Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)

Kapitel 21

Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)

Nach der Geschichte des Christentums, das (hinsichtlich der Verheißungen und ihrer Erfüllung in dem Messias) in Verbindung mit dem Judentum betrachtet wird, finden wir Paulus in drei verschiedenen Stellungen. Wir sehen ihn erstens zu den jüdischen Gefühlen und zu dem Bewusstsein, das die Juden von ihren alten Beziehungen zu Gott hatten, sich herablassen, und zwar zum Zweck der Versöhnung und um alles das zu berücksichtigen, was noch in Jerusalem bestand. Er wandte sich überall an die Juden in ihren Synagogen, weil sie das erste Recht hatten, das Evangelium zu hören: „Zuerst den Juden und dann den Griechen“; denn Jesus war der Diener der Beschneidung für die Wahrheit Gottes, um die den Vätern gegebenen Verheißungen zu erfüllen. In dieser Beziehung fehlte der Apostel nie, und er legt diese Grundsätze klar und dogmatisch in dem Brief an die Römer dar. Zweitens finden wir den Apostel in seinem eigenen, besonderen Werke in der ganzen Freiheit der vollen Wahrheit der Gnade und der Vorsätze Gottes. Diese Freiheit, die aus der Fülle der Gnade fließt, charakterisiert die wahre geistliche Erhabenheit ihres Dieners – eine Erhabenheit, von der er durch die Gnade hinabstieg. Dies wird uns in der Epistel an die Epheser mitgeteilt. In diesen beiden Stellungen handelt der Apostel unter der Leitung des Heiligen Geistes und erfüllt den Willen Gottes. Nachher sehen wir ihn drittens im Kampf mit der Feindschaft des gesetzlichen Judentums, dessen Spionen er fortwährend begegnete und in dessen Zentrum er sich schließlich warf, indem er nach Jerusalem ging. Dies ist der Teil der Geschichte, zu dem wir jetzt übergehen. Wie viel von Gott und wie viel die Folge von den Schritten Pauli war, wird der Gegenstand unserer Betrachtung sein. Dass die Hand Gottes in allem war, um es zum Besten der Versammlung sowie auch zum schließlichen Wohl seines geliebten Dieners zu lenken, ist außer jedem Zweifel. Wir haben nur zu erforschen, inwieweit der Wille und die Gedanken Pauli hinzukamen, die Gott als Mittel gebrauchte, um das Ergebnis, das Er beabsichtigte, sei es für die Versammlung oder für seinen Diener oder für die Juden, hervorzubringen. Diese Gedanken sind von höchster Wichtigkeit und erfordern eine demütige Untersuchung dessen, was uns Gott, um uns über diesen Punkt zu belehren, durch den Geist selbst von diesen letzten Ereignissen des Lebens Pauli mitgeteilt hat.

