Einführung in das Buch Amos

1. Einleitung

Das Buch des Propheten Amos gehört zu den sogenannten zwölf „Kleinen Propheten“ im Alten Testament. Trotz der Bezeichnung „klein“, ist die Botschaft des Propheten Amos äußerst kraftvoll und bedeutend.

Amos weissagte während der Regierung des Königs Jerobeam II., der ein gottloser Herrscher war (2. Kön 14,24). Es war dennoch eine Zeit äußeren Wohlstandes und weitgehender innerer Stabilität in Israel. Wahrscheinlich war es die längste Zeit der Blüte, die das 10-Stämme-Reich überhaupt erlebt hat. Dennoch war das Volk in einem sehr schlechten geistlichen Zustand und diente weiter fremden Göttern. Amos prangert diesen Zustand an und mahnt zur Umkehr. Anderenfalls würde das Gericht unvermeidlich sein. Was Amos voraussagte, traf etwa 40 Jahre später ein.

Amos gilt als einer der Begründer der klassischen alttestamentlichen Prophetie in Schriftform. Seine Sprache ist poetisch und zugleich kraftvoll mit kunstvoller literarischer Struktur. Amos gebraucht eindrucksvolle Bilder aus der Natur (z. B. Löwengebrüll, Feigenbäume, Mauerriss). Er arbeitet mit Wortspielen, stellt theoretische Fragen und fordert zu Antworten heraus. E. B. Pusey schreibt: „Amos drückte seine Gedanken in Worten aus, die dem großen Bilderbuch der Natur entnommen waren. Es trägt ebenfalls die Handschrift Gottes und bringt somit die göttlichen Dinge wunderbar zum Ausdruck. Kaum ein Prophet übertrifft ihn in seinem leidenschaftlichen Stil, verbindet auf wunderbare Weise den natürlichen und moralischen Bereich, die Allmacht und Allwissenheit Gottes.“1

Wir können – und müssen – die Botschaft von Amos unter drei Aspekten verstehen. Zum einen hat er eine unmittelbare historische Botschaft an die 10 Stämme Israels und kündigt ihnen das Gericht an, das dann tatsächlich eintraf, als das Volk 722 v. Chr. in die assyrische Gefangenschaft geriet. Zum anderen geht die Botschaft von Amos viel weiter. Sie schattet prophetisch (eschatologisch) etwas von den kommenden Gerichten in der Endzeit vor, bevor der Messias sein Friedensreich auf der Erde aufrichten wird. Schließlich gibt es eine geistliche Anwendung für die Gläubigen in der gegenwärtigen Zeit.

2. Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Der zeitgeschichtliche Hintergrund ist für das Verständnis der Worte des Propheten besonders wichtig. Seine Botschaft gewinnt an Tiefe, wenn man die politische, wirtschaftliche und religiöse Lage Israels in der Zeit seines Dienstes berücksichtigt. Jerobeam II. war einer der Könige, der tat, was böse war in den Augen Gottes – und sein Volk folgte ihm darin. Es war dennoch eine Zeit des äußeren Wohlstandes und der Ruhe, aber zugleich des zunehmenden inneren Abfalls von Gott.

a) Politische Lage

Man könnte die Zeit, in der Amos weissagte, als „goldene Zeit“ betrachten. Sowohl im Südreich als auch im Nordreich gab es eine längere Phase politischer Stabilität ohne direkte militärische Bedrohung durch Feinde von außen. Das lag vor allem an der Schwäche der Nachbarvölker Syrien und Assyrien, die in dieser Zeit mehr mit eigenen Problemen beschäftigt waren. Assyrien war zwar bereits eine aufstrebende Weltmacht, aber noch keine unmittelbare Bedrohung. Das würde sich wenige Jahre später ändern.

Die Zeit der politischen Stabilität führte dazu, dass beide Teile des Reiches sogar expandierten und ihr Territorium erweitern konnten. Jerobeam II. regierte lange und erfolgreich. 2. Könige 14,23-29 berichtet darüber ausführlich – und erwähnt auch den Propheten Jona, der die Expansion vorausgesagt hatte.

b) Wirtschaftliche Situation

Die politische Stabilität führte zu Wohlstand und wirtschaftlicher Expansion. Eine reiche Oberschicht lebte scheinbar in Saus und Braus. Aus den Worten von Amos entnehmen wir, dass die Oberschicht dekadent lebte. Amos 3,15 spricht von großen Häusern, von Winterhäusern und Sommerhäusern und sogar Häusern aus Elfenbein. Amos 6,4-6 beschreibt die extensiven Feste und Gelage dieser reichen Oberschicht. Der große Reichtum einiger hatte wiederum zur Folge, dass es eine ausgeprägte soziale Ungerechtigkeit gab, die der Prophet mit deutlichen Worten anprangert. Die Armen wurden unterdrückt, betrogen und vor Gericht ungerecht behandelt (Amos 2,6.7; 5,11.12). Amos kritisiert nicht, dass es reiche Menschen gab. Er kritisiert nicht den Wohlstand, wohl aber die Folgen davon: z. B. das korrupte Rechtssystem und die Ausbeutung durch Wucher und Sklaverei wegen Schulden.

