Die Gabe des Geistes

Der andere Sachwalter

Die Gabe des Geistes

Es ist im Lauf unserer Betrachtung schon einmal darauf hingewiesen worden, dass das Herniederkommen des Heiligen Geistes auf diese Erde das charakteristische Kennzeichen des Christentums sei. Dieser Punkt ist so wichtig und wird doch so oft übersehen, dass ich nicht umhin kann, noch einmal darauf zurückzukommen.

Zwei Dinge waren es, welche Johannes der Täufer von Jesu, dem Sohn Gottes, bezeugte: 1. „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt“, und 2. „Dieser ist es, der mit Heiligem Geist tauft“. Christus war das reine, fleckenlose Lamm, welches Gott sich zum Schlachtopfer ersehen hatte (vgl. 1. Mo 22,8), das in jeder Beziehung passend und annehmlich war, und welches die Sünde hinwegtun sollte, geradeso wie der erste Mensch sie in die Welt eingeführt hatte. Ein neuer Himmel und eine neue Erde, in welchen es keine Spur von Sünde mehr gibt, in denen vielmehr Gerechtigkeit wohnt, wird das volle, herrliche Ergebnis des Opfertodes Christi sein. Wir haben eine unschuldige Welt gehabt, freilich nur für eine ganz kurze Zeit; dann eine sündige Welt, in welcher die Gnade wirkt; und wir werden eine gerechte Welt, eine ganz neue Schöpfung, haben, gegründet auf ein Werk, das niemals seinen Wert und seine Wirksamkeit verlieren kann. Der Sohn Gottes hat dieses Werk vollbracht und nach Vollbringung desselben Seinen Platz zur rechten Hand Gottes genommen. Dort sitzt Er jetzt, dem menschlichen Auge verborgen, bis Er Seine Macht und Herrschaft annehmen und regieren wird von einem Ende des Himmels bis zum anderen Ende.

Aber um alles das tun, um dieses Werk vollbringen zu können, musste Er Mensch werden. Nur ein wahrhaftiger Mensch konnte an des Menschen statt sterben und Gott im Blick auf die Sünde verherrlichen. „Weil die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen“ (Heb 2,14). Er starb, stand wieder auf aus den Toten und kehrte als der auferstandene, verherrlichte Mensch zum Vater zurück. Und nun ist, infolge dieses Seines Hinaufsteigens zu Gott, der Heilige Geist herniedergekommen. Die Gegenwart des Heiligen Geistes ist also eine Folge der Erhöhung Christi zur Rechten Gottes (Joh 7,39). Sie bringt einen Menschen hienieden, der den Heiligen Geist besitzt, in Verbindung mit einem verherrlichten Christus im Himmel droben. Weiterhin beweist diese Gegenwart, dass Gott selbst jetzt auf Erden wohnt. Das ist eine Wahrheit von unermesslicher Tragweite. So lange das Erlösungswerk nicht vollbracht war, konnte Gott nicht bei dem Menschen wohnen. Er hat nie bei Adam und Abraham gewohnt, obwohl Er sie zeitweilig besuchte. Erst als Israel aus Ägypten erlöst war, sagt Gott: „Ich werde in der Mitte der Kinder Israel wohnen und werde ihr Gott sein“ (vgl. 2. Mo 29,45.46).

Nun, nach dem Tod Christi und Seiner Rückkehr zum Vater ist Gott, der Heilige Geist, herniedergekommen und wohnt in dem einzelnen Gläubigen sowohl, als auch in der Versammlung oder Gemeinde, dem Tempel des lebendigen Gottes. Die Folge davon ist, dass der Gläubige nicht nur das ganze Werk kennt, das für ihn auf Golgatha geschehen, sondern dass er auch, wie schon bemerkt, in eine innige Verbindung mit Christo eingeführt ist, da wo Er jetzt ist, und dass er sich in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes rühmt. Bis diese Herrlichkeit den an Christum Glaubenden zuteil wird, wohnt Gott schon in ihnen, und Christus, der verherrlichte Mensch zur Rechten Gottes, ist der Gegenstand ihrer Zuneigungen. Das ist es, was das Christentum kennzeichnet und den Christenstand ausmacht: Christus droben, der Heilige Geist auf dieser Erde. Der Christ ist ein Mensch, der zwischen dem ersten Kommen Christi (und Seinem damals vollendeten Werk) und der Wiederkunft Christi zu seiner Einführung in die Herrlichkeit steht; und zwischen diesen beiden Endpunkten besitzt er den Heiligen Geist, den „anderen Sachwalter“, wie der Herr Jesus Ihn nennt.

Wir finden dies schon in Vorbildern angedeutet. Der Aussätzige z. B. wurde bei seiner Reinigung mit Wasser gewaschen, mit Blut besprengt und schließlich mit Öl, dem Bild des Heiligen Geistes, gesalbt (3. Mose 14). So wird das Wort Gottes (das Wasser) in der Kraft des Geistes auf uns angewandt, das Blut der Versöhnung auf uns gesprengt, und danach wird die Salbung unser Teil. Die Wiedergeburt aus Wasser und Geist (Joh 3) muss vorangehen, dann folgt das Blut; aber außerdem wird der Geist uns gegeben und so die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen.

Lasst uns, ehe wir weitergehen, noch einen kurzen Blick auf die Weise werfen, wie der Heilige Geist im 2., 4. und 7. Kapitel des Evangeliums Johannes uns vor Augen gestellt wird. Es wird uns behilflich sein zu einem besseren Verständnis der diesbezüglichen Aussprüche des Herrn in den späteren Kapiteln. Im 3. Kapitel wird bekanntlich von unserer Geburt aus dem Geist gesprochen. Durch diese Geburt empfangen wir eine neue Natur, ein neues Leben. „Was aus dem Geist geboren ist, ist Geist“, d. h. hat seine Natur von dem Geist (V.6). Das war nichts Neues. Nikodemus hätte es als ein Lehrer Israels verstehen sollen. Mochte Gott im Alten Testament sich auch nicht in der Fülle offenbart haben, wie es jetzt geschah, so war dies doch immer bekannt gewesen: um mit Gott in Verbindung zu sein und Seine Verheißungen in Wahrheit zu genießen, musste der Mensch neues Leben empfangen; Gott musste durch die Kraft Seines Heiligen Geistes vermittelst des Wortes reinigend und belebend in dem Menschen wirken. So sagt Er in Hesekiel 36,25.26 durch den Mund Seines Propheten: „Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein ... Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben“, usw. „Wasser und Geist“ – genau wie in unserem Kapitel (vgl. auch Hes 11,19.20; Jes 44,3).

