Jesus - Mann der Schmerzen
Gedanken über die Leiden des Herrn

Die Leiden Christi zur Sühnung der Sünde

Jesus - Mann der Schmerzen

Als der Herr Jesus nach Golgatha hinausging und dort von rohen Soldaten gekreuzigt wurde, sah es aus, als hätten die Menschen unter Satans Führung ihr Ziel erreicht. In einem Schnellverfahren ohnegleichen war Er, der keine Sünde kannte und den Menschen nur Gutes getan hatte, trotz vielfacher Unschuldszeugnisse1 ohne jeden wahren Grund zum Tod am Kreuz verurteilt worden. Die Offenbarung der Bosheit der Menschen hatte ihren Höhepunkt erreicht. Es schien, als ob das Böse triumphierte und das Gute unterlag.

In unergründlicher Weisheit hatte Gott es so weit kommen lassen, damit der unverbesserliche Zustand des Menschen ein für alle Mal und endgültig offenbar wurde. Niemand hatte eine Entschuldigung, niemand konnte sich herausreden. Sie verleugneten „den Heiligen und Gerechten“ und schenkten stattdessen einem Mörder die Freiheit (Apg 3,14).

Jetzt, am Tiefpunkt menschlicher Verderbtheit offenbarte Gott die ganze Größe seiner Gnade und Liebe, aber auch seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit. Für seine Feinde, für Gottlose und Sünder gab Er seinen eigenen Sohn als Opferlamm. Das war der Beweis seiner Liebe und Gnade. An Ihm, dem Sünd- und Schuldlosen, vollzog Er das Gericht über die Sünde. Darin sehen wir die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes. Am Kreuz sind sich daher Gottes Güte und Wahrheit begegnet, haben sich Gerechtigkeit und Frieden geküsst (Ps 85,11). Doch was für einen Preis musste Er dafür bezahlen! Ihm sei ewig Dank dafür!

Christus von Gott verlassen

„Aber von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Um die neunte Stunde aber schrie Jesus auf mit lauter Stimme und sagte: Eli, Eli, lama sabachthani?, das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,45.46; Mk 15,33). Er, der Gott vollkommen offenbart und Ihn in seinem ganzen Leben durch alles, was Er tat, vollkommen verherrlicht hatte, wurde von seinem Gott verlassen!

Zu aller Zeit hatte Er als Sohn eine vollkommene, ungetrübte Gemeinschaft mit seinem Vater genossen. Deshalb sprach Er während seines ganzen Lebens und Dienstes von Gott immer als von seinem Vater und redete Ihn auch so an.

Dieses innige Verhältnis bezeugen viele Stellen in den Evangelien. Als Zwölfjähriger fragte Er seine Eltern im Tempel: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,49). Zu Beginn seines öffentlichen Dienstes ertönte die Stimme des Vaters aus dem Himmel: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Nach der Verwerfung des Messias vonseiten der Juden erging nochmals das gleiche Zeugnis über Ihn (Mt 17,5). In seinen letzten Stunden vor seinem Gang zum Kreuz sagte Er zu seinen Jüngern: „Siehe, die Stunde kommt und ist gekommen, dass ihr zerstreut werdet, jeder in das seine, und mich allein lasst; und ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir“ (Joh 16,32). Auch in der schweren Stunde in Gethsemane, als das ganze Gewicht des vor Ihm liegenden Sühnungswerks seine Empfindungen bedrückte, hören wir Ihn sagen: „Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir weg! Doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“ (Mk 14,36), und anschließend: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (Joh 18,11). Sogar in den ersten drei Stunden seines Kreuzesleidens war seine Gemeinschaft mit seinem himmlischen Vater vollkommen ungetrübt, wie seine Bitte für seine Peiniger bezeugt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34). Ebenso ist es bei seiner letzten Äußerung am Kreuz: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!“ (Lk 23,46).

Aber jetzt, während der dreistündigen Finsternis, ruft Er in größter Einsamkeit und Verlassenheit diese erschütternden Worte aus! Jetzt sagt Er nicht: „Mein Vater“, sondern: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Der Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, wird von seinem Gott verlassen! Unmöglich können diese Worte eine Erfahrung des Psalmdichters David wiedergeben (s. Ps 22,2). Niemals war David von Gott verlassen! Und niemals in seinem Glaubensleben hat er die Tatsache aus den Augen verloren, dass Gott „ein Erhalter aller Menschen ist, besonders der Gläubigen“ (1. Tim 4,10). Sonst hätte er nicht im folgenden Psalm schreiben können: „Auch wenn ich wanderte im Tal des Todesschattens, fürchte ich nichts Übles, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich“ (Ps 23,4).

