Gerechtfertigt aus Glauben

Kapitel 5

Gerechtfertigt aus Glauben

Kapitel 5,1–11

In triumphierender Schlussfolgerung aus dem bisher Gesagten beginnt das Kapitel mit den Worten: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben.“ Kein Zweifel kann mehr bestehen, keine Frage mehr aufkommen. Die Rechtfertigung des an den gestorbenen und auferstandenen Heiland Glaubenden ist etwas Vollendetes, ist eine gegenwärtige Tatsache. Wer an Jesum glaubt, ist gerechtfertigt. Seine Schuld ist bezahlt, und er steht in dem Auferstandenen in einem ganz neuen Zustand vor Gott. Die Auferstehung Christi ist der ewig gültige Beweis, dass Gott das Werk auf Golgatha angenommen hat als die vollgenugsame Sühnung für unsere Sünden. Es ist die Felsen-Grundlage, auf welcher der gerechte Gott ruhen und jeden rechtfertigen kann, der des Glaubens an Jesum ist.

Dass wir zu dieser Rechtfertigung nichts beigetragen haben, nichts beitragen konnten, braucht kaum noch einmal betont zu werden. Der einzige Anteil, den wir an der ganzen Sache hatten, waren unsere Sünden, das, was unserem Herrn und Heiland die unsagbaren Leiden und das Verlassensein von Gott eintrug. Selbst unser Glaube kann dem Werke unserer Errettung nichts hinzufügen, ebenso wenig wie die tiefste Dankbarkeit oder der hingebendste Dienst unsererseits, nachdem wir geglaubt haben. Nein, Gott sei gepriesen! das Werk ist allein vollendet durch Jesum Christum, unseren Herrn. Und nicht nur ist es vollendet, sondern auch als völlig genügend von dem heiligen Gott anerkannt. Der, der auf dem Wege seiner Vollbringung ins Grab sinken musste, ist aus den Toten auferstanden und sitzt nun, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, zur Rechten Gottes. Mit einem Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden (Heb 10,14). Wäre das nicht so, dann könnte uns niemals geholfen werden; denn Christus kann nicht noch einmal sterben, und wir wissen, dass ohne Blutvergießung keine Vergebung ist. Darum: entweder ist das Werk geschehen, oder hoffnungslose Verzweiflung ist unser Teil.

In den ersten 11 Versen unseres Kapitels zieht der Apostel die Folgerungen aus dieser Rechtfertigung und entwirft damit ein Bild von der Gnade Gottes und Seinen Wegen in Gnade, wie es niemals in eines Menschen Herz hätte aufkommen können. Betrachten wir an der Hand unseres heiligen Führers seine einzelnen Züge.

„Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (V. 1). Drei kostbare Dinge, die allen Gläubigen ausnahmslos gehören: wir sind gerechtfertigt aus Glauben, deshalb haben wir Frieden mit Gott, und der Schlüssel zu beidem ist unser Herr Jesus Christus. Da der Gläubige weiß, dass er in Christo angenommen ist, steht nichts mehr zwischen ihm und dem heiligen Gott, als nur das große Werk und die kostbare Person des Sohnes Gottes. Alles andere ist für immer hinweg getan. Die Anklagen eines schuldigen Gewissens sind verstummt, das Gewissen selbst ist gereinigt, und aus dem einst feindseligen, hassenswürdigen Sünder ist ein geliebtes Kind Gottes geworden, dem keine Sünde mehr zur Last gelegt werden kann, weil sie alle getragen und hinweg getan sind. Infolgedessen herrscht ein beständiger Friede zwischen Gott und dem Gläubigen. Weder die Erinnerung an vergangene Sünden, noch das Bewusstsein des gegenwärtigen Vorhandenseins der Sünde in dem Gläubigen kann, so schmerzlich beides ist, die Grundlage dieses Friedens antasten. Der Friede ist gemacht, für immer gemacht durch unseren Herrn Jesus Christus, dessen Blut sich allezeit vor Gottes Augen befindet. Nie wieder kann bezüglich der Vergebung unserer Sünden und unserer Annahme bei Gott eine Frage erhoben werden.

Um jedem Missverständnis von vornherein vorzubeugen, sei hier kurz auf den Unterschied hingewiesen, der zwischen dem Ausdruck „Friede mit Gott“ und „Friede Gottes“ besteht. Der erste Friede, der Friede mit Gott, ist die Folge oder das Ergebnis der Rechtfertigung auf Grund des Werkes Christi und darum das gemeinsame, unverlierbare Teil aller wahren Gläubigen; der Besitz und Genuss des zweiten Friedens, des Friedens Gottes, hängt davon ab, inwieweit der einzelne Gläubige sich allezeit in dem Herrn freut, um nichts besorgt ist, sondern in allem durch Gebet und Flehen mit Danksagung seine Anliegen vor Gott kundwerden lässt (vgl. Phil 4,4–9). Wir dürfen den praktischen Zustand der einzelnen Seele nicht mit dem für uns und völlig außer uns vollbrachten Werke Christi verwechseln. So schwankend und unbeständig der erste sein kann und oft ist, so fest und unwandelbar ist das zweite. Göttliche Liebe und Gerechtigkeit haben sich miteinander verbunden, um den Boden zu schaffen, auf welchen wir Frieden haben mit Gott. Christus, „unser Friede“ (Eph 2,14), ist jetzt allezeit in der Gegenwart Gottes, Er, der uns geworden ist „Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung“ (1.Kor 1,30).