Beachten wir also, dass es sich hier nicht um das Empfangen des Geistes handelt, sondern um die Mitteilung einer neuen Natur durch die Kraft des Geistes. Wiedergeburt ist nicht Salbung oder Versiegelung. Der Gläubige ist infolge der Mitteilung dieser neuen Natur fähig, die göttlichen Dinge zu genießen, was der natürliche Mensch nicht ist. Es ist deshalb oft mit Recht gesagt worden, dass ein natürlicher Mensch, und wäre es der ehrenwerteste und religiöseste, im Himmel gar nichts finden würde, was seinen Wünschen und Neigungen entspräche. Könnte man ihn in den Himmel versetzen, so würde er so rasch wie möglich ihn wieder verlassen.

Im 4. Kapitel unseres Evangeliums werden wir einen Schritt weiter geführt. Hier handelt es sich nicht um die Mitteilung einer neuen Natur, sondern um die Gabe Gottes, welche in dem Gläubigen zu einer Quelle Wassers wird, die in das ewige Leben quillt. Gott gibt nicht nur die neue Natur, sondern auch die entsprechende Kraft, die in ihr wirken soll, eine Kraft- und Freudenquelle, die dieser neuen Natur eigen ist und ihre Tätigkeit beseelt und leitet. Es ist nicht nur ein Leben, das seiner Natur nach heilig ist, sondern eine göttliche Kraft für den Menschen und im Menschen, eine Kraft, die ihn geradewegs dahin erhebt, wo Christus jetzt ist und ihn alles das genießen lässt, was einem aus Gott Geborenen gehört, ja, die ihn als einen wahrhaftigen Anbeter einführt in die Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohn. „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten“ (vgl. V. 19–24). Es ist mit einem Wort der Heilige Geist, welchen der hienieden in Niedrigkeit und Gnade erschienene Sohn Gottes gibt, zwar nicht als Person, sondern als Leben und als die Kraft unserer Gemeinschaft mit den Quellen der Gnade.

Im 7. Kapitel unseres Evangeliums erreichen wir, in Verbindung mit der fortschreitenden Offenbarung oder Entfaltung der Person Christi, einen neuen Abschnitt in der göttlichen Belehrung über unseren Gegenstand. Jesus redet in diesem Kapitel von Seiner bevorstehenden Rückkehr zu Seinem Vater. Schon am Ende des 6. Kapitels hatte Er von Seinem Tod gesprochen und von der Notwendigkeit für den Menschen, Sein Fleisch zu essen und Sein Blut zu trinken, d. h. mit Ihm, dem Gekreuzigten, in wahre Glaubens- und Lebensverbindung zu treten. Im Anfang des 7. Kapitels lesen wir, dass die Juden Ihn zu töten suchten, und jetzt stand Er im Begriff, zu sterben und dahin zu gehen, wohin der Mensch Ihm nicht folgen konnte. Das Laubhüttenfest*) wurde in Jerusalem gefeiert. Jesus war in der Mitte des Festes hinaufgegangen und stand nun „An dem letzten, dem großen Tag des Festes und rief und sprach: Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Dies aber sagte er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten; denn noch war der Geist war nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war“ (V. 37–39).

Wenn der Herr hier von dem Heiligen Geist spricht, so ist es offenbar in einem ganz anderen Sinn als bisher. Es ist nicht das Lebendig-machen einer Seele, die Geburt aus Wasser und Geist, wie im 3. Kapitel; auch nicht der Geist Gottes als Leben oder als Kraft der Gemeinschaft

FN*) Bekanntlich das letzte in der Reihe der jüdischen Feste. Es wurde in Erinnerung an die Tatsache gefeiert, dass das Volk Gottes, welches einst in der Wüste umherwanderte, sich in dem verheißenen guten Land befand. Der ganze Kreis der Feste war mit ihm vollendet; aber hatten sie den Durst der Seele stillen, die Bedürfnisse des Herzens oder Gewissens befriedigen können? Nein. „Wenn jemand dürstet!“, ruft Jesus am Schluss derselben.

mit dem hienieden in Niedrigkeit offenbarten Sohn Gottes wie im vierten, sondern eine Segnung, die von keinem menschlichen Herzen genossen werden konnte, so lange der Herr Jesus nicht gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren war; und zwar sollten solche diese Segnung empfangen, die bereits an Ihn gläubig waren. Es ist auch hier der Sohn Gottes, welcher redet; aber Er spricht von einer zukünftigen Zeit, wann Er als Sohn des Menschen verherrlicht sein würde. Dann würde Er von dem Himmel her den Heiligen Geist senden, damit Er ein göttliches Band zwischen Ihm, dem verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes droben, und dem auf dieser Erde pilgernden Gläubigen bilde, und damit dieser triumphierend in seinem erhobenen Herrn, die alle Schranken durchbrechenden Ströme des Segens genießen und von sich zu anderen ausströmen lassen könne. Eine ganz neue Ordnung der Dinge sollte damit beginnen. Der hienieden pilgernde Gläubige sollte durch den Heiligen Geist mit den Dingen droben bekannt gemacht werden, und alle seine Interessen, Zuneigungen, Gedanken und Erwartungen sollten sich an Ihn knüpfen, der droben weilt.