Aber der Herr Jesus, und nur Er allein, wurde um unsertwillen von Gott verlassen, damit wir diesen furchtbaren Zustand nie zu erfahren brauchen! Und warum? Konnte es in Ihm selbst irgendeinen Grund dazu geben? Nein, es war wegen unserer Sünde und wegen des unerbittlichen Gerichtes des heiligen Gottes. Petrus schreibt darüber: „... der selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben, durch dessen Striemen ihr heil geworden seid“ (1. Pet 2,24). Paulus sagt in Römer 8,3, dass Gott, „seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleisch verurteilte“, und in 2. Korinther 5,21: „Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm“.

Der Herr Jesus nahm die unzähligen Sünden derer, die an Ihn glauben würden, auf sich, als wären es seine eigenen. Er trug an seinem heiligen Leib alle unsere bösen Gedanken, Worte und Taten, durch die wir vor Gott schuldig geworden sind. Das allein war schon etwas Furchtbares für den einzigen Makellosen, in dem keine Sünde ist (s. 1. Joh 3,5). Wie muss Er darunter gelitten haben, den Schmutz unserer Sünden tragen zu müssen!

Als freiwillig mit fremder Schuld Beladener nahm Er zudem die gerechte göttliche Strafe für unsere Sünden auf sich. „Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm“ (Jes 53,5). „Was ich nicht geraubt habe, muss ich dann erstatten“, klagt David prophetisch in Psalm 69,5. Petrus schreibt darüber: „Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe, getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist“ (1. Pet 3,18).

Doch Er musste noch mehr erdulden. Er wurde auch zur Sünde gemacht. In diesem Zusammenhang betrifft das Wort „Sünde“ (im Singular) nicht unsere soeben erwähnten Bosheiten, für die wir vor Gott verantwortlich und durch die wir vor Ihm schuldig geworden sind. Sünde bezeichnet auch den Charakter des alten Menschen, des Fleisches und der alten Natur bei uns als gefallenen Geschöpfen. Die Sünde, mit der alle Menschen geboren werden, ist die Quelle unserer Tatsünden. Sünden können vergeben werden, nicht aber die „in mir wohnende Sünde“ (Röm 7,17). Für Letztere kann es nur Gericht und Tod geben. Daher wurde der Herr Jesus auch das vollkommene Sündopfer, das in der hebräischen Sprache des Alten Testaments dasselbe Wort (chattat) wie Sünde ist. Aber die Ausdrücke „die Sünde im Fleisch verurteilt“ und „zur Sünde gemacht“ gehen noch weiter: Sie zeigen, dass Gott in seinem gerechten Gericht über die Sünde den Herrn Jesus so behandelte, als ob Er selbst Sünde sei, damit Er mit ihr als solcher in göttlicher Heiligkeit und Gerechtigkeit abrechnen konnte. Der Herr Jesus trug das Gericht über die Sünde und auch die Folge der Sünde, und das bedeutete den Tod. „Der Lohn der Sünde ist der Tod“ (Röm 6,23; vgl. 1. Mo 2,17; Röm 5,12). Wer könnte die Bedeutung dieser Tatsachen und die Tiefe des damit verbundenen Leidens erfassen?

In diesen drei Stunden des furchtbarsten Gerichts war unser Herr allein. Kein Mensch, kein Engel konnte Ihm beistehen. Aber auch Gott, der zu rein von Augen ist, um Böses zu sehen, wandte sich von Ihm ab (s. Hab 1,13). In diesen Augenblicken konnte es keine Gemeinschaft zwischen dem heiligen Gott und Demjenigen geben, der, obwohl selbst ebenso heilig, nun die Sünden derer trug, die an Ihn glauben würden, und zur Sünde gemacht wurde. Verworfen von der Masse der Menschen, im Stich gelassen von den Seinen und verlassen von seinem Gott hing Er um unsertwillen in tiefer Finsternis am Kreuz. Es war das „Leiden des Todes“, durch das Er in diesen Stunden gehen musste (Heb 2,9). In Ihm, dem Gerechten und Heiligen, gab es keine Ursache dafür. Er litt und starb aus Liebe zu den Verlorenen unter dem Gericht Gottes über die Sünde. Er wurde für uns zum Fluch, denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt“ (Gal 3,13).

