Fundamente des christlichen Glaubens

Die Heilige Schrift - von Gott inspiriert

Fundamente des christlichen Glaubens

Die Autorität der Bibel

Die Frage, ob die Bibel Autorität über den Menschen, über sein Gewissen und Leben hat, hängt entscheidend davon ab, ob dieses Buch von Gott inspiriert, d. h. eingegeben worden ist. Ist die Bibel Gottes Wort? Es gibt keine wichtigere, keine grundlegendere Frage als diese. Die Glaubensmänner des Alten Testamentes mögen kostbare Erfahrungen mit Gott gemacht haben; der Herr Jesus mag wunderbare Mitteilungen überbracht und nie dagewesene Wunder vollbracht haben; die Apostel des Herrn mögen kostbarste Offenbarungen von Seiten Gottes empfangen haben – wenn all diese Dinge uns nicht auf eine göttliche, vollkommene Weise übermittelt worden sind, so haben sie keinerlei Autorität über uns: Wir hätten nichts, was den Titel „der Glaube“ rechtfertigen könnte. Wohl hätten wir eine Sammlung interessanter Gedanken, Erinnerungen und Überlieferungen, die von Geschlecht zu Geschlecht weitergereicht werden. Aber das Ganze könnte keine Autorität über mein Gewissen haben – geradesowenig wie Goethes „Faust“. Dies eine sei von Anfang an klar herausgestellt: Ist die Bibel nicht von Gott inspiriert, d. h. von Ihm Wort für Wort eingegeben, so haben wir nichts, was „die Wahrheit“ genannt werden könnte!

Nicht menschlicher Genius

Wenn wir von Inspiration reden, so meinen wir damit nicht das, was im landläufigen Sinn darunter verstanden wird. Man mag von dem menschlichen Genius eines Goethe oder Shakespeare reden, man mag davon sprechen, dass Georg Friedrich Händel in besonderer Weise „inspiriert“ worden war, als er in erstaunlich kurzer Zeit seinen „Messias“ schuf. Aber Jesaja war nicht inspiriert wie Shakespeare, Paulus nicht wie Luther. Welcher dieser hochbegabten Männer könnte wohl je seinen Werken Worte wie diese vorangestellt haben: „So spricht der Herr...“? Mit Inspiration meinen wir also jene völlige Kontrolle, die Gott über die Schreiber der einzelnen Bücher der Bibel ausübte, so dass das, was sie niederschrieben, nach Gedanken und Worten genau das wiedergibt, was Gott sagen wollte.

Was sagt die Bibel über sich selbst?

Wir beabsichtigen nicht im geringsten, Aussprüche berühmter Menschen über die Bibel anzuführen. Es mag interessant sein zu wissen, dass Bismarck seine Bibel liebte und sie täglich las, dass er sich Randnotizen machte und ihm besonders wichtige Worte unterstrich. Aber was hilft uns das? Das kann niemals die Grundlage unseres Glaubens sein! So wollen wir uns nun zum Worte Gottes selbst wenden und hören, was es über sich selbst bezeugt! Lenken wir unser Augenmerk dabei zuerst auf jenen Teil des Wortes Gottes, der „Altes Testament“ genannt wird.

Im Alten Testament sind es vor allem drei Dinge, die uns besonders auffallen und überraschen:

  1. In den Anfangskapiteln der Bibel werden uns Dinge berichtet, die völlig außerhalb der Beobachtungsmöglichkeit des Menschen liegen, Dinge, die eine Kenntnis voraussetzen, die auf keine andere Weise als durch Offenbarung von Seiten Gottes erlangt werden konnte, da Ereignisse beschrieben werden, die vor der Erschaffung des Menschen stattfanden. Zudem ist die Art der Sprache auffallend: Nicht jene unsichere Redeweise, die der menschlichen Spekulation eigen und angemessen ist, sondern jene ruhige und sichere Sprache absoluten Wissens – die Sprache der Wahrheit.
  2. Wenn wir zu den historischen Büchern des Alten Testamentes kommen, so finden wir Charakterzüge, die jeder menschlichen Berichterstattung und Geschichtsschreibung völlig unbekannt sind. Wohl werden Menschen beschrieben, große Männer des Glaubens zum Beispiel, aber es sind keine Heroen, die da beschrieben werden. Abraham war ein solcher Glaubensmann von hohem sittlichen Charakter, und er wird Freund Gottes genannt; David, der große König, war ein Mann nach dem Herzen Gottes. Und doch wird uns von diesen Männern ernstes Versagen, tiefe Sünde mitgeteilt. Es werden uns gottlose Menschen beschrieben, die das Maß ihrer Sünde vollmachten; und doch werden lobenswerte Charakterzüge selbst in den bösesten der Menschen hervorgehoben, wenn sie vorhanden waren. All diesen Lebensbeschreibungen ist eines gemeinsam: sie tragen einen erhabenen Charakter, frei von menschlichen Leidenschaften und Vorurteilen; sie spiegeln ein unparteiisches und gerechtes Urteil wider, das allein in Gott selbst gefunden wird. Ein weiterer auffallender Charakterzug der geschichtlichen Bücher ist, dass wichtige Ereignisse der Weltgeschichte entweder völlig unberührt bleiben oder nur kurzgestreift werden, während nebensächlich erscheinende Geschehnisse und Begebenheiten in beträchtlicher Breite dargestellt werden. Wir hören kaum etwas von den berühmten Pharaonen jener Tage, aber viele Kapitel werden einem einfachen Hirten, dem Patriarchen Jakob, gewidmet. So finden wir in den geschichtlichen Büchern z. B. nicht die geringste Erwähnung des großen Erdbebens, das sich in der Regierungszeit des Königs Ussija ereignete. Wir wüssten davon nichts, würde es nicht der Prophet Amos zu Beginn seines Buches (Kap. 1,1) beiläufig erwähnen (vgl. auch Sach 14,5). So können wir zusammenfassend sagen, dass die historischen Bücher nur insofern Geschichte mitteilen, wie sie zur Erleuchtung der Wege Gottes mit den Menschen notwendig ist.
  3. Wenn wir uns den prophetischen Büchern zuwenden, so fällt uns die Direktheit ihrer Rede, ihrer Appelle auf. Da gibt es kein Zögern, kein Entschuldigen, sondern das höchst direkte und nachdrückliche „So spricht der Herr“, das in ihnen über 400mal vorkommt. Das Wort Gottes kam durch ihre Lippen, durch ihre Feder, und es wandte sich mit Macht und Autorität an die Gewissen der Menschen jener Tage. Wir wollen hier nur auf eine Stelle, stellvertretend für viele im Alten Testament, hinweisen, die sich in den letzten Worten Davids findet: „Der Geist des HERRN hat durch mich geredet, und sein Wort war auf meiner Zunge“ (2. Sam 23,2).

