Das Lied der Erlösung
Das Lied der Erlösung

Einleitung

2. Mose 15 markiert einen wichtigen Übergang in der Geschichte des Volkes Israel. Gott hatte sein irdisches Volk Israel sowohl durch Blut als auch durch Macht erlöst. Das Blut des Passahlamms war geflossen, und unter diesem Blut hatten die Israeliten Schutz vor dem gerechten Gericht Gottes gefunden. Der Durchzug durch das Rote Meer hatte sie darüber hinaus durch Gottes machtvolles Eingreifen vor der Macht des Pharaos gerettet. Israel war ein befreites Volk. Damit war einerseits ein wichtiger Teil des Handelns Gottes abgeschlossen. In dem Lied, das sie am anderen Ufer des roten Meeres anstimmen, hält das Volk deshalb Rückschau auf das, was hinter ihnen lag. Andererseits lag nun die Wüstenreise mit ihren Erfahrungen vor ihnen, die sie nach Kanaan, dem von Gott versprochenen Erbteil, bringen würde.

Dieses bemerkenswerte Lied – das zugleich ein Lobpreis Gottes ist – hat zunächst einen ausgeprägt prophetischen Charakter. Es spricht von der Erlösung des Überrestes Israels in der Zeit des Endes (gemeint ist die große Drangsal für Israel) und reicht bis in die Zeit des 1000-jährigen Reiches hinein. Zuerst wird der Herr „Kriegsmann“ sein (V. 3). Er wird seine Feinde besiegen (vgl. Ps 45,4). Dann wird Er sein Volk in das Erbteil bringen (V. 17) und schließlich wird Er immer und ewig König sein (V. 18). Damit endet dieses wunderbare Lied.

Der Lobpreis von Hanna (1. Sam 2,1–10), Maria (Lk 1,46–55) und Zacharias (Lk 1,68–79) geht jeweils in eine ähnliche Richtung und weist manche Parallelen auf. Ein Wort des Propheten Jesaja macht diesen prophetischen Aspekt deutlich: „Und an jenem Tag wirst du sagen: Ich preise dich, Herr… Siehe, Gott ist meine Rettung, ich vertraue, und fürchte mich nicht; denn Jah, der Herr, ist meine Stärke und mein Gesang, und er ist mir zur Rettung geworden. Und mit Wonne werdet ihr Wasser schöpfen aus den Quellen der Rettung, und ihr werdet sprechen an jenem Tag: Preist den Herrn, ruft seinen Namen aus, macht unter den Völkern kund seine Taten, verkündet, dass sein Name hoch erhaben ist! Besingt den Herrn, denn Herrliches hat er getan; dies werde kund auf der ganzen Erde! Jauchze und juble, Bewohnerin von Zion! Denn groß ist in deiner Mitte der Heilige Israels“ (Jes 12,1–6).

Neben diesem prophetischen Charakter erkennen wir in diesem Lied zugleich wichtige vorbildliche (typologische) Hinweise, die unsere Erlösung betreffen. So wie Israel damals, sind wir durch Blut und durch Macht erlöst worden. Wir sind erlöst „mit dem kostbaren Blut Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken“ (1. Pet 1,19). Zugleich hat der Herr Jesus durch den Tod den zunichtegemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreit „die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren“ (Heb 2,14.15). Unsere Errettung ist damit eine vollendete Tatsache. Deshalb können wir dieses Lied der Erlösung ebenso auf uns beziehen.

Gliederung

Das Lied selbst lässt sich relativ leicht in drei Teile einteilen:

  1. Verse 1–12: Gottes Triumpf über den Feind
  2. Verse 13–18: Der Blick nach vorne
  3. Verse 19–21: Ein Rückblick und die Antwort Mirjams

Das Lied der Erlösten

In Ägypten gab es keine Freude und keinen Gesang. Dort wurde vielmehr geseufzt und geweint unter dem harten Dienst. Im Exil in Babel wurde ebenfalls nicht gesungen: „An den Flüssen Babels, da saßen wir und weinten…, An die Weiden in ihr hängten wir unsere Lauten. … Wie sollten wir ein Lied des Herrn singen auf fremder Erde“ (Ps 137,1–4)? Das Lied der Kinder Israel ist ein Ausdruck der neuen Stellung als erlöstes und freies Volk und drückt ihre Empfindungen aus.

