Ein Volk für seinen Namen (Apg. 11-13)

Herodes - Feind des Evangeliums

Ein Volk für seinen Namen (Apg. 11-13)

Das zwölfte Kapitel der Apostelgeschichte, dem wir uns jetzt zuwenden wollen, trägt den Charakter einer Einschaltung. Das wird klarer erkennbar, wenn wir das Ende von Kapitel 11 mit dem Anfang von Kapitel 13 verbinden.

Kapitel 11 zeigte uns in der zweiten Hälfte die Entstehung der Versammlung in Antiochien. Sie sollte nach den Gedanken Gottes zum Ausgangspunkt des Christentums in der heidnischen Welt werden. Diese Linie wird dann in Kapitel 13 direkt fortgesetzt. Mit Kapitel 13 beginnt tatsächlich ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Versammlung Gottes auf der Erde und damit auch ein neuer Abschnitt im Buch der Apostelgeschichte.

Dazwischen aber, in Kapitel 12, wechselt die Szene noch einmal von Antiochien nach Jerusalem. Hatte Gott die Gläubigen in Jerusalem vergessen, nur weil Er die Schleusen Seiner Gnade nun auch den Nationen öffnete? Keineswegs! Und so sehen wir, wie Er in Seiner Vorsehung den in ernste Not geratenen und verfolgten Gläubigen in Jerusalem auf wunderbare Weise zu Hilfe kam und sie errettete. Er wirkte für sie. Das ist es, was wir hier lernen dürfen. Grundsätzlich tut Er das ja auch für uns heute, wenn Er sich dabei auch in aller Regel nicht so spektakulärer (Aufsehen erregender) Mittel bedient wie damals zuAnfang.

Tod und Gefängnis

Das vor uns liegende zwölfte Kapitel ist höchst interessant und belehrend. Zum einen schon deswegen, weil es neben der historischen eine übertragene (prophetische) Bedeutung hat und uns endzeitgeschichtliche Ereignisse vorbildet.

Zum anderen sehen wir die frühe Kirche (Versammlung) in einer besonderen, noch nicht erlebten Weise in Aktivität. Dabei treffen wir im Verlauf der Berichterstattung auf eine ganze Reihe von Personen; manche von ihnen begegnen uns im Neuen Testament hier zum ersten, manche von ihnen auch zum letzten Mal. Das Kapitel beginnt mit Herodes, und es endet mit ihm. Dann wird zweimal die Versammlung genannt, einmal werden die Brüder erwähnt. An einzelnen Gläubigen kommen Jakobusund Petrus vor uns, dann auch Maria und Johannes und Rhode und ein weiterer Jakobus. Ganz am Schluss finden wir dann noch einmal Barnabas und Saulus zusammen mit Johannes. Jede dieser Persönlichkeiten hat ihre eigene Geschichte, die uns aber nicht in jedem Fall mitgeteilt wird. Aber was uns im Einzelfall berichtet wird, ist geeignet, unsere ganze Aufmerksamkeit zu fesseln.

Herodes Agrippa

„Um jene Zeit aber legte Herodes, der König, die Hände an einige derer von der Versammlung, um sie zu misshandeln; er ließ aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert töten“ (Kap. 12,1.2).

Es handelt sich hier um Herodes Agrippa I, Sohn des Aristobulus, Enkel Herodes des Großen (Kindermord von Bethlehem). Er war der Vater Agrippas II, der in Kapitel 26 eingeführt wird und vor dem Paulus in Cäsarea stand. Als Claudius den ermordeten Caligula ablöste und 41 n. Chr. den Kaiserthron des Römischen Reiches bestieg, machte er unmittelbar darauf Herodes Agrippa zum König über ganz Palästina. So herrschte für kurze Zeit (für drei Jahre) nach Herodes dem Großen tatsächlich noch einmal ein König über Judäa. Wir werden auf diesen bemerkenswerten Umstand weiter unten erneut zu sprechen kommen. Wenn Herodes nicht gerade (unter großem Pomp) in Rom weilte, residierte er für gewöhnlich in Jerusalem. So bestätigt die profane Geschichte, was Gottes Wort von diesem Herrscher im jüdischen Land sagt: „Herodes, der König.“

Die Geschichte beschreibt ihn im Gegensatz zu seinem Großvater nicht als tyrannisch, sondern eher als gemäßigt, wohl aber als verräterisch, oberflächlich und extravagant (überspannt). Er liebte es, sich volkstümlich zu geben, und seit seiner Einsetzung als König buhlte er um die Gunst der Juden, besonders der engstirnigen Pharisäer, und spielte so die Rolle eines eifrigen Verfechters jüdischen Glaubens und jüdischer Gebräuche. Diese Sucht nach Popularität bei den Juden tritt auch in unserem Text deutlich hervor, und sie ist, gepaart mit der Feindschaft gegen das Christentum, die eigentliche Ursache oder Triebfeder für das Vorgehen dieses Königs.

Wenn er also an einige derer von der Versammlung die Hände legte, um sie zu misshandeln, so tat er das nicht so sehr aus eigenem Antrieb, sondern um den Juden zu gefallen. Pilatus hatte sich seinerzeit in derselben Schlinge verfangen, als er Jesus, den König der Juden, in die Hand Seiner Feinde überlieferte, damit Er gekreuzigt würde (Mk 15,15).

Das gewaltsame Vorgehen gegen die Christen scheint seinen Anfang ziemlich plötzlich genommen zu haben. Und wenn Lukas nur von „einigen“ spricht, ohne zu sagen, um wen es sich handelte, so scheint das darauf hinzudeuten, dass Herodes seine Opfer sorgfältig auswählte, vielleicht bekanntere Christen auswählte, um so größeren Eindruck bei den Juden zu erwecken. In welcher Weise die Jünger des Herrn misshandelt und ob sie gegeißelt wurden, wird nicht mitgeteilt. Doch scheinen diese ersten Opfer dem Tod entgangen zu sein.

Anders war es bei Jakobus. Ihn ließ Herodes kurzerhand mit dem Schwert töten. Das war solch ein prominentes Opfer, das sich der König besonders ausgesucht hatte. Warum gerade Jakobus? Wir wissen es nicht. Vielleicht war er der einzige Apostel, der zu jener Zeit in Jerusalem weilte. Der 17. Vers unseres Kapitels scheint anzudeuten, dass die übrigen Apostel Jerusalem verlassen hatten.

Bild vom Antichristen

Bevor wir noch etwas näher auf Jakobus und seinen Tod eingehen, möchte ich an dieser Stelle kurz die prophetische Bedeutung dieser Vorgänge und der Person des Königs beleuchten. Beginnen wir mit Letzterem.

Dieser kaltherzige König herrschte über das Volk der Juden, empfing aber sein Königtum aus der Hand des römischen Fürsten. Geradeso wird es sich einmal mit dem Antichristen verhalten, auf den Herodes ein Vorbild ist. Auch er wird König über das Volk der Juden sein (Dan 11,36 ff) und wird seine ganze Gewalt vor dem römischen Fürsten (dem ›ersten Tier‹ von Offenbarung 13) ausüben (Off 13,11.12).

Und so wie Herodes den gläubigen Überrest in Judäa verfolgte und zum Teil mit dem Schwert tötete, so wird auch nach der Entrückung der Versammlung eine Zeit großer Drangsal über das jüdische Volk kommen. Treue jüdische Menschen werden dabei den Märtyrertod erleiden (dargestellt in Jakobus), während andere (wie Petrus) auf wunderbare Weise Errettung erfahren werden. Die Befreiung des Apostels der Beschneidung aus dem Gefängnis durch einen Engel unterstreicht den jüdischen Charakter der Szene.

Die christliche Epoche dagegen ist nicht durch direkte Intervention von Engeln charakterisiert. Als Paulus, der Apostel der Nationen, am Ende der Apostelgeschichte ebenfalls im Gefängnis war, wurde kein Engel von Gott gesandt, um ihn zu befreien. Vielmehr haben seitdem ungezählte christliche Märtyrer ihre Treue zu ihrem Erlöser mit dem Leben bezahlt, ohne dass eine göttliche Macht zu ihrer Errettung eingeschritten wäre. Heute „erscheinen“ Engel nicht mehr, obwohl sie zu Gunsten der Kinder Gottes jetzt noch genauso wirksam sind wie in den Tagen des Anfangs (Heb 1, 14). Die äußere Offenbarung der Macht Gottes jedoch wurde nur im Anfang zur Bestätigung des Wortes Gottes gegeben, als es neu war; sie kann sich nicht wiederholen. Deswegen fehlen auch die Wundergaben in Epheser 4; denn dort werden uns die grundlegenden Gaben (Apostel und Propheten) und die bleibenden Gaben (Evangelisten, Hirten, Lehrer) vorgestellt.

So ist es entscheidend wichtig, die zukünftige jüdische Epoche von der heutigen christlichen zu unterscheiden.