Die nächste kostbare Frucht der Rechtfertigung ist, dass wir durch unseren Herrn Jesus Christus „mittelst des Glaubens auch Zugang haben zu dieser Gnade (oder Gunst), in welcher wir stehen“ (V. 2). Handelte es sich bisher um die Frage, wie alles das, was wir in unserem feindseligen Zustand gegen Gott gefehlt hatten, hinweg getan worden ist, so redet der Apostel jetzt von der Gnade, die Frieden gemacht hat und nun allezeit im Herzen Gottes für uns ist. Gottes Auge ruht in Christo mit Wohlgefallen auf allen Seinen Kindern. Sie sind geliebt, wie Christus geliebt ist, und durch Ihn dürfen sie nun mit Freimütigkeit mittelst des Glaubens allezeit herzunahen und von der Gnade, in welcher sie stehen, Gebrauch machen. „Diese Gunst genießen wir“, wie ein anderer Schreiber in treffender Weise gesagt hat, „in der Gegenwart Gottes. Nicht allein rechtfertigt uns der himmlische Richter, sondern ein himmlischer Vater nimmt uns auf; ein lichtvolles, gnädiges Antlitz voll väterlicher Liebe erleuchtet und erfreut unsere Seele und erquickt unser Herz, so dass wir mit einem völlig ruhigen Herzen in Seiner Gegenwart sind und auf Seinen Pfaden wandeln. Wir haben das köstliche Bewusstsein, dass wir in der Gunst Gottes stehen. Was unsere Sünden betrifft, sie sind alle hinweg getan; was unsere gegenwärtige Stellung vor Gott betrifft, so ist alles Liebe und Gunst, in der hellen Klarheit Seines Angesichts; was die Zukunft betrifft, so wartet unser die Herrlichkeit.“

Kostbare Worte, niedergeschrieben von einem hochbetagten Arbeiter des Herrn, kurz vor dem Abschluss eines langen, reich gesegneten Lebens im Dienste Dessen, den seine Seele liebte. Sie beweisen, wie wertvoll ihm selbst der Zugang zu dieser Gnade gewesen ist, und wie er im Glauben von ihm Gebrauch gemacht hat. Unwillkürlich erinnern sie uns an die Mahnung in Hebräer 13,7: „Gedenket eurer Führer, die das Wort Gottes zu euch geredet haben, und, den Ausgang ihres Wandels anschauend, ahmet ihren Glauben nach.“ Dieselbe Gnade, die sie aufrecht gehalten hat, die gleiche Liebe, die sie genossen haben, sind unser Teil geworden, und es liegt nur an uns, inwieweit auch wir nun im Glauben Gebrauch machen von der Gnade, „in welcher wir stehen“. Gott sei Dank! wir sind nicht gekommen zu dem Berge des Gesetzes mit seinem Feuer und seiner Finsternis, mit Worten, welche die Hörer nicht zu ertragen vermochten, sondern zu Zion, dem Berge der Gnade, und zu Jesu, dem Mittler eines neuen Bundes, zu einer Gnade, die allen unseren Bedürfnissen begegnet ist und uns täglich in ihrer ganzen Fülle zu Gebote steht.

Auch das dritte Ergebnis der Rechtfertigung, zu dem wir jetzt kommen: „wir rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit“, ist das sichere, unverlierbare Teil aller wahren Gläubigen. Die Herrlichkeit Gottes liegt vor uns. Freilich, wenn es von unserem Ausharren und unserer Treue abhinge, würde keiner von uns sie erreichen. Aber Jesus ist als unser „Vorläufer“ in die Herrlichkeit eingegangen, und Er bringt auch uns dorthin. Auch sie ist uns gesichert durch Ihn, der für uns starb und aus den Toten auferstand. Denn könnte Er die Segnungen je wieder verlieren, die Er auf diesem Wege erworben hat? Unmöglich. Ebenso wenig wir, für die Er sie erworben hat. Er ist unser Bürge auch in dieser Beziehung. Deshalb können wir frohlockend in die Zukunft blicken und, während wir noch in Schwachheit und Unvollkommenheit hienieden wandeln, uns in der gewissen Hoffnung der Herrlichkeit rühmen. Derselbe Gott, der Seine Gerechtigkeit und göttliche Kraft im Evangelium geoffenbart, der Seine Liebe und Gunst uns zugewandt hat, will uns auch bei und mit Christo in Seiner Herrlichkeit haben.

Könnte in wunderbarerer Weise, entsprechend dem Werte des Werkes und der Person unseres Herrn Jesus Christus, für unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesorgt sein? Hinsichtlich der Vergangenheit beunruhigt uns nichts mehr: wir haben Frieden mit Gott; im Blick auf die Gegenwart stehen wir in der Vatergunst Gottes, und was „die Zukunft betrifft, so wirft die himmlische Herrlichkeit schon ihre Strahlen auf unseren Weg. Man sollte meinen, dem Gesagten sei nichts mehr hinzuzufügen. Tatsächlich findet sich die ganze gesegnete Stellung eines Christen, sein Weg von den ersten Anfängen bis zum Zielpunkte darin ausgedrückt. Dennoch fährt der Apostel fort: „Nicht allein aber das“ (V. 3), und wiederholt dasselbe Wort im 11. Verse.

„Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale.“ Das Ziel unserer Reise ist noch nicht erreicht. Zwischen Ägypten und Kanaan liegt die Wüste. Sie gehört nicht eigentlich zu dem Ratschluss Gottes, aber wir müssen hindurch, um das Ziel zu erreichen, und hier ist der Ort, wo wir die erziehenden Wege Gottes mit uns erfahren und zugleich kennen lernen, was in unseren Herzen ist (vgl. 5.Mose 8,2). In der Dürre der Wüste, wo „nicht Frucht noch Quell den Pilger lohnt“, werden wir auf die Probe gestellt, ob wir wirklich imstande sind, allein auf Gott zu vertrauen. Unsere Seelen werden geübt, der Feind macht seine Anläufe, Kleinglaube und Unglaube regen sich, die Natur macht ihre Ansprüche geltend, und das arme Herz möchte oft verzagen. Die Wüsten-Erfahrungen sind zwar nicht notwendig zu unserer Errettung, aber gesegnet für unseren inneren Menschen. Sie machen nicht passend oder „reif“ für den Himmel, sonst hätte der sterbende Räuber nicht noch am gleichen Tage mit Christo ins Paradies gehen können; aber sie lösen uns von dem Irdischen, belehren uns über unsere völlige Abhängigkeit von Gott und lassen uns Seine Treue erkennen. In den Trübsalen erfahren wir die Liebe und Fürsorge Gottes, das Mitgefühl Seines Vaterherzens in einer Weise, wie es auf anderem Wege, vor allem in der Herrlichkeit, nicht möglich wäre. Der Himmel bietet keine Gelegenheit dazu.