Beachten wir den Ausdruck: „Ströme lebendigen Wassers.“ Die Macht des Heiligen Geistes erfüllt das Herz, den inneren Menschen, mit der Herrlichkeit, in welche Christus eingegangen ist, während der Gläubige diese Welt durchschreitet, die eine öde Wüste für ihn geworden ist. Um ihn her ist nichts als die äußerste Dürre. Kein sprudelnder Quell, kein grünes Fleckchen zeigt sich, so weit das Auge reicht; nicht ein schattiger Palmbaum, unter welchem der Wanderer Ruhe finden könnte. Aber siehe da, inmitten der allgemeinen Dürre fließen Ströme lebendigen Wassers von ihm aus, der seine Heimat da gefunden hat, wo Jesus ist, wo die Quellen der Gnade allezeit überströmend fließen. Er hat seinen Durst in Ihm gestillt, die Bedürfnisse seiner Seele bei Ihm befriedigt, und nun ist der Geist in ihm nicht nur eine Quelle Wassers, die in das ewige Leben quillt, sondern von ihm selbst fließt lebendiges Wasser aus, um andere Dürstende zu laben. Er ist selbstverständlich nicht ein Quell in sich selbst, aber der Strom fließt von ihm aus in der Kraft des Heiligen Geistes. Indem das Herz mit der Herrlichkeit droben beschäftigt ist, und vor allem mit Ihm, der den Mittelpunkt all dieser Herrlichkeit bildet, wird es zum Überströmen gefüllt, so dass der Mund von den Herrlichkeiten redet, die das Herz genießt, und so andere des reichen Segens mitteilhaftig macht.

Wieder möchte ich den gläubigen Leser darauf aufmerksam machen, wie alles dieses an und für sich nicht abhängt von der völligen Übergabe oder Hingabe eines Menschen an Gott, oder von seinem zielbewussten Bitten um solchen Segen; nein, es ist die freie, bedingungslose Gabe Gottes, die jedem zuteil wird, der einfältig an Seinen geliebten Sohn glaubt. „Dies aber sagte er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten.“ Von einer anderen Bedingung, als an Ihn zu glauben, ist keine Rede. Die Verheißung gilt allen Glaubenden ohne Unterschied.

Doch vielleicht wird man fragen: Wenn das so ist, wie kommt es dann, dass die Segensströme von manchen Gläubigen so spärlich ausfließen, bei anderen sogar ganz zu fehlen scheinen? Der Grund ist nicht der (abgesehen von den Fällen, wo Mangel an Kenntnis der göttlichen Wahrheit die Seele noch in Finsternis und Knechtschaft hält), dass solche Gläubige den Geist nicht haben, sondern dass sie sich nicht durch Ihn mit dem füllen lassen, was droben ist. Die sichtbaren Dinge haben wieder Wert für sie gewonnen. Die Welt und ihre Grundsätze beeinflussen das Herz. Sie sind nicht zufrieden damit, hienieden nichts zu sein, Zeugen eines verworfenen Christus, nur hier gelassen, um den Willen Gottes zu tun und einer verlorenen Welt die frohe Botschaft von der Liebe Gottes und dem Heil in Christo zu bringen. Das eigene Ich, die Wünsche und Neigungen des alten Menschen, die im Tod gehalten werden sollten, sind lebendig und stark; und so ist der Geist betrübt und gehindert, die Herzen sind leer und dürr. Wie könnten da die Ströme lebendigen Wassers fließen?

Eine besondere Gefahr in unseren Tagen liegt für den Gläubigen in der Neigung, etwas für sich oder für seine Familie in dieser Welt zu suchen. Diese Gefahr war gewiss immer da, aber sie ist heute größer als je. Was war, und ist gegenwärtig in hervorragender Weise, der Wunsch der Kinder dieser Welt? Vorwärts zu kommen, irgendetwas Großes zu tun oder zu werden; was heute errungen wird, gilt nur als Mittel und Unterlage, um morgen noch mehr zu erreichen. Eine derartige Gesinnung bei einem Gläubigen ist die völlige Leugnung seiner Stellung als Christ; sie beweist, dass er mit dem Strom der Welt schwimmt, dass Christus und die unsichtbaren Dinge ihren Wert für ihn verloren haben. Für einen Menschen dieser Welt ist es ganz natürlich, wenn er sucht, einen Platz zu erringen, möglichst viel für sich und seine Familie zu gewinnen; aber wenn ein Gläubiger es tut, wo ist dann die Treue für Christum? Sollten wir nur Sonntags-Christen sein? Oder gehört dem Herrn unser Herz, unsere Kraft, unser Alles auch an den übrigen Tagen der Woche? Wo haben wir am meisten Gelegenheit, uns als Briefe Christi zu beweisen? In unserem Verkehr mit den Kindern dieser Welt, im Geschäft, in der Werkstätte, in der Fabrik, im Kontor, im Laden usw. Da sollen die Briefe von den Menschen gekannt und gelesen werden. Dort sollen die Ströme lebendigen Wassers dürstenden Seelen zufließen.

Wie steht es damit, geliebter Leser? Sei versichert, nur dann, wenn du nicht dir selbst oder der Welt, sondern Dem lebst, der für dich starb und auferstanden ist, wirst du die Kraft des Geistes mit dir haben. Nur dann, wenn du mit Gottes Auge Personen und Dinge um dich her betrachtest und rückhaltlos alles verurteilst, was Seinem Wort entgegen ist, oder was aus Seiner Gnade Vorteil ziehen möchte zur Verschonung des Fleisches und zur Verunehrung des Herrn – nur dann wirst du ein passender Kanal sein, durch welchen die Ströme lebendigen Wassers anderen zufließen können, zum Preise Dessen, der jetzt droben in der Herrlichkeit weilt und uns Seinen Geist gegeben hat, damit Er bei uns sei in Ewigkeit.