c) Religiöse Lage

Äußerlich schien vieles in Ordnung zu sein. Das Volk diente Gott, doch es war ein Scheingottesdienst. Das Volk opferte Gott auf Altären, die Gott nie gewollt hatte. Das Herz der Israeliten war weit weg von Gott. Zudem dienten sie nicht nur dem Gott Israels, sondern auch den Götzen. Die „Ersatz-Heiligtümer“ in Bethel und Gilgal waren in Funktion (Amos 4,4; 5,5), jedoch mit falschem Gottesdienst (man spricht in diesem Zusammenhang von „religiösem Synkretismus“, d. h. einer Vermischung von verschiedenen Formen des Gottes- bzw. Götzendienstes). Wie so oft, diente die Religion als Tarnung für die Sünde. Doch Gottes Zustimmung lässt sich nicht durch äußere Formen erkaufen. A. C. Gaebelein schreibt: „Unter der Oberfläche herrschte überall furchtbare moralische Verderbnis als Frucht des falschen Gottesdienstes“.2

Amos kritisiert diesen falschen Gottesdienst und konfrontiert die Empfänger seiner Botschaft mit Gottes Sichtweise. Das machte ihn unbequem und schlussendlich zu einer Person non grata (vgl. Amos 7,10-13).

3. Verfasser

Viel wissen wir über Amos nicht. Es sind vor allem zwei Verse, die bestimmte Informationen enthalten (Kap. 1,1; 7,14). Alles weitere sind Rückschlüsse, die wir aus seiner Botschaft ziehen:

  1. Sein Name: Der Name „Amos“ bedeutet wahrscheinlich „Lastenträger“ oder „der Getragene“.3 Sein Name ist in doppelter Hinsicht Programm. Erstens hatte Gott ihm eine schwere Last auferlegt. Er kündigt vor allem Gericht an und das wird ihm nicht leichtgefallen sein. Als wahrer Prophet hat er sich selbst mit seiner Botschaft und dem Ergehen der Zuhörer identifiziert (vgl. Amos 7,2.5). Zweitens gilt, dass sich jemand, der selbst eine Last trägt, von Gott getragen weiß (Ps 68,20; Jes 46,3). Das muss auch Amos erlebt haben.
  2. Sein Beruf: Amos entstammte keiner Prophetenschule und war keiner der Prophetensöhne. Er war kein „Berufsprediger“, kein Priester und kein Levit. Sein Beruf war Schafhirte. Außerdem scheint er Maulbeerpflanzen angebaut zu haben (vielleicht als Nebenberuf). Allerdings sollte man daraus nicht unbedingt schließen, der er einen ländlichen und einfachen (ärmlichen) Hintergrund hatte. Das Wort „Schafhirte“ bezeichnet nicht den üblichen – und meist einfachen – Hirten, sondern einen Schafzüchter.4 Man würde Amos heute wohl eher einen „Unternehmer“ nennen. Er war jedenfalls kein „Theologe“ oder „Theoretiker“, der irgendwo in der Einsamkeit seinen Studien nachging. Amos war ein Mann, der mitten im Leben stand.
  3. Seine Berufung: Obwohl Amos kein Prophet war und keiner Prophetenschule angehörte, hatte Gott ihn für einen speziellen Auftrag ausgewählt. Gott ist in der Wahl seiner Diener immer souverän (damals wie heute). Menschen, die sich in ihrem Beruf bewährt haben, bringen dafür die besten Voraussetzungen mit. Einige Ausleger vermuten, dass Amos, nachdem er seinen Dienst erfüllt hatte, wieder an seine übliche Arbeit zurückkehrte. Das ist gut möglich, die Bibel sagt aber darüber nichts.
  4. Seine Herkunft: Wir erfahren nichts über seinen Stammbaum, was darauf schließen lässt, dass er nicht aus einer Familie mit „Rang und Namen“ stammte. Die Bibel nennt uns nur den Ort, aus dem er stammte, nämlich Tekoa, einer kleinen Siedlung, die knapp 20km südlich von Jerusalem und nicht weit von Bethlehem entfernt war. Er stammte somit aus Juda, das im Südreich lag. Tekoa lag in der Nähe einer bekannten Karawanenroute, die Jerusalem mit Hebron und Beerseba verband.
  5. Sein Dienstbereich: Gott berief Amos nicht, um da zu weissagen, wo er wohnte (im Südreich), sondern er sollte seinen Dienst im Nordreich Israels tun. Das ist auffällig, weil es ungewöhnlich war. Amazja, der Priester von Bethel, widerstand ihm deshalb und meldete diesen Vorfall dem König Jerobeam II. (Amos 7,10) und bezichtigte Amos der Verschwörung.
  6. Seine Merkmale: Amos war erstens ein treuer Mann. Er tat das, was Gott ihm sagte. Er verließ seine Arbeit (möglicherweise ein florierendes Geschäft), um den Auftrag Gottes zu erfüllen (vgl. Amos 7,15), obwohl er ahnen konnte, dass man ihm im Nordreich keinen freundlichen Empfang bereiten würde. Amos war zweitens ein emphatischer Mann. Er trug nicht einfach das vor, was Gott ihm sagte, sondern er trauerte mit Gott über den schwachen geistlichen Zustand in Israel. Amos war kein berechnender Geschäftsmann, dem das Schicksal der Menschen gleichgültig war. Die soziale Ungerechtigkeit im Nordreich machte ihm schwer zu schaffen, weil er gottesfürchtig war. Amos war drittens ein mutigerMann. Er ließ sich durch den Widerstand des Priesters (der vielleicht höchsten religiösen Autorität im Nordreich) nicht einschüchtern, sondern kündigte ihm und seiner Familie sogar das Gericht an.

