Botschafter des Heils in Christo 1885

Der Weg der Glückseligkeit - Teil 2/2

3.: In den vorhergehenden Abschnitten haben wir an der Hand der im Neuen Testament offenbarten göttlichen Wahrheit uns zu vergegenwärtigen gesucht, wie die Gnade Gottes für den verlorenen Sünder einen Weg der Glückseligkeit bereitet hat, wie sie fortwährend wirksam ist, um Menschen vom Weg des Verderbens zu dem Weg des Lebens zu führen, und wie die durch den Glauben Erretteten in lebendiger Verbindung mit Christus den Pilgerweg durch diese Welt, bis zu ihrer Ankunft in der Herrlichkeit, in Glück und Frieden wandeln können.

Auch im Alten Testament, welches das zukünftige Heil in Christus ankündigt, finden wir den Weg der Glückseligkeit beschrieben. Auf Grund des in den ewigen Ratschlüssen Gottes vorgesehenen, in Christus später ausgeführten und offenbarten Erlösungswerkes (2. Tim 1,9–10; Tit 1,2–3), konnte Gott, schon bevor es vollbracht war, mit solchen, die seinem Wort glaubten, in ein näheres Verhältnis treten (Röm 3,25; 4,3.16–22; Jak 2,23; 1. Mo 16,17; 2. Mo 33,11), in welchem sie die Glückseligkeit genießen konnten, die in Ihm ihre Quelle hat.

Aber erst in dem Menschen Jesus Christus hat Gott völlig offenbart, was Er ist. Christus war der im Fleisch offenbarte Gott (1. Tim 3,16). „Der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, hat Ihn kundgemacht“ (Joh 1,18), d. h. sichtbar vor den Augen der Menschen und Engel dargestellt in seiner ganzen Fülle (Kol 1,19; 2,9). Er sagt selbst: „Wenn ihr mich erkannt hättet, so würdet ihr auch meinen Vater erkannt haben; und von jetzt an erkennt ihr Ihn und habt Ihn gesehen. Wer mich gesehen, hat den Vater gesehen. Glaubt mir, dass ich in dem Vater bin, und der Vater in mir ist. Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. Ich und der Vater sind eins“ (Joh 14,7.9.11; 12,45; 10,30). Von Ihm wird auch gesagt: „Durch Ihn sind alle Dinge erschaffen, die in den Himmeln und die auf der Erde sind“ (Kol 1,16); und: „Du, Herr, hast im Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind Werke deiner Hände.“ – „Welcher, der Abglanz seiner Herrlichkeit und der Abdruck seines Wesens seiend, und alle Dinge durch das Wort seiner Macht tragend, sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe“ (Heb 1,10.3). Aus Johannes 12,41 sehen wir, dass der Herr, den Jesaja sitzen sah auf hohem und erhabenem Thron, über dem die Serafim ausriefen: „Heilig, heilig, heilig ist Jehova der Heerscharen!“ (Jes 6,1–7) niemand anders war, als der später in Niedrigkeit unter den Menschen wandelnde Christus, „Gott, offenbart im Fleisch.“ In 1. Timotheus 6,15 wird der unsichtbare Gott genannt: „der König der Könige und der Herr der Herren“, und in Offenbarung 19,16 trägt der in göttlicher Herrlichkeit aus dem Himmel auf die Erde zurückkommende Sohn Gottes diesen Titel.

