Der Prophet Maleachi

Kapitel 2,10-3,15

Der zweite Teil des 2. Kapitels bespricht einen neuen Gegenstand. Es handelt sich nicht mehr um das Priestertum, sondern um das Volk.

Der 10. Vers ist, wie es scheint, ein allgemeines Bekenntnis: „Haben wir nicht alle einen Vater? Hat nicht ein Gott uns geschaffen? Warum handeln wir treulos einer gegen den anderen, indem wir den Bund unserer Väter entweihen?“ Es ist wie ein Wort der Reue, das in den Mund Judas gelegt ist, und welches sich später verwirklichen wird, wenn der Überrest seine Sünde erkennen wird. Wie die Priester den Bund Levis zerstört hatten (V. 8), so hatte das Volk den Bund seiner Väter entweiht. Aber waren sie nicht alle Kinder eines Vaters, Geschöpfe eines Gottes? Es handelt sich hier nicht um das Verhältnis zu dem Vater, welches durch Jesus hienieden offenbart, durch das Werk am Kreuz geschaffen und bei der Auferweckung Christi verkündigt worden ist. An diesem Verhältnis haben nur die Christen teil; das Alte Testament hat es nicht enthüllt, und es wird dem jüdischen Volk als solchem niemals gehören. Das Verhältnis, von welchem diese Stelle redet, ist Teil aller Menschen, Juden oder Heiden, obwohl die Gläubigen es zugleich in einer ganz besonderen Weise besitzen.

Darum finden wir in Eph 4,6 die Worte: „Da ist ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in uns allen.“ Von diesem Verhältnis spricht unsere Stelle. Die hier Redenden waren Brüder, gezeugt von demselben Gott. Handeln Brüder treulos gegeneinander? Sollte nicht ihr gemeinsamer Ursprung Gefühle der Liebe und des gegenseitigen Wohlwollens in ihre Herzen legen? Der Tadel, der in diesem Vers enthalten ist, entspricht dem, welchen Jehova in Kap. 1,6 an die Priester richtet: „Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht?“ Nur legt der Geist Gottes hier dieses Wort nicht in den Mund Jehovas, sondern in den Mund derer, die ein Bewusstsein von dem elenden Zustand hatten, in welchen Israel gefallen war.

Ach! Für den Augenblick stellte dieser 10. Vers keineswegs den sittlichen Zustand des Volkes dar. Anstatt dahin geführt zu sein, seine Sünden zu bekennen, heißt es: „Juda hat treulos gehandelt, und ein Gräuel ist verübt worden in Israel und in Jerusalem: denn Juda hat das Heiligtum Jehovas entweiht, welches Er liebte, und ist mit der Tochter eines fremden Gottes vermählt“ (V. 11). Zwei Züge kennzeichnen hier den sittlichen Zustand des Volkes: Entweihung und Treulosigkeit. Die hier erhobene Anklage erinnert uns an das Ende des Buches Nehemia. Trotz aller an das Volk und die Priesterschaft gerichteten Ermahnungen Esras hatte das Volk nicht aufgehört, sich mit götzendienerischen Frauen zu verbinden, und die Priester waren ihm darin vorangegangen. Der Prophet spielt auf diesen geschichtlichen Umstand an. Wie Juda den Bund entheiligt hatte, so hatte es auch das mit eigener Hand von ihm wiederhergestellte Heiligtum Jehovas entweiht und hatte sich mit der Tochter eines fremden Gottes vermählt (Neh 13,23–31). Das aus der Gefangenschaft zurückgekehrte Juda war nicht götzendienerischer als seine Priester, aber das Bündnis mit dem Götzendienst war ebenso verwerflich wie die Götzen selbst, ja, es war umso verächtlicher, weil es sich mit dem Dienst des wahren Gottes zu verbinden wagte.

Gerade so ist es mit den Christen, die sich mit der Welt verbinden. Ob diese verchristlicht ist oder nicht, sie bleibt immer dieselbe Welt, die den Heiland zum Tod gebracht hat. Die Vermischung der Gläubigen mit ihr kann keinen Bestand haben, und notwendiger Weise muss ein Augenblick kommen, wo das edle Metall von den Schlacken geschieden und das Unkraut von dem Weizen abgesondert werden wird, um der Verbrennung anheim zu fallen. Auch hier wird gesagt: „Jehova wird den Mann, der solches tut, aus den Zelten Jakobs ausrotten“ (V. 12).

Weiterhin hatten sie, wahrscheinlich infolge ihrer sündigen Verbindungen mit den Götzendienern, treulos gegen ihre eigenen Frauen gehandelt: „Und zweitens tut ihr dieses: ihr bedecket den Altar Jehovas mit Tränen, mit Weinen und Seufzen, so dass er sich nicht mehr zu eurer Opfergabe wendet, noch Wohlgefälliges aus eurer Hand annimmt. Und ihr sprechet: Warum? Weil Jehova Zeuge gewesen ist zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an welcher du treulos gehandelt hast, da sie doch deine Genossin und die Frau deines Bundes {d.h. mit der du dich feierlich verbunden hast} ist“ (V. 13.14). Die Frauen, mit denen sie rechtmäßig verbunden waren, wurden entlassen, damit sie götzendienerische Frauen heiraten konnten; und die armen Verstoßenen bedeckten dann den Altar Jehovas mit Tränen und Seufzern, während ihre Männer am gleichen Ort ihre Opfer darbringen wollten. Diese übertraten so, indem sie Schmerz und Verderben säten, den bei der Schöpfung zwischen Mann und Frau errichteten göttlichen Bund. Im Anfang hatte Gott eine Gefährtin für Adam gemacht. „Und hat nicht einer sie gemacht? Und sein war der Überrest des Geistes. Und was wollte der eine? Er suchte einen Samen Gottes.“ Selbst wenn sie das, was Gott bei der Schöpfung eingesetzt hatte, gebrochen hatten, besaß dieses Volk nach Hag 2,5 doch noch „den Überrest des Geistes“ in der Person einiger Treuer, die sich, wie wir in Kapitel 3 sehen werden, in ihrer Mitte befanden. Warum hatte dieser eine Gott die Ehe zwischen dem ersten Mann und der ersten Frau eingesetzt? Weil Er „einen Samen Gottes“ suchte. Er konnte nur auf diese Weise ein Volk für sich besitzen, und nicht durch einen unheiligen Bund, dessen Stifter Satan war.

