Ein Volk für seinen Namen (Apg. 18-20)

In Korinth

Ein Volk für seinen Namen (Apg. 18-20)

Im Verlauf des siebzehnten Kapitels der Apostelgeschichte war uns die Fortsetzung der zweiten Missionsreise mit den Stationen Thessalonich, Beröa und Athen geschildert worden. Der erste Vers des achtzehnten Kapitels nun verlegt den Schauplatz der Tätigkeit des Apostels Paulus von Athen nach Korinth.

„Danach schied er von Athen und kam nach Korinth“ (Apg 18,1).

Paulus nahm aus eigenem Antrieb Abschied von Athen, niemand trieb ihn fort. Offenbar sah er seine Aufgabe dort als beendet an, und so lenkte er seine Schritte nach Korinth, der nahe gelegenen Hauptstadt von Achaja. Nördlich davon lag eine weitere römische Provinz – Mazedonien, mit Thessalonich als Hauptstadt.

Was für ein Gegensatz lag zwischen den beiden Wirkungsstätten des Apostels – Athen und Korinth! Die eine Stadt war durch ihre Philosophen berühmt, die andere durch ihre sprichwörtliche Unzucht und Sittenlosigkeit berüchtigt. Von den Städten Griechenlands war Korinth die korrupteste. Zugleich war diese Stadt zur Zeit des Paulus eine reiche, luxuriöse Handelsstadt mit einer stark gemischten Bevölkerung. Da Korinth an der großen Handelsstraße zwischen Asien und Rom lag und Schiffe aus allen Gegenden in ihren beiden Häfen anlegten, konnte man in dieser Stadt die verschiedensten Sprachen und Dialekte vernehmen und Menschen aus allen möglichen Ländern antreffen.

Von Korinth aus schrieb der Apostel Paulus seine beiden Briefe an die Thessalonicher und den Brief an die Römer. Die große Anzahl lateinischer Namen am Ende des Römerbriefes unterstreicht, dass es sich bei Korinth um eine bedeutende römische Kolonie handelte. Eineinhalb Jahre hielt sich Paulus hier auf.

Paulus bei Aquila und Priszilla

„Und als er einen gewissen Juden fand, mit Namen Aquila, aus Pontus gebürtig, der kürzlich aus Italien gekommen war, und Priszilla, seine Frau (weil Klaudius befohlen hatte, dass alle Juden sich aus Rom entfernen sollten, ging er zu ihnen, und weil er gleichen Handwerks war, blieb er bei ihnen und arbeitete; denn sie waren Zeltmacher von Beruf“ (V. 2.3).

Hier begegnet uns das gottesfürchtige Ehepaar, Aquila und Priszilla, zum ersten Mal in der Schrift. Aquila selbst stammte aus Pontos, einer nördlich von Galatien gelegenen Küstenregion am Schwarzen Meer, lebte aber jetzt in Rom. Dem Gebot des Kaisers Klaudius folgend, dass alle Juden sich aus Rom entfernen sollten, sah auch er sich genötigt, Rom zu verlassen. Und so war er mit Priszilla, seiner Frau, aus Italien nach Korinth gekommen, wo Paulus auf sie traf.

Ehe wir uns mit dem weiteren Hergang der Ereignisse befassen, wollen wir eben einmal die „Spur“ dieses Ehepaares verfolgen, wie sie uns in der Heiligen Schrift hinterlassen ist. In Korinth boten sie dem Apostel und seinen Mitarbeitern für die ganze Zeit ihres Weilens dort Heim und Unterkunft. Als Paulus nach der Beendigung seiner Arbeit Korinth verließ und nach Ephesus zog, gingen auch Priszilla und Aquila mit ihm dorthin (Kap. 18, 18.19). Dort trafen sie später auch Apollos und konnten ihm in geistlichen Dingen behilflich sein (V. 24–26). Weiterhin entnehmen wir dem ersten Brief an die Korinther, dass sie sich zur Zeit der Abfassung dieses Briefes noch in Ephesus aufhielten und dass die dortige Versammlung „in ihrem Haus“ zusammenkam (Kap. 16,8.19). Dann aber waren sie offenbar zurück nach Rom gegangen, und auch dort finden wir die Versammlung „in ihrem Haus“ (Röm 16,3–5). An dieser Stelle bemerkt Paulus zudem, dass die beiden für sein Leben „ihren eigenen Hals preisgegeben“ hätten. In seinem letzten Brief lässt der greise Apostel noch einmal Priska (Kurzform von Priszilla) und Aquila durch Timotheus grüßen (2. Tim 4,19). Sie weilten, wie Timotheus, zu jener Zeit wieder in Ephesus (1. Tim 1,3).