Alle diese und noch viele andere Stellen zeigen uns, dass der für seine Jünger so zärtlich sorgende Herr, wie wir Ihn in den Evangelien finden, kein anderer war, als der Gott der Gläubigen des Alten Testaments. Freilich besteht ein Unterschied in dem Maß der Offenbarung, nach welchem Gott mit den Menschen verkehrte. Dem Abraham offenbarte Er sich als der „Allmächtige“, seinem Bundesvolk Israel als „Jehova“ (der Ewige), doch blieb Er stets hinter dem Vorhang verborgen. In Christus hat Er alles offenbart, was Er ist; und doch war seine Herrlichkeit in dem auf Erden wandelnden Sohn Gottes verborgen unter der Hülle der Niedrigkeit seiner Menschheit, so dass nur die, welchen die Augen des Glaubens geöffnet waren, in dem fleischgewordenen Worte „die Herrlichkeit eines Eingeborenen vom Vater“ erblickten (Joh 1,14). Diesen offenbarte Er dann den Namen des „Vaters“, führte sie nach vollbrachtem Erlösungswerk ein in das Kindesverhältnis (Joh 20,17) und sandte, nachdem Er seinen Platz zur Rechten der Majestät eingenommen hatte, den „Geist der Sohnschaft in ihre Herzen, in welchem wir rufen: Abba, Vater!“ (Röm 8,15; Gal 4,6) Dies ist jetzt die Stellung aller Gläubigen.

Obwohl nun in diesem gesegneten Verhältnis alles in überschwänglicher Fülle gegeben ist, was das Herz mit Glückseligkeit erfüllen kann, so ist zu deren Genuss doch dasselbe nötig, was die Gläubigen des Alten Testaments, so wie auch die Jünger in der sichtbaren Gegenwart des auf Erden wandelnden Herrn bedurften; und das ist der Glaube, der „eine Verwirklichung dessen ist, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht“ (Heb 11,1). Wir finden daher auch nicht, dass die Jünger, trotzdem Gott in Christus ihnen so nahegekommen war, dass sie Ihn mit ihren Augen sehen, mit ihren Ohren hören und mit ihren Händen betasten konnten (1. Joh 1,1–4), einen höheren Standpunkt der Glückseligkeit in dem Genuss ihres Verhältnisses zu Gott eingenommen haben, als ein Henoch, Abraham, Moses, David usw. Und wenn wir auf die Gläubigen unserer Tage blicken, in deren Herzen der Geist der Sohnschaft wohnt, so müssen wir fragen: Genießen sie alle das Glück des Verhältnisses, in welches die Gnade sie gebracht hat, in höherem oder selbst in ebenso hohem Maß, als jene Gläubigen des Alten Testaments?

Das Mittel, um den Weg der Glückseligkeit zu wandeln, ist also im Alten wie im Neuen Testament dasselbe. Es ist der Glaube. Ebenso ist, dort wie hier, Gott die einzige Quelle. Betrachten wir jetzt einige Zeugnisse des Alten Testaments über die Glückseligkeit, zunächst den mit Seligpreisungen beginnenden 32. Psalm.

Ohne Zweifel teilt David in diesem Psalm seine persönlichen Erfahrungen mit. Da aber das Buch der Psalmen einen prophetischen Charakter hat (Apg 2,30), so spricht der erwähnte Psalm auch die Erfahrungen aus, die der gläubige Überrest Israels in den letzten Tagen machen wird. Immerhin aber sind es die Erfahrungen von Gläubigen, die, dem Grundsatz nach, zu allen Zeiten dieselben sind, also auch Anwendung finden auf die Gläubigen unserer Tage, obgleich diese als Kinder Gottes in einer anderen Stellung sind, als die alttestamentlichen Gläubigen, die das Kindesverhältnis nicht einnehmen konnten, weil das Weizenkorn noch nicht in die Erde gefallen und gestorben war (Joh 12,24). Aber was auch der Unterschied sein mag zwischen denen, die in der Stellung von Söhnen Gottes sind und den Geist der Sohnschaft besitzen, und den alttestamentlichen Gläubigen, die diesen Geist nicht in sich wohnen haben konnten, weil Er noch nicht vom Himmel gesandt worden war (Joh 7,39), so wirkte doch derselbe Geist auch in den Herzen der letzteren, erleuchtete sie und führte sie, in dem Bewusstsein ihrer Sünde, durch Glauben zu dem Gott, der sich offenbart hatte als „barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und von großer Gnade und Wahrheit“ (2. Mo 34,6). Der Glaube wurde ihnen zur Gerechtigkeit gerechnet (Röm 4,3–8), in derselben Weise wie jetzt denen, „die an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat, welcher unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“ (Röm 4,23–25). Auch besaßen sie durch die Glaubensverbindung mit Gott göttliches Leben, welches sie befähigte, gottgemäß zu urteilen, zu fühlen und zu leben (1. Mo 5,24). Ihre in diesem Verhältnis gemachten Erfahrungen, die uns die Schrift mitteilt, sind deshalb auch für uns von hoher Belehrung (Heb 12,1).

