Fehlerhafte Pflanzenkunde in der Bibel? – Das Senfkorn

Bibelstelle(n): Matthäus 13,31.32; Markus 4,31.32

„Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel ist gleich einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte, das zwar kleiner ist als alle Samenkörner, aber wenn es gewachsen ist, ist es größer als die Kräuter und wird ein Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und sich niederlassen in seinen Zweigen“ (Matthäus 13,31.32).

„Es ist wie ein Senfkorn, das, wenn es auf die Erde gesät wird, kleiner ist als alle Samenkörner, die auf der Erde sind; und wenn es gesät ist, schießt es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, so dass sich unter seinem Schatten die Vögel des Himmels niederlassen können“ (Markus 4,31.32).

Unter der Rubrik „Fehlerhafte Pflanzenkunde in der Bibel?“ ist dieser scheinbare Fehler eines der beliebtesten Argumente gegen die Glaubwürdigkeit der Bibel auf atheistischen Homepages. Mit folgenden Begründungen:

  • Es gibt kleinere Samenkörner auf der Erde – wie z. B. die Orchideensamen.
  • Die Senfpflanze überragt nicht alle anderen Pflanzen.
  • Bei der Senfpflanze handelt es sich nicht um einen Baum.

Natürlich ist das Senfkorn mit einem Durchmesser von etwa 1 mm nicht das kleinste Samenkorn, das es auf der Erde gibt. Aber behauptet das Neue Testament das überhaupt? Im Nahen Osten kommt Senf wild und kultiviert vor. Dort wachsen verschiedene Senfarten: Weißer Senf (Sinapis alba, Wuchs höhe bis 120cm) und Schwarzer Senf (Brassica nigra, Wuchshöhe bis 200 cm, seltener 300 cm)[1]. In den Evangelien wird davon gesprochen, dass dieser Samen auf einen Acker und sogar in den Garten[2] gesät wird. Damit ist sehr wahrscheinlich, dass über die kultivierte Form gesprochen wird und damit die Größe des Senfkorns nur mit Samenkörner anderer kultivierter Pflanzen verglichen wird, die damals auf der Erde benutzt wurden und auf Äckern oder in Gärten ausgesät wurden. Und in der Tat ist das Senfkorn zwar nicht der absolut kleinste Same, aber doch wesentlich kleiner als Getreidekörner und Samen anderer kultivierter Pflanzen.

Der Ausdruck „die auf der Erde sind“, heißt nicht, dass hier die Größe des Senfkorns mit allen anderen Samen weltweit verglichen wird. Der griechisch Ausdruck für Erde () bedeutet überhaupt nicht nur Erde im Sinn von weltweit. Es kann auch Erdboden (um Samen aufzunehmen) oder Land im territorialen Sinn bedeuten[3]. Den Samen des Senfkorns mit allen anderen Samen weltweit zu vergleichen ist eine reine Interpretationsfrage und kaum haltbar. Der Textzusammenhang macht klar, dass es sich ausschließlich um Saatgut handelt, das gezielt gesät wird auf Äcker oder Gärten im Gebiet in und um Israel.

Der oft angeführte Vergleich mit Orchideensamen ist aus einem anderen Grund fragwürdig. Diese Pflanze besitzt Hunderttausende bis Millionen von Samen in einer Samenkapsel. Diese besitzen aber wegen ihrer äußerst geringen Größe nur noch eine Hülle und den darin liegenden Embryo. Im Gegensatz zu anderen Samen fehlt ihnen das Nährgewebe (Endosperm). Das ist aber für eine Keimung unbedingt nötig. Orchideen sind deshalb auf eine Lebensgemeinschaft (Symbiose) mit Pilzen angewiesen. Sobald der gewachsene Keimling in der Lage ist, Photosynthese zu betreiben, benötigt er in der Regel[4] den Pilz nicht mehr. Biologisch gesehen liegt hier eine völlig andere Samenfamilie vor, die zum Wachstum nicht einfach auf ein Feld gesät werden kann und dann wächst. Außerdem gibt es bis heute keinen Hinweis, dass die Orchidee in Israel existierte.

Noch im 19. Jahrhundert wurden Senfpflanzen auf Feldern angebaut. Sie erreichten Wuchshöhen von mehr als 250 cm und Stängeldurchmesser von mehr als 10 cm[5]. Das waren in der Tat baumartige Gewächse, in denen sich kleinere Vögel niederlassen konnten. Das griechische Wort für Baum (dendron) wurde in der Antike nicht nur für Bäume benutzt, wie sie nach der heutigen Botanik definiert werden.[6] Das beste Beispiel ist der Rhododendron. Die Griechen verstanden darunter nicht den heutigen Rhododendron, sondern den Oleander. Der Oleander aber ist meistens ein Strauch, der wie der schwarze Senf bis zu 300 cm hoch wachsen kann. Der Begriff „Baum“ (griechisch dendron) wurde damals wohl mehr nach dem äußeren Erscheinungsbild der Pflanze geprägt als nach ihrer botanischen Klassifikation.

Die oben erwähnten Bibelverse entstammen alle einem Gleichnis. Diese Form der Erzählung stellt etwas bildlich dar und ist eine irdische Geschichte mit einer geistlichen Bedeutung. Der Vergleichspunkt liegt dabei nicht in den einzelnen Gegenständen, Pflanzen, Tieren oder Menschen, sondern in der Gesamtaussage. Daher geht es dort auch nicht um wissenschaftliche Exaktheit, sondern bestimmte Einzelheiten werden so betont, dass eine klare geistliche Anwendung entsteht. Dieses Gleichnis soll zeigen, was sich aus kleinsten Anfängen entwickeln kann: „... aber wenn es gewachsen ist, ist es größer als die Kräuter und wird ein Baum“ (Matthäus 13,32). Das Reich Gottes begann als etwas Kleines in der Welt, das sich dann zu einem großen System auf der Erde entwickeln würde, das anderen Schutz und Obdach geben würde, sogar den Feinden des Christentums. Das war unerwartet und deshalb ist die Senfpflanze in diesem Gleichnis auf wunderbare Weise zu einem Baum geworden. In der Bibel ist der Baum oft ein Bild von einer großen Macht (Hesekiel 31,3; Daniel 4,7ff) oder von Menschen. Dieses Gleichnis ist nicht geschrieben, um uns Biologiewissen zu vermitteln, sondern um uns zu warnen.


Online seit dem 15.03.2017. Zuletzt bearbeitet am 21.02.2022.