Betrachtung über Lukas (Synopsis)

Kapitel 12

Betrachtung über Lukas (Synopsis)

Dieses Kapitel versetzt die Jünger durch die Macht, des Heiligen Geistes in die soeben besprochene Stellung des Zeugnisses, wo sie nach dem Weggange des Herrn dem Widerspruch der Welt ausgesetzt sein würden. Anstatt eines Messias sind das Wort Gottes und der Heilige Geist auf der Erde. Die Jünger sollten weder den Widerspruch fürchten, noch auf sich selbst vertrauen, sondern sie sollten Gott fürchten und auf Seine Hilfe rechnen; und der Heilige Geist würde sie unterweisen, was sie sagen sollten. Alles wird einmal offenbar werden. Gott erreicht die Seele; der Mensch vermag nur den Leib anzutasten. Hier wird das zum Vorschein gebracht, was über die Verheißungen der damaligen Zeit hinausging: die Verbindung der Seele mit Gott. Sie tritt aus dem Judentum heraus, um vor Gott zu sein. Die Berufung der Jünger war, Gott um jeden Preis in der Welt zu offenbaren - Ihn dem Glauben zu offenbaren, bevor alle Dinge offenbar gemacht werden. Es mochte sie dieses viel kosten vor den Menschen, allein Jesus wollte sie bekennen vor den Engeln. Die Jünger werden also in das Licht gebracht, wie Gott darinnen ist; das Wort und der Glaube bewahren die Furcht Gottes im Herzen, wenn die Macht des Bösen gegenwärtig ist, und all dieses Böse, wie verborgen es auch sein mag, wird ans Licht gebracht werden.

Doch das ist nicht alles. Die Lästerung wider das von ihnen abgelegte Zeugnis würde schlimmer sein als die Lästerung wider Jesum. Das Reden wider den Sohn des Menschen konnte vergeben werden (dies ist bereits geschehen und wird am Ende betreffs der Juden, als Nation betrachtet, stattfinden), wer aber lästernd wider das Zeugnis der Jünger redete, der lästerte wider den Heiligen Geist; das sollte nie vergeben werden.

Der Herr beschäftigt sich sowohl mit dem Herzen als auch mit dem Gewissen der Jünger. Er ermutigt sie durch drei Dinge: 1. durch den Schutz Dessen, der - wie groß auch die Prüfungen ihres Glaubens sein mochten - alle Haare ihres Hauptes gezählt hatte; 2. durch die Tatsache: dass ihre Treue gegen Christum in dieser schwierigen Sendung im Himmel und vor den Engeln von Ihm anerkannt worden würde, und 3. durch die Wichtigkeit ihrer Sendung, deren Verwerfung eine verhängnisvollere Verdammung nach sich ziehen würde, als die Verwerfung Christi Selbst. Gott hatte in Seiner Gnade und in Seinem Zeugnisse einen Schritt, und zwar einen entscheidenden, endgültigen Schritt getan. Alles wird ans Licht gebracht werden, Gott wird für Seine Boten Sorge tragen, Christus will sie im Himmel bekennen, und die Macht des Heiligen Geistes wird mit ihnen sein - das sind die Beweggründe und die Ermutigungen, die hier den Herzen der Jünger für ihre Mission nach dem Weggange Jesu vorgestellt werden.

Das nun Folgende hebt noch deutlicher die Stellung hervor, in der sich die Jünger nach den Ratschlüssen Gottes und infolge der Verwerfung Christi befinden würden. Der Herr weigert sich jetzt förmlich, in Israel ein Urteil in Rechtssachen zu fällen; das war nicht Sein Platz. Er beschäftigt Sich mit den Seelen und lenkt ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Leben, das über das gegenwärtige hinausgeht; und anstatt das Erbe unter die Brüder zu verteilen, warnt Er die Menge vor der Habsucht, indem Er sie durch das Gleichnis von dem reichen Manne belehrt, der inmitten seiner Pläne plötzlich aus der Weit abgerufen wurde. Was war aus seiner Seele geworden?

Nachdem jedoch der Herr diese allgemeine Grundlage gelegt hat, unterweist Er Seine Jünger über die großen, praktischen Grundsätze, die ihren Wandel bestimmt sollten. Sie sollten nicht an den morgigen Tag denken, sondern auf Gott vertrauen; sie hatten ja auch keine Macht darüber (V. 26). Vor allem sollten sie nach dem Reiche Gottes trachten, und alles Übrige würde ihnen dazu gegeben werden. Das war ihre Stellung in dieser Welt, die ihren Herrn verwarf. Überdies war das Herz des Vaters mit Interesse für sie erfüllt, und sie sollten sich vor nichts fürchten. Es war des Vaters Wohlgefallen, ihnen das Reich zu geben. Als Fremdlinge und Pilgrime hienieden sollte sich ihr Schatz im Himmel befinden, und dann würde auch ihr Herz dort sein. (Das Herz folgt dem Schatze; nicht aber ist der Schatz da, wo das Herz ist, wie viele meinen.) Außer diesem sollten sie den Herrn erwarten.