„Die Trübsal bewirkt Ausharren.“ Gerade das, was den Ungläubigen ärgerlich und mutlos macht, möglicherweise zur Verzweiflung treibt, bewirkt in dem Gläubigen Mut und Ausharren. Anstatt ihm die Zuversicht zu rauben, lässt die Trübsal ihn mit Vertrauen nach oben blicken. Sie begegnet gerade dem in ihm, was das Ausharren hindern will, zerbricht den eigenen Willen, schafft im Herzen „gebahnte Wege“ für Gott, läutert den Glauben von allem Unechten und macht ihn fähig, still auf Gott zu harren. Die Trübsal hat nichts mit unserer Erlösung zu tun. Sie ist dazu bestimmt, unseren Zustand zu prüfen und ans Licht zu stellen, ob wir der Berufung und Stellung gemäß wandeln, in welche die Erlösung uns eingeführt hat. Sie lässt uns erkennen, inwieweit die alte Natur, die noch in uns wohnt, uns beeinflusst, demütigt uns und führt uns zum Selbstgericht.

Bewirkt aber die Trübsal „Ausharren“, so bewirkt das Ausharren wiederum „Erfahrung“. Wir lernen in den Leiden und Schwierigkeiten einerseits erkennen, was wir sind, und anderseits, was Gott in Seiner Güte und Treue auf dem Wege für uns ist. Und indem so das Herz von dem Irdischen gelöst, das Auge von dem Zeitlichen abgelenkt und auf die himmlischen Dinge gerichtet wird, kommt die Hoffnung, die bereits im Herzen lebt, lebendiger und stärker zur Wirkung. „Die Erfahrung bewirkt Hoffnung.“ So folgt ein gesegnetes Ergebnis dem anderen, und anstatt uns durch die Schwierigkeiten des Weges zur Ungeduld oder gar zum Murren verleiten zu lassen, lernen wir uns der Trübsale rühmen. Wir besitzen den Schlüssel zu so manchem, was uns anders als ein seltsames Rätsel erscheinen würde, und stärken unsere Hände in dem Gott, der Seine Kinder mit zärtlicher Liebe liebt und alles zu ihrem Wohl mitwirken lässt.

„Die Hoffnung aber beschämt nicht, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben worden ist“ (V. 5). Damit erreichen wir den Höhepunkt der Belehrung unseres Apostels an dieser Stelle. Die Hoffnung, die durch die Erfahrung der nie fehlenden Treue Gottes in uns belebt wird, kann nicht beschämen, kann sich nicht als trügerisch erweisen, denn zwischen Gott und uns ist ein Band geknüpft, das nie und nimmer zerrissen werden kann: Er hat uns Seinen Geist gegeben! Nicht nur sind wir durch die Wirksamkeit dieses Geistes erneuert, „geboren aus Wasser und Geist“ (Joh 3,5), sondern der Heilige Geist selbst, der, beiläufig bemerkt, hier zum ersten Mal in unserem Briefe erwähnt wird, ist uns gegeben als Siegel unseres Glaubens und als Unterpfand des durch Christum für uns erworbenen Besitzes (2. Kor 1,22; Eph 1,13+14). Unsere Leiber sind Wohnstätten des Heiligen Geistes geworden. Auf diesem Wege ist, wie der Apostel es hier ausdrückt, die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen worden. An anderen Stellen wird uns gesagt, dass wir durch den Geist „Abba, Vater!“ rufen, dass wir durch Ihn wissen, dass wir in Christo und Christus in uns ist usw. (Gal 4,6; Joh 14,16–20).

Welch eine wunderbare Tatsache: die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen, indem der Heilige Geist, die dritte Person der Gottheit, in uns Wohnung gemacht hat! Das konnte uns nicht eher mitgeteilt werden, als bis das Werk der Erlösung uns in seiner ganzen Fülle vor Augen gestellt war. Diese Tatsache bildet, wie gesagt, den Höhepunkt der Ausführungen des Apostels. Inwieweit der einzelne Gläubige sie im Glauben erfasst und durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes die Liebe Gottes genießt, inwieweit er persönlich in ihr wandelt, ist ja eine zweite Sache; aber für alle Gläubigen besteht die Tatsache als solche. Infolge dessen kann die Hoffnung niemals beschämen. Gott zieht Seine Augen nicht ab von dem Gerechten (vgl. Hiob 36,7).

Aber die Liebe Gottes ist nicht nur in unsere Herzen ausgegossen, um in uns genossen zu werden, sie ist auch außer uns geoffenbart und durch ein Werk erwiesen worden, das, völlig unabhängig von uns, vollbracht wurde, als wir uns noch in einem Zustand der Kraftlosigkeit und tiefsten Erniedrigung befanden. „Denn“, so fährt der Apostel fort, „Christus ist, da wir noch kraftlos waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben“ (V. 6). Ja, nur auf dieser Grundlage war es möglich, dass die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen werden konnte. Und „zur bestimmten Zeit“ ist das Werk geschehen, d. h. als „die Fülle der Zeit gekommen war“ (Gal 4,4) und der Zustand des Menschen sich in seiner ganzen Hoffnungslosigkeit erwiesen hatte. Gerade das zeigt uns aber auch die ganze Reinheit und Vollkommenheit dieser Liebe. Nur sie vermochte sich solcher anzunehmen, in denen es, außer ihrer Schuld und ihrem verderbten Zustande, gar keine Beweggründe dazu gab. Nur Gottes Liebe, das was Er Selbst ist, konnte Quelle und wirkende Ursache sein, wenn Er Seinen Sohn für Kraftlose und Gottlose sterben ließ.

Ein Geschöpf ist außerstande, so zu handeln. So kann ein Mensch nicht lieben, wenn auch sein Herz tiefer und starker Zuneigung fähig ist. Er ist imstande, für einen anderen Menschen, der ihm Güte und Wohlwollen erwiesen hat, sein Leben zu wagen; für einen bloß „Gerechten“ wird sich wohl niemand einer Todesgefahr aussetzen. Gerechtigkeit als solche mag sich Wertschätzung und Achtung erringen, niemals aber wird sie todesmutige Liebe wecken. „Kaum wird jemand für einen Gerechten sterben; denn für den Gütigen möchte vielleicht jemand zu sterben wagen“ (V. 7). – Doch was hat Gott getan?