Was aber wird das Ende des großen Widersachers sein? Es wird dem Schicksal des Königs Herodes gleichen, das am Ende unseres Kapitels beschrieben wird. Hier war es ein Engel des Herrn, der den König wegen seines Hochmuts schlug. Dann wird es der Herr selbst sein, der der grenzenlosen Anmaßung des Menschen der Sünde ein plötzliches Ende setzen und ihn durch den Hauch Seines Mundes verzehren wird (2. Thes 2,8).

Es ergreift uns tiefer Ernst, wenn wir über die hier angedeuteten schicksalsschweren Vorgänge der Endzeit nachdenken und uns bewusst werden, dass Gott einmal das Gericht über alles Hoffärtige bringen wird (Hiob 40,11; Jes 2,12). Auch werden wir umso dankbarer dafür, dass heute noch die Zeit der Gnade andauert, in der man sich zum Herrn bekehren kann. Denn auch für die ungläubige Christenheit wird einmal eine Zeit kommen, da die Menschen nicht mehr an die Wahrheit glauben können, sondern der Lüge glauben müssen und „verloren gehen, darum, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden“ (2. Thes 2,10ff).

Jakobus

Wer war Jakobus? Da es mehrere gläubige Männer dieses Namens gibt, kann man auch fragen: Um welchen Jakobus handelt es sich? Der Zusatz „Bruder des Johannes“ gibt darauf eine eindeutige Antwort. Es handelt sich demnach nicht – um nur eineMöglichkeit auszuschließen – um Jakobus, den Bruder des Herrn (Brief des Jakobus), sondern um den Apostel Jakobus, den Sohn des Zebedäus (Mt 4,21; 10,2).

Über ihn wissen wir recht wenig. Er hatte zu Lebzeiten des Herrn Jesus neben Petrus und Johannes zu den bevorzugten Jüngern gehört, die Ihn bei besonderen Gelegenheiten begleiten durften.

Nur diesen Dreien von den Zwölfen gestattete der Herr, bei der Auferweckung der Tochter des Jairus zugegen zu sein (Mk 5,37; Lk 8,51). Diese Drei allein durften Ihn auf dem heiligen Berg in Seiner amtlichen Herrlichkeit sehen (Lk 9,28 ff). Und nur diesen drei Jüngern wurde es gewährt, im Garten Gethsemane dem Herrn sehr nahe zu sein; denn nur sie „nahm er mit sich“, nur sie vernahmen die bestürzenden Worte aus Seinem Mund: „Meine Seele ist sehr betrübt bis zum Tod ...“ (Mt 26,37.38; Mk 14,33.34). Jakobus war von alledem ein Zeuge gewesen.

Dann wird uns sein Name noch in Verbindung mit dem Ansinnen seiner und des Johannes Mutter erwähnt, wie sie mit ihren beiden Söhnen zu Jesus kam und für sie um einen besonderen Ehrenplatz in Seinem Reich bat (Mt 20,20.21). „Ihr wisst nicht, was ihr erbittet“, hatte der Herr geantwortet und sie gefragt, ob sie denn den Kelch trinken könnten, den zu trinken Er im Begriff stand. Man hätte eine verneinende Antwort erwartet, sie aber sagten: „Wir können es.“ Offenbar hatte der Herr von Seinem Sühnungstod gesprochen, den nur Er allein erdulden konnte. Aber dann ging Er in Seiner Gnade auf ihren Gedankengang ein und fuhr fort: „Meinen Kelch werdet ihr zwar trinken ...“ Ja, auch sie würden um ihres Zeugnisses für Ihn willen eines gewaltsamen Todes sterben. Das mochten die Jünger damals noch nicht verstanden haben. Aber jetzt – zur Zeit von Apostelgeschichte 12 – hatte die prophetische Ankündigung des Herrn ihre erste Erfüllung gefunden.

Gerade Jakobus, der nach dem Willen seiner Mutter einen bevorzugten Platz im Reich des Herrn haben sollte, war der Erste, der aus dem Kreis der Apostel herausgebrochen wurde und den Märtyrertod erlitt. Und ist es nicht bemerkenswert, dass der andere der beiden, Johannes, alle anderen Apostel überleben und in einem bestimmten Sinn „bleiben“ sollte? „Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?“

Über die näheren Umstände des Todes des Jakobus gibt die Schrift kaum Auskunft. Das ist typisch für die Schreibweise des Geistes Gottes in der Heiligen Schrift. Er befriedigt nicht rein menschliches Interesse, menschliche Neugier und Sensationslust. Er malt nicht gewisse leidvolle Szenen aus, wie wir Menschen das tun, um Mitleid zu erregen. So wird auch die Kreuzigung des Herrn in den Evangelien oft nur in einem Nebensatz erwähnt: „Als sie ihn aber gekreuzigt hatten …“ und: „… wo sie ihn kreuzigten.“

Zudem ist der Tod für den Gläubigen ein besiegter Feind (1. Kor 15,55), ist nur ein „Pförtner“, der das Tor zum Paradies auftut. Es ist so, als lohne es sich nicht, darüber viel zu sprechen. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass der Apostel Jakobus der einzige der Apostel ist, von dessen Tod das Neue Testament überhaupt einen geschichtlichen Bericht gibt.

Wenn Jakobus „mit dem Schwert“ getötet wurde, so bedeutet das, dass er enthauptet wurde. Johannes dem Täufer war einst – durch einen anderen Herodes, Herodes Antipas – dasselbe Los zuteilgeworden (Mt 14,1/f). – Im Ganzen kommen vier weltliche Gewalthaber (Könige) mit Namen Herodes im Neuen Testament vor. Im Verlauf unserer Betrachtung über die ersten beiden Verse unseres Kapitels wurden nun alle vier erwähnt. Mindestens drei von ihnen sind Vorbilder auf den Antichristen.

Die Gefangensetzung des Petrus

„Als er aber sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort, auch Petrus festzunehmen (es waren aber die Tage der ungesäuerten Brote). Den setzte er auch, nachdem er ihn ergriffen hatte, ins Gefängnis und überlieferte ihn zur Bewachung an vier Abteilungen von je vier Soldaten, da er gewillt war, ihn nach dem Passah dem Volk vorzuführen“ (Apg 12,3.4).

Wenn nun Herodes mit seinen feindseligen Aktionen „fortfuhr“, so wird dafür auch ein Grund genannt: Er sah, dass er sich damit bei den Juden Freunde machen konnte; es „gefiel“ ihnen. Welch ein elender, trügerischer Ratgeber ist Gefallsucht!

Aber der König mochte sich in seinem Tun auch dadurch bestärkt fühlen, als er bisher durch keine überirdische Macht an der Ausführung seines mörderischen Plans gehindert worden war. Sicher war ihm nicht unbekannt geblieben, wie „unverwundbar“ die Apostel gewesen waren, als sie schon einmal in öffentlichen Gewahrsam gesetzt worden waren und trotz aller Bewachung tags darauf frei im Tempel umhergingen und das Volk lehrten (Kap. 5,18 ff). Was jedoch Jakobus anging, so war der Herr in seinem Fall tatsächlich in keiner Weise ins Mittel getreten, um Seinen Knecht zu retten oder zu bewahren. Der Nimbus (Heiligenschein), der die Zwölf in den Augen vieler umgab, schien endgültig zerstört zu sein.

So wagte der schwache und ungerechte König einen weiteren Schritt auf seinem bösen Weg. Petrus, der wahrscheinlich nach Jerusalem zurückgekehrt war, war als nächstes prominentes Opfer ausersehen. Er wurde – offenbar ohne große Schwierigkeiten – ergriffen und ins Gefängnis gesetzt. Bei seiner Bewachung wurde jede Sorgfalt beobachtet, damit jedes Entrinnen unmöglich war und sich nicht das wiederholte, was schon einmal mit den Zwölfen geschehen war. Um jeder möglichen Überraschung in dieser Hinsicht zuvorzukommen, überlieferte er ihn zur Bewachung an nicht weniger als vier Abteilungen von je vier Soldaten. Wie Vers 6 andeutet, wurde Petrus mit Ketten an zwei Soldaten gebunden, während zwei weitere vor der Tür Wache hielten. Damit die Aufmerksamkeit der Soldaten nicht erlahme, wurde alle sechs Stunden in Rotation die eine Abteilung durch die nächste abgelöst. So war nach menschlichem Ermessen das Äußerste getan, um ein Entkommen unmöglich zu machen.

Der kleine Einschub in Vers 3 „Es waren aber die Tage der ungesäuerten Brote“ scheint zweierlei anzudeuten: erstens, dass Herodes unbedingt auf das Fest der Juden Rücksicht nehmen und sie in keiner Weise in der Ausübung ihrer religiösen Riten stören wollte. Und zweitens war es Herodes offenbar gerade in diesen Tagen gelungen, des Apostels Petrus habhaft zu werden. Nach dem Passah wollte er ihn dann dem Volk „vorführen“; was sicherlich bedeutet, dass er dem Volk ein Schauspiel bieten wollte, um den Gefangenen dann öffentlich zu exekutieren, das heißt, hinzurichten. Nichts anderes war die „Erwartung des Volkes der Juden“ (Vers 11). Eine Anhörung, ein ordentliches Gerichtsverfahren erübrigte sich.

