Vorträge über den Brief an die Epheser

Kapitel 2

Ich habe es auf dem Herzen, einige Worte über die Barmherzigkeit Gottes weiterzugeben. Eine der großen Schwierigkeiten in Verbindung mit diesem Thema ist seine überfließende Fülle. Man weiß kaum, wo man anfangen soll. Gott ist reich an Barmherzigkeit. Es geht nicht nur um den Reichtum der Barmherzigkeit Gottes, sondern diese Barmherzigkeit ist Teil seines Charakters, ein Teil seiner göttlichen Natur, von der Er sich nicht lösen kann. Der Zusammenhang zeigt, was Gottes reiche Barmherzigkeit ist. In Epheser 1,20‒23 wird uns der Herr Jesus Christus gezeigt, der zu seiner Rechten erhöht wurde und nun dort sitzt und an dem Gott in allem sein ganzes Wohlgefallen gefunden hat ‒ an diesem Menschen, der mit Ihm auf dem Thron ist. Ein einfacher Mensch könnte nicht auf dem Thron Gottes sitzen, doch dieser kann dort sitzen, indem Er von Gott selbst erhöht wurde „über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen.“ Schau dir das jetzige Zeitalter an, und du wirst nichts finden, was mit dem verglichen werden könnte, was diesem Menschen gehört. Es gibt nichts in diesem Zeitalter, noch in dem zukünftigen, was Ihm nicht gehört, und alles ist seinen Füßen unterworfen worden. Und nicht allein das, sondern es zeigt sich eine neue Herrlichkeit. Der von der Welt Verworfene – Gott hat Ihn zu seiner Rechten gesetzt als Haupt des Leibes. Und während Er dort sitzt, wird hienieden ein Leib gebildet, der nach den Gedanken Gottes einem solchen verherrlichten Haupt angemessen sein wird.

Doch wenn wir Ihm folgen, werden wir noch weitere Herrlichkeiten finden, die Ihm gegeben sind. Er hat alle Dinge erschaffen. Wenn hier auf der Erde der Charakter Gottes sichtbar werden soll, wer könnte Ihn offenbaren als dieser Sohn, sodass alle, die Ihn gesehen haben, den Vater gesehen haben? Sei es Erlösung, so könnte niemand damit in Verbindung kommen als dieser Sohn; sei es die Aufrichtung eines Königreiches, so ist Er der Einzige, der König sein könnte ‒ doch nicht ein König auf der Erde, sondern ein über die Erde regierender, der von einem himmlischen Volk umgeben ist, in die Er all seine Schönheit gelegt hat. Jesus von Nazareth ist auf dem Thron des Vaters zur Ruhe gebracht, wo Ihm alle Ehre, Macht und Herrlichkeit gehören und während Er dort ist, bildet er sich ein Volk, um es sich ohne Flecken und Runzeln darzustellen. Was für ein wunderbares Licht zeigt uns der Apostel Paulus da! Und dann stellt der Herr uns das Material vor, aus dem Er die herausnimmt, die Er für seine Herrlichkeit passend machen wird.

Was für einen Kontrast sehen wir hier zum Beginn des Kapitels: Satan, der die Gewalt über die Gedanken des Menschen hat. Niemand kann gefunden werden, der nicht Gegenstand dieser Begierden ist, und Christus, der alle Herrschaft, Macht und Herrlichkeit hat, schaut herab und bildet sich aus diesen einen Leib, der passend ist, um dort hinaufgebracht zu werden! Und der Apostel könnte sagen: „Er hat euch Ephesern und mir, Paulus, den Verfolger und Gotteslästerer, zu wissen geschenkt, dass wir zu denen gehören, die Gott nicht in ihrem Kern ansieht, dem schmutzigen Schlamm, den Begierden, in denen wir wandelten, sondern in der Vereinigung mit dem Sohn dort oben, als solche, die mit Christus einsgemacht sind.“ Doch ich denke nicht nur an Paulus und die Epheser, sondern auch an mich. Ich kenne den Schlamm, aus dem ich herausgezogen worden bin, und ich kann dem nur Rechnung tragen, indem ich sage: „Ach, es war Gott, reich an Barmherzigkeit, der mich hinaufgezogen und mich eins mit Christus gemacht hat.“

