Der Brief des Judas

Der Brief des Judas umfasst, obwohl er sehr kurz ist, einen weiten geschichtlichen Zeitraum: er stellt uns den Abfall vom Christentum vor, von der Zeit an, wo die Anfänge des Bösen sich in den Tagen der Apostel unter die Christen eingeschlichen hatten, bis zu dem Augenblick, an dem das endgültige Gericht über die Christenheit hereinbrechen wird. Dieser Brief zeigt uns, wie die Kirche, weil sie die Wahrheiten, die Gott ihr anvertraut hatte, aufgab, vorangeschritten ist in der Gottlosigkeit, deren Höhepunkt die Verwerfung des Vaters und des Sohnes sein wird. Dann wird moralische Finsternis an die Stelle des Lichtes des Evangeliums treten, das heute noch in der Welt leuchtet; aber wir sehen heute schon alle Elemente, die diesen Abfall kennzeichnen, in Tätigkeit, und der Brief des Judas belehrt uns über die Haltung, die jeder Christ in unseren Tagen gegenüber dem Bösen einnehmen soll, und über die Art und Weise, in der er in dieser traurigen Umgebung Gott verherrlichen kann. Lasst uns nicht vergessen, dass der Christ in einer Zeit des Verfalls Gott ebenso völlig verherrlichen kann wie in den glücklichsten ersten Tagen der Kirche. Die Umstände haben sich allerdings geändert, aber Gott kann von den Seinen geehrt werden, in anderer Weise vielleicht, aber ebenso wirklich wie damals, als der Geist am Pfingsttag auf die Jünger gefallen war. Gott fordert heute nicht von uns, dass wir den durch unsere Schuld in Verfall geratenen Zustand wiederherstellen; wir sollen uns auch in der Christenheit nicht verhalten, als wenn alles in Ordnung wäre, indem wir über ihren Niedergang die Augen schließen; Er zeigt uns vielmehr inmitten der Trümmer einen Pfad, den Er gutheißt, den das Auge des Adlers nie hätte erspähen können, den Gott aber kennt, und den der Glaube zu unterscheiden lernt.

Beachten wir zunächst die ganz allgemeine Art, in der Judas die Christen kennzeichnet, an die er schreibt: „Judas, Knecht Jesu Christi und Bruder des Jakobus, den in Gott, dem Vater, geliebten und in Jesu Christo bewahrten Berufenen“ (V. 1). Die anderen Briefe reden die Gläubigen mit ganz anderen Worten an; allerdings werden sie zweimal „berufene Heilige“ genannt, d. h. Heilige durch Berufung, aber nie kurzweg „Berufene“. Wenn Gott eine Seele für Sich erwerben will, so beginnt Er damit, sie zu berufen. So machte Er es mit Abraham, dem Vater der Gläubigen; und man kann den Kindern Gottes keine allgemeinere und alle mehr umfassende Bezeichnung geben, denn alle ohne irgendeine Ausnahme sind Berufene.

Liegt dem nicht augenscheinlich eine Absicht zugrunde? Der Brief des Judas redet von der gegenwärtigen Zeit und wendet sich an alle Kinder Gottes, ohne irgendjemand auszuschließen, ohne Unterschied des Wandels und der Erkenntnis, ohne dem Rechnung zu tragen, was sie vielleicht voneinander trennt. Alle sind demnach verantwortlich, zu hören und sich nach dem Gehörten zu richten; daher dieser umfassende und zugleich so persönliche Ausdruck „Berufene“. Wenn ein Apostel an eine örtliche Versammlung schrieb, so hätte vielleicht der eine oder andere Christ, der nicht zu ihr gehörte, sich nicht durch den ganzen Inhalt dieses Briefes angesprochen fühlen können, wenn er dadurch auch einen großen Mangel an Verständnis an den Tag gelegt hätte; bei Judas aber würde ein derartiger Gedanke unentschuldbar sein. Jedes Glied der Familie Gottes in dieser Welt muss sich sagen: Der Herr wendet sich hier ganz persönlich an mich.

Es ist beachtenswert, dass zwei Dinge diesen „Berufenen“ eine völlige Gewissheit geben bezüglich ihrer Beziehungen zu Gott. Sie sind „in Gott, dem Vater, Geliebte und in Christo Jesu Bewahrte“. Niemals sollte es in der großen Familie Gottes eine einzige Seele geben, die an ihren Beziehungen zu dem Vater zweifelt und die nicht die Gewissheit ihrer Errettung besitzt. Möchten die Zweifelnden über jene Worte nachdenken! Die Liebe des Vaters zu uns ist ebenso vollkommen wie Seine Liebe zu Christus, Seinem Geliebten; daher sagt Judas: „in Gott, dem Vater, Geliebte“. Unsere Sicherheit ist ebenso vollkommen wie diejenige Jesu Christi; deshalb heißt es: „in Jesu Christo Bewahrte“. Wenn die Errettung der Berufenen von ihrer Treue abhinge, so würde keiner von ihnen das Ziel seines Weges erreichen. Wir können uns ebenso wenig bewahren wie erretten. Unsere ewige Sicherheit beruht nicht darauf, dass wir treu sind (obwohl wir sicher treu sein sollten), sondern darauf, dass der Gott der Liebe uns in Christo vor Sich sieht.

Der Gruß des Apostels ist sehr bedeutsam: „Barmherzigkeit und Friede und Liebe sei euch vermehrt!“ (V. 2) Auch in den Briefen an Timotheus bildet das Wort „Barmherzigkeit“ einen Teil des Grußes, aber kein Brief, der an eine Gesamtheit von Christen gerichtet ist, enthält dieses Wort. Das hat seinen Grund darin, dass Barmherzigkeit nicht so sehr für eine Gesamtheit, als vielmehr für den einzelnen Gläubigen persönlich notwendig ist. Ich bin ein armes, schwaches Wesen, das in vieler Hinsicht fehlt und beständigen Gefahren ausgesetzt ist. Mein Zustand ruft das göttliche Mitleid hervor, das mir zu Hilfe kommt, mich aufmerksam macht und sich für alle Einzelheiten meines Weges interessiert. Das ist der Charakter der Barmherzigkeit. Woher kommt es nun, dass ein Brief, der an alle Berufenen ohne Unterschied gerichtet ist, Barmherzigkeit für sie erbittet? Wie soll man diese Ausnahme erklären? In einer Zeit des Verfalls nimmt das christliche Zeugnis einen immer persönlicheren Charakter an. Das bedeutet keineswegs, (wie man zuweilen von Gläubigen sagen hört, die durch das reißend schnelle Umsichgreifen des Bösen entmutigt sind) dass das christliche Zeugnis nicht mehr den gemeinschaftlichen Charakter eines Sammelns der Heiligen haben könne. Wer so spricht, befindet sich in einem großen Irrtum, und gerade der Brief des Judas ist ein Beweis dafür. Er redet von Leuten, die sich unter die Treuen eingeschlichen haben, die Flecken bei ihren Liebesmahlen sind; gerade ihre Anwesenheit ist also ein Beweis, dass es ein Sammeln der Heiligen gibt. Aber die Unterweisung, die wir hier empfangen, besteht darin, dass wir gehalten sind, angesichts des schrecklichen sittlichen Zustandes der Christenheit in unserem persönlichen Zeugnis immer treuer zu werden, denn Gott nimmt in besonderer Weise Kenntnis davon. Es ist ohne Zweifel ein sehr großes Vorrecht für das Herz einsichtsvoller Christen, sich gemeinsam des Tisches des Herrn, des ganz besonderen Zeichens des gemeinschaftlichen Zeugnisses, erfreuen zu können, und dies in einer Zeit, wo die Verkündigung der Einheit des Leibes Christi in der bekennenden Christenheit wie mit Füßen getreten wird. dass dieses Zeugnis heute im Vergleich mit dem, was es in der Vergangenheit war, außerordentlich schwach ist, brauchen wir nicht zu sagen, und doch nimmt Gott Notiz davon; denn mit dem Zusammenkommen Seiner Kinder außerhalb der Welt steht das Erhabenste, was es im Christentum gibt, der Gottesdienst, in Verbindung. Aber wenn auch unser gemeinschaftliches Zeugnis so arm geworden sein mag, dass es nur noch in dem Zusammenkommen von zweien oder dreien um den Herrn besteht, so sollte doch, und dies möchten wir besonders betonen, das persönliche Zeugnis keineswegs durch solche Hindernisse leiden. Es kann ebenso kräftig sein wie damals, als der Heilige Geist in den ersten Zeiten der Kirche die Christen persönlich erfüllte. Diese Kraft des Heiligen Geistes in dem Einzelnen ist heute nicht mehr begrenzt als damals, wenn wir nur Sorge tragen, diesen göttlichen Gast nicht in unserem Wandel zu betrüben; die Weltlichkeit und Untreue der Kirche, und schließlich ihr Verfall, beschränken dagegen notwendigerweise die Wirksamkeit des Geistes in der Versammlung.