Die erste Sache, die uns gleich beim Anfang dieser Geschichte auffällt, ist, dass der Heilige Geist zu Paulus sagt, er solle nicht nach Jerusalem hinaufziehen (V. 4). Dieses Wort ist von augenscheinlicher Wichtigkeit. Paulus fühlte sich gebunden, nach Jerusalem hinaufzugehen, es war etwas in seinem Geist, das ihn dorthin drängte – ein Gefühl, das ihn nach jener Richtung hintrieb; allein der Geist in seinem bestimmten und äußerlichen Zeugnis hieß ihn, nicht zu gehen. Der Zweck des Apostels war, nach Rom zu reisen. Paulus, als Apostel der Nationen, war ausgesandt, um aller Kreatur das Evangelium zu verkündigen. In diesem Vorsatz war nichts von ihm selbst – nicht irgendetwas, was mit der Gnade nicht in Übereinstimmung gewesen wäre (Röm 1, 13–15). Dennoch hatte Gott ihm nicht erlaubt, dorthin zu gehen. Er war genötigt, ihnen seinen Brief zu schreiben, ohne sie gesehen zu haben. Der Himmel ist die Hauptstadt des Christentums. Rom und Jerusalem sollen bei Paulus keinen Platz finden, es sei denn, um dieses in Liebe zu ertragen und bereit zu sein, wenn es ihm erlaubt wurde, jenem das Evangelium zu verkündigen. Paulus, wie wir in Apostelgeschichte 19, 21 lesen, setzte sich in seinem eigenen Geist vor, nach Jerusalem zu gehen, indem er sagte: „Wenn ich dort gewesen bin, muss ich auch Rom sehen.“ Nachher übernahm er es, die Opfer der Heiligen in Achaja und Mazedonien zu besorgen. Er wünschte seine Liebe für die Armen seines Volkes zu beweisen (Gal 2, 10). Alles dies war gut; doch weiß ich nicht, ob es zum apostolischen Dienst gehörte. Es war offenbar ein jüdisches Gefühl, das auf die Armen zu Jerusalem und somit auf Jerusalem selbst einen besonderen Wert setzte. Ein Jude wollte lieber arm sein zu Jerusalem als reich unter den Nationen. Arme Christen waren ohne Zweifel dort von der Zeit ihrer Bekehrung an; aber die Liebe zu Jerusalem, die für einen Juden natürlich und selbst lobenswert war, war der Ursprung dieses Verhältnisses zwischen den anderen Juden und denen, die zu Jerusalem wohnten (vgl. Neh 11, 2; Apg 24, 17). Das Vorhandensein dieser jüdischen Gefühle war die Folge der Beziehungen der Christen zum Judentum (Röm 15, 25–28). Die Zuneigung des Herzens Pauli zu der Nation, der er dem Fleisch nach angehörte und die das geliebte Volk Gottes gewesen und, obwohl es für eine Zeit verworfen, noch sein Volk war, hatte ihre wahre und tief rührende Seite. Der Überrest sollte jetzt durch das Christentum in das Reich Gottes eingehen. Diese Liebe des Apostels zu Israel hatte es andererseits mit dem Fleisch zu tun und führte ihn in den Mittelpunkt des Judentums. Er war der Bote der himmlischen Herrlichkeit, die die Lehre von der Versammlung offenbarte, die aus Juden und Nationen zusammengesetzt und ohne Unterschied in dem einen Leib Christi vereinigt war. Das Judentum als solches wurde dadurch beiseite gesetzt; aber die Liebe des Apostels zu seinem Volk führte ihn, ich wiederhole es, in den wahren Mittelpunkt des feindlichen Judentums, das wider diese geistliche Gleichheit in Wut geriet. Der Herr hatte ihm schon zu Anfang des Werkes gesagt, dass sie sein Zeugnis nicht annehmen würden. Dennoch war ohne Zweifel die Hand Gottes in diesem allen.

Als das Werkzeug der Offenbarung Gottes verkündigt der Apostel den Vorsatz der unumschränkten Gnade Gottes in seiner ganzen Ausdehnung und Kraft. Der Wein war nicht verfälscht, er kam ebenso rein hervor, wie Paulus ihn empfangen hatte. Und der Apostel wandelte in einer merkwürdigen Weise auf der Höhe der ihm anvertrauten Offenbarung (vgl. 2. Kor 2, 17; 4, 1–4). Dennoch ist Paulus persönlich ein Mensch; er muss geübt und offenbar gemacht werden, und zwar in solchen Übungen, denen Gott uns unterwirft. Wo das Fleisch sein Vergnügen gefunden – die Sphäre, in der es seine Befriedigung hatte – gerade dort findet es, wenn Gott handelt, seine Trübsal. Dessen ungeachtet, wenn Gott es auch für nötig hielt, Seinen Knecht auf die Probe zu stellen und ihn sich selbst offenbar zu machen, so stand Er ihm doch bei und segnete ihn, sogar durch die Versuchung selbst, indem Er dieselbe in ein Zeugnis verwandelte und das Herz seines geliebten und treuen Knechtes erquickte. Die Offenbarung dessen in ihm, was nicht nach dem Geist oder auf der Höhe seiner Berufung war, ist in Liebe für ihn und für die Versammlung zum Segen geworden. Glückselig ist der, welcher ebenso treu wandeln und durch die Gnade seinen Standpunkt in demselben Maße auf dem Weg der Gnade aufrecht halten kann! Indessen ist Christus das alleinige Muster; doch sehe ich keinen, der (in einer anderen Laufbahn) Ihm in seinem öffentlichen Leben so ähnlich war wie Paulus. Je mehr wir den Wandel des Apostels untersuchen, desto mehr werden wir diese Ähnlichkeit erblicken; allein Christus war das Muster des vollkommenen Gehorsams, während wir in seinem treuen Knecht das Fleisch sehen. Gewiss wäre Paulus der erste gewesen, um anzuerkennen, dass nur Jesus die Vollkommenheit zugeschrieben werden könne.