Was der Herr dabei empfunden hat, können menschliche Worte, durch die wir nur unsere eigenen Gefühle ausdrücken können, wohl nie völlig beschreiben. Dennoch reden manche Psalmen prophetisch in zu Herzen gehenden Worten von diesen Stunden. Als Er unsere Sünden in all ihrer Abscheulichkeit „an seinem Leib auf dem Holz trug“, war dies für den Reinen und Heiligen wie eine „Grube des Verderbens“ und wie „kotiger Schlamm“ (Ps 40,3). „Ich bin versunken in tiefen Schlamm, und kein Grund ist da ... Zieh mich heraus aus dem Schlamm, dass ich nicht versinke!“ (Ps 69,3.15). So schrecklich, ja ekelhaft, empfand Er das Tragen unserer Sünden, die wir manchmal noch als Schwachheiten entschuldigen möchten!

Das unerbittliche göttliche Gericht über unsere Sünden und die Sünde brach über den leidenden Erlöser wie gewaltige Wasserfluten herein, denen Er vollkommen schutzlos ausgeliefert war: „Tiefe ruft der Tiefe beim Brausen deiner Wassergüsse; alle deine Wogen und deine Wellen sind über mich hingegangen“ (Ps 42,8). Die dreistündige Finsternis war auch der sichtbare Ausdruck dessen, was in dieser Zeit geschah: „Du hast mich in die tiefste Grube gelegt, in Finsternisse, in Tiefen. Auf mir liegt schwer dein Grimm, und mit allen deinen Wellen hast du mich niedergedrückt“ (Ps 88,7.8).

Seine Empfindungen in diesen Leiden kommen in den folgenden Zitaten zum Ausdruck, denen noch manche anderen hinzugefügt werden könnten. „Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; wie Wachs ist geworden mein Herz, es ist zerschmolzen inmitten meiner Eingeweide. Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Tonscherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen; und in den Staub des Todes legst du mich“ (Ps 22,15.16). „Denn satt ist meine Seele von Leiden, und mein Leben ist nahe am Scheol... Warum, Herr, verwirfst du meine Seele, verbirgst dein Angesicht vor mir? Ich bin elend und verscheide von Jugend an; ich trage deine Schrecknisse, bin verwirrt. Deine Zorngluten sind über mich hingegangen, deine Schrecknisse haben mich vernichtet. Sie haben mich wie Wasser umringt den ganzen Tag, sie haben mich allesamt umgeben“ (Ps 88,4.15–18).

Die Finsternis, die in diesen drei Stunden herrschte, war übernatürlich. Eine totale Sonnenfinsternis dauert gewöhnlich weniger als zehn Minuten. Außerdem entsteht sie immer bei Neumond, das heißt an dem Tag, an dem die jüdischen Monate beginnen. Das Passah findet jedoch immer am vierzehnten Tag des Monats Abib oder Nisan statt, also bei Vollmond. Finsternis ist in der Heiligen Schrift oft eine Begleiterscheinung des Gerichts (Jes 13,9.10; Joel 3,4; Am 8,9.10). Als den Hirten auf dem Feld von Bethlehem in der Nacht die Geburt des Herrn verkündet wurde, heißt es: „Und die Herrlichkeit des Herrn umleuchtete sie“ (Lk 2,9). Aber hier, wo Er das Gericht Gottes über die Sünden und die Sünde erdulden musste, herrschte am hellen Mittag Finsternis über der Erde.

