Einführung in den Jakobusbrief

Einführung in den Jakobusbrief

1. Einleitung

Der Jakobusbrief ist ohne Frage besonders. Erstens richtet er sich als einziger Brief weder an eine örtliche Versammlung noch an eine Gruppe von Gläubigen oder eine Einzelperson, sondern an die zwölf Stämme Israels. Zweitens beschreibt er eine spezielle Übergangszeit, nämlich die vom Judentum zum Christentum. Drittens ist er vermutlich der erste Brief des Neuen Testamentes, der geschrieben worden ist.

Das Hauptthema des Briefes ist der Glaube, der sich im Alltag zeigt. Er spricht – ähnlich wie das Buch der Sprüche – viele praktische Themen des Lebens an. Jakobus bemüht sich als ein guter Seelsorger (Hirte) um seine Landsleute aus den zwölf Stämmen Israels.

Völlig zu Unrecht wird der Jakobusbrief oft wenig beachtet und vernachlässigt. Das mag mehrere Gründe haben. Zum einen enthält er wenig christliche Lehre. Wichtige Themen, wie z. B. die Versammlung und der Ratschluss Gottes, das Heil und unsere Stellung in Christus werden nicht behandelt. Zum anderen scheint Jakobus auf den ersten Blick der Lehre des Paulus über die Rechtfertigung aus Glauben zu widersprechen. Denn während Paulus sagt, dass niemand durch Werke gerechtfertigt wird, betont Jakobus gerade die Werke – allerdings als Folge und Beweis des Glaubens. Kaum ein Brief wurde erst so spät als Teil der Heiligen Schrift anerkannt wie gerade dieser Brief. Und selbst der Reformator M. Luther hatte seine Mühe damit und nannte ihn eine „stroherne Epistel“.1

J. Calvin hingegen spricht von einem „Sprudel vielfältiger Lehrunterweisung“ und schreibt: „Ich meinerseits finde jedoch keinen ausreichenden Grund, ihn abzulehnen, und nehme ihn voller Zustimmung auf.“2 W. Kelly schreibt: „Ich bin überzeugt, dass kein Mensch auf den Jakobusbrief verzichten kann außer zu seinem großen Nachteil.“3 Der Wert des Briefes liegt gerade darin, dass er die Lehre des Paulus ergänzt und zeigt, welche praktischen Folgen es hat, aus Glauben gerechtfertigt zu sein. Paulus beantwortet die Frage, wie ein Mensch vor Gott gerecht sein kann. Er zeigt, dass das Heil Gott nicht durch Werke erworben werden kann. Das Heil ist aus Glauben. Jakobus zeigt, wie sich der Glaube beweist. Echter Glaube hat echte Werke zur Folge. Jakobus geht es um unser Zeugnis vor den Menschen – als Beweis des Glaubens. Der Brief ist deshalb durch und durch praktisch. Der Finger wird immer wieder auf die Frage gelegt, ob der Glaube echt ist.

Mit Recht ist gesagt worden, dass es wahrscheinlich einfacher ist, die Lehre des Paulus im Römerbrief zu verstehen, als die Praxis des Jakobusbriefes auszuleben. Wir brauchen allerdings beides. Ohne die Lehre des Paulus können wir die Praxis des Jakobus nicht verwirklichen, und ohne die Praxis des Jakobus ist die Lehre des Paulus eine tote Orthodoxie.

2. Ein „katholischer“ Brief

Der Jakobusbrief zählt zu den sogenannten „katholischen“ (d. h. allgemeinen oder allumfassenden) Briefen. Die etwas seltsam anmutende Bezeichnung stammt von dem Kirchenvater Origenes (185–254 n.Chr.). Damit werden die sieben Briefen bezeichnet, die nicht von Paulus geschrieben wurden und einen allgemeineren Charakter haben. Es sind die Briefe des Jakobus, Petrus, Johannes und Judas.4

  • Jakobus schreibt an alle zwölf Stämme und wendet sich gegen den Verfall inmitten des Volkes Israel. Er warnt davor, Glauben nur vorzutäuschen.
  • Petrus schreibt an Juden, die zum Glauben gekommen waren, und ermutigt sie, in Leiden und Prüfungen standhaft zu bleiben, um sich im Glauben zu bewähren.
  • Johannes nennt in seinem ersten Brief keine besondere Zielgruppe. Er verurteilt die Vermischung des Glaubens mit gnostischer Philosophie.

Die griechische Kirche reiht diese allgemeinen Briefe i. d. R. zwischen die Apostelgeschichte und die Briefe von Paulus. Jakobus steht dabei an erster Stelle. Die lateinische Kirche hingegen folgt der uns bekannten Reihenfolge.

3. Verfasser und Authentizität

3.1. Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi

Jakobus (abgleitet von Jakob oder Jaakov) war unter den Juden ein beliebter Name, der sich auf den Stammvater Jakob zurückführen lässt. Es ist auszuschließen, dass der Verfasser des Briefes diesen Namen als Pseudonym benutzt. Er hieß tatsächlich Jakobus. Da er sich nicht weiter vorstellt und nur seinen Namen nennt, ist davon auszugehen, dass die Briefempfänger ihn gut kannten und keinen Zweifel hatten, wer ihnen diesen Brief schrieb.

Weil es in den neutestamentlichen Schriften mehrere Personen mit Namen Jakobus gibt, können wir den Verfasser nicht mit allerletzter Sicherheit bestimmen. Wenn wir jedoch erstens davon ausgehen, dass es sich nicht um einen uns unbekannten Jakobus handelt, und wir zweitens das Ausschlussverfahren anwenden, können wir mit sehr großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es sich bei Jakobus um den leiblichen (Halb)Bruder des Herrn handelt, von dem wir in den Evangelien, der Apostelgeschichte und den Briefen des Paulus einige Male lesen.

Weitere Personen mit Namen Jakobus sind:

  1. Jakobus, der Jünger Jesu, Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes (z. B. Mt 4,21). Er starb jedoch sehr früh (ca. 44 n.Chr.) den Märtyrertod (Apg 12,2), so dass er als Autor kaum infrage kommt.
  2. Jakobus, der Sohn des Alphäus. Von ihm wissen wir lediglich, dass er ebenfalls einer der zwölf Jünger war (Mt 10,3; Mk 3,18; Lk 6,15; Apg 1,13). Ansonsten wird von ihm nichts berichtet.
  3. Jakobus, der Bruder oder Vater des Judas (Lk 6,15; Apg 1,13). Über ihn ist weiter gar nichts bekannt.
  4. Jakobus, der Kleine (Mk 15,40). Von ihm ist ebenfalls weiter nichts bekannt, außer dass seine Mutter Maria hieß. Der Beiname macht jedoch klar, dass damit nicht der Bruder Jesu gemeint ist. Einige Autoren nehmen an, es könnte sich um den Sohn des Alphäus handeln, was jedoch nicht sicher ist.