Ein teuflischer, ein böser Plan! Seine Ausführung würde den Juden erneut „gefallen“. Die armseligen, kraftlosen Christen aber – was konnten sie dagegen unternehmen? So mag Herodes gedacht haben, und so denken seit jeher ungläubige Menschen. Sie legen sich in aller Sorgfalt einen Plan zurecht, treffen für jede Eventualität Vorsorge, sichern sich nach jeder Richtung hin ab. Nur Einen beziehen sie in ihre Rechnung nicht mit ein: Gott. Das ist verhängnisvoll.

Die Gläubigen aber, sie tun das genaue Gegenteil: Sie rechnen mit Gott, wie ernst und aussichtslos die Umstände, in denen sie sich befinden, auch sein mögen. Der weitere Verlauf der Ereignisse bestätigt das, bestätigt, wie gut es ist, Gott auf seiner Seite zu haben.

Die Befreiung des Petrus

„Petrus nun wurde in dem Gefängnis bewacht; aber von der Versammlung wurde anhaltend für ihn zu Gott gebetet (oder wörtlich: geschah anhaltend Gebet für ihn zu Gott)“ (Apg 12,5).

Dass Petrus sorgfältig, sehr sorgfältig bewacht wurde, haben wir schon gesehen. Doch dann folgt ein gewichtiges ›Aber‹. Es lenkt unseren Blick auf eine andere Ebene, auf die höhere Ebene Gottes.

Es ist interessant, dass sich in diesem Vers zwei Imperfektformen gegenüberstehen, die beide von Fortdauer reden. Auf der einen Seite der kontinuierliche Vorgang des Bewachens, auf der anderen Seite der kontinuierliche Vorgang des Betens. Welche Macht würde größer sein, die des Menschen oder die Macht des Gebets? Herodes setzte auf die erste, die örtliche Versammlung in Jerusalem vertraute auf die zweite.

Eine Versammlung betet

Tag um Tag war verflossen, das Passahfest war fast vorüber, doch Petrus war noch immer im Gefängnis, an zwei Soldaten gefesselt. Nur noch wenige Stunden, die Stunden einer Nacht, trennten ihn von seiner „Vorführung“ und seiner als sicher geltenden Hinrichtung. Herodes mochte sich in jener Nacht eines guten Schlafes erfreuen, hatte er doch die Entwicklung der Dinge ganz in seinem Sinn geregelt. Die Christen aber, diese ohnmächtigen, verachteten Menschen – was könnten sie dagegen unternehmen? Nun, sie taten etwas, was dem Despoten völlig fremd war: Sie beteten.

Hier müssen wir indes noch auf einige wichtige Punkte zu sprechen kommen, die zu übersehen Verlust für uns bedeuten würde. Es sind ja oft gerade die geringfügig scheinenden Einzelheiten, die voller Belehrung für uns sind.

Zuerst einmal ist festzustellen, dass es um jene Zeit bereits Gebetsversammlungen gab – Zusammenkünfte also, wo die Gläubigen „als Versammlung“ zusammenkamen, um sich im öffentlichen Gebet vor Gott zu vereinen. Zwar finden wir diese Praxis der frühen Christen schon in Kapitel 2 grundsätzlich angedeutet: „Sie verharrten ... in den Gebeten“ (Vers 42b), hier aber werden wir nun in geschichtlicher Hinsicht Zeuge solch einer Gebetsversammlung. Dass sie des Nachts zusammenkamen, mochte nicht die Regel sein, sondern sich daraus ergeben haben, dass höchste Gefahr für das Leben des Apostels Petrus bestand und dass sie den Schutz der Dunkelheit suchten. Insofern handelte es sich wohl nicht um eine der regulären Zusammenkünfte zum Gebet, sondern eher um eine außergewöhnliche Gebetsversammlung: Eine akute Notsituation trieb die Versammlung ins Gebet.

Wir lernen daraus, dass auch wir heute neben den normalen Zusammenkünften zum Gebet spezielle Gebetsversammlungen haben können, wenn besonders dringende Umstände uns dazu nötigen. Dieses Vorrecht steht uns immer offen, wie überhaupt fas gemeinsame Gebet als Versammlung ein außerordentliches Vorrecht darstellt. Leider wird es in der Christenheit unserer Tage kaum noch wahrgenommen.

Als Weiteres war das Gebet, wie wir erfahren, ein anhaltendes Gebet, und das Gebet geschah zu Gott. So sollten auch wir beten: einerseits wissend, zu Wem wir beten; andererseits mit Ausharren und Inbrunst. Ob wir zu unserem Gott und Vater oder ob wir zum Herrn Jesus beten – der Adressat unserer Gebete ist immer Gott. Nie könnten sich unsere Gebete an Menschen richten. Gott ist der alleinige Souverän. Gewiss können wir auch Menschen gegenüber Bitten äußern, können sie um etwas bitten. Aber Gebet ist etwas ungleich Größeres. Es ist die glaubensvolle Hinwendung des Herzens zu Gott im Vertrauen auf Seine Liebe und Weisheit und Allmacht. Ist für Ihn etwas unmöglich? Zugleich ist es der Ausdruck und die Anerkennung der Abhängigkeit des Geschöpfes von der höchsten Autorität, von Gott, dem es seine Existenz verdankt.

Dass wir anhaltend beten sollen, hat schon der Herr Jesus in einem Gleichnis hervorgehoben: „Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis dafür, dass sie allezeit beten und nicht ermatten sollten ...“ (Lk 18,1–8). Jakobus sagt uns: „Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel“ (Jak 5,16). Wenn das schon von dem Gebet eines Einzelnen wahr ist, wie viel mehr wird es sich als wahr erweisen, wenn eine ganze Versammlung betet und anhaltend betet.

Das Wort für ›anhaltend‹ bedeutet auch angespannt, beharrlich, eifrig, innig, inbrünstig, inständige Außer an unserer Stelle kommt es im Neuen Testament nur noch zweimal vor, wird allerdings jedes Mal anders wiedergegeben. Als der Heiland in Gethsemane in ringendem Kampf war, „betete er heftiger“ (Lk 22,44). Und Petrus ermahnt uns, „einander mit Inbrunst“ zu lieben (1. Pet 1,22). Wenn nun die Versammlung in Jerusalem anhaltend betete, so drückt das in diesem Fall sicher auch eine zeitliche Dimension aus: Das Gebet zog sich lange hin, vielleicht über Stunden. Welch eine geistliche Energie war da vorhanden!

Noch etwas lernen wir von dem Gebet der Versammlung in Apostelgeschichte 12: Es geschah „für ihn“, für Petrus. Das will sagen: Das Gebet hatte konkrete Bitten zum Inhalt. Man hielt Gott keine Predigt auf den Knien, man erging sich nicht in dem Anführen verschiedener Wahrheiten oder Schriftstellen. Nein, man war zusammengekommen, um für Petrus zu beten, und das tat man dann auch. Wieder möchte ich sagen: So sollten auch wir beten – konkret, gegenständlich, gezielt.

Dabei kann es durchaus sein, dass eine Gebetsversammlung hauptsächlich von einem einzigen Gebetsanliegen oder Gegenstand beherrscht wird, wie die Situation es eben erfordert. Ich könnte mir vorstellen, dass die Bitten für Petrus in jener Nacht einander sehr ähnlich waren, dass manches in gleicher Form und wiederholt vor den Herrn gebracht wurde. Wir sollten solche „Wiederholungen“ nicht gering achten und sie nicht scheuen. Sie gehören gewissermaßen zum anhaltenden Beten. Die Witwe von Lukas 18 drängte auch immer wieder mit ein und derselben Bitte auf den Richter ein. In allem will und muss jedoch der Heilige Geist die Leitung haben, sei es, dass sich die Anliegen mehr oder weniger auf einen Punkt konzentrieren oder dass ein breites Spektrum an Bitten vor Gott ausgebreitet wird. Beides ist an seinem Platz gut und beglückend, wenngleich das Zweite den mannigfachen Bedürfnissen eher gerecht wird und das Normale ist.

Es bleibt noch die Frage offen, warum die Versammlung in Jerusalem nicht auch für Jakobus gebetet hat. Jedenfalls gibt uns die Schrift keinen Hinweis darauf, dass sie es getan hat. Vielleicht war für solch ein Gebet einfach nicht genügend Zeit vorhanden, weil die Enthauptung des Jakobus zu plötzlich geschah. Aber sicher sollen wir hier auch die Lektion lernen, dass die Gedanken des Herrn nicht in jedem Fall dieselben sind: Während Er Petrus auf wunderbare Weise zu retten beabsichtigte, hatte Er das mit Jakobus nicht vor. Dieser sollte Ihn durch den Tod verherrlichen. Gerade bei Bitten um Genesung oder Heilung und dergleichen müssen wir sehr vorsichtig sein und die letzte Entscheidung unbedingt dem Herrn überlassen. Andernfalls könnte es geschehen, dass wir gegen Seinen Willen beten. Das aber wäre kein Beten im Heiligen Geist (Jud 20), kein Beten im Namen des Herrn Jesus (Joh 14,13). Eigenwillige Gebete, und wären sie noch so gut gemeint, kann der Herr nicht erhören.

