Betrachtung über 2.Thessalonicher (Synopsis)

Kapitel 2

Betrachtung über 2.Thessalonicher (Synopsis)

Nachdem der Apostel so die Herzen der Thessalonicher auf den Boden der Wahrheit gestellt hat, geht er auf den Gegenstand des Irrtums ein, indem er zeigt, was die Veranlassung zu seinen Bemerkungen gewesen war. Wir haben schon weiter oben davon gesprochen.

Indem Paulus nun diesen Irrtum behandelt und die Gläubigen vor den listigen Bemühungen der Verführer schützt, stellt er durch den Hinweis auf die bereits besprochenen köstlichen Wahrheiten alles an seinen Platz. Ihr Versammeltwerden zu Christus hin in der Luft war ein Beweis, dass der Tag des Herrn unmöglich schon da sein konnte.

Übrigens gibt er bezüglich dieses letzten Punktes zweierlei zu erwägen: Erstens, der Tag konnte noch nicht gekommen sein, weil die Christen noch nicht zum Herrn versammelt waren; sie sollten ja mit Ihm kommen. Zweitens, der Gesetzlose, der alsdann gerichtet werden sollte, war noch nicht erschienen, so dass das Gericht noch nicht ausgeübt werden konnte.

Der Apostel hatte die Thessalonicher hinsichtlich dieses Gesetzlosen schon belehrt, als er persönlich bei ihnen war, und in seinem ersten Brief hatte er sie über die Entrückung der Versammlung unterrichtet. Ehe der Herr zum Gericht kommen kann, muss die Ungerechtigkeit ihren Höhepunkt erreicht und der offene Widerstand gegen Gott sich offenbart haben. Doch die Wahrheit hat noch eine andere und köstlichere Seite: die Heiligen müssen in derselben Stellung sein wie Christus, müssen zu Ihm versammelt sein, bevor Er sich denen, die draußen sind, in Herrlichkeit offenbaren kann. Aber diese Wahrheiten erfordern eine umfassendere Untersuchung.

Das Versammeltwerden der Gläubigen zu Christus hin vor dem Offenbarwerden war eine den Thessalonichern bekannte Wahrheit; sie wird hier nicht offenbart, sondern nur als Beweisgrund benutzt. Der Herr Jesus wird kommen, aber unmöglich könnte Er ohne seine Versammlung in der Herrlichkeit sein. Der König wird zwar seine widerspenstigen Untertanen bestrafen; aber zuvor wird Er diejenigen zu sich nehmen, die inmitten der Untreuen Ihm treu geblieben sind, um sie dann wieder mit sich zurückzubringen und sie öffentlich inmitten der Widerspenstigen zu ehren. Doch der Apostel spricht hier nur von der Entrückung selbst und beschwört die Thessalonicher bei dieser Wahrheit, sich nicht in ihrer Gesinnung erschüttern zu lassen, als ob der Tag des Herrn schon da sei. Wie gewiss muss den Christen diese Wahrheit gewesen sein, dass der Apostel sich darauf berufen konnte als auf etwas Bekanntes, worauf das Herz sich zu stützen vermochte! Die Zusammengehörigkeit der Versammlung mit Christus, die Notwendigkeit, dass sie in derselben Stellung mit Ihm erfunden werde, machte den Gedanken, dass der Tag schon da sei, zu einer Torheit.

Zweitens wird die schon bekannte Tatsache bestätigt, dass der Abfall zuvor stattfinden und dass dann der Mensch der Sünde offenbart werden müsse. Ernste Wahrheit! Alles nimmt seinen Platz ein. Die äußeren Formen und der Name des Christentums sind lange aufrecht gehalten und die wahren Christen verkannt worden; aber einmal wird eine öffentliche Verwerfung des Glaubens, ein Abfall stattfinden, und die wahren Christen werden dann ihren wahren Platz im Himmel haben. Aber außerdem wird eine Person aufstehen, die in der Sünde völlig den Charakter des Menschen ohne Gott verwirklichen wird. Es ist der Mensch der Sünde. Er tut seinen eigenen Willen; es ist nur der in dem Zustand seines Falles völlig entwickelte Adam. Vom Feind angetrieben, widersetzt er sich Gott (es ist eine offene Feindschaft wider Gott) und erhebt sich über alles, was den Namen Gottes trägt; er maßt sich den Platz Gottes in seinem Tempel an. Wir sehen hier also den Abfall, das heißt die offene Verwerfung des Christentums im Allgemeinen, und eine Person, die in sich selbst die Auflehnung gegen Gott (was die Grundsätze der Gesetzlosigkeit betrifft) vereinigt.