Die in Korinth begonnene Freundschaft des Apostels mit diesem edlen Ehepaar währte bis zu seinem Tod. Wunderbare Beziehungen waren entstanden, die allein die Gnade Gottes zu knüpfen vermag. Und was für gesegnete Fußspuren haben diese beiden „Mitarbeiter in Christus Jesus“ (Röm 16,3) in den einzelnen Stationen ihres Pilgerlaufs hinterlassen – in Korinth, in Ephesus, in Rom, und noch einmal in Ephesus! Wenn bei ihrer gemeinsamen Erwähnung zumeist Priszilla an erster Stelle genannt wird, so ist dies sicher als Hinweis auf die hohe geistliche Wertschätzung zu verstehen, deren sie sich erfreute.

Die Frage, ob Aquila und Priszilla erst durch den Kontakt mit dem Apostel Paulus zum Glauben kamen oder ob sie schon vorher in Rom das Heil fanden, ist nicht mit letzter Sicherheit zu klären. Manches spricht indes dafür, dass sie bereits in Rom das Evangelium gehört und es im Glauben ergriffen haben. Denn trotz des innigen Verhältnisses, das sich zwischen ihnen und Paulus entspann, spricht er nie von ihnen als von seinen Kindern im Glauben. Wären sie wirklich als Folge ihrer Bekanntschaft mit Paulus zum Glauben gekommen, so würden wir unbedingt jetzt und an dieser Stelle einen entsprechenden Hinweis des Chronisten erwartet haben.

Der Umstand, dass Aquila nicht als Jünger, sondern als „ein gewisser Jude“ beschrieben wird, stellt keine Schwierigkeit dar. Denn zum einen wurden in jener frühen Zeit die Judenchristen allgemein nicht von den „normalen“ Juden unterschieden, so dass erstere dasselbe Los traf wie letztere. Und dann wird zum anderen eben auch auf die Herkunft dieses bestimmten Juden verwiesen: „Aquila, aus Pontus gebürtig.“ Wir finden etwas Ähnliches später bei Paulus. Er bezeichnet sich ebenfalls ein- und zweimal als „einen jüdischen Mann“, und dann gibt auch er seine Herkunft an: „… aus Tarsus in Zilizien“ (Kap. 21,39; 22,3). So war also Aquila der Abkunft nach ein Jude, aus Pontos gebürtig.

„Geben ist seliger als Nehmen“

Dass Paulus gleichen Handwerks war wie seine Gastgeber, nämlich Zeltmacher, erfahren wir hier zum ersten Mal; ebenso, dass er tatsächlich in seinem Beruf arbeitete. Denn es heißt: „Er blieb bei ihnen und arbeitete“. Die Imperfekt-Formen dieses Satzes (bei ›er blieb‹ und ›er arbeitete‹) weisen auf einen andauernden Zustand hin. Was für ein Bild entrollt sich hier unseren Blicken! Paulus“der große Apostel der Nationen, kommt mit seiner Hände Arbeit selbst für seinen Lebensunterhalt auf, ja, auch für seine Mitarbeiter! Werden wir dadurch nicht an die Gesinnung Dessen erinnert, der nicht gekommen war, um bedient zu werden, sondern um zu dienen? Freilich konnte nur der Herr Sein Leben geben als Lösegeld für viele.

Wenn wir nach den Beweggründen für solch ein aufopferndes Verhalten des Apostels fragen, gehen wir am besten auf die Tage in Thessalonich zurück. Als Paulus bei den Gläubigen dort weilte, war er in ihrer Mitte „zart“ gewesen. „Denn“, so schreibt er ihnen etwas später, „ihr erinnert euch, Brüder, an unsere Mühe und Beschwerde: Nacht und Tag arbeitend, um niemand von euch beschwerlich zu fallen, haben wir euch das Evangelium Gottes gepredigt“ (1. Thes 2,9). Auch in seinem zweiten Brief an sie kommt er noch einmal auf die Mühe und Beschwerde zurück, die sie in ihrer Mitte verwandt hatten, „um nicht jemand von euch beschwerlich zu fallen“. Und er fügt hinzu: „Nicht, dass wir nicht das Recht dazu haben, sondern damit wir uns selbst euch zum Vorbild gäben, damit ihr uns nachahmt“ (2. Thes 3,8.9). Nein, sie hatten von niemand „Brot umsonst gegessen“, obwohl sie das Recht dazu hatten.