Das Zeugnis des Neuen Testamentes über das Alte

Wenn wir das Neue Testament aufschlagen, um darin zu forschen, was es über das Alte Testament bezeugt, so finden wir in ihm eine reiche Bestätigung der Inspiration und Autorität des Alten Testamentes.

  1. Außerordentlich wichtige Zeugnisse von der Autorität des Alten Testamentes kommen von den Lippen des Herrn selbst. Als der Herr Jesus von dem Teufel in der Wüste versucht wird, antwortet Er ihm dreimal mit den Worten: „Es steht geschrieben“ (Mt 4,4.7 u. 10); und jedes Mal zitiert er aus dem 5. Buch Mose. Auch war Er nicht gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern Er war gekommen zu erfüllen (Mt 5,17). Zu den Emmaus-Jüngern sprach Er die Worte: „Musste nicht der Christus dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und von Moses und von allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn betraf“ (Lk 24,26. 27). Und im 44. Vers desselben Kapitels bestätigt der Herr, dass in dem Gesetz Moses' und den Propheten und Psalmen von Ihm geschrieben stand. In Johannes 5,46 und 47 stellt Er als der abhängige Mensch in gewissem Sinn die Autorität der Schriften über die Seiner eigenen Worte und sagt: „Denn wenn ihr Moses glaubtet, so würdet ihr mir glauben, denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“
  2. Wiederholt bestätigen auch die Schreiber der Evangelien, die Evangelisten, die Autorität des geschriebenen Wortes des Alten Testamentes, Indem sie auf die Erfüllung seiner Aussagen hinweisen und immer wieder Ausdrücke wie „damit die Schrift erfüllt würde“, „damit erfüllt würde, was von dem Herrn geredet ist durch den Propheten“ usw. benutzen (Joh 19,36; Mt 2,15).
  3. Auch in den Briefen des Neuen Testamentes wird klar die Inspiration der Schriften des Alten Testamentes hervorgehoben und bestätigt. Von Timotheus sagt Paulus, dass er von Kind auf die Heiligen Schriften kenne, und fährt dann fort zu sagen: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit“ (2. Tim 3,16). Auch Petruszeigt in seinem ersten Brief, dass der Geist Christi in den Propheten des Alten Bundes geredet hatte (Kap. 1, 10–12), und in seinem zweiten Brief besteht er darauf, dass heilige Männer Gottes geredet hätten, getrieben vom Heiligen Geist (Kap. 1,21).
  4. Auch in der Apostelgeschichte, dem letzten geschichtlichen Buch des Neuen Testamentes, finden wir wiederholt Zitate des Alten Testamentes. Schon im ersten Kapitel führt Petrus in Bezug auf Judas Iskariot zwei Schriftstellen aus den Psalmen an und sagt: „Brüder, es musste die Schrift erfüllt werden, die der Heilige Geist durch den Mund Davids vorhergesagt hat über Judas.“ In der ersten christlichen Rede nach der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten zitiert Petrus den Propheten Joel und drei verschiedene Psalmen, um die Erfüllung der Weissagungen bezüglich der Ausgießung des Heiligen Geistes und des Todes, der Auferstehung und der Auffahrt Christi darzulegen. Im 3. Kapitel redet er von den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, „von welchen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“ (V. 21). In Kapitel 4,24 und 25 wird gesagt, dass „Gott“ es gewesen sei, der den 2. Psalm durch den Mund Seines Knechtes David geredet habe. Abschließend für das Zeugnis des Petrus in der Apostelgeschichte möchten wir auf seine Rede in Cäsarea hinweisen, wo er von dem Herrn Jesus als dem von Gott verordneten Richter der Lebendigen und der Toten spricht: „Diesem geben alle Propheten Zeugnis, dass jeder, der an ihn glaubt, Vergebung der Sünden empfängt durch seinen Namen“ (Apg 10,43).

Lasst uns nun noch eben, ehe wir weitergehen, einen Blick auf das Zeugnis des Paulus in der Apostelgeschichte werfen! In seiner ersten, so bemerkenswerten Rede zu Antiochien (Kap. 13) lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Wege Gottes mit dem Volk Israel von den Tagen Ägyptens bis zu dem damaligen Tag und anerkennt somit die Autorität der Bücher Moses, Josuas, der Richter, Samuels bis zu David, dessen Sohn dem Fleisch nach der Herr Jesus ist. In Vers 29 hören wir dann: „Und nachdem sie alles vollendet hatten, was über ihn geschrieben ist, nahmen sie ihn vom Holz herab und legten ihn in eine Gruft.“ Dann führt er Psalm 2 an, der zeigt, dass Gott Seinen eingeborenen Sohn in die Welt senden würde. Anschließend zitiert er Psalm 16, um zu zeigen, dass Christus im Tod keine Verwesung sah. Der ganze Dienst des Apostels Paulus stützte sich auf die göttliche Autorität der alttestamentlichen Schriften. Es ist wohl zu bemerken, dass in jenen Tagen der frühen Christenheit Predigen nicht das Hervorbringen menschlicher Ideen und Beredsamkeit bedeutete, sondern die Verkündigung des „Wortes Gottes“. So lesen wir in Vers 44: „Am nächsten Sabbath aber versammelte sich fast die ganze Stadt, um das Wort Gottes zu hören.“ Es war das „Wort des Herrn“, das durch die ganze Gegend ausgebreitet wurde (V. 49). In Thessalonich unterredete sich Paulus mit den Juden „aus den Schriften“. Was für Schriften? Nun, die des Alten Testamentes; aus ihnen eröffnete er Ihnen und legte dar, „dass der Christus leiden und aus den Toten auferstehen musste und dass dieser, der Jesus, den ich euch verkündige, der Christus ist“ (Kap. 17, 3). Das Ergebnis war, dass viele glaubten. Wenn wir uns nun zu dem ersten Brief an die Thessalonicher wenden, so finden wir, dass er Gott dafür unablässig dankt, „dass, als ihr von uns das Wort der Kunde Gottes empfingt, ihres nicht als Menschenwort aufnähmt, sondern, wie es wahrhaftig ist, als Gottes Wort“ (Kap. 2, 13). Kann irgendein Zeugnis mehr die göttliche Inspiration der alttestamentlichen Schriften beweisen? Denn der Apostel begann seinen Dienst unter den Thessalonichern mit jenen Schriften, und jetzt kann er sie dafür loben, dass sie das Wort als „Gottes Wort“ aufgenommen hatten.