Man wird bemerken, dass der Charakter des Gesetzlosen hier religiös oder vielmehr widerreligiös ist. Der Apostel spricht nicht von einer weltlichen Macht, wie groß auch ihre Ungerechtigkeit sein mag. Der Mensch der Sünde nimmt einen religiösen Charakter an. Er erhebt sich wider den wahren Gott und stellt sich selbst als Gott dar in dem Tempel Gottes. Beachten wir hier, dass sein Wirkungskreis auf Erden ist. Es ist nicht ein Gott für den Glauben. Er stellt sich selbst dar als einen Gott für die Erde. Das Bekenntnis des Christentums ist aufgegeben. Die Sünde kennzeichnet alsdann eine Person, einen Menschen, der das Maß des Abfalls der menschlichen Natur voll macht und als Mensch seine Unabhängigkeit von Gott öffentlich erklärt. Der Grundsatz der Sünde in dem Menschen ist sein eigener Wille. Der Mensch der Sünde steigt, wie wir bereits gesehen haben, aus der Verwerfung des Christentums auf. (Auch in dieser Beziehung hat das Böse seinen Höhepunkt erreicht.) Er erhöht sich über Gott, und indem er sich als Gott in den Tempel Gottes setzt, spricht er dem Gott Israels Hohn.

Dieser letzte Zug zeigt uns seinen eigentlichen Charakter. Er ist im Streit wider Gott, indem er sich öffentlich an die Stelle Gottes setzt, sich als Gott in dem Tempel Gottes darstellt. Es ist der Gott Israels, der an ihm Rache nehmen wird.

Christentum, Judentum, die natürliche Religion, alles ist verworfen. Der Mensch nimmt einen Platz auf der Erde ein in Auflehnung gegen Gott, indem er sich über alle jene Dinge erhöht und insbesondere sich (denn der Mensch bedarf eines Gottes, eines Gegenstandes, den er anbetet) den Platz und die Ehre Gottes, und zwar des Gottes Israels, anmaßt 1.

Diese Verse zeigen uns den Gesetzlosen in Verbindung mit dem Zustand des Menschen und den verschiedenen Beziehungen, in denen der Mensch zu Gott gestanden hat. In allen diesen stellt er sich als ein Abtrünniger dar, und dann maßt er sich den Platz Gottes selbst an – was der erste Gegenstand des menschlichen Ehrgeizes war, wie auch die Erlangung dieses Platzes die erste Versuchung des Menschen von Seiten Satans bildete.

In dem Folgenden sehen wir nicht den Zustand des Abfalls hinsichtlich der verschiedenen Beziehungen, in die Gott den Menschen gestellt hatte, sondern einfach den zügellosen Menschen und das Werk Satans. Der Mensch ist nur das Gefäß der Macht des Feindes. Der Mensch, in dem die Fülle der Gottheit ist, der Herr Jesus, und der mit der Kraft Satans erfüllte Mensch stehen einander gegenüber. In dem Vorhergehenden sahen wir den von Gott abgefallenen Menschen, der gottlos ist und sich selbst erhöht. Hier ist es Auflehnung gegen Gott seitens des zügellosen und von Satan selbst inspirierten Menschen. Infolgedessen haben wir hier nicht so sehr den Gottlosen, als vielmehr den Gesetzlosen, den Zügellosen. Der Grundsatz ist derselbe, denn die Sünde ist die Gesetzlosigkeit (siehe 1. Joh 3,4). Aber in dem ersten Fall wird der Mensch in seiner Trennung von Gott und in seiner Schuld betrachtet, in dem zweiten als der, der niemand außer sich selbst anerkennt.

Der Entwicklung dieses Zustandes, in dem alle Zügel weggenommen sein werden, stand bis dahin eine Schranke im Weg. Der Apostel hatte bereits von dem Abfall und der Offenbarung des Menschen der Sünde mit den Thessalonichern gesprochen. Jetzt sagt er ihnen, dass sie das Hindernis kennen sollten, das sein Fortschreiten und sein Offenbarwerden vor der bestimmten Zeit zurückhielt. Er sagt nicht, dass er es ihnen mitgeteilt habe, sondern sie hätten es kennen sollen. Kannte man den Charakter des Gesetzlosen, so ergab sich die Schranke von selbst. Die Hauptsache hier ist, dass jenes Hindernis eine Schranke bildete. Der Grundsatz des Bösen war schon wirksam, nur verhinderte eine Schranke die völlige Entwicklung desselben. Sein Charakter würde sich, wenn er einmal entwickelt sein würde, als ein zügelloser Wille offenbaren, der sich selbst erhöht und widersteht 2.

