiochien in Syrien, dem Ausgangspunkt ihrer Reise. Lukas sieht es offenbar nicht als seine Aufgabe an, uns mit den mannigfachen Einzelheiten der Reise vertraut zu machen, so interessant es wäre, auch sie zu erfahren. Vielmehr steht das vor seinem geistigen Auge, was für ihre einzelnen Stationen charakteristisch ist. Und so ist sein Bericht zumeist recht knapp und sein Stil gedrängt. Dennoch fehlt es auch nicht an ausführlicheren Schilderungen, wenn wir nur an die Heilung des Gelähmten in Lystra denken.

Den Inhalt des 14. Kapitels können wir wie folgt angeben:

  1. Das Werk in Ikonium und die Verfolgung der Apostel dort (Verse 1–6).
  2. Das Zeugnis der Apostel in Lystra und Derbe; die Heilung des Gelähmten und ihre Ergebnisse (Verse 7–18).
  3. Die Steinigung des Apostels Paulus in Lystra und die Verkündigung des Evangeliums in Derbe (Verse 19–21 a).
  4. Die Rückreise und die Rückkehr nach Antiochien (Syrien) (Verse 21b-28).

Das Wort Seiner Gnade

Die nächste Station war also Ikonium. Von Antiochien im Westen kommend, zogen Paulus und Barnabas ostwärts, bis sie nach etwa 120 km diese Hauptstadt Lykaoniens erreichten. Sie benutzten die bekannte Reiseroute, die von Antiochien in Richtung Osten über Ikonium, Lystra und Derbe bis nach Tarsus, ja bis zum Euphrat führte. Ikonium selbst war schon damals eine einflussreiche Stadt, gelangte später aber zu noch größerer Bedeutung. Und während das damals bedeutendere Antiochien in Pisidien längst von der Landkarte verschwunden ist, besteht Ikonium als Stadt von beträchtlicher Größe noch heute, unter verändertem Namen: Koniyeh.

Dem Gesagten kann man entnehmen, dass Paulus die Gewohnheit hatte, zur Verkündigung des Evangeliums gerade die großen Städte und Zentren aufzusuchen. Von dort aus würde die gute Botschaft ihren Weg in die benachbarten Gegenden finden. So war es unter der Gnade Gottes auch in Antiochien geschehen (Apg 13,49). Zudem konnte er damit rechnen, in den größeren Städten jüdische Synagogen anzutreffen.

Sie galten ihm als Anlaufstelle, getreu dem Wort: „Dem Juden zuerst…“ (Röm 1, 16). In Ikonium verhielt es sich geradeso.

„Es geschah aber in Ikonium, dass sie zusammen in die Synagoge der Juden gingen und so redeten, dass eine große Menge glaubte, sowohl Juden als auch Griechen“ (Apg 14,1).

Zuerst fällt uns auf, dass beide Männer Gottes zusammen in die Synagoge der Juden gingen und dass dort auch beide redeten. Nicht immer war Paulus der allein Redende. Vielmehr hatte auch Barnabas seinen Anteil an der Verkündigung – einer Verkündigung, die sicherlich Sabbat für Sabbat ihren Fortgang nahm.

Aber dann wird auf die Art und Weise hingewiesen, in der sie das Wort redeten: Sie redeten „so, dass eine große Menge glaubte“. Wenn uns hier auch nicht der Wortlaut der Rede mitgeteilt wird, so können wir doch davon ausgehen, dass die Botschaft grundsätzlich dieselbe war wie die in der Synagoge von Antiochien zuvor (Apg 13,17ff). Lukas muss sie nicht wiederholen. Aber Gott, der das Verborgene der Herzen kennt, lenkte die Redenden so, dass den Bedürfnissen der Einzelnen entsprochen wurde. Es kann unmöglich gemeint sein, die Verkündigung in Ikonium wäre besser gewesen als die in Antiochien. Unvorstellbar, die Rede von Antiochien noch verbessern zu können! Doch die Akzente konnten anders gesetzt sein.