Rettung durch einen Engel

„Als aber Herodes ihn vorführen wollte, schlief Petrus in jener Nacht zwischen zwei Soldaten, gefesselt mit zwei Ketten, und Wächter vor der Tür bewachten das Gefängnis“ (Apg 12,6).

Das war sicher keine bequeme Situation für Petrus, schon rein äußerlich nicht. Mit zwei Ketten an zwei Soldaten gekettet, wurde die kleinste Bewegung registriert und jeder Fluchtversuch von vornherein unmöglich gemacht. Zu jeder Seite befand sich ein Soldat. Darüber hinaus wurde die Tür der Zelle, wo Petrus lag, durch die beiden anderen Soldaten der Vierergruppe bewacht. Jede Dienst tuende Vierergruppe haftete mit ihrem Leben für die sichere Verwahrung des Gefangenen (siehe Vers 19). Die Gefängnistore wurden dann noch durch andere Wachen gesichert.

So war Petrus – menschlich gesehen – in der Hand des Herodes. Aussichtslose Lage? Durchaus nicht. Denn in Wahrheit war er in der Hand Gottes, und das ist das Beste, was es in dieser Hinsicht gibt, liebe Freunde. Ob wir im „Gefängnis“ oder im Krankenhaus oder irgendwo sonst sind, sei es an einem schönen oder einem unangenehmen Ort – immer sind wir in der Hand Gottes, immer ruht Sein Auge in Liebe auf uns. Glückliches Bewusstsein! Petrus war davon erfüllt, denn – „er schlief in jener Nacht“. Es wäre natürlich und verständlich gewesen, wenn er die ganze Nacht wachgelegen und sich mit quälenden Gedanken darüber herumgeschlagen hätte, was der nächste Tag ihm bringen mochte. Aber nein, er war in vollkommenem Frieden, wusste sich unter dem Schutz des Hüters Israels, der nicht schlummert, nicht schläft. Und er wusste: Seine Hilfe kam nicht von den Bergen, sondern vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat (Ps 121).

Dieser Schlaf des Petrus in jener Nacht im Gefängnis war ein Triumph des Glaubens. Gott wurde dadurch verherrlicht. Einst hatte der Apostel angesichts der Leiden seines Meisters im Garten Gethsemane ebenso geschlafen wie auf dem Berg der Verklärung in Gegenwart Seiner Herrlichkeit. Das war die Schwachheit des Fleisches gewesen. Aber der Schlaf jetzt und hier war der Ausdruck seines kraftvollen Glaubens. „In Frieden werde ich sowohl mich niederlegen als auch schlafen; denn du, Herr, allein lässt mich in Sicherheit wohnen“ (Ps 4,9). Petrus verwirklichte das unter schwersten Bedingungen, und er war zudem davon überzeugt, dass er wieder freikommen würde. Hatte der Herr ihm nicht am See von Tiberias gesagt: „Wenn du aber alt geworden bist...“ (Joh 21,18)? Dieser Zeitpunkt war noch nicht gekommen.

Können nicht auch wir etwas von dem Frieden und der Gelassenheit und Ruhe des Apostels Petrus lernen? Gewiss, wir sind im Allgemeinen nicht in solch einer misslichen Situation wie er. Doch wie köstlich ist es auch für uns, dass wir uns jede Nacht niederlegen dürfen im Bewusstsein davon, dass wir in Christus sind und Frieden mit Gott haben – bereit, wenn der Herr es will, in der Ewigkeit zu erwachen!

„Und siehe, ein Engel des Herrn trat hinzu, und ein Licht leuchtete in dem Raum; er schlug aber Petrus an die Seite, weckte ihn und sagte: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von den Händen ab. Der Engel aber sprach zu ihm: Gürte dich und binde deine Sandalen unter. Er aber tat es so. Und er spricht zu ihm: Wirf dein Oberkleid um und folge mir. Und erging hinaus und folgte ihm, und er wusste nicht, dass es Wirklichkeit war, was durch den Engel geschah; er meinte aber, ein Gesicht zu sehen. Als sie aber durch die erste und die zweite Wache hindurchgegangen waren, kamen sie an das eiserne Tor, das in die Stadt führte, das sich ihnen von selbst öffnete; und sie traten hinaus und gingen eine Gasse entlang, und sogleich schied der Engel von ihm“ (Apg 12,7–10).

Der Bericht über die Intervention eines Engels des Herrn zur Befreiung des Apostels Petrus ist so deutlich und klar, wie er nur sein kann. Ungläubige Menschen mögen ihn in den Bereich der Fabel oder des Märchens verweisen. Doch sie zeigen damit nur, dass sie Gott nicht kennen. Schon Asaph konnte von Gott rühmend sagen: „Du bist der Gott, der Wunder tut“ (Ps 77,15). Und zu noch früherer Zeit hatte Gott selbst Abraham die erforschende Frage gestellt: „Ist für den Herrn eine Sache zu wunderbar?“ (1.M0 18,14). Hiob, einer der ältesten Patriarchen im Alten Testament, bekannte vor Gott am Ende seines Buches: „Ich weiß, dass du alles vermagst und kein Vorhaben dir verwehrt werden kann“ (Hiob 42,2).

Das ist es, wovon wir nun Zeugen werden. Und wir wissen, dass alles genau so geschehen ist, wie es hier mit aller Präzision geschildert wird. Überfliegen wir kurz die interessanten Einzelheiten!

Es war in der Ruhe der Nacht, als in der Stadt alles still war, dass Gott Sein Werk zur Befreiung Seines Knechtes aus der Hand des Herodes in Angriff nahm. Durch geschlossene Tore und Türen keineswegs behindert, kam ein Engel des Herrn ins Gefängnis zu Petrus und brachte als Erstes Licht in den Raum. Es kann nur göttliches, übernatürliches Licht gewesen sein. Wo Gott wirkt, ist Licht, und sei es im Gefängnis. So tief schlief Petrus, dass der Engel ihn an die Seite schlagen musste, um ihn aufzuwecken. Der Aufforderung des Engels „Steh schnell auf!“ folgte Petrus unverzüglich, und der Engel sorgte dafür, dass dazu die Ketten von den Händen des Petrus lautlos zu Boden fielen. Petrus selbst konnte dazu nichts tun. Anders verhielt es sich mit den jetzt folgenden Anweisungen, die der Engel mit größter Umsicht und Sorgfalt gab. Den Gürtel und die Sandalen, die zum Schlaf gelöst worden waren, sollte er wieder anlegen, und das Oberkleid, das ihm wahrscheinlich zur Decke gedient hatte, sollte er wieder umwerfen und dann dem Engel folgen.

Von alledem, was in dem Raum des Gefängnisses vor sich ging, bemerkten die Wachen nichts. Es muss ein übernatürlicher Schlaf gewesen sein, der sie befallen hatte. In den Tagen des Alten Testaments hat Gott öfter solch einen Schlaf bewirkt. Wir können da an den Schlaf Adams denken (1. Mo 2,21), an den Schlaf Abrahams und den Schlaf des Königs Saul und seiner Leute (1. Mo 15,12; 1. Sam 26,12). Gott stehen alle Mittel zu Gebote.

Petrus folgte dem Engel, als ob keine Tür ihnen den Durchgang versperrte. Taten sie sich auf und schlossen sich dann wieder geräuschlos? Gewiss. Zu diesem Augenblick wusste Petrus noch nicht, ob es Wirklichkeit war, was durch den Engel geschah, oder ob er ein Gesicht sah. Diese Bemerkung macht uns übrigens deutlich, wie sehr Gesichte der Wirklichkeit glichen. Petrus meinte, die Wirklichkeit sei ein Gesicht.

Bisher waren der Engel und Petrus durch die Tür der Zelle hinausgegangen und hatten die vier Soldaten hinter sich gelassen, die zur Bewachung des Petrus abgestellt waren. Jetzt mussten sie noch durch zwei weitere bewachte Portale gehen, um in den weiten, offenen Hof zu gelangen. Von hier aus führte ein großes, eisernes Tor in die Stadt. Schwere, eiserne Riegel hielten es geschlossen, und es wird berichtet, dass mehrere Männer nötig waren, um sie beiseitezuschieben. Aber dieses Tor öffnete sich ihnen von selbst, um sich dann wieder auf dieselbe Weise zu schließen. So lag das Gefängnis so ruhig da wie zu Anfang, alle Schlösser und Riegel waren in demselben Zustand wie zuvor, und die Wachen waren an ihrem Platz. Nur einer fehlte – Petrus. Der Engel war mit ihm durch das Tor „hinausgetreten“ – in die Freiheit.

