Die Versammlung des lebendigen Gottes

2. Die Versammlung, das Haus Gottes

Die Versammlung des lebendigen Gottes

„Der Gott, der die Welt gemacht hat und alles was darinnen ist, dieser, indem Er der Herr des Himmels und der Erde ist, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind“ (Apostelgeschichte 17,24).

Die Grundlage der Versammlung

Im 16. Kapitel des Evangeliums nach Matthäus antwortet der Herr Jesus auf das herrliche Bekenntnis des Petrus: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, mit den bekannten Worten: „Glückselig bist du, Simon, Bar Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist. Aber auch ich sage dir: Du bist Petrus; und auf diesen Felsen will ich meine Versammlung (Gemeinde) hauen, und des Hades Pforten werden sie nicht überwältigen'' (V. 17.18). Der Titel, welcher hier der Macht Satans gegeben wird, „des Hades Pforten“, d.i. die ganze gewaltige Macht des Todes, welche Satan besaß, zeigt klar und deutlich, was das Fundament der Gemeinde Christi ist. Der erste Mensch in seiner Unschuld, dessen Nachkommen, Israel unter dem Gesetz – alle sind durch des Hades Pforten überwältigt worden, aber hier war Einer, den der Tod nicht behalten konnte. Was Rom über diese Stelle lehrt, ist bekannt und wundert uns nicht; wenn aber eine Anzahl entschieden gläubiger Männer, von denen man wahrlich etwas anderes erwarten sollte, schreibt: „Auf die gottbegnadigte und glaubensvolle Persönlichkeit des Petrus baut der Herr Seine Gemeinde“, so weiß man nicht, ob man mehr betrübt oder erschrocken sein soll. Gott selbst wolle diesen Brüdern die Augen öffnen, daß sie erkennen, welch eine Unehre sie damit Seinem geliebten Sohne antun und welch einen Schaden sie unter Seinen Kindern anrichten!

Man fragt sich immer wieder und bekommt keine Antwort: Wie ist es möglich, daß gläubige, mit dem Worte Gottes bekannte Männer auch nur für einen Augenblick dem Gedanken Raum geben konnten, daß der Sohn Gottes Seine Versammlung, Seine Gemeinde, auf die Persönlichkeit (so hochbegnadigt sie gewesen sein mag) eines armen, sündigen, irrenden Menschen bauen würde? Eines Menschen, den Er einige Augenblicke später mit den Worten strafen muß: „Gehe hinter mich, Satan!“ weil er nicht einmal imstande gewesen war, sich persönlich vor den Einflüssen des Fleisches und des Feindes zu bewahren? Und ein solcher Mensch sollte dem zu errichtenden Bau einen Charakter und eine Festigkeit verleihen können, daß des Hades Pforten ihn nicht zu überwältigen vermöchten?!

Was ist denn die Grundlage? Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, als solcher in Kraft erwiesen durch Toten-Auferstehung (Röm 1,4), als solcher soeben durch den Vater im Himmel Simon, dem Sohne Jonas, geoffenbart und durch diesen öffentlich bekannt; Er und die Kraft des Auferstehungslebens in Ihm, welches allen denen mitgeteilt wird, die zu Ihm, dem Felsenfundament, kommen, die auf Ihn, den kostbaren Eckstein, aufgebaut werden und als lebendige Steine Seines Lebens, Seiner Natur teilhaftig werden. Auf diesen Felsen wollte Christus Seine Gemeinde bauen, denn sie bestand damals noch nicht. Petrus mochte ein Stein (petros) von besonderer Bedeutung in diesem Gebäude werden, aber er war weder der Felsen (petra), noch der Baumeister. Christus mochte ihm die Schlüssel des Reiches der Himmel übergeben und ihm damit eine besondere Verwaltung für das Reich anvertrauen, aber das hatte nichts zu tun mit dem Bau der Versammlung oder Gemeinde. Das Reich der Himmel ist nicht die Gemeinde, und die Gemeinde ist nicht das Reich.