„Gott aber erweist seine Liebe gegen uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (V. 8). So kann nur Gott lieben. Der Mensch bedarf eines Beweggrundes, der von außen her auf ihn wirkt, Gott nicht. Er ist Liebe und bedarf keines Antriebs von außen. Er hat die Welt, die böse, gottlose Welt, also geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Die Gegenstände Seiner Liebe waren solch hassenswürdige Sünder, so unrein und alles Guten bar, dass nur die Opferung Seines Geliebten ihnen helfen konnte; aber auch nichts Geringeres als das konnte Seiner Liebe genügen.

Wunderbarer Gott! Diese Liebe überwältigt den Stolzen und Hochmütigen, gewinnt den Armen und Hilflosen und erwärmt kalte, gleichgültige Herzen. Sie schenkt Frieden und Freude dem Herzen des Kindes und erfüllt mit anbetender Bewunderung das Innere des Mannes. Von ihr zu zeugen, zu singen und zu sagen, ist die dankenswerteste Aufgabe des erretteten Geschöpfes. Was sind die höchsten und edelsten Ergebnisse menschlicher Weisheit im Vergleich mit dieser Liebe? Erkältende, finstere Nebel neben den Wärme und Leben gebenden Strahlen der Sonne! Ja, als wir noch Sünder waren, starb Christus für uns!

Wenn das aber so ist, wenn die Liebe so handelte, als wir noch Sünder waren, wie viel mehr werden wir jetzt, „da wir durch sein Blut gerechtfertigt sind, durch ihn gerettet werden vom Zorn“ (V. 9)! Die Folgerung ist so einfach und überzeugend wie möglich, aber der Apostel vertieft und erweitert sie noch, indem er hinzufügt: „Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden“ (V. 10). Wenn der Tod des Sohnes Gottes Feinden Versöhnung mit Gott gebracht und sie von dem Zorn, der über diese Erde und ihre Bewohner kommen wird, gerettet hat, wird dann nicht vielmehr Sein Leben die also Versöhnten, von Christo Freunde und Brüder Genannten, retten? Wenn ein sterbender Christus gottlosen Sündern Heil und Leben gebracht hat, sollte dann ein zur Rechten der Majestät Gottes lebender Christus solche auf dem Wege umkommen lassen, die um den kostbarsten Preis in solch neue, heilige Beziehungen zu Gott gebracht worden sind?

Klarere und entscheidendere Schlüsse, als wie der Heilige Geist sie hier zieht, könnten wir uns gar nicht denken. Nachdem der Fall aufs gründlichste behandelt ist, beseitigen die Worte des Apostels jeden Zweifel und geben dem ängstlichsten Gemüt und dem zartesten Gewissen selige Ruhe. Zuerst wird unser Zustand von Natur rückhaltlos aufgedeckt: wir waren kraftlos, gottlos, Sünder und Feinde, und dann wird uns gezeigt, wie die Liebe Gottes auf dem Boden der Gerechtigkeit dem ganzen Jammer begegnet ist: „Gerechtigkeit hat mein Gericht beendet.“ Liebe an und für sich hätte uns nicht von dem gerechten Zorn Gottes retten können, sie musste in der Hingabe des einzigen, geliebten Sohnes erst die gerechte Grundlage schaffen, auf welcher sie in Gnade mit uns zu handeln vermochte. Und das hat sie getan, das Werk ist vollbracht, Gott sei gepriesen in Ewigkeit!

So sind wir denn zu Gott gebracht, haben verstanden, was Erlösung und Rechtfertigung bedeutet, besitzen als solche, die der göttlichen Natur teilhaftig geworden sind, das kostbare Bewusstsein, dass wir in Gott sind, und dass Er in uns wohnt, und erfahren auf dem Wege zu der vor uns liegenden Herrlichkeit täglich Gottes Güte und Treue. Mit anderen Worten: wir kennen Ihn und rühmen uns deshalb nicht nur dessen, was Er für uns getan hat oder tut, was Er uns gegeben hat oder gibt, sondern rühmen uns Seiner selbst.

„Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir jetzt die Versöhnung empfangen haben“ (V. 11). Nicht die Herrlichkeit, nicht die Trübsale und ihre gesegneten Folgen stehen jetzt vor dem Geiste des Apostels, es ist Gott selbst. Ein verständiges, dankbares Kind redet und freut sich nicht nur über das, was es von seinem Vater empfangen hat oder noch zu empfangen hofft, sondern ist vor allem darüber glücklich, dass es einen solch liebevollen, treuen Vater hat, dass es mit ihm verkehren, ihn täglich besser kennen lernen und immer mehr in seine Gedanken eindringen darf. Der Umgang mit dem Vater ist eine tägliche und wachsende Freude. Es rühmt sich seiner.

So dürfen auch wir uns Gottes als unseres Gottes und Vaters rühmen. Welch ein unschätzbares Vorrecht! Je mehr wir es verstehen und verwirklichen, desto tiefer wird unsere Freude, desto inniger der Genuss der Gnade werden. Wir genießen dann schon hienieden etwas von dem, was einst droben den höchsten Charakter unserer Freude ausmachen wird. Wir genießen Gott selbst durch unseren Herrn Jesus Christus als den unendlichen, aber gegenwärtigen Gegenstand der neuen Natur, die zu einem solchen Genuss fähig ist, weil der Heilige Geist in uns wohnt und der Seele Gott offenbart.

Wir genießen dankbar Gottes Gaben, aber höher und herrlicher als sie alle ist der Geber. In Ihm ist unsere höchste und herrlichste Freude. Wohl ist Er der heilige Gott, aber Seine Heiligkeit erschreckt uns nicht; im Gegenteil, wir fühlen uns nur wohl in dem Lichte dieser Heiligkeit. Sie ist unsere Freude.