Ein sehr ähnliches Bild bietet sich uns in Korinth. Wenn er hier als Zeltmacher arbeitete, so tat er es, um das Evangelium für seine Zuhörer „kostenfrei“ zu machen (1. Kor 9,18). Zwar betont er auch den Korinthern gegenüber, dass der Herr für die, die das Evangelium verkündigen, angeordnet hat, „vom Evangelium zu leben“. Er aber hat von seinem „Recht am Evangelium“ keinen Gebrauch gemacht (V. 14.18). Wie rührend seine Worte: „Wir ertragen alles, um dem Evangelium des Christus kein Hindernis zu bereiten“ (V. 12)! Auch in seinem zweiten Brief kommt er noch einmal auf sein Verhalten zu sprechen. „Oder“, fragt er sie, „habe ich eine Sünde begangen …, weil ich euch das Evangelium Gottes umsonst verkündigt habe? Andere Versammlungen habe ich beraubt, indem ich Lohn empfing zu eurer Bedienung. Und als ich bei euch anwesend war und Mangel hatte, fiel ich niemand zur Last (denn meinen Mangel erstatteten die Brüder, die von Mazedonien kamen), und ich hielt mich in allem euch unbeschwerlich und werde mich so halten“ (2. Kor 11,7–9). Dass er dabei auch seine Gegner im Auge hatte, um ihnen jede Gelegenheit zum Bösen abzuschneiden, macht Vers 12 deutlich.

Eine Krönung seines edlen Verhaltens stellen seine Abschiedsworte an die Ältesten von Ephesus in Milet dar, wenn er sie daran erinnert: „Ich habe niemandes Silber oder Gold oder Kleidung begehrt. Ihr selbst wisst, dass meinen Bedürfnissen und denen, die bei mir waren, diese Hände gedient haben. Ich habe euch in allem gezeigt, dass man, so arbeitend, sich der Schwachen annehmen und der Worte des Herrn gedenken müsse, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als Nehmen“ (Apg 20,33–35).

Was für eine zu Herzen gehende „Predigt“ für uns alle bietet dieser Abschnitt über das Nehmen und Geben!

„In vielem Zittern“

„Er unterredete sich aber in der Synagoge an jedem Sabbat und überzeugte Juden und Griechen. Als aber sowohl Silas als auch Timotheus aus Mazedonien herabkamen, wurde Paulus hinsichtlich des Wortes gedrängt und bezeugte den Juden, dass Jesus der Christus sei. Als sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er seine Kleider aus und sprach zu ihnen: Euer Blut komme auf euren Kopf! Ich bin rein; von jetzt an werde ich zu den Nationen gehen“ (Apg 18,4–6).

Wie in Athen so hatte der Apostel auch in Korinth sein Werk allein zu beginnen. Er blieb auch ohne Silas und Timotheus nicht untätig, sondern begann damit, sich an jedem Sabbat in der Synagoge zu unterreden und Juden und Griechen zu überzeugen. Diese Vorgehensweise entsprach nicht nur „seiner Gewohnheit“ (Kap. 17,2), sondern auch dem Wort: „… dem Juden zuerst als auch dem Griechen“ (Röm 1,16). Zweifellos wird ihm für die mancherlei Unterredungen das Alten Testament als Grundlage gedient haben. Doch hat Paulus seine Zuhörer wirklich „überzeugen“ können? Nun, bei ›er überzeugte‹ steht im Grundtext eine Verbform, die man „konatives Imperfekt“ nennt. Sie drückt den Versuch einer Handlung aus: „Er versuchte zu überzeugen.“ Das klärt den Sachverhalt. Und was die „Griechen“ angeht, so handelte es sicherlich um Proselyten, die, wie so oft, auch hier in der Synagoge zugegen waren.

Als dann sowohl Silas als auch Timotheus aus Mazedonien herabkamen – nicht unbedingt zu genau derselben Zeit und von demselben Ort her –, wurde Paulus hinsichtlich des Wortes gedrängt, den Juden zu bezeugen, dass Jesus der Christus ist. Offenbar begann er jetzt, seine ganze Zeit dem Wort zu widmen. Die Juden, seine „Brüder“ dem Fleisch nach (Röm 9,3), lagen ihm besonders am Herzen, und die große Frage war, ob sie Jesus als den Christus, den Messias, annehmen würden.