Mose war derjenige, der dieses Lied anstimmte. Er führte im Gesang. Er hat nicht nur einmal gesungen. Das letzte Lied Moses finden wir in 5. Mose 32 (vgl. den Hinweis in V. 44). Die Unterschiede sind bemerkenswert. Das Lied der Erlösung blickt auf die Rettung zurück und richtet den Blick nach vorn. Das Lied in 5. Mose 32 ist vor allem ein Rückblick auf sein Leben und die Reise des Volkes Gottes. Es handelt von der Vollkommenheit Gottes einerseits und der Fehlerhaftigkeit des Volkes andererseits. Diese letzten Erfahrungen fehlen in 2. Mose 15 noch. Es atmet mehr die Frische und Freude derer, die gerade die Rettung erfahren haben. In der Offenbarung wird auf das Lied Moses Bezug genommen: „Und sie singen das Lied Moses, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes und sagen: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, Gott, Allmächtiger, gerecht und wahrhaftig deine Wege, o König der Nationen“ (Off 15,3)1.

Der Bibeltext sagt ausdrücklich, dass das Lied „damals“ gesungen wurde. Das macht klar, dass dieses Lied nach der Befreiung gesungen wurde. Loblieder zu singen ist ein Privileg erlöster Gotteskinder. Psalm 106 erwähnt dieses Lied ebenfalls und bringt es mit dem Glauben in Verbindung: „Da glaubten sie seinen Worten, sie sangen sein Lob“ (Ps 106,12). Gerettete und glaubende Menschen singen. Engel singen nicht. Sie „jubeln“ und „jauchzen“ (Hiob 38,7), sie loben (vgl. Lk 2,13), sie sprechen mit lauter Stimme (Off 5,11.12), doch nur erlöste Menschen singen. „Jubeln werden meine Lippen, wenn ich dir Psalmen singe, und meine Seele, die du erlöst hast“ (Ps 71,23)2.

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass dies das erste Lied in der Bibel ist, das gesungen wurde3. In 1. Mose 31,27 spricht Laban zwar von „Gesängen“, tatsächlich gesungen haben sie jedoch nicht. Bis heute ist es unser Privileg, zur Ehre Gottes zu singen. Geistliche Lieder sprechen von der Freude geretteter Menschen. Es war ein Lied „dem Herrn“, d. h. zu seiner Ehre und Herrlichkeit. Lieder „dem Herrn“ sind Lieder, in denen es nicht zuerst um uns, sondern um Ihn geht. Dann erst geht es um den Segen, der uns geschenkt worden ist (V. 2). Nur wer die Rettung kennt, kennt Gott. Am Kreuz hat Er sich offenbart und wer dort Frieden gefunden hat, kann ihn besingen.

Fußnoten

  • 1 Welches Lied gemeint ist, muss offen bleiben. Der Inhalt dieses Liedes der Zukunft enthält Elemente, die zu beiden Liedern passen, die Mose gesungen hat.
  • 2 Eine ähnliche Reihenfolge findet sich in Jesaja 53 und 54. Kapitel 54,1 beginnt mit Jubel und Jauchzen, aber erst nachdem das Werk des Messias vollbracht ist (vgl. auch Ri 5,1).
  • 3 Bezeichnenderweise ist das Lied Moses in Offenbarung 15 das letzte Lied, das in der Bibel erwähnt wird. Dieses Lied ist sozusagen der „Rahmen“ für alle weiteren Lieder, die gesungen worden sind und gesungen werden.
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