Das Buch Haggai

Kapitel 1

Das Buch Haggai

Haggai 1,1-11: Erste Botschaft: Appell Gottes an das Gewissen des jüdischen Überrestes, damit er Reue zeigt

1. Einführung: V. 1

Darius ist seit einem Jahr König und hat gerade das zweite Jahr seiner Herrschaft angetreten (520 v. Chr.), als im sechsten Monat, am ersten des Monats 1 das Wort Gottes an Haggai ergeht. Sie ist an den Überrest Judas dieser Zeitepoche gerichtet, und im Besonderen an seine weltlichen und religiösen Führer Serubbabel und Josua.

Serubbabel ist Statthalter. Sein Name bedeutet „gesät (oder geboren) in Babylon“ oder vielleicht „freudig in der Drangsal“. Im Buch Esra wird er auch mit seinem persischen Namen Sesbazar genannt (Esra 1,8).

Er ist königlichen Ursprungs und stammt in direkter Linie von David ab. Er gehört zum Geschlechtsregister des Herrn (Lk 3,27) und wird auch hier der Sohn Schealtiels genannt, der über Davids Sohn Nathan von diesem abstammt. Er wird aber auch der Sohn Pedajas genannt (1. Chr 3,19). 2

Josua ist der erste Hohepriester nach der Gefangenschaft. Er wird mehrere Male im Buch Sacharja erwähnt. In den Büchern Esra und Nehemia wird er Jeschua genannt. Er war der Sohn Jozadaks, der von den Babyloniern in die Gefangenschaft weggeführt wurde (1. Chr 6,15; hier wird er Jehozadak genannt), und der Enkel Serajas, der nach der Einnahme Jerusalems in Ribla von Nebukadnezar getötet wurde (2. Kön 25,18.21).

Diese beiden Männer sind prophetische Vorbilder auf unseren Herrn, der das Amt des Königs und des Hohenpriesters bekleidet.

2. Der göttliche Vorwurf: V. 2-6

Bemerken wir zuallererst, das es der Herr des Universums ist, der sich hier an die rebellische Nation wendet: „der HERR der Heerscharen“, wobei sowohl die irdischen als auch die himmlischen Heere (Engel, Sterne) gemeint sind 3. Dies ist der Name der Beziehung Gottes mit seinem Volk, welcher die Macht und Souveränität über alle Geschöpfe und alle Dinge beschreibt. „Der HERR der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit“ (Ps 24,10). Die erste Nennung dieses Titels erfolgt im Anschluss an die zeitliche Chronologie, die sich auf Darius bezieht (V. 1), um die Herrlichkeit des Herrn herauszustellen. Ebenso ist Christus heute für die Versammlung „Haupt über alles“ (Eph 1,22).

Die Botschaft beginnt mit der Darlegung der Ausrede des Volkes, um seine Gleichgültigkeit bezüglich der Arbeit zu erklären, die Gott ihnen anvertraut hatte: „Dieses Volk spricht: Die Zeit ist nicht gekommen, die Zeit, dass das Haus des HERRN gebaut werde“ (Hag 1,2). Wir machen hier einige Bemerkungen zum Inhalt der Botschaft:

  • Gott redet sie nicht mit „mein Volk“, sondern mit „dieses Volk“ an, um so seine Miss-billigung (Jer 14,10), ja seine Ablehnung (2. Mo 32,7) auszudrücken. Israel wird mit den anderen Völkern gleichgesetzt.
  • Ihre Ausrede ist schlecht; in Wirklichkeit sind ihre Zuneigungen zu Gott erkaltet. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen. Der Widerstand Persiens 4 unter dem Einfluss der Samariter ist der Vorwand, um zu bekräftigen, dass dies wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt ist, um die Arbeit zu vollenden. Diese Worte verbergen auch eine Mischung aus Fatalismus und Angst vor den Feinden (die sie hier nicht erwähnen!), also einen Mangel an Glauben.
  • Sie zeigen ihre Geringschätzung gegenüber dem Wort Gottes. Durch den Propheten Jesaja hatte Gott lange im Voraus die Geburt Kores' und den Wiederaufbau der Stadt Jerusalem angekündigt. Der HERR, der sie in das Land zurückgebracht hatte und für ihren Wohlstand gesorgt hatte, hätte ihnen sicherlich den Sieg über ihre Feinde geben und ihnen bei dem Wiederaufbau des Hauses helfen können. Sie waren hierher zurückgeführt worden, um zu bauen!