Ich glaube also, dass die Hand Gottes in dieser Reise Pauli war; ich glaube, dass Er in seiner unumschränkten Weisheit wollte, dass sein Knecht sie unternehmen und also einen Segen darin finden sollte; allein ich glaube auch, dass das Mittel, das in dieser unumschränkten Weisheit gebraucht wurde, ihn zu dieser Reise zu bringen, die menschliche Liebe des Apostels zu Israel, seinen „Verwandten nach dem Fleisch“, war, und dass er nicht dazu geleitet wurde durch den Heiligen Geist, der auf Seiten Christi in der Versammlung wirkte. Diese Anhänglichkeit an sein Volk, diese menschliche Liebe traf das unter dem Volk, was sie an ihren Platz setzte. Menschlich gesprochen war es ein liebliches Gefühl; allein es war nicht die eigentliche Frucht der Kraft des Heiligen Geistes, die auf den Tod und die Auferstehung Christi gegründet ist. In dem Ergebnis dieses göttlichen Werkes, in den Gedanken, die dort herrschten, gab es weder Jude noch Heide. In dem lebenden Christus war dies Gefühl der Verbindung mit Jerusalem richtig. Am Ende seines Lebens ging Er nach Jerusalem, um zu sterben. Zu diesem Zweck war Er gekommen.

Die Liebe Pauli war an und für sich gut, allein als Quelle des Handelns erreicht sie nicht die Höhe des Werkes des Geistes, der ihn von Seiten eines verherrlichten Christus fern von Jerusalem zu den Nationen gesandt hatte, um die Versammlung als seinen mit Ihm im Himmel verbundenen Leib zu offenbaren. Deshalb hörten die Juden ihn bis zu dem Augenblick an, wo er von dieser Mission sprach; dann aber schrieen sie und machten einen Tumult, der die Verhaftung des Apostels veranlasste. Er litt um der Wahrheit willen; aber es war dort, wo nach Christi eigenem Zeugnis die Wahrheit keinen Eingang fand: „Eile und gehe eilend aus Jerusalem, denn sie werden dein Zeugnis von mir nicht annehmen.“ Es war dennoch notwendig, dass die Juden ihren Hass wider das Evangelium zeigten und den endlichen Beweis ihres eingewurzelten Widerstandes gegen die Wege Gottes in Gnade lieferten. Welches nun auch die weitere Arbeit des Apostels (wenn es eine gab) gewesen sein mag, so macht doch der Heilige Geist keine Erwähnung davon. Paulus sieht die Juden in seinem eigenen gemieteten Hause und empfängt alle, die zu ihm kommen; aber die Seite der Geschichte des Geistes schließt hier. Diese Geschichte ist beendigt. Die apostolische Sendung zu den Nationen in Verbindung mit der Gründung der Versammlung ist geschlossen. Rom ist nur das Gefängnis des Apostels der Wahrheit, dem die Wahrheit anvertraut worden war. Jerusalem verwirft ihn, Rom verhaftet und tötet ihn, wie sie es mit Jesus getan hatten, dem der gesegnete Apostel auch hierin gleich werden sollte nach seinem Wunsch in Philipper 3; denn Christus und Gleichheit mit Ihm waren sein alleiniger Zweck. Es war ihm gegeben worden, diese Gleichheit mit seinem Herrn in seinem Dienst zu finden, wo sie schon so mächtig in seinem Herzen und in seiner Seele war, nur mit dem notwendigen Unterschied zwischen einem Dienst, der weder das zerknickte Rohr zerbrach, noch seine Stimme in den Straßen hören ließ, und einem Dienst, der im Zeugnis den Nationen das Gericht anzeigen sollte.