Der Prophet fügt hinzu: „So hütet euch in eurem Geiste, und handle nicht treulos gegen die Frau deiner Jugend! Denn ich hasse Entlassung, spricht Jehova, der Gott Israels; und er bedeckt mit Gewalttat sein Gewand, spricht Jehova der Heerscharen“ (V. 15.16). Die Priester hatten ihre Gewänder besudelt, das Volk hatte seine Kleider mit Gewalttat bedeckt, indem es ohne Gnade die geheiligten Bande der Ehe zerriss und so der Treulosigkeit Gewalttat hinzufügte.

All die Charakterzüge, die wir soeben beschrieben haben, sind moralisch auch diejenigen der Christenheit unserer Tage: Die Beziehungen zwischen Kindern eines Vaters sind aufgegeben: alle Bande, die Gott gebildet hat, sind gelockert; der Bund mit der Welt ist zur Regel geworden; die Götzen haben die Herzen eingenommen; Verderben und Gewalttat herrschen überall. Die christliche Welt ist über das, was Gott von ihr denkt, gleichgültig und kümmert sich nur um die Meinung der Menschen. Sie fragt: „Warum?“, wenn Gott ihr sagt, dass Er unzufrieden mit ihr sei und so ihr Gewissen zu erreichen sucht. Sie verbindet das Böse mit dem Namen Jehovas, wie wenn Gott es billigen oder ertragen könnte: „Ihr habt Jehova mit euren Worten ermüdet; und ihr sprechet: Womit haben wir ihn ermüdet? Damit, dass ihr saget: Jeder Übeltäter ist gut in den Augen Jehovas, und an ihnen hat er Gefallen; oder {d.h. oder wenn es nicht so ist} wo ist der Gott des Gerichts?“ (V. 17)

Wenn wir zum Schluss einen Rückblick auf das 2. Kapitel werfen, so müssen wir sagen, dass es nichts, auch gar nichts Erfreuliches darin gibt. Alles ist, um mit Jesaja zu reden, „Wunden und Striemen und frische Schläge; sie sind nicht ausgedrückt und nicht verbunden“. Ein einziger Lichtstrahl glänzt in dieser Finsternis: die Treue des wahren Levi. Dieser entspricht allen Wünschen des Herzens Gottes, und Gott wird trotz allem Seine Absichten der Liebe und Gnade gegen diejenigen verfolgen, die Seine Gnade mit Levi in Verbindung bringt.

Kapitel 3

Das 3. Kapitel wird uns zeigen, was der Herr von diesen letzteren erwartet, sowie die Charakterzüge, welche die Treuen in den Tagen des Endes kennzeichnen.

Erinnern wir uns an dieser Stelle, dass die Entronnenen von Juda, die den Tempel zu Jerusalem gebaut hatten, nicht als ein bekehrter Überrest in ihr Land zurückgekehrt waren. Sie waren ein Volk von Bekennern, das äußerlich dem Gesetz anhing und den Tempel wieder aufbaute; aber die babylonische Gefangenschaft hatte keineswegs ihr Herz verändert.

An sie wenden sich, wie wir gesehen haben, die beiden ersten Kapitel nebst dem Anfang des dritten. Die Verse 1–15 dieses 3. Kapitels setzen die innere Geschichte des Volkes fort, welche mit dem 10. Vers des 2. Kapitels begann. Das Wörtchen ihr, dem man 15 Mal in diesem Kapitel begegnet, wendet sich an ein nicht gläubiges Volk, welches das Gesetz bekannte; indes überschreitet es auch, wie der erste Vers von Kap. 1 uns gezeigt hat, die Grenzen von Jerusalem und Juda, um sich auf das ganze Volk auszudehnen. So heißt es auch hier im 9. Vers: „und doch beraubet ihr mich, ihr, die ganze Nation“.

Im Vergleich mit den beiden ersten Kapiteln gibt es indes in den Versen, die uns beschäftigen, einen wichtigen Unterschied. Während jene sich nur an das Volk wenden, betrachtet in seinem religiösen oder bürgerlichen Charakter, lässt das 3. Kapitel von Anfang an einen wahren Überrest ans Licht treten, nicht mehr Levi allein, einen einzelnen Menschen, ein Vorbild von Christus (Kap. 2,5.6), sondern die Kinder Levi (V. 3), die in ihrem Dienst mit ihrem treuen Haupt verbunden sind, wie wir Christen mit Christus. Das zeigt also wiederum, wie Gott Sorge trägt, sich einen Überrest zu bilden inmitten eines Volkes, welches, ohne jede Erkenntnis und Liebe zu Ihm, in Seinen Augen ohne sittlichen Wert ist. Dieser Überrest oder diese Gesamtheit von Gläubigen setzt ihr Vertrauen auf Jehova und erwartet Sein Kommen.

Ich habe schon wiederholt auf die Übereinstimmung des durch Maleachi beschriebenen Zustands mit dem der bekennenden Christenheit unserer Tage hingewiesen. Wenn wir unseren Propheten mit den drei letzten Sendschreiben in der Offenbarung vergleichen, so finden wir, dass der Zustand des Todes und der Verunreinigung, der in Sardes getadelt wird, sowie die Lauheit und Selbstzufriedenheit, welche Laodicäa kennzeichnen, – diese Züge des entarteten Protestantismus unserer Tage  – gleichsam eine Auslegung dieser Kapitel von Maleachi sind. Und wie dieser letztere uns zeigt, dass Gott Seinen Dienst den Söhnen Levis anvertraut, so belehrt uns die Offenbarung, dass der Herr sich in Philadelphia einen Zeugen für die Tage des Endes aufbewahrt, bis Er kommt, um Seine Auserwählten zu sammeln und sie mit sich in die Herrlichkeit einzuführen.