Ein in der gegenwärtigen Zeit mit Treue aufrecht gehaltenes persönliches Zeugnis und eine heilige Absonderung vom Bösen in allen seinen Formen sind um so notwendiger, da wir bei der in der Kirche herrschenden Ungerechtigkeit nicht viel Stütze und Hilfe bei unseren Brüdern finden können; doch der Herr bleibt uns, und wir können völlig mit Ihm rechnen.

Hier denke ich, dass viele Christen mich unterbrechen wollen mit den Worten: Du redest nur von Fortschritten des Bösen, von dem Zustand des Verfalls der Christenheit und von ihrem bevorstehenden Gericht. Du scheinst deine Augen vor all dem Guten zu verschließen, das um dich her vor sich geht, vor der eifrigen Tätigkeit in unseren Kirchen, vor den großartigen Beweisen christlicher Liebe und Mildtätigkeit, vor dem einmütigen Zusammenhalten, das heute die christliche Weit kennzeichnet, vor den ungeheuren Summen, die zur Förderung des Reiches Gottes verwandt werden. Ich bin weit davon entfernt, das zu leugnen, was der Glaube bei den Kindern Gottes hervorbringt; aber denen, die so reden, möchte ich antworten: Gott betrachtet den Zustand der Christenheit mit anderen Augen als du oder als die Welt. Er beurteilt den Zustand der Menschen nach der Art und Weise, wie sie sich verhalten gegen Seinen Sohn und gegen die Schriften, die Ihn offenbaren ; und du wärest nicht aufrichtig, wenn du leugnen wolltest, dass die bekennende Menge, zu der du gehörst, schnelle Fortschritte macht auf dem Weg zum völligen Aufgeben des Wortes und zur Leugnung des Sohnes Gottes.

Dass dies der Charakter des Urteils Gottes ist, wird man vom Anfang bis zum Ende der Heiligen Schrift bestätigt finden. Der innere, sittliche Zustand der Welt Gott gegenüber, nicht ihre äußeren, materiellen Fortschritte oder die hohe Meinung, die sie selbst von ihren Verdiensten und ihrer Ergebenheit hat, bilden den Maßstab für das Urteil Gottes. Der völlige Abfall besteht in der Leugnung des Vaters und des Sohnes, und das ist es, was unter anderem der Brief des Judas, der zweite Brief des Petrus und der erste Brief des Johannes ans Licht treten lassen. Satan hat tausend Mittel, um die Menschen von Gott abzulenken, und unter diesen ist nicht das Geringste dies: er macht sie blind, indem er ihren Stolz nährt und sie mit ihren Fortschritten beschäftigt.

„Friede und Liebe sei euch vermehrt!“ Teure Geschwister, das ist es, was der Apostel uns allen wünscht. Er redet hier nicht von dem Frieden mit Gott und von Seiner Liebe, denen nichts mehr hinzugefügt werden kann, sondern er wünscht, dass wir diese praktisch genießen und ausstrahlen. Er kennt die Schwierigkeiten der Christen in diesen letzten Tagen, wo die Welt gekennzeichnet wird einerseits durch eine nie endende Aufregung und andererseits durch das Erkalten aller natürlichen, gebotenen Zuneigungen und durch eine Selbstsucht, die jede andere Rücksicht verdrängt: „Liebe sei euch vermehrt!“ Ich glaube, wenn in den gegenwärtigen Tagen die „Berufenen“ des Herrn in ihren Herzen aufnähmen, was der Geist Gottes ihnen hier wünscht, so würden sie alle gute Zeugen Jesu Christi sein. Der Feind sucht auf alle Weise die Liebe erkalten zu lassen, welche die Kinder Gottes miteinander verbindet. Dies sollte ihm nicht gelingen. Ach, es ist für uns nicht schwer, das Böse zu sehen, darauf aufmerksam zu machen und ausführlich darüber zu anderen zu reden; aber ich frage: Ist das Aufdecken des Bösen ein Heilmittel? Nein, die Liebe ist es, die heilt, die wiederherstellt und unsere Brüder in ihrem Wandel wieder aufrichtet. Gnade gewinnt das Herz. Strenge kann dem Bösen Einhalt tun, hat aber noch nie jemand gewonnen. Wenn es so steht im Blick auf unsere Brüder, so gilt das Gleiche im Blick auf das der Welt verkündigte Evangelium. Die Gnade zieht an, erreicht das Gewissen, bringt Buße hervor, führt zu Christus; und wenn es nötig ist, dem Menschen die Wahrheit zu sagen, ihn seinen Zustand des Entferntseins von Gott verstehen zu lassen, so ist es auch wieder die Gnade, die diesen Zustand bloßstellt, um dann Heilung zu bringen, denn die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. In einer Zeit, wo die Liebe bei vielen erkaltet und die Ungerechtigkeit die Oberhand gewinnt, haben wir da nicht alle nötig, dass die Liebe uns vermehrt wird?

Wenn der Apostel jetzt zu dem eigentlichen Thema seines Briefes übergeht, fühlen wir uns da nicht getroffen von dem Ernst, mit dem er beginnt? „Geliebte, indem ich allen Fleiß anwandte, euch über unser gemeinsames Heil zu schreiben, war ich genötigt, euch zu schreiben und zu ermahnen, für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen“ (V. 3). Er hatte die Feder ergriffen, erfüllt von dem lebhaften Wunsch, ihnen einen Gegenstand vorzustellen, der immer die Freude der Erlösten hervorrufen wird: „unser gemeinsames Heil“. Sein erster Gedanke war, die Gläubigen gemeinschaftlich etwas von den Wundern des Werkes des Heilandes sehen und genießen zu lassen ... doch es kommt ganz anders. Was ist geschehen? Gefahren sind aufgetaucht, und diese armen Christen ahnen es vielleicht nicht. Da ist es dringend nötig, sie darauf aufmerksam zu machen, damit sie sich nicht einer gefährlichen Untätigkeit hingeben. Der Apostel lässt daher sein erstes Vorhaben fahren und ergreift die Feder aufs Neue, um sie zu ermahnen, für den Glauben zu kämpfen.