Die Mission der Zwölf an die Nationen von Jerusalem aus (Mt 28) hat, soweit es uns der Heilige Geist mitteilt, niemals stattgefunden 1. Jerusalem hielt sie zurück. Sie durchreisten sogar nicht die Städte Israels. Die Bedienung der Beschneidung war dem Petrus gegeben, die der Nationen dem Paulus; und letztere war in Verbindung mit der Lehre von der Versammlung und einem verherrlichten Christus – einem Christus, den er nicht mehr dem Fleisch nach kannte. Jerusalem, zu dem der Apostel durch seine Liebe hingezogen war, verwarf beides, ihn und seine Mission. Sein Dienst für die Nationen, soweit diese die freie Wirksamkeit der Macht des Geistes war, hatte ein ähnliches Ende. Die Kirchengeschichte mag uns vielleicht mehr davon mitteilen; allein Gott hat Sorge getragen, es in tiefe Dunkelheit zu hüllen. Durch den Geist wird nichts Weiteres anerkannt. Wir hören nichts mehr von den Aposteln zu Jerusalem, und Rom, wie wir gesehen haben, hatte keinen Apostel, um eine Kirche in seinen Mauern zu gründen (soweit es uns der Heilige Geist rnitteilt), außer dass der Apostel der Nationen daselbst ein Gefangener war und schließlich zum Tode gebracht wurde. Der Mensch hat auf der Erde überall gefehlt. Die religiösen und politischen Mittelpunkte der Welt – Mittelpunkte, die Gott in seinen Wegen mit der Erde errichtet hatte – haben das Zeugnis verworfen und die Zeugen getötet; aber das Ergebnis war, dass der Himmel seine Rechte unverletzt und in ihrer vollkommenen Reinheit bewahrte. Die Versammlung, die wahre himmlische und ewige Hauptstadt der Herrlichkeit und der Wege Gottes – die Versammlung, die ihren Platz in den Ratschlüssen Gottes hatte, bevor die Welt war – die Versammlung, die seinem Herzen in Gnade entspricht, weil sie mit Christus in der Herrlichkeit vereinigt ist – bleibt der Gegenstand des Glaubens. Sie ist nach dem Herzen Gottes und genau so, wie sie in seinem Herzen ist, offenbart, bis sie, als das himmlische Jerusalem, in Herrlichkeit offenbart werden wird; und dies wird in Verbindung mit der Erfüllung der Wege Gottes auf der Erde stattfinden, in der Wiederherstellung Jerusalems, dem Mittelpunkt seiner Handlungen in Gnade mit der Erde, Seinem Thron, Seiner Hauptstadt, selbst inmitten der Nationen und beim Verschwinden der Gewalt der Nationen, deren Sitz und Mittelpunkt Rom war.

Untersuchen wir jetzt die Gedanken des Apostels und das, was sich geschichtlich zugetragen hat. Paulus schrieb von Korinth aus nach Rom, als er diese Reise beabsichtigte. Das Christentum war nach dem Mittelpunkt der Welt gekommen, ohne dass, wie schon bemerkt, irgendein Apostel es dort gepflanzt hatte. Paulus folgt demselben. Rom war sozusagen ein Teil seines apostolischen Gebietes, der ihm entging (siehe Röm 1, 13–15 und Röm 15, wo er auf den Gegenstand zurückkommt). Wenn er nicht nach Rom kommen sollte (denn Gott will mit der Hauptstadt der Welt nicht anfangen (vergleiche die Verheerung Hazors in Kanaan – Jos 11, 11), so will er ihnen doch wenigstens aufgrund seiner allgemeinen Apostelschaft an die Nationen schreiben. Einige Christen waren schon dort; Gott wollte es also haben. Doch waren sie gewissermaßen aus der Provinz des Apostels, und viele von ihnen waren persönlich mit ihm in Berührung gewesen – siehe die Menge und den Charakter der Grüße am Ende des Briefes an die Römer, die einen besonderen Stempel tragen, indem sie uns die römischen Christen größtenteils als Pauli Kinder zeigen.

