Der Morgenstern (Offenbarung 22)
Christus stellt sich uns in diesem Kapitel dar als der „glänzende Morgenstern“, welcher kurz vor Tagesanbruch sichtbar wird. Alle Herrlichkeit, welcher Art auch ihre Offenbarung sein wird, ist in Verbindung mit der Person des Herrn Jesus Christus; Ihm wird „jedes Knie sich beugen“ und Er wird wiederkommen, gerade dies herbeizuführen. Wenn wir Ihn kennen, so kann es nicht anders sein, als dass wir von Herzen wünschen, das Böse, welches die Welt verwüstet hat, hinweggetan und alles wieder in Ordnung gebracht zu sehen, was durch des Menschen Sünde und Untreue verderbt worden ist.
Der Herr sagt in Vers 7 unseres Kapitels: „Siehe, Ich komme!“, und fügt dieser Verheißung Seines Kommens noch das Wort bei: „Glückselig, der da bewahrt die Worte der Weissagung dieses Buches!“, d. h. glückselig, wer auf sie hört und sie beachtet. Nachher gibt Er derselben Verheißung noch eine andere Anwendung. „Siehe, Ich komme bald und Mein Lohn mit Mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird“ (Vers 12). Doch haben diese Worte hier nicht so sehr den Charakter einer Verheißung, als vielmehr, in Verbindung mit den sich anschließenden Worten, als einer Mitteilung, wie Er bei Seinem Kommen mit uns handeln werde. Er will uns dadurch vor Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit warnen und die, welche bisher treu waren, zum Ausharren und Ertragen des Bösen ermutigen. „Habt nun Geduld, Brüder... Siehe, der Richter steht vor der Tür!“ (Jak 5,7–9). „Siehe, Ich komme bald!“ Dass Er einen jeden beurteilen wird, wie sein Werk sein wird, ist eine ernste Warnung, die sich an das Gewissen eines jeden einzelnen richtet, und der Herr möchte besonders auch die Gewissen der Seinigen dadurch wach und rege erhalten. Denn wie Er das Gericht über die Welt ausführen wird, so werden alsdann auch die Früchte des Wandels und der Werke der Heiligen offenbar werden, freilich durchaus nicht in Verbindung mit irgend welchem Gericht über sie selbst, und daher auch ohne Beziehung zu ihrer Errettung.
Durch das Offenbarwerden des Lebens des Gläubigen werden zwei Punkte besonders zutage treten: erstens die Früchte der Wirksamkeit des Geistes in dem Wandel und Werk des Gläubigen, und zweitens der Wert des Werkes Christi, welches den Glaubenden von Anfang an zum Heiligen macht und die gleiche Kraft und denselben Wert hat für den Schwächsten aus ihnen wie für einen Apostel. In dieser Beziehung gibt es keinen Unterschied. Christus ist ebenso sehr meine Gerechtigkeit, als Er die des Paulus war, da Er Ihn zum Apostel machte. Wir mögen in uns selbst sehr schwach sein, aber unsere Gerechtigkeit bleibt dieselbe. Wir haben alle dasselbe Leben und sind die Mitteilhaber derselben Herrlichkeit. Das herrliche Erlösungswerk Christi umfasst die „vielen Brüder“, aber ein jeder von ihnen wird je nach seinen Werken belohnt werden. Ich sage so viel darüber, damit wir alle zu verstehen vermögen, was die Gnade des Herrn ist. „Ich, Jesus, habe Meinen Engel gesandt, um von diesen Dingen zu zeugen in den Versammlungen. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern“ (Vers 16). Alles, wodurch Gott auf Erden Seine Herrlichkeit entfalten wird, fließt aus diesem hervor. Jesus ist die Wurzel, die Quelle aller Verheißungen, und Er ist auch das Geschlecht Davids, d. h. der Erbe und die Erfüllung von allen Verheißungen, als „dem Fleische nach geworden aus dem Samen Davids“, und Er ist dies auch jetzt, als auferstanden aus den Toten.
