Aus dem Wort der Wahrheit (Band 5)
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Das Hohelied der Liebe

Aus dem Wort der Wahrheit (Band 5)

(1. Kor 13)

Manche wundern sich darüber, dass das Kapitel 13 zwischen den Kapiteln 12 und 14 steht. Kapitel 12 behandelt die Gaben, die Gott in der Versammlung gegeben hat, und Kapitel 14 die Ausübung der Gaben. Nun steht da mittendrin dieser Abschnitt über die Liebe. Manche meinten, dass der Abschnitt besser an einer anderen Stelle stehen würde als hier. Doch wenn wir den Zusammenhang verstehen, sehen wir, dass dies der einzige Ort ist, an dem das Kapitel stehen muss.

Wir haben in Kapitel 12 gesehen, wie Gott der Versammlung Gaben gegeben hat und wie die Kraft des Heiligen Geistes sich inmitten der Versammlung offenbart. Von großartigen Dingen wird dort gesprochen: von dem Wort der Weisheit, von dem Wort der Erkenntnis, von Glauben, von Gnadengaben der Heilungen, von Wunderwirkungen, von Weissagung, von Unterscheidungen der Geister, Arten von Sprachen und Auslegung der Sprachen. Solche großartigen Gaben hat der Heilige Geist schwachen Menschen, wie wir sind, gegeben. Denken wir beispielsweise an Apostelgeschichte 2, wo plötzlich einfache Fischer aus Galiläa in Sprachen reden konnten, die sie nie gelernt hatten. Die Menschen in Jerusalem sagten: „Und wie hören wir sie, jeder in unserer eigenen Mundart, in der wir geboren sind?“ Was für ein Wunder, wenn ein Mensch plötzlich eine Sprache fließend sprechen kann, die er nie gelernt hat, und wenn er in dieser Sprache die großen Taten Gottes verkündigen kann! Und nicht bloß in einer Sprache, denn alle Menschen in Apostelgeschichte 2 sagten: „Wir hören sie die großen Taten Gottes in unseren Sprachen reden.“ Sie redeten also in verschiedenen Sprachen. Und der Apostel Paulus sagte in 1. Korinther 14, dass er mehr in Sprachen redete als die Korinther.

Wenn wir nun 1. Korinther 12 aufmerksam lesen, finden wir etwas sehr Bemerkenswertes. Es wird viel über Gnadengaben gesprochen, aber nicht über die Gnade selbst. Und in Kapitel 14 wird über die Ausübung der Gaben gesprochen. Kapitel 13 liegt zwischen diesen Kapiteln und sagt uns, was die notwendige Voraussetzung für die Ausübung der Gaben ist, damit sie für andere zum Nutzen sind.

Die Korinther waren stolz auf die vielen Gaben in ihrer Versammlung, so stolz, dass manchmal zwei oder drei zugleich in der Versammlung redeten. Dadurch herrschte eine große Unordnung, wie wir aus Kapitel 14 entnehmen können. Dort schrieb der Apostel, dass nicht zwei zugleich sprechen sollten. Wenn eine Ermahnung nicht nötig ist, finden wir sie auch nicht im Wort Gottes. Der Apostel ermahnte sie auch, dass sie in den Versammlungen nicht in Sprachen reden sollten, wenn kein Ausleger da war. Zugleich gab es sehr ungute Dinge in der Versammlung: Hurerei, Trunkenheit beim  Abendmahl, Irrlehre (in Kapitel 15 lesen wir, dass manche die Auferstehung leugneten), und doch offenbarten sich zur selben Zeit die Gaben.

Wenn jemand heute beispielsweise in einer Sprache reden würde, die niemand versteht, und er würde das nur deshalb tun, um sich als wichtig hervorzutun, so würde er damit niemanden erbauen. Wenn ich zum Beispiel Sanskrit sprechen würde – abgesehen davon, dass ich diese Sprache nicht sprechen kann –, würde niemand etwas verstehen. Welchen Nutzen hättet ihr dann davon? Gar keinen! Mein einziges Ziel könnte doch nur sein, einmal zu zeigen, wie gelehrt oder begabt ich bin. Aber das ist nicht der Zweck, zu dem Gott die Gaben gegeben hat. In Epheser 4 heißt es, dass die Gaben zur Auferbauung der Versammlung gegeben sind. In 1. Korinther 14 finden wir dasselbe. Diese Auferbauung wird nicht erreicht, wenn die Gabe nicht zweckentsprechend gebraucht wird. Zugleich muss sie so ausgeübt werden, wie Gott es bestimmt hat. In Römer 12 wird beispielsweise der Nachdruck nicht auf die Gaben selbst gelegt, sondern auf die Art und Weise, wie sie ausgeübt werden sollen. Dort steht in Vers 6: „Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns verliehenen Gnade: es sei Weissagung, so lasst uns weissagen nach dem Maß des Glaubens; es sei Dienst, so lasst uns bleiben im Dienst; es sei, der da lehrt, in der Lehre; es sei, der da ermahnt, in der Ermahnung; der da gibt, in Einfalt; der da vorsteht, mit Fleiß; der da Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit.“

Die Tatsache, dass 1. Korinther 13 zwischen den Kapiteln 12 und 14 steht, zeigt, in welcher Weise die Gaben ausgeübt werden sollen. Und nicht nur dieser Abschnitt, sondern die ganze Schrift macht deutlich, dass wir Dinge, die wir aus Gnade bekommen haben, für uns selbst gebrauchen können, um unsere eigene Ehre zu suchen. Ja, gibt es irgendetwas Gutes, das jemand nicht aus Gnade bekommen hat? Wem habe ich es zu verdanken, wenn ich gesund bin? Habe ich das selbst bewirkt, oder ist es Gott, der mir die Gesundheit geschenkt hat? Wenn ich einen guten Verstand habe, habe ich das selbst bewirkt? Haben wir alles, was wir besitzen, nicht allein durch die Güte Gottes? Wie viel bilden wir uns manchmal darauf ein, was wir aus Gnade empfangen haben! Manche sind stolz darauf, dass sie stark sind. Manche sind stolz auf ihren guten Verstand und darauf, dass sie gut studieren können. Wie stolz sind manche Menschen darauf, dass sie zu einer reichen Familie gehören, als ob sie selbst es verdient hätten. Stolz ist ein Grundübel der menschlichen Natur.

Leider sehen wir dasselbe bei denen, die zur Versammlung Gottes gehören. Dabei sind wir doch durch die Gnade errettet (Eph 2,5.8) und Gottes Gnade hat jedem Einzelnen in der Versammlung seinen Platz gegeben, wie wir in Kapitel 12 gesehen haben. Außerdem hat Er manchen Personen  Gaben gegeben: Manche haben das Wort der Weisheit, andere das Wort der Erkenntnis, andere Weissagung usw. Also nicht jedem Weissagung, nicht jedem das Wort der Weisheit oder das Wort der Erkenntnis. Finden wir es nicht auch in der Versammlung, dass wir uns oft so verhalten, als hätten wir die Gaben aus uns selbst, und gebrauchen wir sie nicht teilweise zu unserer eigenen Ehre?