Kennen wir als Einzelne diese Lehre? Gott ist nicht nur ein Gott des Lebens, sondern als dieser lebendige Gott hat Er einen bestimmten Charakter, auf dessen Grundlage Er Menschen aufgerichtet hat, die tot in Sünden lagen, sie hinaufgezogen und mitsitzen lassen hat in den himmlischen Örtern in Christus. Wenn dies so ist, dann muss alles von Ihm kommen. Es kommt nicht von dem, der sich besonders anstrengt, noch von dem, der willig ist, sondern von Ihm, der Barmherzigkeit erweist. Es gab kein Handeln Gottes vor dem Tag der Pfingsten, an dem die Barmherzigkeit auf so deutliche Art und Weise hervorgestrahlt ist, wie von dieser Zeit an bis zu dem Tag, an dem Christus kommen wird, um sein Volk heimzuholen. Es ist Barmherzigkeit, reiche Barmherzigkeit, von dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus – Barmherzigkeit für Juden und für diese armen, unreinen Heiden. Barmherzigkeit, die nicht nur arme Sünder aus allem herausgezogen hat, worin sie waren, verstrickt in Begierden und dem Tod ausgeliefert, sondern Barmherzigkeit, die kommt, um sie aus all dem herauszunehmen und sie an einen Ort im Himmel zu erheben, indem Er sie für einen Platz im Haus Gottes passend macht.

„Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat...“ Dieser Ausdruck des Reichtums Gottes an Barmherzigkeit steht im Kontrast zur Gnade. Durch Gnade sind wir errettet, mittels des Glaubens; aber Barmherzigkeit bedeutet, denen, die tot in Sünden und Vergehungen waren, Leben zu geben. Gnade wiederum ist verbunden mit Heiligkeit, durch Glauben (Gottes Gabe) an das Sühnungswerk. Eine der anschaulichsten Stellen, an denen es um die Barmherzigkeit geht, ist 2. Mose 33. Als Paulus im Römerbrief mit den Juden debattiert, legt er dar, dass alle schuldig sind und Gott über alle Barmherzigkeit haben mag, nicht auf der Grundlage ihres Gehorsams, sondern auf der seiner Barmherzigkeit (siehe Röm 9,15.16). „Ich werde begnadigen, wen ich begnadige.“ Es kommt nicht aus dem, der sich bemüht oder willig ist, sondern von Gott. Es geht von Gott aus und strömt von Ihm.

Wenn wir uns jetzt 2. Mose 32 zuwenden, finden wir, dass Mose auf den Berg gerufen worden war, um die Anweisungen bezüglich des Heiligtums zu empfangen. Kaum ist Mose dort, zeigt das Volk, dass es müde ist, Gottes Volk zu sein. Es ruft aus: „Mache uns Götter, die vor uns hergehen; denn dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat – wir wissen nicht, was ihm geschehen ist“ (2. Mo 32,23). Und all ihr geplünderter Schmuck, ihre Nasenringe, usw., wurden hingegeben, um einen Gott zu machen. Sie kehren dem lebendigen Gott den Rücken zu und sagen: „Jetzt haben wir einen von uns selbst gemachten Gott, und ihn wollen wir nicht (s. Original) kennen.“ Was für eine Tat, die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes in ein mit Händen gemachtes Bildnis zu verwandeln! Mose bittet für sie; er kennt den Wert einer Bitte in den Augen Gottes. Der Herr erhört ihn und verschont das Volk. Dann spricht Mose: „Lass mich doch deine Herrlichkeit sehen!“ (2. Mo 33,18). Der Herr antwortet: „Ich werde alle meine Güte vor seinem Angesicht vorübergehen lassen“ (2. Mo 33,19). „Israel soll nicht entkommen. Es denkt, es könnte ein goldenes Kalb machen und mich verachten. Es kennt mich nicht; ich werde begnadigen, wen ich begnadigen werde.“ Barmherzigkeit ist ein Privileg von Gott. Obwohl alles verleugnet worden und ein falscher Gott aufgerichtet worden war, kann noch immer Barmherzigkeit fließen, um dem Volk zu begegnen. Doch der Einzige, von dem aus diese fließen kann, ist dieser Gott, und kein anderer als dieser Gott.