Christus selbst ist hier der Baumeister. Er wirkt in den Seelen, und sie kommen, wenn auch nur infolge der Gnade, die in ihren Herzen wirksam ist, zu Ihm. „Zu welchem kommend, als zu einem lebendigen Steine, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt, kostbar, seid auch ihr selbst als lebendige Steine aufgebaut, ein geistliches Haus, ein heiliges Priestertum“ (1. Pet 2,4.5). Es ist nicht Petrus, es sind nicht Ordnungen und Satzungen, es ist nicht eine Körperschaft, zu der man kommt, sondern lebendige Steine kommen zu dem lebendigen Steine, zu Christo, dessen ganze Kostbarkeit dem Glaubenden geschenkt ist. Durch den lebendigen Glauben persönlich mit Ihm verbunden, Seines Lebens und Seiner Kostbarkeit teilhaftig gemacht, auf Ihn aufgebaut, bilden sie jenes wunderbare Gebäude, gegen welches Satans Macht nichts vermag.

Eine Gemeinde, ein Leib, eine Behausung Gottes

Alles das ist so einfach, daß man meinen sollte, es müsse sich dem Herzen und Gewissen eines jeden Gläubigen sofort und ganz von selbst empfehlen. Aber wie seltsam berührt es, wenn man in einer anderen Schrift (auch von einem entschieden gläubigen Verfasser, der, wie er selbst sagt, „sich allein an der Hand der Bibel gebildet hat“) von „der judenchristlichen und der auf demselben Boden stehenden, aber sich nach außen hin sehr verschieden von ihr darstellenden heidenchristlichen Gemeinde“ liest. Danach hätte es also in jenen Tagen zwei Gemeinden, zwei Leiber Christi, einen judenchristlichen und einen heidenchristlichen, gegeben, denn die Versammlung (Gemeinde) ist der Leib Christi (Eph 1,23). Der Herr spricht nur von einer Gemeinde, die Er aus Juden und Heiden baut, und in welcher alle ohne Unterschied den gleichen Platz und die gleichen Vorrechte besitzen; die Schrift weiß nur von einem Leibe, in welchem weder Jude noch Grieche ist. Daß in der ersten Zeit der Geschichte der Kirche Christi an manchen Orten mehr Seelen aus den Juden oder Samaritern, an anderen mehr aus den Heiden errettet wurden, und daß die einen mehr geneigt waren, in den alten gesetzlichen Gebräuchen zu verharren oder zu ihnen zurückzukehren, während die anderen vorwiegend in Gefahr standen, durch ihre früheren heidnischen Gewohnheiten und Sitten beeinflußt zu werden, obwohl auch sie vor gesetzlichem Geist und Treiben nicht sicher waren, – und ferner, daß Gott dem einen Seiner Apostel vornehmlich das Apostelamt der „Beschneidung“, dem anderen das der „Vorhaut“ anvertraut hatte, – daß schließlich im Blick auf diese verschiedenen Gefahren und Zustände, zugleich auch infolge der verschiedenartigen äußeren Entwicklung und geistlichen Fortschritte der einzelnen örtlichen Versammlungen ein verschiedenartig gestalteter Dienst notwendig wurde, – das ist einem nur halbwegs mit seiner Bibel vertrauten Leser bekannt und geläufig. Aber was hat das alles mit den ewigen Gedanken Gottes über Sein Haus oder, wenn ich mich so ausdrücken darf, mit dem Bauplan Christi bezüglich Seiner Versammlung (Gemeinde) zu tun? Gerade die Vereinigung von Jude und Heide in der Gemeinde durch die Kraft des Evangeliums, indem der Heilige Geist sie beide mit Christo verband, führte zu der Bildung der Behausung Gottes im Geiste hienieden (vgl. Eph 2).

Ach! Das Auge vieler Kinder Gottes in unseren Tagen hat seine Einfalt so völlig verloren, der Sinn ist so wenig nüchtern, daß man die einfachsten Grundwahrheiten und die aufs deutlichste geoffenbarten Gedanken Gottes nicht erfaßt, sondern nach eigenem Sinn und Willen umgestaltet. Man kann sich gar nicht dazu erheben, vom göttlichen Standpunkt aus die durch Unkenntnis, Untreue und Eigenwillen des Menschen hervorgerufenen und beeinflußten Erscheinungen auf christlichem Gebiet zu betrachten, sondern man macht diese zum Ausgangspunkt seiner Erwägung und Beurteilung und zieht dann seine Rückschlüsse auf die göttliche Wahrheit. So kommt man dahin, Gottes Gedanken in den engen Rahmen seines Parteistandpunktes einzuzwängen und sie seinen hergebrachten kurzsichtigen Meinungen anzupassen. O welch eine Ruhe, welch ein Friede ziehen in das Herz ein, wenn es sich in der Einfalt des Glaubens über all das Sichtbare und Hörbare, über all die Verwirrung und das Parteigezänke, zu Gott erhebt, um von oben her, belehrt und geleitet durch den Geist Gottes, Umschau zu halten! Wie wird das Herz so still, der Blick so weit, und wie sieht man so klar und deutlich seinen Weg, den schmalen Pfad der Wahrheit, wie sie in Jesu ist, ewig dieselbe, unveränderlich und unantastbar!

