Freude im Herrn
Eine Auslegung zum Philipperbrief

Einleitung

Freude im Herrn

1. Empfänger, Verfasser und Entstehungszeit des Briefes

Der Name der Stadt Philippi geht zurück auf König Philipp II. von Mazedonien (359–336 v. Chr.), den Vater Alexanders des Großen und Gründer der Stadt. In neutestamentlicher Zeit war Philippi eine römische Kolonie und das Zentrum des östlichen Teiles von Mazedonien.

Der Apostel Paulus besuchte Philippi auf seiner zweiten Missonsreise (ca. 51–54 n. Chr.) zum ersten Mal (Apg 16,12-40). Durch seine Predigt kam zunächst die Purpurhändlerin Lydia mit ihrem Haus zum Glauben an den Herrn Jesus. Als Paulus dann einen dämonischen Wahrsagegeist von einer Magd austrieb, entstand ein Volksaufruhr; Paulus und sein Begleiter Silas wurden ausgepeitscht und ins Gefängnis gebracht. Auf wunderbare Weise kam auch der Leiter des Gefängnisses mit seinem ganzen Haus zum Glauben (Apg 16,16-34). So entstand die erste örtliche Versammlung auf europäischem Boden (es ist jedoch nicht auszuschließen, dass in Rom zu dieser Zeit bereits eine Versammlung existierte).

Nach kurzem Aufenthalt zog Paulus weiter. Er ließ jedoch Lukas in Philippi zurück (vgl. den „wir“-Abschnitt bis Apg 16,16 mit dem „sie“-Abschnitt ab Apg 16,40). Auf seiner dritten Missionsreise (ca. 54–58 n. Chr.) kam Paulus nochmals von Ephesus nach Mazedonien und wohl auch nach Philippi (Apg 20,1; 2. Kor 2,13). Er zog dann weiter nach Griechenland und machte auf der Rückreise Station in Philippi, wo Lukas sich der Reisegesellschaft wieder anschloss (Apg 20,6).

Kaum hatten sie Jerusalem erreicht, kam es zu einem Zusammenstoß mit Juden, die den Christen feindlich gesinnt waren. Paulus wurde gefangen genommen und verbrachte zwei Jahre in Cäsarea. Da er sich in einer Gerichtsverhandlung auf den Kaiser berief, wurde er als Gefangener nach Rom gesandt, wo er zwei weitere Jahre in „Untersuchungshaft“ gehalten wurde. Von dort wird er den Brief an die Philipper geschrieben haben.

Nach seiner erhofften Freilassung aus der römischen Gefangenschaft könnte er während seiner Reise nach Mazedonien (1. Tim 1,3) noch einmal in Philippi gewesen sein, bevor er einige Zeit später in die zweite Gefangenschaft geriet, die im 2. Timotheusbrief vorausgesetzt wird. Den Wunsch und die Hoffnung, die Philipper noch einmal wiederzusehen, drückt er in unserem Brief jedenfalls mehrere Male aus (Kap. 1,25.26; 2,24; 4,1).

Zwischen den Gläubigen in Philippi und Paulus bestand von Anfang an ein enges, liebevolles Verhältnis. Er erinnert in seinem Brief daran, dass er nach seinem Aufenthalt in Mazedonien nur von ihnen materielle Unterstützung empfangen hat (Kap. 4,15–16). Kurz vor der Abfassung des Briefes war Paulus wieder eine Gabe der Philipper übermittelt worden, und zwar durch Epaphroditus. Nachdem dieser inzwischen durch Gottes Hilfe eine schwere Krankheit überwunden hatte, wurde er von Paulus beauftragt, seinen Brief nach Philippi zu überbringen (Kap. 2,25–27; 4,18).

Die Tatsache, dass Paulus der Verfasser dieses Briefes ist, wurde nie ernstlich in Zweifel gezogen. Über den Abfassungsort sind in neuerer Zeit jedoch verschiedene Vermutungen (z. B. Ephesus oder Cäsarea) geäußert worden. Aber die traditionelle Auffassung, dass Paulus diesen Brief aus seiner Gefangenschaft in Rom geschrieben hat (wie auch die Briefe an die Epheser, die Kolosser und an Philemon), hat doch das größere Gewicht. Paulus spricht in diesem Brief vom „Prätorium“ (Kap. 1,13), das heißt wohl von der kaiserlichen Leibgarde, und von den Gläubigen „aus dem Haus des Kaisers“ (Kap. 4,22). Außerdem äußert er die Hoffnung, dass er bald seine Freiheit wiedererlangen würde (Kap. 1,25–26; 2,24). Der Brief wird daher gegen das Ende seiner (ersten) zweijährigen Gefangenschaft in Rom, um das Jahr 63, geschrieben worden sein. Schon Polykarp von Smyrna (ca. 70–155), Irenäus (ca. 140–202) und Clemens von Alexandrien (ca. 150–215) zitieren diesen Brief als paulinisch.