Hieraus zu folgern, der Herr sei in den drei Stunden der Finsternis in der Hölle gewesen, wie manchmal tatsächlich behauptet wird, ist jedoch natürlich völlig verfehlt. Weder am Kreuz noch nach seinem Tod befand der Herr Jesus sich am Ort der ewigen Qual. Zwar nennt Er den Ort der ewigen Verdammnis „die äußerste Finsternis: Dort wird das Weinen und das Zähneknirschen sein“ (Mt 25,30). Auch das Verlassensein von Gott gehört zum zukünftigen Teil der Ungläubigen: „ewiges Verderben vom [eigentlich: weg vom] Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Stärke“ (2. Thes 1,9). Finsternis und Verlassensein von Gott sind also Kennzeichen der ewigen Verdammnis. Nun hat der Herr Jesus in den drei finsteren Stunden des Verlassenseins zwar das Gericht, die Strafe, ertragen, das uns ewig hätte treffen müssen, aber Er war dabei dem Leib nach nicht in der Hölle, sondern am Kreuz. Auch die oft angeführte Stelle aus 1. Petrus 3,19 und 20 spricht durchaus nicht von einer „Höllenfahrt Christi“. Sie besagt, dass Christus in der Kraft des Heiligen Geistes2 in den Tagen vor der Flut den ungläubigen Zeitgenossen Noahs, die sich jetzt im Hades befinden, Buße gepredigt hat, was diese Menschen jedoch nicht ernst nahmen. So gingen sie alle verloren, und nur Noah, der „Prediger der Gerechtigkeit“ (2. Pet 2,5), und seine sieben Angehörigen wurden vor der Sintflut gerettet.

Halten wir daran fest, dass nur die Leiden, die der Herr Jesus in den letzten drei Stunden der Finsternis am Kreuz von Gottes Seite für verlorene Sünder erduldete, als Sühnungsleiden bezeichnet werden können. Nur in dieser Zeit war Er von Gott verlassen, damit alle, die an Ihn glauben, niemals in diese furchtbare Stellung gelangen. Er hat die gerechte Strafe und das heilige Gericht über die Sünde getragen, damit es für uns niemals mehr ein solches Gericht geben kann. „Um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Ungerechtigkeiten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden. Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen Weg; und der Herr hat ihn treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit“ (Jes 53,5.6).

Das Sühnungsleiden umfasste auch die Hingabe seines Lebens und damit seinen Tod. „Ohne Blutvergießung gibt es keine Vergebung“ (Heb 9,22). Nur durch den Tod Christi am Kreuz sind wir mit Gott versöhnt worden (Röm 5,10; Kol 1,22).

Kann es nun noch irgendein Gericht für diejenigen geben, die an den Herrn Jesus und sein Sühnungswerk glauben? Das ist unmöglich. Gottes Wort bezeugt uns klar und deutlich: „Jetzt aber ist er einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer. Und ebenso wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, so wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Mal denen, die ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Errettung“ (Heb 9,26–28). „Er aber, nachdem er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht hat, hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes... Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (Heb 10,12.14).

Gottes Ratschluss

Das unermesslich erhabene und für uns unergründliche Werk der Erlösung war nicht Gottes Reaktion auf den Sündenfall, sondern sein Plan schon vor Grundlegung der Welt. Wenn der Herr Jesus auch durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und (was ihre Verantwortung betrifft) umgebracht wurde, so wäre dies doch unmöglich gewesen, wenn Er nicht dazu „hingegeben [wäre] nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes“ (Apg 2,23; vgl. Kap. 4,28). Das Lamm Gottes, durch dessen kostbares Blut wir erlöst sind, ist „zuvor erkannt vor Grundlegung der Welt“ (1. Pet 1,20) – längst bevor Abraham die Frage seines Sohnes Isaak: „Wo aber ist das Schaf [oder: Lamm] zum Brandopfer?“ mit den Worten beantwortete: „Gott wird sich ersehen das Schaf [oder: Lamm] zum Brandopfer, mein Sohn“ (1. Mo 22,7.8). So wie der Vater Ihn geliebt hatte vor Grundlegung der Welt, sind auch alle die Seinen in Ihm auserwählt vor Grundlegung der Welt (s. Joh 17,24; Eph 1,4). Das Werk von Golgatha und alle seine gesegneten Folgen beruhen folglich auf Gottes ewigem Ratschluss.