Wer könnte zu Gott sagen: „Was tust du?“ Hast du Gott je angerufen, um mit dir zu rechten? Sollte Gott der Einzige sein, der keinen eigenen Willen hat? Er lacht und spottet über die, die Ihn auf ihre Ebene herabziehen. Er wird tun, was Er sagt. Er wird begnadigen, wen Er begnadigen wird. Sollte ich sagen, dass Barmherzigkeit mir nicht genügt? Gott trat hervor in seinem vollsten Charakter als der Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, der Einzige, der das Recht haben konnte und kann, zu begnadigen, wen Er will. Wie könnte ich irgendjemanden von euch ansehen und sagen, dass ihr wie Christus seid? Christus wird euch unabhängig sehen von allem, was ihr seid. Gott sieht das absolute Gegenteil dessen, was Er ist, doch Er sagt: „Ich bin entschlossen, sie zu besitzen; ich werde einen eigenen Weg haben. Ich kann für die höchsten Aufrührer, die dort unten zu finden sind, diesen Reichtum an Barmherzigkeit nutzen, in dem ich hier oben ruhe.“ Warum hat Er mich angesehen, als ich tot in Vergehungen war? Weil Er das Recht hatte, mich aufzurichten und mir Leben zu geben. Macht ist die eine Sache, aber der Charakter dessen, der sie nutzt, eine andere. Satan hat Macht, und Er nutzt sie mit Lügen, die die Seele ins Verderben führen. Oh! Aber Gott hat einen eigenen Charakter. Ich ruhe in der Individualität Gottes. Gott handelt immer, ohne irgendjemanden zu Rate zu ziehen. Wer hat Ihn beraten, als Er die Welt erschuf? Wer, als Er beabsichtigte, seinen einzigen Sohn auf Erde zu senden, damit Er sterbe? Wer, als Er die Absicht hatte, nach 7000 Jahren der Auflehnung des Menschen auf dieser kleinen Erde einen neuen Himmel und eine neue Erde zu machen? Niemand. Und als Er sagte: „Du hast nicht zur mir als Gott aufgeschaut oder mich als Gott anerkannt – du warst tot in Sünden und ich habe dich belebt.“ Hat Er da irgendjemanden befragt? Nein. Und jetzt führt Er Stück für Stück meine Seele in die Wahrheit ein; und wenn Er sich Seelen annimmt, dann befragt Er niemanden, und wenn irgendetwas nicht mit Ihm in Übereinstimmung ist, muss es hinweggetan werden. Es ist die Individualität Gottes, der einen eigenen Charakter hat, welche alle seine Handlungen bestimmt. Und das ist so lieblich in 2. Mose 33, wo Er zu Mose sagt: „Meine Herrlichkeit ist zu groß, als dass du sie sehen könntest; du musst in die Felsenkluft gehen und mit meiner Hand bedeckt werden, während meine Herrlichkeit vorüberzieht. Und ich werde alle meine Güte vor deinem Angesicht vorübergehen lassen und werde den Namen des HERRN vor dir ausrufen; und ich werde begnadigen, wen ich begnadigen werde und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen werde“ (vgl. 2. Mo 33,19‒22).