Und damit kommt ein neuer Aspekt hinzu. Paulus und Barnabas hatten sich in Antiochien zum ersten Mal den „Nationen“ als solchen zugewandt (Kap. 13,46). Das waren keine Proselyten gewesen, sondern Heiden. Wenn nun in Ikonium „eine große Menge glaubte, sowohl Juden als auch Griechen“, so haben wir hier bei den „Griechen“ ebenfalls keine Proselyten vor uns, sondern Griechen allgemein, das heißt Menschen aus den Nationen. Und Gott gab Seinen Knechten die Gnade, gerade so zu reden, dass neben den Juden auch diese heidnischen Menschen erreicht wurden und zum Glauben kamen.

Wir sollten also nicht meinen, dass Paulus und Barnabas nicht auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten „so“ gesprochen und solche großartigen Resultate erzielt haben. Das „So“ müssen wir mit dem nachfolgenden „dass“ verbinden, dann wird die Bedeutung des Satzes klar: Die Apostel redeten auf solche Weise, dass eine große Menge zum Glauben kam. Gott, von dem das „Wort Seiner Gnade“ ausgeht, weiß damit die Menschenherzen anzurühren, damals wie heute.

Als erstes, überaus positives Ergebnis der Verkündigung des Evangeliums in Ikonium erfahren wir also, dass eine große Menge zum Glauben kam, sowohl Juden als auch Griechen. Das Wort hatte Macht und brachte reiche Frucht hervor.

Ungehorsame Juden

Ein zweites, negatives Resultat stellt uns der nächste Vers vor.

„Die ungläubigen Juden aber reizten und erbitterten die Seelen derer aus den Nationen gegen die Brüder“ (Apg 14,2).

Wieder waren es die Juden, die der Verkündigung der Heilsbotschaft erbitterten Widerstand entgegenbrachten. Sie werden hier „ungläubige“ oder „ungehorsame“ Juden genannt. >Ungläubig< ist die Wiedergabe einer griechischen Partizipial-Konstruktion mit der Bedeutung >fixiert< (befestigt, festgelegt) im Ungehorsam. Das zugrunde liegende Tätigkeitswort >apeitheo< wird mit >Glauben oder Gehorsam verweigern; ungehorsam sein; nicht gehorchen< übersetzt.

Beachten wir zuerst die Verbindung, ja Verschmelzung von Glauben und Gehorsam auf der einen Seite und von Unglauben und Ungehorsam auf der anderen. Manchmal wird in der Schrift entsprechend der Blickrichtung für >Glaube< >Gehorsam< gesagt und für >Unglaube< >Ungehorsam<. Dieser wechselseitige Gebrauch wird leichter verständlich, wenn wir bedenken, dass das Wort Gottes von dem Hörer Glauben verlangt. Dann aber ist es auch klar, dass dem Wort Unglauben entgegenzubringen, Gott ungehorsam zu sein bedeutet. Das Umgekehrte gilt natürlich genauso.

Als Zweites die im Grundtext so aussagekräftige Konstruktion: >fixiert< (befestigt, festgelegt) im Ungehorsam. Es bezeichnet ein Nicht-Überzeugtsein als Ergebnis davon, dass man ablehnt, zu glauben, und damit ablehnt, zu gehorchen. Diese Juden hatten in ihrer eigenen Synagoge das Evangelium Gottes gehört und – hatten es verworfen. Sie hatten sich im Ungehorsam festgelegt.

Erschütternder Zustand! Wir müssen befürchten, dass viele in der Christenheit ihn teilen. Es geht nicht um die, die das Wort Gottes nicht gehört haben, sondern um die, die es gehört und sich negativ festgelegt haben: fixiert im Ungehorsam! Das Wort des Heils hat an ihre Pforten geklopft, aber sie zogen es vor, sich dem Verderben zuzuwenden.

„Was wird das Ende derer sein, die dem Evangelium Gottes nicht gehorchen (oder: nicht glauben)“ (1. Pet 4,17). „...wenn er Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen; die Strafe erleiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn“ (2. Thes 1,8.9).