Dann trug Paulus das Evangelium nach Beröa; es wird uns mitgeteilt, dass die Beröer edler waren als die in Thessalonich; und warum? Weil sie die Schriften (natürlich die des Alten Testamentes) für das einzige von Gott gegebene Mittel hielten, um alles, was sie hörten, zu prüfen. „Sie nahmen mit aller Bereitwilligkeit das Wort auf, indem sie täglich die Schriften untersuchten, ob dies sich also verhielte“ (Kap. 17, 11). Deswegen werden sie als „edler“ eingestuft, weil sie den Dienst selbst eines Apostels durch die Schriften prüften. Ach, dass doch auch die Leute in unseren Tagen das mehr täten! Wie schnell würden menschliche Meinungen von den Kanzeln und aus den Hörsälen verschwinden, um in Wahrheit dem Wort Gottes Platz zu machen!

Ist auch das Neue Testament Gottes Wort?

Wir haben gesehen, dass in allen Teilen des Neuen Testamentes das Alte voll als von Gott inspiriert anerkannt wird. Aber erhebt es auch für sich selbst in gleicher Weise den Anspruch göttlicher Inspiration? Die Antwort ist einfach: Ja!

In 1. Korinther 2,13 erhebt der Apostel Paulus in Bezug auf seine Äußerungen und die der anderen Apostel beim Übermitteln der Offenbarungen Gottes den Anspruch auf wörtliche Inspiration durch den Geist Gottes. In 1. Korinther 14,37 weist er auf seine Schriften hin, und jeder sich geistlich Dünkende sollte erkennen, „was ich euch schreibe, dass es ein Gebot des Herrn ist“.

In 2. Petrus 3,15 u. 16 treffen wir auf einen sehr bedeutungsvollen Vorgang: Ein neutestamentlicher Schreiber (Petrus) weist auf die Schriften eines anderen neutestamentlichen Schreibers (Paulus) hin und erhebt sie auf die gleiche Höhe und Würde wie auch die übrigen Schriften. Wir haben noch einmal etwas Ähnliches, wenn der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an Timotheus eine Wort aus dem Evangelium seines Mitgefährten Lukas zitiert (siehe 1. Tim 5,18). Auch hier steht das Zitat aus dem Neuen Testament mit einem Zitat aus dem Alten auf gleicher Höhe und unter der gleichen Überschrift „denn die Schrift sagt“. Zu Beginn seines Evangeliums weist Lukas auf den Umstand hin, dass er allem von Anfang an genau gefolgt sei, um es „der Reihe nach zu schreiben“, so dass Theophilus, an den er schrieb, „die Zuverlässigkeit der Dinge“ erkennen könnte, in denen er zuvor unterrichtet worden war. Beachten wir den Ausdruck „der Reihe nach“ (er bedeutet „mit Methode“): Lukas schrieb mit Methode! Wenn Gott Sein Buch schreiben lässt, so hat Er dabei eine Methode. Das ist nicht verwunderlich, wenn doch schon Menschen beim Abfassen ihrer Werke eine bestimmte Methode zugrunde legen. Sollte Gott das nicht tun? Wohl liegt sie nicht offen zutage, denn Gott ist nicht gewillt, dem ungläubigen Kritiker Seines Wortes dessen Schönheiten zu zeigen. Der Glaube aber erfreut sich daran, dass jedes Buch des Wortes Gottes mit Methode geschrieben ist. Und was war die Ordnung oder die Methode, nach der Lukas sein Evangelium schrieb? Nun, er schreibt eben nicht nach einer zeitlichen chronologischen Ordnung oder Reihenfolge; er stellt die Dinge nach einer sittlichen Ordnung zusammen: Das ist seine Methode! Und ebenso wie Lukas von der Zuverlässigkeit der Dinge redet, so spricht auch Johannes in seinem ersten Brief davon, dass er an die Gläubigen schrieb, damit sie „wissen“ mögen, dass sie ewiges Leben haben (Kap. 5,13). Diese beiden Feststellungen beanspruchen für die in Frage kommenden Schriften eine Sicherheit und Autorität, die sich nur auf ihre Inspiration abstützen kann. Und welch ernste, ewige Strafe wird am Ende des Buches der Offenbarung denen angedroht, die nicht allein von den „Gedanken“, sondern von den „Worten“ jenes Buches, die ursprünglich gegeben worden waren, wegnehmen würden (Off 22,18 u. 19)! Hier haben wir erneut einen Hinweis auf die verbale, d. h. wörtliche Inspiration.