Teure Freunde! Diese Ermahnung ist jetzt zeitgemäßer denn je. Der Krieg ist erklärt, der Feind steht im Felde. Gefahren bedrohen euch von allen Seiten. Schlingen werden euch gelegt. Die Falschheit umringt euch. Sind nicht vielleicht die Schafe des Herrn zu wenig auf der Hut gegen diese Fremden, die zu ihnen kommen mit schönen Reden und schmeichlerischen Worten, indem sie die Grundlagen des Glaubens zu untergraben suchen? Sind ihre Herzen wohl einfältig genug, um sich allein an die Stimme des guten Hirten zu halten? Der Apostel hat sich entschlossen, uns zu schreiben. Es handelt sich darum, dass wir aufwachen, uns erheben und gegen die Macht des uns umringenden Bösen kämpfen. Welches ist die Fahne, die wir berufen sind hochzuhalten? „Der einmal den Heiligen überlieferte Glaube.“

Wir finden in einer Anzahl Stellen, dass „der Glaube“ hier nicht die Gabe Gottes ist, die in unser Herz gelegt ist und es fähig macht, das Heil zu ergreifen; „der Glaube“ ist hier vielmehr das Ganze der christlichen Lehre, die den Heiligen überliefert ist, und die ihr Glaube ergriffen hat. Nun, der Charakter des Bösen in den letzten Tagen ist das Aufgeben dieser Lehre. Beachtet das Wörtchen einmal! Diese Überlieferung hat einmal stattgefunden; sie ist unveränderlich und hat nicht die geringste Wandlung erfahren. Als Judas schrieb, sprach er von dieser Überlieferung als der Vergangenheit angehörend; es handelte sich um das, was die ersten Christen durch das Wort der Apostel gelernt hatten. Gott hat Sorge getragen, sie für uns in den Heiligen Schriften, den Erfordernissen entsprechend, niederzulegen, und es gibt nichts anderes für uns.

Es liegt mir am Herzen, den gläubigen Leser zu überzeugen, dass die große Aufgabe, die wir heute haben, darin besteht, mit fester Hand die Fahne hochzuhalten, die uns anvertraut ist, und um die alle „Berufenen“ ohne Ausnahme sich scharen sollten, die Fahne, auf der zwei Namen (die nur einen ausmachen) geschrieben stehen und die da heißen: Das Wort Gottes und der Herr Jesus Christus!

Wenn wir uns im Kampf mit dem sittlich Bösen befinden, das beständig in der Welt zunimmt, die Verachtung der Religion und den Unglauben überall zur Schau trägt und, was noch gefährlicher ist, sich auf die Vernunft beruft, um die Wahrheit umzustoßen, so möge niemand glauben, dass es uns darum geht, uns in allerlei gelehrte Auseinandersetzungen einzulassen. Dazu genügen unsere Kräfte nicht, und ich bin überzeugt, dass wir in unserem Zustand der Schwachheit gar nicht mehr fähig dazu sind. Seit der Reformation und selbst bis in das vorige Jahrhundert hinein mochten solche Auseinandersetzungen (ohne die Gegner zu überzeugen) die Seelen der Christen im Kampf mit dem Feind befestigen. Angesichts unserer geringen Kraft ist jedoch unsere jetzige Aufgabe vielmehr die, uns nicht von dem ablenken zu lassen, was einmal den Heiligen überliefert worden ist, sondern es standhaft festzuhalten. Darin bestand der Kampf der Gläubigen in Philadelphia: „Halte fest, was du hast“, sagt ihnen der Heilige und der Wahrhaftige (Off 3,11). Dazu ist nicht viel Kenntnis und Einsicht erforderlich; es bedarf dazu nur einer ganz einfachen Sache, der Liebe zu Christus, und diese kann der Unwissendste unter uns besitzen. Wenn der Herr den Ihm gebührenden Platz in unseren Herzen hat, werden wir gewiss den Sieg davontragen, denn Satan vermag nichts wider Ihn; und wir werden den den Heiligen überlieferten Glauben aufrechthalten, denn er hat nur Ihn zum Gegenstand.

Man sieht aus diesem Brief, dass zu der Zeit, in welcher der Apostel schrieb, die Trennung sich wohl schon innerlich in der Kirche vorbereitete, aber noch nicht vollzogen war. Sie trat erst nach dem Verschwinden des letzten Apostels ein; aber Judas sieht das, was kommen würde, voraus, kündigt es an und wendet sich, wie wir gesehen haben in der einfachsten und weitesten Bedeutung des Wortes, an die ganze Familie Gottes, damit nicht ein Christ seiner Pflicht ausweichen kann, wenn es sich darum handelt, die Angriffe auf den Glauben zurückzuweisen. Es ist zu beachten, dass der Zustand der Christen, an die der Apostel schrieb, bei weitem nicht dem entsprach, was er hätte sein sollen. Er sagt ihnen: „Ich will euch, die ihr einmal alles wusstet, erinnern“. Sie standen auf dem Punkt, diese einst wohlbekannten Dinge, die ihnen im Anfang überliefert worden waren, zu vergessen. Sie hatten die Salbung des Heiligen Geistes empfangen, durch die sie alles wussten; aber ihr Glaube war schwach geworden, ihre Gedanken hatten sich der Welt zugeneigt, und Judas fühlte das Bedürfnis, sie an das zu erinnern, was den Schauplatz betraf, auf den sie leider ihre Blicke warfen. So fühlte auch dar Apostel Petrus in seinem zweiten Brief das Bedürfnis, die eingeschlafenen Christen aufzuwecken, indem er ihnen diese Dinge ins Gedächtnis rief (2. Pet 1, 13). Und wir, die Gläubigen der Jetztzeit, meinen wir, es sei nicht an der Zeit, uns daran zu erinnern? Sind wir schon aus unserem Schlaf aufgewacht? Die Trompete hat längst zum Kampf gerufen. Wollen wir zögern, uns um die Fahne zu scharen, bis der Feind uns wehrlos überrascht und uns über den Haufen geworfen hat, zur Schmach unseres glorreichen Anführers? O möchten die Worte des Apostels in unsere Ohren dringen: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!“

Der zweite Teil des Judasbriefes (V. 5-16) beschreibt das Böse, das die letzten Tage kennzeichnet. Wenn ich euch, liebe Geschwister, diese Dinge vorstellen will, fühle ich lebhaft, dass das weder erfreulich noch erbaulich ist, aber zu gewissen Zeiten führt Gott uns an den Rand eines Abgrundes und fordert uns auf, einen Blick hineinzuwerfen. Dieser Blick ist sehr heilsam, wenn wir uns, wie einst Lot, durch das schöne Aussehen der Jordan-Ebene haben verführen lassen. Nur lasst uns daran denken, dass, wenn es sich darum handelt, dem Bösen zu widerstehen, nichts uns dazu fähig macht als die Beschäftigung mit dem Guten. Dabei drängt sich uns ganz von selbst die Überzeugung auf, dass „die ganze Waffenrüstung Gottes“ (Eph 6), die nötig ist, um an dem bösen Tage zu widerstehen, vor allem in einem guten Zustand unserer Seele besteht; davon hängt der Sieg ganz und gar ab. Worte allein tragen nicht den Sieg davon; dazu bedarf es eines Lebens, das Christus gewidmet ist und in Seiner Gemeinschaft gelebt wird.