Somit ist der Verfasser mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Jakobus, der (Halb)Bruder des Herrn Jesus. Er war unter den Briefempfängern gut bekannt und verfügte über eine hohe moralische Autorität. In seiner Einleitung nennt er sich nicht „Bruder des Herrn“, sondern einfach „Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“.5 Die Bezeichnung „Knecht“ (Sklave) hatte bei den Griechen einen negativen und verächtlichen Beigeschmack. Unter den Juden war es jedoch ein ehrbarer Titel, denn Mose und andere Botschafter Gottes im Alten Testament wurden so bezeichnet. Diese Bezeichnung zeugt deshalb einerseits davon, dass Jakobus demütig und bescheiden war6, andererseits wird deutlich, dass er als Botschafter Gottes über eine gewisse Autorität verfügte.

3.2. Interne und externe Belege

Die Tatsache, dass der Verfasser sich selbst Jakobus nennt, wird jedem aufrichtigen Bibelleser genügen, ihn als Autor des Briefes anzuerkennen. Hinzu kommen inhaltliche Argumente, die für Jakobus, den (Halb)Bruder des Herrn sprechen. Dazu zählen z. B.

  • der Gruß (man vergleiche Jak 1,1 mit Apg 15,23),
  • der Ausdruck „der gute Name, der über euch angerufen worden ist“ (man vergleiche Jak 2,7 mit Apg 15,17),
  • die Anrede „Hört, Brüder“ (man vergleiche Jak 2,5 mit Apg 15,13).

Für den Jakobusbrief gibt es allerdings nur relativ wenige frühe äußere Belege, die seine Echtheit bezeugen. Einige der älteren Kirchenväter machen zwar Anspielungen auf den Brief, zitieren ihn allerdings nicht direkt (so z. B. der „Hirte des Hermas“ um 140 n.Chr. oder bei Hippolytus). Der Brief fehlt auch im Muratorischen Fragment. Die Gründe mögen darin liegen, dass es bezüglich des Verfassers keine letzte Sicherheit gab, dass der Brief (sehr wahrscheinlich) in Jerusalem geschrieben wurde und sich an Menschen aus Israel wandte und zudem auf den ersten Blick der Lehre des Paulus zu widersprechen scheint.

Origenes nennt den Jakobusbrief einen kanonischen Brief. Eusebius schreibt, dass der Jakobusbrief bei manchen Christen zu den umstrittenen Büchern gehört, er selbst zitiert ihn jedoch als Heilige Schrift. Die Ostkirche bestätigte den Brief im Jahr 360 anlässlich der Synode von Laodizea. Spätestens seit der Synode von Karthago im Jahr 397 zählt der Brief endgültig zu den allgemein anerkannten kanonischen Schriften.

3.3. Zweifel

Dennoch hat es auch später noch immer wieder Zweifel gegeben. Das negative Urteil Luthers ist hinreichend bekannt. Der Theologe Erasmus von Rotterdam – der in etwa zur gleichen Zeit wie Luther lebte – sprach ebenfalls eher abfällig über den Jakobusbrief.

Die neue bibelkritische Sicht lehnt heute die traditionelle Sicht, dass Jakobus, der Bruder des Herrn, den Brief geschrieben habe, ab. Es wird behauptet, der Verfasser habe unter einem falschen Namen geschrieben und Jakobus gewählt, um eine möglichst hohe Akzeptanz zu erreichen. Dabei werden unter anderem folgende Argumente in Feld geführt:

  1. Der Brief passe historisch nicht in die Zeit, in der Jakobus gelebt habe.
  2. Das gute Griechisch des Briefes passe nicht zu einem Mann wie Jakobus.
  3. Jakobus zitiere aus der Septuaginta und nicht aus dem hebräischen Text des Alten Testamentes.
  4. Die frühe Kirche habe den Brief nicht als kanonisch anerkannt.

Es fällt nicht schwer, diese Argumente zu widerlegen:

  1. Das vorgebrachte Argument ist keinesfalls stichhaltig, denn das Gegenteil ist der Fall. Der Brief passt inhaltlich sehr gut in die Frühzeit der Versammlung.
  2. Dieses Argument scheitert daran, dass Jakobus im zweisprachigen Galiläa aufgewachsen ist und in Jerusalem vermutlich viel Kontakt mit Griechisch sprechenden Menschen hatte. Man sollte diesen Mann nicht unterschätzen.
  3. Zu diesem Argument sei angemerkt, dass sogar der Herr Jesus selbst aus der Septuaginta zitiert hat. Warum sollte es Jakobus dann nicht tun?
  4. Die Tatsache stimmt, die Gründe dafür sind jedoch nachvollziehbar (siehe die Erklärungen weiter oben) und veranlassen keineswegs dazu, den Brief nicht als von Gott inspiriert anzuerkennen.

Zusammenfassend halten wir fest, dass es kein vernünftiges Argument gibt, an der Authentizität des Briefes und seines Verfassers zu zweifeln. Gerade dann, wenn es sich um eine Fälschung handeln würde, hätte der Fälscher wohl auf seine natürliche Beziehung zu Jesus Christus hingewiesen.

3.4. Jakobus, der Bruder des Herrn

Jakobus zählte nicht zu den zwölf Aposteln, wurde jedoch – was seine moralische Autorität betrifft – von den ersten Christen mit ihnen auf eine Stufe gestellt (vgl. 1. Kor 15,7; Gal 1,19).

Er war eine „Säule“ der Versammlung in Jerusalem (Gal 2,9). Das sieht man besonders in Apostelgeschichte 12,17 („berichtet dies Jakobus“) und in Apostelgeschichte 21,18 (Paulus ging zu Jakobus und alle Ältesten kamen zu ihm). Anlässlich des Apostelkonzils in Apostelgeschichte 15 spielt er eine herausragende Rolle (vgl. Apg 15,13). Er war offensichtlich ein Mann des Ausgleichs und ein Vermittler. Sein Ruf als maßgebende Persönlichkeit mit moralischer und geistlicher Autorität reichte über Jerusalem hinaus (Gal 2,12).