Das große, eiserne Tor führte wahrscheinlich direkt auf eine breite Straße, von der eine schmale Straße abzweigte. Bis dorthin begleitete der Engel den Befreiten und ging noch mit ihm ein Stück die schmale Gasse entlang, um ihn in eine sichere Entfernung zum Gefängnis zu bringen. Dann verschwand er plötzlich und ließ Petrus allein zurück. Seine Mission war beendet. Einen weiteren Auftrag an ihn hatte er nicht. Das war damals bei der Befreiung der Apostel anders gewesen: „Geht und stellt euch hin und redet im Tempel zu dem Volk alle Worte dieses Lebens!“ (Kap. 5,20). Aber das Evangelium der Gnade war von dem Volk abgelehnt und der verherrlichte Christus in der Steinigung des Stephanus endgültig verworfen worden. Die Tür für Jerusalem begann, sich zu schließen. Das wird der Grund dafür sein, dass der Engel des Herrn dem Apostel Petrus keinen erneuten Auftrag an das Volk gab, sondern einigermaßen abrupt von ihm schied. Petrus war nun ganz auf sich allein gestellt.

„Und als Petrus zu sich selbst kam, sprach er: Nun weiß ich in Wahrheit, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich gerettet hat aus der Hand des Herodes und aller Erwartung des Volkes der Juden“ (Apg 12,11).

Bis hierher hatte Petrus den Anweisungen des Engels fast mechanisch Folge geleistet und hatte unter dem Eindruck gestanden, dass es sich bei allem um ein Gesicht handelte. Erst jetzt, als er mitten in der Nacht allein in jener „Gasse“ stand, wurde ihm bewusst, dass es nicht ein Gesicht gewesen war, sondern dass der Herr tatsächlich Seinen Engel gesandt hatte, um ihn aus der Hand des Herodes zu erretten. Aber dann fügte er noch etwas an und sprach von „aller Erwartung des Volkes der Juden“, von der ihn der Herr gerettet habe. Er war sich also von Anfang an völlig klar darüber gewesen, worin diese „Erwartung“ bestand, was die Juden erwarteten: seine Hinrichtung.

Nun aber war er in Freiheit und befand sich in einer kleinen Straße Jerusalems in der Nacht. Der Engel des Herrn, der ihn in die Freiheit geführt hatte, war unversehens und wortlos von ihm geschieden. Jetzt musste Petrus in einem gewissen Sinn für sich selbst sorgen, musste die gewonnene Freiheit benutzen, um einem erneuten Zugriff des Königs zu entrinnen. Gott hatte ihn durch übernatürliche Mittel in Freiheit gesetzt.

Jetzt aber und von nun an sollte Petrus natürliche Mittel und Klugheit einsetzen, um frei zu bleiben. Diese „Nüchternheit“ ist wirklich beeindruckend. Wir sollten ihr in unserem Leben stets Raum geben (2. Tim 4,5; 1. Pet 1,13; 5,8) und uns vor aller Überspanntheit hüten.

Im Haus der Maria

„Und als er sich bedachte, kam er an das Haus der Maria, der Mutter des Johannes, der auch Markus genannt wird, wo viele versammelt waren und beteten“ (Apg 12,12).

Man hat vermutet, dass die Befreiung des Petrus kurz nach Mitternacht geschah, und zwar gestützt auf die Tatsache, dass die Ablösung der einen Abteilung (von vier Soldaten) durch die nächste um Mitternacht stattfand und die Dienstzeit der neuen Abteilung sich somit bis sechs Uhr morgens erstreckte. An eine Entdeckung der Flucht des Gefangenen war also erst um diese Zeit zu denken. Bis dahin schliefen diese Vier wohl ihren tiefen Schlaf.

In der Tat, sollte Gott Seinem Knecht, den Er so wunderbar errettet hatte, nicht auch Zeit genug zum Entkommen gelassen haben? Wir können davon ausgehen, dass es so war.

Aber viel Zeit zum Besinnen blieb Petrus nicht. Und so lenkte er seine Schritte unwillkürlich zum Haus der Maria. Hier kommt zum ersten und auch zum letzten Mal eine gläubige Frau, Maria, vor uns, die offenbar begütert war und ihr großes Haus für die Zusammenkünfte der Heiligen zur Verfügung stellte. Diese Schwester im Herrn war die leibliche Schwester (oder: Tante) des Barnabas, wie der Zusatz „Mutter des Johannes, der auch Markus genannt wird“ deutlich macht. Wahrscheinlich war sie eine Witwe.

Markus wiederum wird im Brief an die Kolosser als „Neffe (oder: Vetter) des Barnabas“ bezeichnet (Kap. 4,10). Als Barnabas und Saulus nach der Spendenüberbringung von Antiochien nach Jerusalem zurückkehrten, nahmen sie Johannes Markus mit (Apg 12,25). Auf ihrer ersten Missionsreise hatten sie ihn dann anfangs „zum Diener“, obwohl er sich später in Pamphylien von ihnen absetzte und wieder nach Jerusalem zurückkehrte (Kap. 13,5.13). Dieser traurige Rückgang gab nicht lange Zeit danach Anlass zu einer Erbitterung zwischen Barnabas und Paulus, so dass selbst diese vortrefflichen Männer sich voneinander trennten (Kap. 15,37–39). Umso erfreulicher ist es, dass in der genannten Stelle aus dem Kolosserbrief die Gläubigen in Kolossä ermuntert wurden, Markus aufzunehmen. Durch die Güte Gottes war er offenbar wiederhergestellt worden. Noch später begleitete er den betagten Apostel Petrus auf dessen Reise nach Babylon, und Petrus nennt ihn liebevoll ›meinen Sohn‹ in ähnlicher Weise, wie Paulus den jungen Timotheus mit ›mein echtes Kind im Glauben‹ anredet (1. Pet 5,13; 1. Tim 1,2).

Die letzte geschichtliche Erwähnung des Markus findet sich im zweiten Brief des Apostels Paulus an Timotheus kurz vor seinem Tod: „Nimm Markus und bring ihn mit dir, denn er ist mir nützlich zum Dienst“ (Kap. 4, 11). Wieder wird Markus mit „Dienst“ in Verbindung gebracht, und es ist der Gipfelpunkt der Gnade Gottes für diesen Mann, dass gerade er beauftragt wurde, ein Evangelium zu verfassen – das Evangelium zudem, das den Herrn Jesus als den wahren Diener zeigt.

Um zum Haus der Maria zurückzukehren: Viele waren dort zusammen und beteten. Der Gläubige findet seine Zuflucht im Gebet. Darüber haben wir schon gesprochen. Dass die Erhörung ihrer Gebete buchstäblich vor der Tür stand, ahnten sie noch nicht.

Wenn Petrus sich zum Haus der Maria begab, so wohl hauptsächlich mit der Absicht, seinen christlichen Freunden über die wunderbare Befreiung zu berichten, die er durch den Engel des Herrn erfahren hatte. Schließlich war die ganze Versammlung seinetwegen in großer Not. Ob er damit rechnete, dass dort „viele versammelt waren“, können wir nicht sagen. Es tut auch nichts zur Sache. Aber Gott in Seiner Vorsehung fügte es, dass es so war. Auf diese Weise wurden viele Menschen Zeugen dessen, was Petrus an Wunderbarem erlebt hatte.

„Als er aber an die Tür des Hoftores klopfte, kam eine Magd, mit Namen Rhode, herbei, um zu horchen. Und als sie die Stimme des Petrus erkannte, öffnete sie vor Freude das Hoftor nicht; sie lief aber hinein und berichtete, Petrus stehe vor dem Hoftor. Sie aber sprachen zu ihr: Du bist von Sinnen. Sie aber beteuerte, dass es so sei. Sie aber sprachen: Es ist sein Engel“ (Apg 12,13–15).

Vielleicht waren sie noch auf ihren Knien, als Petrus draußen an die Tür des Hoftores klopfte. Doch welcher Besucher mochte zu so ungewöhnlicher Stunde mitten in der Nacht Einlass begehren? Angesichts der gefährlichen Situation, in der sich die Christen damals befanden, wird das für alle hörbare Klopfen starke Beängstigungen ausgelöst haben. Forderten etwa die Schergen des Herodes Einlass, um weitere Opfer in ihre Gewalt zu bringen? Der Gedanke lag nahe. Gingen nun ein oder zwei unerschrockene Männer ans Tor, um in Erfahrung zu bringen, was das Klopfen bedeutete? Nein, eine Frau tat das, eine Magd.

Wenn nun hier Gottes Wort ihren Namen erwähnt, Rhode, so ist das gewiss als Auszeichnung zu verstehen. Rhode war nur eine Magd, völlig unbedeutend in den Augen der Welt. Aber sie war eine Christin, eine tapfere zudem. Und sie muss Petrus gut gekannt haben. Vielleicht hatte Petrus öfter in dem Haus verkehrt. Aber dass der Klopfende Petrus sein könnte, daran dachte in diesem Augenblick wirklich niemand, weder sie noch die anderen. Wie mochte daher dieser Frau zumute gewesen sein, als sie nun hinabging, um zu horchen, wer da draußen an der Tür war!