Wie oft müssen wir erkennen, dass wir heute genauso schlechte Gründe vorbringen, um dem Herrn nicht zu gehorchen!

Gott antwortet, indem er ihnen eine Frage stellt 5: „Ist es für euch selbst Zeit, in euren getäfelten Häusern (vgl. Jer 22,14) zu wohnen, während dieses Haus 6 wüst liegt?“ (Hag 1,4). Sie hatten gut begonnen. Das Kapitel 3 des Buches Esra gibt davon Zeugnis: „sie richteten den Altar auf an seiner Stätte“ (Esra 3,3). Aber jetzt hat jede Bemühung aufgehört. Der Egoismus und die Suche der eigenen Bequemlichkeit (vgl. Hld 2,9) ersetzen das brennende Verlangen, dass sie das Haus Gottes zu bauen hatten. Sie bewohnen komfortable Häuser, und das Haus Gottes wird vollständig aufgegeben.       

David wohnte in einem Haus aus Zedern - ein Baumaterial, das normalerweise königlichen Wohnsitzen vorbehalten war, aber es verlangte ihn vor allen Dingen, einen Tempel für Gott zu bauen (1. Chr 17,1).

Die Christen, welche sich auf der Erde einrichten wollen, erfahren nicht den Widerstand der Welt, und sie werden keine Energie des Glaubens benötigen. Für die Arbeit am Bau des Hauses Gottes ist jedoch eine solche Energie notwendig.

So kommt nun zum ersten Mal in diesem Buch 7 die an die Söhne Judas gerichtete Ermahnung: „Richtet euer Herz auf eure Wege“ (Hag 1,5; vgl. Ps 119,59). War diese Art zu handeln nutzbringend für sie gewesen? Nein, seit sie aufgehört haben, das Haus Gottes zu bauen, erfahren sie bitteres Leid (vgl. Ps 127,1.2). All ihr Egoismus hat ihnen keinen Gewinn, sondern - ganz im Gegenteil - Verluste eingebracht. Gott hatte den Segen über die materiellen Dinge zurückgehalten, den er seinem irdischen Volk gewöhnlich gewährte.

  • Sie haben viel gesät, sie bringen wenig ein (Mal 2,3; 5. Mo 28,38-40; 3. Mo 26,20). Sie haben nicht den erwarteten Ertrag, um ihren Hunger zu stillen und ihren Durst zu löschen.
  • Ihre Kleidung ist nicht ausreichend. Sie können ihre Körper nicht aufwärmen. Ihre Herzen bleiben auch kalt.
  • Ihr Lohn, die Frucht ihrer Arbeit, hätte als eine gute Belohnung angesehen werden können, aber letztlich scheint er in einen durchlöcherten Beutel gelegt worden zu sein: der größte Teil war verloren.

Auch wenn all dies zuerst aus der Perspektive der Juden betrachtet werden muss, bleibt für uns der Grundsatz bestehen: „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden“ (Mt 6,33). Der Herr soll immer den ersten Platz im Herzen des Gläubigen einnehmen. Wir sollen seine Interessen im Blick haben und ganz ihm geweiht sein. In seiner Gnade trägt er in jeder Hinsicht Sorge für uns. Die Vernachlässigung der Dinge Gottes bringt jedoch immer die gleichen bitteren Enttäuschungen mit sich, nämlich einen ungestillten geistlichen Durst und nicht angefachte geistliche Zuneigungen.

3. „Richtet euer Herz auf eure Wege!“: V. 7-11

„Richtet euer Herz auf eure Wege“, wiederholt der Herr. Und er befiehlt ihnen, auf das Gebirge zu steigen, Holz herbeizubringen und das Haus zu bauen. Er wird Wohlgefallen daran haben und verherrlicht werden. Mit welch einer Fürsorge verlangt er von den Seinen ein Herz, das ganz ihm geweiht ist!

Wir verherrlichen unseren Gott durch Anbetung. Der Vater sucht Anbeter, die „in Geist und Wahrheit anbeten“ (Joh 4,23). Aber um ein Haus zu erbauen 8, muss man passende Materialien suchen. Dies ist eine schwierige Aufgabe, die ganz besonders dem obliegt, der evangelisiert (der also eine entsprechende Gabe besitzt oder das Werk eines Evangelisten tut).