Da war ein Prediger, der sich rühmte, über jeden Bibelabschnitt sofort predigen zu können. Er bat darum, dass man ihm, wenn er predigen würde, einen Zettel mit einem Abschnitt auf die Kanzel legen sollte, über den er predigen sollte. Jemand legte ihm einen leeren Zettel hin, worauf er über den Anfang predigte, als noch nichts da war. Kam diese Predigt aus einem Herzen, dem es darum ging, die Gabe, die Gott gegeben hatte, dazu zu gebrauchen, die Gläubigen aufzuerbauen? Das ist nur ein Beispiel.

Zu Beginn von 1. Korinther 13 heißt es: „Wenn ich mit den Sprachen der Menschen und der Engel rede“. Es heißt hier nicht: „in einer Sprache eines Menschen“, sondern „mit den Sprachen der Menschen und der Engel“. Das bedeutet also, dass ich vom Heiligen Geist die Gabe empfangen hätte, alle Sprachen, die es auf der Erde gibt, sprechen zu können, ohne sie gelernt zu haben, und sogar die Sprachen der Engel, was kein Mensch je konnte. Selbst wenn ich das könnte, aber keine Liebe hätte, wäre ich „ein tönendes Erz geworden oder eine schallende Zimbel“. Was wäre es wert, wenn ich die Gabe nicht zum Nutzen für andere gebrauchte? Wozu wäre es gut, wenn ich hier in fremden Sprachen spräche? Es würde mich ja doch keiner verstehen. Eine Gabe wird nur dann in der rechten Weise ausgeübt, wenn sie aus der Liebe hervorkommt, denn die Liebe entspricht der Gesinnung des Dienens. Sie bringt mich nicht nur dazu, dass ich arbeite, sondern auch dazu, dass ich diene, wenn ich arbeite.

In den Versen 1–3 wird deshalb die Vortrefflichkeit der Liebe vor allem anderen vorgestellt. In Vers 2 heißt es: „Wenn ich Weissagung habe und alle Geheimnisse und alle Erkenntnis weiß, und wenn ich allen Glauben habe, so dass ich Berge versetze, aber nicht Liebe habe, so bin ich nichts.“ Weissagen heißt, dass jemand aus der Gegenwart Gottes spricht, dass er die Gedanken Gottes ausspricht, die Gott in einem bestimmten Augenblick ausgesprochen haben will. Wie Petrus sagt: „Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes“ (1. Pet 4,11). Zur damaligen Zeit konnten Männer Gedanken Gottes aussprechen, die noch nicht bekannt waren. Weiter heißt es: „und alle Geheimnisse weiß“. Das sind Dinge, die zur Zeit des Alten Testaments nicht bekannt waren, die Gott aber im Neuen Testament offenbart hat. Als der 1. Korintherbrief geschrieben wurde, war noch kaum ein Buch des Neuen Testaments vorhanden. Dieser Vers bedeutet also, dass ich, wenn ich alle Verborgenheiten, die noch im Neuen Testament offenbart werden sollten (und das waren nicht wenige), kennen würde, aber keine Liebe hätte, ich nichts wäre. „Alle Erkenntnis zu wissen“ bedeutet, alle Gedanken Gottes zu kennen.

„Und wenn ich allen Glauben habe“. Hier spielt der Heilige Geist zweifellos auf den Glauben an, der Berge versetzt, so wie der Herr es seinen Jünger gesagt hat: „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berg sagen: Werde versetzt von hier dorthin!, und er wird versetzt werden“ (Mt 17,20). Wäre es nicht großartig, einen Glauben zu haben, der so stark ist, dass man Berge versetzen kann? Doch es ist möglich, alle Geheimnisse und allen Glauben zu haben, ohne Liebe zu haben. Dann bin ich nichts.

Werfen wir einen Blick in das Alte Testament, um diese Verse besser zu verstehen! Dort wird gesagt, dass Saul unter den Propheten war und dass er weissagte. Saul war kein bekehrter, wiedergeborener Mensch. Er war ein gottloser Mensch, der später von Gott verworfen wurde. Und doch war er unter den Propheten. Kennst du die Geschichte von Bileam in 4. Mose 23 und 24? Er war ein Prophet und sagte wunderbare Dinge über das Volk Israel: „Ein Volk, das abgesondert wohnt und unter die Nationen nicht gerechnet wird“ (4. Mo 23,9). Es ist jetzt 3500 Jahre her, dass er das sagte, und es ist genau eingetroffen. Weiterhin sagte er: „Meine Seele sterbe den Tod der Rechtschaffenen, und mein Ende sei gleich dem ihrigen“ (V. 10). Als die Kinder Israel das Land eroberten, töteten sie ihn, als sie die Midianiter besiegten (Jos 13,22). Das Gericht Gottes traf ihn, denn er war ein gottloser Mensch. Sein Name wird in der Schrift als abschreckendes Beispiel gebraucht (2. Pet 2,15; Jud 11), weil er für Geld bereit war, das Volk Gottes zu verfluchen. Dennoch weissagte er solche wunderbaren Dinge, weil der Heilige Geist durch ihn wirkte.

Es ist also möglich, eine Gabe zu haben, sie aber zum eigenen Vorteil und zur eigenen Ehre zu gebrauchen. Lasst mich noch ein weiteres Beispiel nennen: In den Evangelien steht, dass der Herr Jesus die zwölf Jünger aussandte und ihnen Macht gab, Kranke zu heilen und Tote aufzuerwecken. Er sagte das nicht nur zu den elf Jüngern, sondern zu allen zwölf, einschließlich Judas. Später kehrten die zwölf Apostel zurück und erzählten dem Herrn alles, was sie getan hatten (Lk 9,10). Judas war ebenfalls unter ihnen, denn auch er war einer der zwölf. Später sagte der Herr Jesus von ihm, dass es besser gewesen wäre, wenn er nicht geboren worden wäre. Oh, wir wissen von uns selbst sehr gut, dass wir die Gaben, die Gott uns gegeben hat, gebrauchen können, damit wir geehrt werden. Deshalb muss nach Kapitel 12, wo die Gaben aufgezählt werden, und vor Kapitel 14, wo ihre Ausübung behandelt wird, erst die Liebe behandelt werden, damit deutlich wird, was das Motiv bei der Ausübung jeder Gabe sein muss.

Wir beurteilen andere oft nach den Fähigkeiten oder Gaben, die sie haben. Jemand, der eine große Gabe vom Herrn empfangen hat, sei es als Evangelist, als Lehrer oder als Hirte, wird als großer Mann im Volk Gottes angesehen. Aber Gottes Wort sagt, dass die Person groß ist, die die meiste Liebe hat. Die Größe der Liebe und die Art und Weise, wie sie betätigt wird, bestimmt die „Größe“ eines Christen inmitten der Gläubigen. Und das wird in diesem Kapitel nachdrücklich behandelt.