Vor allem tritt uns im 32. Psalm, als Bedingung des Genusses der Glückseligkeit, die Aufrichtigkeit entgegen: „ein Geist ohne Trug.“ Das ist von der größten Wichtigkeit. Der Psalmist hatte, wie er in den Versen 3 und 4 mitteilt, schmerzliche Erfahrungen machen müssen, die ihm der Mangel an völliger Aufrichtigkeit vor Gott bereitet hatte. Er hatte seine Sünde gefühlt, aber nicht bekannt; deshalb hatte die Hand Gottes Tag und Nacht so schwer auf ihm gelastet, dass er keine Ruhe hatte finden können und von dem gewaltigen Druck in seinem Inneren fast verzehrt worden war. Erst, als er Jehova seine Übertretungen bekannt, Ihm seine Sünde kundgetan und aufgehört hatte, seine Ungerechtigkeit zuzudecken, hatte er die Vergebung gefunden, die ihn zu der Glückseligkeit führte, welche in den ersten beiden Versen ausgesprochen ist. Aber dieses Bekennen seiner Sünde war gegründet gewesen auf die Erkenntnis der Gnade, welche vergibt, wenn die Sünde bekannt wird (V 5). Ohne diese Erkenntnis wagt es der Sünder nicht, in die Gegenwart Gottes zu kommen, sondern er verbirgt sich vor Ihm, wie Adam, oder sucht sich zu entschuldigen, oder gar zu rechtfertigen.

Die Erfahrungen, welche der Psalmist in den angeführten Versen mitteilt, setzen eine Erleuchtung der Seele durch den Geist Gottes voraus. Ohne diese wird weder die Sünde erkannt als das, was sie vor Gott ist, noch Gott erkannt in seiner vergebenden Gnade. Doch selbst wenn die Sünde eingesehen und gefühlt wird, hält der Stolz des Herzens oft lange ein reumütiges Bekenntnis zurück, und andererseits hindert die Furcht vor der Gerechtigkeit Gottes den Sünder, in seine Gegenwart zu kommen. Die Gnade aber wirkt in der Seele, zeigt dem Sünder durch das Evangelium den Weg zum Gnadenstuhl und bringt dadurch, dass die Hand Gottes schwer auf seinem Gewissen lastet, ihn endlich zu einem aufrichtigen Bekenntnis. Dann kommt ihm Gott mit einer überströmenden Gnade entgegen, vergibt seine Übertretung, bedeckt seine Sünde, rechnet ihm die Ungerechtigkeit nicht zu und macht seinen Geist frei von Trug. Es ist also die Wirksamkeit der Gnade von Anfang bis zu Ende, welche dieses gesegnete Resultat herbeiführt.

