Betrachtung über Lukas (Synopsis)

Kapitel 4

Betrachtung über Lukas (Synopsis)

Jesus, der ungekannte Sohn Gottes auf der Erde, wird nun durch den Heiligen Geist, mit dem Er versiegelt worden, in die Wüste geführt, um die Versuchung des Feindes zu bestehen, der Adam unterlegen war. Jedoch erduldete Jesus diese Versuchung nicht in den Umständen, in denen Adam stand, sondern in denjenigen, in denen wir uns befinden, d. h. Er empfand sie in all den Schwierigkeiten des Lebens des Glaubens. „Er ist in allem versucht worden in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde.“ Beachten wir, dass es sich hier nicht um die Knechtschaft der Sünde, sondern um den Kampf handelt. Wenn von jener Knechtschaft die Rede ist, so handelt es sich um Erlösung und nicht um Kampf. In Kanaan kämpfte Israel, während es aus Ägypten erlöst worden war; in Ägypten handelte es sich nicht um Kampf.

In Lukas sind die Versuchungen ihrer moralischen Ordnung nach mitgeteilt. Wir finden daher zunächst das, was die leiblichen Bedürfnisse erforderten, dann die Welt und endlich die geistliche List. Aber in jeder Versuchung beharrt der Herr in der Stellung des Gehorsams und der Abhängigkeit, indem Er Gott und Seinen an die Menschen gerichteten Mitteilungen – Seinem Worte den wahren Platz einräumt. Ein einfacher Grundsatz, der uns bei jedem Angriff sicherstellt, und der gerade wegen seiner Einfachheit die Vollkommenheit ist. Vergessen wir aber nie, dass es also ist; denn es wird nicht von uns gefordert, uns bis zu wunderbaren Höhen zu erheben, sondern einfach dem zu folgen, welches auf unseren menschlichen Zustand als dessen normale Richtschnur Anwendung findet. Was uns Not tut, ist Gehorsam, Abhängigkeit und nichts zu tun, als insoweit Gott es will, und ferner Vertrauen auf Ihn. Dieser Wandel setzt das Vorhandensein des Wortes Gottes voraus sowie, dass wir dasselbe zu unserer Leitung und zur Erkenntnis des Willens Gottes besitzen. Das Wort ist der Ausdruck des Willens, der Güte und der Autorität Gottes, anwendbar auf alle Umstände des Menschen, so wie er ist. Es zeigt, dass Gott an allem Anteil nimmt, was den Menschen angeht. Warum also sollte der Mensch aus eigenem Antriebe handeln, ohne auf Gott und dieses Wort zu blicken? Ach! die Menschen sind, in ihrer Allgemeinheit betrachtet, eigenwillig; unterwürfig und abhängig zu sein ist gerade das, was sie nicht wollen. Ihre Feindschaft wider Gott ist zu groß, als dass sie Ihm vertrauen könnten. Gerade jene Unterwerfung, jener Gehorsam waren es, wodurch der Herr Sich auszeichnete. Die Macht, ein Wunder zu tun, konnte Gott übertragen, wem Er wollte; allein hier war ein gehorsamer Mensch, der keinen Willen hatte, um etwas zu tun, worüber Gott Seinem Willen keinen Ausdruck gegeben hatte – ein Mensch, der durch das Wort und in völliger Abhängigkeit von Gott lebte, und der ein vollkommenes Vertrauen besaß, das keinen anderen Beweis von der Treue Gottes forderte, als Sein Wort, und kein anderes Mittel zur Versicherung Seiner Dazwischenkunft begehrte, als Seine Verheißung – ein Mensch, der auf diese Dazwischenkunft Gottes auf dem Pfade Seines Willens harrte: wahrlich, das war mehr als Macht. Es war die Vollkommenheit des Menschen an dem Platze, an welchem der Mensch sich befand (es war nicht einfach Unschuld; denn die Unschuld bedarf keines Vertrauens auf Gott inmitten von Schwierigkeiten und Trübsalen, oder von Fragen, die die Sünde hervorgerufen hat, oder angesichts der Erkenntnis des Guten und Bösen), und zwar eine Vollkommenheit, die den, der sie besaß, gegen jeden Angriff, den Satan gegen ihn unternehmen konnte, sicherstellte. Denn was vermochte Satan gegen einen Menschen, der nie über den Willen Gottes hinausging, und für den dieser Wille der einzige Beweggrund zum Handeln war? Überdies war die Macht des Geistes Gottes vorhanden.