Früher wurden Bretter herbeigebracht, um die Stiftshütte bzw. den Tempel zu bauen. Ebenso erfordert der Bau der Versammlung in Liebe, dass die Menschen vom Libanon (Esra 3,7; die „Zedern“) auf das Gebirge der Gnade gebracht werden (Heb 12,21).

Vorläufig kann der HERR jedoch nicht den Segen über sie ausgießen, den er für sie bereithält. Die Söhne Judas verachteten ihn und verunehrten seinen Namen. Sie liefen ein jeder „für sein eigenes Haus“ (Hag 1,9) 9.

Infolgedessen „blies“ 10 Gott in das hinein, was sie taten. Der Tau und der Regen wurden zurückgehalten (siehe 2. Sam 1,21 und 1. Kön 17,1 im Gegensatz zu Mal 3,10) und die Felder konnten keine Frucht mehr hervorbringen. Der Wohlstand war gewichen, und es ist Gott, der diese Dinge „gerufen“ 11 hat! Alle Bereiche (V. 10 u. 11) werden berührt, einschließlich der Hügel (Joel 4,18), die gewöhnlich fruchtbare Gebiete darstellten, und der Menschen (siehe auch 5. Mo 28,22) durch die Verminderung der Geburtenzahl (Unfruchtbarkeit).

„Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er geißelt aber jeden Sohn, den er aufnimmt“ (Heb 12,6). Der Herr lässt es zu, dass die Gläubigen ihrem eigenen Weg folgen, ohne sie aufzuhalten. Die Gemeinschaft ist unterbrochen, zumindest eine Zeit lang. Die Züchtigung, die Gott hier in Bezug auf den jüdischen Überrest ausübt, beweist, dass seine Augen stets auf ihn gerichtet sind. In seiner Treue befasst er sich mit den Fehlern seines Volkes und achtet dabei darauf, dass alles zu seiner Verherrlichung ausschlägt.

Haggai 1,12-15: Zweite Botschaft: Appell Gottes an den Geist des jüdischen Überrestes, damit dieser Eifer zeigt

Der Geist Gottes hat sich mit einer flammenden Botschaft an das Gewissen und das Herz des Überrestes gewandt. Im Unterschied zu dem, was sich vor der Gefangenschaft ereignet hat, ist die göttliche Botschaft nicht ohne Wirkung. Sie erkennen, was der HERR in seiner Gnade von ihnen verlangt. Sie richten ihr Herz auf ihre Wege und begreifen, wie berechtigt der Vorwurf doch ist.

Die Führer und das Volk hören auf die Stimme des HERRN und fürchten ihn. Bemerken wir in diesem Zusammenhang Folgendes:

  • Die erste Botschaft richtet sich an die beiden Führer, aber der „ganze Überrest des Volkes“ (also der treue Überrest) macht sie sich zu Eigen.
  • Serubbabel wendet die Botschaft auf sich persönlich an. Im Gegensatz zu den anderen Versen dieses Buches wird er hier nicht „Statthalter“ genannt.
  • Es tritt sehr selten auf, dass eine so kurze Botschaft so schnell 12 Gehör findet 13! Ein weiterer Beweis der Macht des Geistes Gottes!

Sofort bringt Haggai ihnen eine neue und kurze Botschaft der Ermutigung: „Ich bin mit euch, spricht der HERR“ (Hag 1,13).

Es wird deutlich gesagt, dass der Prophet nicht aus sich selbst spricht. Er ist der einzige, den Gott dadurch ehrt, dass er ihn seinen „Boten“ nennt 14. Die Menschen, die behaupten, sie seien Diener des Herrn, die aber keine Botschaft von ihm bringen, da sie sich nicht wirklich auf sein Wort stützen, sind eine der großen Geißeln der heutigen Christenheit 15.

Welche Segnungen sind in diesen vier Worten enthalten: „Ich bin mit euch!“ Sie vermitteln dem Überrest die Gewissheit der Errettung am Tag der größten Schwachheit. Hatten ihre Väter in den helleren Tagen der Vorzeit mehr erfahren?

Genauso lange, wie wir auf Gott blicken und auf ihn vertrauen, steht uns seine Kraft zur Verfügung. Wenn wir „mit ihm“ sind, ist er „mit uns“ (2. Chr 15,2). Wenn uns seine Gegenwart auf diese Weise verheißen wird, so lasst uns darauf Acht geben, in seiner Gemeinschaft zu bleiben.