2. Thema und Zweck des Briefes

Der Brief an die Philipper ist einer der persönlichsten und wärmsten Briefe des Neuen Testaments. Er enthält keine ausführlichen lehrmäßigen Darlegungen über die christliche Wahrheit. Die kurzen, zu Herzen gehenden Abschnitte über die Erniedrigung und Erhöhung des Herrn Jesus (Kap. 2,5–11) und über die Verwandlung der Gläubigen beim Kommen des Herrn (Kap. 3,20–21) dienen nur der Verdeutlichung und Untermauerung des Gedankengangs. Gerade diese Abschnitte enthalten jedoch Mitteilungen, die wir sonst nirgends finden, und sind daher besonders wertvoll.

Dieser Brief ist auch ein ausgesprochen praktischer Brief, der uns zeigt, dass „die Lehre des Christus“ keine Theorie ist, sondern in allen Umständen des Lebens in der Kraft des Heiligen Geistes praktisch verwirklicht werden soll und kann. Aus der sicherlich nicht angenehmen Gefangenschaft in Rom schreibt Paulus einen Brief, in dem der Herr Jesus Christus den zentralen Platz einnimmt und in dem er mehr als in allen anderen Briefen von Freude spricht. Die Worte „Freude“ und „sich freuen“ kommen in jedem Kapitel vor, zum Teil sogar mehrmals:

Kapitel 1

  • Vers 4: „Gebet mit Freuden“
  • Vers 18: Freude über die Predigt des Evangeliums (2×)
  • Vers 25: Freude im Glauben

Kapitel 2

  • Vers 2: Freude des Paulus über die Philipper
  • Vers 17: Freude des Paulus und Freude mit den Philippern
  • Vers 18: Freude der Philipper und Freude mit Paulus
  • Vers 28: Freude der Philipper über Epaphroditus
  • Vers 29: Aufnahme mit Freude

Kapitel 3

  • Vers 1: Freude im Herrn

Kapitel 4

  • Vers 1: Die Philipper als Freude und Krone des Paulus
  • Vers 4: „Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch!“
  • Vers 10: Freude im Herrn über die Philipper

Der Grund der Freude des gefangenen Apostels lag jedoch nicht in diesseitigen, irdischen oder gar weltlichen Dingen. Seine Freude hatte ihren Ursprung in dem Herrn Jesus. Das machte den gefangenen Paulus glücklich und frei. Er brachte alles in seinem Leben, auch seine jetzige Gefangenschaft, in Verbindung mit seinem Herrn und nahm alles, was ihm begegnete, aus Seiner Hand an.

Deshalb kann der Brief an die Philipper ein Brief der Erfahrungen genannt werden. Diese Erfahrungen sind jedoch nicht die eines schwachen, in seinem Leben häufig versagenden Christen, wie es leider bei uns so oft der Fall ist. Nein, es sind die Erfahrungen eines im Glauben gereiften Christen, eines „Vaters in Christus“ (vgl. 1. Joh 2,13.14). Er ist in Christus, seinem Herrn, zur Ruhe gekommen und findet in Ihm allein seine vollkommene Freude. Die Namen des Herrn Jesus Christus werden fünfzigmal, das heißt verhältnismäßig häufiger als in den übrigen Briefen, erwähnt. Das Wort „Sünde“ kommt dagegen in diesem Brief überhaupt nicht vor.

Bei aller gegenwärtigen Freude im Herrn ist der Blick des Paulus nach vorn, in die Zukunft, gerichtet. Sein Lebensinhalt ist Christus und das Sterben ist daher für ihn Gewinn (Kap. 1,21). Er erinnert uns damit an das Volk Israel im Alten Testament, von dem wir am Ende des 4. Buches Mose und im 5. Buch lesen, dass es alle Schwierigkeiten und Erfahrungen der vierzigjährigen Wüstenwanderung hinter sich hatte, aber noch nicht im verheißenen Land Kanaan angekommen war. Nach der Begebenheit mit der ehernen (kupfernen) Schlange gelangte Israel in ein Land von „Wasserbächen“ (4. Mo 21,10-18; 5. Mo 10,7). Das Volk genoss damit – bildlich ausgedrückt – die „Freude des Heiligen Geistes“ in der Wüste. Am Anfang des 5. Buches Mose hält der Verfasser einen Rückblick auf die vergangene Zeit und lenkt den Blick des Volkes Israel dann auf das vor ihm liegende Land Kanaan, von dem es noch durch den Jordan getrennt war.