4. Empfänger

Über die ursprünglichen Empfänger der Botschaft von Amos gibt es keine Zweifel. Es geht um das Nordreich Israels (d. h. die 10 Stämme in der Regierungszeit von Jerobeam II.). Dabei wendet sich Amos insbesondere an die Oberschicht des Volkes, die hauptsächlich verantwortlich war und an die Hauptstadt Samaria.

Die Empfänger lebten in einem politisch und wirtschaftlich stabilen Umfeld, was aber nur die geistliche und moralische Dekadenz förderte. Amos zeigt, was die Empfänger seiner Botschaft prägte. Wir lesen z. B. von Unterdrückung der Armen, von Korruption und Bestechung, von Hurerei und von heuchlerischem Götzendienst ohne echte Gerechtigkeit.

Die Tatsache, dass Amos als Jude zu den 10 Stämmen gesandt wurde und auch hinging, ist bemerkenswert. Durch die Sünde Rehabeams, des Sohnes Salomos, war das Reich getrennt. Dennoch hatte Amos ein Herz für das ganze Volk. W. Kelly merkt dazu an: „Nichtsdestoweniger war die Mission des Amos als Ganzes an Israel gerichtet. Er nimmt Juda zur Kenntnis; aber die Aufgabe, die ihm gegeben wurde, war das Königreich Jerobeams, weit mehr als Juda. Kurz gesagt, da sein Herz mit Gott fühlte, liebte er sein Volk als solches. Er liebte das ganze Volk und konnte dem Feind nicht nachgeben, dass ein Prophet (wenngleich die Sünde eine Spaltung erzwungen hatte und dies der Anlass für tieferes Unheil war, das Gott entehrte) sein Zeugnis für seinen Namen aufgeben würde. Wie konnte er vergessen, dass alle Söhne Israels Verheißungen hatten, dass sie dazu bestimmt waren, die rettende Gnade zu schmecken… Er konnte auf den Tag warten, an dem Gott alle Stolpersteine aus dem Weg räumen und das Band, das zerrissen war, erneuern würde, um es nie wieder zerreißen zu lassen. Einmal würden sie alle unter seinem einzigen rechtmäßigen Haupt, dem wahren Sohn Davids, dem Herrn Christus, sein“5.

5. Datierung

Der einleitende Vers des Buches grenzt die Zeit, in der Amos auftrat, relativ klar ein: „Worte des Amos … in den Tagen Ussijas, des Königs von Juda, und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes Joas, des Königs von Israel, zwei Jahre vor dem Erdbeben.“ Da Amos aus dem Südreich stammte und im Nordreich weissagte, werden beide Könige angegeben. Ussija (manchmal auch Asarja genannt) war König über Juda im Südreich und regierte in Jerusalem. Er war über viele Jahre ein treuer König, versagte jedoch leider im Alter. Jerobeam II. war König über das Nordreich (die 10 Stämme) und regierte in Samaria. Er war ein gottloser König. Ussija regierte von ca. 791–740 v. Chr., Jerobeam II. von ca. 793–753 v. Chr. Ihre gemeinsame Regierungszeit lag also zwischen ca. 791–753 v. Chr. Das erwähnte Erdbeben lässt sich zeitlich zwar nicht ganz genau verorten. Es war aber offenbar ein einschneidendes Ereignis, das noch Jahrhunderte später in Erinnerung war (vgl. Sach 14,5). Die meisten Experten datieren die Niederschrift Amos auf die Zeit zwischen ca. 765–755 v. Chr.6 Er ist somit einer der frühen schreibenden Propheten, der ca. 40 Jahre vor dem Fall Samarias (722 v. Chr.) geweissagt und das Gericht angekündigt hat.

6. Authentizität und Stellung im Kanon der Bibelbücher

Das Buch Amos gilt allgemein – von wenigen Ausnahmen liberaler Theologen abgesehen – als authentisch und es gibt wenig Zweifel daran, dass Amos tatsächlich der Verfasser ist, so wie es das Buch selbst sagt (Amos 1,1). Hinweise auf eine spätere Bearbeitung oder Redaktion sind selten und gelten nicht als glaubwürdig. Der Stil des Buches ist einheitlich mit einer klaren sprachlichen Eigenart und einer geschlossenen Botschaft. Die Prophetie von Amos hat sich zu einem großen Teil bereits in der Geschichte Israels erfüllt, was die Authentizität des Buches nur unterstreicht. Es gibt deshalb keinen Grund, an der Echtheit und Einheitlichkeit des Buches zu zweifeln – Amos war ein Prophet, der im Auftrag Gottes gesprochen hat.

Im jüdischen Kanon des Alten Testamentes gehört Amos von Anfang an zu den zwölf kleinen Propheten, die ursprünglich in einer Schriftrolle überliefert waren und daher als Einheit im Teil der Propheten galten. Sowohl Flavius Josephus als auch die Mischna (rabbinische Überlieferung) bestätigen die Einheit und Autorität dieser 12 Propheten. Auch die Septuaginta (griechische Übersetzung des Alten Testamentes) enthält selbstverständlich das Buch des Propheten Amos.