Wenn der ungezügelte eigene Wille der Grundsatz des Bösen ist, so ist das, was diesen Willen zügelt, die Schranke. Nun, der Mensch der Sünde erhöht sich über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist. Daher ist das, was ihn zurückhält, die Macht Gottes, die hienieden in den Obrigkeiten wirksam ist, die ihre Gewalt von Ihm haben. Selbst der größte Missbrauch der Gewalt entkleidet diese noch nicht jenes Charakters. Christus konnte zu Pilatus sagen: „Du hättest keinerlei Gewalt wider mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“ Wie böse Pilatus auch sein mochte, so wird doch seine Gewalt, als von Gott kommend, anerkannt. Obwohl also die Menschen den Sohn Gottes verwarfen und kreuzigten, so dass ihre Bosheit den Höhepunkt erreicht zu haben schien, war doch noch das Hindernis völlig vorhanden. Später sammelte Gott, nachdem Er seinen Geist gesandt hatte, die Kirche, und obgleich das Geheimnis der Gesetzlosigkeit sofort zu wirken begann, indem es den Willen der Menschen mit der Anbetung Gottes im Geist vermengte, hatte Gott doch allezeit (auch heute noch) den Gegenstand seiner liebenden Fürsorge auf der Erde. Der Heilige Geist ist auf der Erde, die Versammlung, in welchem Zustand sie auch sein mag, ebenfalls, und Gott hält die Schranke aufrecht. Und gleichwie der Türhüter, trotz aller Hindernisse, Jesus die Tür geöffnet hatte, so hält Er auch jetzt alles aufrecht, mögen die Kraft und die Fortschritte des Bösen auch noch so groß sein. Das Böse wird im Zaum gehalten; Gott ist die Quelle der Autorität auf der Erde. Da ist Einer, der zurückhält, bis Er aus dem Weg ist. Wenn nun die Versammlung (d. h. die aus den wahren Gliedern Christi bestehende Versammlung) weggenommen sein wird, und infolgedessen der Heilige Geist als Sachwalter nicht mehr hienieden wohnt, dann findet der Abfall statt 3; die Zeit zur Beseitigung des Hindernisses ist dann gekommen, das Böse ist ohne Zaum und Zügel, und schließlich (ohne zu sagen, wie viel Zeit darüber vergehen wird) nimmt das Böse in dem, der das Haupt desselben ist, eine bestimmte Form an. Das Tier steigt aus dem Abgrund herauf. Satan, nicht Gott, gibt ihm seine Gewalt; und in dem zweiten Tier ist alle Kraft Satans anwesend. Der Mensch der Sünde ist da. – Ich wiederhole, dass hier nicht von einer äußeren und weltlichen Macht die Rede ist, sondern von der religiösen Seite der Macht Satans.

Was die einzelnen Werkzeuge, welche die Schranke bilden, anlangt, so mögen sie jeden Augenblick wechseln, und es war nicht der Zweck des Heiligen Geistes, sie zu nennen. Der zur Zeit der Abfassung unseres Briefes als eines dieser Werkzeuge vorhanden war, ist es in der gegenwärtigen Zeit nicht mehr. Wenn daher der Heilige Geist damals seinen Namen genannt hätte, so würde das für uns heute ohne Nutzen sein. Es galt die Thessalonicher zu belehren, dass das Böse, das gerichtet werden sollte, bereits wirksam war, dass es kein Heilmittel dafür gab, sondern nur ein Hindernis von Seiten Gottes vorhanden war, das der völligen Entfaltung dieses Bösen im Weg stand. Dieser Grundsatz ist von der höchsten Wichtigkeit im Blick auf die Geschichte der Christenheit.

Was für eine Form der Abfall auch annehmen mag, der Abfall der Menschen, welche die Gnade verwerfen, muss notwendigerweise bestimmter sein als irgendein anderer. Er ist Auflehnung gegen den Herrn und trägt den Charakter eines Widersachers. Der Grundsatz menschlicher Bosheit verbindet sich mit ihm, aber er ist die Quelle des „Verderbens“. Er bedeutet die Verwerfung der Güte Gottes, ist unmittelbare Feindschaft.