Was sie hörte, ließ alle Angst auf einmal verschwinden, und Freude sprang empor wie eine Fontäne: Es ist die Stimme des geliebten Apostels! Rhode kannte diese Stimme. Und vor Freude öffnete sie das Hoftor nicht, sondern lief hinein und berichtete, dass Petrus vor dem Hoftor stehe. Ja, Petrus vor dem Tor! Wir spüren geradezu die knisternde Spannung, die über allem liegt, spüren die aufschäumende Freude, in der die Frau zu den Versammelten fliegt und ihnen atemlos die gute Botschaft übermittelt. Wenn wir heute diese Schilderung lesen, sitzen wir wahrscheinlich ruhig auf unserem Stuhl. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Versammelten damals aufsprangen, vielleicht von ihren Knien aufsprangen: Petrus vor dem Hoftor? Petrus ...? Petrus ...?

„Du bist von Sinnen“ Rhode wird von ihren Brüdern bezichtigt, nicht ganz bei sich zu sein. Heute würde man „verrückt“ sagen oder „wahnsinnig“. Diese Unterstellung war nicht gerade lieblich. Dennoch, die Frau lässt sich dadurch nicht im Geringsten beeinflussen und beteuert unbeirrt, dass es sich so verhält. Die Übrigen werden jetzt durch diese Standfestigkeit ein wenig unsicher und suchen nach einer Erklärung. Sie kommen zu dem Schluss, dass es nicht Petrus selbst sei, sondern „sein Engel“. Sie gehen also davon aus, dass Petrus bereits getötet worden ist und dass es sich hier nur um den unsichtbaren oder stellvertretenden Teil seiner Person, seinen Geist oder eben „seinen Engel“, handeln kann. Dieser Gebrauch von ›Engel‹ als Stellvertreter der eigentlichen Persönlichkeit ist der Schrift nicht fremd (vergleiche im Neuen Testament Matthäus 18, Vers 10, wo der Herr damit den Geist frühzeitig gestorbener Kinder bezeichnet).

Zu diesem Augenblick glaubte kein Einziger von den Anwesenden, dass es wirklich Petrus war – außer Rhode. Sie war die Einzige, die es für möglich hielt, dass Gott ihre Gebete erhört hatte; ja, sie wusste es. An solch einem bedingungslosen Glauben hat Gott Wohlgefallen, und so hat Er ihren Namen auf den Blättern Seines heiligen Wortes für immer festhalten lassen. Die übrigen Jünger aber konnten es sich nicht vorstellen, dass Gott auf ihre Gebete so direkt antworten würde, obwohl Er doch schon einmal die Zwölf durch einen Engel in der Nacht befreit hatte. Ihr Glaube war schwach.

So ist es oft, auch bei uns: Wir beten inständig zum Herrn, und wenn Er antwortet, glauben wir es nicht. Es ist durchaus Vertrauen zu Gott vorhanden, so dass wir uns in unserer Not zu Ihm wenden. Aber es fehlt uns häufig die Zuversicht, der schlichte, einfältige Glaube daran, dass Er unsere Gebete auch erhören wird. Doch Gebete werden erhört – wenn sie im Glauben geschehen und in Übereinstimmung mit Seinem Wort sind (Jak 1,6; Joh 15,7). Sie werden nicht immer sogleich und nicht immer auf die Weise erhört, wie wir es uns vorstellen, aber Gott wird in Seiner Gnade immer eine angemessene Antwort geben. Er ist auch heute noch der Gott, der Wunder tut, wenn sich auch diese Wunder in unseren Tagen mehr im Verborgenen vollziehen.

„Petrus über fuhr fort zu klopfen. Als sie übergeöffnet hatten, sahen sie ihn und gerieten außer sich. Er aber winkte ihnen mit der Hand, zu schweigen, und erzählte ihnen, wie der Herr ihn aus dem Gefängnis herausgeführt hatte; und er sprach: Berichtet dies Jakobus und den Brüdern. Und erging hinaus und zog an einen anderen Ort“ (Apg 12,16.17).

So wenig wie die Magd Rhode sich drinnen beirren ließ, ließ Petrus sich draußen am Tor beirren: Er fuhr fort zu klopfen. Beides machte es den Versammelten unmöglich, eine Untersuchung der Angelegenheit weiter hinauszuschieben. So wurde die Tür endlich geöffnet, und der Ausdruck steht im Plural (Mehrzahl): „Als sie geöffnet hatten ...“ So gut wie jeder von ihnen drängte sich an die Tür. Und als sie aufschwang, stand Petrus leibhaftig vor ihnen. Rhode hatte Recht behalten, alle anderen lagen falsch. Das Unglaubliche war Tatsache geworden: „Sie sahen ihn“. Das brachte sie völlig durcheinander.

Petrus musste mit einer Handbewegung die erregte Schar zur Ruhe mahnen, und dann erzählte er ihnen die ganze Geschichte seiner wunderbaren Befreiung. Seine Aufforderung, dies alles auch dem „Jakobus und den Brüdern“ zu berichten, macht deutlich, dass von den führenden Brüdern zu jener Zeit nur Jakobus, der Bruder des Herrn (Gal 1,19; Jak 1,1), in Jerusalem weilte. Die Apostel hatten die Stadt verlassen.

Und dann ging nach kurzem Aufenthalt auch Petrus hinaus und zog an einen anderen Ort. Lukas sagt nicht, was für ein Ort das war. Aber zu behaupten, dass es Rom war, ist reine Spekulation, die mit nichts bewiesen werden kann. Im Gegenteil! Als der Apostel Paulus weit später, im Jahr 58 oder 59 n. Chr., seinen Brief an die Gläubigen in Rom schrieb, macht er darin deutlich, dass bis dahin kein Apostel Rom besucht hatte. Um sie zu befestigen, verlangte es ihn sehr, sie zu sehen und ihnen „etwas geistliche Gnadengabe“ mitzuteilen. Keineswegs aber wollte er auf dem Grund eines anderen bauen, wollte nicht dort predigen, wo Christus bereits genannt worden ist (Röm 1,11; 15,20). Dennoch, sein Aufgabenbereich als Apostel der Nationen erstreckte sich auch bis nach Rom.

Mit dem Apostel Petrus verhielt es sich anders. Er war der Apostel der Beschneidung. Sein Arbeitsfeld lag unter denen aus der Beschneidung, und ihm waren die Schafe aus dem jüdischen Schafhof anvertraut (Gal 2,7–9; Joh 21,15–17). Einen erneuten Auftrag an das jüdische Volk hatte der Herr ihm jedoch nicht gegeben. Deswegen sagte ich weiter oben, dass die Tür für Jerusalem sich zu schließen begann. Petrus hatte zuerst den Juden (Apg 2) und danach den Nationen (Kap. 10) das Reich der Himmel aufgeschlossen. Seinen besonderen, ihm anvertrauten Dienst am Evangelium hatte er damit vollendet.

Und so verwundert es uns nicht allzu sehr, dass sich nun seine Spur in der Apostelgeschichte rasch verliert. Wir sehen ihn noch einmal in Kapitel 15 in Jerusalem in Verbindung mit dem dortigen „Konzil“ und weit reichenden Beschlüssen für die Gläubigen aus den Nationen. Aber dann wird sein Name auf den Blättern der ersten, einzigartigen Kirchengeschichte nicht mehr erwähnt. Obwohl Petrus im Neuen Testament hier und da noch Erwähnung findet (1. Kor 9,5; Gal 2,11), wird doch nicht das Geringste über seinen weiteren Dienst gesagt. Er besuchte Babylon, vielleicht aber wohnte er auch dort (1. Pet 5,13). Aber die Schrift gibt nicht einen einzigen Hinweis auf irgendwelche spätere Tätigkeiten des Apostel Petrus.

Tatsächlich verlagerte sich das Werk Gottes von Jerusalem nach Antiochien. Antiochien sollte der Ausgangspunkt weiteren Segens sein, nicht Jerusalem. Und nicht Petrus sollte die Fackel des Evangeliums weit weg zu den Nationen tragen, sondern Paulus. Wie großartig und beeindruckend sind die Gedanken und Wege Gottes, auch im Blick auf die einzelnen Diener! Jakobus wird enthauptet, Petrus erfährt Befreiung, aber die Fortführung des Werkes wird in die Hände des Saulus von Tarsus gelegt.

Hochmut und Fall des Herodes

Doch bevor uns der Fortgang des Werkes Gottes unter den Nationen vor Augen gestellt wird – dieses hochinteressante Thema wird uns ab Kapitel 13 beschäftigen –, lenkt der Heilige Geist unseren Blick noch einmal kurz auf Herodes. Die nur knapp berichtete Geschichte dieses Königs und sein schreckliches Ende stehen wie ein Mahnmal Gottes in der Zeit. Ob es wohl Beachtung findet – von uns, von allen, die dies lesen?