Und fragen wir nun: Wie ist das Große geschehen, das Unmögliche möglich geworden? so ist die Antwort: „Durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.“ Das was der erste Adam in seiner Unschuld nie hätte genießen können, ist jetzt in dem letzten Adam das Teil solcher geworden, die einst „Kinder des Zorns waren wie auch die übrigen“. Der Herr selbst sagte zu Seinen Jüngern in der Nacht vor Seinem Leiden und Sterben; „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm.“ So ist es geschehen, das Werk ist vollbracht, und auf ewig sind seine Ergebnisse unser.

Kapitel 5,12 – 21

Mit dem 12. Verse unseres Kapitels beginnt, wie wir schon in der Einleitung hervorgehoben, der zweite Hauptteil des ganzen Briefes. Der Apostel behandelt fortan nicht mehr die Frage der Schuld des Menschen und deren Vergebung, sondern redet von der Sünde als solcher und von der Befreiung des Gläubigen von ihrer Macht und Herrschaft. So groß und herrlich die Vergebung auch sein mag, sie ist nicht alles. Das Licht Gottes zeigt dem erwachten Gewissen des Menschen nicht nur die vielen Sünden, die auf seinem Wege liegen, sondern auch die Quelle, aus welcher das schmutzige Wasser geflossen ist, den Baum, der die bösen Früchte getragen hat. Die Erkenntnis darüber, mit anderen Worten, die Entdeckung des unheilbaren, inneren Verderbens, unseres hoffnungslosen Zustandes von Natur, ist fast noch erschreckender als das Erwachen des Gewissens betreffs der Schuld; aber umso süßer ist dann auch die Botschaft von dem, was Gott in Christo getan hat, um uns aus diesen Tiefen des Verderbens herauszuführen. Je mehr man auf dem Wege schmerzlicher Erfahrung lernt, was das Fleisch ist, umso größer ist die Freude über die vollen Ergebnisse des Werkes Christi.

Jahrhunderte lang haben die Gläubigen kaum noch etwas verstanden von dem Gericht, das am Kreuz über den „alten Menschen“ ergangen ist, und noch weniger von der neuen Stellung des Gläubigen in dem auferstandenen Christus. Man meinte, sich mit dem Vorhandensein der Sünde, so gut oder schlecht es ging, abfinden zu müssen, ohne mehr Hoffnung und Kraft ihr gegenüber zu haben, als irgend ein Mensch, der zur Erkenntnis der Heiligkeit Gottes gekommen ist und sich nun aufrichtig, aber natürlich vergeblich, abmüht, ein besserer Mensch zu werden. Gott sei gepriesen, dass Er in Seiner großen Gnade Licht in das Dunkel hat fallen lassen!

Hören wir jetzt, wie der Apostel seine weitere Belehrung einleitet: „Darum, gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod, und also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben“ (V. 12). Beachten wir zunächst, dass der hier ausgesprochene Gedanke erst im 18. Verse wieder aufgenommen wird mit den Worten: „Also nun, wie es durch eine Übertretung gegen alle Menschen zur Verdammnis gereichte, so auch ... .“ Die Verse 13–17 bilden einen Zwischensatz. Die Nichtbeachtung dieses Umstandes hat zu manchen verkehrten Auslegungen der Stelle Anlass gegeben. Wenn man ihm Rechnung trägt, ist die Gedankenverbindung klar und einfach.

„Darum.“ Weshalb „darum“? Man ist unwillkürlich versucht zu fragen: Wo ist die Verbindung mit dem Vorhergehenden? Gehen wir fehl, wenn wir den Gedanken des Apostels also deuten: Da die Liebe Gottes als die Quelle, und der Tod und die Auferstehung Christi als das Mittel der Versöhnung mit ihren herrlichen Ergebnissen erwiesen sind, „darum“ können wir jetzt zu einer anderen Seite dieses wunderbaren Gegenstandes übergehen? Zu der Erörterung nämlich, wie durch den Ungehorsam eines Menschen (Adam), des gefallenen Hauptes der menschlichen Familie, diese selbst in Sünde und Tod gestürzt wurde, während wiederum ein Mensch, der zweite Mensch (Christus), durch Seinen Gehorsam zum Haupt einer neuen Familie geworden ist, deren Glieder nun zwei Naturen besitzen, die eine entlehnt von Adam, die andere von Christo.

„Darum, gleichwie durch einen Menschen ...“ In den weiteren Belehrungen unseres Briefes ist nicht länger die Rede von Juden und Heiden; der Schaden ist geschehen, die Sünde in die Welt gekommen, lang bevor es ein Volk Israel und ein Gesetz gab. Mag die Sünde auch durch das Gesetz „überströmend“ geworden sein, indem der Mensch nunmehr als „Übertreter“ der guten und heiligen Gebote Gottes dastand, die Sünde als solche war vor dem Gesetz in der Welt. Sie ist durch den ersten Menschen in die Welt gekommen. Die Folgen treffen deshalb mit ihm seine ganze Nachkommenschaft. „Durch die Sünde kam der Tod, und der Tod ist zu allen Menschen (ob Juden oder Heiden) durchgedrungen“, er herrscht als König der Schrecken über die ganze Menschheit, „weil sie alle gesündigt haben“. Es ist nicht bei der einen Sünde im Garten Eden geblieben – alle haben gesündigt. Und darum stirbt der Mensch nicht nur, weil er von einem gefallenen Menschenpaare abstammt und die so genannte „Erbsünde“ in ihm wohnt, sondern weil er sich selbst verschuldet hat. Als unter der Sünde geboren, ist er wohl fähig und geneigt zu sündigen, aber er wird erst schuldig dadurch, dass er mit Bewusstsein die Sünde tut. Wenn Gott daher unmündigen Kindern oder Menschen, die nie ihren Verstand besaßen, also mit Unmündigen auf gleicher Linie stehen, in Gnaden das Werk Christi zurechnet – denn der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten, und es ist nicht der Wille unseres Vaters im Himmel, dass eines dieser Kleinen verloren gehe (Mt 18,11+14) – so ist das ein überaus tröstlicher Gedanke und zeigt uns die Größe der errettenden Gnade Gottes, aber es ändert nichts an der ernsten Tatsache, dass der Mensch dem Tode verfallen ist, weil er gesündigt hat. Mag auch Adams Fall die erste Veranlassung zu dem furchtbaren Lose des ohne Gott sterbenden Menschen gewesen sein, so ist damit die Bedeutung und Tragweite der Sache doch keineswegs erschöpft. Neben Adams Sünde treten die gerechten Folgen persönlicher Schuld.