„Denn gewisse Menschen haben sich neben eingeschlichen, die schon vorlängst zu diesem Gericht zuvor aufgezeichnet waren, Gottlose, welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesum Christum verleugnen“ (V. 4). Diese Menschen hatten sich unter die Gläubigen eingeschlichen, indem sie „verderbliche Sekten neben einführten“ (2. Pet 2,1). Aber das Wort offenbart uns in Bezug auf diese Menschen, dass sie vor alters, vorlängst schon, d. h. lange bevor sie wirklich hereingekommen sind, „zu diesem Gericht zuvor aufgezeichnet“ waren. Dieser Ausdruck bedeutet keineswegs, dass Gott sie zum ewigen Gericht zuvorbestimmt hat; das ist ein großer Irrtum, der einen Teil der Lehre Calvins ausmachte. Unsere Stelle will vielmehr sagen, dass Gott von diesen Bösen der Endzeit zuvor gesprochen und das Urteil, das auf ihnen ruhen sollte, schon vor alters angekündigt hatte, und dass sie infolgedessen verdammt werden. Als zum ersten Mal in dieser Welt ein Prophet (Henoch) erweckt wurde, kündigte er an, dass über die Bösen unserer Tage ein Strafurteil und in seiner Folge ein schreckliches Gericht kommen werde. O könnten ihnen nur beizeiten die Augen geöffnet werden, dass sie das Los, das sie bedroht, erfahren und den Abscheu erkennen, den Gott vor ihren Lehren hat, und den Er durch die Tatsache bewiesen hat, dass Er von Anbeginn der Welt an, vor der Flut schon, die heute gelehrten Grundsätze verurteilte!

Diese Menschen sind „Gottlose, welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen“. Zwei Charakterzüge des Bösen werden hier angedeutet, damit wir jene Menschen leicht erkennen können. Denn die Gottlosen, von denen der Apostel spricht, sind die Menschen unserer Tage, die nicht unter der Herrschaft des Gesetzes, sondern in dem Zeitalter der Gnade geboren sind. Aber was machen sie mit der Gnade? Sie verachten sie, lassen die sittlichen Verpflichtungen, die sie ihnen auferlegt, völlig unbeachtet und benutzen sie, um sich einer zügellosen Verderbtheit hinzugeben.

Das zweite Merkmal der Gottlosen ist, dass sie „unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen“. Dieser Ausdruck kommt mehrmals im Laufe dieses Briefes vor. Das Wort sagt hier nicht, dass die Gottlosen die Person Christi verleugnen, sondern dass sie Ihn als unseren alleinigen Gebieter und Herrn verleugnen. Sie wollen Seine Autorität nicht, und das ist das charakteristische Kennzeichen der Christenheit vor der endgültigen Offenbarung des Abfalls. Diese Menschen suchen die Autorität nur in sich selbst und in dem, was sie ihr Gewissen nennen. Das ist „die Gesetzlosigkeit“, von der Johannes in seinem ersten Brief (Kap. 3,4) spricht, der eigene Wille, oder die Abweisung eines jeden Gesetzes außer sich selbst, indem jeder sich selbst ein Gesetz ist. Die Rechte Christi werden so mit Füßen getreten. Sein Wort bildet nicht die Richtschnur. Jeder ist frei, es zu beurteilen, davon zu nehmen, was ihm gefällt, und zu verwerfen, was ihm nicht gefällt. Vergessen wir nicht, dass diese „Gottlosen“ in ihrem Bekenntnis oft der größten Bewunderung und der tiefsten Ehrerbietung für die Person Jesu Ausdruck geben, während sie zugleich die Herrschaft Christi verwerfen. Angesichts des Wortes, das Ihn offenbart, behalten sie sich das Recht und die Autorität vor, zu urteilen, was doch Gott allein zukommt. Ihre Religion ist also die Erhöhung des Menschen, und darin schreitet sie fort bis zu dem Tag, wo „der Mensch der Sünde sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei“ (2. Thes 2, 4).

Nachdem der Apostel so die beiden Charakterzüge der „Gottlosen“, das Verlassen der Gnade und die Verwerfung der Autorität des Herrn, gezeigt hat, geht er zu dem Gericht des Bösen über; aber zunächst stellt er fest, dass von Seiten Gottes dem Menschen kein Hilfsmittel gefehlt hat. Die Geschichte des Volkes Israel bezeugte das. Gott hatte das Volk durch die Erlösung aus Ägypten gerettet; warum war es denn in der Wüste vertilgt worden? Weil sie nicht geglaubt hatten; der Mangel an Glauben lag ihrem Gericht zugrunde, denn es gibt keine wirkliche Segnung, die nicht vom Glauben abhängt.

Wie bei Israel, so bildet auch bei der bekennenden Christenheit der Unglaube die Grundlage ihres Gerichts; aber vor allem will der Apostel den Abfall, die Folge dieses Unglaubens, und die Gerichte, die ihn treffen, kennzeichnen. „Gott“, sagt er, „hat Engel, die ihren ersten Zustand nicht bewahrt, sondern ihre eigene Behausung verlassen haben, zum Gericht des großen Tages mit ewigen Ketten unter der Finsternis verwahrt“ (V. 6). Das Aufgeben unseres ersten Zustandes, unter welcher Form es sich auch vollziehen möge, ist der Abfall. Der Apostel bezieht sich hier auf geheimnisvolle Ereignisse, die im 1. Buch Mose berichtet werden, und die das Wort in Dunkel versunken sein lässt, wie auch die gefallenen Engel, welche die Urheber dieser Verirrungen gewesen sind. Es kommt uns nicht zu, den Schleier zu lüften, aber was wir wissen, ist, dass das Gericht des großen Tages diese verderbten Geister treffen wird, wie die Strafe des ewigen Feuers die gottlosen Städte Sodom und Gomorra schon getroffen hat, die in der selben Weise wie jene gehandelt hatten (V. 7). Wir finden also hier zwei Arten von Gericht, das eine zukünftig, das andere unmittelbar und schon endgültig, das eine unter der Finsternis in Ketten, in Erwartung des göttlichen Gerichtsurteils, das andere gegenwärtig mittelst des Feuers, das ein ewiges Feuer ist.

Judas wendet sich nun zu den Bösen, die zu seiner Zeit lebten, und deren Charakter bis zum Endgericht immer deutlicher hervortritt. „Gleicherweise beflecken auch diese Träumer das Fleisch und verachten die Herrschaft und lästern Herrlichkeiten“ (V. 8). Er nennt sie Träumer, Leute, die nicht durch die Wahrheit geleitet werden, sondern durch eine Einbildungskraft, die keine Regel kennt. Sobald der Mensch das Wort Gottes aufgibt, hat er keinen Grund mehr, sich nicht unvernünftigen Geschwätzen und Fabeln hinzugeben. 1 Diese Träumer haben zwei bereits in Vers 4 erwähnte Kennzeichen: sie beflecken das Fleisch, verachten die Herrschaft und lästern Herrlichkeiten. Das Verachten der Herrschaft Christi hat zur schlimmen Folge ein beleidigendes Verhalten gegenüber den Herrlichkeiten (oder Würden, Gewalten), wogegen es dem Christen, der die Autorität des Herrn anerkennt, nicht schwer wird, sich der Herrschaft solcher, die von Ihm eingesetzt sind, zu unterwerfen. Diese Gewalten mögen blutdürstige Tyrannen oder Obrigkeiten ohne Sittlichkeit sein, aber der Gläubige wird sich ihnen unterwerfen, ausgenommen in den Dingen, wo der Gehorsam gegen Gott an die Stelle der Unterwürfigkeit tritt, die man den Menschen schuldig ist. Sogar Michael, der Erzengel, wagte nicht ein lästerndes Urteil über Satan zu fällen, als dieser sich des Leibes Moses bemächtigen wollte, ohne Zweifel um das Volk aufs Neue dadurch zum Götzendienst zu verführen.