Die Juden in Ikonium unternahmen einen heftigen Angriff auf die Neubekehrten. Um den Fortgang des Werkes zu stoppen, reizten und erbitterten sie die heidnische Bevölkerung dadurch, dass sie Verleumdungen über die Brüder verbreiteten. Wie unendlich oft hat sich das in der Geschichte der Kirche wiederholt, bis in unsere Tage! Es ist immer dieselbe „Waffe“, dieselbe Taktik des Feindes: die Herzen derer, die das Evangelium noch nicht kennen, dadurch zu vergiften, dass man über die wahren Gläubigen unwahre, zum Teil abenteuerliche, lästerliche Behauptungen ausstreut und damit die christliche Lehre in Verruf bringt.

Selten war diese Methode ohne Erfolg, und wir können davon ausgehen, dass auch die Juden in Ikonium damit erfolgreich waren, allerdings nur im Blick auf die „Seelen derer aus den Nationen“ – die eingeborene Bevölkerung also. Dabei ist zu bemerken, dass sich in diesem Fall die Bösartigkeit nicht direkt gegen die Apostel richtete, sondern „gegen die Brüder“. Dieser Hinweis ist für den Fortgang des Werkes in Ikonium nicht unwichtig.

So stehen denn zwei Gruppen in ihrem Hass gegen das Evangelium als Verbündete Seite an Seite: einerseits die Juden, die sich rühmten, des einen wahren Gottes Volk zu sein, die aber nicht glaubten; andererseits die Nationen, die Ihn nie gekannt hatten und zum großen Teil noch Götzendiener waren. Gemeinsam gehen sie gegen die Brüder vor. Die Verwerfung des Heils in Christus eint die so ungleichen Menschen. Was für ein beschämendes Bild! Es ist nicht das erste Mal, dass über die Geringschätzung Jesu Pilatus und Herodes Freunde wurden.

Bezeugt durch Zeichen und Wunder

Paulus und Barnabas waren nach Ikonium gekommen, weil sie durch Verfolgung von Antiochien vertrieben worden waren. Jetzt, da sich auch in Ikonium massiver Widerstand formierte, hätten sie gleichfalls den Ort verlassen können, was sie dann schließlich auch zu tun gezwungen waren. Aber noch war ihr Werk dort nicht vollendet, noch gab ihnen der Herr Raum in dieser Stadt. Und so waren sie weit weniger um ihre eigene Sicherheit besorgt als um das geistliche Wohl der neu zum Glauben Gekommenen.

„Sie verweilten nun lange Zeit und sprachen freimütig in dem Herrn, der dem Wort seiner Gnade Zeugnis gab, indem er Zeichen und Wunder geschehen ließ durch ihre Hände“ (Apg 14,3).

Weil die Juden die heidnische Bevölkerung gegen die Brüder aufgereizt und erbittert hatten, nicht unmittelbar gegen Paulus und Barnabas, war es den Dienern des Herrn möglich, trotz allem eine beträchtliche Zeit in der Stadt zu verweilen. Ihre Sorge galt sicher zuallererst den angefeindeten jungen Gläubigen. Sie hatten nötig, im Glauben und in der Wahrheit gegründet und befestigt zu werden. Doch sollten auch noch weitere Menschen für Christus gewonnen werden. Gott in Seiner Gnade gewährte Seinen Knechten die dafür notwendige Zeit und Freiheit.

„Freimütig in dem Herrn“ sprachen sie, mit Kühnheit. Nicht an Beredsamkeit oder Redeweisheit ist dabei gedacht.

Später erinnert Paulus die Gläubigen in Korinth daran, dass er ihnen das Zeugnis Gottes nicht nach Vortrefflichkeit der Rede oder Weisheit verkündigt hatte: „Und meine Rede und meine Predigt war nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht auf Menschenweisheit beruhe, sondern auf Gottes Kraft“ (1. Kor 2,4–5). Wohl aber gebrauchten Paulus und Barnabas Freimütigkeit, Kühnheit. Sie fürchteten nicht die Gegner. Im Gegenteil, sie sprachen mit größtmöglicher Freiheit und Offenheit und hielten nichts zurück. Und wenn das Evangelium Ärgernis hervorrief – nun, dann sei es so! Es ist das, was zu erwarten war. „Den Juden ein Anstoß und den Nationen eine Torheit“ (1. Kor 1,23) hat seine Aktualität bis heute nicht eingebüßt.