Alle Schrift von Gott eingehaucht

Die genannten Schriftstellen sind ausreichend, um zu zeigen, dass die Schreiber des Neuen Testamentes für das, was sie schrieben, ebenso die Inspiration beanspruchten, wie sie sie von den Schriften des Alten Testamentes voraussetzten. Timotheus kannte von Kind auf die Heiligen Schriften (des Alten Testaments); ihnen, wie auch den Schriften des Neuen Testamentes, ist eines gemeinsam: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit“ (2. Tim 3,16). Ob es sich um neutestamentliche oder alttestamentliche Schrift handelt, alle Schrift ist von „Gott eingegeben“. Das ist in der Tat ein bemerkenswerter Ausdruck, der im griechischen Grundtext nur ein Wort bildet und „von Gott eingehaucht“ bedeutet. Geradeso wie Gott in die Nase des ersten Menschen, den Er aus dem Erdboden gebildet hatte, den Odem des Lebens hauchte und er dadurch in seiner Ganzheit zu einer lebendigen Seele wurde, so wurde auch das, was andernfalls nur eine Ansammlung literarisch mehr oder weniger wertvoller Fragmente geblieben wäre, durch die Tatsache, dass Gott jeden Teil einhauchte, zu einem organischen Ganzen, das lebendig und mächtig ist, da es das inspirierte Wort Gottes ist.

Der Prozess der Mitteilung

Wir wollen uns jetzt der Art und Weise zuwenden, auf welche Gott Seine Gedanken Seinem Volk mitgeteilt hat. Dieser Vorgang – wenn wir so sagen dürfen – umfasst nach 1. Korinther 2 drei getrennte Stufen, die wir sorgfältig voneinander unterscheiden sollten, um vor Missdeutungen bewahrt zu bleiben. Der erste Schritt ist der der OFFENBARUNG. Gott hatte in Seinem Herzen für die, die Ihn lieben, kostbare Dinge bereitet, Dinge, die so wunderbar sind, dass sie kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hatte und sie in keines Menschen Herz gekommen waren. Wenn Gott diese Dinge den Seinen mitteilen wollte, so musste er sie irgendwie irgendjemandem kundtun, offenbaren. Und das hat Er getan! Sein Name sei ewig gepriesen dafür! Vers 10 zeigt uns, dass der Geist, der die Tiefen Gottes erforscht, allein kompetent ist, die Gedanken Gottes den Menschen zu offenbaren. Vers 11 geht sogar noch weiter und erklärt, dass der Geist Gottes die einzig mögliche Ursache oder Quelle solcher Offenbarungen sein kann. Aber diese vom Geist Gottes gegebenen Offenbarungen erreichten nicht etwa die ganze Welt, selbst auch nicht alle Heiligen, sondern nur die Apostel und Propheten des Neuen Testaments (vgl. Eph 3,5), auf die allein das zu Anfang des zehnten Verses stehende Wort „uns“ hinweist. Mit „uns“ in Vers 10 steht „wir“ in Vers 13 in Übereinstimmung: Es sind dieselben Personen, die Apostel. Und hier kommen wir zu dem zweiten Schritt, dem der Inspiration. Es genügte nicht, dass Gott kostbare Gedanken in Seinem Herzen hatte, wenn Er sie nicht offenbarte. Aber selbst die Offenbarung Seiner Gedanken genügte nicht; denn wenn wir in ihren Besitz und Genuss kommen sollten, so musste Er dafür sorgen, dass sie uns auf eine völlig sichere und zuverlässige Weise übermittelt wurden. Und auch diesen zweiten Schritt hat Gott unternommen. Auch dafür sei Ihm ewig Dank dargebracht! Gott trug dafür Sorge, dass die Apostel und Propheten diese Offenbarungen anderen unter der völligen Kontrolle des Heiligen Geistes auf eine direkte und göttliche Weise mitteilten und überlieferten. Sie waren dabei, wie uns Vers 13 lehrt, nicht ihrer eigenen Weisheit überlassen, wie sie es für das beste hielten, die Wahrheit weiterzugeben. Nein, sie verkündigten die Dinge „nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist, mitteilend geistliche Dinge durch geistliche Mittel“. Dieser Vers zeigt uns, dass die Verkündigung der Wahrheit durch die Apostel – sei es, dass sie zuerst in mündlicher, später in schriftlicher Form erfolgte – in Worten geschah, die ihnen der Heilige Geist auszudrücken gab. Selbst die Worte also sind genau die, in denen Gott uns die Wahrheit geben wollte.

Offenbarung hat es also mit der Übermittlung der Wahrheit von Gott zu den Aposteln und Propheten zu tun, so dass sie sie mit ihren Gedanken zu erfassen vermochten. Inspiration hat es mit der Übermittlung derselben Wahrheit von den Aposteln und Propheten zu allen Heiligen zu tun, und hierzu waren nicht nur Gedanken, sondern Worte notwendig. Es bleibt noch der dritte Schritt in der Übermittlung der Wahrheit Gottes übrig, der in Vers 15 beschrieben wird und den wir mit dem Wort ANEIGNUNG umschreiben möchten, die Aneignung nämlich der Gedanken Gottes seitens des einzelnen Gläubigen. Wenn die Wahrheit von Gott auserwählten Männern offenbart und durch sie in inspirierten Worten weitergegeben wurde, so muss sie nun aufgenommen und verstanden werden, wenn sie zum Segen und zur Freude des Menschen werden soll. Der natürliche Mensch jedoch, das ist der Mensch in seinem natürlichen oder unbekehrten Zustand, kann unmöglich – so zeigt es uns der vierzehnte Vers – diese Dinge aufnehmen. Die dazu notwendige Fähigkeit fehlt ihm völlig. Geistliche Dinge werden geistlich beurteilt. Die Gläubigen aber „haben Christi Sinn“ (V. 16), sie haben den Geist, der aus Gott ist, empfangen, „damit wir die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind“.