Christus, der Baumeister

Die Gemeinde, von Christo selbst gebaut, wird also in Gnade und Kraft gebaut. Gegründet auf den Felsen, auf Christum, den Sohn des lebendigen Gottes, kann sie nicht erschüttert werden, es müßte denn die in der Auferstehung Christi geoffenbarte Macht des Lebens durch Satan überwältigt werden können; aber das ist unmöglich, denn über ihn, den Starken, ist ein Stärkerer gekommen und hat ihn überwunden. Darum, welche Wandlungen die Gemeinde auch ihrer äußeren Erscheinung nach durch eigene Untreue, durch das Einschleichen falscher Brüder durchgemacht haben mag, ja, wenn selbst ihr äußerer Zustand so verderbt werden mag, daß Christus sie aus Seinem Munde ausspeien muß (Off 3,16), – dennoch ist ihr Bau so sicher wie die Grundlage, auf welcher sie steht. Diese Grundlage verleiht ihr Sicherheit und Bestand. Christus, der himmlische Baumeister, führt Sein Werk zu Ende, Er führt Gottes Ratschlüsse aus, mag der Mensch tun was er will.

Der Bau unter der Verantwortlichkeit des Menschen

Dies leitet uns zu der Betrachtung des Hauses Gottes unter einem anderen Gesichtspunkt. Bisher sahen wir es nur unter den Händen Christi als unantastbaren Bau, den Er aufführt, als das geistliche Haus, als den heiligen Tempel im Herrn, „aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten, indem Christus selbst Eckstein ist“, als die Behausung Gottes im Geiste. (1. Tim 3,15; 1. Pet 2; Eph 2; vgl. auch Heb 3,6). So betrachtet ist alles vollkommen, da gibt es keine schlechten Baustoffe, keine Risse, kein Mißlingen. Wenn wir uns nun aber der tatsächlichen Ausführung der Arbeit oder des Werkes auf Erden zuwenden, wie sie uns in 1. Korinther 3 vorgestellt wird, so gewinnt das Ganze mit einem Schlage ein völlig verändertes Aussehen: die Verantwortlichkeit des Menschen kommt hinein, seine Tätigkeit beginnt mit allen ihren beschämenden Folgen. Paulus (nicht Christus, wie in Mt 16) hatte nach der ihm gegebenen Gnade als ein weiser Baumeister den Grund gelegt. Dieser Grund war Jesus Christus. Einen anderen gab es nicht, und darum konnte kein anderer gelegt werden. Nun galt es weiterzubauen. Andere würden mit dem Apostel und nach ihm bauen. Ein jeder mußte zusehen, wie er auf den einmal gelegten Grund baute. Man konnte mit Gold, Silber und kostbaren Steinen bauen, aber auch mit Holz, Heu und Stroh. Die Dauerhaftigkeit des Werkes hing von dem Baustoff ab. Das Werk eines jeden sollte durchs Feuer erprobt werden. Der Tag würde es klarmachen.

Mit anderen Worten: Die Lehrtätigkeit eines jeden Arbeiters brachte Seelen herzu, entsprechend dem Charakter dieser Tätigkeit. Der Oberbau des auf der Grundlage (Christus) errichteten Bauwerkes entsprach (und entspricht heute noch) den dazu verwandten Stoffen. Besteht die Arbeit die Probe, so wird der Arbeiter Lohn empfangen; verbrennt sie, so wird er Schaden leiden, aber selbst gerettet werden, „doch so wie durchs Feuer“; ist er ein böser Arbeiter, der den Tempel Gottes verdirbt, so wird Gott ihn verderben (V. 14–17).