Diese großen Wahrheiten werden um so bestimmter zum Vorschein kommen, je weiter wir in der Betrachtung unseres Kapitels fortschreiten. Vorher jedoch kündigt der Prophet dem Volk ein Ereignis von großer Tragweite an, das Kommen Christi: „Siehe, ich sende meinen Boten, daß er den Weg bereite {Eig. bahne} vor mir her. Und plötzlich wird zu seinem Tempel kommen der Herr, den ihr suchet; und der Engel des Bundes, den ihr begehret: siehe, er kommt, spricht Jehova der Heerscharen“ (V. 1).

Wenn der Prophet sagt: „Der Herr, den ihr suchet“, so bedeutet das nicht, dass in dem Herzen des Volkes als solchem sich irgendwie Leben für Gott geregt habe. Israel, Juda im besonderen, hoffte auf das Kommen seines Messias, wie die Evangelien uns dies zeigen, in dem Gedanken, dass dieser Messias, der Sohn Davids, alle Dinge wiederherstellen und Sein Volk vom Joch der Nationen befreien würde, um Sein eigenes Reich in Israel aufzurichten. Das Volk erwartete mit Ungeduld diesen verheißenen König, um von der Knechtschaft der Heiden befreit und in seine herrlichen Vorrechte wieder eingeführt zu werden. Darum wird Er genannt: „Der Herr, den ihr suchet“, und der „Engel des Bundes, den ihr begehrt“. Er sollte das Volk kraft Seines Bundes mit Israel, in die zukünftigen Segnungen einführen.

Man kann sehr wohl auf ein zukünftiges Glück hoffen, ohne sich von seinen gegenwärtigen Beziehungen zu Gott Rechenschaft zu geben. Kürzlich noch hörte ich einen Weltmenschen behaupten, dass es ein Friedensreich auf Erden geben werde, der Krieg würde abgeschafft werden, und die Menschen würden sich des Glücks hienieden erfreuen. Zu aller Zeit ist es so gewesen. Schon im heidnischen Altertum kündigte „einer ihrer eigenen Propheten“ dies dem römischen Volk an. Man kann daran glauben oder es herbeisehnen, ohne im Blick auf den eigenen sündigen Zustand oder die Notwendigkeit, vor einem heiligen und gerechten Gott erscheinen zu müssen, irgendwie in seinem Gewissen berührt zu sein.

Der Prophet sagt hier voraus, dass das Kommen des Herrn durch den Vorläufer angekündigt werden würde: „Siehe, ich sende meinen Boten, dass er den Weg bereite vor mir her“, was stattgefunden hat, als Johannes der Täufer in der Mitte des Volkes erschien. In Mt 11,9 sagt Jesus zu der Volksmenge: „Was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Einen Propheten? Ja, sage ich euch, und mehr als einen Propheten. Denn dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg vor dir bereiten wird.“

„Und plötzlich wird zu seinem Tempel kommen der Herr, den ihr suchet.“ Diese Stelle trennt nicht das Kommen des Herrn zu Seinem Tempel von dem Augenblick, in welchem Johannes der Täufer erschien, um dieses Kommen anzukündigen. Aber sollte diese große Tatsache wirklich zur Wahrheit werden, so musste das Volk die Taufe zur Buße empfangen; das war das einzige Mittel, um den Weg vor den Schritten des Messias zu bereiten.

Die Geschichte Israels lehrt uns, dass, als Salomo den Bau des Tempels vollendet hatte, Jehova dorthin kam, um in der Mitte Seines Volkes zu wohnen. Wenn das Volk treu gewesen wäre, würde Gott Seine Wohnung nie verlassen haben. Aber Israel und seine Könige verleugneten Jehova und verübten Gräuel aller Art. Infolge dessen erreichten sie die Gerichte. Das Königtum verschwand, und das Volk wurde in die Gefangenschaft geführt. Der Prophet Hesekiel (Kap. 10 und 11) sieht den Thron Jehovas, wie mit Widerstreben, den Tempel zu Jerusalem verlassen. Das Haus Gottes war fortan leer und wurde schließlich unter Nebukadnezar, dem König von Babel, zerstört.

Im Buch Esra wird uns mitgeteilt, wie die in ihr Land zurückgekehrten Überreste von Juda den Tempel auf Befehl des Kores wiederaufbauten, aber Jehova kehrte nicht wieder dahin zurück. Das Haus wurde von neuem geplündert, verwüstet und zerstört, und später von Herodes, zur Zeit des Kommens Jesu, wieder aufgebaut. Das war der Augenblick, wo Johannes der Täufer das Volk darauf vorbereitete, den Herrn in Seinem Tempel zu empfangen.

Das Evangelium Johannes zeigt uns im zweiten Kapitel (nicht ohne Grund, denn diese Handlung wird in den anderen Evangelien erst am Ende der Laufbahn Christi erzählt,) als erste Handlung des Herrn, wenn Er nach Jerusalem hinausgeht, wie Er in den Tempel eintritt und die Verkäufer und die Wechsler daraus vertreibt mit den Worten: „Macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus“. Doch indem Er so handelt, sieht Er Seine Verwerfung im Voraus; denn tatsächlich war Er allein der Tempel Gottes in der Mitte eines Volkes, welches nichts von Ihm wissen wollte. „Brecht diesen Tempel ab“, sagt Er, „und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten.“ Er sprach aber von dem Tempel Seines Leibes (Joh 2,13–21).