Jakobus war ein frommer, gläubiger Judenchrist, der gute Beziehungen zu den Juden pflegte. Allerdings tut man ihm sehr unrecht, wenn man behauptet, er sei ein gesetzlicher und „anti-paulinischer“ Charakter gewesen. Er ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie man das Gesetz lieben kann, ohne dabei gesetzlich zu sein, wie man Autorität besitzen kann, ohne dabei autoritär zu sein, und wie man Spannungen aushalten kann, ohne dabei aufzugeben und den Streit zu schüren.

Der frühchristliche Kirchenschriftsteller Hegesippus (ca. 130–180 n. Chr.) berichtet, dass man Jakobus nicht nur „den Gerechten“ oder den „Rechtschaffenen“ nannte, sondern als „Kamelknie“ bezeichnete. Das lag daran, dass er so viel Zeit auf den Knien verbrachte, dass sein Knie wie das eines Kamels aussah, das sich bekanntlich erst auf die Knie setzt, bevor es aufsteht. Hegesippus merkt weiter an, dass Jakobus wie ein Nasiräer lebte und keine tierische Nahrung zu sich nahm.7

Jakobus kam offensichtlich durch den Tod und die Auferstehung des Herrn Jesus zum Glauben. Über seine Person und seinen Dienst sind einige Details bekannt, die uns helfen, den Brief besser zu verstehen.

  • Als Halbruder des Herrn (Mutter Maria, Vater Joseph) war Jakobus ein Jude (Mk 6,3). Er war verheiratet (1. Kor 9,5).
  • Gemeinsam mit seinen Brüdern glaubte er zunächst nicht daran, dass Jesus der Christus war (Mk 3,21; Joh 7,3–5).
  • Die Auferstehung Jesu aus den Toten war für ihn offensichtlich die Ursache für eine Kehrtwende (1. Kor 15,7).
  • Nach der Himmelfahrt des Herrn gehörte Jakobus zu denen, die im Obersaal versammelt waren (Apg 1,14).

Über den weiteren Dienst und den Tod des Jakobus lesen wir in der Apostelgeschichte nichts. Andere Quellen des Altertums berichten jedoch darüber. Der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus schreibt, dass Jakobus ca. 62 n.Chr. durch die Juden getötet wurde, obwohl er wegen seiner Frömmigkeit generell hohes Ansehen unter ihnen genoss. Er wurde beschuldigt, das Gesetz gebrochen zu haben. Als er sich vor dem Hohenpriester Anaus (Sohn des Annas) weigerte, seiner Hingabe an Jesus abzuschwören, wurde er zum Tod verurteilt.8 Eusebius berichtet, dass er – während er bei seiner Verteidigungsrede das Evangelium predigte – von der Stadtmauer gestürzt und schließlich am Fuß der Mauer zu Tode gesteinigt wurde.9

4. Zeit und Ort der Niederschrift

Der Brief selbst macht dazu keine exakten Angaben, der Inhalt zeigt jedoch klar, dass er recht früh geschrieben worden sein muss. Der jüdische Charakter und die Tatsache, dass die Gläubigen noch eng mit dem jüdischen Gottesdienst verbunden waren, machen das deutlich. Die christliche Heilslehre – wie so vor allem Paulus beschreibt – wird kaum erwähnt. Ebenso gibt es kaum Hinweise auf die typisch christliche Stellung und christlichen Segnungen.

Nach hinten wird der Brief des Jakobus durch sein Todesjahr (wahrscheinlich 62 n.Chr.) begrenzt. Es fällt weiter auf, dass der Brief selbst keinen Hinweis auf das Apostelkonzil in Jerusalem beinhaltet (Apg 15). Dies fand 48/49 n.Chr. statt. Dieses Datum scheint eine weitere Begrenzung nach hinten zu sein. Nach vorne ist die Begrenzung der Tod des Stephanus, mit dem die Zerstreuung der Gläubigen begann (Apg 8,1). Dieses Ereignis wird im Allgemeinen auf das Jahr 32/33 n.Chr. festgelegt. Die meisten bibeltreuen Forscher und Ausleger datieren den Brief daher auf ca. 45 n.Chr. – einige jedoch noch früher. Damit liegt es nahe, dass der Jakobusbrief das erste schriftliche Dokument des Neuen Testaments ist. Wenn man ein sehr frühes Datum annimmt, dann war das Evangelium zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch nicht flächendeckend bei den Nationen angekommen.

Jakobus lebte und wirkte in Jerusalem. Die Geschichtsschreibung berichtet, dass er die Stadt bis zu seinem Tod nicht verlassen hat. Das bedeutet, dass er die Zerstreuung nicht teilte. Wenn dem so ist, dann hat Jakobus seinen Brief von Jerusalem aus geschrieben. Diesen Ort setzen die meisten konservativen Ausleger als gegeben voraus.

Kritische Ausleger gehen von einem späteren Datum aus. Sie argumentieren, dass Jakobus sich gegen die Rechtfertigungslehre des Paulus wendet und dass der Brief deshalb später als der Römerbrief (und später als der Hebräerbrief) geschrieben worden sein muss. Die Argumente für diese Sichtweise sind wenig stichhaltig. Wie später deutlich wird, schreibt Jakobus in keiner Weise gegen Paulus, sondern ergänzt ihn. Hätte Jakobus gegen Paulus geschrieben, müsste man davon ausgehen, dass er dessen Briefe und Lehre konkret erwähnen würde.

5. Die Briefempfänger

5.1. Die ursprünglichen Briefempfänger

Über die ursprünglichen Briefempfänger gibt es keinen Zweifel. Jakobus schreibt an die „zwölf Stämme, die in der Zerstreuung sind“. Das ist ein wichtiger Schlüssel, um den Brief gut zu verstehen.