Wir kommen jetzt zu den Aussprüchen des Herrn Jesu über den „anderen Sachwalter“. Sie finden sich in dem 14., 15. und 16. Kapitel unseres Evangeliums und führen uns in einen ganz neuen Teil der Wahrheit bezüglich des Heiligen Geistes ein. Es handelt sich nicht mehr um eine neue Natur, wie im 3. Kapitel, auch nicht um die Kraft, welche in dieser Natur wirkt, oder die von innen heraus nach außen fließt, um von einem hienieden verworfenen, aber droben verherrlichten Herrn zu zeugen, wie in Kapitel 4 und 7; nein, wir begegnen jetzt einer göttlichen Person, welche an Stelle des Herrn Jesu fortan bei den Seinigen sein sollte. Jesus war im Begriff, diese Erde zu verlassen. Sein Tod, in welchem Gott vollkommen verherrlicht werden sollte, stand unmittelbar bevor; und als einzig gerechte Vergeltung, als unmittelbares Ergebnis desselben, Seine Verherrlichung droben zur Rechten des Vaters. Nichts Geringeres als das konnte dem Wert Seines Werkes entsprechen. Das Kreuz hat Gott in einer Weise verherrlicht, wie es nie vorher geschehen war und nie wieder geschehen kann; als Antwort darauf hat Gott Seinen Geliebten aus den Toten auferweckt und zu Seiner Rechten mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt.

Dies gibt Veranlassung zu den wunderbaren Belehrungen von Johannes 14. Zunächst redet Jesus von Seinem Hingehen ins Vaterhaus, um dort eine Stätte für die Seinen zu bereiten, sowie von Seiner Wiederkehr. So gewiss Er hingegangen ist, so gewiss wird Er zurückkommen. Aber das ist nicht alles; nein, für die Zeit Seiner Abwesenheit droben im Vaterhaus rechnet Er einerseits auf die Liebe der Seinen, die sich nicht im Klagen und Seufzen, sondern im Halten Seiner Gebote kundtun würde (V. 15); andererseits hat Er eine Vorsorge für sie getroffen, die Seiner Liebe und des Kreuzes würdig ist, eine Segnung, wie sie nie vorher von Menschen auf der Erde gekannt war. „Ich werde“, sagt Er, „den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch ihn kennt. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“ Und nachher: „Der Sachwalter aber, der Heilige Geist, den der Vater senden*) wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (V. 16.17.26).

An anderen Stellen hören wir von einem „Ausgießen“ des Heiligen Geistes, hier von einem „Geben“ und „Senden“. Schon diese Ausdrücke weisen mehr auf die göttliche Person des Geistes hin, als auf die Fülle oder Macht des Segens und der Gnade, die uns in Ihm geschenkt sind. Ich möchte dies besonders betonen, da es so vielfach vergessen wird. Zugleich erinnert es uns auch an den Unterschied zwischen der Gegenwart des Heiligen Geistes in der heutigen Zeit und Seiner zweiten Ausgießung am Ende der Tage „über alles Fleisch“. Dass eine solche stattfinden wird, und dass die Anführung von Joel 2,28–32 durch Petrus am Pfingsttag nur als Erklärung des soeben Geschehenen dienen, nicht aber jene Prophezeiung als erfüllt hinstellen sollte, darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Gleichwie das Eintreten unseres großen FN*) Hier nicht „geben“, wie vorher. Der Unterschied ist beachtenswert, insofern er die Persönlichkeit des Heiligen Geistes deutlicher hervortreten lässt. Eine bloße Macht oder Segensquelle könnte man geben, eine Person sendet man. Der Rest des Verses macht dies noch klarer.

Hohenpriesters ins Heiligtum von einem entsprechenden Zeugnis des Heiligen Geistes begleitet war, so wird auch Sein Heraustreten für Sein irdisches Volk ein solches Zeugnis aufweisen. (Vergl. das Vorbild in 2. Mose 28,33–35.) Dem Frühregen wird der Spätregen folgen. Gott wird sich Seines Volkes Israel wieder annehmen und es in Seiner überströmenden Gnade besuchen; und von ihm aus wird dann unter der Herrschaft des Friedensfürsten der Segen allen Völkern der Erde zufließen.

„Danach“ (d. h. nachdem Gott sich Seinem irdischen Volk wieder zugewandt hat, also am Ende der Tage) „wird es geschehen, dass ich meinen Geist ausgießen werde über alles Fleisch“ (Joel 3,1). Furchtbare Gerichte werden die Erde und ihre Bewohner treffen, aber dann wird ein Strom des Segens sich über Israel ergießen, tiefer und umfassender als je vorher. Doch obwohl das so ist, hören wir nirgendwo von einer Sendung des Heiligen Geistes für jene Zeit. Das ist nur der Fall, wenn von dem gegenwärtigen Zeitabschnitt des Christentums die Rede ist. Nur für diese Zeit heißt es, dass der Vater den Seinen in dem Namen Seines Sohnes einen anderen Sachwalter senden werde. Diese persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes, um in den Gläubigen zu wohnen und sie zu einem Leib zu taufen (obwohl davon hier noch nicht geredet wird), ist eben aufs Innigste verbunden mit der persönlichen Abwesenheit Christi nach Vollbringung des Erlösungswerkes und gründet sich auf dieselbe. Der kommende Tag der Herrlichkeit Christi wird gekennzeichnet sein durch Seine Gegenwart hienieden, und wer könnte die Fülle eines solchen Segens beschreiben? Aber von einer persönlichen Gegenwart des Geistes wird nirgendwo gesprochen. Nicht dass der Heilige Geist nicht da wäre, oder dass nicht dieselben, ja, in einem Sinn noch größere Kraftentfaltungen und Wunderwirkungen stattfinden würden als in dem christlichen Zeitalter – das ganze Weltall wird ja in einem Sinn die gewaltige Bedeutung der Befreiung kennen, welche Christus bewirkt hat; aber der Zustand der Dinge wird ein ganz anderer sein als heute. Es ist auch zu beachten, dass in jenen Tagen wohl noch das Passahfest und auch das Laubhüttenfest gefeiert werden wird, dass aber des Pfingstfestes gar keine Erwähnung mehr geschieht. Das was in diesem Feste vorbildlich dargestellt wird, ist in Erfüllung gegangen.

