Geh nach Ninive
Eine Auslegung des Buches Jona

Kapitel 4: Jonas Zorn und Gottes Antwort

Geh nach Ninive

Teil 1: Jonas Zorn

Verse 1–5: Und es verdross Jona sehr, und er wurde zornig. Und er betete zu dem HERRN und sprach: Ach, HERR, war das nicht mein Wort, als ich noch in meinem Land war? Darum bin ich erst nach Tarsis geflohen; denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langsam zum Zorn und groß an Güte, und der sich des Übels gereuen lässt. Und nun, HERR, nimm doch meine Seele von mir; denn es ist besser, dass ich sterbe, als dass ich lebe. Und der HERR sprach: Ist es recht, dass du zürnst? Und Jona ging aus der Stadt hinaus und setzte sich östlich der Stadt nieder. Und er machte sich dort eine Hütte; und er saß darunter im Schatten, bis er sähe, was mit der Stadt geschehen würde.

Jona lernt langsam

Der Kontrast zwischen den Kapiteln 3 und 4 ist eklatant. Er gleicht einer eiskalten Dusche. Einerseits die wärmenden Strahlen der Liebe Gottes für Ninive und andererseits das kalte Herz Jonas. Auf den ersten Blick möchte man geneigt sein zu wünschen, das Buch möge mit dem Bericht über die Buße Ninives zu Ende gekommen sein. Doch Gott möchte uns weiteren Unterricht geben. Ein Ausleger schreibt: „In diesem letzten Kapitel des prophetischen Buches wird uns am deutlichsten gezeigt, wie Gott in seiner unergründlichen Liebe und Gnade handelt, aber auch was der Mensch in seiner maßlosen Eigenliebe und grenzenlosen Selbstgerechtigkeit ist. Gegenüber Gottes unendlicher Güte zeigt sich erschreckend klar die Härte des Menschen.“1

Im Übergang von Kapitel 2 zu Kapitel 3 gewinnt man den Eindruck, dass Jona seine Lektion gelernt hat. Kapitel 4 gleicht jedoch einem Rückfall unter den Nullpunkt. Es steht zwar außer Frage, dass Gott ein Werk am Herzen Jonas getan hatte: Im Bauch des Fisches sprach Gott zu Jona und Jona zu seinem Gott; sein Gebet in Kapitel 2 kam von Herzen. Dennoch blieb etwas zurück, das jetzt wieder aufbricht und behandelt werden muss. In Kapitel 3 haben wir über Jonas Gehorsam nachgedacht. Er ging im Auftrag Gottes nach Ninive und richtete die Botschaft aus. In Kapitel 4 lernen wir, dass er es nicht in einer guten Gesinnung tat. Jona ging nicht im Geist der Gnade, sondern im Geist von Gesetzlichkeit und Egoismus nach Ninive. Wir lernen daraus, dass man äußerlich gehorsam sein kann und den Willen Gottes tun kann, ohne jedoch die Empfindungen Gottes innerlich zu teilen.

Jona war ein Israelit mit großem Nationalstolz, Selbstgerechtigkeit und einer Portion Fremdenfeindlichkeit. Man hat fast den Eindruck, dass Jona in Kapitel 4 in einem noch schlechteren Zustand ist als in Kapitel 1. Dort hat er sich den heidnischen Seeleuten gegenüber besser verhalten als gegenüber den Niniviten.

Gott hat Jona eine zweite Chance gegeben. In einem gewissen Sinn hat Jona diese genutzt, aber eine wichtige Lektion Gottes hatte er doch nicht gelernt. Sein Stolz als Israelit war ungebrochen. Er wollte nicht, dass Ninive von Gott begnadet würde. Das hatte ihn in Kapitel 1 veranlasst, vor Gott zu fliehen, und genau das bricht jetzt aus ihm heraus.