a) Die zwölf Stämme

Über den ersten Ausdruck – „die zwölf Stämme“ – hat es viele Diskussionen gegeben. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass Jakobus – wie einige Ausleger annehmen – das „geistliche Israel“ (die Versammlung) meint. Der Brief richtet sich ausdrücklich nicht an eine örtliche Versammlung oder an eine Gruppe von Versammlungen. Es macht deutlich mehr Sinn, den Ausdruck so zu deuten wie er im Text steht, d. h., es geht um die natürlichen Nachkommen Abrahams. Faktisch waren dies im Wesentlichen Juden, denn die zehn Stämme waren weitgehend „verloren gegangen“. Dennoch umfasst Jakobus in seinen Gedanken „ganz Israel“. Das ist der Glaubensblick, der über das hinausgeht, was das natürlich Auge sieht, wie wir ihn z. B. bei Daniel, bei Esra und Nehemia sehen (vgl. Dan 9,7; Esra 2,70; 6,17; 8,35; Neh 7,72; 12,47; 13,26). Es ist der Blick Gottes auf sein Volk. Paulus nennt später vor dem König Agrippa Israel „unser zwölfstämmiges Volk“ (Apg 26,7). Jakobus unterscheidet sich insofern von Petrus und dem Schreiber des Hebräerbriefes, die an einen „Überrest nach Auswahl der Gnade“ (d. h. an Gläubige aus den Juden) schreiben (Röm 11,5).

b) In der Zerstreuung

Der zweite Ausdruck „in der Zerstreuung“ ist ein Terminus technicus, der Juden (bzw. Israeliten) bezeichnete, die außerhalb des Landes Israel lebten (vgl. Joh 7,35 und 1. Pet 1,1). Die „Zerstreuung“ kann hier allgemein gemeint sein, sehr wahrscheinlich nimmt Jakobus jedoch Bezug auf die Zerstreuung, die eine Folge der Steinigung des Stephanus war (Apg 8,1–4; 11,19.20).

c) Unterschiedliche Ansprachen

Es ist unbestritten, dass Jakobus sich überwiegend an solche aus den zwölf Stämmen wendet, die sich zu Jesus Christus bekehrt hatten. Das wird immer dann ersichtlich, wenn er sich an seine „Brüder“ wendet. Damit sind nicht die „Brüder im Fleisch“ (gebürtige Juden) gemeint (wie wir das wiederholt bei Petrus und Paulus in der Apostelgeschichte finden), sondern der Zusammenhang zeigt, dass es um seine „Brüder in Christus“ geht (besonders deutlich wird das in Kapitel 1,17.18, wo die Brüder auf den Boden der Auferstehung und der neuen Schöpfung, d. h. auf den Boden der christlichen Wahrheit gestellt werden).

An anderen Stellen spricht Jakobus jedoch in erster Linie solche aus dem Volk Israel an, die den Herrn Jesus noch nicht angenommen haben:

  • Er spricht von Sündern, von Zweifelnden, Uneinsichtigen, Doppelherzigen und Wankelmütigen (Kap. 1,6.8.24; 4,8; 5,20),
  • Er spricht von Reichen, die meinen, ohne Gott in ihrem Besitz alles zu haben (Kap. 1,11; 2,6; 5,1–6),
  • Er spricht direkt von Ungläubigen (nichtiger Mensch), die keine Werke des Glaubens zeigen können (Kap. 2,20).

An einigen Stellen ist es schwierig zu erkennen, ob Jakobus tatsächlich Ungläubige meint oder (gestrauchelte) Gläubige. Bis heute kann ein Gläubiger, der in der Sünde lebt, häufig kaum von einem Ungläubigen, der ein christliches Bekenntnis hat, unterschieden werden. Manche Abschnitte (z. B. Kap 4,1–10) lassen sich ohne weiteres ziemlich breit anwenden. So oder so spürt man den tiefen Wunsch im Herzen des Jakobus, dass die Ungläubigen vom Weg des Verderbens umkehren, um gerettet zu werden, dass strauchelnde Gläubige wiederhergestellt werden und dass fest stehende Gläubige im Glauben wachsen.

R. Brockhaus merkt an: „Anderseits gehen die Ermahnungen (des Briefes) kaum über den Boden hinaus, auf den der Messias einst seine Jünger gestellt hatte. Die Wahrheiten, die mit den neuen Beziehungen in Verbindung stehen, in die wir als „Menschen in Christus“ gebracht sind, suchen wir im Brief des Jakobus vergeblich, ebenso die Stellung und Hoffnung der Versammlung. Für den Glauben des Jakobus stand Israel noch in demselben Verhältnis zu Gott, in das es einst gesetzt worden war.“10

5.2. Eine Botschaft für jeden Bibelleser

Der Jakobusbrief wäre nicht Teil des inspirierten Wortes Gottes, wenn er nicht für jeden Bibelleser eine Botschaft hätte. Gott redet durch jedes Bibelwort zu uns (vgl. 2. Tim 3,16.17). Obwohl wir nicht zum Volk Israel gehören und nicht in der ersten Zeit des Christentums leben, spricht der Jakobusbrief uns direkt an. Obwohl er wenig christliche Lehre enthält, finden wir gleichwohl wichtige Grundsätze für das praktische Glaubensleben, die nicht zu übersehen sind. Es ist wahr, dass wir nicht jeden einzelnen Vers direkt auf unser Leben beziehen können. Dennoch verbindet sich mit jeder Aussage eine Botschaft, die für uns wichtig ist. H. Smith schreibt: „Es ist jedoch verkehrt, zu meinen, dass die Gedanken dieses Briefes daher kaum direkten Bezug zu unseren Tagen hätten, in denen das volle Licht der Versammlung mit ihren himmlischen Segnungen offenbart worden ist.“11

6. Zweck und Botschaft

Jakobus hatte eine große Liebe zu seinen Volksgenossen, die in der Zerstreuung lebten. Er sah einerseits, dass sie im Ausland unterdrückt wurden – und zwar besonders von den eigenen Landleuten, die einflussreich und begütert waren. Außerdem wurden sie von Gott erprobt. Ziel des Briefes ist es deshalb erstens, den Glauben zu stärken und sie zur Standhaftigkeit zu motivieren.

Andererseits sah er manche Fehlentwicklung in ihrem praktischen Glaubensleben und Verhalten, auf die er sie liebevoll und doch nachdrücklich hinweist. Wir lernen etwas über den geistlichen Zustand der frühen Gläubigen, nachdem sich die erste Begeisterung gelegt hatte, die uns zu Beginn der Apostelgeschichte beschrieben wird. Die Beziehung der Gläubigen untereinander war nicht mehr so gut wie in der Zeit, in der man alles miteinander geteilt hatte und ein Herz und eine Seele gewesen war (Apg 4,32). Das zeigt einmal mehr, wie schnell sich Niedergang breitmacht.