Paulus sprach immer mit Offenheit, Freimütigkeit, Kühnheit. Es ist bemerkenswert, dass er später im Brief an die Epheser die Gläubigen dort auffordert, für ihn zu beten, damit er gerade so reden möge (Eph 6,19.20).

Doch auch der Ausdruck „freimütig im Herrn“ verdient unsere Beachtung. Wörtlich heißt es: „... aufgrund des Herrn.“ Sie schöpften also diese Freimütigkeit nicht aus sich selbst oder aus irgendeiner anderen menschlichen Quelle. Nein, der Herr selbst war der Grund ihres Mutes und der Freiheit ihrer Rede. Auf Ihn und Seinen Auftrag stützten sie sich, voll Zuversicht, dass Er alles zum Ziel führen würde. Haben wir heute weniger?

Und dann wird davon gesprochen, dass der Herr „dem Wort seiner Gnade Zeugnis gab, indem er Zeichen und Wunder geschehen ließ durch ihre Hände“. Hier stoßen wir – das sei zunächst bemerkt – auf eine weitere Bezeichnung für das Evangelium. Paulus nannte es in seiner Rede in Antiochien das „Wort dieses Heils“ (Apg 13,26). Lukas sprach dann einfach von dem „Wort Gottes“ und etwas später von dem „Wort des Herrn“ (Verse 44.49). Und nun „Wort seiner Gnade“. Lieblicher Gedanke! Das Wort ist nicht nur das Mittel, das Werkzeug, das Seine Gnade benutzt, sondern auch der göttliche Kanal, durch den die Gnade Gottes zu dem Sünder fließt. Durch dieses Wort lernt er sie kennen und erfährt er sie – diese unverdiente Liebe. Denn das ist Gnade: göttliche Liebe, die wir nicht verdient haben.

Dieses Wort aber war in jener Zeit neu. Deshalb hielt es der Herr für angemessen, es durch Zeichen und Wunder zu bestätigen. Wie auch am Ende des Markus-Evangeliums gesagt wird: „Sie aber gingen aus und predigten überall, wobei der Herr mitwirkte und das Wort bestätigte durch die darauf folgenden Zeichen“ (Mk 16,20). Beachten wir in beiden Stellen die Reihenfolge: Zuerst wurde das Wort verkündigt, und dann erst geschahen Zeichen und Wunder. Nicht immer gab indes der Herr Wunder. In Antiochien hören wir nichts davon. Aber wenn sie genannt werden, dann gewöhnlich nach der Predigt des Wortes.

Gott benutzt Sein Wort, um der Seele Leben zu geben: „Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes“ (1. Pet 1,23). „Nach seinem eigenen Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt“ (Jak 1,18). Gott mochte Wunder bewirken, um die Redenden und ihre Predigt zu beglaubigen; und es mochte dazu dienen, die Aufmerksamkeit der Hörer zu erwecken. Wir haben das auf Paphos im Fall des Prokonsuls Sergius Paulus gesehen (Apg 13,12). Doch der wahre Glaube ruht niemals auf Wundern, sondern ausschließlich auf Gottes Wort.

Wenn Menschen vorgeben, Christen zu sein, weil sie gewisse Wunder erlebt haben, so ist ihr Bekenntnis hohl und nichtig. Vor solchen Behauptungen oder Erklärungen werden wir gewarnt. In Jerusalem „glaubten viele an seinen Namen, als sie seine Zeichen sahen, die er tat. Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, weil er alle kannte“ (Joh 2,23.24). Auch bei den Israeliten vor alters war es nicht anders. Sie sahen wohl die Wundertaten Gottes in Ägypten, aber – beachteten sie nicht: „Schnell vergaßen sie seine Taten“ (Ps 106,7.13). Deshalb lasst uns daran festhalten: Ohne das Wort und den Willen Gottes gibt es keine neue Geburt! Dass aufseiten des Sünders Glauben vorhanden sein muss, steht ebenfalls außer Frage.