Beschäftigen wir uns jetzt einen Augenblick mit dem Namen oder Titel, welchen der Herr hier dem Heiligen Geist gibt. Er nennt Ihn den „anderen Sachwalter (Fürsprecher)“ oder den „anderen Tröster“. Das griechische Wort bedeutet beides: sowohl eine Person, die sich mit den Interessen anderer eins macht, die ihre Sache vertritt, ihnen beisteht, sich in jeder Weise für sie verwendet, als auch jemanden, der tröstet, ermuntert, zuspricht. Das also ist der Heilige Geist für uns. Kostbares Vorrecht! Welche Bedürfnisse sich auf unserem Weg auch zeigen, welche Schwierigkeiten und Prüfungen uns begegnen, welcher Gnade wir bedürfen mögen, der Heilige Geist ist da, und Er ist nicht nur imstande, sondern auch bereit, alles zu tun, was zu unserem Heil und Wohl nötig ist. Sollte das Bewusstsein der Gegenwart dieser göttlichen Person, welche herniedergekommen ist, um an Stelle des verherrlichten Herrn bei uns zu sein, die Herzen der Kinder Gottes nicht allezeit erfüllen und beleben? Wir sehen unseren anderen Sachwalter allerdings nicht, aber wir kennen Ihn. Die Welt sieht und kennt Ihn nicht; wir aber kennen Ihn und wissen, dass Er bei uns und in uns ist, zunächst auf Grund des Wortes unseres geliebten Herrn, und dann weil wir Seine Gegenwart wirklich und wahrhaftig erfahren und genießen. Sie ist nicht nur eine Sache des Glaubens, sondern auch der seligen Erfahrung, sei es im Blick auf den Gläubigen persönlich oder auf die Versammlung Gottes gemeinschaftlich. „Wisst ihr nicht“, fragt der Apostel in 1. Korinther 6,19, „dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt?“ Die gläubigen Korinther hatten die mächtigen Wirkungen des in ihnen wohnenden Geistes reichlich erfahren. Und so will Gott es auch. Wenn es anders ist, wenn ein Christ von jenen lieblichen und mächtigen Wirkungen der Gegenwart des Geistes wenig oder nichts mehr weiß, so steht es schlimm um ihn.

„Ich werde den Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass Er bei euch sei in Ewigkeit.“ Im 15. Kapitel sendet der Herr selbst den Heiligen Geist; hier kommt Er auf Seine Bitte von dem Vater zu den Seinen. Dort sendet Ihn der verherrlichte Menschensohn als den Zeugen Seiner Herrlichkeit und Seiner himmlischen Stellung; hier sendet Ihn der Vater im Namen Jesu, weil es sich mehr um das persönliche Verhältnis der Jünger zu Jesu handelt.

„Dass er bei euch sei in Ewigkeit.“ Das ist eine Wahrheit von unermesslicher Tragweite. Nicht nur ist uns der Heilige Geist gegeben, sondern Er soll bei uns bleiben für immer; nicht wie Jesus für eine kurze Zeit bei den Seinen blieb, nicht als ein vorübergehender Besucher, nein, Er soll bei uns bleiben „in Ewigkeit“, uns nie wieder verlassen. Wie bald und wie völlig ist diese kostbare Wahrheit vergessen worden! Gott sei gepriesen, dass Er in unseren Tagen die Aufmerksamkeit vieler Christenherzen wieder auf sie gelenkt hat!

Aber nicht nur soll der Heilige Geist bei uns bleiben, wie der Messias (wenn auch nur für einige Jahre) bei Seinem Volk geblieben war; Er soll auch in uns sein. Eine neue, innige Gegenwart Gottes in den Seinen im Gegensatz zu der Welt, die Christum verworfen hat und den Heiligen Geist nicht empfangen kann, ist damit zur Tatsache geworden. Das ist eine zweite, höchst bedeutungsvolle Wahrheit. Die Wirkung derselben zeigt sich sofort. „Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen“, sagt der Herr, „ich komme zu euch. Noch ein kleine Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber seht mich“ (V. 18.19). Durch die Gegenwart des Heiligen Geistes wird den Herzen der Gläubigen das Schauen Christi weit wirklicher vermittelt, als es je vorher der Fall war. Wohl sehen sie Ihn jetzt mit ihren natürlichen Augen nicht mehr, aber infolge der Belehrungen und Unterweisungen des Geistes erkennen sie Ihn viel tiefer und wirklicher, als die Jünger es in den Tagen Seines Fleisches je zu tun vermochten. Aber mehr noch: „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben. An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch“ (V. 20).

Beachte diese Worte wohl, geliebter Leser! Sinne mit Gebet darüber! Sie reden von einer Gemeinsamkeit des Lebens und der Natur. Unser Leben ist in dem Sohn. Weil Er lebt, werden auch wir leben. Und weil der Heilige Geist in uns wohnt, wissen wir auch, dass wir mit Christo vereinigt, ja, dass wir in Ihm sind. Es handelt sich hier nicht um die Einheit des Leibes (diese finden wir in den Briefen des Apostels Paulus), sondern um eine persönliche Vereinigung mit Christo. Aber welch eine wunderbare Sache ist das! Christus ist in dem Vater, wir sind in Ihm, dem zur Rechten Gottes Erhöhten, und Er ist in uns, die wir hienieden wandeln. Welch kostbare Bande, welch innige Beziehungen! Sie konnten unmöglich gekannt sein, so lange Jesus hienieden pilgerte; sie sind, wenigstens, insoweit wir dabei in Betracht kommen, erst zur Wahrheit geworden durch das Herniederkommen des Heiligen Geistes und Sein Wohnen in uns. Er ist die Kraft dieser Beziehungen oder dieser Vereinigung. Christus ist in uns nach der Macht der Gegenwart des Heiligen Geistes.