Aus dem Gesagten dürfen wir jedoch nicht ableiten, dass es für den Ungläubigen gar keinen Zweck habe, die Bibel aufzuschlagen und darin zu lesen. Der Heilige Geist wird immer das Wort Gottes benutzen, um dem Menschen von Natur seinen sündigen Zustand, sein ewiges Verlorensein auf der einen Seite und die Heiligkeit Gottes auf der anderen zu zeigen. Aber die Erkenntnis der in dem Wort Gottes niedergelegten Schätze und Reichtümer der Gnade Gottes hat Er den Seinen Vorbehalten. Es ist eine sittliche Unmöglichkeit, dass Gott dem ungläubigen Kritiker Seines Wortes dessen Schätze enthüllen könnte. Nicht durch Studium, nicht durch intellektuelle Kräfte, nicht durch Forschungen und Experimente kann man die Fähigkeit zum Verstehen des Wortes Gottes erlangen. Nur solche, die selbst „geistlich“ sind, können geistliche Dinge beurteilen. „Geistlich“ ist der wiedergeborene Mensch, der nicht nur den Heiligen Geist in sich wohnen hat, sondern auch durch Ihn regiert und charakterisiert wird; insofern haben wir Christi Sinn. Indem wir durch den Geist regiert werden, werden unsere Augen des Herzens geöffnet, um die Dinge Gottes zu verstehen. Es klagte einst jemand: „Ich kann nicht sehen: Ich brauche mehr Licht!“ Es wurde ihm geantwortet: „Du brauchst nicht mehr Licht, du brauchst Fenster!“ Das ist zweifellos wahr. Wenn wir dem Geist Gottes mehr erlaubten, die Fenster unserer Seelen zu reinigen, würden wir bald klarer sehen.

Inspiration mit oder ohne Verständnis des Schreibers

Die Tatsache der göttlichen Inspiration ist nicht im geringsten darauf gegründet, dass die benutzten Schreiber verstanden, was sie schreiben mussten. Kaum etwas anderes hebt so das Wunderbare der göttlichen Inspiration hervor wie der Umstand, dass die Propheten des Alten Bundes – wie uns 1. Petrus 1,9–11 zeigt – das, was sie unter der völligen Kontrolle des Geistes geschrieben hatten, selbst durchforschen mussten, um die Bedeutung zu verstehen. Und indem sie nachsuchten und nachforschten, wurde ihnen offenbart, dass sie nicht für sich selbst, sondern für uns die Dinge bedienten. Diese Art Inspiration, die die meisten, wenn nicht alle Schreiber des Alten Testamentes charakterisiert, könnten wir „unintelligente (unverstandene) Inspiration“ nennen. Selten, wenn überhaupt je, verstanden die Propheten die volle Tragweite alles dessen, was Gott in ihren Mund legte. Nichtsdestoweniger war es volle Inspiration, aber nicht volle Offenbarung.

Im Gegensatz hierzu können wir die in 1. Korinther 2 erwähnte Inspiration als die „intelligente Inspiration“ bezeichnen, die fast das ganze Neue Testament charakterisiert. Wenn wir dennoch nur „fast“ gesagt haben, so denken wir beispielsweise an einige Teile der Offenbarung, von denen wir kaum annehmen können, dass Johannes, der Seher, sie in ihrer ganzen Tragweite erfasst haben wird. Das Erfassen der Bedeutung der berühmten Zahl 666 (Kap. 13,18) ist ein hervorragendes Beispiel für das, was wir meinen. Doch das alles ändert nichts an der Tatsache und an dem Wesen der Inspiration.

Göttliches und Menschliches

Göttliche Inspiration setzt in keiner Weise die menschliche Autorschaft beiseite. Die Umgebung, die Berufung, die Erfahrung und die Fähigkeiten der verschiedenen Schreiber – alles trug zu der Form und dem Wesen dessen, was sie schrieben, bei. So kommt sowohl ihr Charakter als auch ihr Stil in ihren Erzählungen und Berichten durchaus zum Vorschein. Der Geist Gottes benutzte jene Qualitäten, und Er wirkte so in den Schreibern, dass die Worte, die sie benutzten, wirklich ihre eigenen und doch zur gleichen Zeit von Gott eingehaucht waren. Und gerade das letzte ist es, was ihren Worten göttliche Autorität und Genauigkeit verleiht. Unabhängig davon, was der Charakter des Gegenstandes sein mochte, ob er ihnen durch göttliche Offenbarung gegeben, oder ob die Autoren aus ihrer eigenen Kenntnis der Tatsachen berichteten oder ihnen schriftliches Material zur Verfügung stand – alles geschah nach dem Zeugnis des Apostels unter der Kontrolle des Heiligen Geistes. Die Sprache war tatsächlich ihre eigene, doch war sie gerade so, wie Gott sie benutzen wollte und was Seinem Vorsatz angemessen war. Jeder Schreiber behielt seinen natürlichen Stil in etwa bei. Aber auch darin wird die göttliche Kontrolle über sie so augenscheinlich, dass ihre eigenen ohne Frage starken Gefühle gerade dann unausgedrückt bleiben, wenn wir natürlicherweise ihren stärksten Ausdruck erwartet hätten. Wir finden keinen Gefühlsausbruch, kein Bekunden von Mitgefühl, wenn sie den Kampf des Herrn in Gethsemane oder die Schrecken des Kreuzes berichten. Wir finden keinen Ausbruch der Begeisterung bei dem Bericht der Auferstehung Christi. Jeder gewöhnliche Schreiber würde eigene Worte hinzugefügt haben, um seine persönlichen Gedanken und die Bewegungen seines Gemüts auszudrücken; aber all dieses fehlt bei ihnen durch die Kontrolle des Heiligen Geistes.