Die Ankunft seiner beiden Mitarbeiter muss den Apostel geradezu beflügelt haben. Er scheint zutiefst empfunden zu haben, dass in Korinth zu arbeiten keine leichte Sache war. Manche meinen ja, dass der Apostel über jede Furcht und Schwierigkeit erhaben gewesen war, dass er gleichsam über allen Umständen „schwebte“, weil er mit göttlicher Autorität bekleidet war. Gewiss, im Glauben vertraute er auf seinen Herrn und wusste, dass Er bei ihm und mit ihm sein würde. Nichtsdestoweniger fühlte er die ganze Not, angesichts der Macht Satans das helle Licht der Offenbarung Gottes in die tiefe Finsternis zu bringen, in der der Fürst der Welt die Menschen gefangen hält. Und so hatte er im Bewusstsein seiner Unzulänglichkeit die Arbeit in dieser Hochburg Satans begonnen – „in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern“. Seine Rede und seine Predigt war nicht in überredenden Worten der Weisheit gewesen, „sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit eurer Glaube nicht beruhe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft“ (1. Kor 2,3–5). Doch nach dem abfälligen Urteil so mancher in Korinth war nicht allein seine leibliche Gegenwart „schwach“, sondern auch seine Rede „verächtlich“ (2. Kor 10,10).

Das alles war geeignet, den Apostel niederzudrücken, und er mochte gerade jetzt Ermutigung nötig haben. Die gewährte ihm die Gnade Gottes denn auch – durch die Ankunft von Silas und Timotheus. Er hatte bisher treu dem Herrn gedient ohne sie. Dennoch stellte die Gegenwart und Mithilfe dieser hingebungsvollen Arbeiter eine nicht zu unterschätzende Ermunterung für Paulus dar. Zudem konnte ihm Timotheus gute Nachrichten von den Gläubigen in Thessalonich überbringen, so dass der Apostel im Blick auf sie getröstet und beglückt sagen kann: „Denn jetzt leben wir, wenn ihr feststeht im Herrn“ (1. Thes 3,7.8).

Vieles spricht dafür, dass der erste Brief an die Thessalonicher unmittelbar nach der Ankunft der beiden Missionare geschrieben worden ist. Im Segensgruß zu Beginn des Briefes verbindet Paulus sowohl Silvanus (Silas) als auch Timotheus mit sich. Und wenn es um die Verkündigung des Sohnes Gottes unter den Korinthern ging, so schließt der Apostel auch dabei die beiden mit ein; denn das Predigen geschah, sagt er, „durch mich und Silvanus und Timotheus“ (2. Kor 1,19).

Die verstärkten Bemühungen, den Juden zu bezeugen, dass Jesus der Christus ist, riefen indes den erbitterten Widerstand der Juden hervor. Nicht nur verwarfen sie das Wort, sondern sie ließen sich auch dazu hinreißen, zu lästern. Daraufhin schüttelte Paulus seine Kleider aus. Die symbolische Bedeutung dieser Handlung hat uns schon beschäftigt, als wir sahen, wie er und Barnabas in Antiochien (Pisidien) „den Staub von ihren Füßen gegen sie [die Juden] abschüttelten“ (Apg 13,51). Der Staub ihrer Füße oder Kleider blieb gleichsam als Zeugnis davon zurück, dass sie die gute Botschaft gehört und – verworfen hatten. Das Ausschütteln der Kleider bedeutet dasselbe wie das Abschütteln des Staubes von den Füßen. Der Unterschied liegt nur darin, dass das eine innerhalb des Hauses und das andere draußen auf der Straße vollzogen wurde.

Und was für ernste Worte begleiteten die symbolische Handlung! „Euer Blut komme auf euren Kopf! Ich bin rein; von jetzt an werde ich zu den Nationen gehen.“ Er hatte seiner Verantwortung ihnen gegenüber voll entsprochen, hatte nichts unversucht gelassen, um sie zur Errettung zu führen. Aber sie hatten nicht gewollt. So würde sie das Gericht Gottes verdientermaßen treffen. Sie brachten es selbst „auf ihren Kopf“. – Er aber, Sein Sendbote, würde das wiederholen, was er und Barnabas in Antiochien in Pisidien getan hatten (Kap. 13,46): Er würde zu den Nationen gehen. Damit war der große Wendepunkt in Korinth erreicht.