So freut sich auch Paulus im Philipperbrief in seinem Herrn und blickt zugleich auf das vor ihm liegende Ziel, während er sich noch auf der Erde, das heißt – bildlich betrachtet – in der Wüste befindet. Auch die Errettung wird hier daher als etwas Zukünftiges gesehen (Kap. 1,19; 3,20). – Im Unterschied hierzu werden die Gläubigen im Kolosserbrief so betrachtet, als seien sie bereits durch den Jordan gezogen und im Begriff, das verheißene Land, die geistlichen Segnungen, in Besitz zu nehmen (Kol 3,1-3). Der Jordan ist ein Bild des Todes und der Auferweckung Christi und unserer Einsmachung mit Ihm darin. Der Epheserbrief geht noch weiter: Dort sind die Gläubigen gleichsam im Land Kanaan angekommen. Sie werden nicht nur als mit Christus auferweckt gesehen, sondern als in Ihm mitsitzend in den himmlischen Örtern, das heißt im vollen Besitz und Genuss des ganzen geistlichen christlichen Segens (Eph 1,3; 2,6).

Im Philipperbrief ist der Kernvers des ersten Kapitels der Vers 21: „Das Leben ist für mich Christus“, das heißt, Christus ist Lebensinhalt und -zweck.

Der Hauptvers des zweiten Kapitels ist Vers 5: „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war“, das heißt, Christus in Seiner Erniedrigung als Mensch auf der Erde ist das Vorbild des christlichen Lebens.

Der wichtigste Abschnitt in Kapitel 3 umfasst die Verse 7–14, wo Christus in der himmlischen Herrlichkeit als das Ziel des Lebens vorgestellt wird.

Schließlich zeigt Kapitel 4,13: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“, dass Christus auch die Kraft und Stärke des Glaubenden ist.

Das einzig Negative in der Versammlung zu Philippi war eine gewisse Uneinigkeit. Paulus geht in liebevoller Weise in Kapitel 1,27; 2,2–4 und 4,2 darauf ein.

3. Inhaltsübersicht

  1. Philipper 1,1-11: Einleitung: Gruß, Dank und Bitte
    Gruß 1.2; die Freude des Paulus 3–8; sein Wunsch (V. 10: „damit ihr prüfen mögt, was das Vorzüglichere ist“) 9–11
  2. Philipper 1,12-26: Persönliche Umstände des Paulus (Christus, der Lebensinhalt)
    Seine Gefangenschaft fördert das Evangelium 12–14; Freude über die Verbreitung des Evangeliums, sei es „aus Streitsucht“, sei es „aus Liebe“ 15–20; „Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn“ 21–26
  3. Philipper 1,27 - 2,18: Aufruf zu Einigkeit und Treue (Christus, das Vorbild)
    „Wandelt nur würdig des Evangeliums des Christus“ 1,27–30; liebevolle Ermahnung zur Einmütigkeit und Demut 2,1–4; das Beispiel Christi (V. 5: „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war“) 5–8; die Erhöhung und Verherrlichung Christi 9–11; Ermahnung zum Gehorsam 12.13; Ermahnung zur Lauterkeit (V. 15: „ihr scheint wie Lichter in der Welt, darstellend das Wort des Lebens“) 14–16; himmlische Freude 17.18.
  4. Philipper 2,19-30: Timotheus und Epaphroditus
    Die beabsichtigte Sendung des Timotheus 19–24; die Sendung des von schwerer Krankheit genesenen Epaphroditus 25–30
  5. Philipper 3,1-21: Warnung und Beispiel (Christus, das Lebensziel)
    Christus oder Gesetz (V. 3: „Denn wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen“) 1–3; der Werdegang des Paulus: erst Gesetz 4–6, dann „die Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu“ 7.8; nicht Gesetzes-Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit aus Gott 9; Christus gleichgestaltet werden 10.11; Christus das Ziel 12–14; Appell zu geistlichem Wachstum 15–17; Warnung vor „Feinden des Kreuzes Christi“ 18.19; himmlische Stellung und Hoffnung der Gläubigen (V. 20: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten“) 20.21
  6. Philipper 4,1-9: Aufruf zu Einigkeit und Abhängigkeit
    Feststehen 1; Evodia und Syntyche zur Einigkeit ermahnt 2–3; Freude im Herrn 4; Milde 5; das Gebet und seine Folge (V. 7: „der Friede Gottes“) 6.7; Erwägen und Tun (V. 9: „der Gott des Friedens“) 8.9
  7. Philipper 4,10-23: Freude und Dank (Christus, die Lebenskraft)
    Freude über die empfangene Gabe 10; Genügsamkeit von Paulus (V. 13: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“) 11–13; Lob für die Philipper 14-18; Lobpreis Gottes 19.20; Grüße und Segenswunsch 21–23
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