Wenn nun aber, wie Gottes Wort es uns immer wieder zeigt, eines Menschen Tun alle seine Nachkommen, ja, die ganze Schöpfung unter das Urteil des Todes gebracht hat, ist es dann ungereimt, oder steht es im Widerspruch mit dem Charakter Gottes, wenn Er durch einen Menschen eine Rechtfertigung des Lebens einführte, die gegen alle Menschen gerichtet ist (V. 18)? Im Gegenteil! Doch ehe wir auf die ausführliche und interessante Behandlung dieser Frage durch den Apostel näher eingehen, müssen wir uns mit dem Inhalt des Zwischensatzes (V. 13–17) beschäftigen.

„Denn bis zu dem Gesetz war Sünde in der Welt; Sünde aber wird nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz ist“ (V. 13). Das Vorhandensein des Todes war der unwiderlegliche Beweis, dass Sünde da war, denn der Tod ist der Sünde Sold. Eine Tat wird nicht erst dadurch zur Sünde, dass das Gesetz sie verbietet. Das Gesetz verändert allerdings den Charakter der Sünde, indem es sie zur Übertretung eines bestimmten Gebotes macht. Darum: „Wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung“ (Kap. 4,15). Oder: „Die Sünde wird nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz ist.“ Aber wenn auch das Gesetz im Anfang nicht da war, hatten die Menschen doch ein Gewissen und, wenn auch unklar, ein Pflichtgefühl dem unbekannten Gott gegenüber. „Bis zu dem Gesetz war Sünde in der Welt“, und das Gewissen erhob seine anklagende Stimme, wenngleich man nicht sagen kann, dass die Menschen einen gekannten Befehl Gottes übertreten hätten. Sobald ein Gesetz kommt, wird es anders. Gesetz rechnet die Sünde zu, trägt sie gleichsam in seine Schuldbücher ein und „macht die Übertretung überströmend“.

„Sünde“ ist ein viel allgemeinerer, weitergehender Begriff als „Übertretung“. Nicht jede Sünde ist, wie wir gesehen haben, Übertretung. Eine Zurechnung der Sünde als Übertretung kann erst erfolgen, wenn man durch ein Gesetz weiß, dass das, was man tut, böse ist.

„Aber“, fährt der Apostel fort, „der Tod herrschte von Adam bis auf Moses, selbst über die, welche nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der Übertretung Adams, der ein Vorbild des Zukünftigen ist“ (V. 14). Trotzdem also die Sünde bis auf Moses, den Gesetzgeber, nicht zugerechnet wurde, hat der Tod doch immer geherrscht, selbst über die, welche nicht in der gleichen Weise wie Adam gesündigt, d. h. kein bestimmtes Gebot übertreten hatten. Beachten wir den Unterschied: Adam hatte ein Gebot, nämlich, nicht von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, durch Moses wurde das Gesetz, die Gesamtheit der Gebote Gottes, gegeben. Adam übertrat das eine Gebot, Israel brach das ganze Gesetz; beide machten sich also in ähnlicher Weise schuldig. Nicht so die in der Zwischenzeit, vor und nach der großen Flut, lebenden Menschen. Sie besaßen weder ein einzelnes Gebot, noch das ganze Gesetz, aber sie sündigten, und deshalb herrschte der Tod vom Sündenfall an, bis das Gesetz kam.

Der Apostel denkt offenbar an eine Stelle in dem Propheten Hosea, wenn er von der Art der Sünde Adams spricht. Gott lässt dort Seinem irdischen Volke sagen, dass es treulos gehandelt und „den Bund übertreten habe wie Adam“ (Kap. 6,7). Der Bund und die gegebenen Gebote waren in den beiden Fällen verschieden, aber grundsätzlich sündigten Adam und Israel in gleicher Weise. Anders war es, wie gesagt, in der Zeit von Adam bis auf Moses; es gab damals nicht Heiden oder Nationen und ein durch gesetzliche Verordnungen von ihnen getrenntes Volk, sondern nur eine große menschliche Familie, und diese lag unterschiedslos unter Sünde und Tod.

Doch was will der Apostel sagen, wenn er Adam „ein Vorbild des Zukünftigen“ nennt? Adam, das Haupt der ersten Schöpfung, wurde erst nach seinem Falle Vater von Söhnen und übertrug somit auf alle seine Nachkommen die Folgen seines Falles. Der Anfang des 1. Buches Mose gibt uns den Schlüssel zum Verständnis der ganzen Geschichte des Menschengeschlechts bis auf den heutigen Tag. Die Übertretung des Einen (Adam) hat über die Vielen, d. h. über alle, die zu ihm gehören, den Tod gebracht, gleichviel ob sie in Übertretung bestimmter Gebote oder ohne Gebote gesündigt haben. Geradeso hat sich Gottes wunderbare Gnadengabe durch einen Menschen (Christus) wiederum den Vielen, d. h. allen, die Gott Ihm gegeben und unter Ihm als Haupt zu einer Familie zusammengefügt hat, zugewandt. Das macht es uns verständlich, in welchem Sinne Adam ein Vorbild von Christo war. Der erste wie der zweite Mensch sind Häupter einer Familie, eines Geschlechts geworden, der eine als ein gefallenes Geschöpf in Sünde und Tod, der andere als der siegreich auferstandene Mensch in Gerechtigkeit und Leben.