Später kommt der Tag, wo Jesus aus dem Tempel zu Jerusalem hinausgeht und ihn endgültig verlässt, indem Er sagt: „Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird“ (Mt 24,1.2). Darauf wird der Heiland gekreuzigt. Ist damit alles beendet? Nein. Gott weckt Ihn auf und lässt Ihn zu Seiner Rechten sitzen, von wo Er den Heiligen Geist herabsendet, der einen neuen Tempel bildet, nicht aus Steinen und Gold, sondern aus lebendigen Steinen zusammengesetzt, einen geistlichen Tempel, ein Gebäude, in welchem Gott mittels Seines Geistes wohnt.

Dieses Haus wurde gebildet, um sich hienieden rein und heilig erhalten, aber es verderbte sich wie alles, was der Verantwortlichkeit des Menschen anvertraut worden ist. Es wurde zu einem großen Haus, das durch die Gefäße zur Unehre verunreinigt ist, und der Augenblick ist nahe, wo es gleich dem Tempel zu Jerusalem von dem Herrn gänzlich verworfen werden wird. Vor dieser endgültigen Verwerfung bildet Gott jedoch inmitten der verderbten Christenheit einen christlichen Überrest, der einen Teil des geistlichen Hauses bildet, welches Er bei der Wiederkunft Christi in den Himmel aufnehmen, und das der Tempel sein wird, in welchem Er von Ewigkeit zu Ewigkeit wohnt, und von dem Er am Ende sagen wird: „Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! – Und Er wird bei ihnen wohnen“ (Off 21,3).

Das ist die Geschichte des himmlischen Tempels; aber auch der irdische hat seine Zukunft, denn er wird wiederhergestellt werden, und der Herr wird auf der Erde in ihm wohnen.

Die letzten Kapitel des Propheten Hesekiel erzählen von diesem zukünftigen Tempel (Kap. 40–44), der errichtet wird, nachdem der letzte Tempel – der des Antichristen, welcher von dem sich gegen Gott empörenden Menschen erbaut wird – endgültig zerstört ist. Dann wird Jehova Seinen Tempel wieder aufbauen, und „der Engel des Bundes wird plötzlich dahin kommen“ (Mal 3,1). Der Prophet Hesekiel lässt uns diesem wunderbaren Schauspiel beiwohnen. „Und die Herrlichkeit Jehovas kam in das Haus … und die Herrlichkeit Jehovas erfüllte das Haus … Und Er sprach zu mir: Menschensohn, dies ist der Ort meines Throns und der Ort meiner Fußsohlen, wo ich inmitten der Kinder Israel wohnen werde ewiglich“ (Hes 43,1–7).

Der Prophet Haggai redet gleichfalls von diesem zukünftigen Tempel: „Und das Ersehnte aller Nationen wird kommen, und ich werde dieses Haus mit Herrlichkeit füllen, spricht Jehova der Heerscharen“ (Kap. 2,7). So spielt auch unser Prophet auf diesen zukünftigen Augenblick an: „Plötzlich wird zu Seinem Tempel kommen der Herr.“ „Siehe, Er kommt, spricht Jehova der Heerscharen!“ Dieses Kommen des Herrn in Seinen Tempel wird nicht mehr in Gnade geschehen, wie das erstemal, sondern in Herrlichkeit, und es wird, wie wir gleich sehen werden, nach dem Gericht stattfinden. Es wird wie das erste durch einen Vorläufer angekündigt werden, der unter den Schlägen des Antichristen fallen wird. Wenn Johannes der Täufer angenommen worden wäre, so wäre dieser Elias, der kommen sollte, gewesen (Mt 11,13; 17,10–12). Aber er ist verworfen worden, und der Herr wird von neuem einen Elias senden, nach Kap 3,23 unseres Propheten: „Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag Jehovas kommt, der große und furchtbare.“ Wir werden später auf die Erklärung dieser Stelle zurückkommen.

Wir Christen, die wir zu dem Haushalt der Gnade gehören, haben keinen Boten mehr zu erwarten, der uns das zweite Kommen Christi ankünde, wie Johannes der Täufer das erste angekündigt hat. Unser Bote ist schon lange erschienen in der Person des Heiligen Geistes, der am Pfingsttag herabgekommen ist. Er hat uns unterwiesen, zwar auch das „plötzliche“ Kommen des Herrn zu erwarten, aber ein Kommen in Gnade, um uns in die Herrlichkeit einzuführen, deren Mittelpunkt das himmlische Jerusalem sein wird. Ja, Er wird bald kommen; Er will, dass wir Ihn von einem Augenblick zum anderen erwarten, nicht wie einen Dieb in der Nacht, sondern als den glänzenden Morgenstern. Es ist möglich, dass Sein Kommen sich noch etwas hinzieht, aber wir sollen Ihn heute erwarten. Er rechnet in dieser Beziehung auf unsere Anhänglichkeit an Seine Person.

Mit Israel zur Zeit Maleachis war es ebenso. Der Prophet wollte das Volk wartend erhalten; es sollte verstehen, dass das Kommen des Befreiers nahe sei. Mehr als vier Jahrhunderte verflossen zwischen dieser Weissagung und dem Kommen des Heilandes und Seines Vorläufers; aber die Absicht des Herrn war, dass die Treuen Ihn erwarteten.

Hat Sein Volk dieser Absicht entsprochen? Zwischen der Weissagung Maleachis und dem ersten Kommen Christi sind, wie gesagt, Jahrhunderte voll verschiedener Ereignisse dahingegangen. Als Er erschien, hatte Juda diese Weissagung vergessen, aber einige Arme der Herde erwarteten Ihn, wie man am Ende unseres Kapitels und im Anfang des Evangeliums sieht.