In Römer 15, 14–29 entfaltet Paulus seine apostolische Stellung in Bezug auf die Römer und die anderen Nationen. Er wollte auch nach Spanien reisen, wenn er die Brüder zu Rom ein wenig gesehen hatte. Er wünscht ihnen geistliche Gaben mitzuteilen (Röm 1, 11–12), jedoch getröstet zu werden durch ihren gegenseitigem Glauben; er will ihre Gegenwart etwas genießen. Sie sind in Verbindung mit dem Apostel; aber sie haben ihren Platz jedoch als Christen zu Rom, ohne dass er je dort gewesen ist. Wenn er sie daher ein wenig gesehen hatte, wollte er nach Spanien reisen. Allein in Betreff dieser Pläne ist er getäuscht worden. Alles, was der Heilige Geist uns mitteilt, ist, dass er zu Rom ein Gefangener war – tiefes Schweigen in Betreff Spaniens. Statt weiterzugehen, nachdem er die Brüder zu Rom gesehen hatte, bleibt er zwei Jahre ein Gefangener zu Rom. Es ist nicht bekannt, ob er in Freiheit gesetzt worden ist oder nicht. Einige bejahen, andere verneinen es, das Wort schweigt darüber.

Hier kommt, nachdem er seine Absichten und den Charakter seiner Beziehungen im Geist mit Rom dargestellt hat und sich im Westen ein ausgedehntes Feld vor seinen Blicken eröffnet, seine alte Zuneigung für sein Volk und für Jerusalem dazwischen: „Jetzt aber reise ich nach Jerusalem im Dienst für die Heiligen“ (Röm 15, 25–28). Warum nicht nach Rom gemäß der Kraft des Geistes, da doch sein Werk in Griechenland beendigt war (Röm 15, 23)? Gott war es ohne Zweifel, der es also lenkte, dass diese Dinge zu Jerusalem geschahen und dass Rom und die Römer diesen traurigen Platz einnehmen sollten in Bezug auf das Zeugnis eines verherrlichten Christus und der Versammlung, das der Apostel angesichts der Welt ablegte. Doch was Paulus betrifft – warum setzte er das widerspenstige Jerusalem zwischen seinen evangelistischen Wunsch und sein Werk? Die Liebe war gut, und auch der Dienst war gut für einen Diakon oder einen Boten der Versammlung. Aber war er es auch für Paulus, der den ganzen Westen in seinem Geist für die Verkündigung des Evangeliums offen sah? Für den Augenblick war sein Auge auf Jerusalem gerichtet. Demgemäß, wie wir gesehen haben, warnte ihn der Heilige Geist auf seinem Weg (V. 41). Er selbst sah auch die Gefahr voraus, in die er sich stürzte. Er wusste, dass er in der Fülle des Segens des Evangeliums Christi kommen werde; allein er war nicht gewiss, dass er auch mit Freuden kommen werde (Röm 15, 29–32). Die Sache, für die er ihre Gebete begehrte, gestaltete sich ganz anders, als er gewünscht hatte. Er wurde aus den Händen der Juden befreit und kam zu ihnen – aber als ein Gefangener. Als er in Italien ankam und die Brüder bei Appii-Forum und Tres-Tabernä sah, fasste er Mut. Von seiner Reise nach Spanien hören wir nichts mehr.