Noch einmal möchte ich den freundlichen Leser fragen: Konnte das jemals im Alten Bund genossen werden, oder werden diese Beziehungen im Tausendjährigen Reich gekannt sein? Unmöglich. Es ist eine Segnung ganz besonderer Art, die nur dem Christentum eigen ist. „An jenem Tag“ – das ist jetzt, nachdem der Herr Seinen Platz droben in der Herrlichkeit eingenommen hat und der Heilige Geist herniedergekommen ist, um das unsichtbare Band der Vereinigung des Gläubigen mit Christo zu bilden. Es ist der Tag der christlichen Segnungen, des neutestamentlichen Verhältnisses zwischen den Gläubigen und dem Vater und dem Sohn. Nur jetzt gibt es eine solche Verbindung mit Christo droben vermittelst des Heiligen Geistes. Wenn unser geliebter Herr einmal als König herrscht, wird alles verändert sein. Wir haben gesehen, dass Seine persönliche Gegenwart das kommende Zeitalter kennzeichnen wird, und deshalb muss und wird dann auch die Tätigkeit des Heiligen Geistes eine ganz andere sein als heute.

O möchten wir diese Wahrheit mehr beherzigen, sowohl persönlich, als auch im Blick auf unser gemeinschaftliches Zeugnis! Der Heilige Geist ist bei uns und in uns, als Antwort auf die große Wahrheit, dass Christus sich gesetzt hat zur Rechten Gottes droben. Mit diesen beiden Wahrheiten steht und fällt alles, was uns als Christen von anderen Gläubigen vor oder nach uns unterscheidet. Beide Wahrheiten gehören deshalb auch unzertrennlich zusammen; und man wird immer finden, dass alle, die nicht an die persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes hienieden glauben oder sie wenig beachten, auch wenig Verständnis haben von Christo als dem verherrlichten Menschensohn zur Rechten Gottes, als Haupt Seines Leibes, der Versammlung.

Der Heilige Geist ist also bei und in uns als Der, welcher Christum verherrlicht, der uns beisteht in unseren Prüfungen, uns stärkt gegen die Anläufe und Listen Satans, der uns Freude, Trost und Kraft darreicht und uns befähigt, treu und einfältig, in Demut und Niedriggesinntheit unseren Dienst zu tun, der uns durch das Wort Gottes unterweist und uns straft, wenn wir irgendetwas getan haben, was diesem Wort zuwider ist oder die Person Christi verunehrt. O möchten wir doch ernster auf die Warnungen und Weisungen dieses göttlichen Führers lauschen und mit einfältigerem Glauben Seine Gegenwart verwirklichen! Es ist oft gesagt worden: wenn eine hochgestellte Person, ein Fürst oder König, in unser Haus träte, so würden wir besorgt sein, alles der Gegenwart eines so hohen Gastes entsprechend einzurichten, alles zu tun, was ihm gefiele, und alles zu entfernen, was sein Auge beleidigen oder seinen Unwillen erregen könnte. Wie viel mehr sollte das aber der Fall sein im Blick auf den himmlischen Gast, den Gott uns gesandt hat, damit Er bei uns und in uns sei! Gott hat Seine Kinder zu einem Platz hoher Würde, aber auch großer Verantwortlichkeit berufen. Lasst uns mit Gebet und Flehen darauf bedacht sein, dass unser ganzes Verhalten, unsere Gesinnung, unsere Worte, unsere Blicke, unsere Kleidung, unser Essen und Trinken, ja, alles mehr und mehr in Übereinstimmung stehe mit unserem Bekenntnis von der persönlichen Gegenwart des Heiligen Geistes!

Im 25. und 26. Vers unseres Kapitels lesen wir dann weiter: „Dies habe ich zu euch geredet, während ich bei euch bin. Der Sachwalter aber, der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Die Worte Jesu, während Er hienieden pilgerte und diente, waren Worte, geredet durch den Heiligen Geist, der ohne Maß in Ihm wohnte; und nun sollte derselbe Geist in den Jüngern wohnen und wirken und all die Belehrungen des Herrn in ihr Gedächtnis zurückrufen, sie erinnern an alles, was Er gesagt hatte. Und nicht nur dies ist in Erfüllung gegangen, wie die Evangelien es z. B. beweisen, sondern der Heilige Geist hat die Jünger auch weiter geführt in die Erkenntnis der Wahrheit. „Er wird euch alles lehren.“ Später wird dieser Gedanke, wie wir sehen werden, noch weiter ausgeführt; aber schon an dieser Stelle wird Raum dafür gelassen.

Am Ende des 15. Kapitels wird der Heilige Geist als der Zeuge der neuen, himmlischen Stellung Christi eingeführt. „Wenn aber der Sachwalter gekommen ist, den ich euch von dem Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, so wird er von mir zeugen. Aber auch ihr zeugt, weil ihr von Anfang an bei mir seid“(V. 26. 27). In der vorhin angeführten Stelle bringt der Geist alles in Erinnerung, was Jesus gesagt hatte; hier zeugt Er von Christo selbst, und zwar von Ihm, dem verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes. Auch die Jünger waren Zeugen Jesu; sie hatten Ihn auf Seiner irdischen Wanderschaft begleitet, waren von Anfang an bei Ihm gewesen, hatten von Ihm gezeugt und sollten dies fernerhin tun. Ihr Zeugnis behandelte die irdische Seite, den hienieden lebenden Christus, das Zeugnis des Heiligen Geistes die himmlische Seite, den droben verherrlichten Menschensohn. Ihrem irdischen Zeugnis von Christo wurde also das neue, himmlische Zeugnis des Geistes hinzugefügt. Die Erfüllung dieser Stelle finden wir geschichtlich in der Apostelgeschichte. (Vgl. Apostelgeschichte 5,32.)