Diese aber“, fährt der Apostel fort, „lästern was sie nicht kennen; was irgend sie aber von Natur wie die unvernünftigen Tiere verstehen, darin verderben sie sich“ (V. 10). Das Wort „diese“ nimmt einen sehr wichtigen Platz in diesem kurzen Briefe ein. Es bezeichnet die Menschen, die sich gegen Gott erheben von den Tagen Judas an, durch unsere Zeit hindurch, bis zu dem Augenblick der Ankunft des Herrn zum Gericht. Diese Menschen sind also in unseren Tagen da. Petrus spricht in seinem zweiten Briefe in derselben Weise von ihnen: „Diese aber, wie unvernünftige, natürliche Tiere, geschaffen zum Fang und Verderben, lästernd über das, was sie nicht wissen, werden auch in ihrem eigenen Verderben umkommen“ (Kap. 2,12). Mit welchen Ausdrücken der Verachtung behandelt der Geist Gottes diejenigen, deren Stolz sich gegen Gott zu erheben wagt, die sich brüsten mit ihrer Einsicht und sich auf die Stufe der unvernünftigen Tiere erniedrigen, indem sie meinen, der Mensch, der sich Gottes entledigt, könne verständig sein.

Der Apostel fügt hinzu: „Wehe ihnen!“ denn Gott muss sie verachten, und sie ziehen sich Sein Gericht zu. Der Herr hat manches Wehe über die Bewohner Jerusalems und die Städte von Galiläa ausgesprochen - wie die Propheten des Alten Testamentes über das jüdische Volk, und über die Nationen. Hier aber und in der Offenbarung (Kap. 8,13) ergeht das Wehe über die Christenheit und es ist ein schrecklicheres Wehe als alle früheren, weil den christlichen Völkern höhere Vorrechte verliehen worden sind als jenen.

Liebe Freunde! Fühlt ihr das Wehe, das auf der verchristlichten Welt ruht, in deren Mitte ihr zu leben berufen seid? Ist es euch zum Bewusstsein gekommen?

„Wehe ihnen! denn sie sind den Weg Kains gegangen und haben sich für Lohn dem Irrtum Balaams überliefert, und in dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen“ (V. 11). In diesem Verse finden wir drei Beispiele, die uns den Fortschritt des Bösen beschreiben, von seinen Anfängen bis zum Abfall - drei Schritte, die den Menschen zur schließlichen Empörung gegen Gott und gegen Christus führen.

Der erste Fall ist derjenige Kains. Die Religion Kains will nicht zugeben, dass der Fluch Gottes der Sünde wegen auf dem Menschen und auf der Welt ruht. Kain tritt vor Gott in der falschen Meinung, dass ein Sünder aus sich selbst seine Sache mit Ihm in Ordnung bringen könne; er bringt sein schönstes Getreide, die Frucht seiner Tätigkeit und seiner Anstrengungen, als ein Opfer Gott dar. Diese Religion, der Beginn des Abfalls, unterscheidet sich nicht von derjenigen der Menschen unserer Tage, denn von „diesen“ spricht der Apostel, wenn er sagt: „Sie sind den Weg Kains gegangen“. Ihre Religion besteht darin, durch ihre Werke ihre Sache mit Gott ins reine zu bringen. Unter Verachtung Seines ausdrücklichen Wortes nimmt diese Religion dem Gewissen den Gedanken an ein unvermeidliches Gericht. Doch das Beispiel Kains hat noch eine andere Bedeutung. Das treue Zeugnis Abels für die Rechtfertigung aus Glauben wird die Veranlassung zu dem Hass Kains gegen seinen Bruder, ein Bild des Hasses der Welt gegen die Gläubigen, wie auch des Hasses des jüdischen Volkes gegen Christus. Dieser Hass gegen den aus Gott Geborenen kennzeichnet besonders die letzten Zeiten im ganzen Buch der Offenbarung.

Wenn Kain den Zustand der gesamten religiösen Welt darstellt, so hat der Fall Bileams eine beschränktere Tragweite. Er stellt, wenn ich mich so ausdrücken darf, das kirchlich Böse dar. Wir wissen, was Bileam war: ein Prophet; nicht ein falscher Prophet, denn er hatte seine Gaben von Gott empfangen, aber, indem er sie mit götzendienerischen Gebräuchen verband, „ging er auf Wahrsagerei aus“. Er, der die Gedanken Gottes kannte, lehrte mit Wissen und Willen Irrtümer; und zu weichem Zweck? Für Lohn! Er wurde für seine Belehrung, die dazu bestimmt war, das Volk Gottes zu vernichten, bezahlt. dass Satan seine Hand dabei im Spiele hatte, machte für Bileam wenig aus, wenn er sich nur dadurch bereicherte. „Er liebte“, sagt Petrus, „den Lohn der Ungerechtigkeit.“ Die Offenbarung enthüllt uns einen zweiten Charakterzug Bileams, eine notwendige Entwicklung des ersteren. Sie spricht von der „Lehre Balaams, der den Balak lehrte, ein Ärgernis vor die Söhne Israels zu legen, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben“ (Kap. 2, 14). Sie teilt uns mit, was das 4. Buch Mose mit Stillschweigen übergeht, dass Bileam, als er sah, dass sein Lohn ihm entgehen sollte, dem Balak den Rat gab, Israel durch die Töchter Moabs zu verführen, um das Volk dahin zu bringen, sich vor dem Baal-Peor niederzuwerfen (4. Mose 25,1-4).

Wie traurig ist es, feststellen zu müssen, dass das Lehren des Irrtums gegen Lohn einer der Züge des Abfalls ist und zum Christentum unserer Tage gehört! Man sieht Menschen die Kanzel besteigen, welche die wichtigsten Glaubenswahrheiten leugnen und den Irrtum lehren, indem sie ihn in Worte kleiden, die geeignet und dazu bestimmt sind, die Einfältigen über das darin enthaltene Gift zu täuschen. Dieser Irrtum ist nicht etwas Zukünftiges, er begann schon in den Tagen Judas hervorzutreten. Er besteht heute, und das Wort Gottes spricht sein Wehe aus über die, welche ihn verbreiten.

Bei Korah finden wir gleichsam den letzten Schritt im Bösen: „In dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen“. Korah war ein Levit, der den Ehrgeiz hatte, die Würde Aarons im Hohepriestertum an sich zu reißen. Er wollte über das Volk Gottes herrschen, indem er sich eines Amtes bemächtigte, welches zu seiner Zeit dem Bruder Moses zuerteilt worden war und jetzt Christus verliehen ist. Wir lesen ferner im 4. Buch Mose, dass er sich mit den Rubenitern, Dathan und Abiram verbunden hatte, die sich gegen Mose erhoben und sich ausdrücklich weigerten, ihm zu gehorchen. Moses war zu seiner Zeit der wahre König in Israel (5. Mose 33,5). Heute ist dieser wahre König Christus; Ihm ist die Autorität von Seiten Gottes anvertraut. Korah, Dathan und Abiram verweigerten ihm den Gehorsam. Das ist das Bild der offenen Empörung gegen Christus, der letzte Charakterzug des Abfalls, der teilweise noch zukünftig ist. Der Tag ist nahe, wo die Christenheit nichts mehr von Ihm wissen will, weder als Priester, noch als König, noch als Gott. Sie wird den Vater und den Sohn leugnen. Dieser letzte Charakterzug, der Abfall Korahs, ist der schlimmste von allen. Man sieht an den Gerichten, die über diese verschiedenen Personen kommen, wie Gott ihre Taten einschätzt. Kain, von Gott verflucht, ist unstet und flüchtig auf der Erde; Bileam fällt durch das Schwert Israels mit den Königen von Midian; Korah und seine Genossen verschlingt die Erde, und sie fahren lebend in den Scheol hinab, als Vorläufer ihres letzten Vertreters, des Antichristen, den dasselbe Los im Feuersee ereilen wird.