Dies alles ist sehr ernst. Der Herr, voll Gnade und Zärtlichkeit, war mit seinem armen, aber geliebten Knechte. Eine Geschichte wie die vorliegende, wo es sich um eine Person wie Paulus handelt, ist höchst ergreifend; und die Wege Gottes sind anbetungswürdig und vollkommen in Güte. Die Wirklichkeit des Glaubens ist bei Paulus in Fülle vorhanden. Die Wege der Gnade Gottes gegen ihn sind vollkommen und auch vollkommen in Zärtlichkeit. In der Trübsal steht Er seinem Knecht zur Seite, um ihn zu stärken und zu ermuntern. Und zugleich wird er bezüglich seines Wunsches, nach Jerusalem zu gehen, vom Geist gewarnt, und die Folgen davon werden ihm vorgestellt. Da er aber nicht zurückkehrt, erleidet er die notwendige Zucht, die seine Seele auf ihren Platz und zwar auf einen Platz bringt, der voll des Segens vor Gott ist. Sein Wandel steigt zu der Höhe der geistlichen Kraft empor. Er fühlt äußerlich die Kraft von dem, was moralisch einen Einfluss auf ihn ausgeübt hatte, um ihn in seinem Dienst zu hemmen; und eine Kette für sein Fleisch beantwortet die Freiheit, die er demselben gelassen hatte. Es war Gerechtigkeit in den Handlungen Gottes. Sein Knecht war Ihm zu teuer, als dass dies anders hätte sein können. Zugleich lenkt Gott alles in Betreff des Erfolgs und des Zeugnisses zu seiner eigenen Herrlichkeit und lenkt es mit vollkommener Weisheit in Bezug auf das künftige Wohl der Versammlung.

Jerusalem, wie wir gesehen haben, verwirft das Zeugnis an die Nationen und ebenso die Gnade, die dasselbe sandte, mit einem Wort, die Wege Gottes in der Versammlung (vgl. 1. Thes 2,14–16); und Rom wird das Gefängnis jenes Zeugnisses, während dieses nach der Verheißung des Herrn vor Oberste, Könige und vor den Kaiser selbst gebracht wird.

Ich habe gesagt, dass die Gnade Paulus in die Stellung Christi setzte, indem er wie Christus durch den Hass der Juden den Nationen überliefert wurde, und dies war eine große Gunst. Der Unterschied zwischen Christus und ihm bestand – außer der unendlichen Liebe des Herrn, der Sich selbst überlieferte – auch darin, dass Jesus dort an seinem wahren Platz vor Gott war. Er war zu den Juden gekommen, und dass Er überliefert werden sollte, setzte seiner Hingebung und seinem Dienst die Krone auf. Es war in der Tat die Aufopferung seiner selbst durch den ewigen Geist in der eigenen Sphäre seines Dienstes als der Gesandte Gottes. Paulus trat in diese jüdische Sphäre wieder ein, während die Kraft des Heiligen Geistes ihn außerhalb gestellt hatte. „Indem ich dich herausnehme“, hatte der Herr gesagt, „aus dem Volk und den Nationen, zu welchen ich dich jetzt sende, ihre Augen aufzutun usw.“ (Apg 26,17). Jesus hatte ihn aus beiden herausgenommen, um einen Dienst auszuüben, der beide, Juden und Nationen, zu einem Leib in Christo im Himmel vereinigte, der ihn auf diese Weise gesandt hatte. Paulus kannte in seinem Dienst niemand nach dem Fleisch; in Christus Jesus war weder Jude noch Grieche.

Doch kehren wir zu der Geschichte des Apostels zurück. Er wird also vom Heiligen Geist gewarnt, nicht nach Jerusalem hinaufzugehen (Apg 21,4). Dennoch setzt er seine Reise fort bis nach Cäsarea. Ein Prophet, Agabus genannt, kommt hinab von Judäa und verkündigt, dass Paulus gebunden und den Nationen überliefert werden würde (V. 10+11). Man könnte einwenden, dass dieses sein Gehen nach Jerusalem nicht verboten habe. Es ist wahr, aber weil es auf die schon gegebene Weisung folgte, so bekräftigt es jene Warnung. Als er in der Freiheit des Geistes wandelte und wegen einer Gefahr gewarnt wurde, entfloh er, obwohl er jeglicher Gefahr trotzte, wenn das Zeugnis es erforderte. Zu Ephesus ließ er sich überreden, nicht ins Theater zu gehen. Der Heilige Geist warnt gewöhnlich die Gläubigen nicht vor der Gefahr, die ihnen drohen könne. Er leitet sie in den Pfad des Herrn, und wenn Verfolgung kommt, so gibt Er Kraft, sie zu erdulden. Hier wurde Paulus fortdauernd gewarnt. Seine Freunde bitten ihn auch, nicht nach Jerusalem hinaufzugehen; aber er will sich nicht überreden lassen. Sie schweigen, obwohl nicht ganz zufrieden gestellt, und sagen: „Der Wille des Herrn geschehe.“ Und ich zweifle nicht, dass es sein Wille war, allein zur Erfüllung von Ratschlüssen, die Paulus nicht durch die vom Heiligen Geist gegebene Einsicht kannte. Nur fühlte er sich im Geist gedrungen, hinzugeben und war bereit, alles für den Herrn zu erdulden.