Der Brief des Jakobus wurde also zweitens nötig, weil es bei einigen eine gewisse Diskrepanz zwischen ihrem Bekenntnis zu Gott und ihrem Verhalten gab. Es wird auf eine Reihe von Missständen hingewiesen, wie z. B. Neid, Streit, Ansehen der Person, Verleumdung, Richtgeist, Vertrauen auf irdische Güter und anderes. Besonders die sozialen Unterschiede unter den Gläubigen sind ein zentrales Thema. Jakobus legt den Finger in die Wunde und zeigt einerseits die Ursachen für Probleme im zwischenmenschlichen Bereich: Mangel an Weisheit, Leben ohne Frucht, Uneinigkeit, Neid, Klassenkampf. Andererseits zeigt er, wie man diesen Dingen in der Gesinnung des Herrn begegnet.

Für uns heute gibt es mindestens zwei Parallelen, auf die wir achten sollten:

  1. Jakobus schreibt an das ganze Volk und konzentriert sich doch auf einen kleinen Überrest von Menschen, die Christen geworden waren. Wir leben heute unter Menschen, die sich Christen nennen und sind doch als wirklich Gläubige nichts anderes als ein kleiner Teil (Überrest).
  2. Die Briefempfänger lebten nicht nur in einer Anfangszeit, sondern zugleich in einer Endzeit – nämlich der des jüdischen Gottesdienstes. Ähnliches trifft auf uns zu, die wir ebenfalls in einer Endzeit leben – nämlich des christlichen Bekenntnisses. Die Grundsätze Gottes für Menschen in einer Endzeit ändern sich nicht. Jakobus spricht – wie Judas, Petrus und Johannes – von der letzten Zeit. Er nennt sie die „letzten Tage“ (Kap 5,3). Das ist ein Beweis dafür, dass der Jakobusbrief ein Brief für die Endzeit ist.

Die Botschaft des Jakobus für uns lautet unverändert, dass sich echter Glaube in einem veränderten Leben zeigt. Wir leben in einer Zeit, in der viele Christen nur eine „Form der Gottseligkeit haben“, deren Kraft aber verleugnen (2. Tim 3,5). Gerade da gilt es, gegen den Strom zu schwimmen und ein Leben des Glaubens mit Werken des Glaubens zu führen. Jakobus macht klar, dass lebendiger Glaube praktisch und konkret werden muss, sonst ist es kein lebendiger Glaube.

7. Der besondere Charakter des Briefes

Wir werden den Jakobusbrief nur dann richtig verstehen und auf unser Leben projizieren, wenn wir seinen besonderen Charakter berücksichtigen. Wie bereits erläutert, wendet Jakobus sich an die zwölf Stämme Israels und dabei besonders an solche, die Christen geworden waren. Er will sie ermutigen und motivieren, in ihren Werken Früchte des Glaubens zu zeigen. Der Brief hat daher einen jüdischen Charakter. Er behandelt die Übergangszeit vom Judentum zum Christentum, in der Gott in seiner Nachsicht den Gläubigen weiter für eine Zeit gestattete, an Dingen festzuhalten, die sie aus dem Judentum kannten und mit denen sie von Anfang an vertraut waren. Erst der Schreiber des Hebräerbriefs fordert ultimativ zu einem Bruch mit den jüdischen Gebräuchen auf, indem er zeigt, dass das Christentum dem Judentum weit überlegen ist.

Die Gläubigen, an die Jakobus sich wendet, waren Christen. Sie verharrten in der Lehre der Apostel, soweit sie damals bekannt war (Apg 2,42). Sie waren Teil der Versammlung Gottes und besaßen den Heiligen Geist. Dennoch war ihnen ihre volle Stellung in Christus – wie Paulus sie gelehrt hat – noch nicht bekannt.

In dieser Anfangszeit bestanden die Versammlungen nur aus jüdischen Christen, die sich noch nicht vollständig von ihren ungläubigen Volksgenossen getrennt hatten. Sie gingen weiter in den Tempel (Apg 2,46) und hielten das Gesetz (Apg 21,21). Selbst gläubige Priester übten ihren Dienst weiter aus (Apg 6,7). Es war in diesem Sinn eine „gemischte Gemeinschaft“ von Judenchristen und Juden, an die sich Jakobus wendet. Die Gläubigen waren noch mit dem alten System verbunden und sollten behutsam daraus gelöst werden. Sie waren zwar getauft und damit moralisch von dem Volk getrennt (Apg 2,41). Dennoch lebten sie zunächst in Jerusalem (und dann auch in der Zerstreuung) mit dem, was Gott ihnen im Alten Bund gegeben hatte. Gott duldete das für eine Zeit. Spätestens mit der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. endete diese Übergangszeit endgültig.

Diese „jüdische Atmosphäre“ ist in dem gesamten Brief spürbar. Dazu einige Beispiele:

  • häufige Anspielungen auf das Alte Testament
  • häufige Anspielungen auf das Gesetz (Kap 2,8–12; 4,11.12).
  • die Anrede an die zwölf Stämme
  • der besondere Gruß des Autors, den wir nur noch einmal in Apostelgeschichte 15,23 finden und der auch dort einen jüdischen Charakter hat
  • die Synagoge ist Versammlungsort (Kap 2,2)
  • es wird das monotheistische Bekenntnis abgelegt, dass Gott „einer“ ist (Kap 2,19).
  • Gott wird als „Herr Zebaoth“ (Herr der Heerscharen) bezeichnet (Kap 5,4).12
  • der Ehebruch wird als Synonym für geistlichen Niedergang und Untreue Gott gegenüber gebraucht (Kap 4,4).
  • der Hinweis auf den zeitgenössischen Missbrauch beim Schwören eines Eides (Kap 5,12).
  • Hinweise auf Gläubige des Alten Testamentes, wie z. B. Abraham (Kap 2,21), Rahab (Kap 2,25), Hiob (Kap 5,11), Elia (Kap 5,17)
  • Abraham wird „unser Vater“ genannt (Kap 2,21)
  • Kapitel 5,14 spricht von der jüdischen Sitte, einen Kranken mit Öl zu salben

Das alles deutet auf ein jüdisches Umfeld hin und darauf, dass die Leser mit dem israelitischen Gottesdienst gut vertraut waren. Es sind allesamt typische Merkmale dieser besonderen und einmaligen Übergangszeit.

Zu dieser Übergangszeit gehört allerdings auch, dass Jakobus einige Wahrheiten erwähnt, die wir besonders im Neuen Testament finden. Er spricht z. B. von Jesus Christus als dem Herrn (Kap 1,1). Er spricht von der christlichen Neugeburt (Kap 1,18), von dem Gesetz der Freiheit als Lebensprinzip des Christen (Kap 1,25), dem Glauben unseres Herrn Jesus Christus (Kap 2,1), von der Wiederkunft des Herrn (Kap 5,7.8) und von dem Heiligen Geist, der in den Gläubigen wohnt (Kap 4,5).