Übertretung, Sünde, Ungerechtigkeit ist alles, was der Mensch vor Gott bringen kann. Von allem diesem aber wird der durch den Heiligen Geist erleuchtete und durch das Vertrauen zu der vergebenden Gnade zum Bekenntnis gebrachte Sünder so vollkommen befreit, dass nichts mehr zwischen ihm und Gott steht, als das Versöhnungsblut, welches von aller Sünde reinigt (1. Joh 1,7). Das macht das Herz frei und offen vor Gott. Der also Gereinigte naht mit Freimütigkeit zu dem Thron der Gnade (Heb 4,16; 10,19–22), ja, er ist sogar in die Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus gebracht (1. Joh 1,3). Das ist fürwahr ein glückseliger Zustand, in welchem, wenn er in Wahrheit genossen wird, geistliche Schlachtopfer, die Opfer des Lobes, dargebracht werden, die Gott wohlannehmlich sind durch Jesus Christus (1. Pet 2,5). Das ist der normale Zustand des Gläubigen.

Wenn nun das Herz mancher Gläubigen dennoch nicht glücklich ist, so muss notwendig die Schuld bei ihnen selbst liegen. Denn Gott hat alles getan, um sie glücklich zu machen, und Er selbst spricht in seinem Wort das „Glückselig!“ über sie aus. Diese Gläubigen entsprechen also weder seinen Absichten, noch seinem Urteil über sie, und befinden sich nicht in Übereinstimmung mit Gott in Bezug auf ihre Rechtfertigung (Röm 4,5–8). Daraus muss geschlossen werden, dass sie sich auch nicht in Übereinstimmung mit Ihm befinden, in Bezug auf sein Urteil über die Sünde. Vielleicht war schon bei ihrer Bekehrung ihr Gefühl über die Sünde und den verlorenen Zustand nur schwach und oberflächlich; deshalb konnte auch das Gefühl des Glücks über ihre Errettung nicht tief und nachhaltig sein. Sie müssen dann nachträglich auf dem Weg der Erfahrung im Licht Gottes lernen, was die Sünde vor seinen Augen ist, und dass in ihnen, das ist in ihrem Fleisch, nichts Gutes wohnt, und das bringt nicht Glück, sondern Schmerz hervor. Bei diesen Erfahrungen ist nun die Frage, ob das Herz aufrichtig vor Gott ist und sich mit Ihm in Übereinstimmung befindet in seinem Urteil über die Sünde. Hieran fehlt es oft mehr, als man denkt, und daherkommt dann auch der Mangel an Frieden und Glück bei so manchen Gläubigen.

In einem solchen Fall wiederholen sich die Erfahrungen, die in Psalm 32,3–4 mitgeteilt werden. Wie viele Gläubige gehen leicht und gleichgültig über das Böse hinweg, das in ihren Gedanken, Gefühlen, Gesinnungen. Worten und Werken vorgeht, anstatt im Licht der Gemeinschaft Gottes über alles zu wachen, was sich in ihren Herzen, in ihrer Gedankenwelt, regt und bewegt, und in Übereinstimmung mit Ihm alles zu richten, was nicht in seine Gemeinschaft passt. Wenn aber das Böse im Herzen nicht gerichtet wird, so tritt dasselbe bald in Worten oder Werken offen an den Tag, zur Verunehrung des Herrn. Dass das Herz bei einem solchen Mangel an Übereinstimmung mit Ihm nicht Frieden und Glück genießen kann, ist nur zu natürlich. Im Gegenteil offenbart Gott seine Treue darin, dass Er durch seinen Geist ein solches Herz straft und beunruhigt, bis es zu dem gesegneten Resultat von Vers 5 kommt. Aber wie manche Gläubige können oft lange Zeit hindurch die Stimme des Geistes überhören oder unbeachtet lassen und in einem friede– und freudelosen Zustand vorangehen! Manche wissen sich selbst nicht Rechenschaft darüber zu geben, woher es kommt, dass sie den Frieden Gottes und die Freude seiner Gemeinschaft so wenig genießen. Sie können sicher sein, dass zwischen ihren Herzen und Gott etwas liegt, was nicht gerichtet ist. Möchten sie nur in seinem Licht ihr inneres und äußeres Leben untersuchen; gewiss, sie würden viel mehr zu richten und vor Gott zu bekennen finden, als sie je gedacht hätten.