„Was zurückhält“, ist im Allgemeinen nur ein Werkzeug, ein Mittel, das die Offenbarung des Menschen der Sünde, des Gesetzlosen, verhindert. Solange die Versammlung auf der Erde ist, kann die Anmaßung, Gott zu sein in seinem Tempel, sich nicht verwirklichen, oder würde wenigstens ohne Einfluss bleiben. Satan hat seinen Wirkungskreis (und muss ihn notwendigerweise haben) in dem Geheimnis der Gesetzlosigkeit; aber sobald der Platz Gottes in seinem Tempel öffentlich eingenommen wird, ist es kein Geheimnis mehr. „Das, was zurückhält“, ist daher noch vorhanden; aber es ist auch eine Person wirksam, um dieses Hindernis aufrecht zu halten. Ich denke, dass es Gott ist in der Person des Heiligen Geistes, der für die Zeit, die durch „das, was ist“ (Off 1,19), bezeichnet wird, das Böse zurückhält und die göttliche Autorität in der Welt bewahrt. Solange diese Autorität besteht, kann die zügellose Erhebung der Gesetzlosigkeit nicht eintreten. Ich zweifle deshalb nicht daran, dass die Entrückung der Versammlung der Anlass ist, um das Hindernis hinwegzuräumen und jede Schranke zu entfernen, mögen auch einige der Wege Gottes vor der völligen Offenbarung des Bösen sich entfalten.

Dieser Gedanke stützt sich nicht nur auf große Grundsätze; die Stelle selbst bietet Elemente, die zeigen, wie der Zustand der Dinge sein wird, wenn die Macht des Bösen sich offenbart. Erstens der Abfall wird schon eingetreten sein. Das würde kaum gesagt werden können, wenn das Zeugnis der Versammlung noch vorhanden wäre (wie in der Vergangenheit), oder sogar noch bestimmter hervorträte, indem es von allen falschen und verderbenden Elementen befreit wäre. Zweitens: die von Gott verordneten Gewalten, soweit sie im Namen Gottes eine Schranke für den Willen des Menschen bilden, sind von dem Schauplatz verschwunden; denn der Gesetzlose erhöht sich selbst über alles, was Gott heißt und ein Gegenstand der Verehrung ist, und stellt sich selbst als Gott dar in dem Tempel Gottes. Vergleiche Ps 82, wo Gott in der Mitte der Götter (der Richter) steht, um sie zu richten, bevor Er die Nationen zum Erbteil nimmt. Vor jener feierlichen Stunde, in der Gott die Richter der Erde richten wird, stellt dieser Gesetzlose, indem er alle Autorität, die von Gott kommt, verachtet, sich selbst als Gott dar; und er tut das auf der Erde, wo das Gericht offenbart werden wird. Und drittens finden wir, statt des Heiligen Geistes und seiner auf Erden geoffenbarten Macht, die Macht Satans, und zwar genau mit denselben Zeichen, die einst der Person Christi Zeugnis gaben. So bestätigt also die Stelle selbst, sowohl bezüglich des Menschen als auch des Feindes (in den drei erwähnten Punkten), voll und ganz das, was wir soeben vorzustellen versucht haben.

Die Versammlung, die von Gott verordneten Gewalten auf der Erde und der Heilige Geist, hienieden gegenwärtig als Sachwalter an Christi statt, haben also alle (soweit es die Offenbarung der Regierung und des Werkes Gottes betrifft) dem eigenwilligen, zügellosen Menschen und der Gewalt des Feindes Platz gemacht. Indem wir dies sagen, reden wir von dem Bereich dieser Prophezeiung, die überdies den Bereich des öffentlichen Zeugnisses Gottes auf der Erde umfasst.