„Ein großes Volk in dieser Stadt“

„Und er ging von dort weg und kam in das Haus eines gewissen Mannes, mit Namen Justus, der Gott anbetete, dessen Haus an die Synagoge stieß“ (Apg 18,7).

Paulus verließ nun die Synagoge und kam in ein Haus, das direkt neben der Synagoge lag. Es gehörte Justus, einem Proselyten; denn es heißt von ihm, dass er „Gott anbetete“. Dieser Mann hatte sein Herz dem Evangelium geöffnet, so dass er Paulus sein offenbar geräumiges Haus anbot, damit dieser dort die Arbeit unter den Korinthern fortführen könnte.

In zweierlei Hinsicht war dies von Vorteil. Einerseits war Justus selbst ein Heide, und so war die Hemmschwelle für andere Menschen aus den Nationen, seiner Einladung zu folgen und in sein Haus zu kommen, gering. Andererseits bot die räumliche Nähe zur Synagoge – trotz des ernsten Schrittes des Apostels – verlangenden Juden und Proselyten auch weiterhin die Gelegenheit, unter das Wort Gottes zu kommen.

So wachte der treue Herr über Sein Evangelium und über Seine Diener. Sein reicher Segen blieb nicht aus, wie uns der weitere Fortgang des Werkes in Korinth zeigt.

„Krispus aber, der Synagogenvorsteher, glaubte an den Herrn mit seinem ganzen Haus; und viele der Korinther, die hörten, glaubten und wurden getauft“ (V. 8).

Welch ein Triumph der Gnade Gottes: Selbst der Synagogenvorsteher, Krispus, kam zum Glauben an den Herrn! Und nicht allein das, seine ganze Familie folgte ihm darin: Er „glaubte an den [wörtlich: dem] Herrn mit seinem ganzen Haus“. Unwillkürlich werden wir hier an Lydia und „ihr Haus“ (Kap. 16,15) erinnert und an den Kerkermeister und „alle die Seinen“ (Kap. 16,33.34). Auch bei Krispus kam der Segen nicht nur auf ihn selbst, sondern gleichermaßen auf sein ganzes Haus.

Wenn anschließend von den vielen zum Glauben gekommenen Korinthern gesprochen wird, so wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie auch getauft wurden. Bei Krispus und seinem Haus indes fehlt dieser Hinweis. Was Letzteren angeht, so wissen wir, dass der Apostel Paulus selbst ihn mit einigen wenigen anderen in Korinth getauft hat (1. Kor 1,14–16). Und er war im Nachhinein angesichts der Spaltungen dort froh und dankbar, dass Gott ihn so geleitet hatte, „damit nicht jemand sage, dass ihr auf meinen Namen getauft worden seid.“ Dass sich auch das Haus des Synagogenvorstehers der Taufe unterzogen und das Zeichen der Jüngerschaft angenommen hat, wird nicht extra erwähnt; doch können wir davon ausgehen, dass es so war. Sicherlich aber war in diesem Fall nicht Paulus das vom Herrn benutzte Werkzeug.

Unter dem Segen des Herrn machte Sein Werk in Korinth bemerkenswerte Fortschritte, denn viele der Korinther „hörten“, „glaubten“ und „wurden getauft“. Das ist stets die göttliche Reihenfolge, wenn es um die Verkündigung und Annahme der guten Botschaft geht (vgl. Mk 16,15.16). Interessant sind die beiden Imperfekt-Formen bei ›glaubten‹ und ›wurden getauft‹. Sie deuten eine Wiederholung des Vorgangs an: Das Glauben und die Taufe der vielen Menschen geschah über einen längeren Zeitraum, nach und nach, wie es die Umstände erforderten und wie die Einzelnen zum Glauben kamen. Es war ein beständiger Zufluss neuer Freunde, die sicher ganz überwiegend aus den Griechen kamen. Auf diese Weise also entstand die „Versammlung Gottes, die in Korinth ist“ (1. Kor 1,2).

Obwohl das Werk überaus gesegnet voranging, hielt es der Herr, der Herzenskenner, für notwendig, seinem treuen Knecht Paulus eine besondere Ermutigung zukommen zu lassen – eine Stärkung, die über das hinausging, was er durch seine beiden Mitarbeiter erfahren konnte.

„Der Herr aber sprach durch ein Gesicht in der Nacht zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede, und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen, um dir etwas Böses zu tun, denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt. Er hielt sich aber ein Jahr und sechs Monate dort auf und lehrte unter ihnen das Wort Gottes“ (Apg 18,9–11).