Vor dem Richterstuhl Christi müssen alle Menschen, also auch die Gläubigen, offenbart werden. Das Vorrecht der letzteren aber ist, jetzt schon vor Gott offenbar zu sein (2. Kor 5,11), sich gewissermaßen, im Einklang mit Ihm, auf den Richterstuhl zu setzen, um sich selbst zu richten und in aufrichtigem Bekenntnis alles vor Ihn zu bringen, was zu verurteilen ist. Dann vergibt Er und reinigt von aller Ungerechtigkeit, weil Er treu und gerecht ist (1. Joh 1,9), und das Glück der Gemeinschaft wird aufs Neue genossen. Schon in dem Bekenntnis liegt etwas von dem Frieden, den die Vergebung hervorbringt, weil es verbunden ist mit dem Vertrauen zu der vergebenden Gnade (V 5). Und dann bestrahlt dasselbe Licht, welches die Verunreinigung vor dem geistlichen Auge offenbar machte, eine durch das Blut Christi fleckenlos gemachte Seele, gereinigt gemäß der Reinheit Gottes und passend gemacht für sein heiliges Auge. Im Licht seines Antlitzes wird Freude und Glück genossen. – Auch werden bei einem Wandel in diesem Licht die Gefahren gesehen, die in der eignen Natur oder in den Einflüssen von außen für das Herz liegen könnten, das Glück der Gemeinschaft mit Ihm wieder zu verlieren. Die Furcht davor, die Furcht Gottes, bewahrt das Herz in enger Verbindung mit Ihm, der alleinigen Quelle der Kraft und Sicherheit, und so entgeht man der Gefahr.

Nur wenn das volle Licht des Richterstuhls ein aufrichtiges Herz bescheint, fühlt es sich in seinem richtigen Element. Ein aus Gott geborener Mensch, ein Kind Gottes, besitzt die Natur Gottes, und nach dieser Natur wird jede Sünde und Unreinigkeit gehasst. Alles, was nicht im Licht des Richterstuhls bestehen kann, ist eine Bürde für ein Herz, worin die göttliche Natur die Herrschaft führt. Es beurteilt alles in diesem Licht, und möchte auch selber nicht gelinder beurteilt sein; ein geringerer Maßstab würde die göttliche Natur nicht befriedigen. Ein solches Herz befindet sich in Übereinstimmung mit Gott und ist deshalb fähig, den Frieden Gottes, den Frieden, der in Gott selbst ist, zu genießen. Es ist nicht in irgendeinem Widerspruch mit Gott, gleich wie in dem Wesen Gottes selbst kein Widerspruch ist. So ist das Leben eines Kindes Gottes im Licht des Richterstuhls ein Leben des Friedens, völliger Übereinstimmung mit Gott, sowohl in seinem Urteil über die Sünde, wie auch in seinem Zeugnis über den durch Ihn Gerechtfertigten, den Er glückselig nennt.

Kein Trug ist in dem Geist eines solchen Gläubigen. Er ist offen und frei vor einem Gott, den er kennt in seiner vollkommenen Gnade. Das Bewusstsein der Fülle dieser Gnade, die nicht zu erschöpfen ist, erfüllt sein Herz mit dem glücklichen Vertrauen eines Kindes zu seinem liebenden Vater, der an allem teilnimmt, was des Kindes Herz bewegt, und welcher wünscht, dass es in Vertrauen alle seine Anliegen vor Ihm kund werden lasse (Phil 4,6). Ein Gott, der „Seines eignen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat“, um durch das Versöhnungswerk den fluchbeladenen und verdammungswürdigen Sünder zu erretten und in Christus in seine Gemeinschaft zu bringen, wird gewiss „mit Ihm auch alles schenken“, was in Zeit und Ewigkeit nötig ist, um das Herz glücklich zu machen. Wie könnte Er, der den höchsten Beweis seiner Liebe gegeben, der auch alle Weisheit und Macht besitzt, die Seinen in irgendeiner Not versäumen oder in irgendeinem Bedürfnis unversorgt lassen?