In 1. Johannes 4,8-10 lesen wir: „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe. Hierin ist die Liebe Gottes zu uns offenbart worden, dass Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben möchten. Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden.“ Nur bei Gott selbst können wir die Liebe sehen  – und diese Liebe soll auch in unserem Leben gefunden  werden.

In 1. Johannes 4,19 steht: „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“ Im Gesetz hieß es: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen“ (5. Mo 6,5). Das sagt das Neue Testament nicht. Im Alten Testament, im Gesetz, wurde es dem natürlichen Menschen als eine Verpflichtung auferlegt, dass er als Geschöpf den Schöpfer lieben musste. Als gefallener Sünder wollte und konnte er das nicht. Von uns heißt es dagegen: „Wir lieben“. Wir lieben, denn wir haben die göttliche Natur empfangen, die lieben kann. Die Liebe wohnt in jedem Gläubigen. So kann sie gegenüber Gott, gegenüber den Kindern Gottes und gegenüber den Ungläubigen zum Ausdruck kommen!

Diese Liebe hat also zwei Seiten. Die eine ist zu Gott gerichtet (vertikal), die andere zu den Menschen (horizontal). Bei Gott sehen wir die Liebe, die zu den Menschen gerichtet ist: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16). Bei dem Herrn Jesus sehen wir, dass der „der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat“ (Eph 5,2). Nun, die Liebe zu Menschen muss auch bei uns vorhanden sein. In 2. Korinther 5,14 lesen wir, dass der Apostel Paulus im Blick auf die Ungläubigen um sich herum sagt: „Denn die Liebe des Christus drängt uns.“ Wozu drängte ihn diese Liebe? Das Evangelium zu predigen! Er sah die Menschen auf ihrem Weg ins ewige Verderben, und die Liebe Gottes in seinem Herzen konnte nicht einfach zusehen, wie sie verloren gingen. Die Liebe, die nicht ruhig zusehen konnte, wie du und ich verloren gehen würden, und die darum aus dem Himmel herabkam, um das Werk auf Golgatha zu vollbringen, das Ihn so unendlich viel kostete, diese Liebe drängte den Apostel Paulus, hinauszugehen und das Evangelium zu verkündigen, damit die, die hörten, errettet würden. So muss die Liebe sich auch in uns offenbaren. Sie soll sich auf alle erstrecken, mit denen wir in Berührung kommen, auf Gläubige wie Ungläubige. Die Liebe dient einfach, so wie auch der Herr Jesus nicht auf die Erde kam, um zu herrschen, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele (Mt 20,28).

Die zweite Seite ist, dass die Liebe sich zu Gott richtet. Das ist die Liebe, die aus unserem Herzen zu Gott aufsteigt. Bei Gott sehen wir diese wunderbare Liebe, deren Gegenstand wir waren. Bei Ihm ist die Quelle der Liebe, die allein in unserem Herzen die Liebe bewirkt hat und die allein imstande ist, sie in unserem Herzen wachsen zu lassen und zum Vorschein zu bringen. Ach, wenn wir über unsere Liebe sprechen, wie sehr müssen wir uns dann schämen! Wenn wir sehen, wie Gott uns in seinem Wort die Liebe vorstellt, wie Er sie geübt hat und wie wir sie üben sollten, dann wird uns bewusst, wie schwach das bei uns ist! Wie tief empfinden wir dann unsere Unzulänglichkeit!

Dann richtet Gottes Wort unsere Augen auf den Herrn Jesus, wo wir die Liebe in ihrem Ursprung und in ihrer vollkommenen Offenbarung finden. Wenn wir seine Liebe betrachten, geschieht etwas Wunderbares: Dann empfangen wir die Kraft, diese Liebe selbst zu zeigen, wie uns das in Verbindung mit der himmlischen Herrlichkeit in 2. Korinther 3,18 vorgestellt wird. Die Kraft zu ihrer Entfaltung empfangen wir nur dadurch, dass wir sie in ihrem Ursprung betrachten, so wie Er sie offenbart hat. Wie erwacht diese Liebe in mir, wenn ich Ihn am Kreuz betrachte und den Sohn Gottes sehe, „der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). Das ist die Folge davon, dass man auf den Herrn Jesus sieht. Es ist auch die einzige Art und Weise, wie unsere Liebe zunehmen und wirken kann.

Nein, Gott sei Dank, es ist bei uns nicht so wie bei jenen, die unter Gesetz waren: die wurden aufgefordert, Gott zu lieben. Wir lieben. Der Herr sagt den Jüngern, dass sie einander in derselben Weise lieben sollen, wie Er sie liebt (Joh 13,34). Er hat sein Leben für sie gegeben, und wir sind ebenfalls schuldig, unser Leben für sie zu geben. Die Schrift sagt uns zugleich, dass wir dabei auf Ihn sehen sollen. Wenn wir in diesem Kapitel lesen, was die Liebe ist, dann finden wir in den Evangelien, wie sie gewirkt hat: in der Person des Herrn, in seinem Leben auf der Erde. Er, der die Liebe selbst ist, hat sie vollkommen offenbart.

In diesen ersten drei Versen sehen wir also, dass die Vortrefflichkeit der Liebe über alles andere gestellt wird und dass sie unerlässlich ist, um eine Gabe auszuüben. Nichts ist für Gott von Wert, wenn der Beweggrund nicht die Liebe ist. Es gibt nur einen zuverlässigen Beweggrund und eine Kraft zum Dienst: die Liebe! Ohne sie wird selbst eine geistliche Gabe zur Aufgeblasenheit dessen führen, der sie ausübt, und zum Verderben derer, an denen sie ausgeübt wird. Es kann aber sein, dass Gott sie dennoch gebraucht – aber ich werde keinen Nutzen davon haben und auch keinen Lohn bekommen. Ja, es kann gut sein, dass Gott mir eine Gabe als Lehrer gegeben hat und dass Er den Dienst, den ich dadurch tue, zum Segen anderer gebraucht, auch wenn mir die Liebe fehlt. Er kann mit einem krummen Stock einen geraden Schlag führen, weil Er allmächtig und souverän ist.

Wozu habe ich eine Gabe empfangen? Kapitel 12,7 sagt nachdrücklich: „Einem jeden aber wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben.“ Vergleiche auch Kapitel 14,1–6.12.19.31 und Epheser 4,12. Die Liebe und Sorge des Herrn Jesus für seine Versammlung war der Anlass dafür, dass ich eine Gabe bekommen habe. Wie kann ich dann die Gabe zu wahrem Segen benutzen, wenn ich keine Gemeinschaft mit dem Herrn in seiner Liebe zu der Versammlung habe? Es geht also um den Ursprung des Dienstes. Nicht was wir tun, sondern die Art und Weise bestimmt den Wert für Gott. Nicht was wir sind, sondern die Art und Weise, wie wir uns offenbaren, bestimmt die wahre Größe, die ein Kind Gottes unter den Gläubigen in den Augen Gottes hat.