Dass das göttliche und das menschliche Element in der Heiligen Schrift auf so wunderbare Weise miteinander verbunden sind, dass die Schreiber weder bloße Werkzeuge noch allein verantwortlich waren für das, was sie schrieben, wird von den Feststellungen in der Bibel und von dem Charakter ihres Inhalts klar. Während einerseits unbedingt darauf bestanden wird, dass die Offenbarung des Geheimnisses durch prophetische Schriften nach Befehl des ewigen Gottes gegeben ist (Röm 16,25.26), finden wir auf der anderen Seite manchmal, dass der menschliche Schreiber allein genannt wird: „Gleichwie auch David die Glückseligkeit des Menschen ausspricht“ (Röm 4,6); „denn Moses beschreibt die Gerechtigkeit...“ (Röm 10,5); „... zu welchem Stamme Moses nichts in Bezug auf Priester geredet hat“ (Heb 7,14) usw. Auch Johannes lässt uns am Ende seines Evangeliums, wenn auch indirekt, nicht im unklaren darüber, wer diese Dinge geschrieben hat: „Dieser ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt, und der dieses geschrieben hat“ (Joh 21,24). So können wir, diesen Punkt abschließend, bezüglich der Heiligen Schrift sagen: Sie ist autoritativ, denn es ist die Stimme Gottes; sie ist verständlich, denn es ist die Sprache der Menschen.

Verbal-Inspiration

Doch warum, so mag jemand fragen, wird so unbedingt auf der wörtlichen Inspiration der Bibel bestanden? Reicht nicht auch eine Inspiration der Gedanken? Darauf antworten wir zuerst, dass die Heilige Schrift ausdrücklich ihre Inspiration an ihre Worte bindet (1. Kor 2,13; Off 1,3; 22,18.19). Sodann möchten wir feststellen, dass eine Inspiration, die sich nur auf die Gedanken erstreckt, nutzlos wäre, was die Autorität der Schriften angeht. Uns zu versichern, dass Paulus und Petrus und Johannes wunderbare, von Gott gegebene Ideen hatten, dass sie aber in Bezug auf ihre Ausdruckform jede göttliche Kontrolle und Überwachung entbehren mussten, bedeutet mit der linken Hand wegzunehmen, was mit der rechten angeboten wird. Paulus mochte ja wunderbare Gedanken von Gott haben, ja, er mochte sie uns sogar mitgeteilt haben, aber wenn nicht die Worte der Mitteilung ebenfalls von Gott wären, welch ein Verlass wäre auf sie? Nein, ohne inspirierte Worte haben wir überhaupt nichts Inspiriertes. Wenn wir nicht die Schriften wörtlich inspiriert haben, haben wir überhaupt keine inspirierten Schriften, und die Bibel würde, obgleich interessant und erhebend, niemals Autorität haben können. Gerade diese Autorität greifen moderne Irrlehrer an. Für uns ist es genug, dass die Bibel die wörtliche Inspiration für sich selbst beansprucht. Wir glauben das.

Theorien über die Inspiration?

Wir werden manchmal gefragt, welche Theorien wir bezüglich der Inspiration der Heiligen Schrift aufrecht hielten. Darauf möchten wir schlicht und kurz antworten: Keine! Die Inspiration der Heiligen Schrift ist ebenso wunderbar, wie andere göttliche Dinge es auch sind. Wir dürfen und sollen an sie glauben, wie wir auch an andere Wunder Gottes glauben. Wir hängen auch keiner Theorie an bezüglich anderer großer Geheimnisse des Glaubens, wie z. B. der Wahrheit von der Dreieinheit Gottes, oder von der Fleischwerdung Christi, oder der Wiedergeburt, oder der Entrückung der Gläubigen. All diese großen Wahrheiten sind in der Schrift klar offenbart, und wir geben glücklich und frei und sogleich zu, dass sie gänzlich übernatürlich sind und außerhalb unseres Verständnisses liegen. Ja, wir erwarten gar nicht, dass wir sie verstehen können; wir nehmen sie vielmehr im Glauben auf. Wir sind auch nicht im geringsten dadurch beunruhigt, dass wir diese Geheimnisse völlig außerhalb unseres Begriffsvermögens wissen, sondern wir werden vielmehr dadurch bestärkt. Das ist es gerade, was wir von einer Offenbarung erwarten, welche göttlich ist. Könnten wir irgendetwas mit dem menschlichen Geist ergründen, so verriete es nur, dass es menschlichen Ursprungs ist. Aber die Inspiration ist es nicht: Sie ist übernatürlich, sie ist von Gott.

Übersetzungen

Eine ernste Schwierigkeit für manche ist die Tatsache, dass immer wieder neue, revidierte, verbesserte Bibelübersetzungen herausgebracht werden. Wie kann das mit dem Anspruch auf wörtliche Inspiration in Einklang gebracht werden? Nun, auch hier ist die Antwort einfach: Die Inspiration bezieht sich auf die Schriften in ihren originalen Sprachen. Gott hat für das Alte Testament die hebräische, für das Neue Testament die griechische Sprache gewählt. Die Originaltexte in den Originalsprachen sind wörtlich von Gott inspiriert, Übersetzungen sind es nicht. Eine gute Übersetzung gibt uns Gottes Wort und Wahrheit möglichst getreu wieder. So lautete z. B. Römer 8,1 in der lutherischen Übersetzung lange Zeit: „Es ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christus Jesus sind.“ Aber das war keine exakte Wiedergabe des griechischen Textes. Es ist auch nicht die Wahrheit: in den Gläubigen ist durchaus noch etwas Verdammliches, nämlich das Fleisch, die sündige Natur. So war eine Revision des Luther-Textes durchaus nötig, um die Wahrheit des griechischen Textes wiederzugeben: „Also ist nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“

Dennoch ist auch eine Übersetzung Gottes Wort. Der Herr Jesus selbst und auch die Apostel und Schreiber Neuen Testamentes benutzten und zitierten oft eine Übersetzung des Alten Testamentes, die sog. Septuaginta, eine Übersetzung des hebräischen Alten Testamentes ins Griechische. Es ist eine nicht in allen Teilen sehr genaue Übersetzung, dennoch sagt der Herr Jesus, wenn Er sie benutzt: „Es steht geschrieben.“ Eine gute Übersetzung gibt uns also dem Wesen nach das inspirierte Wort Gottes in einer vertrauenswürdigen Form wieder. Inspiriert aber ist der hebräische oder griechische Originaltext. Diesen möglichst getreu wiederherzustellen (da wir keinen einzigen originalen Text mehr besitzen), hat sich die ehrliche Textkritik1 zur Aufgabe gemacht. Und wir können sagen, dass wir durch die Güte Gottes und trotz unserer Untreue einen so getreuen und genauen Grundtext haben, wie er früheren Generationen nicht zugänglich war. Gott wacht über Sein Wort, und es wird ewig feststehen in den Himmeln.