Tatsächlich können die Gläubigen allein den Herrn mit Freude erwarten; die Ungläubigen werden immer zu vergessen oder zu leugnen suchen, dass Er kommt. Was ist auch dabei zu verwundern? Das Kommen des Herrn in Herrlichkeit bedeutet für die Welt Gericht, wie wir in unserer Stelle sehen: „Siehe, er kommt, spricht Jehova der Heerscharen. Wer aber kann den Tag seines Kommens ertragen, und wer wird bestehen bei seinem Erscheinen? Denn er wird wie das Feuer des Schmelzers sein und wie die Lauge der Wäscher“ (Kap 3,2). Könnte Israel sich auf dieses Ereignis freuen? Ach! Wenn der Herr zum zweitenmal zu Seinem Tempel kommt, wird Er ohne Gnade die abtrünnige Nation richten, und „wer wird bestehen bei Seinem Erscheinen?“ Die Errichtung des Reiches Christi wird sich auf das Gericht derer gründen, die den Messias verworfen haben.

Dann fügt der Prophet hinzu: „Und er wird sitzen und das Silber schmelzen und reinigen; und er wird die Kinder Levi reinigen und sie läutern wie das Gold und wie das Silber, so daß sie Opfergaben dem Jehova darbringen werden in Gerechtigkeit.“ (V. 3)

Hier finden wir nicht mehr, wie im vorhergehenden Vers, das Gericht des untreuen Volkes, sondern die Art, in welcher der Herr ein Volk bilden wird, das Ihm eigentümlich gehört, und das Er anerkennen kann. Indem Er sich zu diesem Zweck des Gerichts bedient, wird Er sich setzen. Er wird die Haltung eines Menschen annehmen, der das Silber schmilzt und reinigt. Er wird durch das Feuer das kostbare Metall von den Schlacken absondern, das Gute von dem Schlechten. So werden die Wege Gottes mit dem Überrest sein, den Er sammeln wird inmitten der großen Drangsal (Ps 66,10–12). Dieser Überrest muss durch den Schmelzofen gehen, um gereinigt und von seinen Banden befreit zu werden; doch wird er aufrechterhalten, wie einst die Gefährten Daniels, durch die Anwesenheit des Engels Jehovas bei ihnen.

Der jüdische Überrest des Endes wird sich in vielem von dem christlichen Überrest unserer Tage unterscheiden. Christus wird für uns in Gnade kommen, für jenen Überrest in Herrlichkeit. Das Kommen in Herrlichkeit beschließt das Alte Testament, wie dasjenige in Gnade das Neue. Christus kommt zu dem jüdischen Überrest in Gericht, zu uns in Frieden und Erbarmen. Nichtsdestoweniger gebraucht der Herr den Schmelztiegel auch für den christlichen Überrest. Wenn Er sich mit Seiner Gemeinde beschäftigt, so geschieht es, um sie zu heiligen, indem Er sie reinigt durch das Wort (Eph 5). Er wirkt an den Seelen und Gewissen der Heiligen, um sie von der Welt, die dem Gericht entgegengeht, abzusondern. Er will ein heiliges Volk haben, das fähig ist, Ihm zu dienen und Ihn zu erwarten, und so beschaffen, dass Er es sich als Seine Kirche herrlich, ohne Flecken und Runzel, tadellos, ohne Fehler darstellen kann. 1. Pet 1,7 zeigt uns auch den Schmelztiegel: „Auf dass die Bewährung eures Glaubens, viel köstlicher als die des Goldes, das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, erfunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi.“

Wir haben auf die Tatsache hingewiesen, dass die Beschreibung des Zustandes des Volkes und der Priesterschaft in Kap. 2 nicht einen einzigen ermunternden Zug aufweist. Aber sehen wir, was uns der Prophet in Kap. 3 sagt: „Er wird die Kinder Levi reinigen und sie läutern wie das Gold und wie das Silber, so dass sie Opfergaben dem Jehova darbringen werden in Gerechtigkeit.“ Die Kinder Levi sind für Gott der wahre Überrest. Ist das nicht merkwürdig? In Kap. 2 wird Levi ganz allein erwähnt, als Vorbild von Christus, dem wahren Diener. Mit ihm ist der Bund des Lebens und des Friedens geschlossen. Aber hier sind es die Kinder Levi, die geläutert werden müssen, um in diesen Bund eintreten zu können. So wird es auch mit dem Überrest Israels in den letzten Tagen sein. Die Beziehungen zu Christus werden ihn vor Gott angenehm machen, aber nicht ohne dass das Gericht ihn vorher gereinigt hätte. „Dann wird die Opfergabe Judas und Jerusalems Jehova angenehm sein wie in den Tagen vor alters und wie in den Jahren der Vorzeit“ (V. 4). Kraft ihrer Annahme als Genossen des Messias werden die Beziehungen Judas und Jerusalems zu Gott – um Ihm Gottesdienst darzubringen – wiederhergestellt werden können.

Es ist gut für uns, diese Wahrheit festzuhalten. In dem Zustand der Dinge, wie er uns heute umgibt, hat ein wahrer Gottesdienst, der durch einige dargebracht wird, Wert in Gottes Augen, denn er stellt den allgemeinen Gottesdienst dar, der Ihm einst dargebracht werden wird, und ist gleichsam der Vorläufer desselben. Das ist wohl geeignet, uns zu ermuntern. Sicher sollten wir mit ganz anderer Kraft den Gottesdienst ausüben, aber die Anbetung und das Lob, die aus einem wahrhaftigen Herzen vor dem Herrn aufsteigen, sind Gott ebenso wohlgefällig wie damals, als die Kirche ein Herz und eine Seele war, und werden ebenso von Ihm angenommen wie das zukünftige Lob, wenn einmal die ganze Versammlung um Christus in der Herrlichkeit versammelt sein wird. Wie könnte es auch anders sein, da der Herr selbst es ist, der inmitten der Versammlung lobsingt? (Ps 22,23).