Das zeigt deutlich, dass Jakobus das Evangelium der Gnade kannte und sein Brief trotz seines jüdischen Charakters ein christlicher Brief ist, der die Gläubigen aus dem Volk Israel auf christlicher Grundlage anspricht. R. Brockhaus fasst treffend zusammen: „Obwohl die Gläubigen von Jakobus immer wieder zu einem gottseligen Wandel, zu Reinheit und Geduld, zu Demut und Liebe, also zu einer ernsten inneren Absonderung von der Welt und ihrem Wesen ermahnt werden, lässt der Geist Gottes, unter dessen Leitung und Eingebung Jakobus genauso gut geschrieben hat wie Paulus und andere, doch die vorhandenen eigentümlichen Zustände bestehen, um uns auch von dieser ersten jüdischen Form, die das Christentum angenommen hat, eine Darstellung zu geben“.13

8. Inhalt und Themen

Jakobus behandelt eine große Vielfalt von Themen, die sich jedoch unter zwei großen Überschriften subsummieren lassen. Erstens geht es um die Frage, wie Glaube und Werke miteinander verbunden sind. Das Wort „Glauben“ kommt 16-mal vor, das Wort „Werke“ 15-mal. Eng damit verbunden ist die zweite Frage, nämlich wie sich der Glaube im Lebensalltag des Christen praktisch zeigt.

8.1. Glaube und Werke

Die ablehnende Haltung des Reformators Martin Luther gegenüber dem Brief des Jakobus gründet sich vor allem darauf, dass Jakobus – auf den ersten Blick – das Thema „Glaube und Werke“ anders darstellt als Paulus. Dabei geht es vor allem um die Aussagen in Kapitel 2,14–26. Bis heute werfen Kritiker Jakobus vor, gegen die Lehre von Paulus zu schreiben. Dabei muss allerdings zunächst bedacht werden, dass die Rechtfertigungslehre von Paulus, zum Zeitpunkt als Jakobus schrieb, überhaupt noch nicht bekannt war. Insofern ist das Argument der Widerlegung der Lehre von Paulus in sich absurd (man müsste dann eher behaupten, dass Paulus Jakobus widerspricht). Tatsache ist jedoch, dass Paulus und Jakobus einander überhaupt nicht widersprechen. Sie ergänzen sich vielmehr. Wenn wir einmal richtig verstanden haben, worauf es Jakobus ankommt und aus welcher Perspektive er über das Thema „Glaube und Werke“ schreibt, löst sich das vermeintliche Problem.

  • Paulus zeigt, auf welche Weise ein Sünder vor Gott gerechtfertigt werden kann, nämlich nur durch den Glauben und nicht durch Werke (z. B. Röm 3,28; 4,5; Gal 2,16; Eph 2,8.9). Der Sünder kann Gott nichts anbieten, um von Ihm angenommen zu werden. Durch eigene Werke kann sich niemand den Himmel verdienen. Paulus hat somit Menschen im Visier, die noch nicht gerettet sind.
  • Jakobus zeigt, wie sich der Glaube in einem Menschen – der geglaubt hat – äußert, nämlich durch entsprechende Taten und Werke (z. B. Jak 2,14). Es geht darum, wie ein Mensch, der aus Glauben gerechtfertigt ist, im täglichen Leben als Gläubiger erkannt werden kann (z. B. Jak 2,13). Gute Werke sind bei Jakobus keine „Gesetzeswerke“, sondern „Glaubenstaten“. Diese Werke rechtfertigen nicht den Sünder vor Gott (Paulus), sondern den Gläubigen vor Menschen (Jakobus). Dabei darf nicht vergessen werden, dass Paulus ebenfalls wiederholt diesen Aspekt betont (z. B. Kol 1,10; Eph 2,10; Tit 2,14).

Paulus spricht von der christlichen Stellung. Jakobus spricht von der christlichen Praxis. Der Christ tut keine guten Werke, um den Glauben zu bekommen. Er tut gute Werke, weil er geglaubt hat!

Die göttliche „Reihenfolge“ lautet deshalb:

  • Schritt 1: Das Heil (die Rettung des Menschen) ist aus Glauben (d. h. auf dem Grundsatz des Glaubens) und ohne Werke (d. h. nicht auf dem Grundsatz von Werken).
  • Schritt 2: Die Echtheit des Glaubens wird durch Werke bewiesen. Der Glaube zeigt sich bei Jakobus z. B.:
    - in Prüfungen (Kap 1,2–18)
    - im Hören und Tun (Kap 1,19–27)
    - in der Liebe (Kap 2,1–26)
    - in der Weisheit (Kap 3,1–18)
    - in entschiedener Hingabe (Kap 4,1–17)
    - in Geduld und Hoffnung (Kap 5,1–12)
    - im Gebet (Kap 5,13–18)
    - im Bemühen um Verirrte (Kap 5,19.20)

Deshalb spricht Jakobus über viele Lebenssituationen, in denen sich der Glaube zeigt.

8.2. Der Glaube im Lebensalltag

Mit großer Demut und zugleich moralischer Autorität weist Jakobus in Liebe zum einen auf unterschiedlichste Früchte der alten Natur hin, die in dem Leben eines Gläubigen nicht gesehen werden sollten. Zum anderen zeigt er Situationen auf, die im Leben des Gläubigen durchaus vorkommen und vorkommen sollten.

Zur ersten Kategorie zählen z. B.:

  • Glaubenszweifel (Kap 1,5–8)
  • die sündige Begierde (Kap. 1,13–15)
  • das vergessliche Hören (Kap 1,22–25)
  • die Überbetonung von sozialen Unterschieden (Kap. 2,1–7)
  • Gleichgültigkeit gegenüber Menschen in Not (Kap. 2,14–16)
  • der Missbrauch der Zunge (Kap. 3,3–12)
  • Neid und Streit (Kap. 3,13–18)
  • Freundschaft mit der Welt (Kap. 4,4)
  • Hochmut (Kap. 4,5–10)
  • Eigenwille, Oberflächlichkeit, Selbstvertrauen (Kap. 4,13.14)
  • Gefahren des Reichtums (Kap 5,1–6)
  • der Missbrauch des Eidschwurs (Kap 5,12)

Zur zweiten Kategorie zählen z. B.