Dieses glückliche Vertrauen drückt der Psalmist in den Versen 6 und 7 aus. Ein Gläubiger, der die Erfahrung gemacht hat, dass er unter einer vollkommenen, ewigen, unwandelbaren Gnade steht, und dass er „durch unseren Herrn Jesus Christus auch Zugang hat zu dieser Gnade, in welcher wir stehen“ (Röm 5,2), weiß, dass „jetzt die Zeit der Annahme ist“ (2. Kor 6,2), die Zeit, wo Gott zu finden ist. Er bringt alle seine Anliegen, innere und äußere, die größten wie die kleinsten, in Gebet und Flehen mit Danksagung zu dem Gott, den er „Abba, Vater“ nennt, und findet in Ihm seinen „Bergungsort“ in allen Bedrängnissen. Wer in dem Vaterherzen Gottes seinen Ruheplatz hat, dessen Thron nicht erschüttert werden kann von irgendeinem Ereignis, selbst „wenn gewandelt würde die Erde, und die Berge wankten im Herzen des Meeres“ (Ps 46), der bleibt in Frieden inmitten aller Stürme des Lebens, in dem glücklichen Bewusstsein, dass selbst diese Stürme für ihn zum Guten mitwirken werden (Röm 8,28). Der Glaube sieht nicht auf das Sichtbare, auf die Umstände, sondern auf das Unsichtbare, auf den Gott, dessen Liebe er kennt, der seine Hand in allem hat, und von welchem er weiß, dass Er alles herrlich hinausführen wird, so wie es seiner würdig ist. „Rettungsjubel“ wird das Ende aller Prüfungen der Gläubigen sein. Der Glaube hält daran fest mitten in den Prüfungen, wo für das natürliche Auge noch alles dunkel ist, und macht das Herz fähig, selbst in der Finsternis des Weges den Sonnenschein der Vaterhuld und Liebe Gottes zu genießen. Dann ist das Herz glücklich, selbst wenn der Schmerz der Leiden dem Auge Tränen auspresst. Und das ist die Absicht Gottes bei allen seinen Kindern. Er hat sie zur Glückseligkeit bereitet, und zwar sollen sie dieselbe nicht erst in der Ewigkeit, sondern jetzt schon genießen. In welch ein glückliches Verhältnis hat die Gnade uns gebracht!

Die innige Vertraulichkeit dieses Verhältnisses, in welchem ein Gläubiger, in dessen Geist kein Trug ist, zu Gott steht, ist ausgedrückt in Vers 8. Und zwar ist es Gott selbst, der hier zu dem Gläubigen redet, so dass der Gedanke an Anmaßung seitens des letzteren, wenn er in Vertraulichkeit mit dem unendlichen Gott verkehrt, keinen Raum zu finden braucht. Gott verheißt dem Gläubigen, ihn zu unterweisen und ihn zu lehren den Weg, in welchem er wandeln soll, mit seinem Auge ihm zu raten. Welch ein Trost für die, welche sich als Pilger auf dem Weg zur himmlischen Heimat befinden und eine fremde Welt, die für sie eine öde Wüste ist, durchwandern müssen! Gleichwie es für Israel, während seiner vierzigjährigen Wanderschaft nach Kanaan, in der Wüste keinen gebahnten Weg gab, so dass das Volk ganz und gar abhängig war von der Leitung seines Gottes, der in der Wolken– und Feuersäule vor ihm Herzog und sich, trotz aller Verkehrtheiten des Volkes, nicht von ihm trennte, so stehen auch jetzt die Gläubigen unter der ganz besonderen und sicheren Leitung des Gottes, der ihr Vater ist, inmitten einer Welt, wo kein gebahnter Weg ist und völlige Finsternis herrscht. Sie haben Ihm nur nach dem Auge zu sehen, und sie sind sicher, dass, mitten in der Dunkelheit dieser Welt, jeder Schritt, den sie zu tun haben, beleuchtet sein wird von himmlischem Licht, und dass sie das Ziel erreichen werden, welches seine Liebe ihnen bereitet hat in seinem Vaterhaus.