Nur unter diesem Gesichtspunkt können wir die folgenden Schriftstellen richtig verstehen. Wenn Jesaja schreibt: „Doch dem Herrn gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen“ (Jes 53,10), dann bedeutet das doch nicht, dass Gott Freude daran gehabt hätte, seinen Sohn leiden zu lassen, sondern weil sonst sein Gnadenratschluss niemals hätte in Erfüllung gehen können. Ähnlich ist es mit den Worten: „so dass er durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte“ (Heb 2,9). Damit wir die Gnade Gottes in reichstem Maß erfahren können, musste Christus unter dem gerechten Gericht Gottes den Tod erleiden. Denn wir sind errettet worden „nach seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gegeben, jetzt aber offenbart worden ist durch die Erscheinung unseres Heilandes Jesus Christus, der den Tod zunichte gemacht, aber Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht hat durch das Evangelium“ (2. Tim 1,9.10). Ihm sei ewig Dank dafür!

Nachdem Gott die Menschen auf jede mögliche Art erprobt hatte, kam die „Fülle der Zeit“ (Gal 4,4), das „Ende dieser Tage“ (Heb 1,2), die „Vollendung der Zeitalter“ (Heb 9,26) und das „Ende der Zeiten“ (1. Pet 1,20). Nun erschien Christus auf der Erde, um als Höhepunkt seines Leidensweges nach Gottes ewigem Ratschluss das große Werk zu vollbringen, das verlorenen Sündern, Feinden Gottes und gottlosen Menschen, nicht nur volle Vergebung aller Schuld, sondern ewige Glückseligkeit schenkt. Die vor Ihm liegende Freude, Seinem Gott und Vater Kinder zuzuführen, ließ Ihn die Schande des Kreuzes nicht beachten und alle damit verbundenen Leiden erdulden (Heb 12,2).

Und Er tat es freiwillig! Nichts und niemand hätte Ihn dazu zwingen können, diesen Weg der Schmerzen, des Leidens und des Todes zu gehen. Aber es war der ewige Ratschluss Gottes, des Vaters, und damit auch der Wille des Sohnes und dessen unergründliche, göttliche Liebe zu dem Vater und zu den Verlorenen, die Ihn dazu trieben, das Werk der Sühnung und der Erlösung unter der Leitung und in der Kraft des Heiligen Geistes zu vollbringen. Durch den ewigen Geist hat Er sich selbst ohne Flecken Gott als Opfer dargebracht (Heb 9,14).

Als seine Verfolger im Garten Gethsemane vor Ihm zurückwichen und zu Boden fielen, hätte Er wie in Nazareth einfach vor ihnen davongehen können (s. Joh 18,6; Lk 4,30). Aber Er tat es nicht, sondern streckte ihnen willig die Hände entgegen, damit sie Ihn binden konnten. Er hätte seinen Vater bitten können, Ihm jetzt mehr als zwölf Legionen (ca. 70.000) Engel zu stellen. Aber Er tat es nicht, denn wie sollten sonst „die Schriften erfüllt werden, dass es so geschehen muss?“ (Mt 26,53.54).

Am Ende der drei schrecklichen Stunden der Finsternis und des Gerichts erfüllte der Herr Jesus schließlich in vollem Bewusstsein auch die alttestamentliche Weissagung: „... in meinem Durst gaben sie mir Essig zu trinken“ (Ps 69,22). Als dies geschehen war, konnte Er triumphierend das gewaltige Wort aussprechen: „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,28–30). Als Sohn hatte Er den Vater auf der Erde verherrlicht, indem Er das Werk, das der Vater Ihm schon vor ewigen Zeiten zu tun gegeben hatte, vollbrachte (Joh 17,4). Nun konnte Er auch den letzten schweren Schritt in den Tod tun und seinen Geist in die Hände des Vaters übergeben (Lk 23,46). „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen“ (Joh 10,17.18).

Im „Staub des Todes“

Der Tod Christi am Kreuz gehört ebenso zum Sühnungswerk wie die vorhergehenden drei Stunden des Gerichtes Gottes. Der Herr starb nicht wie andere Menschen, sondern Er gab freiwillig sein Leben hin, damit wir errettet werden konnten. Nicht Menschen haben Ihn getötet, sondern Gott legte Ihn „in den Staub des Todes“ (Ps 22,16). Weder seine körperlichen Leiden noch die normalerweise damit verbundene allmähliche, qualvolle Schwächung waren die Ursachen seines Todes. Nach dem Bericht von Matthäus „schrie [er] wieder mit lauter Stimme und gab den Geist auf“ (Mt 27,50), wie Markus schreibt, „gab [er] einen lauten Schrei von sich und verschied“ (Mk 15,37), und bei Lukas heißt es: „Und Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist! Als er aber dies gesagt hatte, verschied er“ (Lk 23,46). Christus starb nicht an Schwäche, sondern in der Vollkraft seines menschlichen Lebens.

