Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)

Kapitel 20

Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)

Nachdem der Tumult aufgehört hat, ruft der Apostel die Jünger zu sich, grüßt sie und reist nach Mazedonien ab (V. 1). Er durchzieht die ganze Gegend und kommt nach Griechenland. Der Anfang des zweiten Briefes an die Korinther gibt uns die Einzelheiten über diesen Teil seiner Geschichte. In Griechenland hält er sich drei Monate auf; und als die Juden einen Anschlag gegen ihn machen, kehrt er durch Mazedonien zurück, anstatt direkt nach Syrien zu fahren. In Troas (wo ihm auf seinem Weg nach Griechenland eine Tür geöffnet worden war, wo ihn aber seine Liebe zu den Korinthern nicht bleiben ließ) bringt er den ersten Tag der Woche und sogar die ganze Woche zu, um die Brüder zu sehen. Wir sehen hier einmal den gewöhnlichen Zweck ihrer Zusammenkunft – sie „versammelten sich, um Brot zu brechen“, und zum anderen die gewöhnliche Gelegenheit, dies zu tun – „am ersten Tag der Woche“. Paulus benutzt dies, um den ganzen Abend zu ihnen zu reden; es war eine außergewöhnliche Gelegenheit. Doch die Gegenwart und die Ermahnungen eines Apostels genügten nicht, um sie alle wach zu halten. Es war nicht eine im Geheimen oder im Finstern gehaltene Versammlung. Viele Fackeln erleuchteten den Obersaal, wo sie versammelt waren. Wir sehen aus dem Platz, wo sie zusammenkamen, dass die Versammlungen nicht aus sehr vielen Personen bestanden: der Obersaal in Jerusalem enthielt vielleicht hundertzwanzig Personen. Aus mehreren Grüßen in den Briefen lässt sich schließen, dass sie in gewöhnlichen Häusern zusammenkamen – wahrscheinlich in mehreren, wenn die Zahl der Gläubigen es erforderte; aber es gab nur eine Versammlung. Eutychus leidet die Strafe für seine Unaufmerksamkeit; aber Gott gibt Zeugnis seiner eigenen Güte und der Kraft, womit Er den Apostel begabt hatte, indem er den Jüngling aus einem Zustand des Todes erweckte. Paulus geht hinab, beugt sich über ihn, umarmt ihn und sagt, seine Seele sei noch in ihm. Er hatte nur die Verbindung zwischen ihr und der physischen Organisation des Eutychus zu erneuern. In anderen ähnlichen Fällen wurde die Seele in den Körper zurückgerufen.

Paulus zog vor, von Troas bis Assos allein zu Fuß zu gehen. Wir sehen die ganze Geschichte hindurch, dass er durch die Kraft, die der Geist ihm über seine Gefährten gab, ihre freiwilligen Dienste ordnete – ohne Zweifel nicht als ihr Meister, und dennoch unbedingter, als wenn er dies gewesen wäre. Er ist (unter Christus) der Mittelpunkt des Systems, in dem er arbeitet, der Mittelpunkt der Kraft. Christus allein kann mit Recht der Mittelpunkt des Heils und des Glaubens sein. Nur als mit dem Geist Gottes erfüllt, war Paulus der Mittelpunkt sogar jener Kraft, und zwar deshalb, weil er, wie wir gesehen, Ihn nicht betrübte, und weil er sich übte, sowohl vor Gott als auch vor Menschen ein gutes Gewissen zu haben.

Der Apostel hält sich zu Ephesus nicht auf, weil er in einer so großen Stadt ja längere Zeit hätte verweilen müssen. Dies war nicht Mangel an Zuneigung für seine teuren Epheser, noch wollte er sie irgendwie vernachlässigen. Es ist aber notwendig, das zu vermeiden, was ein gewisses moralisches Recht an uns hat, wenn wir durch die Verpflichtung, die dieses Recht uns auferlegt, nicht aufgehalten werden wollen oder nicht sollen. Er ruft die Ältesten zu sich und wendet sich in einer Rede an sie, die wir ein wenig untersuchen müssen, weil sie uns den Zustand der Versammlung und das Werk des Evangeliums unter den Nationen zu jener Zeit darstellt.