„Und wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen austeile“ (V. 3a). Ist das nicht eine außergewöhnlich gute Tat? Nicht nur den Armen einen Teil zu geben, sondern alles, was ich habe? Tat das nicht die arme Frau, die Witwe in Jerusalem, die von dem Herrn besonders gelobt wurde? Und doch sagt das Wort hier, dass es wertlos ist, wenn die Liebe nicht die Triebfeder ist. Wir haben im Wort Gottes Beispiele dafür. Denken wir nur an die Begebenheit von Ananias und Sapphira (Apg 5).

Vor siebzig Jahren lebte in Amerika ein Mann, der in rücksichtsloser Weise Hunderte Millionen Dollar zusammengebracht hatte. Als er älter wurde, setzte er sich zur Ruhe und sammelte ein Heer von Bediensteten um sich, obwohl er sehr einfach lebte. Er tat das aus Angst vor den Menschen, die er betrogen hatte, denn er war in seinen Geschäften über Leichen gegangen. Er spendete große Beträge für alle möglichen guten Zwecke, auch an christliche Einrichtungen, denn er bekannte, Christ zu sein. So machte er sich einen Namen als großer Menschenfreund, während er doch vorher allen als der große Finanzier bekannt gewesen war, der viel „Glück“ in seinen Geschäften hatte und wegen seiner gnadenlosen Härte in seinen finanziellen Manipulationen gefürchtet war. Wo war die Liebe im Herzen dieses Mannes?

Wissen wir nicht, was im Herzen des Menschen ist? Warum kommt bei einer Sammlung von Haus zu Haus mit Namensliste viel mehr zusammen, als wenn man mit einer Sammelbüchse herumgeht, wo niemand mitbekommt, was hineingetan wird? Ein Bruder erzählte mir, dass einmal ihr Sammelbeutel nicht benutzt werden konnte und dass sie deshalb eine offene Schale nahmen. An diesem Morgen wurde merklich mehr gesammelt als sonst! Wie kam das? Wenn die Liebe meines Herzens mich treibt, den Betrag, den ich in Überlegung vor dem Herrn festgestellt habe, für die Bedürfnisse der Heiligen, das Werk des Herrn usw. zu geben, wie würde ich dann in eine geschlossene Büchse oder einen Beutel weniger hineintun, als wenn es eine offene Schale wäre? Was ist die Triebfeder in meinem Herzen?

„Und wenn ich meinen Leib hingebe, damit ich verbrannt werde, aber nicht Liebe habe, so nützt es mir nichts“ (V. 3b). Offensichtlich bezieht sich diese Stelle auf das Sterben als Märtyrer. Ist das nicht etwas Großes? Kann das ohne Liebe getan werden? Ja, es ist möglich. Wie viele Ungläubige haben sich für ihre Grundsätze foltern lassen! Kommunisten haben ihr Leben für ihre politischen Ansichten gegeben, Mohammedaner für ihren falschen Glauben usw.

Nur die Liebe gilt als Motiv, d. h. in unserem Herzen muss dieselbe Gesinnung sein, die im Herzen Gottes war und ist. Aus Liebe sandte Er seinen Sohn auf die Erde, damit Er dort für verlorene Menschen starb. Aus Liebe kam der Sohn Gottes herab, um mich zu retten und mir ewige Segnungen zu erwerben. Ich will einige Verse lesen, wo das, was wir hier in 1. Korinther 13 finden, bestätigt wird: „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 5,1.2).

Wenn wir in 1. Korinther 13 weiterlesen, finden wir in den Versen 4 bis 7 den Charakter der Liebe in 14 Eigenschaften. Eigentlich ist das eine Beschreibung des Herrn Jesus. In den Versen 4 und 5 finden wir acht Dinge, die ausdrücken, dass man sich selbst ganz außer Acht lassen muss.

„Die Liebe ist langmütig“, sie ist geduldig und kann warten. Bei wem sehen wir das, wenn nicht bei dem Herrn Jesus? Er ertrug es, dass die Jünger sich stritten, wer von ihnen der Größte sei, als Er vor ihnen sein Herz ausschüttete angesichts der Leiden, die vor Ihm standen. Er ertrug es, dass alle Ihn bei seiner Festnahme verließen. Er ertrug es, dass Petrus Ihn verleugnete und unter Eid beteuerte, Ihn nicht zu kennen. Er ertrug es, dass kleine Geschöpfe es wagten, zu Ihm zu sagen: „Wir sind nicht durch Hurerei geboren“ (Joh 8,41) – eine abscheuliche Anspielung auf seine wunderbare Geburt. Und sie kamen, um Ihn zu versuchen, hoben Steine auf, um Ihn zu steinigen. Der Herr klagte, dass sie Ihm Hass für seine Liebe erwiesen hatten (Ps 109,5). Ja, bei Ihm sehen wir, dass die Liebe langmütig ist.

Nun, wir haben Ihn als unser Leben empfangen. Wir sind „Teilhaber der göttlichen Natur“ geworden (2. Pet 1,4). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1. Joh 4,19). Es ist daher normal, dass sich die Liebe auch bei uns in dieser Weise offenbart. Sicher, in der Ewigkeit wird unsere Liebe vollkommen sein. Aber dort kann sie sich nicht so offenbaren wie hier auf der Erde, denn dort gibt es keine sündige Welt, kein Fleisch mehr. Dort brauchen wir nicht mehr langmütig und geduldig zu sein. Jetzt aber wohl – auch in der Mitte der Gläubigen! Wie oft mussten die Brüder und Schwestern mir gegenüber Langmut zeigen, und wie oft hatte ich Gelegenheit, es anderen gegenüber zu tun! Leider wird auch unter den Gläubigen manchmal das Fleisch offenbar, und es gibt viele verkehrte Dinge. Gott gibt uns manches Mal Gelegenheit, diese Liebe zu offenbaren, denn es gibt oft genug Grund, langmütig zu sein. Oder ist es nicht richtiger zu sagen, dass der Teufel uns diese Gelegenheiten bereitet?

„Die Liebe ... ist gütig; die Liebe neidet nicht, die Liebe tut nicht groß, sie bläht sich nicht auf“ (V. 4). Ist es nicht auffällig, dass nahezu alles, was von der Liebe gesagt wird, passiv ist? Es werden kaum Dinge genannt, wie sie handelt, sondern fast immer wird gesagt, was sie nicht tut. Die Schrift gebraucht Verneinungen, um den Charakter der Liebe zu beschreiben, weil die Welt keine wahre Liebe kennt. Formulierungen, die die Liebe positiv beschreiben, sind daher selten. Und wo die Sünde und die Macht der Finsternis herrschen, da muss derjenige, der die Liebe zeigt, leiden. Darum gab es für den Herrn Jesus hier keinen Platz, denn Er war die Liebe und offenbarte sie vollkommen.

„Die Liebe ... ist gütig.“ Sie strömt anderen gegenüber von Güte über. „Sie neidet nicht“. Sie beneidet andere nicht um das, was sie haben. „Sie tut nicht groß“. Sie ist nicht stolz auf das, was sie hat, um den Neid anderer zu wecken. „Sie bläht sich nicht auf“. Sie bildet sich nichts ein, um sich über andere zu erheben. „Sie gebärdet sich nicht unanständig“. Sie handelt immer in taktvoller Weise. Wenn jemand das nicht tut, beweist das, dass er sich in diesem Augenblick nicht durch die Liebe leiten lässt.