Wir wollen nicht mit dem Finger auf Jona zeigen. Was Gott uns hier zeigt, ist zu unserer Belehrung geschrieben. Andere Gläubige haben es nicht besser gemacht und auch zweimal denselben Fehler begangen: Lot ging zweimal nach Sodom; Abraham ging zweimal nach Ägypten und fiel zweimal in die gleiche Sünde. Was Jona hier passiert war, kann uns – vielleicht unter anderen Vorzeichen – ebenfalls passieren.

Jona ist zornig

Jona ist unzufrieden. Er ist eifersüchtig. Er ist sogar zornig. Der Text sagt, dass es Jona verdross und er sehr zornig (oder grimmig) wurde. Er war nicht nur gleichgültig, sondern er nimmt die Gnade und Barmherzigkeit Gottes als Anlass für seinen Zorn und Ärger. Er ist nicht in der Lage, Gottes Gedanken und Empfindungen zu teilen. Im Gegenteil, er denkt völlig anders als Gott.

Als Jona in Ninive war und das Gericht ankündigte, erfüllte er Gottes Auftrag. Von seinen Gefühlsregungen wird nichts gesagt. Als die Niniviten Buße taten, reagierte Jona immer noch nicht. Doch jetzt, als Gott Gnade übt und Jona realisiert, dass das Gericht nicht ausgeführt wird, bricht es aus ihm heraus. Der Himmel freut sich über Menschen, die Buße tun und zu Gott umkehren, und der Diener ist wütend und zornig. Jonas Verhalten mag uns erschrecken; es zeigt allerdings, in welch einem inneren Zustand er war. Er war weit weg davon, in Gemeinschaft mit seinem Gott zu sein. Gemeinschaft setzt voraus, dass man gleiche Gedanken hat. Das war in der Tat nicht der Fall.

Jonas Verhalten zeigt, was im Herzen des Menschen von Natur ist. Zorn gehört zu den Werken des Fleisches (Gal 5,20). Wir müssen uns nicht wundern, wenn ungläubige Menschen zornig sind. Im Herzen der Gläubigen steckt ebenfalls die Neigung, zornig zu werden. Wir haben die alte Natur noch in uns. Deshalb fordert Paulus uns auf: „Jetzt aber legt auch ihr das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden aus eurem Mund“ (Kol 3,8). Diese Warnung gilt uns Gläubigen. Wenn wir nicht aufpassen, zeigen sich diese negativen Eigenschaften des alten Menschen auch bei uns. Jakobus schreibt: „Eines Mannes Zorn wirkt nicht Gottes Gerechtigkeit“ (Jak 1,20). Das sehen wir hier ganz deutlich.

Es gibt natürlich Situationen, wo Zorn angemessen ist. Der Herr Jesus war selbst einmal zornig (Mk 3,5). Es wird allerdings hinzugefügt, dass Er zugleich betrübt war über die Verstockung der Herzen. Paulus fordert uns zum Zorn auf (Eph 4,26). Das ist heiliger Zorn2, während der Zorn Jonas unheilig und fleischlich und unbeherrscht war. Jona selbst hatte göttliche Gnade und Barmherzigkeit erlebt und erwartete nun, dass Gott mit den Niniviten auf dem Boden der Gerechtigkeit handelte. Der Himmel freute sich über die Buße der Menschen, und Jona ärgerte sich.

Man könnte sich die Frage stellen, warum Jona so zornig wurde. Jona muss es ein Dorn im Auge gewesen sein, dass gerade den erklärten Feinden Israels Gnade gebracht werden sollte. Er wünschte ihnen – im eigenen nationalen Interesse – das Gericht. Wenn Gott die Assyrer schlug, konnte Israel nicht von den Assyrern geschlagen werden, die eine latente militärische Bedrohung für Israel darstellten. Das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass sich Jona den heidnischen Seeleuten gegenüber freundlich zeigte. Jona dokumentiert in Kapitel 4 jedenfalls eine sehr egoistische Haltung, vor der wir uns warnen lassen wollen.