Freie Zitate

Wiederholt finden wir im Neuen Testament freie Anführungen aus dem Alten Testament. Diese Tatsache wird von Kritikern als Beweis gegen die Inspiration der Heiligen Schrift benutzt. Nun, so möchten wir fragen, hat der Heilige Geist, der die Schreiber des Alten Testamentes wie des Neuen gleichermaßen inspirierte, nicht das Recht und die Vollmacht, gewissen Stellen in einem anderen Zusammenhang neue Klarheit oder weitere Bedeutungen zu geben? Das Zitat aus Jesaja 8,12 in 1. Petrus 3,14–15 ist ein Beispiel hierfür. Weder der hebräische noch der griechische Text des Alten Testamentes erwähnt hier den Namen „Christus“ oder „Messias“; aber es hat dem Heiligen Geist gut geschienen, diese Stelle im Neuen Testament eindeutig auf den Herrn Jesus, den Christus, zu beziehen.

Auch die Anführung aus Micha 5,1 in Matthäus 2,6 ist äußerst lehrreich und kostbar. Während wir in Micha lesen: „Aus dir wird mir hervorkommen, der Herrscher über Israel sein soll“, lautet das Zitat in Matthäus 2 wie folgt: „Denn aus dir wird ein Führer hervorkommen, der mein Volk Israel weiden wird.“ Micha, prophetisch von dem Herrn Jesus redend, sagt nichts davon, dass er das Volk Israel weiden würde. Dies aber gerade ist der Gedanke des Heiligen Geistes im Matthäus-Evangelium, wo uns nicht nur der Herr als König, sondern auch Sein Mitleid über die Herde gezeigt wird, die ohne Hirten war (Kap. 9,36). Wie kostbar ist es für unsere Seelen, den Herrn Jesus in diesem Charakter zu sehen! Wie Joseph im Vorbild zuerst die Herde seines Vaters weidete, ehe er über die Söhne Israels herrschte, so wollte auch der Herr Jesus Sein Volk Israel weiden, ehe Er in Seiner Eigenschaft als Führer darüber regieren wird. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass der Heilige Geist in Matthäus 2,6 zusätzlich auf 2. Samuel 5,2 anspielt: „Und der HERR hat zu dir gesagt: Du sollst mein Volk Israel weiden, und du sollst Fürst sein über Israel.“ Wenn auch die Verwerfung Christi den äußeren Anlass gab, dies war die sittliche Reihenfolge in der Offenbarung des Herrn: erst weiden und leiden, dann herrschen.

Unterschied zwischen Offenbarung und Inspiration

Viele Schwierigkeiten ergeben sich für den Unglauben daraus, dass man den Unterschied zwischen Offenbarung und Inspiration nicht beachtet. So kann man die Frage hören: „Wie ist mit der Inspiration die Tatsache vereinbar, dass die Reden böser Menschen in der Bibel einen Platz haben? Sind sie inspiriert? Sind sie die Wahrheit? Sind sie der Ausdruck der Gedanken Gottes?“ Natürlich nicht! Wer so fragt, übersieht den bereits erläuterten Unterschied zwischen Offenbarung und Inspiration. Nicht alle Schrift ist direkte Offenbarung von Gott. Manches im Wort Gottes ist Geschichte, in der die Reden auch böser Menschen, ja, Satans selbst, mitgeteilt werden. Aber nicht alles darin, was Menschen – Ungläubige und Gläubige – tun oder sagen, deckt sich mit Gottes Gedanken, Absichten und Tun, ist in diesem Sinn „Wahrheit“. Doch das alles wird uns von Seiten Gottes durch Inspiration gegeben. Wir haben göttlich genaue Berichte von dem, was getan oder gesagt wurde.

Auch das Buch des Predigers ist ein Beispiel dafür, was der Mensch „unter der Sonne“ sieht und zu welchem Ergebnis er kommt: „Alles ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind!“ Greifen wir als Beispiel den 24. Vers aus dem 2. Kapitel heraus: „Es gibt nichts Besseres unter den Menschen, als dass man esse und trinke und seine Seele Gutes sehen lasse bei seiner Mühe.“ Ist dies, so fragen wir, eine Offenbarung von Gott? Ist es die Stimme Gottes, die uns sagt, dass Essen und Trinken nach allem schließlich das höchste Gut sei? Tausendmal nein! Was ist es denn? Es ist der göttlich inspirierte Bericht über die absolute Eitelkeit und Hohlheit der irdischen Dinge, die der Mensch unter der Sonne findet. Wie gut ist Gott, dass Er uns in Seinem inspirierten Wort zu unserer Warnung und Korrektur solch einen Blick gestattet!

Ein weiteres Beispiel finden wir in 1. Korinther 7,12, wo Paulus sagt: „Den übrigen sage ich, nicht der Herr.“ Auch diese Stelle unterstreicht den Unterschied zwischen Offenbarung und Inspiration. Zweifler meinen, dass hier Paulus die Inspiration leugne. Aber im Gegenteil bestätigt diese Stelle gerade die Inspiration. Paulus will uns als ein treuer Knecht Gottes sein Urteil in einer bestimmten Sache geben, und da wird er vom Geist Gottes inspiriert, uns zu sagen, dass dies seine Meinung und kein Gebot vom Herrn sei, wie das Wort vorher in Vers 10, nach Matthäus 5,32.