Wenn der Herr Sein Wort durch Zeichen und Wunder beglaubigte, so war es, als setzte Er Seinen Namen als Unterschrift unter die damals noch neue christliche Botschaft. Die Apostel waren dabei nur Werkzeuge. Nie hat ein Apostel oder ein anderer Christ nach seinem eigenen Willen ein Wunder getan, noch wäre er aus sich selbst heraus überhaupt dazu in der Lage gewesen. Es war einzig und allein der Herr, der die Zeichen und Wunder in der Kraft des Heiligen Geistes „geschehen ließ“. Er benutzte dazu „ihre Hände“, wann und wo Er es wollte.

„Nach seinem Willen“ heißt es auch in Hebräer 2, wo von derselben Sache gesprochen wird: „Wobei Gott außerdem mitzeugte sowohl durch Zeichen als durch Wunder und mancherlei Wunderwerke und Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen“ (Vers 4). Auch hier übrigens dieselbe Reihenfolge: „Verkündigung“ (Vers 3) – „Zeichen und Wunder“ (Vers 4).

Für oder gegen das Evangelium

Dass von Gott gewirkte Zeichen und Wunder nicht in der Lage sind, die harten Herzen der Menschen zu überzeugen, macht der weitere Fortgang des Geschehens in Ikonium einmal mehr deutlich.

„Die Menge der Stadt aber spaltete sieh, und die einen waren mit den Juden, die anderen mit den Aposteln“ (Apg 14,4).

Wenn von der >Menge der Stadt< gesprochen wird, so bedeutet das, dass Paulus und Barnabas praktisch die ganze Bevölkerung der Stadt mit dem Evangelium erreicht hatten, so dass keiner neutral bleiben konnte. Es war nicht ein Werk, das in einem Winkel getan wurde, noch waren seine Sendboten Verschwörer, die ihr Werk im Dunkeln trieben und dann verschwanden. Später schrieb Paulus an die Römer: „Aber ich sage: Haben sie etwa nicht gehört? O doch!,Ihr Schall ist ausgegangen zu der ganzen Erde und ihre Sprache zu den Grenzen des Erdkreises“ (Röm 10,18). Das fand auch hier in Ikonium seine Bestätigung, ebenso wie das Wort aus 2. Korinther 2: „Gott aber sei Dank, der uns allezeit im Triumphzug umherführt in Christus und den Geruch seiner Erkenntnis an jedem Ort durch uns offenbart!“ (Vers 14).

Nein, die Abgesandten Gottes scheuten nicht das Licht der Öffentlichkeit. Ganz im Gegenteil! In aller Offenheit wirkten sie. Und wenn die Menschen auch ihre Waffen verschmähen mochten, das Wort Seiner Gnade war mächtig und wirksam, so machtvoll, dass sich die ganze Stadt in zwei Lager spaltete.

Stellen wir uns das vor: Unbekannte Prediger waren in die Stadt gekommen und arbeiteten dort, bis Ikonium völlig gespalten war!

So gab es nun innerhalb der Mauern dieser Stadt zwei große, entgegengesetzte Gruppen. Die eine hatte die Juden zum Sammelpunkt, das heißt die ungläubigen Juden von Vers 2, und die andere scharte sich um die Apostel. Wie bereits bemerkt: Neutralität gab es nicht. Und je mehr die Juden gegen das Evangelium auftraten, desto mehr wurde es bekannt und gefördert. Die Leute brauchten nur hinzugehen und zu hören, was diese Männer lehrten und taten.

Eine kleine Zwischenbemerkung: Wenn hier sowohl Paulus als auch Barnabas „Apostel“ genannt werden, so zeigt das, dass dieser Begriff eben auch in einem weiter gehenden, allgemeinen Sinn gebraucht wird. So bezeichnet beispielsweise Paulus auch Jakobus, den Bruder des Herrn, als „Apostel“ (Gal 1,19).

Auf einen Umstand aus dem Geschehen in Ikonium müssen wir indes noch kurz eingehen: Das Evangelium ruft stets eine Scheidung hervor. Das mag uns manchmal nicht so sehr gefallen, ist aber unausweichlich. Die Feinde der guten Botschaft werden nicht müde, uns vorzuwerfen, wir brächten damit nur Unfrieden, Trennung, Spaltung unter die Menschen. So beschuldigten auch die Juden in Thessalonich die Apostel, sie würden den Erdkreis „aufwiegeln“ (Apg 17,6).