Die frühe Kirche hat diese Auffassung von Anfang an übernommen. Kirchenväter wie Hieronymus, Augustinus und Origenes bezeugen die prophetische Autorität von Amos. Im Mittelalter wurde der Prophet Amos besonders im Zusammenhang mit Fragen von Gerechtigkeit und Gericht ausgelegt. Martin Luther z. B. schätzte dieses Buch als „Prediger gegen soziale Ungerechtigkeit“ – und als Prophet, der Christus als König des kommenden Reiches verkündigt (vgl. Amos 9,11).

Somit gibt es in der kirchlichen Tradition keinen Zweifel daran, dass das Buch Amos inspiriertes Wort Gottes ist. Es ist geschichtlich zuverlässig, prophetisch relevant (vor allem im Blick auf Israel) und hat zugleich eine Botschaft für jeden, der dieses kleine Buch heute liest.

7. Ziel und Inhalt der Botschaft

Das Ziel der Botschaft des Propheten Amos besteht darin, Israel (die 10 Stämme) zur Umkehr zu bewegen. Das Gericht steht vor der Tür und nur in der Umkehr zu Gott kann das Gericht abgewendet werden. Amos beginnt jedoch „außen“, um Israel zur Selbstprüfung zu bringen. Er weist zuerst auf die Verantwortung der Nachbarvölker hin. Solche, die sich gegen sein Volk wenden, müssen mit dem Gericht Gottes rechnen. Dieses betrifft umso mehr das Volk Gottes, das Gott am nächsten steht und sich doch von Ihm abwendet. Je größer das Vorrecht, umso größer ist die Verantwortung.

Die Botschaft Gottes betrifft hauptsächlich das Nordreich Israel. Der Grund dafür ist ihr schlechter geistlicher und moralischer Zustand. Sie haben sich innerlich vollständig von Gott losgesagt. Der Hauptteil des Buches besteht aus Predigten, die Amos in Bethel gegen die 10 Stämme richtet. Die Kernbotschaft lässt sich mit den Worten zusammenfassen: Bundesprivilegien fordern Bundesverantwortung. Gottes Geduld ist nicht unbegrenzt. Der geistliche Hochmut und die moralische Dekadenz werden gerichtet. Darauf folgen Gesichte (Visionen), die dieses Gericht illustrieren. Sie zeigen die letzte Geduld Gottes – und den Punkt, an dem sie endet. Das Gericht ist unausweichlich.

Das Ende des Buches enthält jedoch, trotz der Ankündigung des Gerichts, Hoffnung. Es geht um die Verheißung der Errettung und Wiederherstellung Israels. Gott wird die verfallene Hütte Davids wieder aufrichten (Amos 9,11, Apg 15,16). Er verwirft sein Volk nicht für immer – das Gericht dient der Reinigung. In Christus – dem Sohn Davids – wird sich die Zusage endgültig erfüllen.

8. Zukünftige Ereignisse vorausgesagt (eschatologische Komponente)

Amos ist ein treffliches Beispiel dafür, dass Gott Geschichte im Voraus schreibt – und dies auf zwei Ebenen. Die erste Ebene ist die Naherfüllung. Die zweite Ebene ist die Erfüllung in der Zeit des Endes (eschatologische Ebene), d. h. Amos beschreibt Dinge, die sich erst in Verbindung mit der Erscheinung des Herrn Jesus in Macht und Herrlichkeit erfüllen werden. Diese Doppelebene betrifft die Gerichte, die Amos voraussagt. Sie haben sich erfüllt, als die Assyrer in das Land Israel einfielen und 722 v.Chr. dem Königreich der 10 Stämme ein Ende machten (angekündigt in Amos 4,2; 6,7; 7,17). Sie werden sich noch einmal erfüllen, wenn Gott Israel in der Zeit der Drangsal strafen wird. Die Herrlichkeit, von der Amos ebenfalls spricht, hat sich bisher überhaupt noch nicht erfüllt (Amos 9,11-15). Sie hätte sich erfüllen können, als Christus zum ersten Mal erschien, doch weil sein Volk Ihn nicht annahm, konnte diese „Zeit der Erquickung“ (Apg 3,20) noch nicht kommen. Aufgeschoben ist jedoch nicht aufgehoben. Was Amos voraussagt, wird sich einmal erfüllen.

Schauen wir einige Einzelheiten an:

  • Amos kündigt Gericht über die Nachbarvölker an (Amos 1 und 2): Er erwähnt Nationen und Völker, die es damals gab, die längst verschwunden sind und in der Endzeit wieder eine Rolle spielen werden (Damaskus, Gaza, Tyrus, Edom, Ammon, Moab). Gott ist der Herr aller Nationen und wird sie nicht verschonen, weil sie sich an seinem „Augapfel“ (an Israel) vergriffen haben (das gilt umso mehr für Assyrien, die latente Gefahr für Israel zur Zeit des Propheten Amos, auch wenn nicht namentlich erwähnt). In der Zeit des Endes wird Gott die Völker der Erde richten – so wie Amos es andeutet.
  • Amos kündigt Gericht über Israel an: Es ist ein biblisches Prinzip, dass Gott besonders diejenigen richtet, die große Verantwortung haben (Lk 12,47). Deshalb beginnt das Gericht auch am Haus Gottes (1. Pet 4,17). Auch wenn Amos mit dem Gericht der Nationen beginnt, wird beim Lesen des ganzen Buches dennoch klar, dass das Hauptgericht über Israel kommt. Israel war das auserwählte Volk Gottes. Er sagt ihnen: „Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt; darum werde ich alle eure Ungerechtigkeiten an euch heimsuchen“ (Amos 3,2). Israel wurde von Gott geliebt und gesegnet. Doch es hat sich von Gott abgewandt. Deshalb kommt das Gericht über dieses Volk, bevor es am Ende in die Segnungen des kommenden Reiches eingehen wird. Amos erwähnt den „Tag des Herrn“ als einen Tag des Gerichts und warnt vor diesem Tag (Amos 5,18-20). Dieser Tag (gemeint ist die große Drangsal) ist hier nicht ein Tag der Befreiung, sondern des Gerichts, das der Befreiung vorausgeht.
  • Gott sendet Amos zu seinem Volk: Amos selbst können wir als Bild für Zeugen Gottes in der Endzeit ansehen. Er steht völlig außerhalb des religiösen Systems (er ist kein Priester und kein Prophet), ähnlich wie viele endzeitliche Zeugen (vgl. die Wächter in Hes 33,1-7). Er spricht unbequeme Wahrheiten aus, wird verlacht und angefeindet, aber er steht zur Wahrheit Gottes und bezeugt sie. Damit erinnert er an die Zeit des Endes, in der sich Gott – trotz aller falscher Propheten, die auftreten werden, treue Zeuge bewahren wird, die wie Amos gegen das Unrecht und für die Wahrheit einstehen.
  • Amos sagt die Wiederherstellung der „Hütte Davids“ voraus: Der letzte Absatz des Buches (Amos 9,11-15) ist ohne Frage der Höhepunkt der Weissagung von Amos. Er beginnt mit den Worten: „An jenem Tag werde ich die verfallene Hütte Davids aufrichten und ihre Risse vermauern und ihre Trümmer aufrichten, und ich werde sie bauen wie in den Tagen vor alters“ und er endet mit den Worten: „Und ich werde die Gefangenschaft meines Volkes Israel wenden … und ich werde sie in ihrem Land pflanzen; und sie sollen nicht mehr herausgerissen werden aus ihrem Land, das ich ihnen gegeben habe, …“. Das ist der zentrale Hoffnungsteil des gesamten Buches. Er spricht von dem Messias, dem Sohn Davids, der eines Tages sein Reich gründen und regieren wird. Die Verheißung der Wiederherstellung Israels in seinem Land wird sich buchstäblich erfüllen. Sie erfüllt sich nicht geistlich in der Gemeinde (Versammlung), sondern faktisch im 1000-jährigen Reich, in dem Christus in Frieden und Gerechtigkeit herrschen wird. Apostelgeschichte 15,16.17 zitiert diese Verse zwar als Beleg dafür, dass Gott nun Menschen aus den Nationen ebenfalls segnet, aber die eigentliche Erfüllung steht noch aus.7

9. Christus im Propheten Amos

Eng verbunden mit der prophetischen Komponente ist die Frage, was der Prophet Amos über Christus zu sagen hat. Auf den ersten Blick gibt es nicht viele direkte messianische Aussagen. Dennoch kann man dieses Buch nicht lesen, ohne an Christus zu denken. Er ist indirekt, prophetisch und typologisch in Amos’ Weissagung fest verankert.

Den deutlichsten Hinweis liefert uns das Ende des Propheten (Amos 9,11-15). Dort finden wir den Messias, der die „verfallene Hütte Davids“ (gemeint ist die dynastische Linie Davids, aus der der Messias kommt) aufrichten und alle Nationen in Besitz nehmen wird. Er wird sein Volk in den Segen des Landes führen und die Gefangenschaft (Diaspora) wenden. Israel wird in seinem Land wohnen, die verwüsteten Städte aufbauen und bewohnen, Weinberge und Gärten pflanzen und die Frucht genießen. Nie wieder wird sein Volk aus seinem Erbteil vertrieben werden. Das alles bringt der Messias zustande.

Daneben sehen wir in diesem Buch zwei wesentliche Seiten, die der Messias in sich vereinigt, nämlich einerseits die Gerechtigkeit (im Gericht) und andererseits die Gnade (in der Wiederherstellung). In Kapitel 5,24 fordert Amos auf: „Aber das Recht wälze sich einher wie Wasser, und die Gerechtigkeit wie ein immer fließender Bach!“ In Israel war das nicht der Fall. Bei dem Messias wird genau das zutreffen. Gerechtigkeit und Gnade (Barmherzigkeit) sind zwei zentrale Merkmale des kommenden Messias. Das ethische Ideal, das Amos predigt, erfüllt sich letztlich in Christus – dem König der Gerechtigkeit.

10. Besonderheiten im Buch Amos

Amos ist nicht nur einer der ersten Schriftpropheten in Israel, sondern sein Buch ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig und bemerkenswert unter den alttestamentlichen Prophetenbüchern. Das liegt zum einen in seiner Person und seinem Dienstbereich begründet und zum anderen in seiner Botschaft.

Wir haben bereits gesehen, dass Amos ein Hirte und Feigenzüchter war (Amos 7,14). So hat Gott ihn berufen und er war dieser Berufung treu. Hinzu kommt, dass er ein Prophet aus Juda (dem Südreich) war, aber zu Israel (im Nordreich) gesandt wurde, um dort seine Botschaft zu verkündigen. Das ist mehr als ungewöhnlich, denn üblicherweise waren die prophetischen Botschaften im eigenen Königreich verortet (eine Ausnahme finden wir allerdings schon in 1. Könige 13, wo Gott einen Propheten aus Juda in das Nordreich mit einer Botschaft gegen den Altar in Bethel schickt). Vielleicht war Amos deshalb umso scharfsichtiger im Blick auf Missstände der 10 Stämme des Nordreiches.