Widersprüche

Oft schon ist der Tatsache der Inspiration der Bibel die Behauptung entgegengehalten worden, sie enthalte viele Ungenauigkeiten und sogar Widersprüche. Würden wir all diese Anschuldigungen, die Menschen gegen die Heilige Schrift vorgebracht haben, zusammenfassen und in gewisse Gruppen klassifizieren, so würde die weitaus größte Zahl der Anschuldigungen in jener Gruppe zu finden sein, die durch reine Unwissenheit, oft sogar mit einer gewissen Unehrlichkeit verbunden, charakterisiert ist. Die beliebteste Frage der ungläubigen Kritiker, woher denn Kain seine Frau gehabt habe, ist nur ein Beispiel dieser großen Gruppe. Als wenn Kain keine Schwestern gehabt hätte (1. Mo 5,4)! Nein, solche Schwierigkeiten existieren nicht in der Heiligen Schrift, sie sind nur in den Gedanken der Leute, die solche Fragen aufwerfen.

Echte Schwierigkeiten

Doch gibt es, abgesehen von der großen Masse der eingebildeten Schwierigkeiten, auch echte Fragen, die sich aber unter Studium und Gebet oft gerade als Quelle reichen Segens für die Seele erweisen, indem sie zur Entdeckung verborgener Schönheiten in der Heiligen Schrift führen.

In diese Gruppe gehören z. B. jene Fragen, die sich aus der verschiedenartigen Berichterstattung der vier Evangelisten ergeben. Aber wenn man bedenkt, dass jeder der Evangelisten eine andere Aufgabe hatte und den Herrn Jesus von einer anderen Seite beschreiben musste, so werden gerade die Unterschiede in den vier Evangelien eine Fundgrube für den Glauben und eine Bestätigung der Inspiration.

Eine echte Schwierigkeit scheint in 1. Könige 6 vorzuliegen, wo uns gesagt wird, dass Salomo im 480. Jahre nach dem Auszug der Kinder Israel den Tempel zu bauen begann, während in Wirklichkeit 573 Jahre vergingen. Doch wie bedeutsam ist die Entdeckung, dass die 93 Jahre, die Israel in der Zeit der Richter unter fremder Herrschaft war, ausgelassen sind! Und hat Matthäus, als er das Geschlechtsregister des Herrn gibt, nicht gewusst, dass von David bis zur Wegführung nach Babylon in Wirklichkeit mehr als vierzehn Geschlechter waren (Kapitel 1, 17)? Natürlich hat er das gewusst! Aber er musste unter der Inspiration des Geistes Gottes drei Generationen auslassen, weil sie der gottlosen Königin Athalja entsprangen. Auch mag manchem Matthäus 2,23 eine Schwierigkeit darstellen: Vergeblich sucht er im Alten Testament nach der Schriftstelle „Er wird Nazarener genannt werden.“ Doch auch diese Schwierigkeit löst sich, wenn man sieht, dass der Heilige Geist nicht sagt, dass ein oder der Prophet dies gesagt habe; vielmehr war es die gemeinsame Aussage vieler Propheten, dass Christus der Verachtete sein würde. Ebenso bildet für viele eine ernste Schwierigkeit, dass Matthäus in Kapitel 27,9 eine Stelle aus Sacharja zitiert, aber sagt, dass dies durch den Propheten Jeremias geredet sei. Zur Aufhellung dieser Schwierigkeit möchten wir auf die Fragenbeantwortungen in „Ermunterung und Ermahnung“, 1980, Seite 164 verweisen.

Als letztes Beispiel für diese Art Schwierigkeiten sei auf 1. Korinther 10,8 hingewiesen, wo Paulus die Zahl der an der Plage Gestorbenen mit 23000 angibt, während 4. Mose 25,9 von 24000 spricht. Hat hier Paulus, wie manche sogleich unterstellen, einen Fehler gemacht? Liegt hier nicht ein Widerspruch vor? Keineswegs! Denn während Mose in 4. Mose 25, die ganze Anzahl jener angibt, die an der Plage starben, ohne zugleich zu erwähnen, ob sie alle an einem Tag starben oder nicht, gibt uns Paulus unter der Inspiration des Heiligen Geistes die zusätzliche Einzelheit, dass die Plage so schrecklich war, dass allein 23000 an einem Tag starben.

Echte Abweichungen

Es bleibt eine sehr kleine Gruppe echter Schwierigkeiten übrig, deren Quelle nicht mit Sicherheit angegeben werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die Frage des Alters des Königs Ahasja bei seiner Thronbesteigung. 2. Könige 8,26 gibt es mit 22, dagegen 2. Chronika 22,2 mit 42 Jahren an. Wahrscheinlich liegt hier ein sehr früher Übertragungs- oder Abschreibfehler vor, aber wie und wann es geschah, ist uns nicht bekannt.

Aber solche kleinen Differenzen, die zumeist in der fehlerhaften Überlieferung durch die Jahrtausende zu suchen sind, berühren in keiner Weise Fragen von vitalem Interesse, sie haben mit der Frage der Inspiration überhaupt nichts zu tun.

Abschließend möchten wir bemerken, dass die Bibel nicht für lässige, sondern für fleißige Sucher der Wahrheit geschrieben wurde, die im Geist der Beröer (Apg 17,11) die Schriften untersuchen und erforschen. Nur wenn wir sie im Glauben und in Abhängigkeit von Gott lesen, können wir sie „recht teilen“ (2. Tim 2,15) und Weisheit und Licht von Gott erhalten. Trefflich hat Graf von Zinzendorf von diesem Wort gesagt:

Wenn Dein Wort nicht mehr soll gelten,
worauf soll der Glaube ruhn?
Mir ist nicht um tausend Welten,
sondern um Dein Wort zu tun,

Von welch unermesslichem Wert ist doch die Tatsache, dass wir bezüglich der Gedanken Gottes nicht auf mündliche und damit unsichere Überlieferungen der Menschen angewiesen sind, sondern das geschriebene Wort Gottes in den Händen halten! Alle Schönheit dieser Welt wird vergehen, „aber das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit“ (1. Pet 1,25). Wer sich im Glauben auf dieses Wort stützt, hat den sichersten Boden unter sich, den es im Weltall Gottes gibt; denn „die Welt vergeht und ihre Lust, wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1. Joh 2,17).

Fußnoten

  • 1 Nicht mit der den Glauben zersetzenden Bibelkritik zu verwechseln.
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