Die Versammlung hatte sich über eine ziemlich große Strecke Landes befestigt und hatte an verschiedenen Orten wenigstens die Form einer regelmäßig geordneten Einrichtung angenommen. Es waren Älteste gewählt und anerkannt. Der Apostel konnte zu ihnen senden und sie zu sich kommen lassen. Seine Autorität wurde auch von ihnen anerkannt. Er spricht von seinem Dienst als von etwas Vergangenem – ein feierlicher Gedanke! aber er nimmt sie nicht nur zu Zeugen, dass er ihnen die Wahrheit verkündigt hatte, sondern es war eine Wahrheit, die zu ihrem Gewissen sprach. Er stellte sie einerseits vor Gott, und andererseits stellte er ihnen Den vor, in dem Gott sich offenbart und in dem Er die ganze Fülle seiner Gnade ihrethalben bekannt gemacht hatte – Jesum, den Gegenstand ihres Glaubens, den Heiland ihrer Seelen. Er hatte ihnen dies alles verkündigt inmitten von Trübsalen und Schwierigkeiten angesichts des gewissenlosen Widerstandes der Juden, die den Gesalbten verworfen hatten. Er hatte seine schwierige Aufgabe erfüllt in Übereinstimmung mit der Gnade, die sich über all dieses Böse erhob – der Gnade, die den Juden Heil verkündigte und, diese Grenze überschreitend (weil es Gnade war), sich an die Nationen, ja an alle Menschen wandte, weil sie Sünder und vor Gott verantwortlich waren. Paulus hatte dieses getan, nicht mit dem Hochmut eines Lehrers, sondern mit der Demut und dem Ausharren der Liebe. Er wünschte auch seinen Dienst zu vollenden und in nichts, was Jesus ihm aufgetragen hatte, zurückzubleiben. Und jetzt ging er nach Jerusalem, indem er sich in seinem Geist gebunden fühlte, dies zu tun, und wusste nicht, was ihm dort begegnen würde, außer, dass der Heilige Geist ihm bezeugte, dass Bande und Trübsale seiner warteten. Was die Epheser betraf, so wusste der Apostel, dass sein Dienst beendigt war und er ihr Angesicht nicht mehr sehen würde. Hinfort lag die Verantwortlichkeit besonders auf ihnen.

Was der Heilige Geist uns hier in dieser rührenden Szene darstellt, ist, dass der Apostel jetzt – wo die Einzelheiten seines Werkes, inmitten der Nationen das Evangelium zu pflanzen, als ein vollkommenes Gemälde seiner Wirksamkeit unter Juden und Nationen dargestellt werden – dem Werk Lebewohl sagt, um die, welche er versammelt hatte, in einem neuen Zustand zurückzulassen und gewissermaßen sich selbst zu überlassen. Es ist eine Rede, die das Ende einer der Phasen der Versammlung – die des apostolischen Wirkens – und den Eintritt in eine andere andeutet, in die der Verantwortlichkeit der Christen, um die Stellung zu bewahren, in die die Arbeit des Apostels, die jetzt aufhörte, sie gebracht hatte. Sie zeigt uns den Dienst der Ältesten, die „der Heilige Geist als Aufseher gesetzt hatte“, und zugleich die Gefahren und Schwierigkeiten, die die Abwesenheit der apostolischen Wirksamkeit hervorrufen würde, und die die Arbeit der Ältesten, auf denen von jetzt an die Verantwortlichkeit besonders ruhte, treffen würden.

Die erste Bemerkung, die aus der Betrachtung dieser Rede fließt, ist, dass die apostolische Nachfolge dadurch gänzlich verneint wird. Die Abwesenheit des Apostels würde, wie er selbst bezeugt, verschiedene Schwierigkeiten verursachen, und doch würde niemand an seiner Stelle sein, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen oder zuvorzukommen. Er hatte also keinen Nachfolger. Zweitens kündigt die Rede des Apostels an, dass, wenn einmal diese apostolische Energie, die den Geist des Übels im Zaume hielt, nicht mehr vorhanden sei, verderbliche Wölfe von außen und Lehrer verkehrter Dinge von innen ihr Haupt erheben und die Einfachheit und das Glück der Versammlung zerstören würden. Sie würde durch die Bestrebungen Satans verwüstet werden, und die Gegenwart der apostolischen Energie, diesen Bestrebungen zu widerstehen, würde fehlen.