Drei Dinge sollten also ihre Seele beeinflussen: die Tatsache, dass der Vater ihnen das Reich geben wollte, dann der Schatz ihrer Herzen im Himmel, und endlich die Erwartung der Rückkehr des Herrn. Bis Er kommen würde, war es nötig für sie zu wachen und ihre Lampen brennend zu erhalten. Ihre ganze Stellung sollte die Wirkung der beständigen Erwartung des Herrn kundgeben und der Ausdruck dieser Erwartung sein. Indem sie ihre Lenden umgürteten, sollten sie Menschen gleichen, die auf ihren Herrn warten. Und wenn einmal alles nach dem Herzen des Herrn wiederhergestellt sein werde durch Seine Macht, dann würde Er sie sich zu Tische legen lassen und Sich Selbst umgürten, um sie zu bedienen. Es gibt nichts Köstlicheres als die in den Versen 36 und 37 1 ausgedrückte Gnade.

Auf die Frage Petri, an wen diese Unterweisungen gerichtet seien, verweist ihn der Herr auf die Verantwortlichkeit derer, denen Er während Seiner Abwesenheit Pflichten anvertraut hat. Wir haben daher hier die beiden Dinge, die die Jünger nach der Verwerfung Christi kennzeichnen. die Erwartung Seiner Wiederkunft und den Dienst. Diese Erwartung, die Wachsamkeit, die sich mit umgürteten Lenden bereit hält, Ihn zu empfangen, findet ihre Belohnung in der Ruhe und an dem Feste, zu dem der Herr Sich Selbst zum Dienste der Seinen umgürten wird; und die Treue im Dienste wird durch die Übertragung der Regierung über alles das belohnt, was dem Herrn der Herrlichkeit gehört. Außer diesen speziellen Beziehungen zwischen dem Wandel der Jünger und ihrer Stellung in der zukünftigen Welt finden wir hier die Beziehung zwischen der allgemeinen Wahrheit der Verleugnung der Welt, in der der Heiland verworfen worden ist, und dem Besitze des Reiches durch die Gabe des Vaters.

In Seinen weiteren Belehrungen über den Dienst derer, die während Seiner Abwesenheit Seinen Namen tragen, redet der Herr auch von solchen, die sich wohl in dieser Stellung befinden, aber untreu sind; Er kennzeichnet dadurch diejenigen, die, obwohl sie öffentlich einen Dienst in der Kirche ausüben, ihr Teil mit den Ungläubigen haben werden. Das Geheimnis des Bösen, das ihre Untreue charakterisiert, besteht darin, dass ihr Herz die Rückkehr Jesu hinausschiebt, anstatt danach zu verlangen oder diese durch ihre Seufzer zu beschleunigen, und anstatt in dem Verlangen, treu erfunden zu werden, in Demut zu dienen. Sie werden sagen: Er verzieht zu kommen; und infolgedessen werden sie ihren eigenen Willen tun, sich dem Geiste der Welt bequemen und sich eine Autorität über ihre Mitdiener anmaßen. Welch ein treues Bild von dem, was sich in der Christenheit zugetragen hat. Aber ihr Herr (denn Er ist es, obwohl sie Ihm nicht wahrhaft gedient haben) wird in einem Augenblick kommen, da sie Ihn nicht erwarten, wie ein Dieb in der Nacht; und obwohl sie Seine Diener zu sein bekennen, werden sie ihr Teil mit den Ungläubigen haben. Jedoch wird es sich nicht mit allen gleich verhalten; denn der Diener, der den Willen Seines eigenen Herrn 2 kennt, sich aber nicht für Ihn bereitet (die Frucht einer wahren Erwartung), noch nach Seinem Willen getan hat, wird viel geschlagen werden, während die Bestrafung dessen, der diese Kenntnis nicht besaß, weniger hart sein wird. Aber obwohl der letztere in Unkenntnis über den ausdrücklichen Willen des Herrn war, so ist er nichtsdestoweniger strafbar, weil er das Böse getan hat, was er in keinem Falle hätte tun sollen. Es ist die Geschichte der wahren und falschen Diener Christi, der bekennenden Kirche und der Welt im Allgemeinen. Und wenn von allen nach dem Maße dessen, was sie empfangen haben, Rechenschaft gefordert werden wird, wer wird dann so strafbar sein wie jene, die sich Diener des Herrn nennen, aber Ihm nicht in der Erwartung Seiner Wiederkunft dienen? Es gibt kein ernsteres Zeugnis hinsichtlich dessen, was die Untreue in die Kirche gebracht hat und was zu ihrem Verderben und dem herannahenden Gericht führt, als das Aufgeben der gegenwärtigen Erwartung der Ankunft des Herrn.