So sehen wir hier denn in bestimmter Form den Menschen in seiner Natur (so wie sie sich durch seinen Abfall von Gott gezeigt hat) völlig seinem eigenen Willen folgen, im Aufstand wider Gott; wir sehen den eigenwilligen Menschen, wie er sich entwickelt hat als das Ergebnis des Abfalls von der Stellung der Gnade, in welcher die Versammlung sich befand, und in Verachtung aller Regierungs-Autorität Gottes auf der Erde. Und da diese Autorität sich unmittelbar und eigentlich in Judäa offenbart hatte, entfalten sich dort auch diese Verachtung und der Geist des Aufruhrs in dem Menschen, der sich über alles erhöht (aber nicht himmlisch sein kann, weil der Himmel und jeder Anspruch auf den Himmel von dem Menschen aufgegeben und durch Satan verloren ist), indem der Mensch den Platz Gottes in seinem Tempel unter der weitest vorgeschrittenen Form jüdischen Abfalls und jüdischer Lästerung einnimmt. Zu gleicher Zeit handelt Satan, indem Gott ihm die Zügel schießen lässt, mit einer Kraft, die zwar lügnerisch ist, ihm aber vor den Menschen dasselbe Zeugnis gibt, wie es die Werke Christi einst dem Heiland gaben; auch handelt er mit all der Gewandtheit, womit die Gottlosigkeit zu betrügen vermag, und zwar wirkt er diese Dinge in dem Gottlosen, dem Gesetzlosen. Die Enthüllung des letzten Teils dieser ernsten Ereignisse werden wir (so Gott will) im Buch der Offenbarung betrachten. Dort begegnen wir diesem Gesetzlosen als dem falschen Messias und Propheten in der Gestalt seines Reiches: das zweite Tier hat zwei Hörner wie ein Lamm. Satan ist alsdann aus dem Himmel herab geworfen, wo er Antipriester war, und nimmt die Titel Christi auf der Erde, die Titel eines Königs und eines Propheten, an. In Daniel 11 erscheint der Gesetzlose als König, hier als der zügellose Mensch, und insbesondere als die Ausgeburt des Abfalls 4 und die Offenbarung der Macht Satans. Mit einem Wort, statt der Versammlung erblicken wir den Abfall, statt des Heiligen Geistes den Satan, und statt der Autorität Gottes, die eine Schranke gegen das Böse bildete, den zügellosen Menschen, der sich auf der Erde als Gott aufwirft.

Ein anderer, bereits erwähnter Umstand erfordert noch unsere besondere Aufmerksamkeit. Ich habe gesagt, dass der Mensch der Sünde sich als der Messias darstelle, d. h. in den zwei irdischen Charakterzügen desselben als König und Prophet. Im Himmel hat Satan dann nichts mehr zu tun; er ist aus dem Himmel hinausgeworfen, so dass es dort keine Nachahmung des Hohenpriestertums des Herrn mehr gibt. In dieser Beziehung hatte Satan persönlich bis dahin eine andere Rolle gespielt, er war im Himmel der Ankläger der Brüder gewesen. Aber zu der Zeit, von der wir reden, ist die Versammlung droben, und der Verkläger der Brüder ist hinausgeworfen, um nie mehr dahin zurückzukehren. In einem von ihm inspirierten Menschen macht er sich dann selbst zum Propheten und zum König. Und in diesem Charakter tut er betrügerischerweise dasselbe, was Gott tat, um die Sendung Christi vor den Menschen zu bestätigen (vgl. Apg 2, 22). Im Griechischen sind hier dieselben Ausdrücke gebraucht wie in Apg 25. Ich möchte hier noch an eine andere feierliche Tatsache erinnern, die dieses Gemälde vervollständigt. In der Geschichte des Elia finden wir, dass der Beweis der Göttlichkeit des Baal oder derjenigen Jehovas darauf gegründet werden sollte, ob ihre bezüglichen Diener Feuer vom Himmel herabfallen lassen könnten. Nun wird uns in Offenbarung 13  mitgeteilt, dass das zweite Tier vor den Augen der Menschen Feuer vom Himmel hernieder fahren lässt. Wir finden also im Thessalonicherbrief die Wunderwerke, durch welche die Sendung des Herrn bestätigt wurde, und in der Offenbarung das Wunder, das der HERR als den wahren und alleinigen Gott erwies. Satan ahmt beides nach, um die Menschen zu verführen.

Das mag uns eine Vorstellung geben von dem Zustand, in dem die Menschen sich zu jener Zeit befinden werden; auch deutet es an, dass diese Dinge unter den Juden geschehen werden, und dies unter dem doppelten Gesichtspunkt ihres Verhältnisses zu dem HERRN und ihrer Verwerfung Christi und Annahme des Antichristen.

So ist, Gott sei Dank, die Wahrheit reichlich bestätigt, dass es sich bei diesen Dingen nicht um die Versammlung handelt, sondern um die Menschen, die Gelegenheit hatten, aus der Wahrheit Nutzen zu ziehen, sie aber verworfen und die Ungerechtigkeit geliebt haben. Auch handelt es sich nicht um die Heiden, sondern nur um diejenigen, unter denen die Wahrheit verkündigt worden ist 6. Sie haben die Wahrheit nicht angenommen, und Gott sendet ihnen eine Lüge, und zwar eine kräftige Lüge, damit sie ihr glauben. Er tut das als ein Gericht; Er hat dasselbe mit den Nationen getan (Röm 2,24+26+28), auch mit den Juden (Jes 6, 9+10), und Er tut es hier mit den Namenchristen.