Nachdem der Prophet die Kinder Levi erwähnt hat, wendet er sich von neuem an das Volk: „Und ich werde euch nahen zum Gericht und werde ein schneller Zeuge sein gegen die Zauberer und gegen die Ehebrecher und gegen die falsch Schwörenden; und gegen die, welche den Tagelöhner im Lohn, die Witwe und die Waise bedrücken und das Recht des Fremdlings beugen, und mich nicht fürchten, spricht Jehova der Heerscharen.“

Es ist wichtig zu wiederholen, dass in diesem ganzen Kapitel das „ihr“ sich an das ungläubige Volk und nicht an den gläubigen Überrest richtet. Wir bestehen besonders hierauf, weil es den Schlüssel zu dem: Ihr werdet in das Tal meiner Berge fliehen“ in Sach 14,5 bildet, eine Stelle, die gewöhnlich auf den Überrest bezogen wird. In Wirklichkeit zeigt uns der Geist Gottes, nachdem er sich in Vers 4 mit den Folgen der Treue der Kinder Levi für Juda und Jerusalem beschäftigt hat, das Ergebnis der Untreue des Volkes. Diese Untreue ist nicht mehr der Götzendienst von früher, sie wird vielmehr in zwei Worten zusammengefasst: Verachtung Gottes und des Nächsten. Dieselben Züge werden von Sacharja genannt (Kap. 5,4; 8,17), als kennzeichnend für den sittlichen Zustand des jüdischen Volkes in den letzten Tagen.

Äußerlich betrachtet schien alles in Ordnung zu sein; wird auch die Zauberei erwähnt, so waren doch keine Götzen da; aber das Herz des Volkes war ebenso verderbt wie damals, als der Götzendienst in Israel herrschte. Wegen des Herzenszustands der Nation sollte daher das Gericht Gottes sie treffen. Dies kennzeichnet jedes Bekenntnis, welches nicht „mit dem Glauben vermischt´“ ist. Gott bezeichnet einen derartigen Zustand mit einem einzigen Wort: „Sie fürchten mich nicht“ (V. 5). Der Anfang, der erste Schritt auf dem Weg der Weisheit, fehlt ihnen, und wir werden in Vers 16 sehen, dass die wahren Gläubigen gerade durch diese Furcht gekennzeichnet werden.

Was heißt, im Grunde, Jehova fürchten? Die Furcht ist das Gefühl eines Untergeordneten einem Höheren gegenüber. Gott fürchten heißt also, als Geschöpfe Seine Oberhoheit und Seine völligen Rechte über uns, sowie die Autorität Seines Wortes anerkennen. So ist es auch mit unseren Beziehungen zu Christus, insoweit wir Seine Knechte sind, wir, die Er für sich erworben hat, indem Er das Lösegeld für uns bezahlte. Die Furcht schließt auch das Gefühl des Gehorsams mit ein, den wir der Oberhoheit, ihren Anordnungen und Befehlen, schuldig sind, desgleichen das Gefühl des Dienstes, der ihr erwiesen werden muss. Dann aber, indem der Knecht gehorcht, sucht er seinem Herrn, dem er alles verdankt, zu gefallen. Ein Knecht fürchtet seinen Herrn, ein Mensch die Obrigkeit, eine Frau ihren Mann, ein Sohn seinen Vater, denn diese alle sind die Vertreter einer ihnen von Gott anvertrauten Autorität. Wir reden hier nicht von der Liebe, welche diese verschiedenen Beziehungen zulassen, wir sagen nur, dass die Furcht ihre Grundlage bilden und unseren ganzen Wandel hienieden regeln muss. Darum weist der erste Brief des Petrus, der von dem christlichen Verhalten redet, beständig auf die Furcht hin. Ich kenne Gott als meinen Vater, ich nahe Ihm mit einem vollen kindlichen Vertrauen als Sohn, aber ohne die Ihm schuldige Ehrerbietung aus dem Auge zu verlieren. Ich erkenne Seine Rechte über mich als Gott, Schöpfer und Meister an, nicht zitternd wie ein Sklave unter dem Joch, sondern in dem vollen Genuss meiner Beziehung zu Ihm als Sohn.

Wenn es bei dem Menschen keine Furcht Gottes gibt, so gibt es überhaupt kein sittliches Band zwischen der Seele und Ihm (vgl Ps 36,1–4). Und wie den ungläubigen Menschen, so fehlt gerade dies auch jedem religiösen, leblosen Bekenntnis. Der natürliche Mensch, selbst wenn er den Namen Christi trägt, steht immer unter der Leitung seines eigenen Willens, der dem Willen Gottes entgegengesetzt ist und sich ihm nicht unterwerfen kann (Rö 8,7), wohingegen die Tatsache, Christ zu werden, von Anfang an eine Glaubensunterwerfung unter Gottes Willen in sich schließt. „Was soll ich tun, Herr?“ sagte Paulus auf dem Wege nach Damaskus (Apg 22,10). Der eigene Wille ist gebrochen und gerichtet und der Wille Gottes als das einzige Heilmittel angenommen: „Nach Seinem eigenen Willen hat Er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt, auf dass wir eine gewisse Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe seien“ (Jak 1,18).

„Denn ich, Jehova, ich verändere mich nicht; und ihr, Kinder Jakobs, ihr werdet nicht vernichtet werden {O. vergehen}.“ Mag das menschliche Herz Gott zurückstoßen und Ihn verachten, Gott verändert sich nicht. Er gibt Jakob Verheißungen und wird sie, koste es was es wolle, halten, denn Er ist ein treuer Gott, und Er kann Seine ewige Güte nicht verleugnen. Aber Er ist auch ein gerechter Gott, der das Böse nicht dulden kann; es müssen also die Gottlosen verzehrt werden, und Seine Gnade allein hält das Schwert des Gerichts noch zurück. Ich will euch beweisen, sagt Jehova, euch, die ihr meinen Namen nicht fürchtet, und unter den Schlägen meines Zorns fallen werdet, dass ich meine Verheißungen nicht habe fahren lassen; der Beweis dafür ist, dass ich euch nicht verzehrt habe. Ich habe noch Geduld mit euch, damit ihr euch vom Bösen abwendet, denn meine Geduld ist Rettung. „Seit den Tagen eurer Väter seid ihr von meinen Satzungen abgewichen und habt sie nicht bewahrt.“ Ich habe Geduld, auf dass ihr dahin umkehrt; wollt ihr nicht auf mich hören? „Kehret um zu mir, so will ich zu euch umkehren, spricht Jehova der Heerscharen.“ Auf meiner Seite hat sich nichts geändert; was wollt ihr eurerseits tun?