Jona betet

Jona behält seinen Zorn nicht für sich, sondern er breitet ihn vor Gott aus. Es ist schon schlimm genug, eine ungute Herzenshaltung zu haben. Es ist schlimmer, sie anderen zu zeigen, und es geht noch einen Schritt weiter, Gott damit im Gebet zu konfrontieren. Natürlich sollen wir unsere Empfindungen und Fragen vor Gott ausbreiten (Phil 4,6), doch Jona klagt Gott an und äußert abschließend eine törichte Bitte.

Jona betet hier zum zweiten Mal. Wir haben schon bemerkt, dass er in entscheidenden Momenten gar nicht gebetet hat. Doch nun öffnet er seinen Mund. Es ist offenkundig, dass dieses Gebet völlig anders ist als das Gebet in Kapitel 2:

  1. Der Adressat des Gebets: In Kapitel 2,2 ist es der „HERR, sein Gott“. Hier ist es nur der „HERR“, zu dem er betet. Als HERR steht Er in Verbindung zu seinem Volk Israel. Das erkennt Jona – zumindest äußerlich – an. Als „Gott“ (Elohim) kümmert Er sich um seine Geschöpfe, und dass passt Jona nicht.
  2. Der Charakter des Gebets: Das Gebet in Kapitel 2 ist ein Not- und Dankgebet, durch das Gott verherrlicht wurde. Hier ist es ein anklagendes und haderndes Gebet.
  3. Der Inhalt des Gebets: In Kapitel 2 schüttet Jona sein Herz vor Gott aus. Er spricht von seiner Not und der Rettung Gottes. Hier macht er Gott Vorwürfe und rechtfertigt sich selbst. Jona teilt Gott seine eigene Meinung und Sichtweise der Dinge mit, ohne nach dem Willen Gottes zu fragen.

Das Gebet des Gläubigen sollte der Ausdruck seiner Abhängigkeit von Gott und seiner Gemeinschaft mit Ihm sein. Davon war Jona weit entfernt. Sein Gebet ist nicht ein Gebet des Glaubens. C. Willis sagt zutreffend: „Nur Gnade konnte das noch ein Gebet nennen.“3

Eine Anklage gegen Gott

Beim Überdenken dessen, was Jona betet, gewinnt man fast den Eindruck, dass er Gott anklagen will und Ihm indirekt die Schuld dafür gibt, dass er Ihm am Anfang davongelaufen war. Das ist eine typisch menschliche Verhaltensweise, die wir zum ersten Mal bei Adam finden. Als die Sünde in die Welt kam und Gott Adam befragte, antwortete er: „Die Frau, die du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß“ (1. Mo 3,12). Anstatt begangene Fehler zuzugeben und zu bekennen, suchen wir gern nach Entschuldigungen, die das Schuldmaß reduzieren und die Tat erklären.

Jona hatte durchaus ein richtiges Gottesbild. Er sagt drei Dinge von Gott:

  • Erstens, dass Er gnädig und barmherzig ist.
  • Zweitens, dass Er langsam zum Zorn und groß an Güte ist.
  • Drittens, dass Er sich des Übels gereuen lässt.

Das alles ist völlig wahr. Es war das, was Gott selbst von sich gesagt hatte, als Er auf dem Berg zu Mose redete: „Und der