Indes war der also verworfene Herr gekommen, um Zwietracht und Feuer auf die Erde zu bringen (V. 49). Seine Gegenwart zündete das Feuer an, bevor noch Seine Verwerfung in der Taufe des Todes, durch die Er zu gehen hatte, vollendet war. Nichtsdestoweniger sollte erst nach dieser Todestaufe Seine Liebe volle Freiheit haben, sich in Macht zu enthüllen. So war Sein Herz, das gerade der Unendlichkeit der Gottheit gemäß Liebe war, beengt, bis die Vollendung des Versöhnungswerkes der Ausübung dieser Liebe freien Ausfluss gestattete und die Erfüllung aller Absichten Gottes möglich machte, in denen Seine Macht jener Liebe entsprechend geoffenbart werden sollte und für die dieses Werk als die Grundlage der Versöhnung aller Dinge in den Himmeln und auf der Erde notwendig war 3.

In den Versen 51-53 zeigt der Herr im Einzelnen die Spaltungen, die das Resultat Seiner Sendung sein würden: die Welt würde den Glauben ebenso wenig ertragen wie den Heiland Selbst, der der Gegenstand desselben war und von ihm bekannt wurde. Es ist gut, hier zu beachten, wie die Gegenwart des Heilandes die Bosheit des menschlichen Herzens ans Licht bringt. Den hier beschriebenen Zustand finden wir in Micha; es ist eine Beschreibung des denkbar schrecklichsten Zustandes des Bösen (Micha 7, 1-6).

Dann wendet der Herr Sich an das Volk, um es im Blick auf die vorhandenen Zeichen der Zeit zu warnen. Er stellt dieses Zeugnis auf einen doppelten Boden: zunächst auf die augenscheinlichen Zeichen, die Gott zu jener Zeit sandte, und dann auf die moralischen Beweise, die das Gewissen, sogar ohne jene Zeichen, anerkennen musste, und die also das Volk nötigten, das Zeugnis anzunehmen. Wie groß auch die Blindheit des Volkes und seiner Obersten sein mochte, so befanden sie sich doch auf dem Wege zum Richter; und waren sie diesem einmal überliefert, so würden sie nicht eher loskommen, als bis die Züchtigung Gottes betreffs ihrer gänzlich vollzogen wäre (vgl. Jes 40, 2).

Fußnoten

  • 1 Wir haben hier das himmlische Teil derer, die den Herrn während Seiner Abwesenheit erwarten. Es ist der Charakter des wahren Jüngers, der seinen Blick zum Himmel gerichtet hat, während der Dienst sein Platz auf Erden ist. Auch der Herr war hienieden ein Diener. Nach Joh 13 wird Er ein Diener, indem Er zum Himmel emporsteigt, ein Fürsprecher, um unsere Füße zu waschen. An dieser Stelle macht Er Sich zum Diener für unsere Segnung im Himmel. In 2. Mo 21 wurde der Sklave, der nach Erfüllung seines Dienstes nicht frei ausgehen wollte, vor die Richter geführt und mit einem Pfriemen, der ihm zum Zeichen des beständigen Dienstes das Ohr durchbohrte, an den Türpfosten befestigt. Auch Jesus hatte am Ende Seines irdischen Lebens Seinen Dienst dem Vater gegenüber vollkommen erfüllt. In Psalm 40 sagt Er, dass Gott Ihm die Ohren gegraben, d.h. „einen Leib zubereitet“ habe (Heb 10), was die Stellung des Gehorsams (vgl. Phil 2,6-8) und die Menschwerdung ausdrückt. Nun, Sein Dienst in Seinem menschlichen Leben auf der Erde war vollendet; allein Er liebte uns und - in dem Charakter des Dieners - den Vater zu sehr, als dass Er diesen Dienst hätte aufgeben können; und so wurde in Seinem Tode Sein Ohr, nach 2. Mo 21, durchbohrt, und Er wurde ein Diener auf ewig - ein Mensch auf ewig -, und zwar jetzt, um unsere Füße zu waschen; später wird Er im Himmel, wenn Er uns zu Sich genommen hat, nach der oben betrachteten Stelle Seinen Dienst fortsetzen. Welch ein herrliches Bild von der Liebe Christi!
  • 2 Ich habe nach dem Grundtext gesagt: „Seines eigenen Herrn“, weil durch das Wörtchen „eigenen“ eine anerkannte Verbindung mit dem Herrn bezeichnet wird sowie auch die Verpflichtung, die kraft dieser Verbindung auf dem Diener ruht.
  • 3 Es ist gesegnet, hier zu sehen, wie das Böse, in welcher Weise es sich auch in dem Menschen zeigen mag, schließlich zur Erfüllung der Ratschlüsse der Gnade Gottes dienen muss. Der Unglaube des Menschen trieb die göttliche Liebe in das Herz Christi zurück, zwar ungeschwächt, aber außerstande hervorzuströmen und sich zu äußern. Dessen ungeachtet ließ ihre volle Wirkung auf dem Kreuze sie ungehindert in der Gnade, die durch Gerechtigkeit herrscht, für den elendsten Sünder hervorströmen (vgl. Röm 5,21). Es ist eine besonders interessante und gesegnete Stelle.
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