Das Zeugnis des Apostels ist in Bezug auf das ganze kirchliche System von höchster Wichtigkeit. Die Aufmerksamkeit der Ältesten, denen die Aufsicht der Herde anvertraut war, wird auf etwas anderes als auf die apostolische Sorge gerichtet (weil sie diese Hilfsquelle oder etwas, was dieselbe offiziell ersetzte, nicht mehr hatten), damit die Versammlung in Frieden gehalten und vor dem Übel bewahrt bleiben möchte. Es war ihre Aufgabe, in diesen Umständen für die Versammlung zu sorgen. Das, was sie hauptsächlich zu tun hatten, um das Übel zu verhindern, war: die Herde zu hüten und sowohl auf sich selbst als auch auf sie zu diesem Zweck acht zu haben. Um es mit Erfolg zu tun, erinnert der Apostel sie daran, wie er selbst sie Tag und Nacht mit Tränen ermahnt habe. „Wacht deshalb“, sagt er. Dann befiehlt er sie weder dem Timotheus noch irgendeinem Bischof, sondern – auf eine Weise, die alle amtliche Hilfe ausschließt – Gott und dem Worte seiner Gnade, das fähig war, sie aufzuerbauen und ihnen das Erbe zu sichern. Dies war der Zustand, worin Paulus die Versammlung zurückließ; was er nachher getan hat, ist hier nicht mein Gegenstand. Kam Johannes später, um in diesen Gegenden zu arbeiten, so war das eine große Gnade Gottes; allein dies veränderte nichts an der Lage in amtlicher Beziehung. Das Wirken des Johannes bezog sich (mit Ausnahme der Warnungen an die sieben Versammlungen in der Offenbarung, wo vom Gericht die Rede ist) auf das persönliche Leben, auf dessen Charakter und das, was es unterhielt.

Mit tiefer und rührender Liebe nimmt Paulus von der Versammlung zu Ephesus Abschied. Wer füllte diese Lücke aus, die sein Weggang verursachte? Zugleich beruft er sich auf ihre Gewissen hinsichtlich der Aufrichtigkeit seines Wandels. Die freie Wirksamkeit des Apostels der Nationen war zu Ende. Ein feierlicher und ergreifender Gedanke! Er war das von Gott auserwählte Werkzeug gewesen, um der Welt seine Ratschlüsse betreffs der Versammlung mitzuteilen und inmitten der Welt diesen kostbaren Gegenstand seiner Liebe aufzurichten, der mit Christus zu seiner Rechten vereinigt ist. Was würde hienieden aus ihr werden?

Nach dieser Zeit hat der Apostel seinethalben Rechenschaft abzulegen und auf eine treffende Weise die Vorhersagungen des Herrn zu erfüllen. Durch die Bosheit der Juden vor den Richterstuhl gebracht, durch ihren Hass in die Hände der Nationen überliefert – alles wurde zu einem Zeugnis. Könige und Oberste werden das Evangelium hören, aber die Liebe vieler wird erkalten. Dies ist im Allgemeinen seine Stellung; doch gab es Einzelheiten, die ihn persönlich betrafen.

Wir mögen bei dieser Gelegenheit einen Hauptzug in diesem Buch bemerken, der wenig beachtet worden ist, nämlich die Entwicklung der Feindschaft der Juden, die auf ihre endliche Verwerfung auslief. Die Apostelgeschichte endigt mit dem zuletzt dargestellten Falle. Das Werk inmitten dieses Volkes tritt in den Hintergrund, und die Arbeit des Paulus füllt das ganze Gemälde in der historischen Erzählung, die durch den Heiligen Geist mitgeteilt wird. Der Widerstand der Juden gegen die Offenbarung der Versammlung, die an ihre Stelle gesetzt wurde und den Unterschied zwischen ihnen und den Nationen beseitigte, indem der Himmel und die vollkommene und unumschränkte Gnade (an der der Sünder durch den Glauben teil hatte) hineingebracht wurden – dieser Widerstand, der sich bei jedem Schritt in der Laufbahn des Apostels kundgab, obwohl er mit aller möglichen Umsicht handelte, wird in seiner ganzen Heftigkeit zu Jerusalem, in seinem natürlichen Mittelpunkt, aufgeweckt und zeigt sich in den Gewalttätigkeiten der Menge und in Anstrengungen, die bei den Nationen zu dem Zweck gemacht wurden, um Paulus von der Erde zu vertilgen. Dies machte hinsichtlich der Nationen die Stellung des Apostels zu Jerusalem sehr ernst – in einer Stadt, die um so eifersüchtiger auf ihre religiöse Wichtigkeit war, als sie die Wirklichkeit derselben unter der römischen Knechtschaft verloren hatte, weil sie diese Wichtigkeit in einen Geist der Empörung gegen die Autorität verwandelte, die sie hinderte.

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