Trotz seiner klaren Worte ist Amos ein Prophet, der tiefes Mitempfinden mit den Empfängern seiner Botschaft hat und sich mit ihnen identifiziert. Darin gleicht er Jeremia. Bei beiden finden sich tiefe Regungen des Erbarmens über das gerichtsreife Volk (vgl. Amos 7,2.5).8 Er ist neben Joel der einzige der kleinen Propheten, von dem wir lesen, dass er für sein Volk Fürbitte tut.

Eine weitere Besonderheit ist der scharfe Fokus auf die Heuchelei der Israeliten im Gottesdienst und ihre soziale Ungerechtigkeit im Blick auf Arme und Schwache. Kaum ein anderes Prophetenbuch spricht so direkt und schonungslos über die soziale Ungerechtigkeit in Israel, über Korruption und Rechtsbruch und besonders die religiöse Heuchelei (ähnlich noch Jahrhunderte später der letzte Prophet im Alten Testament, Maleachi). Das macht Amos zu einem starken biblischen Zeugen Gottes gegen derartige Missstände, die sich nicht nur unter den Israeliten zeigten, sondern die heute auch in der Christenheit an der Tagesordnung sind.

11. Gliederung

Das Buch Amos kann in vier Teile eingeteilt werden:

Teil 1 besteht aus Warnung: Der erste Teil bildet eine Art Einleitung. Sie umfasst die Ankündigung des bevorstehenden Gerichts an einigen Nachbarvölkern Israels im Norden, im Osten und im Westen. Aber auch das Gericht über Juda und Israel wird angekündigt.

Teil 2 besteht aus verschiedenen Prophezeiungen: Der zweite Teil geht von Kapitel 3 bis Kapitel 6. Hier sind vier Predigten aufgezeichnet, die Gott durch Amos gegeben hat. Sie richten sich gegen die 10 Stämme. Drei dieser Prophezeiungen beginnen mit der Aussage: „Hört dieses Wort…“. Die letzte wird mit dem Wort „Wehe“ eingeleitet.

Teil 3 besteht aus Visionen: Der dritte Teil umfasst die Kapitel 7 bis 9. Er enthält fünf Visionen (Gesichte), die Amos hatte. Die ersten beiden Visionen werden aufgrund der Fürsprache des Propheten nicht ausgeführt. Bei der dritten Vision geht es um ein Senkblei, bei der vierten um einen Korb mit reifem Obst. In der letzten Vision sieht Amos, wie der Herr am Altar steht und losschlagen will.

Teil 4 beschäftigt sich mit Wiederherstellung: Das Ende von Kapitel 9 (Verse 11–15) beschreibt die Wiederherstellung Israels und gibt einen Ausblick auf das kommende Reich.

Im Detail ergibt sich folgende mögliche Struktur:

  • Einleitung (Amos 1,1.2)
  • Teil 1: Gerichtsankündigung über sechs Nationen, über Juda und Israel (Amos 1 und 2)
    • (1) Damaskus (Amos 1,3-5)
    • (2) Gaza (Amos 1,6-8)
    • (3) Tyrus (Amos 1,9.10)
    • (4) Edom (Amos 1,11.12)
    • (5) Ammon (Amos 1,13-15)
    • (6) Moab (Amos 2,1-3)
    • (7) Juda (Amos 2,4.5)
    • (8) Israel (Amos 2,6-16)
  • Teil 2: Die Schuld und Strafe Israels (Amos 3-6)
    • (1) Der erste Aufruf zum Hören (Amos 3)
    • (2) Der zweite Aufruf zum Hören (Amos 4)
    • (3) Der dritte Aufruf zum Hören (Amos 5,1-17)
    • (4) Das erste Wehe (Amos 5,18-27)
    • (5) Das zweite Wehe (Amos 6)
  • Teil 3: Fünf Gesichte des nahenden Gerichts (Amos 7,1 - 9,10)
    • (1) Die Heuschreckenplage (Amos 7,1-3)
    • (2) Das fressende Feuer (Amos 7,4-6)
    • (3) Das Senkblei (Amos 7,7-9)
    • Exkurs: Amos lässt sich nicht einschüchtern (Amos 7,10-17)
    • (4) Der Korb mit Sommerobst (Amos 8)
    • (5) Der Schlag gegen den Säulenknauf (Amos 9,1-10)
  • Teil 4: Die zukünftige Wiederherstellung Israels (Amos 9,11-15)

12. Praktische Anwendung

Der Prophet Amos lässt uns nicht nur einen interessanten und aufschlussreichen Blick in die Geschichte der 10 Stämme Israels wenige Jahrzehnte vor ihrem Ende – der Deportation nach Assyrien – tun. Seine Botschaft hat nicht nur eine prophetische Relevanz im Blick auf zukünftige (eschatologische) Ereignisse, die nach der Entrückung der Gläubigen stattfinden. Der Prophet Amos spricht vielmehr jeden an, der sein Buch liest. Hier sind einige praktische Lektionen, die wir aus diesem Buch ziehen können und die uns zu einer klaren Position herausfordern.