Wir finden also, dass der einfache, durch das Wort Gottes geleitete Gehorsam die einzige Waffe war, welche Jesus anwandte. Dieser Gehorsam erfordert zu seiner Erfüllung Abhängigkeit von Gott und Vertrauen auf Ihn. Jesus lebte durch das Wort – das ist Abhängigkeit. Er wollte Gott nicht versuchen (d. i. auf die Probe stellen), um zu sehen, ob Er treu war – das ist Vertrauen. Er handelte, wenn Gott es wollte und weil Er es wollte, und Er tat, was Gott wollte. Alles Übrige überließ Er Gott. Das ist Gehorsam; doch nicht ein Gehorsam, der sich nur mit Widerstreben dem Willen Gottes unterwirft, sondern bei welchem der Wille Gottes der einzige Beweggrund zum Handeln ist. Wir sind geheiligt zum Gehorsam Jesu Christi (1. Pet 1, 2).

Satan ist überwunden und ohnmächtig gegenüber diesem letzten Adam, der nach der Macht des Geistes da wirkt, wo der Mensch sich befindet, und zwar durch die Mittel, welche Gott dem Menschen gegeben hat, und in den Umständen, in denen Satan seine Macht ausübt. In Jesu war keine Sünde – denn in diesem Falle hätte Er unterliegen müssen und würde nicht gesiegt haben; sie war durch den Gehorsam ausgeschlossen. Aber gerade in den Umständen der Versuchung, in denen der Mensch sich befindet, ist Satan besiegt worden. Es waren leibliche Bedürfnisse, die zur Lust geworden wären, wenn sich, anstatt von dem Willen Gottes abhängig zu sein, der eigene Wille darein gemischt hätte; ferner die Welt und alle ihre Herrlichkeit, die, insoweit sie den Gegenstand der Begierde des Menschen ausmacht, tatsachlich das Reich Satans bildet (und gerade auf diesen Boden versuchte Satan Jesum zu führen, und er erwies sich, indem er dieses tat, als Satan), und endlich geistliche Selbstüberhebung vermittels solcher Dinge, die Gott uns gegeben hat. Das waren die Angriffspunkte des Feindes; aber in Jesu gab es kein Sichselbstsuchen.

Wir haben also in unserer bisherigen Betrachtung zunächst einen Menschen gefunden, auf Erden empfangen von dem Heiligen Geiste und mit dem Heiligen Geiste erfüllt, vollkommen wohlgefällig vor Gott und der Gegenstand Seiner Zuneigungen, Sein geliebter Sohn, in der Stellung der Abhängigkeit; ferner einen Menschen als Überwinder Satans inmitten von Versuchungen, durch die dieser gewöhnlich einen Vorteil über den Menschen erringt – als Überwinder durch die Kraft des Heiligen Geistes, und indem Er in Abhängigkeit und Gehorsam das Wort Gottes anwendet und in den gewöhnlichen Umständen, die den Menschen umgeben, Sein Vertrauen auf Gott setzt. In der ersten Stellung befand Sich Jesus mit dem Überrest, in der zweiten allein – wie in Gethsemane und am Kreuze. Nichtsdestoweniger war es für uns; und, angenommen wie Jesus, haben auch wir in gewissem Sinne den Feind zu überwinden. Allein es ist ein besiegter Feind, dem wir in der Kraft des Geistes, der uns zufolge der Erlösung geschenkt ist, widerstehen. Wenn wir ihm widerstehen, so flieht er; denn er hat seinen Überwinder gefunden. Das Fleisch widersteht ihm nicht; aber er findet Christum in uns. Ein Widerstand im Fleische führt nicht zum Siege. Jesus hat den Starken besiegt und ihn dann seiner Güter beraubt. Wodurch aber hat Er in der Versuchung den Sieg über ihn davongetragen? Durch Gehorsam, indem Er außer dem Willen Gottes keinen Willen hatte; durch Abhängigkeit, durch die Anwendung des Wortes und endlich durch das Verharren in der Unterwürfigkeit Gott gegenüber. In diesem allem fehlte der erste Adam. Nach diesem Siege Jesu tragen auch wir als Diener Christi wirkliche Siege davon, oder vielmehr, wir ernten die Früchte des Sieges, der schon in der Gegenwart Gottes gewonnen ist.

Der Herr hat jetzt sozusagen Seinen Platz für das Werk des letzten Adam eingenommen als der Mensch, in dem der Geist ohne Maß ist, und als der Sohn Gottes durch Seine Geburt in dieser Welt. Er hat diesen Platz eingenommen als der Same des Weibes, jedoch empfangen durch den Heiligen Geist; Er hat ihn eingenommen als der Sohn Gottes, der in Seiner Person als Mensch hienieden Gott vollkommen wohlgefällig ist; und Er hat ihn eingenommen als der Überwinder Satans. Obwohl Er als Sohn Gottes anerkannt und durch den Vater mit dem Heiligen Geiste versiegelt wird, indem der Himmel sich über Ihm, als dem Menschen, öffnet, wird dennoch Sein Geschlechtsregister bis zu Adam hinaufgeführt. Und als ein Abkömmling Adams, ohne Sünde und erfüllt mit dem Heiligen Geiste, besiegt Er Satan (als der gehorsame Mensch, dessen einzige Triebfeder der Wille Gottes war) und beginnt dann, und zwar als Mensch, durch die Macht des Heiligen Geistes das Werk zu erfüllen, welches Sein Vater Ihm in dieser Welt anvertraut hatte. In der Kraft des Geistes kehrt Er nach Galiläa zurück, und das Gerücht von Ihm verbreitet sich in der ganzen Umgegend (V. 14).