Der Ausdruck: „mit meinem Auge will ich dir raten.“ bezeichnet ein Verhältnis der unmittelbaren Nähe zwischen Gott und dem Gläubigen. Nur wer nahe bei Ihm ist, kann durch sein Auge geleitet werden. Jetzt sind die Gläubigen, „die einst ferne waren, durch das Blut des Christus nahe geworden.“ Gott hat sie in Liebe vor sich hingestellt in Christus als seine Kinder (Eph 2,13; 1,4–5). Sein Vaterauge ruht beständig auf ihnen, und sie haben einen offenen Zugang zu seinem Vaterherzen. In diesem Verhältnis können sie durch alle Wirrnisse des Lebens einen einfachen, friedevollen und glücklichen Weg gehen, wenn sie mit ihrem Herzen die innige Nähe verwirklichen, in welche sie zu Gott gebracht sind.

In einem irdischen Familienverhältnis wird ein Kind, welches sich durch den Blick der Eltern leiten lässt, das Glück ihrer besonderen Liebe und Vertraulichkeit genießen und vor Irrwegen bewahrt bleiben; während ein Kind, welches, unachtsam auf den Willen der Eltern, seine eignen Wege geht, durch Züchtigungen auf den Weg des Gehorsams zurückgeführt werden muss, wobei das Glück eines innigen Verhältnisses zu seinen Eltern nicht genossen wird. Ein Kind, welches seine Eltern wirklich liebt, wird ihnen gern Freude machen und in ihren Blicken lesen, was ihnen wohl gefällt. Ebenso wird ein, Kind Gottes, in dessen Herzen die Erkenntnis der Liebe des Vaters eine wahre Gegenliebe hervorgerufen hat, das Bedürfnis fühlen, den wohlgefälligen Willen Gottes zu erforschen und danach zu handeln.

Dieser Wille ist klar und unzweideutig in seinem Wort ausgedrückt, so dass niemand, der das geschriebene Wort besitzt, sagen kann, er wisse nicht, was der Wille Gottes sei; das würde immer verraten, dass der eigene Wille im Vordergrund steht und die Erkenntnis des Willens Gottes verdunkelt. Es können wohl schwierige Augenblicke im Leben eintreten, wo eine Entscheidung zu treffen ist, für welche die Umstände keinen deutlichen Anhaltspunkt bieten. Aber ein einfältiges Herz und Auge wird zu Gott ausblicken und auch in den schwierigsten Fällen die Erfahrung machen, dass Er seine Verheißung stets erfüllt: „mit meinem Auge will ich dir raten.“

In Hebräer 4,12–13 wird das Auge Gottes so mit seinem Wort in Verbindung gebracht, als wäre es ein und dieselbe Sache. Und in der Tat ist das Wort Gottes auch der Ausdruck seines Wesens und seines Willens, so dass ein „Ihm nach den Augen sehen“, unzertrennlich ist von der Erforschung seines Willens in dem geschriebenen Wort. – Der Psalmist nennt in Psalm 119,24 die Zeugnisse Gottes seine „Ratgeber“, wie überhaupt der ganze Psalm ein sehnliches Verlangen nach den Zeugnissen Gottes und die Freude des Herzens an denselben ausdrückt. In den beiden ersten Versen werden auch diejenigen glückselig gepriesen, die „da wandeln in Jehovas Gesetz, die seine Zeugnisse bewahren, die von ganzem Herzen Ihn suchen.“ Und der Herr spricht diese Glückseligkeit in Lukas 11,28 über diejenigen aus, welche „das Wort Gottes hören und bewahren.“ So sehen wir also, dass auch die Unterweisungen Gottes auf dem Weg, die Leitung seines Auges, seines Wortes, keinen anderen Zweck haben, als die Seinen glücklich zu machen. Möchten sie deshalb alle in dem Licht seines Angesichts wandeln und mit einfältigem Herzen sich durch nichts anderes leiten lassen, als durch sein Wort, um seine Absicht zu erfüllen!