Der Apostel Paulus genoss wiederholt das Vorrecht, in der Ausführung des Werkes des Herrn direkt durch ein Gesicht geleitet zu werden (vgl. Kap. 16,9; 22,18; 27,23). Hier war es wieder so.

Die ersten Worte des Herrn an Paulus („Fürchte dich nicht, sondern rede, und schweige nicht!“) bestehen, grammatisch gesehen, aus zwei Imperativen (Befehlsformen), die im Präsens stehen; bei ›schweige nicht‹ haben wir dann noch eine Aorist-Form. An sich sind die drei Anweisungen des Herrn an Paulus ohne weiteres verständlich. Doch durch die verschiedenen Verbformen werden im Griechischen Feinheiten ausgedrückt, die im Deutschen verloren gehen. Wir können sie wie folgt darstellen:

  1. Paulus hat sich bereits gefürchtet hat. Doch er sollte sich nicht länger fürchten.
  2. Er sollte vielmehr mit dem Reden fortfahren und
  3. grundsätzlich, ein für alle Mal nicht in Schweigen verfallen.

Das ist es also, was der Herr als Erstes Seinem Knecht zur Ermunterung sagte – diese drei Punkte. Doch wir mögen uns fragen, warum das Herz des Apostels von Furcht erfüllt war. Nun, er mochte denken, dass es jetzt, da die Versammlung in Korinth gegründet worden war, an der Zeit war, ein anderes Betätigungsfeld aufzusuchen, bevor die feindseligen Juden wieder gegen ihn persönlich vorgehen würden. Die Begründung des Herrn für seine Weisung an Paulus weist denn auch in diese Richtung: „Denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen, um dir etwas Böses zu tun.“ Müssen diese Worte nicht wie Balsam für das beunruhigte Herz des Dieners gewesen sein? Nach dem Willen des Herrn sollte er noch in Korinth verweilen, sollte trotz möglicher Anfeindungen weiterhin reden und sich nicht zum Schweigen verleiten lassen. „Denn ich bin mit dir.“ Das war genug.

Aber dann nennt der Herr noch einen zweiten Grund dafür, dass Paulus das Werk in Korinth fortsetzen sollte: „Denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.“ In Seiner vollkommenen Voraussicht wusste Er, dass noch viele von den Korinthern kommen und das Heil in Christus annehmen würden. Der gute Hirte kannte die Schafe, die der Vater Ihm auch in dieser Stadt gegeben hatte. Und so hielt Er die Tür geöffnet, die niemand zu schließen vermochte, selbst die ärgsten Feinde nicht.

Auch in unserer Zeit hat der Herr die Schlüssel in Seiner Hand. Er hat nicht aufgehört, Seine Knechte, die Ihm in Treue zu dienen begehren, zu leiten und ihnen für ihren Dienst eine geöffnete Tür zu geben – „… der da öffnet, und niemand wird schließen“ (Of 3,7). Wenn wir Ihm zu dienen wünschen, wird Er zu unserem Herzen reden, wird unsere Umstände günstig gestalten und uns einen geebneten Weg schenken.

Der Apostel muss durch das Gesicht aufs Äußerste getröstet worden sein, denn er blieb ganze achtzehn Monate in Korinth – länger als in jeder Stadt bisher – und lehrte unter ihnen trotz aller Widerstände das Wort Gottes.

Paulus und Gallion

Auf eine der feindseligen Aktionen gegen Paulus kommt der Chronist nun zu sprechen – nicht ohne zu zeigen, wie der gute Herr und Meister Sein Verheißungswort auch in diesem Fall wahrmachte: „Niemand soll dich angreifen, um dir etwas Böses zu tun.“

„Als aber Gallion Prokonsul von Achaja war, traten die Juden einmütig gegen Paulus auf und führten ihn vor den Richterstuhl und sagten: Dieser überredet die Menschen, Gott anzubeten, dem Gesetz zuwider. Als aber Paulus den Mund öffnen wollte, sagte Gallion zu den Juden: Wenn es irgendein Unrecht oder eine böse Handlung wäre, o Juden, so hätte ich euch billigerweise ertragen; wenn es aber Streitfragen sind über Worte und Namen und das Gesetz, das ihr habt, so seht ihr selbst zu; über diese Dinge will ich nicht Richter sein. Und er trieb sie von dem Richterstuhl weg. Alle aber ergriffen Sosthenes, den Synagogenvorsteher, und schlugen ihn vor dem Richterstuhl; und Gallion kümmerte sich nicht um dies alles“ (Apg 18,12–17).