Wir finden an dieser Stelle das erste Wort des Propheten Sacharja wieder: „Kehret zu mir um, und ich werde zu euch umkehren, spricht Jehova der Heerscharen“ (Sach 1,3), aber es ist hier um so dringender und eindringlicher, da der Prophet Maleachi ihm das andere Wort hatte vorhergehen lassen: „Ich habe euch geliebt“ (Kap 1,2), welches so geeignet war, das empörerische Herz Israels zu rühren. Bei diesem letzten Versuch, das verhärtete Gewissen des Menschen zu erreichen, wünschte Gott, bevor Er ihm seine Verantwortlichkeit vorstellte, ihn von dem zu überzeugen, was in Seinem Herzen für ihn war. „Also hat Gott die Welt geliebt“; das ist das Evangelium, und weit mehr als Sacharja kommt schon Maleachi, der letzte Prophet, ihm an einigen Punkten nahe.

Was antwortet das Volk auf diesen Ruf? „Und ihr sprecht: Worin sollen wir umkehren?“ Bringen wir nicht Opfer dar? Beobachten wir nicht den Sabbath und die vorgeschriebenen Feste? Ist Jehova nicht sehr hart, wenn Er noch mehr von uns fordert? Worin haben wir gefehlt, dass Er uns eine Umkehr auferlegt? Es ist genau die Sprache des älteren Sohnes in der Geschichte vom verlorenen Sohn: Bist du es nicht, der gegen mich gefehlt hat, indem du mir nicht einmal ein Ziegenböcklein gegeben hast, damit ich mit meinen Freunden fröhlich wäre?

In der Tat, der Gedanke an Umkehr oder Bekehrung kommt in dem Herzen eines bloßen Bekenners nicht auf, zu welchem Haushalt er auch gehören möge. Worin, wird er heute sagen, habe ich nicht getan, was ich tun sollte? Bin ich nicht getauft worden? Habe ich nicht mein Taufgelübde bestätigt? Benehme ich mich etwa wie ein götzendienerischer Heide? Gehe ich nicht in die Kirche? Erfülle ich nicht meine religiösen Pflichten? Gebe ich keine Almosen?

Man behandelt Gott als seinesgleichen. Du sprichst vom Umkehren? Ich habe kein Bedürfnis dazu! Diese Gleichgültigkeit ist eine schwere Beleidigung Gottes. Das Herz des Bekenners bleibt trotz alles äußeren Anscheins gefühllos, ebenso sein Gewissen. Das jüdische Volk hat das bewiesen, als 420 Jahre später der Herr in Seinen Tempel kam. Mit denselben religiösen Charakterzügen, wie Maleachi sie beschreibt, werfen diese Menschen den Messias zu Tür hinaus und kreuzigen Ihn. Was würden sie heute tun?

„Darf ein Mensch Gott berauben, dass ihr mich beraubet? Und ihr sprechet: Worin haben wir dich beraubt? In dem Zehnten und in dem Hebopfer. Mit dem Fluche seid ihr verflucht, und doch beraubet ihr mich, ihr, die ganze Nation!“ (V. 8 u. 9) Die Gewissenlosigkeit ist ein neuer Zug, der alle ohne Ausnahme kennzeichnet.

Dann stellt Gott sie auf die Probe, oder vielmehr Er fordert sie auf, Ihn zu prüfen. Bringet, sagt Er zu ihnen, die durch das Gesetz vorgeschriebenen Zehnten, damit Speise in meinem Haus sei, und prüfet mich dadurch. Ich verpflichte mich, wenn ihr meinem Wort gehorcht, euch die Fenster des Himmels aufzutun, Segnungen über euch auszugießen bis zum Übermaß, zu euren Gunsten den zu schelten, der eure Ernten verzehrt und vernichtet (V.10.11). So war es zur Zeit Nehemias geschehen (Neh 13,10–14). Damals hatten die Vorsteher für den Augenblick gehört, und die Leviten, denen es an allem fehlte, hatten wieder Vertrauen gewonnen. Dieser Zustand war aber nicht von Dauer gewesen.

Man könnte sagen, dass es zur Zeit des Herrn damit anders bestellt war; denn die Pharisäer bezahlten den Zehnten vom Anis und vom Kümmel, indem sie noch über die Vorschriften des Gesetzes hinausgingen. Aber obwohl das so war, hatten sie doch „die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Gericht und die Barmherzigkeit und den Glauben“; diese hätten sie tun und jene nicht lassen sollen (Mt 23,23). Weiter hatten sie, indem sie genau ihre religiösen Pflichten erfüllten, nur den Zweck im Auge, die Blicke der Menschen auf sich zu lenken, ohne sich um Den zu kümmern, der den Zustand ihrer Herzen sah und beurteilte.

Hier zeigt das Volk keine Lust, die Probe zu machen, die Jehova ihm vorschlägt; es hat gar kein Vertrauen zu Gott. Ist es heute unter der Herrschaft der Gnade anders? Heben die Menschen gegenwärtige Vorteile auf im Blick auf zukünftige Segnungen? Sie würden fürchten arm zu werden, wenn sie ihre Almosen nach Gottes Gedanken gäben.