In der Welt sagt man manchmal: Das sind Menschen, die eine gute Erziehung genossen haben und deshalb wissen, wie man sich zu benehmen hat. Aber in bestimmten Umständen fällt der ganze Anschein guter Manieren ab, und ein Mensch offenbart sich in seinem wahren Charakter. Im Gegensatz dazu kann ein rauer, ungehobelter Mensch, der sich bekehrt hat, von diesem Augenblick an eine innere Kultiviertheit zeigen, die man bei keinem Ungläubigen findet. Wie kommt das? Er hat die neue Natur empfangen, die liebt, weil sie die göttliche Natur ist.

Es gibt gründliche, aber auch sehr oberflächliche Bekehrungen. Für das geistliche Leben und das Verhalten macht dies einen großen Unterschied aus. Es gibt solche, die kaum erkannt haben, dass sie Sünder sind und vollständig verloren waren und diese sind in unserer Zeit nicht selten, weil das Evangelium oberflächlich verkündigt wird. Welch ein Unterschied zu jemandem, der wirklich mit seinen Sünden im Licht Gottes gewesen ist und sie gründlich bekannt hat!

Ich hörte einmal von einem Mann, der eine Evangelisation besucht hatte und am folgenden Morgen den Evangelisten für eine halbe Stunde aufsuchte. Er legte seinen Kopf auf den Tisch und schluchzte: „Ich bin verloren.“ Er merkte nicht, dass andere Menschen in das Zimmer kamen und wieder gingen. Das war jemand, der seine Sünden und seinen verlorenen Zustand wirklich sah. Das war eine gründliche Bekehrung. Und je tiefer das Bewusstsein über das Verlorensein ist, umso tiefer ist auch die Freude und das Glück danach. Umso größer ist auch die Veränderung im Leben eines Menschen.

Ich erinnere mich an den Fall eines leichtsinnigen, rauen jungen Mannes. Es war nur Gottes Gnade, dass er vor einem Mord an einem jungen Kollegen bewahrt wurde, als dieser sich ihm in den Weg stellte. Alle seine Arbeitskollegen hatten Angst vor ihm. Er kam zur Bekehrung, und eine Woche später fragte ein Kollege: „Was habt ihr mit ihm gemacht? Wir kennen ihn gar nicht mehr wieder!“ Niemand wusste, dass er sich bekehrt hatte, aber sie sahen, dass er nicht mehr derselbe war. Dann begannen sie, ihn zu reizen, und versuchten, ihn aus der Reserve zu locken, was sie früher nicht gewagt hatten. Aber es gelang ihnen nicht. Er war mit einem Mal sanftmütig geworden.

Haben wir nicht schon oft erlebt, dass sehr raue und taktlose Menschen, als sie den Herrn Jesus kennen gelernt hatten, völlig verändert wurden? Sie lernten es im Umgang mit dem Herrn Jesus. Wie taktvoll handelt der Herr mit uns! Wie tat Er es während seines Erdenlebens! Denken wir zum Beispiel an die Begebenheiten in Johannes 3 und 4. Zu Nikodemus, dem Lehrer Israels, der dem Herrn die größte Ehre gab, die man einem Menschen erweisen konnte, indem er sagte: „Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen“, sagte der Herr: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Der sündigen samaritischen Frau sagte Er zu ihrem größten Erstaunen: „Gib mir zu trinken.“ Danach sprach Er mit ihr über Gott als den großen Geber, über die Gabe des Heiligen Geistes und über die Anbetung des Vaters in Geist und Wahrheit. Er sprach mit ihr über Wahrheiten, die noch niemand kannte und die für uns von grundlegender Bedeutung sind. So weckte Er ihr Vertrauen, und ohne ein scharfes Wort kam sie zur Bekehrung. Das ist das Taktgefühl der Liebe, das auch wir im Umgang mit dem Herrn erwerben können. Die Liebe hat nur einen Ausgangspunkt: das Wohl und den Segen dessen, mit dem sie in Berührung kommt. So wird sie den Weg wählen, auf dem sie ihr Ziel erreichen kann. Die Liebe ist äußerst feinfühlig und weise.

„Die Liebe ... sucht nicht das Ihre“: Sie denkt nicht an sich selbst, sondern an andere. Bei dem natürlichen Menschen ist es so, dass das „Ich“ an erster, zweiter und dritter Stelle steht. Nach einer ganzen Weile kommt dann vielleicht noch jemand anderes. Wie anders ist das, was wir am Kreuz sehen! Der Herr Jesus verkaufte alles, was Er hatte (Mt 13,46), ja, Er gab sich selbst für uns. Er „entäußerte sich selbst“ (Phil 2,7 Fußnote), um uns vor dem ewigen Verderben retten zu können. Er ist „der Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). Kann man ein vollkommeneres Vorbild dafür finden, dass die Liebe nicht das Ihre sucht, als Ihn, der am Kreuz hing, um für uns zu sterben, damit wir nicht durch das schonungslose Urteil eines heiligen und gerechten Gottes, der die Sünde hasst, getroffen würden?

„Sie lässt sich nicht erbittern.“ Hatte der Herr nicht Anlass, verbittert zu sein, als Er klagen musste: „Sie haben mir Böses für Gutes erwiesen, und Hass für meine Liebe“ (Ps 109,5)? Wie würden wir uns verhalten, wenn wir einen Freund hätten, für den wir drei Jahre lang gesorgt und dem wir unser Herz ausgeschüttet hätten und von dem wir dann hörten, dass er mit einem Eid erklärt habe, uns nicht zu kennen? Außerdem verließen Ihn alle Jünger. Denken wir auch an das, was Judas dem Herrn angetan hat!

Wie viele Zeichen und Wunder hatte der Herr inmitten des Volkes getan! Er hatte den Hungrigen zu Essen gegeben, die Kranken geheilt, Dämonen ausgetrieben, Tote auferweckt. Und dann riefen sie: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn!“ Und: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche“ (Lk 19,14). Die Liebe wurde nicht erbittert. Der Herr betete: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34).

Ist diese Liebe auch in mir, in uns allen? Wenn wir an die Geschwister denken, mit denen wir zusammengestellt sind, werden wir nicht auch durch die Dinge, die manchmal geschehen, verbittert? Ich denke an Kolosser 3,19 und frage uns, Brüder, ob wir das Wort „Ihr Männer, liebt eure Frauen und seid nicht bitter gegen sie“ nicht sehr nötig haben? Wenn in meinem Herzen Bitterkeit gegenüber jemandem ist, dann ist es nicht die Liebe, die das bewirkt, denn die Liebe „lässt sich nicht erbittern“. Das Böse bei einem anderen kann die Liebe in unserem Herzen nicht beeinträchtigen. Wir sehen das bei dem Herrn Jesus. Wie viel Böses haben wir Ihm auch nach unserer Bekehrung noch „zugefügt“! Hat seine Liebe deshalb nachgelassen? Hat Er sich dadurch verändert? Gerade dann drängte seine Liebe Ihn, sich mit mir zu beschäftigen. Die Liebe seines Herzens mir gegenüber blieb unverändert.

„Sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit.“ Die Liebe tut nicht nur selbst nichts Böses, sondern sie freut sich auch nicht, wenn Ungerechtigkeit offenbar wird. Kommt es nicht manchmal vor – Gott gebe, dass es nicht so ist –, dass wir eigentlich ein wenig froh sind, wenn jemand anderes etwas Verkehrtes tut? Ich denke dabei an jemanden, den wir nicht mögen und zu dem wir kein Vertrauen haben, von dem wir denken, dass bei ihm etwas nicht in Ordnung sei, ohne dass wir etwas Genaues wissen. Tut er dann etwas Verkehrtes, neigen wir dazu, Genugtuung zu empfinden, weil unser Urteil sich als richtig erwiesen hat oder weil wir gegenüber anderen, die unser Urteil nicht teilten, gerechtfertigt sind. Aber die Liebe „freut sich nicht über die Ungerechtigkeit“ bei einem Bruder, auch nicht bei jemandem aus der Welt. Sie wird sich von verkehrten Dingen abwenden und nicht auf humorvolle Weise über Dinge sprechen, die Gottes Wort Sünde nennt; denken wir nur an eheliche Untreue.

„Die Liebe ... freut sich mit der Wahrheit.“ Natürlich erfreuen wir uns auch an der Wahrheit, der Fülle der Offenbarung Gottes. Wie sollte ein Christ sich nicht an all den wunderbaren Offenbarungen der Güte und Weisheit Gottes, an der Beschreibung all der Segnungen und vor allem an der Offenbarung des Vaters und des Sohnes und Ihren Herrlichkeiten erfreuen? Aber darum geht es hier nicht, sondern es geht um unser Verhalten zu anderen. Die Wahrheit freut sich sozusagen, wenn Menschen sie annehmen. Sich mit der Wahrheit zu freuen bedeutet also, dieselbe Freude wie die Wahrheit zu haben, wenn Menschen Gott kennen lernen und das göttliche Leben offenbaren.

In Vers 6 haben wir drei Äußerungen der Freude über das Gute. Dazu gehört, dass die Liebe Böses nicht zurechnet oder nichts Böses denkt. Dadurch wird das Herz von Verdächtigungen befreit, davon, dass man Böses unterstellt. Wie sehr hat sich das menschliche Herz an Letzteres gewöhnt, weil es seine eigene Bosheit kennt und auch das Böse, das es in der Welt gibt!

In Vers 7 werden uns nun die vier Beweise für die positive Energie der Liebe genannt: „Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.“ Wie erhaben ist das! Die Liebe erträgt alles. Wer von uns könnte sagen, dass er das verwirklicht? Wie oft haben wir gesagt oder zumindest gedacht: Das kann ich nicht mehr ertragen, das ist zuviel! Aber die Liebe erträgt alles, und bei dem Herrn Jesus sehen wir das vollkommen verwirklicht.

„Die Liebe ... glaubt alles.“ Das heißt nicht, dass sie alles glaubt, was ihr erzählt wird, sondern dass sie immer das Gute glaubt und nicht das Böse! Sie geht nicht von der Vermutung aus, dass das Böse herrscht. Sie weiß, dass es eine Macht gibt, die Macht des Guten, die über dem Bösen steht. Und deshalb geht sie nicht von der Voraussetzung aus, dass die Macht des Bösen siegt. Wenn beispielsweise ein Bruder nicht treu seinen Weg mit dem Herrn geht, könnte ich denken: „Das wird immer schlimmer werden.“ Das ist eine menschliche Schlussfolgerung. So denkt die Liebe nicht. Wenn es um einen Bruder oder eine Schwester geht, dann berücksichtigt die Liebe, dass Gott in ihnen eine neue Natur gewirkt hat und dass der Heilige Geist in ihnen wohnt. Gott und der Herr Jesus werden sich mit ihnen beschäftigen. Die Macht Gottes steht über dem Bösen und ist imstande, das Gute zu bewirken.

„Die Liebe ... hofft alles.“ Sie erwartet, dass bei dem Bruder oder der Schwester nicht nur das Verkehrte offenbar werden wird, sondern auch das Gute. Sie rechnet damit, dass Gottes Gnade eingreifen und in ihnen wirken wird. In dieser Erwartung und um dem Wirken Gottes nicht im Wege zu stehen, erträgt sie alles. Das alles muss persönlich verwirklicht werden – und wer von uns könnte sagen, dass er es tut?

In den Versen 8 bis 13 wird uns nun die Beständigkeit der Liebe vorgestellt. Sie ist nicht irdisch und zeitlich, sie ist von Ewigkeit und wird ewig bleiben, sie vergeht niemals. Nach menschlichen Maßstäben, nach äußerem Anschein, ist Weissagung viel mehr als Liebe. Weissagung meint hier das Vorhersagen zukünftiger Dinge. Ist das nicht etwas Erstaunliches? Doch es wird ein Tag kommen, an dem alle Weissagungen erfüllt sein werden. So heißt es in Verbindung mit den siebzig Jahrwochen Daniels, dass Gesicht und Propheten versiegelt werden (Dan 9,24). Wenn wir die Ewigkeit erreicht haben, werden alle Weissagungen erfüllt sein. Weissagungen sind nicht ewig, aber die Liebe ist ewig, denn sie ist die Natur Gottes. Gott ist Liebe! Gott kann sich nicht verändern, Er ist der ewige Gott. „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“ (Heb 13,8).

„Sei es Erkenntnis, sie wird weggetan werden. Denn wir erkennen stückweise, ... wenn aber das Vollkommene gekommen sein wird, so wird das, was stückweise ist, weggetan werden ... dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt worden bin“ (V. 8–12). Die Tatsache, dass Erkenntnis weggetan werden wird, heißt nicht, dass wir im Himmel nichts wissen werden, sondern, dass wir auf eine völlige andere Art und Weise erkennen werden. Dann werden alle Beschränkungen durch die Sünde und alle irdischen Dinge weggetan sein. Dann wird unsere Einsicht durch die göttliche Natur und den Heiligen Geist in uns vollkommen sein. Wenn wir in die Ewigkeit eintreten, und das wird bei der Entrückung geschehen, bedeutet das das Ende der Erkenntnis.

In Vers 8 heißt es von den Sprachen: „sie werden aufhören“. Es heißt nicht: Sie werden „weggetan werden“. Der Wechsel im Ausdruck hat uns etwas zu sagen. Das fällt umso mehr auf, da sowohl davor als auch danach von „Wegtun“ die Rede ist, sowohl bei den Weissagungen als auch bei der Erkenntnis. Der Grund liegt darin, dass Sprachenreden nur für eine bestimmte Zeit war. Denn wir finden in Gottes Wort, dass solche Wunder wie das Sprachenreden zu Beginn einer neuen Zeitepoche vorhanden waren, um klarzumachen, dass das Neue wirklich von Gott kam. Sobald bewiesen war, dass das Gesprochene von Ihm war, musste das Wort allein geglaubt werden, und das Zeichen konnte verschwinden.