Die vorliegende Stelle bezieht sich auf die Juden als eine Nation, welche die Wahrheit, das Zeugnis des Heiligen Geistes, verworfen hat (Apg 7), aber mehr noch auf die Namenchristen, mit einem Wort, auf alle, denen die Wahrheit verkündigt worden ist. Bei den Namenchristen trägt dieses der-Lüge-glauben notwendigerweise den Charakter des Abfalls oder ist wenigstens mit diesem Abfall verbunden und eine Folge davon. Wie der 3. Vers uns belehrt kommt der Abfall, und dann wird der Mensch der Sünde offenbart. In seinem Charakter als Mensch der Sünde setzt er sich ohne Scheu in den Tempel Gottes und stellt sich selbst dar, dass er Gott sei 7. Was die lügnerische Macht des Satans und seine wirkungsvolle Tätigkeit betrifft, so stellt er sich in dem Charakter Christi dar; er ist der Antichrist und nimmt folglich einen jüdischen Charakter an. Es ist nicht nur der Stolz des Menschen, der sich wider Gott erhebt, sondern die Macht Satans in dem Menschen, die die Menschen, und besonders die Juden, durch einen falschen Christus verführt, so dass, wenn es möglich wäre, sogar die Auserwählten verführt werden würden. Beachten wir, dass alle diese Charakterzüge genau das Entgegengesetzte von Christus sind: Lüge statt Wahrheit, Gesetzlosigkeit statt Gerechtigkeit, Verderben statt Heil.

Einer solchen Macht der Lüge und des Verderbens wird der Mensch, der das Christentum verlassen und sich in seinem Stolz wider Gott erhoben hat, übergeben werden. Der Abfall (d.h. das Aufgeben des Christentums) wird den Anlass zu diesem Bösen darbieten, Judäa und die Juden werden den Schauplatz bilden, wo es zur Reife kommt und sich in bestimmter Weise offenbart. Der Antichrist wird den Vater und den Sohn, mit anderen Worten, das Christentum leugnen; er wird leugnen, dass Jesus der Christus ist – das ist der jüdische Unglaube. Beladen mit der Last der Sünde, die er wider das Christentum, die Gnade und die Gegenwart des Heiligen Geistes begangen hat, wird er sich mit dem jüdischen Unglauben verbinden, damit nicht nur der völlige Ausdruck des menschlichen Stolzes offenbar werden, sondern auch für eine Zeit der satanische Einfluss eines falschen Christus, der den Thron Satans unter den Nationen stärken wird; auf ihm sitzt das erste Tier, dem die Gewalt des Drachen gegeben ist. Er wird auch seinen eigenen Thron, der dem Thron des ersten Tieres untergeordnet ist, inmitten der Juden aufrichten, als ob er der Messias sei, den ihr Unglaube erwartet; während er zugleich die Abgötterei einführt, den unreinen Geist, der vor langer Zeit ausgefahren war und nun zu seinem Haus, das von Gott verlassen ist, zurückkehrt.

Was nun die Vernichtung dieses Gesetzlosen betrifft, so wird der Herr Jesus ihn verzehren durch den Hauch seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung seiner Gegenwart oder seiner Ankunft. Das erste dieser Vernichtungsmittel kennzeichnet das Gericht; es ist das Wort der Wahrheit, angewandt im Gericht gemäß der Kraft Gottes. In Offenbarung 19 heißt es: „Aus seinem Mund geht hervor ein scharfes Schwert.“ Hier, in unserem Kapitel, wird nicht von Ihm gesprochen in dem Charakter eines Kriegers, wie an jener Stelle. Der Hauch seines Mundes ist jene innere und göttliche Kraft, die das Gericht anzündet und ausübt. Es ist nicht ein Werkzeug, es ist die göttliche Quelle der Kraft, die ihren Vorsatz durch ein Wort aus führt (vgl. Jes 30,33). Aber es gibt noch eine andere Seite dieses Gerichts. Der Herr, der Mensch Jesus, wird wieder kommen. Seine Wiederkunft besteht aus zwei Teilen: aus seinem Kommen in die Luft, um seine Versammlung zu sich zu nehmen, und seiner öffentlichen Offenbarung in Herrlichkeit. Im ersten Vers unseres Kapitels haben wir von seiner Ankunft und unserem Versammeltwerden zu Ihm hin gelesen. Hier, in Vers 8, handelt es sich um die Offenbarung seiner Gegenwart öffentlich in der Schöpfung. Zur Zeit dieser Offenbarung seiner Ankunft vernichtet Er das ganze Werk und die ganze Macht des Gesetzlosen. Christus, der Mensch, der einst gehorsam war und Sich selbst auf der Erde erniedrigte, der dann von Gott erhöht und Herr von allem geworden ist, wird den Gesetzlosen vernichten – den, der sich über alles erhöht und sich selbst zu Gott gemacht hat, anstatt Gott zu gehorchen.