„Ist nicht aber wie die Übertretung also auch die Gnadengabe? Denn wenn durch des Einen Übertretung die Vielen gestorben sind, so ist vielmehr die Gnade Gottes und die Gabe in Gnade, die durch einen Menschen, Jesum Christum, ist, gegen die Vielen überströmend geworden“ (V. 15). Die Beweisführung ist so einfach wie schlagend. Wenn es gerecht ist, und das konnte kein Jude, ja, kann kein Mensch bestreiten, dass die ganze Nachkommenschaft Adams die Folgen der Übertretung ihres Vaters tragen muss, dann ist es noch vielmehr gerecht, dass die Ergebnisse der in Christo geoffenbarten Gnade Gottes allen zuteil werden, die sich im Glauben Ihm anschließen. Was Adam (als Vorbild des Zukünftigen) im Bösen für alle seine Nachkommen wurde, das ist Christus in überströmender Fülle im Guten für alle geworden, die Ihm angehören. Könnte es anders sein angesichts der Quelle, aus welcher diese Gnade kam, und des Kanals, durch welchen sie uns zugeflossen ist? Nein, wenn durch die Übertretung des Einen „die Vielen gestorben sind“, so ist durch den Einen, Jesum Christum, „die Gnade Gottes gegen die Vielen überströmend geworden“.

Beachten wir hier und in den nächsten Versen den Gebrauch des Wortes „die Vielen“. Wir möchten vielleicht meinen, „alle“ wäre einfacher und näher liegend gewesen. Aber abgesehen von der beabsichtigten Gegenüberstellung des Einen und der Vielen, ist der Ausdruck offenbar gewählt, um jeder Missdeutung von vornherein zu begegnen. In Verbindung mit Adam schließt er ganz von selbst alle Menschen ein, weil Adam aller Vater ist und seine Natur ihnen allen mitgeteilt hat; in Verbindung mit Christo aber kann er sich nur auf alle die beziehen, welche zu Christo gekommen und so in Ihm, dem Auferstandenen, der neuen Natur teilhaftig geworden sind. Das Wort „alle“ hätte in diesem Falle also zu einer ganz falschen Auslegung Anlass geben können.

Indes gibt es nicht nur einen Unterschied in dem Maß des Geschehenen, sondern auch in der Art. Standen bisher zwei Parteien, also Personen, vor unseren Blicken, so werden wir jetzt zu den Dingen oder Handlungen geführt, auf welche der Unterschied gegründet ist. „Und ist nicht wie durch Einen, der gesündigt hat, so auch die Gabe? Denn das Urteil war von einem (d. h. von einer Sache oder Handlung) zur Verdammnis, die Gnadengabe aber von vielen Übertretungen zur Gerechtigkeit“ (V. 16). Eine Übertretung des Hauptes des Menschengeschlechts hat zur Verdammnis gereicht, während die Gnadengabe Gottes die Glaubenden aus vielen Übertretungen heraus in eine Stellung der Gerechtigkeit führt.

Diesen Gedanken weiter begründend, fährt der Apostel dann fort: „Denn wenn durch die Übertretung des Einen der Tod durch den Einen geherrscht hat, so werden vielmehr die, welche die Überschwänglichkeit der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den Einen, Jesum Christum“ (V. 17). Man sollte meinen, dem Vordersatz entsprechend müsse der Nachsatz lauten: „so wird vielmehr das Leben herrschen“. Aber nein, wir lesen: „so werden vielmehr die, welche die Überschwänglichkeit der Gnade empfangen ... im Leben herrschen“. Wie triumphierend, alle Hindernisse überwindend hat sich die Macht der Gnade erwiesen! In der Tat, sie hat die Sünde und ihre Folgen weit „überströmt“. Alle, die an Jesum glauben, ob Sünder aus den Heiden oder Gesetzesübertreter, empfangen die freie, überschwängliche Gabe der Gnade, die nicht nur ihre Schuld und Sünde entfernt, sondern ihnen Leben gibt, ewiges Leben durch den Einen, Jesum Christum. Die Sünde des ersten Menschen hat das Kleid der Unschuld zerrissen und den Tod eingeführt; das Blut Jesu Christi schenkt den Glaubenden das Kleid göttlicher Gerechtigkeit, führt sie in eine ganz neue, unendlich herrlichere Stellung ein, als Adam sie vor dem Falle besaß, gibt ihnen ewiges Leben, ja, in diesem Leben einen gebietenden Platz. Sie können das Empfangene nicht nur nicht wieder verlieren, sondern werden im Leben herrschen durch Jesum Christum.

Immer wieder sehen wir, wie unendlich weit die Wirkungen der göttlichen Gnade, der Natur und Herrlichkeit Christi entsprechend, die Folgen der Sünde übersteigen, und wir können verstehen, dass der Apostel, weiter und weiter fortschreitend, schließlich in tiefem, heiligem Staunen in die Worte ausbricht: „Was sollen wir hierzu sagen?“

Wie bereits bemerkt, schließt mit dem 17. Verse der lange Zwischensatz, und der im 12. Verse unterbrochene Gedankengang wird, im Anschluss an die Belehrung der Verse 13–17, jetzt wieder aufgenommen. „Also nun, wie es durch eine Übertretung gegen alle Menschen zur Verdammnis gereichte, so auch durch eine Gerechtigkeit (oder Gerechtigkeitstat) gegen alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens.“ Beachten wir hier zunächst wiederum das Wort „alle Menschen“. In beiden Fällen richten sich die Wirkungen des Geschehenen gegen alle Menschen; nicht einer ist ausgeschlossen. Es handelt sich in diesem Verse ausschließlich um die ursprüngliche Richtung oder das Ziel der einen wie der anderen Tat. Die eine gereicht zur Verdammnis, die andere zur Rechtfertigung des Lebens, ganz abgesehen davon, ob Richtung und Ziel durch Gottes Gnade oder durch den Unglauben des Menschen verändert werden, oder mit anderen Worten, ob es solche gibt, die durch Glauben der Verdammnis entrinnen, und anderseits solche, die den Gnadenratschluss Gottes in Bezug auf sich selbst wirkungslos machen.