Wir haben hier also Gottes Bau vor uns hinsichtlich seiner Stellung in dieser Welt, aber der Mensch baut, und seine Verantwortlichkeit kommt in Betracht. Gott hat erlaubt, daß das Böse sich schon entwickelte, ehe die Augen derer sich schlossen, welche es mit göttlicher Weisheit zu beurteilen vermochten. Falsche Brüder schlichen sich ein, der Feind säte Unkraut unter den Weizen, das Geheimnis der Gesetzlosigkeit begann zu wirken, und antichristliche Personen traten auf. Paulus, der weise Baumeister, dem vor allen anderen der Dienst und die Sorge für die Kirche Christi anvertraut war, betrachtete auch mit besonders scharfen Augen das Tun des Feindes und dessen Wirkungen und gab den Gläubigen die nötigen Weisungen und Warnungen. Eine der bekanntesten Stellen in dieser Beziehung ist 2. Timotheus 2, 19 – 22. Der Mensch Gottes findet hier genaue Anweisungen, wie er sich in dem Zustand der Dinge, der damals schon sich zeigte und seitdem immer mehr herangereift ist, verhalten soll.

Das „große Haus“

In seinem ersten Briefe an Timotheus nennt der Apostel das Haus Gottes „den Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“. Aber was ist unter der Verantwortlichkeit des Menschen daraus geworden? Ein „großes Haus“1, das nicht nur goldene und silberne Gefäße enthält, sondern auch hölzerne und irdene, die einen zur Ehre, die anderen zur Unehre. Wir brauchen uns nicht darüber zu verwundern. Ist es wahr, daß das Haus der Verwaltung des Menschen übergeben worden ist, so können wir mit Sicherheit Rückgang und Verfall erwarten. Doch Gott sei gepriesen! Sein fester Grund steht; er überdauert alle Zeiten und Proben, und er trägt ein doppeltes Siegel: einerseits kennt der Herr alle, die Sein sind (Gottes Ratschlüsse sind sicher und fest), und andererseits sollen die, welche den Namen des Herrn nennen, von der Ungerechtigkeit abstehen (der Mensch ist verantwortlich). Der Apostel weist dementsprechend die Gläubigen an, sich von den Gefäßen zur Unehre zu reinigen und nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe und Frieden zu streben mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen – Absonderung und Sammlung um Ihn, dessen Name „der Heilige und der Wahrhaftige“ ist. Was aus der großen Masse der Bekenner wird, zeigt uns 2. Timotheus 3: sie haben eine Form der Gottseligkeit, aber verleugnen ihre Kraft. Das Ende ist der völlige Abfall, welcher den Menschen der Sünde, den Antichristen, einführt (2. Thes 2).

So sehen wir denn, daß das Haus Gottes unter zwei oder gar drei ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden kann und im Worte Gottes so betrachtet wird. In dieser Hinsicht (wie in mancher anderen) unterscheidet sich das „Haus“ von dem „Leibe“. In dem Leibe Christi kann es niemals tote Glieder geben; bloße Bekenner ohne geistliches Leben sind da völlig ausgeschlossen, weil der Heilige Geist es ist, der den Leib bildet. Doch wir werden hierauf, so Gott will, später zurückkommen. Die Nichtbeachtung dieser Tatsache hat schon viel Verwirrung hervorgebracht und tut es immer noch.

Zusammenfassung

Doch fassen wir noch einmal kurz zusammen, was wir miteinander betrachtet haben.