Aber wir haben als mit Ihm zu neuem Leben Auferweckte noch mehr, das gleiche Teil nämlich, das Er selbst hat. Er spricht von sich selbst, wenn Er sich darstellt als den „glänzenden Morgenstern“. Er selbst wird jetzt kommen, um alles in Ordnung zu bringen. Ist dir Christus kostbar? Wenn nicht, so befindest du dich nicht auf Gottes Seite, und auch als Gläubiger bist du in einem schlechten Zustand, wenn Er dir nicht kostbarer ist als alles andere. Wenn Du es überdrüssig wirst, von Ihm zu hören, so verleidet dir ja das, worin Gott Seine größte Freude findet, und der Himmel kann ja dann keinen Reiz für dich haben. Der Himmel selbst kann dich nicht glücklich machen, wenn Christus nicht deine Freude ist, denn Er ist dort der Mittelpunkt aller Glückseligkeit. Hat Er für dich immer noch kein Ansehen, dass du Seiner begehren möchtest? In Gottes Augen ist Er voller Schönheit, „ganz und lieblich“, und wo irgend etwas von Gott Gewirktes in einer Seele ist, da ist auch der Wunsch nach Ihm vorhanden. Und wir wünschen Ihn nicht nur zu sehen wie ein schönes Bild, um uns einen Augenblick an Ihm zu freuen, sondern wir möchten Ihn mehr kennen, mehr lieben. Ihm gehören unsere Zuneigungen; und wenn auch diese Wünsche noch lange nicht erfüllt sind, so ist doch dieses Verlangen, dieser Durst nach Ihm vorhanden, den Er allein stillen kann. Ist dies nicht der Fall und kannst du auch ohne Christus auskommen, dann ist dein Herz noch fern von Gott, der in Ihm allein Seine ganze Freude findet, und es besteht keine Gemeinschaft zwischen dir und Ihm. Er sagt: „Dies ist Mein geliebter Sohn, an welchem Ich Wohlgefallen gefunden habe“. Du aber freust dich Seiner nicht, noch kennst du Ihn als das Verlangen deines Herzens. Ich spreche hier nicht von Pflichten oder vom Überwinden dieser oder jener Sache. Ich frage nur, ob Christus es ist, was dein Herz begehrt, Tag für Tag? Ach, wie oft findet man keine Antwort. Wenn man von Ihm zu sprechen wünscht, und das Gespräch wird von diesem Gegenstand weggewendet, weil das Gewissen nicht ruhig, sondern im Gegenteil sich bewusst ist, dass Christus nicht geliebt wird.
Der Herr, indem Er sich den „glänzenden Morgenstern“ nennt, lehrt uns dadurch, noch ehe der Morgen anbricht und der volle Tag anbricht, an die herrliche Zeit zu denken, wenn das Böse hinweg getan sein wird. Diese Zeit ist noch nicht gekommen. Noch ist es Nacht; aber wir sind unserer Stellung nach in dieser Welt schon „Kinder des Tages“, d. h. solche, die nichts mit der Welt gemeinsam haben. Wir sollen der Welt gegenüber die Gnade darstellen. Wir sind nicht von der Welt, sondern Kinder des Tages. Alles, was sich in der Welt befindet, ist für den Christen, sofern er treu ist, entgegen seiner Hoffnung. Wir sind verbunden mit dem Morgenstern, vereinigt mit Christus und mit Ihm in Gott verborgen. Wir haben unser Teil mit Ihm, ehe noch der Tag kommen wird, in welchem Er als die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen wird, mit „Heilung unter ihren Flügeln“. Dann wird die Welt sehen, aber vorher schon ist Er selbst unser Teil als der Morgenstern. Wir wachen und warten in der Nacht auf Ihn, und wir werden Ihn auf eine Weise sehen und kennen, wovon die Welt nichts weiß. „Ich will ihm Gewalt geben über die Nationen; und Er wird sie weiden mit eiserner Rute, wie Töpfergefäße zerschmettert werden, wie auch Ich von Meinem Vater empfangen habe, und Ich will ihm den Morgenstern geben“ (Off 2, 26–28). Nicht nur haben wir die Verheißung, den Segen des kommenden Tages zu genießen, sondern wir werden mit Ihm vereinigt sein im Herbeiführen dieses Tages. Nicht nur werde ich die Herrlichkeit haben, sondern ich werde sie mit dem Herrn besitzen. Der Tag bringt uns die Herrlichkeit, aber wir werden sie mit Christus haben, der Sonne dieses Tages. „Und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein.“ Das war Trost genug für die Thessalonicher, und wenn unsre Herzen das erfassen, so muss es notwendigerweise den Wunsch nach Seinem Kommen auch bei uns hervorrufen. Dieser Wunsch kennzeichnet den, der Christus angehört. Wir kennen Ihn, wie Ihn die Welt nicht kennt, und wissen, dass wir allezeit bei Ihm und Ihm gleich sein werden. „Der Geist und die Braut sagen: Komm!“ (Vers 17). Der Wunsch nach Seinem Kommen ist die rechte Stimmung der Seele, wozu sie durch den Heiligen Geist fähig gemacht worden ist. Nachdem Christus in die Höhe gefahren und der Heilige Geist hernieder gekommen ist, um von Seiner Verherrlichung zu zeugen, ist unser Auge auf Ihn dort oben gerichtet. Es ist der Beweis eines wirklichen Werkes aus Gott in der Seele, wenn Er das Herz erfüllt und wir Sein Kommen wünschen, um bei Ihm zu sein und Ihn zu sehen, wie Er ist. Ist die Welt nicht zwischen dich und Ihn getreten? Kannst du in Wahrheit sagen: Alles hier unten ist wertlos im Vergleich mit Christus, meinem Herrn? Wünschest du vor allem, fortzuschreiten in Seiner Erkenntnis? Es ist der Charakter der Welt, dies zu hindern, und wir haben zu wachen, auf dass das, was Tag für Tag Geist und Seele beschäftigt, uns nicht hindere, an Ihm uns genügen zu lassen und mit Ihm Gemeinschaft zu haben. „Nicht vom Vater“ ist alles, was in der Welt ist: die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens. Wenn das Herz davon eingenommen wird, kann es nicht wachsen in der Erkenntnis Christi, noch sagen, dass sein einziger Wunsch das Kommen des Herrn sei. Um wirklich sagen zu können: Komm! müssen wir der Welt ganz entfremdet werden. Die Gnade hat bei Seinem ersten Erscheinen betreffs unserer Sünden alles geordnet, und indem sie uns in ein so nahes Verhältnis zu Christus brachte, hat sie in uns die Zuneigungen geweckt, die einem solchen Verhältnis entsprechen. Wenn ich also weltlich wandle oder sonst den Geist betrübe, so wird stets der Wunsch in mir leben, Christus zu sehen und bei Ihm zu sein. Die Kirche ist die Braut Christi. Verhalten wir uns auch so, als Teil dieser Braut?! Eine jegliche Seele, welche die Stimme des Hirten gehört hat und ihr gefolgt ist, vereinige sich mit uns in dem Bewusstsein dieses Verhältnisses und spreche: Komm! Und wenn irgend jemand dieses Bewusstsein noch nicht hat, so nehme er doch Christus auf ohne Zögern, auf dass er mit uns den Platz der frohen Erwartung des Morgensterns teilen könne. Solange wir in der Welt sind, befinden wir uns an einem Ort, wo Christus nicht gekannt wird. Ich bin noch nicht an meinem Platz in der Herrlichkeit, aber ich habe die Quelle Wassers in mir, die in das ewige Leben quillt, und in diesem Bewusstsein sage ich: Komm! Der Geist, der in mir ist, ruft diesen Wunsch wach. Warum sehne ich mich nach dem Schauen Christi? Weil ich weiß, dass Er mich liebt! Warum nach dem Hause des Vaters? Weil ich weiß, dass dieses Teil und dieser Platz mir als Kind gehört. Alle Quellen der Freude liegen in diesem Verhältnis; darum kann ich auch sagen: „Wen da dürstet, komme!“ Die Freude, die ich selbst in Gott finde, äußert sich notwendigerweise in der Liebe gegen andere und in dem Verlangen, dass auch sie diese Freuden geniessen möchten.
In dieser Stelle ist Christus ganz besonders der Gegenstand, auf den die Braut gerichtet ist. Und sobald Er sagt: „Ich bin der Morgenstern“, so antwortet sie: Komm! „Und wer es hört, der spreche: Komm! und wen da dürstet, komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Die Braut besitzt das Wasser des Lebens und kann es anbieten, nämlich Christus für den ärmsten Sünder.