Gallion war erst kürzlich zum Prokonsul von Achaja ernannt worden. Er war ein äußerst liebenswürdiger Mann. Seneca, Bruder des Genannten und berühmter Philosoph der Stoiker, spricht von ihm als „jemand, den man nicht genug lieben kann“. Beides – seine kurze Amtsführung und sein liebenswürdiger Charakter – scheint ein Erfolg versprechender Anlass für die Juden gewesen zu sein, es bei ihm mit einem Anschlag gegen Paulus zu versuchen. Bei ihm hofften sie, ein offenes Ohr zu finden.

Einmütig traten sie gegen Paulus auf und führten ihn vor den Richterstuhl. Die Anklage, die sie vorbrachten, war indes betrügerisch. Sie versuchten, den Eindruck zu erwecken, der Angeklagte hätte etwas gegen das römische Gesetz getan: „… dem Gesetz zuwider“. In Wahrheit war es ihr eigenes Gesetz, das sie verletzt sahen. Gallion durchschaute den Betrug augenblicklich. Wenn es schließlich um ihr Gesetz ging, so hatte er dazu nichts zu sagen. Jüdische Fragen über ihr Gesetz lagen außerhalb des Bereichs seiner richterlichen Befugnisse. Wäre es um irgendein Unrecht oder eine kriminelle Handlung gegangen, so würde er auf sie gehört haben. Aber ihr Gesetz betreffende Fragen oder Dispute über Wörter und Namen – darüber zu Gericht zu sitzen war nicht seine Aufgabe vonseiten des Imperators. Und so trieb er sie von dem Richterstuhl hinweg. Der Fall war geklärt, der Anschlag gescheitert.

Paulus brauchte sich nicht vor dem römischen Richter zu verantworten. Ehe er als Angeklagter etwas auf die Vorwürfe erwidern konnte, schnitt ihm Gallion das Wort ab. In seinem Herzen war kein Raum für Gott und göttliche Dinge. So beklagenswert die sorglose Bequemlichkeit dieses Mannes auch war, der Herr benutzte sie dazu, Seinen Diener in Freiheit zu setzen. Ja, „Weg hat Er allerwegen, an Mitteln fehlt's Ihm nicht.“

Die Szene vor dem Richterstuhl endete damit, dass alle Sosthenes, den Synagogenvorsteher, ergriffen und ihn schlugen. Warum sie das taten und wer mit „alle“ gemeint ist, ist nicht eindeutig zu beantworten. Der Umstand jedoch, dass Gallion sich für das alles überhaupt nicht interessierte, legt den Schluss nahe, dass es sich nach wie vor um Juden handelte, die eine „Rechnung“ mit ihrem Synagogenvorsteher zu begleichen hatten.

Im Grußwort des ersten Korintherbriefes verbindet der Apostel einen gewissen Sosthenes mit sich und stellt ihn als „Bruder“ vor: „… und Sosthenes, der Bruder“ (Kap. 1,1). Wenn es sich dabei um dieselbe Persönlichkeit handeln sollte wie hier, so könnte der Hass der Juden gegen diesen Mann damit erklärt werden, dass er, als Synagogenvorsteher auf Krispus folgend, bereits auch dem Christentum zugeneigt war. Oder es kann sein, dass er sich weigerte, der von anderen betriebenen Verfolgung des Paulus zuzustimmen. Wenn es so oder so ähnlich gewesen sein sollte, dann wäre Sosthenes ein weiterer lieblicher Beweis dafür, was die Gnade Gottes aus einem Menschen zu machen vermag.

Abschied von Korinth, Ende der Reise

„Nachdem aber Paulus noch viele Tage dageblieben war, nahm er Abschied von den Brüdern und segelte nach Syrien ab, und mit ihm Priszilla und Aquila, nachdem er in Kenchreä das Haupt geschoren hatte, denn er hatte ein Gelübde. Sie kamen aber nach Ephesus, und er ließ jene dort; er selbst aber ging in die Synagoge und unterredete sich mit den Juden. Als sie ihn aber baten, längere Zeit zu bleiben, willigte er nicht ein, sondern nahm Abschied von ihnen und sagte: Ich muss durchaus das zukünftige Fest in Jerusalem halten; ich werde, wenn Gott will, wieder zu euch zurückkehren. Und er fuhr von Ephesus ab. Und als er in Cäsarea angelangt war, ging er hinauf und begrüßte die Versammlung und zog hinab nach Antiochien“ (Apg 18,18–22).