Das 16. Kapitel führt uns noch einen bedeutenden Schritt weiter. Am Ende des 14. Kapitels hatte der Herr davon geredet, dass Er zum Vater zurückkehren wolle, und dieser Ankündigung die gnädigen und doch auch nicht ganz vorwurfsfreien Worte folgen lassen: „Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich.“ Sein Hingehen bedeutete einen herrlichen Tausch für Ihn; es führte Ihn aus dieser armen Welt in die Gegenwart ewiger Freude droben beim Vater. Hier im 16. Kapitel berührt Er die andere Seite der Frage, das was dieser Hingang den Jüngern bringen würde. Ihre Herzen waren mit Trauer erfüllt bei dem Gedanken, dass ihr geliebter Herr sie verlassen wollte; „Doch“, ruft Er ihnen zu, „ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch nützlich, dass ich weggehe; denn wenn ich nicht weggehe, wird der Sachwalter nicht zu euch kommen; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden“ (V. 7). Diese Worte beweisen wiederum, dass die Vollendung des Versöhnungswerkes und das Eingehen unseres großen Hohenpriesters ins Heiligtum droben notwendige Erfordernisse waren für das Herniederkommen des Heiligen Geistes. Vor Erfüllung dieser Bedingung konnte Er nicht kommen. Wie hätte Er sündige, unreine Geschöpfe ohne Blutvergießen, ohne vorherige Tilgung ihrer Schuld und Beseitigung der Sünde aus den Augen Gottes, versiegeln und mit Kraft salben können?

„Und wenn er gekommen ist, wird er die Welt überführen1 von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht“ (V. 8). Hier wird zum ersten Mal die Gegenwart des Heiligen Geistes in ihrer Wirkung und Bedeutung für die Welt vor unsere Blicke gestellt. Diese Gegenwart ist für die Welt der überführende Beweis von ihrer Sünde. Es handelt sich hier nicht um das Wirken des Heiligen Geistes an und in einzelnen Personen, auch nicht um die Überführung der Gewissen bezüglich der persönlichen Schuld, der Sünden, (obwohl der Heilige Geist sicherlich in dieser Weise tätig ist), sondern vielmehr um die Überführung der Welt als solcher – ob achtbar und religiös, oder gottlos und ungläubig – von der Sünde, die auf ihr lastet, weil sie den Sohn Gottes verworfen hat: „von Sünde, weil sie nicht an mich glauben.“ Die Verwerfung Christi hat die ganze Welt unter Gericht gestellt. „Jetzt ist das Gericht dieser Welt.“ Christus ist in Gnade und Liebe in diese Welt gekommen, die Güte und Menschenliebe Gottes sind erschienen; „Gott war in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend.“ Aber der Mensch hat dieser Liebesoffenbarung Gottes nur Hass und bittere Feindschaft entgegengebracht; die Welt hat Jesum verworfen. Das Herniederkommen und Wohnen des Heiligen Geistes in den Gläubigen, welches der Erfüllung des Versöhnungswerkes folgte, ist darum der vollgültige Beweis von dem schrecklichen Zustand, in welchem die Welt sich befindet: sie hat die in Christo Jesu ihr entgegengebrachte Gnade verachtet.

„Von Gerechtigkeit aber, weil ich zum Vater hingehe und ihr mich nicht mehr seht“ (V. 10). Wo ist Gerechtigkeit zu finden? In dieser Welt, bei dem Menschengeschlecht? Ach nein, hier ist keine Gerechtigkeit; da ist kein Gerechter, auch nicht einer. Der einzig Gerechte, der je gelebt hat, wurde von der Welt verspottet und ans Kreuz geschlagen. Die Verwerfung Christi hat den sündigen Zustand der Welt vollkommen erwiesen. Das Auge Gottes sieht in ihr nichts anderes als Sünde und Ungerechtigkeit. Wo ist denn Gerechtigkeit zu finden? In Ihm, der droben, zur Rechten Gottes, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt ist. Nachdem unser geliebter Herr Gott vollkommen verherrlicht hatte, ist Er zum Vater zurückgekehrt und hat sich auf Seinen Thron gesetzt. Ihm diesen Platz zu geben, war göttliche Gerechtigkeit, und dieselbe Gerechtigkeit hat Jesum den Blicken der Welt für immer entzogen. Für die Welt als solche ist jetzt alles aus; sie hat Christum für immer verloren, und nur Gericht bleibt für sie übrig. Der zur Rechten des Vaters sitzende Menschensohn, sowie der Geist hienieden sind ein beständiges Zeugnis von „Gerechtigkeit“, von göttlicher Gerechtigkeit in Ihm droben. Ernste Tatsache für die Welt, kostbares Zeugnis für alle, die an Jesum glauben!

„Von Gericht aber, weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist“ (V.11). Satan, der Fürst dieser Welt, hatte alles versucht, um Jesum aus dem Weg zu räumen. Die ganze Welt, Juden und Heiden, Priester und Volk, hatten ihrem Fürsten willig Heerfolge geleistet, als er den letzten Entscheidungskampf mit dem Fürsten des Lebens führte und anscheinend Sieger blieb; denn Christus starb am Fluchholz, wie ein gehenkter Missetäter. Aber indem Er dort starb, besiegte Er in Wirklichkeit Satan, und mit ihm alle Mächte der Finsternis. Das Kreuz und die ihm folgende Auferstehung sind der Beweis, dass Satan überwunden und alle Gewalt des Todes vernichtet ist. Satan ist gerichtet. Die Gegenwart und Macht des Heiligen Geistes, welcher alle Macht des Feindes nicht zu widerstehen vermag, bezeugen das unzweideutig, und wenn auch die Welt selbst noch nicht von dem Gericht ereilt worden ist, so ist doch ihr Fürst bereits gerichtet, und darum ist die Gegenwart des Heiligen Geistes für die Welt (mag sie es annehmen oder nicht) die Überführung von „Gericht“. Sie ist dem Gericht verfallen.