Lektion 1: Gott beruft nicht die Begabten, sondern begabt die Berufenen:

Diese Wahrheit finden wir häufig in der Bibel (man denke nur an die Richter im Buch der Richter). Gottes Auswahlkriterien sind oft ganz anders, als wir es uns denken. Amos war keine hochgestellte Persönlichkeit in Israel. Er genoss keine besondere religiöse Anerkennung. Er betont selbst, dass er kein Prophet und kein Prophetensohn war (Amos 7,14). Dennoch wählt Gott gerade ihn aus, um seine Botschaft an die 10 Stämme zu richten. Entscheidend ist nicht, was Menschen sind und was sie gelernt haben. Entscheidend ist nicht, zur politischen, gesellschaftlichen oder religiösen „Elite“ zu gehören. Man benötigt keine theologische Ausbildung, um im Auftrag Gottes unterwegs zu sein. Gott kann das alles benutzen, wenn Er es will, aber Er ist nicht darauf angewiesen. Entscheidend ist, das jemand den Ruf Gottes hört und ihm folgt. Es kommt darauf an, dass wir gehorsam und treu sind. Wenn Amos heute leben würde, hätte er ohne theologische Ausbildung in weiten Teilen der Christenheit keine Chance. Als Landwirt könnte er höchstes „Laiendienste“ tun. Aber Gottes Auswahlkriterien sind anders. Das lehrt uns die Berufung von Amos. Was Amos verkündigt, hat er in keiner Ausbildungsstätte gelernt, sondern von Gott direkt empfangen.

Lektion 2: Gott hasst die Scheinheiligen

„Ich hasse, ich verschmähe eure Feste, und eure Festversammlungen mag ich nicht riechen“ (Amos 5,21). Das ist klar und eindeutig. In Israel ging alles seinen gewohnten Gang. Die von Gott angeordneten Feste wurden gefeiert und die Festversammlungen abgehalten. Doch der äußere Schein entsprach nicht den Tatsachen. Es war eine äußere Show ohne Substanz. Das lässt uns daran denken, dass viele Menschen heute eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen (2. Tim 3,5). Sie verkehren sogar die Gnade Gottes in Ausschweifung (Jud Vers 4). Gott lässt sich nicht täuschen. Die Fassade mag stimmen, was hinter der Fassade ist, bleibt Gott jedoch nicht verborgen. Gott interessiert sich nicht für Äußerlichkeiten und fromme Programme, wenn das Herz nicht dabei ist. Er möchte, dass wir echt und authentisch leben, mit innerem Engagement und nicht nur der Form halber.

Lektion 3: Soziale Gerechtigkeit ist Gott wichtig

Soziale Gerechtigkeit ist nicht alles und das Evangelium verändert nicht zuerst die sozialen Gegebenheiten. Dennoch ist es Gott ein Anliegen, dass wir Menschen gerecht miteinander umgehen und nicht einander unterdrücken. Damals hat Er sein Volk gewarnt: „Trachtet nach dem Guten und nicht nach dem Bösen, damit ihr lebt, und der Herr, der Gott der Heerscharen, wird so mit euch sein, wie ihr sagt. Hasst das Böse und liebt das Gute und richtet das Recht auf im Tor…“ (Amos 5,14.15). Offensichtlich war die Gerichtsbarkeit in Israel korrupt und es wurde kein Recht gesprochen (davon redet das Tor). Besonders die Armen wurden nicht beachtet, sondern unterdrückt (Amos 2,6; 4,1; 8,4.6). Das neutestamentliche Gegenstück finden wir im Brief von Jakobus. Er warnt mehrfach davor, den Armen nicht zu beachten (vgl. Jak 2,3-6). Wahre Umkehr zu Gott und echter Glaube zeigen sich unter anderem im Umgang mit anderen – besonders mit Armen und Schwachen. Christen sollen fair, barmherzig und dienend miteinander umgehen – egal, was die Kultur sagt.

Lektion 4: Wohlstand kann trügen

Wohlstand ist nicht per Definition böse. Wenn Gott Wohlstand gibt, sollten wir Menschen dafür dankbar sein und verantwortungsbewusst damit umgehen. Wer jedoch auf Reichtum vertraut, ihn unangemessen zur Schau stellt und dabei sogar den Armen verachtet, muss damit rechnen, dass Gott eingreift. Davor warnt Gott die Israeliten zur Zeit von Amos: „Wehe den Sorglosen in Zion und den Sicheren auf dem Berg von Samaria, den Vornehmen der ersten der Nationen, zu denen das Haus Israel kommt!“ (Amos 6,1). Davor warnt er auch uns: „Den Reichen in dem gegenwärtigen Zeitlauf gebiete nicht hochmütig zu sein noch auf die Ungewissheit des Reichtums Hoffnung zu setzen, sondern auf Gott, der uns alles reichlich darreicht zum Genuss“ (1. Tim 6,17). Die Lehre, die wir daraus ziehen ist, dass materieller Reichtum geistlich blind machen kann. Wir sollten deshalb gerade in Zeiten des materiellen Wohllebens und Überflusses wachsam sein – es kann der Anfang des geistlichen Niedergangs sein.