  • Prüfungen durch Gott (Kap 1,2–4)
  • das Ausharren in schwierigen Umständen (Kap 5,7–11)
  • Umgang mit Krankheit als Folge der Sünde (Kap 5,13–18)
  • der Umgang mit irrenden Gläubigen (Kap 5,19.20)

9. Besonderheiten

Der Jakobusbrief zeichnet sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus, auf die zum Teil schon hingewiesen wurde.

  • Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit das erste – und damit älteste – Buch des Neuen Testamentes und behandelt eine Übergangszeit. Es ist einerseits jüdisch geprägt, andererseits ist nicht zu übersehen, dass die meisten der Briefempfänger Christen geworden waren.
  • Jakobus betont nicht so sehr die Lehre, sondern den Lebensalltag. Sein Brief beinhaltet ein Minimum an typisch christlicher Lehre, dafür sehr viel christliche Praxis. Es gibt deshalb keinen klar gegliederten Aufbau, sondern stattdessen Motivation zum Leben im Glauben.
  • Jakobus spricht sehr wenig von der Person Christi und von seinem Werk. Es fällt auf, dass die Namen „Jesus“ und „Christus“ nur zweimal vorkommen (Kap 1,1; 2,1). Dennoch ist der Brief ein Ansporn, im Glauben und in der Gesinnung des Herrn Jesus zu leben.
  • Man hat den Jakobusbrief das „gebieterischste Buch“ im Neuen Testament genannt. In der Tat ist genau die Hälfte der Verse (54 von 108) in Befehlsform geschrieben. Dennoch hat der Leser nicht den Eindruck, dass der Schreiber von oben herab mit einem selbstherrlichen Geist schreibt.
  • Jakobus bezieht sich sehr häufig auf Aussagen aus dem Alten Testament, das er an fünf Stellen direkt zitiert.
    Jakobus 2,8 3. Mose 19,18
    Jakobus 2,11 2. Mose 20,13.14
    Jakobus 2,23 1. Mose 15,6
    Jakobus 4,6 Sprüche 3,34
    Jakobus 4,20 Sprüche 12,20
  • Hinzu kommen bis zu 40 mittelbare und indirekte Hinweise auf den ersten Bibelteil, die jedoch keine direkten Zitate sind.
  • Unübersehbar sind die Parallelen zu den Weisheitssprüchen Salomos. Jakobus gebraucht – ähnlich wie Salomo – einen lebhaften und anschaulichen Stil, verbunden mit häufigen Themenwechsel.14 Das Schlüsselwort der Sprüche – die Weisheit – kommt viermal vor, das Verb „weise sein“ einmal (Kap 1,5; 3,13.15,17).
  • Noch augenscheinlicher sind die Referenzen zur Bergpredigt, auf die Jakobus immer wieder verweist, um seine Leser zu erreichen:
    Thema Jakobus Matthäus (Bergpredigt)
    Freude in Versuchungen Kapitel 1,2 Kapitel 5,10–12
    Vollkommenheit Kapitel 1,4 Kapitel 5,48
    Gebet und Bitte Kapitel 1,5; 4,3; 5,13–18 Kapitel 6,6–13; 7,7–12
    einfältiges Herzen Kapitel 1,8; 4,8 Kapitel 6,22.23
    Reichtum Kapitel 1,10.11; 2,6.7 Kapitel 6,19–21.24–34
    gute Gaben Kapitel 1,17 Kapitel 7,11
    Zorn Kapitel 1,19.20; Kapitel 5,22
    Gesetz Kapitel 1,22.25; 2,1.12.13 Kapitel 5,17–44
    das königliche Gebot Kapitel 2,8 Kapitel 7,12
    Barmherzigkeit Kapitel 2,13 Kapitel 5,7
    Glaube und Werke Kapitel 2,14–26 Kapitel 7,15–27
    Wurzel und Frucht Kapitel 3,11.12 Kapitel 7,16–20
    wahre Weisheit Kapitel 3,13 Kapitel 7,24
    der Friedensstifter Kapitel 3,17.18 Kapitel 5,9
    Freunde der Welt Kapital 4,4 Kapitel 6,24
    andere richten Kapitel 4,11.12 Kapitel 7,1–5
    rostender Schatz Kapitel 5,2 Kapitel 6,19
    schwören Kapitel 5,12 Kapitel 5,33–37
  • Jakobus gebraucht – ähnlich wie sein Bruder Judas – häufiger als andere Schreiber Bilder aus der Natur, um seine Aussagen zu illustrieren.
  • In Relation zur Länge des Briefes werden die Leser häufiger als in allen anderen Briefen mit „Brüder“ angesprochen. Das Wort kommt 15-mal vor (Kap. 1,2.16.19; 2,1.5.15; 3,1.10.12; 4,11; 5,7.9.10.12.19). Siebenmal sagt Jakobus „meine Brüder“ (Kap 1,2;2,1.14; 3,1.10; 5,12.19). Dreimal spricht er von „meinen geliebten Brüdern“ (Kap 1,16.19; 2,5).
  • Jakobus spricht mindestens zehnmal von einem Gesetz. Meistens ist damit das Gesetz vom Sinai gemeint, manchmal jedoch auch das Wort Gottes. Er gebraucht dabei u. a. die Bezeichnungen „das vollkommene Gesetz“ (Kap 1,25), „das Gesetz der Freiheit“ (Kap 1,25, 2,12) und das „königliche Gesetz“ (Kap 2,8). Dabei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Jakobus seine Leser nicht unter das Gesetz als Heilsweg oder Lebensregel stellt, sondern es auf solche anwendet, die unter der Gnade leben (das Wort „Gnade“ kommt in Kap. 4,6 zweimal vor).

10. Aufbau und Gliederung 10.1. Aufbau

Der Jakobusbrief sieht auf den ersten Blick gar nicht wie ein Brief aus. Der Schreiber stellt sich zwar zu Beginn kurz vor und nennt auch diejenigen, an die er schreibt. Dann steigt er unmittelbar in sein Thema ein. Das Ende des Briefes ist noch abrupter. Es gibt weder einen Segensgruß noch etwas Vergleichbares.

Jakobus verfolgt das Thema des Glaubens von Anfang bis zu Ende. Er zeigt, wie lebendiger Glaube im Alltag sichtbar wird, während ein toter Glaube überhaupt kein Glaube ist. Alles dreht sich um die Kernaussage: „So ist auch der Glaube, wenn er keine Werke hat, in sich selbst tot“ (Jak 2,17). Lebendiger Glaube wird immer durch die Liebe tätig sein (Gal 5,6).