Wie schön scheint das Wesen Gottes hervor in diesem herrschaftlichen „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen werde.“ Israel soll diese Barmherzigkeit kennenlernen (und letztendlich wird Israel sie kennenlernen). Alle ihre Quellen sind in Ihm. Hat Er nicht einen besonderen Charakter? Und bist du nicht deswegen wie jemand, der im Himmel ruht, wo der Herr Jesus ist, gesegnet durch sein Werk mit jeder Segnung in den himmlischen Örtern? Wenn ich darauf schaue, was in mir selbst ist, dann finde ich nichts als das, was von der alten Schöpfung ist. Aber wenn ich zur neuen Schöpfung komme, treffe ich auf das, was Gott in Jesus Christus geschaffen hat. Ich sehe Ihn dort oben als das geschlachtete Lamm, mein angenommenes Opfer; alle Segnungen sind sein Verdienst, und der Fluch war mein Verdienst, doch Er hat ihn getragen. Welches Recht habe ich, dahin zu kommen, wo die Herrlichkeit Gottes ist? Moses musste sich in der Felsenkluft verbergen, weil er sie nicht sehen konnte – aber ich kann kommen, so wie ich bin, in ihren ganzen Glanz. Doch nur in Ihm, der zu seiner Rechten sitzt – nicht in meinem eigenen Namen, sondern in seinem. Wenn es in meinem eigenen Namen wäre, könnte ich nicht kommen. Doch ich wage es nicht, irgendeine Unsicherheit zu zeigen. Ich bin dort völlig angenommen, nicht auf der Grundlage dessen, was ich bin, sondern auf der Grundlage dessen, dass ich eins mit Ihm bin ‒ der der vollkommene Ausdruck der Liebe Gottes ist. Ich kann dort erscheinen und bin angenommen. Gibt es irgendeine Neigung in deinem Herzen, die keine vollkommene Antwort darauf findet? Nicht eine! Ist das der Grund, auf dem du stehst, der Fels, aus dem das Wasser des Lebens zu dir geflossen ist? Die Grundlage, aus der du täglich deine Kraft schöpfst? Gott sagt: „Dass ich diesen vollkommenen Sohn meiner Liebe für arme Sünder in den Tod gegeben habe, drückt aus, welche Gedanken ich über die auf der Erde habe, die ewiges Leben in Ihm haben.“

Oh! Das menschliche Herz ist betrügerisch und hoffnungslos böse. Die Menschen sagen, dass sie all das glauben, und am nächsten Morgen sagen sie: „Aber oh! Ich bin so ein versagendes, elendes Geschöpf.“ Das bist du auch; aber du solltest all dein Versagen und deine Bosheit vor Gott ausbreiten, und deren Bekenntnis würde nur beweisen, mit was für einem Gott du es zu tun hast. „Oh, aber das Herz ist so betrügerisch“ – auch das schaut immer noch auf das, was man selbst ist. Wenn man die Schrift aufgenommen hat, und Er mir dort meine völlige Verdorbenheit gezeigt hat, und dass der Sohn seiner Liebe der ist, in dem allein meine Seele zur Ruhe kommt, dann weiß ich, dass es nicht um mich geht, sondern um Gott, nicht um meine Gedanken, sondern um die Gedanken Gottes. Stehst auf dieser Grundlage? Zieht der Kontrast zwischen Gott und dir selbst in seiner Gegenwart dich von jedem Gedanken an dich selbst ab? Der Mensch kann sich nicht von seinem Selbst trennen, es sei denn, dass er sich selbst in Christus weiß. Das verbindet das Herz mit Ihm, aber es bringt mich dazu, mein Selbst zu verabscheuen, denn Er ist so vollkommen anders als ich – das Selbst erwägt jede Eitelkeit, und ist bestrebt, dem Fleisch zu gefallen. Gott hingegen zeigte den Kontrast in diesem Sohn seiner Liebe. Darin liegt die Schönheit: dass Gott seinen Sohn einsetzte, um seinem Plan der Barmherzigkeit zu erfüllen. Gott hat etwas, womit Er mich umwirbt, aber es lässt einen sagen: „Was für ein abscheuliches Geschöpf bin ich.“ Es bringt einen dazu, sich vor sich selbst zu ekeln. Was für ein Gott! Er bietet Sündern Zuflucht in der Person dieses Sohnes, der zu seiner Rechten sitzt – und seine Hände und Füße sind ihr Zeugnis dafür, dass ihre Sünden in seinem Blut gewaschen sind. Ach, armer Sünder, es gibt keine andere Brücke für dich, nichts anderes wird dir helfen; es gibt keine Hoffnung, außer der Barmherzigkeit Gottes, die deine Seele belebt und dich durch das Blut Christi Ihm nahebringen kann. Es ist ein vollbrachtes Werk, dem du nichts hinzufügen kannst. Beginnst du mit dir selbst oder mit Gott? Gott begann mit sich selbst, und Er endet mit sich selbst; und du musst mit Ihm beginnen und mit Ihm enden. Er allein kann sagen: „Ich habe das Recht, zu handeln, wie ich will; und ich erbarme mich, über wen ich mich erbarmen will.“

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