Doch hat nicht schon der Herr Jesus darauf hingewiesen, dass es so sein muss? „Denkt nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien ...“ (Mt 10,34–36). Es liegt in der Natur der Sache: Man muss sich für oder gegen den Sohn Gottes entscheiden, für oder gegen das Evangelium. Wenn das

Licht scheint, wird die ganze Gewalt der Finsternis kommen, um es auszulöschen. Auf die Offenbarung der Liebe Gottes antwortet der Mensch mit Hass (Joh 15,24). Und wo sich neues, geistliches Leben zeigt, wird die Macht des Todes versuchen, es auszutreten. Man kann dem Heiland gegenüber nicht neutral bleiben. Das lehrt uns unser Abschnitt aufs Deutlichste.

Flucht

Die Situation in Ikonium trieb ihrem Höhepunkt zu:

„Als aber ein ungestümer Angriff geschah, sowohl von denen aus den Nationen als auch von den Juden samt ihren Obersten, um sie zu misshandeln und zu steinigen, entflohen sie, als sie es bemerkten, in die Städte von Lykaonien: Lystra und Derbe und die Umgebung“ (Apg 14,5–6).

Jetzt wurde ein ungestümer Angriff organisiert, der von den beiden feindlichen Gruppen von Vers 2 getragen wurde, wobei die Obersten der Juden die eigentlichen Drahtzieher waren. Aber diesmal richtete sich der Sturm nicht gegen die Brüder im Allgemeinen, sondern gegen die beiden Prediger des Evangeliums im Besonderen. Die Absicht bestand, sie zu misshandeln und zu steinigen.

Wir müssen das Ganze wohl so verstehen: Die Angriffswelle mochte schon rollen; sie hatte aber die, denen sie galt, noch nicht erreicht. So blieb ihnen, als sie die Sache bemerkten oder darüber Kenntnis erhielten, Zeit zur Flucht.

Eine wirkliche Verfolgung hatte nun eingesetzt. Hier erfüllte sich das Wort, das der Herr im Voraus über Paulus gesagt hatte: „Ich werde ihm zeigen, wie viel er für meinen Namen leiden muss“ (Apg 9,16).

Paulus und Barnabas waren so lange wie möglich in Ikonium geblieben, um das Wort der Gnade zu bezeugen und die neu zum Glauben Gekommenen zu befestigen. Doch nun sahen sie sich genötigt zu fliehen. Das war nicht Feigheit, sondern Klugheit. Wenn es nötig war, wagte Paulus sein Leben, andernfalls tat er es nicht. Das Werk in Ikonium war vollendet, die ganze Stadt wusste um das Evangelium. Sie flohen aus dieser Stadt nicht als Besiegte, sondern als Sieger, um in der Kraft des Herrn ihren Weg des Sieges an anderen Orten fortzusetzen. So hatte der Herr es gesagt, und getreu diesem Wort handelten sie: „Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere“ (Mt 10,23).

Sie kamen in die Städte von Lykaonien: Lystra und Derbe. Lykaonien war nur zum Teil römisches Territorium, und Lystra und Derbe gehörten zu diesem Teil Lykaoniens. Die beiden Boten blieben also auf römischem Gebiet. Wie schon früher bemerkt, lagen beide Städte, wie auch Ikonium, an der kaiserlichen Landstraße von Antiochien nach Tarsus. Die Entfernung zwischen Ikonium und Lystra beträgt kaum mehr als 40 km, und zwischen Lystra und Derbe liegen gut 60 km. Alle genannten Städte lagen im Hochland auf einer Höhe von etwa 1100 m.

Wenn auch noch von der „Umgebung“ dieser Städte, wohin sie kamen, gesprochen wird, so ist das ein Hinweis darauf, dass das Evangelium die ganze Gegend dort durchdringen würde. So war es ja auch in Antiochien in Pisidien gewesen (Apg 13,49). Was die beiden Städte Lystra und Derbe gemeinsam hatten, war, dass keine von ihnen eine jüdische Synagoge besaß. Paulus und Barnabas bewegten sich jetzt also auf völlig heidnischem Gebiet – ein bedeutsamer Schritt in der Ausweitung des Werkes!

Nächstes Kapitel (kaufen) »