Eine Niederlage für Herodes

Zunächst jedoch schildert uns Lukas, der Berichterstatter, den weiteren Gang der Ereignisse, anfangend im Gefängnis. Denn bis jetzt haben wir nur gesehen, auf welche Weise Petrus der drohenden Hinrichtung entronnen ist. Was sich aber dann am folgenden Morgen abspielte, erfahren wir in den nächsten Versen.

„Als es aber Tag geworden war, war eine nicht geringe Bestürzung unter den Soldaten, was doch aus Petrus geworden sei. Als aber Herodes ihn zu sich forderte und ihn nicht fand, verhörte er die Wächter und befühl, sie abzuführen; und er ging von Judäa nach Cäsarea hinab und verweilte dort“ (Apg 12,18.19).

Das Licht des neuen Tages offenbarte, dass der Gefangene nicht mehr da war. Wir können die Bestürzung der Wachsoldaten verstehen. Was war nur aus Petrus geworden, was war mit ihm geschehen? Niemand hatte sein Entkommen bemerkt. Auch die beiden Soldaten nicht, an die Petrus mit Ketten gefesselt gewesen war. Sie trugen die Ketten noch. Wie aber hatte er sich davon lösen können? Wo war er jetzt? Die Riegel des großen eisernen Tores waren unbeschädigt. Keine der Wachen hatte irgendetwas Außergewöhnliches wahrgenommen. Und trotzdem – Petrus war entschwunden. Auch schien die Flucht nicht überstürzt geschehen zu sein; denn Sandalen, Gürtel und das Oberkleid waren nicht zurückgelassen worden, sie waren ebenfalls verschwunden. Sorgfältige Untersuchungen ergaben nicht die geringste Spur auf sein Verbleiben. Er war einfach nicht zu finden.

Natürlich wurde der König vom geheimnisvollen Verschwinden des Petrus in Kenntnis gesetzt. Aber alles Verhören der Wachsoldaten nützte nichts: Das Geheimnis war nicht zu lösen. Petrus war und blieb verschwunden. Eigentlich war nur noch eine Möglichkeit offen und bestand nur eine Alternative: Eine übernatürliche Macht, eine göttliche Hand musste im Spiel gewesen sein.

Ob der König sich das einzugestehen bereit war? Wir hören nichts davon. Statt dessen ließ er die vier Wachsoldaten, unter deren Dienstzeit die Flucht gelungen war, zur Hinrichtung abführen. Petrus hatte er töten wollen. Jetzt starben vier seiner eigenen Soldaten, unschuldig. Aus Ärger und Verdruss und um sein Gesicht bei den Juden zu wahren, überlieferte er sie dem Tod. Was sollten die Juden denken, dass ihm, dem großen König, die sicher gewähnte Beute entrinnen konnte?

Die Enttäuschung wird auf beiden Seiten groß gewesen sein. Und keine der beiden Seiten kam darüber wirklich zum Nachdenken. Das ist das Tragische, dass die Menschen nicht einmal die Möglichkeit eines Einschreitens Gottes in Erwägung ziehen. Sie nehmen das Haltesignal nicht wahr und gehen im Unglauben weiter. Wohin?

Was nun Herodes anbetrifft, so schien bei allem Missvergnügen über die erlittene Niederlage eine Ortsveränderung die beste Lösung zu sein. Und so verließ er Judäa und ging nach Cäsarea, um dort für einige Zeit zu residieren. Damit hörten auch alle Verfolgungen schlagartig auf.

Das Ende des Herodes

„Er war aber sehr ergrimmt gegen die Tyrer und Sidonier. Sie kamen aber einmütig zu ihm, und als sie Blastus, den Hofbeamten des Königs, überredet hatten, baten sie um Frieden, weil ihr Land von dem königlichen ernährt wurde“ (Vers 20).

Cäsarea, eine bedeutende Hafenstadt, gehörte zum ausgedehnten Reich des Herodes. Tyrus und Sidon, ebenfalls Hafenstädte, lagen weiter nördlich in Phönizien, einem schmalen Küstenstreifen. Sie gehörten nicht zu seinem Herrschaftsbereich, sondern zu Syrien. Obwohl die Städte Zugang zum Meer besaßen, waren sie auf Lebensmittel- und Futterlieferungen aus dem königlichen Land angewiesen, weil die rauen Berge im Osten die Importe aus Syrien sehr erschwerten. Ihre eigenen Erträge aus dem schmalen Küstenstreifen waren zu gering. Warum Herodes mit diesen beiden Städten in Fehde lag, wissen wir nicht. Aber offenbar hatte er alle Lieferungen aus seinem Land eingestellt und gegen sie eine Blockade verhängt.

Die Tyrer und Sidonier wollten das ändern und suchten den Frieden mit dem König. Zu diesem Zweck sandten sie eine Gesandtschaft zu ihm, und es gelang ihnen, Blastus, den Kämmerer des Königs, als Freund zu gewinnen. Wodurch sie ihn zu „überreden“ vermochten, ist unschwer zu erraten. Denn schon damals waren Bestechungen ein probates (bewährtes) Mittel zum Erreichen bestimmter Ziele. Blastus machte seinen Einfluss bei dem König im Sinn der Tyrer und Sidonier geltend, mit Erfolg, wie wir sehen werden.

Es scheint, dass der König gewillt war, durch eine positive Entscheidung die in Jerusalem erlittene Scharte nun in Cäsarea glanzvoll auszuwetzen. Seine Eitelkeit und sein Stolz verlangten nach solch einer Entschädigung.

„An einem festgesetzten Tag aber hielt Herodes, nachdem er ein königliches Gewand angelegt und sich auf den Thron gesetzt hatte, eine öffentliche Rede an sie. Das Volk aber rief ihm zu: Eines Gottes Stimme und nicht eines Menschen!“ (Verse 21.22).

So wurde denn ein Tag anberaumt, an dem der König seinen Entscheid vor dem ganzen Volk bekannt zu geben gedachte. Es sollte ein glänzendes Ereignis werden. Dazu legte Herodes ein „königliches Gewand“ an, wie Lukas es milde umschreibt. Josephus, der jüdische Geschichtsschreiber, spricht von einem Festgewand, das ganz aus Silber gefertigt war, so dass die gleißenden Strahlen der Sonne den König auf seinem hoch gelegenen Thron (Richterstuhl) an jenem Tag zu einer hell leuchtenden, brillanten Erscheinung machten. Jede Bewegung des Königs löste neue, ungeahnte Lichtreflexe aus und blendete die Augen der Menschen.

Herodes wähnte sich auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Was der Inhalt seiner Rede an das Volk war, wird nicht gesagt. Aber aus der Reaktion des Volkes müssen wir annehmen, dass sie einen versöhnlichen, gönnerhaften Charakter trug und dass er darin ankündigte, dem Gesuch der beiden Städte stattgeben zu wollen.

„Eines Gottes Stimme und nicht eines Menschen!“, schallt es ihm entgegen. Das ist es, was Herodes hören wollte, worauf er hingearbeitet hatte. Imperatoren und hochgestellten Persönlichkeiten göttliche Verehrung darzubringen, war in der heidnischen, römischen Welt gang und gäbe. Augustus war Kaiser und Gott gewesen. Claudius war Kaiser und Gott. Warum sollte ihm, dem König Herodes Agrippa I., diese Ehrung verwehrt bleiben?

Aber merkte der König denn nicht, dass das Volk nichts anderes bezweckte, als seiner Eitelkeit zu schmeicheln? Und warum bedachte er nicht, dass die meisten von diesen Leuten heidnische Götzendiener waren? Er aber war nominell ein Jude, der König des jüdischen Volkes. Und dieser Mann, der sich in Jerusalem zum Verfechter des jüdischen Glaubens gegen das Christentum aufwarf, dieser Mann ließ sich in Cäsarea von heidnischen Götzenanbetern zum Gott ausrufen?! Er hätte diese Lästerung augenblicklich zum Schweigen bringen müssen. Er tat es nicht! Er liebte die Ehre bei Menschen mehr als die Ehre bei Gott. So ließ er sich willig als Gott feiern und genoss die ihm dargebrachte Ehrung.

Geradeso wird es auch einmal der Antichrist tun. Er wird sich in den Tempel Gottes setzen und sich selbst darstellen, „dass er Gott sei“ (2. Thes 2,4).

Lange konnte Herodes seinen vermeintlichen Ruhm und seine Größe indes nicht genießen. Denn der biblische Bericht über diesen dem Größenwahn verfallenen König endet mit dem ernsten Satz:

„Sogleich aber schlug ihn ein Engel des Herrn dafür, dass er nicht Gott die Ehre gab; und von Würmern zerfressen, verschied er“ (Apg 12,23).

Es war nicht lange her, als schon einmal ein Engel des Herrn jemand geschlagen, an die Seite geschlagen hatte – Petrus (Vers 7). Jetzt aber schlug ein Engel des Herrn den König Herodes dafür, dass er nicht Gott die Ehre gegeben hatte. In beiden Fällen übrigens waren die Engel für menschliche Augen unsichtbar. Und während sonst tote Körper von Würmern zerfressen werden, wurde Herodes bei lebendigem Leib von Würmern zerfressen. So starb er eines schrecklichen, qualvollen Todes. Das war ganz offensichtlich ein Strafgericht Gottes.

