Worin bestand die erste Versuchung des Herrn?

In Matthäus 4,3 heißt es: "Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine zu Broten werden." Was ist hier die Versuchung? Denn Steine zu Brot zu machen war ja keine Übertretung des Gesetzes.

Bibelstelle(n): Matthäus 4,3; Lukas 4,3

Gottes Sorge für das Volk Israel in der Wüste

Obwohl die Versuchungen des Herrn, die wir hier finden, völlig von außerhalb kamen, passt der Satan sie den Umständen an, in denen unser Herr sich damals befand. Er war vierzig Tage ohne Nahrung, und das erste Wort des Versuchers ist deshalb: „Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine zu Broten werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: ,Nicht vom Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht'." Der Herr bezieht sich auf das Kapitel des 5. Buches Mose, das von dem Manna handelt, der täglichen Nahrung Israels, das ein Ausdruck der Abhängigkeit von Gott war und verdeutlicht, dass Israel nicht die Hilfsquelle der Welt benötigte, um erhalten zu bleiben. Sie erwarteten nicht, dass irgendein reiches Land sie mit dem Überfluss seiner Ernte unterstützte, noch waren sie abhängig von Gold und Silber. Bevor Israel ein Land bearbeiten und dessen Früchte genießen konnte, wurde es allein von Gott versorgt. In der Wüste, aus der Er sie als Seinen erstgeborenen Sohn geführt hatte, stellte Er sie auf die Probe, die darin bestand, ob sie zufrieden waren mit Gott und mit der Nahrung, die Er ihnen Tag für Tag gab. Leider waren sie es nicht.

Die Versuchung des Herrn in der Wüste

Hier finden wir ein völlig anderes Bild: Wieder sehen wir einen Menschen in der Wüste, aber Satan befindet sich dort - und nicht Gott. Im Geist hatte der Herr immer Gemeinschaft mit Seinem Vater; denn selbst als Er auf dieser Erde war, war Er „der Sohn des Menschen, der im Himmel ist". Er verband diese beiden Dinge in Seiner Person. Tag für Tag war Er hier als der in jeder Hinsicht Gott abhängige Mensch. Und mit der ersten großen Versuchung knüpfte der Teufel an Seine irdischen, natürlichen Bedürfnisse an. Es war keine Sünde, hungrig zu sein; aber es wäre Sünde gewesen, Gott an dem öden Ort misstraut zu haben. Wusste Gott nicht, dass es dort kein Brot gab? Und war es nicht Sein Geist, der Ihn dorthin geführt hatte? Hatte Gott Ihn geheißen, die Wüste zu verlassen oder die Steine in Brot zu verwandeln? Er wollte nicht Seine eigene Macht unabhängig von dem Wort Gottes gebrauchen.

Das ist auch kennzeichnend für die Weise, in der der Heilige Geist die Kinder Gottes mit Kraft ausrüstet: Sie sollen nicht für sich selbst oder für ihre Freunde Wunderkräfte gebrauchen. Wenn wir in das Neue Testament schauen, sehen wir, dass Paulus Wunder getan und die Kraft Gottes zur Heilung von Kranken angewandt hat. Aber hat er sie jemals für die Gläubigen in seiner Umgebung benutzt? Im Gegenteil, Paulus lässt Trophimus krank in Milet zurück und entfaltet ihm gegenüber die ganze Besorgnis eines Menschen, der nicht die Macht hat, den Körper zu heilen. Als Epaphroditus krank war, sehen wir die Übung des Glaubens, der weiß, dass der Wille Gottes und die Ergebung darin mehr wert ist als tausend Wunder.

Wunder haben in sich selbst nicht den hohen sittlichen Charakter, die Seele in der Abhängigkeit von Gott zu üben. Gott zu gehorchen, sich Ihm zu überlassen, Ihm zu vertrauen, dazu ist die menschliche Natur völlig unfähig. Macht allein erreicht niemals eine solche Höhe. Deshalb finden wir auch bei unserem Herrn selbst niemals, dass Er Seine Werke der Macht auf einen Boden mit dem Gehorsam stellt. Stattdessen sagt Er sogar Seinen Jüngern, dass sie größere Werke tun würden, als Er selbst getan hatte. So groß Seine eigenen Werke auch gewesen waren, weist Er doch Seine Jünger darauf hin, dass sie selbst größere Werke tun sollten. Was Christus kennzeichnete, war Gehorsam. Das war niemals bei einem Nachkommen Adams gefunden worden.

Warten auf das Wort Gottes

Hier, angesichts Satans, findet der Herr Seine Kraft nicht im Tun von Wundern oder in irgendeiner Vorkehrung, die Er für sich selbst getroffen hätte, sondern im Wort Gottes. Hunger mag ein legitimes Bedürfnis sein; aber hier wird Er in Satans Gegenwart versucht, und Er will nicht aus der Prüfung hinausgehen, bevor sie nicht völlig durchgestanden ist. Er will nicht für Sich selbst die Umstände ändern oder einen Finger heben. Er wartet auf Gott und antwortet: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht." Gottes Wort hatte Ihn dorthin geführt, denn der Heilige Geist handelt stets durch das Wort. Er würde die Wüste nicht verlassen, bis Gott selbst es Ihm nahelegte. Dies machte Satans Versuchung völlig wirkungslos. Mehr noch: Es brachte das wahre Geheimnis, Tag für Tag in Abhängigkeit von Gott zu leben, ans Licht. Denn es geht hier nicht um die Frage, ob göttliches Leben vorhanden ist, sondern darum, wie wir leben, wenn wir es empfangen haben; und die Nahrung des neuen Lebens ist das Wort Gottes.

Dies zeigt uns, von welch großer Wichtigkeit es ist, in der Kenntnis des geschriebenen Wortes zu wachsen und es wie unser natürliches Brot Tag für Tag aufzunehmen, indem wir es lesen, nicht nur um einer Pflicht oder Formalität zu genügen, sondern als die göttlich geeignete Nahrung für Sein Kind. Es zu studieren ist für uns alle wichtig, weil wir es brauchen, weil es in jeder Weise zum Nutzen der Seele ist, das Wort Tag für Tag mit dem Verstand und mit dem Herzen zu lesen und es so gleichsam direkt von Gott zu empfangen. Und was Gott gibt, ist nicht etwas, was das menschliche Herz nicht aufnehmen könnte, sondern ist unseren täglichen Bedürfnissen angepasst. „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht."

Dies ist also die Antwort unseres Herrn auf die erste Versuchung. Warum sollte Er Steine in Brot verwandeln? Er verließ sich auf Gottes Wort: Sein Vater hatte Ihm das nicht aufgetragen. Er konnte warten. So sollte es auch bei uns sein. Wenn wir keine klare Äußerung des Willens Gottes erkennen, sollten wir stets warten, bis wir Klarheit bekommen. Manchmal mag es unsere Schwachheit offenbaren, dass wir die Gedanken Gottes nicht kennen, und das ist uns unangenehm. Unruhe würde uns gern irgendwohin gehen oder irgend etwas tun lassen, aber das ist kein Glaube. Der Glaube erweist sich darin, dass er auf Gott wartet, bis Er Seinen Willen offenbart.

[Auszug aus dem Artikel "Die Versuchung".]


Online seit dem 04.04.2007.