Dieses Böse, insofern es den Einfluss Satans betrifft, war bereits wirksam zur Zeit des Apostels; es wurde nur gezügelt und zurückgehalten, und dies wird so lange geschehen, bis das, was zurückhält, nicht mehr auf dem Schauplatz sein wird. Dann wird der Gesetzlose offenbart werden. Also, um das Gesagte noch einmal kurz zusammenzufassen: die Aufnahme der Versammlung einerseits und der Abfall andererseits müssen erst stattfinden, und dann wird dieser Mensch sich als ein abtrünniger Jude darstellen 8, und die Macht Satans wird in ihm offenbart werden.

Nun, dieser satanische Einfluss war für die, welche die Wahrheit verworfen hatten. Betreffs der Thessalonicher, denen der Apostel diese Erklärung über den Tag, den sie gekommen wähnten, gab, hatte er ganz andere Gedanken. Gott hatte diese „vom Herrn geliebten Brüder“ von Anfang an erwählt zur Seligkeit, in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit, wozu Er sie berufen hatte durch das Evangelium des Paulus (und das seiner Mitarbeiter), sowie zur Erlangung der Herrlichkeit des Herrn Jesus. Wie verschieden war das von den Heimsuchungen des Tages des Herrn und den Umständen, von denen der Apostel gesprochen hatte! Die Thessalonicher gehörten zu der Zahl derer, die an jenem Tag die Genossen des Herrn Jesu selbst sein würden.

In den Ermahnungen des Apostels gibt es nichts Besonderes zu erwähnen. Das Wichtigste für ihn war die Erklärung, die wir betrachtet haben. Er betet, dass Gott und der Herr Jesus selbst, der ihnen die sicheren und ewigen Tröstungen des Evangeliums gegeben hatte, ihre Herzen trösten und sie befestigen möge in allem guten Werk und Wort.