In Kapitel 1 sehen wir das praktische christliche Leben, in dem der Glaube erprobt wird. Wir lesen von dem Vater der Lichter und einer neuen Schöpfung. Wir sind heute schon eine Erstlingsfrucht dieser neuen Schöpfung, deren Regel nicht das Gesetz des Sinais sondern das der Freiheit ist.

Kapitel 2 zeigt das praktische Leben des Christen als Beweis seines Glaubens. Die drei großen Themen sind erstens der Glaube an den Herrn Jesus und das Ansehen vor Menschen. Zweitens lernen wir das königliche Gesetz der Liebe kennen und drittens spricht Jakobus über das Verhältnis von Glauben und Werken und zeigt, dass sich der Glaube in Glaubenswerken beweisen muss.

Die Kapiteln 3 und 4 behandeln insgesamt sieben Missstände, die für jeden Gläubigen eine Gefahr darstellen, wenn er sich nicht bewahren lässt. Darin eingebunden finden wir wichtige Hinweise über die Weisheit Gottes und wie sie sich im Leben des Gläubigen zeigt. Es ist ebenfalls die Rede von dem Geist Gottes, der in uns wohnt und durch den die alte Welt – zu der wir nicht mehr gehören – verurteilt wird.

Das fünfte Kapitel gibt Hinweise auf die letzten Tage, in denen wir leben und auf die bevorstehende Ankunft des Herrn Jesus, auf die wir mit Geduld warten. Erneut sind damit praktische Lektionen für den Lebensalltag verbunden.

10.2. Gliederung

Kaum ein Brief hat so viele unterschiedliche Vorschläge zur Einteilung wie dieser Brief. Eine Möglichkeit ist die folgende:

(1) Kapitel 1: Prüfungen des Glaubens im täglichen Leben

  • Kapitel 1,1: Grußwort
  • Kapitel 1,2–4: Prüfungen und die Kraft des Glaubens
  • Kapitel 1,5–8: die Hilfsquellen des Gläubigen (Weisheit und Glaube)
  • Kapitel 1,9–11: die Vergänglichkeit des Reichtums
  • Kapitel 1,12: der Sieg des Glaubens
  • Kapitel 1,13–15: die Anfechtung des Glaubens
  • Kapitel 1,16–18: die Grundlage des Glaubens
  • Kapitel 1,19–27: fünf Früchte des Glaubens

(2) Kapitel 2: das königliche Gesetz – Glaube und Werke

  • Kapitel 2,1–7: der Glaube unseres Herrn Jesus Christus und das Ansehen von Menschen
  • Kapitel 2,8–13: das königliche Gesetz (das Gesetz der Liebe)
  • Kapitel 2,14–26: Glaube und Werke

(3) Kapitel 3 und 4: Hindernisse für das Glaubensleben – sieben Formen des Bösen

  • Kapitel 3,1.2: die Zunge und ihr Werk
  • Kapitel 3,13–18: Neid und Streitsucht
  • Kapitel 4,1–3: böse Begierden
  • Kapitel 4,4: Freundschaft mit der Welt
  • Kapitel 4,5–10: der Hochmut des Fleisches
  • Kapitel 4,11.12: schlechtes Reden und Richten
  • Kapitel 4,13–17: Eigenwille und Selbstvertrauen

(4) Kapitel 5: Leben im Unglauben und Leben im Glauben

  • Kapitel 5,1–6: Reiche und ihr Verhalten
  • Kapitel 5,7–12: Geduld bis zum Kommen des Herrn
  • Kapitel 5,13–20: das Gebet und das Leben des Glaubens

Fußnoten

  • 1 M. Luther: Vorrede zum Neuen Testament, 1522
  • 2 J. Calvin: Vorrede zum Jakobusbrief 1551
  • 3 W. Kelly: The letter of James
  • 4 Man mag diese Einteilung kritisch sehen, denn erstens sind der zweite und dritte Johannesbrief durchaus keine „allgemeinen Briefe“. Zweitens müsste man den Hebräerbrief ebenfalls hinzuziehen, dessen Verfasser wir nicht kennen (selbst wenn es gute Gründe dafür gibt, dass es Paulus ist). Gerade zwischen dem Brief des Jakobus und dem an die Hebräer gibt es eine enge Verbindung. Während Jakobus (zu Beginn des Übergangs vom Judentum zum Christentum) das Festhalten an vielen jüdischen Gebräuchen sanktioniert, fordert der Hebräerbrief – mindestens 20 Jahre später geschrieben – die jüdischen Christen unumwunden auf, das jüdische System (Lager) zu verlassen (Heb 13,13).
  • 5 Vgl. die einführenden Worte des Judasbriefes (Jud 1,1). Judas war offensichtlich weniger bekannt und bezieht sich deshalb auf die Verwandtschaft zu seinem bekannteren Bruder Jakobus. Die Tatsache, dass er ein Bruder des Herrn war, verschweigt er jedoch ebenfalls und nennt sich „Knecht Jesu Christi“.
  • 6 Es fällt darüber hinaus auf, dass Jakobus – anders als sein leiblicher Bruder Judas – ausdrücklich von Jesus Christus als seinem „Herrn“ spricht. Dieser Titel ist in den Anreden der Briefe eher ungewöhnlich. Paulus z. B. schreibt so nur im Kolosserbrief.
  • 7 Eusebius: Kirchengeschichte
  • 8 Flavius Josephus: Jüdische Altertümer
  • 9 Eusebius: Kirchengeschichte
  • 10 R. Brockhaus: An wen ist der Brief des Jakobus gerichtet (in: Halte Fest 1967)
  • 11 H. Smith: The Letter of James
  • 12 Dieser Titel kommt im Neuen Testament nur noch einmal in Römer 9,29 vor.
  • 13 R. Brockhaus: An wen ist der Brief des Jakobus gerichtet (in: Halte Fest 1967)
  • 14 Das hat einige Ausleger zu der Annahme verleitet, es handle sich eigentlich um eine Zusammensetzung mehrerer Reden des Jakobus. Diese Vermutung wird jedoch kaum zutreffend sein, vor allen Dingen dann, wenn wir davon ausgehen, dass Jakobus beim Schreiben seines Briefes ebenso göttlich inspiriert war, wie die übrigen Schreiber des Neuen Testamentes.