  1. Christus, als Messias von Seinem Volke Israel verworfen, baut Seine Versammlung (Gemeinde) auf dieser Erde. Das, was in den Ratschlüssen Gottes bis dahin verborgen und den Geschlechtern der Menschen nicht kundgetan war, entfaltet sich. Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der Leben, göttliches Leben, in sich selbst hat (erwiesen in der Auferstehung), ist die Grundlage dieses Gebäudes und verleiht ihm Festigkeit und Dauer. Satan vermag nichts gegen dasselbe. Das endliche Ergebnis dieses Werkes des göttlichen Baumeisters ist ein vollständiger Sieg. Alle, die zu diesem Bauwerk gehören, sind lebendige Steine und heilige Priester.
  2. Die Versammlung ist die Behausung Gottes im Geiste. Gott wollte ein Haus hienieden haben, in welchem Er durch den Geist wohnen konnte. In der ersten Zeit der Geschichte dieser Erde hat Gott nicht bei dem Menschen gewohnt, weder bei Adam in seiner Unschuld, noch bei Abraham, dem „Freunde“ Gottes. Erst als Israel, obwohl nur durch eine äußere Befreiung, aus Ägypten erlöst war und als ein erlöstes Volk seinen Weg nach Kanaan angetreten hatte, kam Gott zu ihm, um in der Wolke der Herrlichkeit bei ihm zu wohnen (vgl. 2. Mose 15,13; 29,46). Und infolge der wahren Erlösung durch Christum ist der Heilige Geist herniedergekommen, um aus Juden und Heiden einen geistlichen Tempel, die Wohnstätte Gottes auf Erden, zu bilden. Der frühere Tempel war aus natürlichen Steinen erbaut, war ein irdisches Haus; jetzt gibt es einen heiligen Tempel, ein geistliches Haus. Jenes Haus war vorübergehend, von Menschenhänden gemacht, dieses ist ewig, von Gott selbst gebaut. In Christo wächst heute „der ganze Bau, wohl zusammengefügt, zu einem heiligen Tempel im Herrn“, und in Offenbarung 21,3 finden wir ihn in strahlender Herrlichkeit wieder als „die Hütte Gottes bei den Menschen“. Es wird nicht gesagt, wer der Baumeister ist, weder in 1. Petrus 2, noch in Epheser 2: das Haus wird aufgebaut und wächst seiner Vollendung entgegen; die Steine kommen herzu, und zwar nur lebendige Steine. Ohne Zweifel war das Haus auch nach außen hin anfänglich das, was es nach Gottes Plan und ewigem Ratschluß immer ist: ein heiliges Haus, bestehend aus lauter wahren Gläubigen. Aber es blieb nicht lange so. Kommen wir zu der tatsächlichen Ausführung des Werkes, wie es sich hienieden vor den Augen des Menschen entwickelte, so tritt das menschliche Element hinzu, und wir haben
  3. das Haus Gottes unter der Verantwortlichkeit des Menschen (1. Kor 3). Es ist auch jetzt noch „Gottes Bau“, aber Er hat „Mitarbeiter“. Menschen sind die Bauenden, und da kann es selbstverständlich nicht lange währen, bis der Verfall sich zeigt. Die Grundlage war gut, aber der Aufbau mangelhaft. Schon in der allerfrühesten Zeit wurden durch Arbeiter, welche die Wahrheit nicht so festhielten, wie die Apostel sie ihnen überliefert hatten, verkehrte Lehren aufgestellt und Seelen in die Mitte der Gläubigen eingeführt, welche kein Leben aus Gott hatten. Dies nahm so reißend zu, daß der Apostel Paulus kurz vor seinem Ende seinem Kinde Timotheus
  4. das große Haus und das, was es in sich barg, vor Augen stellen mußte. Der feste Grund Gottes stand zwar unbeweglich wie immer, aber die Zugehörigkeit zum Hause bot keinerlei Gewähr mehr, vor der Verbindung mit Bösem und Unreinem geschützt zu sein. Absonderung inmitten des Hauses wurde nötig, doch darauf folgend nicht etwa Vereinzelung, sondern ein Zusammenschluß der also Abgesonderten, der Gefäße zur Ehre, „geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet“ (2. Tim 2,21). In Verbindung damit stehen schwere, gefahrvolle Zeiten, in welchen die Mehrzahl der christlichen Bekenner nur noch eine äußere Form der Gottseligkeit hat, ohne innere Kraft, und viele sich völlig vom Christentum abwenden, indem „sie die gesunde Lehre nicht mehr ertragen, sondern nach ihren eigenen Lüsten sich selbst Lehrer aufhäufen, indem es ihnen in den Ohren kitzelt“ (vgl. 2. Tim 3,3.4). Das Ende ist die Entrückung der wahren Gläubigen in den Himmel und, wie schon gesagt, der völlige Abfall der zurückbleibenden Masse.

Fußnoten

  • 1 Wenn der bereits angeführte Schreiber zu dieser Stelle sagt: „Wir haben hier unstreitig an dasselbe Verhältnis zu denken, wie wir es in Mt 13,38 finden; dort sagt der Herr, daß auf dem Weltacker Weizen und Unkraut beisammen sind“, so setzt er sich dadurch mit den besten Auslegern in unmittelbaren Widerspruch. Das Bild von dem Hause (vergl. auch den Ausdruck „der feste Grund“ in V. 19 – dasselbe Wort wie in 1. Kor 3,11) schließt die Vergleichung mit dem „Acker“ geradezu aus.
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