Es ergibt sich nun hieraus eine kraftvolle Erweckung, um am Haus Gottes zu arbeiten. Wenn wir nicht erkennen, dass Gott mit uns ist, werden all unsere Bemühungen, sein Haus zu bauen nutzlos sein. Durch den HERRN in ihrem Geist geweckt, gehorchen Serubbabel, Josua und der ganze Überrest des Volkes auf den göttlichen Appell. Es gibt keine zwieträchtige Stimme! Alle nehmen ihre Verantwortung wahr. Das Wort „Geist“ legt die Betonung auf das Wirken Gottes am inneren Menschen. Wenn man dies mit Esra 1,5 vergleicht, so findet man bei jedem denselben Geist, dasselbe beabsichtigte Werk und dieselben Beweggründe.

Dies ist ein bemerkenswerter Tag: Er wird sorgfältig im letzten Vers dieses ersten Kapitels verzeichnet.

Fußnoten

  • 1 Der erste Tag des Monats, der Tag des Neumondes, bot eine besondere Gelegenheit, um den Propheten zuzuhören (siehe 2. Kön 4,23).
  • 2 Für diese offensichtlich unterschiedlichen Angaben bietet das Gesetz über die Ehe im Rahmen der Schwagerpflicht eine befriedigende Erklärung (5. Mo 25,5.6).
  • 3 Der Ausdruck „(so) spricht der HERR der Heerscharen“ findet sich 13 mal in diesem kleinen Buch.
  • 4 Bemerken wir, dass in Esra 4,21 der Bau der Stadt und seiner Mauern, nicht aber der Bau des Tempels verboten wird.
  • 5 In diesem Buch werden sieben Fragen gestellt: Haggai 1,4.9; 2,3 (zweimal).12.13.19.
  • 6 Man beachte auch die in Verbindung mit dem Haus Gottes verwendeten Artikel bzw. Pronomen „das“, „dieses“ oder „mein“.
  • 7 Man findet in Haggai fünfmal diesen Aufruf an die Juden, ihr Herz auf etwas zu richten: Haggai 1,5.7; 2,15.18.
  • 8 Das Haus Gottes zu erbauen, bedeutet zum Beispiel auch: - uns um lebende Steine zu kümmern (gemäß 1. Kor 3 und Jud 20); - seine Gabe im Blick auf die Einheit und auf ein Wachstum in Liebe auszuüben (Eph 4,11-16); - für die Versammlung zu beten (gemäß 2. Kor 11,28) - unser Zusammenkommen nicht zu versäumen oder aufzugeben (gemäß Heb 10,25).
  • 9 Bezüglich des Laufens siehe Philipper 3,14; Sprüche 1,16; Jesaja 59,7. Als sie alle für ihr eigenes Haus laufen, reagiert der Feind nicht!
  • 10 „Blasen“ bedeutet hier so viel wie „in den Wind schlagen“ oder „verachten“ (vgl. Mal 1,13 mit Anm.).
  • 11 Gott beginnt damit, die Menschen zu rufen (Jes 48,15). Wenn ihre Antwort negativ ausfällt, „ruft“ er folglich den Fluch über sie (2. Kön 8,1; Ps 105,16).
  • 12 Nämlich 23 Tage nach der Botschaft Haggais! Diese Zeit ist nicht lang, wenn man bedenkt, wie viel Zeit not-wendig ist, um die Arbeiten wieder aufzunehmen, wenn man das Sammeln der Materialien und das Zusammen-rufen der Spezialisten (Esra 3,7) berücksichtigt. Sind wir ebenso bereit, das Wort auf unser Leben anzuwenden.
  • 13 Im Hebräischen wird hier ein Ausdruck verwendet, der dem Wort „gehorchen“ ähnelt. Wahrscheinlich wird aus diesem Grund gesagt, dass sie auf „ihren Gott“ hörten und ihn fürchteten.
  • 14 Die Bedeutung des Namens des Propheten Maleachi ist übrigens „mein Bote“ (vgl. Mal 2,7).
  • 15 Bestimmte Sekten bieten biblische Studien an mit dem versteckten Ziel, ihre falschen Lehren zu glaubhaft zu machen. Aber sie lassen die wahre Botschaft des Evangeliums vollständig beiseite, die von Paulus gepredigt wurde: Jesus Christus und ihn als gekreuzigt (1. Kor 2,2).
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