Er reist daher nach Jerusalem ab, und als er dort angekommen ist, geht er in das Haus des Jakobus, und alle die Ältesten kommen dahin (V. 17. 18). Paulus erzählt ihnen von dem Werk Gottes unter den Nationen. Jene wenden sich zu ihrem Judentum, mit dem die Menge erfüllt war, und indem sie sich des Guten freuen, das Gott durch den Geist gewirkt hatte, wünschen sie, dass Paulus selbst dem Gesetz gehorche. Die Gläubigen in Jerusalem müssen bei der Ankunft Pauli notwendig zusammenkommen und ihre Vorurteile hinsichtlich des Gesetzes befriedigt werden. Paulus hat sich selbst in die Gegenwart menschlicher Anforderungen gebracht: hätte er sich geweigert, ihnen nachzugeben, so hätte er damit erklärt, dass ihre Gedanken betreffs seiner wahr wären; handelte er ihrem Wunsch gemäß, so machte er eine Regel, nicht von der Leitung des Geistes in aller Freiheit der Liebe, sondern von dem unwissenden und vorurteilsvollen Zustande dieser jüdischen Gläubigen. Die Ursache der Schwierigkeit für Paulus kam daher, dass er nicht dem Geist gemäß als Apostel in Jerusalem war, sondern nach seiner Anhänglichkeit an die früheren Verbindungen mit dem Judentum. Man muss über Vorurteile anderer erhaben und von ihrem Einfluss frei sein, um in Liebe zu ihnen hinabsteigen zu können. Paulus, da er nun einmal in Jerusalem ist, kann kaum anders, als ihren Bitten nachgeben. Doch die Hand Gottes ist darin. Paulus aber wird durch diese Handlung in die Gewalt seiner Feinde getrieben. Indem er den gläubigen Juden zu gefallen sucht, befindet er sich im Rachen des Löwen, in den Händen der Juden, die dem Evangelium feind sind. Es kann hinzugefügt werden, dass wir nichts mehr von den Christen zu Jerusalem hören. Sie hatten ihr Werk getan. Ich zweifle nicht, dass sie die Liebesgaben der Nationen entgegennahmen.

Die ganze Stadt war in Aufregung und der Tempel geschlossen (V. 30). Da kommt der Oberste, um Paulus von den Juden, die ihn zu töten suchten, zu befreien, während er selbst ihn verhaftet; denn die Römer waren diese Tumulte gewöhnt und verachteten aus Herzensgrund dieses Volk, das zwar von Gott geliebt, aber in seinem eigenen Zustand ebenso stolz wie herabgewürdigt war. Jedoch gewinnt Paulus die Achtung des Hauptmanns durch die Art und Weise, womit er ihn anredet, und er erlaubt ihm, zum Volke zu reden.

Fußnoten

  • 1 Markus 16,20 ist die einzige Stelle, von der man vermuten könnte, dass sie auf die Erfüllung jener Mission hindeute, und doch fehlt etwas; denn diese Stelle und Kolosser 1,6 beziehen sich auf die ganze Welt und sind auf die Himmelfahrt Christi gegründet, sind aber keine Mission an die Nationen, die nur auf die Auferstehung Christi gegründet war.
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