Der Charakter, in dem Jesus Sich hier darstellt, ist dieser: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Gesicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das annehmliche Jahr des Herrn“' (V. 18. 19). Hier bricht der Herr ab, indem Er gänzlich von dem schweigt, was in dem Propheten (Jesaja 61) folgt hinsichtlich der Befreiung Israels durch das Gericht, welches an den Feinden des Volkes Rache übt. Er kündigt nicht Verheißungen an, sondern deren Erfüllung in Gnade durch Seine eigene Gegenwart. Der Geist ruhte auf diesem mit Gnade erfüllten Menschen; und der Gott der Gnade in Ihm offenbarte Seine Güte. Die Zeit der Befreiung war da; das Gefäß Seiner Gnade für Israel befand sich in der Mitte dieses Volkes.

Die Betrachtung jener Weissagung macht dieses Zeugnis um so bemerkenswerter, da der Heilige Geist, der in den vorhergehenden Kapiteln die Sünde des Volkes und dessen Gericht angekündigt hatte, hier (indem Er den Christus, den Gesalbten, einführt) nur von Gnade und Segnung für Israel redet. Wenn es sich um Rache handelte, so sollte sie zur Befreiung des Volkes an dessen Widersachern ausgeübt werden. Hier aber ist es Gnade in der Person Christi, in diesem Menschen, dem Sohne Gottes, der voll des Heiligen Geistes ist, um das Erbarmen eines Gottes anzukündigen, der Seinen Verheißungen stets treu bleibt, und um die Armen im Geiste und die, welche zerschlagenen Herzens sind, zu trösten und aufzurichten. Die Segnung war da vor den Augen der Israeliten; sie konnten sie nicht verkennen. Allein sie erkannten den Sohn Gottes nicht, sondern fragten: „Ist dieser nicht der Sohn Josephs?“ (V. 20–22). Wir haben hier die ganze Geschichte Christi vor uns: Er war die vollkommenste Offenbarung der Gnade in der Mitte Seines Landes und Seines Volkes Israel; aber sie kannten Ihn nicht. „Kein Prophet ist angenehm in seinem Vaterlande“ (V. 24).

Diese Verwerfung des Herrn öffnete aber einer Gnade den Weg, die die Grenzen überschritt, die ihr ein rebellisches Volk setzen wollte: das Weib von Sarepta und Naaman, der Syrer, waren Zeugen dieser Gnade (V. 25 – 27). Doch grenzenlose Wut bemächtigt sich derer, die die Gnade von sich stoßen. Voll Unglauben und unfähig, die für sie erschienene Segnung zu erkennen, wollen sie auch nicht, dass dieselbe sich anderswo hinwende. Der Hochmut, der sie unfähig machte, die Gnade zu würdigen, wollte nichts hören von ihrer Mitteilung an andere. Sie suchen Jesum zu ermorden, allein Er verfolgt ruhig Seinen Weg. Wir finden, wie bereits bemerkt, in dieser Szene die ganze Geschichte Jesu unter dem Volke zum Voraus aufgezeichnet.

Jesus setzt Seinen Weg fort, und der Heilige Geist teilt uns die Taten und Heilungen mit, die Seinen Dienst im Blick auf die Wirkung der Gnade und ihre Ausdehnung auf andere als die Juden kennzeichnen. In Ihm, dessen Gnade verworfen wurde, war Macht vorhanden. Er wird von den Teufeln anerkannt, wenn dieses nicht von Seiten Israels geschieht; aber durch ein Wort treibt Er sie aus. Vor Ihm verschwindet die ganze Macht des Feindes, alle die traurigen äußeren Folgen der Sünde. Er heilt Kranke und zieht Sich dann zurück. Von der Menge aufgefordert zu bleiben (eine Folge Seiner Taten, die Ihm von Seiten des Volkes eine Ehre verschafften, die Er nicht suchte), geht Er hinweg, um anderswo in dem Ihm anvertrauten Zeugnis tätig zu sein; denn Er trachtet nach der Erfüllung Seines Werkes und nicht nach Ehre. Allenthalben predigt Er in der Mitte Seines Volkes; Er treibt den Feind aus, beseitigt Leiden und Elend und verkündigt den Armen die Güte Gottes (V. 31- 44).

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