Lektion 5: Gott kündigt Gericht an – aber nicht, ohne vorher zu warnen

Das Buch Amos ist ein Beweis dafür, dass Gott Gericht ankündigt. Er ist heilig und wenn sein Volk sich dauerhaft von Ihm abwendet und anderen Göttern nachfolgt, wird Gott das nicht hinnehmen. Dennoch kommt das Gericht nicht, ohne das Gott vorher warnt. Amos zeigt das sehr deutlich. Zum einen tut Gott nichts, ohne es vorher seinen Knechten, den Propheten zu sagen (Amos 3,7). Aber nicht nur das. Auch die Abtrünnigen hören seine Stimme. Er gibt Gelegenheit, zu Ihm umzukehren und Buße zu tun. In Kapitel 5 macht Er z. B. deutlich, was die Israeliten nicht suchen sollen – nämlich den falschen Gottesdienst, und was sie stattdessen suchen sollen – nämlich Gott (Amos 5,4-8). Gott ist langmütig. Er will nicht, dass jemand verloren geht (2. Pet 3,9). Deshalb warnt Er und kündigt Gericht an. Zugleich ist Gott gerecht und heilig. Wir Menschen sollten Gottes Warnungen ernst nehmen, bevor es zu spät ist – persönlich, gesellschaftlich, geistlich. Das gilt für Gläubige ebenso wie für Ungläubige. Der zweite Petrusbrief macht dieses Prinzip der Gerichtsankündigung mehr als deutlich.

Lektion 6: Trotz Gericht gibt es Hoffnung

Amos’ Botschaft ist eine Gerichtsbotschaft. Dennoch macht sie nicht hoffnungslos. Am Ende des Buches scheint Licht. Gott kündigt an, sein Volk dauerhaft in ihrem Land zu etablieren (Amos 9,15). Das eigentliche Ziel Gottes ist nicht Gericht. Gericht ist – solange ein Mensch lebt – Mittel zum Zweck9. Das Ziel sind Wiederherstellung und Segen. Das ist heute nicht anders. Gott muss uns manchmal züchtigen und zurechtweisen. Das kann durchaus schmerzhaft sein. Dennoch gilt: „Denn der Herr verstößt nicht auf ewig; sondern wenn er betrübt hat, erbarmt er sich nach der Menge seiner Gütigkeiten. Denn nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschenkinder“ (Klgl 3,31-33). Gottes Absicht ist es, uns zu segnen – und wenn wir abweichen, weist Gott uns zurecht, um uns Heilung und Hoffnung zu geben.

Fußnoten

  • 1 Zitiert nach A. C. Gaebelein: The Prophet Amos
  • 2 A. C. Gaebelein: The Prophet Amos
  • 3 Darin weist er auf unseren Herrn hin, der die Lasten anderer getragen hat. Viel mehr als Amos wurde Er von seinem Volk abgelehnt. Erst viel später wird sein Volk erkennen, dass Er es war, der seine Leiden getragen, und seine Schmerzen auf sich geladen hat (Jes 53,4).
  • 4 Das Wort kommt sonst nur noch in 2. Könige 3,4 vor. Dort ist die Rede von Mesa, dem König von Moab, der ein sehr reicher Herdenbesitzer war und dem König von Israel Tribut zollte. Amos scheint auch durchaus eine gute Bildung gehabt zu haben, denn er zeichnet sich durch einen exzellenten Schreibstil aus, der höchsten Ansprüchen gerecht wird. Das zeigt, dass er nicht hinter den größten Propheten zurücksteht.
  • 5 W. Kelly: Lectures Introductory: The Prophet Amos
  • 6 Archäologen haben an mehreren Orten in Israel und Jordanien Zerstörungsschichten gefunden, die nicht auf einen Krieg hinweisen. Sie werden genau in die Mitte des 8. Jahrhunderts v.  Chr. datiert. Die Zerstörungen betreffen Stadtmauern, Gebäude und Töpferwaren, was auf ein massives Erdbeben schließen lässt. Man schätzt, dass das Beben eine Stärke von ca. 8 auf der Richterskala gehabt hat. Das macht dieses Erdbeben zu einem der stärksten der Region im Altertum. Dieses Erdbeben können wir als Sinnbild für das kommende Gericht Gottes deuten. In Sacharja 14 ist das Erdbeben ein Bild für das Eingreifen Gottes am Ende der Zeiten.
  • 7 Es ist Jakobus, der anlässlich des Konzils in Jerusalem diesen Vers zitiert. Er leitet ihn mit den Worten ein: „Und hiermit stimmen die Worte der Propheten überein, wie geschrieben steht…“ (Apg 15,15). Jakobus sagt nicht, dass sich Amos’ Worte in der Zeit der Versammlung erfüllt hätten, sondern dass die Gegebenheiten in der Apostelgeschichte damit übereinstimmen. Die Prophezeiung selbst beschreibt eindeutig die noch zukünftige Zeit des 1000-jährigen Reiches auf der Erde. Diese Worte stimmen deshalb mit dem Handeln Gottes in der gegenwärtigen Zeit überein, weil Gott auch heute Menschen aus den Nationen, die glaubensvoll den Herrn suchen, segnet – sogar weit mehr als im kommenden Reich.
  • 8 Man vergleiche die Überschriften dieser beiden Propheten. „Worte des Amos“ (Amos 1,1) und „Worte Jeremias“ (Jer 1,1), die sich in dieser Form in keinem anderen der Prophetenbücher finden. Beide identifizieren sich derart mit der ihnen von Gott gegebenen Botschaft, dass diese Worte zu ihren eigenen Worten werden.
  • 9 Das gilt ausdrücklich nicht für Menschen, auf die einmal das ewige Gericht Gottes kommt und die im Feuersee landen werden. Dort ist keine Umkehr mehr möglich.