Es bewahrheitete sich das Wort Nebukadnezars. Nach eigenen bitteren Erfahrungen sagt er von Gott: „... der die zu erniedrigen vermag, die in Stolz einhergehen“ (Dan 4,34). Hochmut und Stolz sind Gott ein Gräuel. Die Liste der sieben Dinge, die dem Herrn ein Gräuel sind, wird von „hohen Augen“ angeführt (Spr 6,16.17). Nicht nur „erkennt er den Hochmütigen von fern“ (Ps 138,6), sondern Gott hat auch gesagt: „Die hochmütigen Augen des Menschen werden erniedrigt, und die Überheblichkeit der Männer wird gebeugt werden“ (Jes 2,11). Früher oder später wird Gott dies wahrmachen. Nicht immer erfolgt das Gericht sofort. Bei Herodes jedoch war es so, und das ist auch ein prophetischer Hinweis auf das plötzliche Gericht des Antichristen (2. Thes 2,8).

Es war im Jahr 44 n. Chr., als Herodes, 54-jährig, den Tod fand. Sehr kurzlebig war sein Triumph über die Christen gewesen. Sehr kurzlebig auch seine Größe als Herrscher. Nur drei Jahre regierte er. Er regierte über ein so großes Gebiet, wie es seit seinem Großvater keinem aus seiner Familie vergönnt war. Und nicht zu vergessen die Gunst des Kaisers Claudius, deren er sich erfreute! Prunk und Reichtum besaß er in Fülle. – Doch das war mit einem Mal alles vorbei, und von Würmern zerfressen, verschied er. Er starb ohne Christus.

O, es gibt einen Ort, „wo ihr Wurm nicht stirbt“ (Mk 9,48). Dass doch niemand von meinen Lesern einmal unversöhnt in die Ewigkeit geht und an diesen Ort kommt!

Wie das Wort Gottes „wächst“

Die beiden verbleibenden Verse des 12. Kapitels kann man als Resümee (Zusammenfassung) des bisher Gesagten auffassen. Zugleich aber leiten sie auch zu dem großen Gegenstand über, der mit dem nächsten Kapitel beginnt.

„Das Wort Gottes aber wuchs und mehrte sich“ (Apg 12, 24).

In dieser Bemerkung liegt ein tiefer Trost für die Versammlung Gottes in Zeiten der Verfolgung. Herodes, der schwache Monarch, aber der erbitterte Feind des Evangeliums, war tot, aber das Wort Gottes lebte, wuchs mehr denn je. Die beiden griechischen Imperfektformen bei ›wuchs‹ und ›mehrte sich‹ drücken Kontinuität (Stetigkeit, Fortdauer) aus: „wuchs und wuchs …“ Wie tröstlich ist das! „Fürchte dich nicht, du kleine Herde“, hat der Herr Jesus einmal gesagt (Lk 12,32). Und Der, der in uns ist, ist größer als der, der in der Welt ist (1. Joh 4,4). So lag Herodes im Grab, aber das Wort Gottes entfaltete seine Kraft unter den Menschen der Welt. Wie vor alters der Pharao mit seinem Heer im Meer versank, während das befreite Volk Israel den Herrn pries und seinen Weg fortsetzte.

Wenn alle Mächtigen der Erde und alle Völker dieser Welt sich vereinen würden in der Absicht, alles bestehende Getreidekorn – die Stütze irdischen Lebens – zu zerstören und zu zertreten, sie würden kläglich scheitern. Das Samenkorn hat Leben in sich. Bei all ihren Bemühungen, das Getreide zu vernichten, würde sich doch das eine oder andere Korn unbemerkt ihrem Zugriff entziehen, und wäre es dadurch, dass es an ihren Schuhsohlen klebte und so wieder in die Erde gelangte. Es würde neu Wurzel fassen und aufsprießen, hier und da, würde schließlich wieder ganze Felder füllen ...

Auf dieselbe Weise haben sich die Anstrengungen, das Evangelium der Gnade Gottes zu vernichten, noch immer als erfolglos erwiesen. Sie waren nicht imstande, das Wort des Lebens auszulöschen. Im Gegenteil, es gedieh umso mehr. Die Kirche hat unter zehn römischen Imperatoren grausame Verfolgungen erdulden müssen. Aber was war das Ergebnis? Als diese heidnischen Verwüster dahingegangen waren, hatte das Evangelium fast das ganze römische Imperium bereits durchdrungen.

Doch müssen wir eben noch bei dem interessanten Ausdruck ›das Wort Gottes wuchs und mehrte sich‹ stehen bleiben. Inwiefern kann das Wort Gottes wuchsen, auf welche Weise sich vermehren? In Kapitel 13 wird ein ähnlicher Gedanke so ausgedrückt: „Das Wort des Herrn aber wurde durch die ganze Gegend verbreitet“ (Vers 49). Das ist leichter zu verstehen. Aber kann denn Gottes Wort wachsen und sich vermehren?

Im ›Gleichnis vom Sämann‹ in Matthäus 13 gibt uns der Herr dafür eine gut verständliche Erklärung: Durch das Ausstreuen des Samens vermehrt sich dieser selbst. Das ist in der Natur so, und das ist auf geistlichem Gebiet nicht anders. Der Ausdruck also ›das Wort Gottes wuchs und vermehrte sich‹ bedeutet, dass das Wort in mehr und mehr Herzen Eingang fand.

Obwohl die Ausdrucksweise der Schrift hier allgemein gehalten ist, macht die gegebene Erklärung doch deutlich, dass es sich dabei um eine recht individuelle Angelegenheit handelt. Geistliches Wachstum gibt es nicht „en gros“. Wenn damals das Wort Gottes wuchs und sich vermehrte, so fanden eben viele persönliche Bekehrungen statt, wie sich ein Fluss aus vielen Tropfen zusammensetzt, die alle demselben Gesetz gehorchen. Tausende, vielleicht Zehntausende öffneten damals persönlich ihr Herz, so dass das Wort hineinfallen konnte. Und so ist es grundsätzlich bis heute geblieben.

Ist jedoch der Same des Wortes Gottes ins Herz des Einzelnen gefallen, so wird oder will es auch dort ein weiteres geistliches Wachstum bewirken. Wir müssen also bei dem uns beschäftigenden Ausdruck nicht ausschließlich und allein an die vielen Bekehrungen denken, die zu jener Zeit stattfanden, sondern auch daran, dass das Wort Gottes in den Herzen der gläubig Gewordenen einen wachsenden Einfluss fand. Und das ist es, was Gott auch bei uns erreichen möchte.

Rückkehr nach Antiochien

„Barnabas aber und Saulus kehrten, nachdem sie den Dienst erfüllt hatten, von Jerusalem zurück und nahmen Johannes mit, der auch Markus genannt wurde“ (Apg 12,25).

Dieser Vers knüpft an den letzten Vers von Kapitel 11 an. Barnabas und Saulus waren von den Brüdern in Antiochien beauftragt worden, eine materielle Gabe zur Linderung der Not, die unter den Gläubigen in Judäa bestand, zu überbringen. Jetzt, da sie ihren Dienst in Jerusalem erfüllt hatten und Herodes gestorben war, kehrten sie nach Antiochien zurück. Es scheint, dass sie während der Zeit der Krisis in Jerusalem geweilt hatten. Jedenfalls ist es interessant, dass in Kapitel 11, Vers 29, nur Judäa als Bestimmungsort genannt wird, während wir jetzt sehen, dass auch Jerusalem darin inbegriffen war. Doch darüber haben wir ja schon gesprochen.

Die beiden Diener des Herrn kamen überein, den bereits erwähnten Johannes zum Dienst mitzunehmen. Es ist nicht auszuschließen, ja, wir können annehmen, dass die Anregung dazu von seinem Onkel Barnabas ausging – eine Anregung, in die Saulus dann einwilligte. Der spätere, nicht glückliche Verlauf der Geschichte des Barnabas (Kap. 15,37–40) und auch seines Neffen (Kap. 13,13) scheint diese Annahme zu rechtfertigen. Und wir können schon hier bemerken, dass verwandtschaftliche Beziehungen selten eine gute Rolle im Werk des Herrn gespielt haben.

Wenn die Heilige Schrift hier auch den Beinamen des Johannes erwähnt, Markus, so wohl deshalb, um diesen Diener besser von dem uns bekannten Johannes, dem Apostel Johannes, zu unterscheiden.

So war nun unter der Hand des Heiligen Geistes alles wohl vorbereitet, damit das Werk Gottes unter den Nationen eine neue Dimension annehmen und in einer Weise fortgesetzt werden konnte, die uns nicht nur erstaunen lässt, sondern uns zu Dank und Anbetung Dessen führt, der das alles in Seinem Herzen hatte, ehe es eine Welt gab. Gott führt Seinen Ratschluss aus, was immer die Menschen dagegen auch unternehmen mögen.

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