Die zweite Missionsreise neigte sich nun rasch ihrem Ende zu. Der Apostel hatte es jedoch nicht eilig, Korinth zu verlassen. Jetzt, da der Anschlag der Juden fehlgeschlagen war, trieb ihn niemand und nichts davon. Überhaupt hören wir nichts mehr von irgendwelchen Verfolgungen in Korinth. Ein großes Werk Gottes war in dieser Stadt geschehen. Die beiden Briefe an die Korinther bezeugen dies. Doch sie belegen auch, dass der weitere Verlauf ihrer geistlichen Geschichte nicht nur ein guter war. Ihre zum Teil fleischliche Gesinnung ist bis heute ein warnendes Beispiel dafür, wohin der Einfluss der Welt die Versammlung Gottes führen kann.

Nach nochmals „vielen Tagen“ seines Weilens in Korinth nahm er schließlich von den Brüdern dort Abschied, um nach Syrien zu segeln. Wenn Syrien als das allgemeine Endziel seiner Reise genannt wird, so ist damit im Besonderen Antiochien in Syrien gemeint (V. 22) – jener Ort, von dem aus er die Reise begonnen hatte. Allerdings unternahm er die Rückreise nicht in einem Zug, sondern machte zuvor noch in Ephesus halt. Bis dahin nahm er auch Priszilla und Aquila mit, dieses fromme und stille Ehepaar, das dem Apostel eine so große Ermunterung gewesen war.

Vorher hatte er noch in Kenchreä, einem der beiden Häfen Korinths, das Haupt geschoren, weil er ein Gelübde hatte. Es mag uns überraschen, dass der große Apostel der Nationen sich noch in solcher Weise jüdischen Gebräuchen verpflichtet sah und seinen alten religiösen Gewohnheiten Raum gab. Aber er war eben ein wahrer Jude und handelte auch so. Wir werden auf denselben Zug treffen, wenn wir zu Vers 21 kommen und dort erfahren, dass sich sein Herz genötigt sah, das „zukünftige Fest in Jerusalem“ (wahrscheinlich das „Fest der Wochen“) zu „halten“, zu begehen. Der Heilige Geist erwähnt diese Umstände, um uns deutlich zu machen, dass noch starke religiöse Bande das Herz des Apostels mit dem jüdischen System verbanden. Doch können wir sicher sein, dass es die tiefe Liebe für seine Brüder dem Fleisch nach war, die ihn solch einen Kurs einschlagen ließ. Der Einfluss dieser Bande warf dann allerdings auch Schatten auf das Ende seiner öffentlichen Laufbahn.

Als Ephesus erreicht war, trennten sich die Wege von Paulus und dem Ehepaar für einige Zeit. Paulus ließ Priszilla und Aquila dort, während er selbst – wie gewohnt – in die Synagoge ging und sich mit den Juden unterredete. Die Aufnahme der Botschaft war überaus freundlich, so dass sie ihn sogar baten, längere Zeit zu bleiben. Aber Paulus war durchaus nicht willens, dem Begehren jetzt stattzugeben, weil er das zukünftige Fest in Jerusalem halten wollte. Eine seltsame Unruhe scheint sich seiner bemächtigt zu haben. Er hatte es eilig, nach Jerusalem zu kommen. Und so nahm er von ihnen Abschied, jedoch nicht ohne ihnen in Aussicht gestellt zu haben, wieder zu ihnen zurückzukehren – „wenn Gott will“. Diese Hinzufügung, die wir ähnlich auch an anderer Stelle finden (1. Kor 4,19; 16,7; Jak 4,15), war gewiss nicht eine bloße Floskel im Mund des Apostels. Sie sollte es auch bei uns nicht sein; wissen wir doch, dass all unser Kommen und Gehen, all unser Tun und Lassen dem Willen Gottes unterworfen ist. Das zu erkennen und zu verwirklichen erfüllt das Herz mit tiefem Frieden.

Nach der Landung im Hafen von Cäsarea, ging Paulus noch kurz nach Jerusalem hinauf, um die Versammlung dort zu begrüßen. Daraufhin zog er nach Antiochien hinab, dem Ausgangspunkt seiner Reise.

Damit war die zweite Missionsreise des Apostels Paulus zu ihrem Ende gekommen. Sie war insofern von besonderer Bedeutung, als während ihres Verlaufs das Evangelium Gottes zum ersten Mal nach Europa gelangte.

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