Zum Schluss noch ein Wort über den letzten der wunderbaren Aussprüche unseres Herrn bezüglich des Heiligen Geistes. Er ist wiederum von tiefer Belehrung und Schönheit.

„Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht von sich selbst aus reden, sondern was er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen. Alles was der Vater hat, ist mein; darum sagte ich, dass er von dem Meinen empfängt und euch verkündigen wird“ (V. 12–15). Von der Wirkung der Gegenwart des Heiligen Geistes im Blick auf die Welt geht der Herr hier zu dem Segen und der Hilfe über, welche diese Gegenwart den Jüngern bringen würde. Nicht nur sollte der Geist sie an alles erinnern, was Er ihnen gesagt hatte, nicht nur von Ihm, dem verherrlichten Menschensohn droben, zeugen, sondern Er sollte sie auch in die ganze Wahrheit leiten; mit einem Wort, Er sollte an Stelle des scheidenden Herrn ihr göttlicher Lehrmeister werden. Der Herr hätte den Jüngern noch vieles zu sagen gehabt; aber sie waren nicht fähig, es zu „tragen“, sie konnten es nicht fassen. Aber nach dem Hingang Christi und dessen gesegneten Folgen würden sie imstande sein, in die ganzen herrlichen Wahrheiten, Hoffnungen und Segnungen des Christentums eingeführt zu werden. Die Herzen der Jünger waren so erfüllt von der Erwartung irdischer Segnungen für Israel, dass sie sich erst nach und nach an das völlig Neue der christlichen Wahrheiten gewöhnen konnten. Sie waren in keiner Weise vorbereitet auf die Offenbarung der göttlichen Ratschlüsse bezüglich eines verherrlichten Christus und einer mit Ihm ins Heiligtum droben eingeführten Schar. Der Geist, „der alles erforscht, auch die Tiefen Gottes“ (1. Kor 2), sollte sie hierüber belehren, ja, sie in die ganze Fülle der neutestamentlichen Wahrheit einführen. Auch sollte Er ihnen „das Kommende verkündigen“.

Die Schriften der Apostel machen uns mit diesen Mitteilungen des Heiligen Geistes bekannt, auch hinsichtlich der Gedanken Gottes über diese Erde und ihre Zukunft. Nicht nur in dem Buch der Offenbarung, sondern auch in den Briefen der Apostel findet sich das prophetische Wort in ausgedehntem Maß, und es sollte sicherlich die gleiche Wertschätzung bei uns finden, wie die übrigen göttlichen Mitteilungen. Der Heilige Geist hat nicht aufgehört, ein Geist der Prophezeiung zu sein.

Dennoch ist Seine Hauptaufgabe die Verherrlichung Christi; und bei der Erfüllung derselben redet Er nicht aus sich selbst2, das will sagen: nicht wie wenn Er eine unabhängige, für sich allein stehende und handelnde Person wäre; „sondern was er hören wird, wird er reden“. Wie der Sohn einst auf diese Erde kam, nicht um Seinen eigenen Willen zu tun und in Unabhängigkeit zu handeln, sondern um alles zu tun, was irgend Er den Vater tun sah, um als Diener den wohlgefälligen Willen Gottes zu vollbringen, so ist der Heilige Geist herniedergekommen, um den Sohn zu verherrlichen und alles das zu reden, was Er hören würde.

„Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen. Alles was der Vater hat, ist mein.“ Das ist, wie gesagt, der Mittelpunkt, um den sich bei der Wirksamkeit des Heiligen Geistes alles dreht: die Verherrlichung Christi. Christus hat droben Seinen Platz eingenommen, kraft der Vollkommenheit Seines Werkes und der Würdigkeit Seiner Person, und alles was der Vater hat, ist nun Sein – nicht nur Sein als Sohn der ewigen Liebe des Vaters, sondern als Sohn Gottes, wie Er in dieser Zeit offenbart worden ist; und darum kann der Heilige Geist nun von dem Seinigen nehmen und uns verkündigen, Er kann Seine Herrlichkeit vor uns entfalten im Blick auf alles das, was Ihm, als verherrlicht bei dem Vater, angehört. Freilich wird all unser Wissen und Erkennen, so lange wir in diesem Leib sind, immer Stückwerk bleiben, immer nur stückweise geschehen können; aber – o welche Höhen und Tiefen der göttlichen Gnade! – der ganze Umfang dessen, was unserem geliebten Herrn gehört, alles was der Vater hat, ist uns aufgeschlossen, und es ist die Freude des Heiligen Geistes, von dem Seinigen zu nehmen und uns mitzuteilen.

Geliebter Leser! Sinne mit Ernst hierüber nach und frage dich, inwieweit es wohl dem Heiligen Geist bis heute möglich war, diesen Seinen Zweck, die Verherrlichung Christi, bei dir zu erreichen; inwieweit die ernste und doch zugleich so kostbare Wahrheit von der persönlichen Gegenwart des Heiligen Geistes in deinem Herzen Verwirklichung gefunden hat.

Fußnoten

  • 1 Der Leser beachte den Ausdruck „überführen“. Er bedeutet nicht dasselbe wie „überzeugen“. Die Nichtbeachtung dieses Unterschieds hat das Verständnis der Stelle vielfach sehr erschwert. Ein „überführter“ Sünder ist noch kein „überzeugter“ Sünder. Ein Verbrecher kann von seiner Schuld überführt werden, ohne dass irgendeine Wirkung in seinem Innern hervorgebracht wird, so dass er sich weder unter das Ergebnis der Verhandlung beugt, noch seine Missetat anerkennt.
  • 2 nicht: „von sich selbst“, in dem Sinn von „über sich selbst“, wie es oft ausgelegt worden ist. Der Heilige Geist spricht viel von sich selbst, aber nie aus sich selbst. Er redet das, was Er von dem Vater und dem Sohn hört. Es gefällt Ihm, der Diener der Ratschlüsse des Vaters und der Verherrlichung des Sohnes zu sein, gleichwie der Sohn vorher der Diener des Vaters war.
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