Herr ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit“ (2. Mo 34,6). In ähnlicher Form finden wir diese Aussage mehrfach im Alten Testament. Dennoch zog Jona aus seiner Kenntnis eine total falsche Schlussfolgerung. Er gleicht darin ein wenig den drei älteren Freunden Hiobs. Sie sagten viele richtige Dinge, allerdings taten sie es erstens im falschen Kontext, und zweitens zogen sie daraus die falschen Schlussfolgerungen. Jona muss innerlich ziemlich weit von Gott weg gewesen sein, denn hätte er Gott näher gestanden, würde er das niemals in einen solchen Zusammenhang gestellt haben. Obwohl er selbst ein Gegenstand der Güte und Barmherzigkeit Gottes gewesen war, blieb sein Wissen ein mehr oder weniger intellektuelles Wissen. W. Kelly schreibt: „Es ist ein armseliger Gewinn, eine gewisse Kenntnis Gottes zu erwerben, ohne dass sie zur gleichen Zeit eine tiefe moralische Wirkung auf die Seele hat.“4 Diese Wirkung fehlte bei Jona. „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“, sagt der Herr Jesus seinen Jüngern (Lk 6,36). Wer Gottes Barmherzigkeit kennt und erfahren hat, von dem darf auch Barmherzigkeit erwartet werden. Wie oft gleichen wir dagegen Jona – speziell im geschwisterlichen Miteinander.

Jonas Gebet beweist, dass Gott zwar seinen Eigenwillen gebrochen hatte – denn Jona hatte Gehorsam gelernt – dass sein Herz allerdings immer noch nicht wirklich erreicht war. Dass Jona am Anfang die mögliche Gnade Gottes für Ninive als Vorwand für seine Flucht nutzte, war für einen Knecht und Propheten Gottes sehr ungewöhnlich und traurig. Dass er dieses Argument allerdings jetzt an dieser Stelle nach dem Handeln Gottes in Gnade mit Ihm so offen ausspricht, erscheint uns fast unglaublich. Er hatte die Barmherzigkeit Gottes am eigenen Leib erfahren, und dennoch klagt er Gott in dieser Weise an. Das zeigt, was im menschlichen Herz steckt. Es scheint, als habe Jona nie nach den wirklichen Ursachen seines Fehlverhaltens gefragt und die Wurzel des Übels nie wirklich angepackt.

Statt sich über das göttliche Erbarmen zu freuen, ärgert er sich darüber. Hatte er denn als Israelit mehr Anspruch auf Gottes Gnade als ein Heide? Waren sein Nationalstolz und seine Fremdenfeindlichkeit berechtigt? Ganz sicher nicht. Als Prophet musste er wissen, was Gott selbst gesagt hatte: „Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der HERR sich euch zugeneigt und euch erwählt; denn ihr seid das geringste unter allen Völkern; sondern wegen der Liebe des HERRN zu euch und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen hat, hat der HERR euch mit starker Hand herausgeführt und dich erlöst aus dem Haus der Knechtschaft, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten“ (5. Mo 7,7.8). Es gab keinen Grund, geringschätzig auf andere Nationen herabzusehen.

Das Gebet Jonas ist von Egoismus und Stolz geprägt. J. N. Darby schreibt: „Die Gnade Gottes ist für den Stolz des Menschen unerträglich.“5 Etwa 10-mal spricht Jona in seinen kurzen Worten von sich selbst und gebraucht die Worte „ich, mein, mir“.

Jonas Einstellung und Worte gleichen der Einstellung und den Worten des älteren Sohnes in Lukas 15. Er gönnte seinem Bruder erstens die Vergebung des Vaters nicht und sprach zweitens im Wesentlichen über sich selbst (vgl. Lk 15,29).6 Beide sind in diesem Punkt ein Bild von Israel. Sie waren stolz auf die eigenen Vorrechte und wollten zugleich keine Gnade für andere. Jona pocht im Blick auf Ninive auf Gerechtigkeit und verweigert ihnen die Gnade, die er selbst bekommen hatte.

Wir wollen dankbar sein, dass wir die Worte des Herrn Jesus kennen: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn errettet werde“ (Joh 3,17). Das sollte unsere innere Einstellung zu den verlorenen Menschen prägen. Wir wollen uns von Herzen über jeden freuen, der die Gnade annimmt und Buße tut.