„Denn wir erkennen stückweise, und wir weissagen stückweise; wenn aber das Vollkommene gekommen sein wird, so wird das, was stückweise ist, weggetan werden“ (V. 9.10). Dieser Vers wird oft missbraucht. Letzte Woche schrieb mir noch jemand: „Sie berücksichtigen nicht, dass wir nur stückweise erkennen. Darum dürfen wir nie von dem, was ein anderer sagt, sagen, dass es verkehrt sei, denn wir erkennen nur stückweise, und vielleicht ist das, was Sie selbst sagen, auch verkehrt.“ Hier steht jedoch nicht, dass wir nur zur Hälfte erkennen und die andere Hälfte erst im Himmel erkennen werden. Das würde im Widerspruch zu Kapitel 2,10.15.16 stehen. Der Heilige Geist hat uns die ganze Wahrheit offenbart, und Er ist die Kraft, durch die wir alles begreifen können (auch wenn wir auf der Erde mit ihren Beschränkungen natürlich nicht die ganze Tiefe auszuloten vermögen). Es geht hier um das Wesen unseres Erkennens. Wir können immer nur einen Teil der Wahrheit betrachten und danach einen anderen. Wenn ich beispielsweise nach Groningen gehe, kann ich durch jede Straße laufen und alles aufmerksam betrachten. Wenn mich dann jemand fragt: „Kennst du Groningen gut?“, dann kann ich mit „Ja“ antworten. Aber: Ich habe zwar jede Ecke von Groningen  und alles genau gesehen, aber ich habe nie die ganze Stadt auf einmal gesehen. Von einem Flugzeug aus wäre das möglich, nicht aber von der Erde aus.

So ist es auch mit den Gedanken Gottes. Gott hat uns alle seine Pläne und Gedanken bekannt gemacht. Es wird zwar oft das Wort der Königin von Scheba angeführt: „Nicht die Hälfte ist mir berichtet worden“ (1. Kön 10,7). Und wir begreifen an sich wohl, was jemand sagen will, wenn er diesen Ausspruch zitiert. Doch die Anwendung, dass wir auf der Erde nur die Hälfte wissen können, ist nicht statthaft. Uns ist alles berichtet worden; die Frage ist nur, ob wir das Wort Gottes genug im Gebet untersucht und es uns zu Eigen gemacht haben. Aber das ist etwas anderes als „berichtet worden“.

Solange wir auf der Erde sind, können wir die Wahrheit Gottes nicht vollständig übersehen. Ich kann mich zum Beispiel nicht gleichzeitig mit den Prophezeiungen über die Zukunft und mit meiner Praxis als Christ auf der Erde beschäftigen. Ich kann mich nicht mit den Opfern des Alten Testaments beschäftigen und zugleich über die Versammlung nachdenken. Ich kann in einem bestimmten Augenblick nur mit einem Gegenstand beschäftigt sein. Wenn ich über eine andere Seite der Wahrheit nachdenken will, verschwindet der erste Gegenstand aus meinen Gedanken.

Lasst mich noch ein anderes Beispiel anführen: einerseits die Auserwählung in der Ewigkeit und andererseits die Einladung an jeden Menschen, das Evangelium anzunehmen. Die Schrift sagt ausdrücklich, dass Gott bestimmte Menschen auserwählt hat, damit sie errettet werden, sei es für die wunderbaren Segnungen, die unser Teil sind, die wir in dieser Zeit an den verworfenen Heiland glauben, sei es für die herrlichen irdischen Segnungen im Tausendjährigen Reich und für die neue Erde im ewigen Zustand. Aber zugleich sagt die Schrift, dass jeder kommen und von dem Wasser des Lebens umsonst nehmen kann (Off 22,17). Wir können diese beiden Wahrheiten nicht zusammenbringen, aber im Himmel werden wir einmal sehen, dass sie in vollkommener Harmonie miteinander sind. Das heißt aber nicht, dass uns nicht jetzt beide Teile der Wahrheit völlig klar sein können. Die Auserwählung steht eindeutig in Gottes Wort, und der freie Ruf des Evangeliums ebenso.

Jetzt erkennen wir stückweise, also Stück für Stück. Ich sage nicht, dass wir alles wissen, aber dass wir alles wissen könnten. Wenn wir uns mehr Zeit nähmen, das Wort Gottes betend zu erforschen, würden wir Gottes Gedanken kennen lernen, denn Gott hat sie offenbart, wie wir in 1. Korinther 2 sehen. Dass wir sie nicht kennen, liegt daran, dass wir zu wenig Fleiß im Untersuchen des Wortes Gottes aufwenden und zu wenig Demut haben, um das in völliger Abhängigkeit vom Heiligen Geist zu tun. Außerdem haben wir zu wenig Gemeinschaft mit dem Herrn, und deshalb haben wir nicht das volle Licht, das Wort zu verstehen. Eng damit verbunden ist die Tatsache, dass wir das verwirklichen müssen, was wir erkannt haben. Der Herr Jesus sagte: „Wenn jemand seinen [Gottes] Willen tun will, so wird er von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist oder ob ich von mir selbst aus rede“ (Joh 7,17). Wir können Gottes Gedanken nur dann besser verstehen, wenn in unserem Herzen die Bereitschaft ist, das in der Praxis zu verwirklichen, was wir aus dem Wort gelernt haben. Sonst gibt Gott kein weiteres Licht. Gottes Wahrheit ist also vollständig offenbart, aber es liegt an uns, ob wir seine Gedanken gut kennen. Ich spreche jetzt natürlich nicht von denen, die erst kurz bekehrt sind und daher noch nicht die Zeit hatten, das Wort zu studieren.

„Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, urteilte wie ein Kind; als ich ein Mann wurde, tat ich das weg, was kindlich war“ (V. 11). Das ist ein Bild, das jeder verstehen kann. Ein Kind spricht, denkt und urteilt wie ein Kind. Wer erwachsen ist, spricht, denkt und urteilt wie ein Erwachsener. Wir können diesen Vers vielleicht mit Vers 8 verbinden. Da wird gesagt, dass Sprachen aufhören und Erkenntnis sowie Weissagungen weggetan werden. Das Rühmen der Korinther über ihr Sprachenreden war „Reden wie ein Kind“. Die verschiedenen Sprachen in dieser Welt sind eine Folge der Sünde und des Gerichtes Gottes darüber (vgl. 1. Mo 11). Das Reden in Sprachen setzt also Sünde voraus, nimmt sie aber nicht weg, obwohl darin göttliche Macht offenbar wird. An dem Platz, wofür Gott sie gab (um das Evangelium zu Menschen zu bringen, deren Sprache man nicht gelernt hatte), hatten sie ihren Nutzen. Die Korinther hingegen gebrauchten sie, um mit der Macht, die sich in diesem Sprachenreden offenbarte, zu glänzen. Ihr Ausgangspunkt war also nicht die Liebe und der Nutzen des anderen. Nun, das ist ein Zeichen für geistliches Kindsein. Ein erwachsener Mann (Eph 4,13) hat das Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus erreicht. Wer erwachsen ist, bei dem ist die Liebe der Ausgangspunkt, die nach dem Besten für die anderen strebt. Die Korinther dachten wie Kinder und wussten nicht, was das Nötigste war, und achteten daher die Weissagung gering. Und das kindliche Urteil können wir schließlich mit der Erkenntnis in Verbindung bringen, die den Korinthern in mancher Hinsicht fehlte, was der erste Korintherbrief ja deutlich macht.