Nachdem uns so die Reichweite der beiden Taten vorgestellt worden ist, kommen wir im 19. Verse zu den tatsächlichen Ergebnissen der Stellung der Häupter der beiden Familien: „Denn gleichwie durch des einen Menschen (Adam) Ungehorsam die Vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des Einen (Christus) die Vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden.“ Da nach den bestimmten, unzweideutigen Belehrungen der Schrift nicht „alle Menschen“ durch Glauben gerechtfertigt werden, musste der Heilige Geist hier wieder den Ausdruck „die Vielen“ wählen, d. h. die in beiden Fällen mit ihrem jeweiligen Haupte verbundene Menge von Menschen. dass dies im ersten Falle (Adam) das ganze Menschengeschlecht (also alle Menschen, wie in Vers 18) umfasst, ist selbstverständlich, denn alle befinden sich von Natur auf dem Boden ihres Vaters, „in der Stellung von Sündern“. Da ist kein Unterschied. Immer wieder wird die ernste Tatsache betont, dass die ganze menschliche Familie – alle, die des Adam sind – durch ihren Stammvater mit ihm in derselben Stellung ist: sündig, von Gott getrennt, ja, feindselig gegen Gott und ohne jedes Verlangen, zu Ihm umzukehren. In dem zweiten Falle handelt es sich ebenso um die Vielen, die mit dem „Einen“ verbunden sind, d. h. um alle, „die des Christus sind“, die durch den Glauben an Ihn in die Stellung von „Gerechten“ gesetzt werden – „die Kinder, die Gott Ihm gegeben hat“; aber obwohl es durch eine Gerechtigkeit gegen alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens gereichte (V. 18), so dass der Evangelist in die ganze Welt gehen und die frohe Botschaft über Gottes Sohn aller Schöpfung verkündigen kann, ist die tatsächliche und endgültige Wirkung des errettenden Werkes doch nur auf die Menschen beschränkt, welche die Botschaft annehmen. Es sind gleichsam die bekannten „Vielen“, die in jedem Fall unter den Folgen des Tuns der einen bestimmten Person stehen: die eine Klasse „Sünder“ durch den Ungehorsam Adams, die andere „Gerechte“ durch den Gehorsam Christi.

Nach dieser eingehenden Behandlung der Lehre von den beiden Familien und ihren Häuptern bleibt dem Apostel noch übrig, ein Wort über einen Gegenstand zu sagen, den er schon wiederholt berührt hat, das Gesetz. Zu welchem Zweck ist das Gesetz überhaupt gegeben worden? Der religiöse Mensch möchte denken, um eine, wenn auch nur menschliche Gerechtigkeit vor Gott hervorzubringen. Verhieß es nicht dem, der es halten würde, Leben? Ach, wie ganz anders lautet die Antwort, die der Apostel hier gibt! Er sagt: „Das Gesetz aber kam daneben ein“ – trat gleichsam wie eine nebenher laufende Sache zwischen den ersten und den zweiten Menschen – „auf dass die Übertretung überströmend würde“ (V. 20). Fürwahr, für den Stolz des Menschen könnte es kein demütigenderes und niederschmetternderes Ergebnis geben. Die Sünde als solche war da, ehe das Gesetz gegeben wurde, aber sie sollte sich durch das Gesetz in ihrer ganzen Furchtbarkeit offenbaren, d. h. als unmittelbare Empörung gegen Gottes heilige Gebote und als Verachtung Seiner göttlichen Autorität. Gott hätte unmöglich ein Gesetz geben können, damit dadurch die Sünde überströmend würde. Wie könnte Er in irgendeiner Weise der Urheber der Sünde sein? Wohl aber konnte Er eine vollkommene Richtschnur für den Wandel des Menschen geben, um ihm dadurch zu zeigen, wie es wirklich um ihn stand. Das Gesetz kam daneben ein, auf dass die Übertretung überströmend würde, oder, wie wir an anderer Stelle lesen, dass „die Sünde als Sünde erschiene“, ja, dass sie „überaus sündig würde durch das Gebot“ (Kap. 7,13). Das Gesetz hat erst den Zustand des gefallenen Menschen völlig ans Licht gebracht, indem es seinen Eigenwillen und Hochmut samt den Leidenschaften der in ihm wohnenden Sünde zum Aufleben und zur schrankenlosesten Entfaltung brachte.

„Wo aber die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwänglicher geworden, auf dass, gleichwie die Sünde geherrscht hat im Tode, also auch die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesum Christum, unseren Herrn“ (V. 20+21). Anbetungswürdige Antwort der Gnade Gottes auf die Schuld und Verderbtheit des Menschen! Sie handelt unumschränkt und feiert ihre herrlichsten Triumphe da, wo für den Menschen jede Hoffnung verloren ist und nur ein schonungsloses Gericht seiner wartet. Und sie feiert sie nicht etwa auf Kosten der Gerechtigkeit Gottes, nein, die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit, kraft des vollbrachten Werkes Jesu Christi, zu ewigem Leben. Ein gesetzestreuer Jude hätte im besten Falle – der aber niemals eintrat – Leben auf dieser Erde als Lohn seines Tuns erwarten können, aber der Gläubige empfängt heute ewiges Leben, weil Gott ihn auf Grund des Werkes Seines geliebten Sohnes in einer ganz neuen, Seinen ewigen Ratschlüssen entsprechenden Stellung vor sich sieht. Gerade darin hat sich ja Gottes Gerechtigkeit erwiesen, dass sie Seinem Sohne, der als Mensch Ihn vollkommen verherrlicht hat, einen Platz zu Seiner Rechten gab, und sie offenbart sich heute darin, dass sie die, welche an Jesum glauben, nicht nur von allen ihren Sünden rechtfertigt, sondern ihnen auch ein Leben schenkt, dessen Ziel die Herrlichkeit droben ist.

Gleichwie denn die Sünde geherrscht hat im Tode, so herrscht heute die Gnade in triumphierendem Leben. Es kommt einmal die Stunde, da die Gerechtigkeit herrschen wird, aber wehe dann allen, welche die Zeit der Gnade versäumt haben! Gott ist gerecht und muss Seine Gerechtigkeit aufrecht halten. Unmöglich kann Er die Sünde für immer vor Seinem Auge dulden. Aber wie furchtbar muss die Vergeltung sein, wenn die Zeit der errettenden und rechtfertigenden Gnade Gottes vorüber ist und Sein Gericht alle erreicht, die Sein Heil vernachlässigt oder gar verachtet haben! Glückselig darum alle, die unter der Herrschaft der Gnade dem kommenden Zorn entrinnen!

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