Als die Soldaten kamen, um den drei Gekreuzigten die Beine zu brechen, sahen sie, dass Jesus bereits gestorben war, und brachen Ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten durchbohrte mit einem Speer seine Seite, aus der als Zeichen des bereits eingetretenen Todes sogleich Blut und Wasser hervorkam (Joh 19,31–34). Markus berichtet außerdem über die Verwunderung von Pilatus, als er hörte, dass Jesus schon tot sei (Mk 15,44). Normalerweise führte eine Kreuzigung zu einem äußerst langen und quälenden Todeskampf. Aber als der Herr Jesus die drei finsteren Stunden des Gerichts ertragen hatte, tat Er freiwillig den letzten Schritt und nahm den Tod auf sich, durch den wir mit Gott versöhnt worden sind (Röm 5,10; Kol 1,22f.). Wenn die Menschen auch die volle Verantwortung für seinen Tod trugen, hatten sie doch nicht die Macht, Ihm das Leben zu nehmen (siehe Joh 2,19; Apg 2,23; 3,15; 5,30). Nein, in göttlicher Liebe hat Er selbst – und Er allein – Sein kostbares Leben als Lösegeld für viele hingegeben (Mt 20,28).

Römer 6,23 sagt: „Der Lohn der Sünde ist der Tod“ (vgl. Kap. 5,12). Hatte der Herr Jesus diesen „Lohn“ verdient? Natürlich nicht, denn Er war der Einzige, „der Sünde nicht kannte“, „der keine Sünde tat“, und „Sünde ist nicht in ihm“ (2. Kor 5,21; 1. Pet 2,22; 1. Joh 3,5). Er stand also nicht unter dem gerechten, aber unerbittlichen Todesurteil Gottes, sondern nahm den Tod in freiwilligem Gehorsam auf sich. Er wurde „gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8).

Zwar spricht Gottes Wort sehr genau davon, dass der Herr Jesus, „hingegeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes“, von den Juden „durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebracht“ wurde (Apg 2,23; vgl. 4,28). Demnach geschah alles nach Vorkenntnis und Plan Gottes. Es waren die Angehörigen des irdischen Volkes Gottes, von denen der Herr umgebracht wurde. Ausgeführt wurde das Urteil jedoch durch die heidnischen Römer als Besatzungsmacht. Doch werden die Juden als diejenigen bezeichnet, die den Urheber des Lebens getötet, ja sogar ermordet haben (Apg 3,15; 5,30; 7,52). Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie Ihn tatsächlich getötet, wie sie es vorhatten (Mt 12,14; Joh 5,16.18; 7,1 usw.). Deshalb werden sie in der Heiligen Schrift auch dafür verantwortlich gemacht. Aber sie waren nicht einmal in der Lage dazu, Hand an Ihn zu legen, bis die von Gott bestimmte Stunde gekommen war.

So bestätigten sich in wunderbarer Weise die Worte unseres anbetungswürdigen Herrn über die Hingabe seines kostbaren Lebens: „Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst“ (Joh 10,18). Wie betont der Heilige Geist das Wörtchen „selbst“! Der Herr hat sich selbst nicht nur für uns, die Verlorenen, hingegeben, sondern „durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert“, ja, „sich selbst... als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ hingegeben (Eph 5,2; Heb 9,14; vgl. Gal 1,4; 2,20; Eph 5,25; 1. Tim 2,6; Tit 2,14).

Fußnoten

  • 1 Die Evangelien enthalten die Zeugnisse von sieben Personen über die Unschuld unseres Herrn: von der Frau des Pilatus (Mt 27,19), dreimal von Pilatus selbst (Lk 23,4.14.22), vom König Herodes (Lk 23,15), vom Übeltäter am Kreuz (Lk 23,41), vom Hauptmann beim Kreuz (Lk 23,47), von Joseph von Arimathia (Lk 23,51) und schließlich von dem Verräter Judas (Mt 27,4).
  • 2 Auch in den Propheten des AT wirkte der „Geist Christi“ (1. Pet 1,11).
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