„Denn wir sehen jetzt mittels eines Spiegels, undeutlich, dann aber von Angesicht zu Angesicht“ (V. 12). Das griechische Wort für „Spiegel“ bezeichnet wahrscheinlich die früheren Fenster, die damals anstelle von Glas aus Ölpapier bestanden. Spiegel waren früher auch oft aus poliertem Metall und nicht aus Glas mit Zinn und einer Quecksilberbeschichtung, wie wir sie heute kennen; diese Fertigungsmethode kam erst im 14. Jahrhundert auf. Es ist klar, dass ein solcher Spiegel aus poliertem Metall kein klares Bild gibt, und erst recht konnte man das nicht durch ein Fenster aus Ölpapier bekommen. Man sah Schatten und Umrisse, aber nicht die genauen Einzelheiten. So sehen auch wir, solange wir in unserem natürlichen, von der Seele beherrschten Leib sind (vgl. 1. Kor 15,44-50), oft nicht die Dinge selbst, sondern nur die Eindrücke, die sie auf unsere Sinne machen. Aus diesen Eindrücken machen wir uns dann ein Bild von der Sache selbst. Aber wenn wir bei der Wiederkunft des Herrn einen geistigen Leib bekommen werden, werden wir die Dinge so sehen, wie sie in Wirklichkeit sind.

„Dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt worden bin“ (V. 12). All das, was uns jetzt daran hindert, richtig zu sehen und zu erkennen, wird es dann nicht mehr geben. Ist das nicht all das,  was zu der Liebe, die wir empfangen haben, im Widerspruch steht? Ich denke dabei jetzt nicht an die Beschränkungen unseres irdischen Leibes. Dann werde ich erkennen, wie Gott mich jetzt schon erkennt. Es geht hier nicht um das Ausmaß meiner Erkenntnis, sondern um ihren Charakter. Natürlich werden wir auch in der Herrlichkeit nicht die Allwissenheit Gottes haben. Aber unsere Erkenntnis wird denselben Charakter haben wie die Erkenntnis Gottes. Es ist dann nicht mehr Erkenntnis aufgrund von Erlerntem, sondern eine Erkenntnis aus einem inneren Wissen heraus. Das neue Leben in uns und der Heilige Geist in uns werden dann durch nichts mehr gehindert werden. Dann wird völlig verwirklicht sein, was jetzt im Grundsatz schon das Teil der Kindlein im Glauben ist (vgl. 1. Joh 2,27).

Das ist auch notwendig dafür, dass wir einmal vor dem Richterstuhl des Christus offenbart werden (2. Kor 5,10). Wir werden uns selbst und unser ganzes Leben dann so sehen, wie Gott es schon immer gesehen hat. Wir werden jede Tat, die wir getan haben, jedes Wort, das wir gesprochen haben, jeden Gedanken, den wir hatten, ja, selbst die Quelle der Gedanken in ihrem wahren Wesen erkennen und  beurteilen (und auch verurteilen), wie Gott sie immer beurteilt hat. Von diesem Augenblick an werden wir vollkommene Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus haben, weil wir dann alles genauso sehen und beurteilen werden wie Er. Solange wir das nicht können, haben wir keine vollkommene Gemeinschaft mit Ihm und sind daher auch nicht vollkommen glücklich.

„Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe“ (V. 13). Das sind drei Dinge, die für die Stellung des Christen auf der Erde kennzeichnend sind. Wir finden sie ungefähr zehnmal im Neuen Testament zusammen genannt. Es sind positive Dinge: Glaube und Hoffnung im Zusammenhang mit unserem gegenwärtigen Zustand auf der Erde, und Liebe im Zusammenhang sowohl mit unserem gegenwärtigem Zustand als auch mit dem ewigen Zustand im Himmel. Der Glaube nimmt in Besitz, was Gott verheißen hat, und die Hoffnung verlangt danach. Glaube, Hoffnung, Liebe sind die großen sittlichen Grundsätze, die das Christentum kennzeichnen.

Im Himmel wird es keinen Glauben mehr geben. In Hebräer 11,1 lesen wir: „Der Glaube aber ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht.“ Sobald man also die Dinge sieht, braucht man sie nicht mehr zu glauben. Wer bekommen hat, worauf er gehofft hat, braucht auch nicht mehr darauf zu hoffen: „Denn in Hoffnung sind wir errettet worden. Eine Hoffnung aber, die gesehen wird, ist keine Hoffnung; denn was einer sieht, was hofft er es auch? Wenn wir aber das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir mit Ausharren“ (Röm 8,24.25).

Es geht hier also nicht um die himmlische Zukunft. Glaube, Hoffnung und Liebe sind die drei wichtigen Dinge für das christliche Leben, solange wir auf der Erde sind. Doch dabei ist die Liebe das Wichtigste! Glaube und Hoffnung werden vergehen, wenn der Herr kommt und uns zu sich ins Vaterhaus aufnimmt. Aber die Liebe bleibt ewig. Kann es etwas Größeres geben als das, was die Natur Gottes ist? Sollte es möglich sein, dass das, was von Ewigkeit ist und ewig bleiben wird, nicht größer wäre als alles Zeitliche? Was die Natur Gottes ist, das ist das Größte und muss auch das Größte in unserem Leben sein. Das bestimmt den „Wert“ unseres Lebens für Gott und unseren „Wert“ innerhalb der Versammlung. Welch eine erhabene Tatsache!

Wie klein werden wir, wenn wir diese Dinge lesen! Wie nichtig sind wir, wenn wir über die Liebe nachdenken und darüber, wie wenig wir sie zeigen! Wenn wir dann aber die Verwirklichung der Liebe in dem Herrn Jesus sehen, wie wir es in den Versen 4–7 betrachtet haben, wenn wir die Offenbarung der Liebe in dem Herrn Jesus in ihrem ganzen Ausmaß am Kreuz von Golgatha sehen, in Ihm, der „mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20) – haben wir dann nicht den Wunsch in unserem Herzen, dass diese Liebe bei uns mehr sichtbar werde, so wie sie bei Ihm gesehen wurde? Wären wir doch mehr ein Abbild von Ihm! Dann würde die Welt Ihn in uns sehen. Dann würden wir in seinen Augen wohlgefälliger werden, weil Er sich in uns wieder erkennen könnte.

„Die größte aber von diesen ist die Liebe.“

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