Geliebte christliche Freunde! Müssen wir nicht bekennen, dass wir diese Gefühle der Welt zuweilen teilen, wenn es sich darum handelt, freigebig für Gottes Diener zu spenden, wie jenes Volk damals für die Ernährung der Leviten zu sorgen hatte? Ich spreche hier nicht von Opfern, die wir glauben bringen zu müssen, um unsere Sache oder unsere Parteien zu unterstützen, sondern von unserer Freigebigkeit überall, wo wir Arbeiter des Herrn im Dienst Seines Hauses tätig finden. Geben wir in den Fällen, wo Gott allein davon Kenntnis nehmen kann, für Ihn alles, was wir geben sollten? Schon im Anfang der Geschichte der Kirche hat sich in dem Fall von Ananias und Saphira diese Wunde gezeigt. Ich denke jetzt nicht an die Tatsache, dass sie den Heiligen Geist belogen, was eine Sünde zum Tode war und das Gericht Gottes über sie brachte, sondern daran, dass sie durch das Verhehlen eines Teiles ihrer Habe ihren Mangel an Vertrauen auf einen Gott bewiesen, der ihnen hundertfältig erstattet hätte, was sie für Ihn und die Seinigen getan haben würden. Wie sehr sollten wir lernen, unbedingter auf diese Verheißung Gottes zu rechnen: „Ich werde euch die Fenster des Himmels auftun und euch Segen ausgießen bis zum Übermaß!“

Es ist wohl möglich, dass viele Prüfungen, von denen die Christen heimgesucht werden, in diesem Mangel an Vertrauen auf Gott ihre Quelle haben. „Der Fresser“ wird nicht für uns gescholten, weil wir nicht verstanden haben, dass alles, was Gott uns gibt, Er uns für Seinen Dienst anvertraut. Lasst uns deshalb dieses Wort zuallererst auf uns anwenden, bevor wir andere richten. Gott allein kennt und wägt die Beweggründe unseres Handelns ab. Die arme Witwe gab zum Schatze des Tempels mehr als den Zehnten; sie opferte für das Haus Gottes ihren ganzen Lebensunterhalt. Die treuen Knechte, denen die Talente anvertraut wurden, verwerteten sie ganz und gar für ihren Herrn. Die ganze Frucht der Siege Davids kam dem Hause Jehovas zu gute, er behielt nichts für sich zurück.

Die Welt rühmt sich ihrer mildtätigen Bestrebungen, die, wie sie sagt, die Zusammengehörigkeit der menschlichen Familie beweisen. Lasst es uns Gott überlassen zu entscheiden, was in diesen Ausflüssen der Freigebigkeit für Ihn getan wird. Jeder andere Beweggrund hat keinen Wert in Seinen Augen, denn die Zehnten müssen zum Tempel Jehovas gebracht werden. Was uns Christen betrifft, so lasst uns Sorge tragen, uns einem Gott anzuvertrauen, der ein Belohner ist, und lasst uns freigebig für Ihn über das verfügen, was tatsächlich Ihm gehört. Wir werden sicher kein Verdienst dabei haben; aber lasst uns dennoch versichert sein, dass stets überreiche Segnungen die Hingebung unserer Herzen für Ihn begleiten werden: „Der Weinstock auf dem Felde wird euch nicht mehr fehltragen, und alle Nationen werden euch glücklich preisen, denn ihr werdet ein Land des Wohlgefallens sein, spricht Jehova der Heerscharen“. (V. 11.12)

Der Unglaube des Volkes, seine Gleichgültigkeit, sein Mangel an Vertrauen zu Gott führen es zu einer letzten Behauptung, die weit schrecklicher ist als alle anderen; „Eure Worte sind trotzig gegen mich gewesen, spricht Jehova. Und ihr sprechet: Was haben wir miteinander wider dich beredet? Ihr sprechet: Vergeblich ist es, Gott zu dienen, und was für Gewinn, dass wir seiner Hut warteten, und dass wir in Trauer einhergingen vor Jehova der Heerscharen? Und so preisen wir nun die Übermütigen glücklich: nicht nur sind die Täter der Gesetzlosigkeit aufgebaut worden, sondern sie haben auch Gott versucht und sind entronnen“ (V. 13–15). In einem Sinn war das Volk unter Nehemia in der Frage der Zehnten gehorsam gewesen (Neh 13,10–14), und doch waren sie noch arm und in Knechtschaft. Hier, anstatt in sich zu gehen, empören sie sich gegen Gott. So endigt die sittliche Geschichte Israels, ebenso wie die der Welt. Sie sieht, wie der Stolz Gelingen hat, wie die Gottlosen zu Reichtum und Ehre kommen, und sie beneidet nicht allein die Ungerechten (Ps 73), sondern sie nimmt Anlass daraus, Gott zu leugnen und Ihn zu lästern.

Ehe wir zu einem neuen Gegenstand übergehen, wollen wir den sittlichen Zustand des Volkes und des Priestertums, der durch die verschiedenen in diesen Kapiteln enthaltenen Fragen gekennzeichnet wird, noch einmal kurz zusammenfassen. Dieser Fragen sind neun; sie bekunden eine strafbare Unkenntnis:

  1. von der Liebe Gottes (Mal 1,2);
  2. von dem, was man Ihm schuldig ist (Mal 1,6);
  3. von dem Ihm zu erweisenden Gottesdienst (Mal 1,7);
  4. von dem, was der Reinheit Seines Tisches geziemt (Mal 2,12);
  5. von Seiner Heiligkeit und Seiner Gerechtigkeit (Mal 2,17)
  6. von der eigenen Treulosigkeit (Mal 2,14);
  7. von dem, was wahre Bekehrung ist (Mal 3,7);
  8. von der Hingebung im Dienst; und das Ganze endigt mit
  9. der offenen Empörung gegen Gott, ohne dass das Volk selbst ein Bewusstsein von dieser Empörung hat! (Mal 3,13)
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