Das ist, liebe Freunde, die Entwicklung der Grundsätze des Bösen. Es ist nötig, dass wir alle uns Rechenschaft darüber geben, was die Welt in Bezug auf Gott ist, sowie über das Los, das sie erwartet; und wenn wir das tun, so wird ihre Zukunft uns mit tiefem Mitleid erfüllen und, wie wir am Ende dieses Briefes sehen werden, mit einem brennenden Eifer, die zu ihr gehörenden Seelen zu retten. Aber andererseits werden wir ihre Freundschaft nicht suchen in dem Augenblick, da das Gericht über ihrem Haupt schwebt. Bei der Empörung Korahs sagt Moses zu dem Volk: „Weichet doch von den Zelten dieser gesetzlosen Männer!“ (4. Mose 16,26) Wäre wohl ein Israelit dem Wort Jehovas gehorsam gewesen, wenn er jenen Männern die Hand gedrückt und sich zu ihrem Freunde erklärt hätte? Hätte ein solcher Ungehorsam ihn nicht in die Gefahr gebracht, ihr Los zu teilen?

„Diese“, fährt der Apostel fort, „sind Flecken bei euren Liebesmahlen, indem sie ohne Furcht Festessen mit euch halten und sich selbst weiden; Wolken ohne Wasser, von Winden hingetrieben; spätherbstliche Bäume, fruchtleer, zweimal erstorben, entwurzelt; wilde Meereswogen, die ihre eigenen Schändlichkeiten ausschäumen; Irrsterne, denen das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit aufbewahrt ist“ (V. 12.13).

Alle diese Beispiele der Endzeit beziehen sich, gleich den ehemals aus dem Munde des Propheten Henoch hervorgegangenen Worten, auf „diese“, das heißt auf die Menschen der letzten Zeiten, und diese Zeiten sind für uns die, in denen wir leben. Der Apostel fügt seinem Gemälde einen allgemeinen Zug hinzu, der die heutige Welt in besonderer Weise kennzeichnet; es ist die beständige Unruhe und die rastlose Bewegung. Sie sind, sagt er, wasserlose Wolken, von Winden hingetrieben, wilde Meereswogen. Jesajas gibt demselben Gedanken Ausdruck in den Worten: „Die Gesetzlosen sind wie das aufgewühlte Meer; denn es kann nicht ruhig sein, und seine Wasser wühlen Schlamm und Kot auf“ (Jes 57,20). Wenn sie Wurzel zu fassen scheinen, so sind sie „zweimal erstorbene, entwurzelte Bäume“. Ja, die Welt unserer Tage macht das perpetuum mobile, die ewige Bewegung, zur Wirklichkeit, und ihr Lauf beschleunigt sich immer mehr. Gleich ihren Eisenbahnen, ihren Automobilen usw. rast sie dahin, dem Abgrund entgegen; sie fürchtet sich, in ihrem schwindelerregenden Lauf einen einzigen Augenblick dem Nachdenken zu widmen, um sich zu fragen, wohin es mit ihr geht. Ach! den Irrsternen gleich wird sie in der ewigen Finsternis verschwinden. Der Christ allein besitzt Ruhe in dieser Welt, weil seine Ruhe in Christus ist. Sein Herz und sein Gewissen haben auf den Felsen der Zeitalter, das ewige Fundament des Glaubens, gebaut.

Von „diesen“, den Menschen unserer Tage, hat auch Henoch, der siebente von Adam, geweissagt: „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten seiner heiligen Tausende, Gericht auszuführen wider alle und völlig zu überführen alle ihre Gottlosen von allen ihren Werken der Gottlosigkeit, die sie gottlos verübt haben, und von all den harten Worten, welche gottlose Sünder wider ihn geredet haben“ (V. 14.15). Henoch weissagte vor der Flut. Offenbar sah sein Prophetenauge das Gericht, das einige Jahrhunderte später über die Welt hereinbrechen sollte, aber er blickte viel weiter in die Zukunft. Seine Weissagung reicht durch die Jahrtausende hindurch bis in unsere Tage, denn sie redet zu uns von dem Kommen Christi zum Gericht mit Seinen heiligen Tausenden. Henoch erwartete nicht die Flut, durch die er nicht gegangen ist, sondern den Herrn. Auch ist seine Hoffnung in Erfüllung gegangen: er wurde entrückt, ohne durch den Tod zu gehen, und wird mit Christus wiedergebracht werden, wenn Er, von Seinen Heerscharen begleitet, kommen wird, um Seine Rache an den gottlosen Menschen unserer Tage auszuführen.

Nachdem der Apostel die Gottlosen in ihren Beziehungen zu Gott geschildert hat, betrachtet er noch ihren sittlichen Charakter. Diese Prüfung ist sehr wichtig, denn es ist eine alltägliche Erscheinung, dass, sobald man von dem schrecklichen Zustand der Gottlosen redet, Gutgesinnte uns erwidern: Es ist allerdings betrübend, dass jene Leute über diese Dinge anders denken als wir, aber es sind doch ehrbare Menschen, voll Eifer und Hingebung, tadellos in ihrem Verhalten usw. Drückt sich das Wort in gleicher Weise über sie aus? Hören wir, was es uns sagt: „Diese sind Murrende, mit ihrem Lose Unzufriedene, die nach ihren Lüsten wandeln; und ihr Mund redet stolze Worte, und vorteilshalber bewundern sie Personen“ (V. 16). „Mit ihrem Lose unzufrieden“ - ist es nicht tatsächlich das, was heutzutage die ohne Gott lebende Welt mehr und mehr kennzeichnet? Ein Schleier von Unzufriedenheit und bitterem Trübsinn breitet sich überall über die Geister aus; man sucht ihn durch eine fieberhafte Tätigkeit zu entfernen, aber es will nicht gelingen. Hat man je in der Welt einen glücklichen Menschen gefunden? Aber weiter: der Gedanke, dass andere erreicht haben was sie begehren, erzeugt Neid in ihrem Herzen: „Sie sind mit ihrem Lose unzufrieden“. Der Apostel fügt hinzu, dass sie „nach ihren Lüsten wandeln, während ihr Mund stolze Worte redet“. Die Prahlerei, die Selbstbefriedigung, das Pochen auf die Tugend gehen einher mit dem verborgenen Trachten nach Befriedigung der geheimen Lüste ihres Herzens. Ferner: „vorteilshalber bewundern sie Personen“. Ist das nicht der Brauch der Welt? Man zeigt Bewunderung für die anderen, man sagt ihnen angenehme Worte wegen des Vorteils, den die Schmeichelei einbringt.

Wir haben diese betrübende Aufzählung der Grundzüge des Bösen, die in unseren Tagen bereits in weitem Maße entwickelt sind, aber im Begriff stehen, sich in unwiderstehlicher Eile zu entfalten, bis zum Ende hin verfolgt. Es geht mit dem Abfall wie mit den Lawinen, die man auf den Bergen sich bilden sieht. Anfänglich sind es nur einige Stückchen Eis, die auf einem mit Schnee bedeckten Abhang dahin rollen. Diese Stückchen reißen andere mit sich fort, und schon im nächsten Augenblick eilt eine gewaltige Masse, ein reißender Strom, mit schwindelerregender Schnelligkeit voran und erdrückt auf seinem Wege alles, bis er das Tal mit seinen Trümmern anfüllt. Diesen moralischen Zusammenbruch hat die Welt jeden Augenblick zu erwarten.