Fußnoten

  • 1 In 1. Joh 2 finden wir den zwiefachen Charakter des Antichristen in Bezug auf Christentum und Judentum. Er leugnet den Vater und den Sohn und verwirft damit das Christentum, er leugnet, dass Jesus der Christus ist, und macht sich dadurch eins mit dem Unglauben der Juden. Seine Macht ist die Folge der Wirksamkeit Satans, wie wir hier im Thessalonicherbrief sehen. Als Mensch erhöht er sich, um Gott zu sein. So tritt seine Gottlosigkeit in jeder Hinsicht ans Licht. Da es sich hauptsächlich um die Erde handelt, so wird er durch den Gott der Erde, der zugleich der Mensch vom Himmel ist, gerichtet.
  • 2 Man beachte diesen Punkt. Zur Zeit des Apostels war alles bereit und vollständig, nur wurde es zurückgehalten. So war auch Christus bereit zu richten. Nur wartet die Langmut Gottes jetzt in der wohlannehmlichen Zeit.
  • 3 Der Grundsatz des Abfalls mag in ausgedehnter Weise in einzelnen Personen wirksam sein (nach 1. Joh 2 hatte er schon begonnen), aber seine volle, öffentliche Darstellung steht noch bevor. Bei Judas wird das Verderben hervorgebracht durch „Einschleichen“, bei Johannes kennzeichnet das „Ausgehen“ den Antichristen.
  • 4 Der Leser wolle beachten, dass der Abfall sich unter den drei Formen vollzieht, unter denen der Mensch in Beziehung zu Gott gestanden hat: in der Natur es ist der zügellose Mensch der Sünde, der sich erhöht; im Judentum - er setzt sich als Gott in den Tempel Gottes; im Christentum - darauf bezieht sich in der vorliegenden Stelle unmittelbar der Ausdruck „Abfall“.
  • 5 Nur steht das in der Apostelgeschichte das für „Wunder“ oder „Macht“ gebrauchte Wort in der Mehrzahl.
  • 6 Ich weise hier nur auf die Verbindung hin zwischen der Lossagung vom Christentum und der Entwicklung des abtrünnigen Judentums; beide finden sich zusammen in der Verwerfung des wahren Christus und der Leugnung des Vaters und des Sohnes, den Charakterzügen des Antichristen nach 1. Joh 2. Und ich bin überzeugt, dass, je mehr wir das Wort erforschen, wir um so mehr sehen werden (vielleicht mit Verwunderung), dass es sich also verhält. Übrigens hat die Rückkehr zum Judentum und der Hang zur Abgötterei, die sich in der Einführung von anderen Mittlern und von Schutzheiligen kundgibt, sowie das Vergessen der Wahrheit von unserer Einheit mit dem Haupt und darum unseres Vollendetseins in Ihm und unserer Befreiung vom Gesetz, die in Christus unser Teil sind, zu aller Zeit das Geheimnis der Gesetzlosigkeit und den Grundsatz des Abfalls gekennzeichnet. Der Apostel hatte diese Dinge unaufhörlich zu bekämpfen. Das, wovon wir oben gesprochen haben, ist nur deren völlige Offenbarung.
  • 7 Das ist der Gipfelpunkt in seinem Charakter als ein Abtrünniger, der die Gnade verworfen hat. Der neunte und die folgenden Verse entfalten seine bestimmte und betrügerische Tätigkeit, durch die er die Menschen zu gewinnen sucht. Dies erklärt die Vermischung (die übrigens allgemein vorhanden ist) zwischen bewusstem Atheismus und Aberglauben.
  • 8 Ich sage nicht, dass sein erstes Auftreten der Abfall vom Judentum sein wird; ich denke das keineswegs. Er wird sich den Juden darstellen, als sei er der Christus, jedoch in Übereinstimmung mit ihren Erwartungen und Leidenschaften. Aber nachher wird sich bei ihm sogar ein Abfall vom Judentum zeigen, wie es teilweise schon in den Tagen der Makkabäer der Fall war; eine Tatsache, die der Heilige Geist in Dan 11 als ein Vorbild der Zeit des Antichristen benutzt. Er ist von seinem ersten Auftreten an ein Ungläubiger und der Feind Gottes, ein Abtrünniger in Bezug auf die Versammlung, und er leugnet, dass Jesus der Christus ist. Johannes lehrt uns aufs bestimmteste, dass die Verwerfung des Christentums und der jüdische Unglaube sich in dem Antichristen vereinigt finden werden. Es scheint daher, dass der Abfall hinsichtlich des Christentums und der jüdische Unglaube in Verbindung stehen und zusammengehen, und dass nachher der jüdische Abfall und der öffentliche Aufstand wider Gott, wodurch das Schreien des Überrestes zu Gott hervorgerufen wird, den Herrn einführt, wodurch allem ein Ende gemacht wird. In 2. Thes 2,3.4 stellt uns nun der Apostel das ganze Bild der Bosheit des Menschen vor Augen, das sich entfaltet, nachdem der Abfall von der Gnade des Evangeliums stattgefunden hat (er erhöht sich sogar so weit, dass er sich selbst zu Gott macht), ohne die jüdische Seite oder die offenbarte Macht Satans zu berühren. Diese Verse zeigen uns den Menschen der Sünde als Folge des Abfalls, der in der Mitte der Christenheit ausbrechen wird. Der 9. Vers fügt hinzu, dass die Ankunft dieses Gesetzlosen auch in unmittelbarer Verbindung stehen wird mit einer mächtigen Entfaltung der Kraft Satans, der, wie schon oben erwähnt, mittelst wunderbarer Zeichen und eines kräftigen Irrwahns, welchem Gott die Menschen übergibt, diese betrügt. Hier werden uns der Mensch und Satan unter solchen Umständen vor Augen geführt, dass wir daraus genugsam die Verbindung des Gesetzlosen mit dem Judentum in den letzten Tagen ersehen können (geradeso wie das Geheimnis der Gesetzlosigkeit in den Tagen des Apostels mit dem Judentum verbunden war), obwohl hier nicht der Ort ist, um die Entwicklung des Bösen unter den Juden im einzelnen zu behandeln. Diese Einzelheiten müssen wir anderswo suchen, wo sie an ihrem Platz sind, wie z.B. im Buch Daniel. Die Offenbarung und der erste Brief des Johannes liefern uns die Mittel, um Sie miteinander in Zusammenhang zu bringen; ich mache hier nur auf diesen Zusammenhang aufmerksam.
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