In Vers 9–10 werden die Gläubigen gewarnt vor einem Weg, auf welchem sie dieses Glück nicht genießen können. Wenn sie gesetzlos, d. h. nach ihrem eigenen Willen wandeln, ohne nach seinem Willen zu fragen, so werden sie sich „viele Schmerzen“ bereiten. Gott kann nicht mit ihnen sein auf diesem Weg; Er muss ihnen vielmehr entgegentreten. Da Er die Seinen stets unwandelbar liebt, so kann Er nicht zugeben, dass sie sich von Ihm, der Quelle des Glücks, entfernen. Wenn „sie nicht wollen zu Ihm kommen“, so muss Er sie gleichsam mit Gewalt, durch „Zaum und Zügel“, „wie ein Ross, wie ein Maultier“ zu sich zurückbringen. Wenn sie sich nicht durch sein Auge leiten lassen, so muss Er, als treuer Vater, sie durch die Zuchtrute erziehen, und das bringt „viele Schmerzen.“ Bei wie vielen Gläubigen mögen die Züchtigungen Gottes diesen Charakter tragen! Freilich auch bei solchen, welche mit Gott wandeln, welche als Kinder die Gemeinschaft des Vaters genießen, gibt es Züchtigungen, sonst wären sie Bastarde (Heb 12,8). Doch haben diese einen anderen Charakter. Solche Gläubige befinden sich unter der notwendigen väterlichen Zucht im Einklang mit ihrem Vater, können seinen Frieden genießen und sogar für die Züchtigung danken, d. h. sich derselben rühmen (Röm 5,3–5; 2. Kor 12,7–10). Sie vertrauen auch in der Züchtigung, in welcher sie die Hand der Liebe erkennen, auf Gott, als ihren Vater; deshalb wird die Güte sie umgeben.

Schließlich werden die Gerechten aufgefordert (V 11), sich in Jehova zu freuen und zu frohlocken, und alle im Herzen Aufrichtigen, zu jauchzen. Gott selbst ist die Quelle und der höchste Gegenstand der Freude, und Er ist das Teil der Seinen. Welche Freude auch genossen werden mag in der Gewissheit, begnadigt zu sein, und in dem Gemeinschaftsleben einer aufrichtigen Seele mit Gott, so würde doch noch etwas fehlen an dem vollkommenen Glück, wenn nicht das unendliche Gut selbst das Herz erfüllte. Selbst die Herrlichkeit des Himmels würde ein Herz, welches der Herr zu seiner Wohnung zubereitet hat, nicht befriedigen, wenn es mit Ihm selbst dort nicht ewig und vollkommen vereinigt sein würde. So kann auch jetzt das Herz nirgends völlige Ruhe und Freude finden, als in Ihm allein. Deshalb singen wir mit Recht:

Nicht im Geschöpf, nicht in den Gaben, –

Mein Ruhort ist in dir allein.

Und welch ein Glück, dass Er sich selbst uns in seiner ganzen Fülle geschenkt hat, um Ihn zu besitzen und zu genießen in Zeit und Ewigkeit! Wie völlig hat Er dafür gesorgt, dass an der Glückseligkeit, zu welcher Er uns bereitet hat, nichts fehlen kann! Alles, was Er getan hat, was Er jetzt tut und was Er tun wird, zeugt von seiner überströmenden Gnade und Liebe zu uns.

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