Wir haben den gegenwärtigen Zustand der Christenheit und das Gericht, das sie sich zuzieht, gesehen. Jetzt wendet sich der Apostel an die Treuen, an alle Berufenen Jesu Christi, um sie zu ermahnen: „Ihr aber, Geliebte, gedenket an die von den Aposteln unseres Herrn Jesu Christi zuvor gesprochenen Worte“ (V. 17). Dieses Wort „ihr aber“ bezeichnet den Gegensatz zu „diese“. Euch alle, so viele ihr Kinder Gottes seid, belehrt hier der Heilige Geist darüber, was ihr zu tun habt und was euer Schutz ist angesichts des zunehmenden Bösen. Er führt euch zum Wort Gottes zurück, so wie es euch in dem Neuen Testament durch die Apostel unseres Herrn Jesu Christi überliefert worden ist. Der 2. Brief des Petrus, der dieselbe Ermahnung enthält, fügt dem Neuen Testament den Inhalt des Alten hinzu: „Damit ihr“, so heißt es dort, „gedenket der von den heiligen Propheten zuvor gesprochenen Worte und des Gebotes des Herrn und Heilandes durch eure Apostel“ (Kap. 3,2). Ebenso entspricht der 18. Vers unseres Briefes: „dass sie euch sagten, dass am Ende der Zeit Spötter sein werden, die nach ihren eigenen Lüsten der Gottlosigkeit wandeln“, dem in 2. Petrus 3,3 Gesagten: „Zuerst dieses wissend, dass in den letzten Tagen Spötter mit Spötterei kommen werden, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln“.

Wir haben uns daran zu erinnern, dass „am Ende der Zeit“ oder „in den letzten Tagen“ Spötter kommen werden. Ihr gegenwärtiges Auftreten beweist deutlich, dass wir bei den letzten Tagen angelangt sind. Diese Tatsache hat eine doppelte Wirkung. Einerseits fühlen wir eine große Erleichterung bei dem Gedanken, dass in kürzester Frist all dieses Böse aufhören wird und dass wir in die Herrlichkeit unseres Herrn Jesu Christi eingehen werden, andererseits aber ist die Feststellung dieser letzten Form des Bösen außerordentlich ernst und muss uns alle dahin bringen, auf der Hut zu sein.

Das 3. Kapitel des 2. Petrusbriefes gibt uns eine ins Einzelne gehende Beschreibung dieser Spötter: „Es werden Spötter mit Spötterei kommen, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an.“ Es sind nicht, wie man meinen könnte, Leute, die mit allem Scherz treiben und göttliche Dinge ins Lächerliche ziehen; diese Geistesrichtung war vor ungefähr hundert oder hundertfünfzig Jahren in der Mode. Die Spötter der letzten Tage sind ernsthafte Spötter, die das Wort Gottes im Namen der Wissenschaft und der Vernunft verwerfen und nur das für glaubwürdig halten, was sie sehen. Sie glauben an das ewige Bestehen der Materie, weil sie sich nicht geändert hat „von Anfang der Schöpfung an“. Wenn sie zuweilen Hochachtung für die Person Jesu Christi an den Tag legen, als einer geschichtlichen und urkundlich erwiesenen Persönlichkeit, so ist doch für sie Seine Laufbahn mit dem Tode beendigt. Sie verwerfen Seine Auferstehung und infolge dessen Seine Ankunft.

„Diese sind es, die sich absondern, natürliche Menschen, die den Geist nicht haben (V. 19). Als Judas schrieb, bestand die christliche Versammlung noch als ein Ganzes und enthielt Menschen, die sich absonderten. Vergesst nicht, teure Freunde, dass es zwei Arten der Absonderung gibt, deren eine von Gott gebilligt wird, während Er die andere verurteilt. Die erste ist die Absonderung von der Welt, wie geschrieben steht: „Darum gehet aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen; und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige“ (2. Kor 6,17.18). Die andere ist die Absonderung dieser „natürlichen Menschen, die den Geist nicht haben“, und zwar aus der Mitte der Christen. Sie hatten sich unter die Gläubigen eingeschlichen, ohne zu ihnen zu gehören, und bildeten in ihrer Mitte „verderbliche Sekten' , während sie an den Liebesmahlen teilnahmen und den Kreis, in dem sie sich eingedrängt hatten, und der sie nie hätte zulassen sollen, verdarben. Der 1. Johannesbrief zeigt uns einen zweiten Schritt in der Absonderung dieser Menschen: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wenn sie von uns gewesen wären, so würden sie wohl bei uns geblieben sein“ (1. Joh 2,19). Die Pflicht eines jeden Christen in der gegenwärtigen Zeit ist, von solchen Menschen abgesondert zu sein - sie weder in den Versammlungen der Gläubigen zuzulassen, noch sich auf dem Boden, auf dem sie stehen, mit ihnen zu verbinden. Aber wird so gehandelt? Ach! der schädliche Einfluss der „natürlichen Menschen, die den Geist nicht haben“, wird heute inmitten der bekennenden Christenheit geduldet und zugelassen!

Nachdem das Wort Gottes uns gewarnt hat, ermahnt es uns und zählt unsere Hilfsquellen gegenüber dieser Sachlage auf. Wir finden hier wieder die kostbare Wahrheit, von der wir bereits gesprochen haben, dass Gott inmitten einer im Verfall befindlichen Christenheit durch die Seinigen völlig verherrlicht werden kann. „Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geiste ...“ (V. 20). Die erste Ermahnung ist, uns zu erbauen auf unseren allerheiligsten Glauben, auf das, was „den Heiligen einmal überliefert“ worden ist (V. 3). Es ist klar, dass das, was sich in unseren Herzen vorfindet, ein armseliges Fundament ist, auf dem wir uns nicht erbauen können. Dagegen ist dieser Glaube die christliche Lehre, die in dem uns anvertrauten Wort enthalten ist, ein allerheiligster Glaube, weil der Herr uns mittelst desselben gänzlich von der Welt für Sich absondern will. „Heilige sie durch die Wahrheit“, sagt Jesus, „dein Wort ist Wahrheit.“ Das ist unser erstes Hilfsmittel, um den Herrn zu verherrlichen.

Die zweite Ermahnung ist: „betend im Heiligen Geiste“. Wenn Gott uns für sich heiligt oder absondert durch Sein Wort, die Heiligen Schriften, so tut Er es auch durch das Gebet. Es drückt unsere Abhängigkeit von Gott aus. Durch das Gebet nahen wir Ihm und stellen Ihm unsere Bedürfnisse vor. So treten wir in unserem täglichen Leben in unmittelbare Beziehung zu Ihm; jedoch kann das Gebet nur dann wirksam sein, wenn es im Heiligen Geist geschieht. Auf diese Weise werden wir geheiligt, für Gott abgesondert, zunächst durch das Wort, dann durch die beständige Ausübung des Gebets.

Die dritte Ermahnung: „erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes“, ist von der höchsten Bedeutung. Der Heilige Geist hat diese Liebe in unsere Herzen ausgegossen, und wir sollen uns darin erhalten, indem wir darüber wachen, dass wir nicht das Geringste in unsere Herzen sich eindrängen lassen, was den Genuss dieser Liebe stören könnte.

Die vierte Ermahnung lautet: „erwartend die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesu Christi zum ewigen Leben“ (V. 21). So enthält diese ganze Stelle die drei Charakterzüge des Kindes Gottes, die im Neuen Testament so oft erwähnt werden: Glaube, Liebe und Hoffnung. Die letzte ist ebenso wichtig wie die beiden anderen; sie erwartet das ewige Leben, in das nur die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesu Christi uns einführen kann. Das ewige Leben ist hier nicht, wie in den Schriften des Johannes, das was der Christ besitzt, sondern das, worin er eintreten wird, während er es hienieden nur unvollkommen genießt. - Lasst uns auch beachten, dass in diesen beiden Versen unsere Hilfsmittel in unseren Beziehungen zu dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geist bestehen.

Doch wir haben als Christen auch Pflichten gegenüber denen, die streiten, und Pflichten gegenüber unseren Brüdern: „Und die einen, welche streiten, weiset zurecht, die anderen aber rettet mit Furcht, sie aus dem Feuer reißend, indem ihr sogar das von dem Fleische befleckte Kleid hasset“ (V. 22.23). Was die Spötter betrifft, die streiten, wie einst Satan, ihr Meister, mit dem Erzengel Michael stritt, so haben wir sie, gleich diesem, mit den Worten zurechtzuweisen: „Der Herr schelte dich!“ Es ist unnütz, sie zu überzeugen zu suchen. Wir leben gewissermaßen schon in der Zeit, von der gesagt wird: „Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch“ (Off 22,11). Wir müssen sie sich selbst überlassen. Aber die Seelen unserer Brüder können durch diese Streitenden verführt werden, sowie durch ihre falschen Lehren, die das Wort Gottes und die Person des Heilandes angreifen. Was haben wir für sie zu tun? Wir sollen sie mit Furcht retten, indem wir sie aus dem Feuer reißen. Ein Christ hat den Zustand der Namenchristenheit mit einem Hause verglichen, das in Brand geraten ist. Man muss die Bewohner um jeden Preis herausreißen, auf Gefahr des eigenen Lebens; keine Anstrengung darf uns zu viel sein, uns, die wir das Lösegeld dieser Seelen kennen. Es ist nötig, dass sie sich über die Gefahr, die ihnen droht, Rechenschaft geben. Retten wir sie mit Furcht! Das ist unser Hauptzweck, indem wir diesen ernsten Mahnruf an die Christen richten.

Was uns betrifft, so lasst uns, wenn wir anderen von Nutzen sein wollen, lernen, „sogar das von dem Fleisch befleckte Kleid zu hassen“, das ist jede Gemeinschaft zu vermeiden mit einem Bekenntnis (wovon das Kleid immer ein Bild ist), ja, mit einem unreinen Bekenntnis, von dem dieser Brief redet, und das er die Befleckung des Fleisches nennt (vgl. Off 3,4). So fügt auch der Apostel Paulus in seinem 2. Brief an die Korinther, nachdem er von der Pflicht gesprochen hat, als Familie Gottes von der Weit getrennt zu sein, betreffs unseres persönlichen Zeugnisses hinzu: „Lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes“ (Kap. 7,1).

Gott wolle allen Seinen geliebten Kindern geben, dass sie diese Dinge verwirklichen und dass jeder sich fragt: Trägst du die in diesem Briefe anbefohlenen Charakterzüge angesichts der jetzigen Zeit zur Schau? Wenn wir auf diese Frage nicht mit einem bestimmten Ja antworten können, sollten wir uns dann nicht tief demütigen, weil wir so wenig das offenbaren, was der Herr von uns erwartet?

Doch wenn wir es nicht verstanden haben, uns vor den uns umgebenden schädlichen Einflüssen zu bewahren, so haben wir noch eine Hilfsquelle: Gott bleibt uns. Er allein ist imstande, uns zu bewahren. Lasst uns Vertrauen zu Ihm haben, denn, nicht wahr, auf uns selbst können wir nicht vertrauen. „Dem aber, der euch ohne Straucheln zu bewahren und vor seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen vermag mit Frohlocken …“ (V. 24). Ist es nicht wunderbar, dass dieser Brief, der vor unseren Augen ein Bild von der unaufhaltsamen Entfaltung des Bösen in den letzten Tagen entrollt, uns zugleich die Möglichkeit zeigt, auf einem mit Hindernissen und Schlingen besäten Weg vor jedem falschen Schritt bewahrt zu bleiben? Er ermutigt uns durch die Gewissheit, dass Gott imstande ist, das völlig zu vollenden, was wir unfähig sind zu tun, und uns für die Ewigkeit vor Seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen mit Frohlocken. Welch eine Ermunterung liegt in diesen Worten! Wie köstlich ist es, dass sie für die gegenwärtige Zeit an uns gerichtet sind und nicht für eine Zeit, in der alles verhältnismäßig in Ordnung war! Wie gut, dass wir uns sagen können: Gottes Macht hat sich nicht verändert! Sie lässt sich nicht durch die Umstände verringern und verherrlicht sich umso mehr, je mehr sie sich in einer Zeit der sittlichen Verwüstung und des Verfalls entfaltet. Je größer der Abfall wird, desto notwendiger ist es, kein Vertrauen auf uns selbst zu haben, sondern uns auf Den zu stützen, der uns bewahren und in den ewigen Genuss Seiner Herrlichkeit einführen will.

„Dem alleinigen Gott, unserem Heilande, durch Jesum Christum, unseren Herrn, sei Herrlichkeit, Majestät, Macht und Gewalt vor aller Zeit und jetzt und in alle Ewigkeit! Amen“ (V. 25). Man wird keinen Brief im Neuen Testament finden, in dem das Lob des Heiland-Gottes so reich überströmt wie in diesem kurzen Briefe des Judas. Nicht nur kann unser Wandel in diesen bösen Zeiten zur Verherrlichung Gottes sein, sondern wir werden Seine Herrlichkeit umso höher schätzen, je schwieriger die Umstände sind, in denen wir uns befinden. Die Tatsache allein, dass wir an dem Namen unseres Herrn Jesu Christi festhalten und Ihn nicht verleugnen, während Er von allen Seiten angegriffen wird, befähigt uns, diese Herrlichkeit zu verstehen und zu rühmen, und gibt uns den Vorgeschmack von der großen himmlischen Versammlung, wo ähnliche Worte, wie hier, um den Thron her ausgesprochen werden: „Du bist würdig, o unser Herr und unser Gott, zu nehmen die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht“ (Off 4,11). „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung.“ „Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamme die Segnung und die Ehre und die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Kap. 5,12.13).

Geliebte Geschwister, Gott gebe uns, dass wir diese Dinge zu Herzen nehmen, dass wir uns keiner Täuschung hingeben über den Charakter der Tage, in denen wir leben, und dass wir die Ermahnungen dieses Briefes wohl beachten! Dann werden wir, anstatt eine sträfliche Gleichgültigkeit bezüglich des Bösen an den Tag zu legen oder uns entmutigen zu lassen, von Kraft zu Kraft gehen; wir werden die Macht Gottes, und zwar ganz nahe, uns zur Seite haben, die uns führt, uns stützt und uns vor Straucheln bewahrt bis zu der herrlichen Ankunft unseres Herrn Jesu Christi!

Fußnoten

  • 1 Ist es nicht auffallend, zu sehen, dass in diesem kurzen Brief Gott den Träu­mereien der Menschen mehrere Offenbarungen gegenüberstellt, die sonst nirgendwo erwähnt werden, wie um zu zeigen, dass allein das, was in dem Rahmen der Schriften enthalten ist, Wert hat?