Jonas törichte Bitte

Jona schließt sein Gebet mit einer törichten Bitte. Seine Ehre als Prophet und Knecht Gottes stand auf dem Spiel, und da wollte er lieber sterben, als mit einer Niederlage in sein Land zurückkehren. Da Assyrien ein Feind Israels und eine Bedrohung für die nationale Sicherheit war, hätte sich in Israel ohne Frage wohl jeder gefreut, wenn das Gericht über Ninive gekommen wäre. Wir können sicher sein, dass die Zerstörung Ninives auf das Wort Jonas hin sein Ansehen in Israel noch einmal deutlich gesteigert hätte. Dieser Punkt mag in Jonas Gedanken durchaus eine gewisse Rolle gespielt haben. Jedenfalls meinte er, mit einer vermeintlichen Niederlage nicht leben zu können. Sein Stolz ließ das nicht zu. Er dachte an seine eigene Ehre und seinen eigenen Ruf, während ihm die Ehre Gottes und das Wohl der Menschen in Ninive egal waren.

Das egoistische und verengte Denken des Propheten führt ihn zuerst in eine Aggression. Doch aus der Aggression wird nun eine Depression. Er verzweifelt am Leben, obwohl er dazu keinen Grund hat. Jona ist nicht der einzige Diener Gottes, der diesen Wunsch äußerte. Mose war auch einmal an diesem Punkt, obwohl die Umstände ganz anders waren. Bei ihm war es ebenfalls die eigene Person, die im Weg stand. „Ich allein vermag dieses ganze Volk nicht zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Und wenn du so mit mir tust, so bring mich doch um, wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, damit ich mein Unglück nicht ansehe“ (4. Mo 11,14.15). Ein weiteres Beispiel ist Elia, der ebenfalls den Wunsch hatte, dass Gott seinem Leben ein Ende setzen sollte. Die Motive bei Elia waren ohne Frage wieder anders, doch letztlich ging es auch bei ihm darum, dass er sich selbst im Weg stand. Er glaubte erstens, dass sein Dienst nicht den gewünschten Erfolg gehabt hätte (ganz im Gegensatz zu Jona, dessen Dienst ein gewaltiges Ergebnis hatte), und zweitens, dass er allein übrig geblieben sei. Drittens kam hinzu, dass er Angst um sein Leben hatte (vgl. 1. Kön 19,10). Er verlor sein Vertrauen zu Gott und sah nur die Bedrohung durch seine Feinde. Dieser Punkt entfiel bei Jona. Bei ihm gab es keine Bedrohung für sein Leben. Er stand sich einzig und allein selbst im Weg. Es drehte sich alles nur um ihn selbst. Es gibt kaum ein größeres Übel als dies, dass wir selbst im Mittelpunkt unserer Gedanken stehen und sich alles um uns selbst dreht. Gerade im Dienst für den Herrn geht es gar nicht um uns, sondern um unseren Herrn und um diejenigen, an denen wir einen Dienst tun.7

Wie völlig anders als Jona war der Apostel Paulus. Er dachte nicht an sich selbst, sondern an das Wohl anderer und an die Ehre Gottes. Wenn es um das Evangelium ging, war er bereit, „alles zu ertragen“ (1. Kor 9,12). Sein Ziel war es, „von Gott bewährt“ gefunden zu werden und nicht „Menschen zu gefallen, sondern Gott“ (1. Thes 2,4). Er ging so weit, dass er bereit war, sogar sein „eigenes Leben mitzuteilen“ (1. Thes 2,8). Das war etwas völlig anderes als die törichte Bitte von Jona. Auch im Dienst an den Glaubenden finden wir diese Haltung bei Paulus. Er wollte für die Korinther alles verwenden und selbst „völlig verwendet werden“ (2. Kor 12,15).

Gottes Antwort

Die Antwort Gottes ist sanft. Er macht seinem Knecht keinen Vorwurf. Er lässt ihn nicht fallen. Er stellt „nur“ eine Frage. Er handelt mit Jona wie ein Vater mit seinem Kind, das sich in eine Sache verrannt hat und das er für sich gewinnen möchte. Wir staunen über die Langmut und Geduld Gottes mit Jona, die Er auch uns gegenüber so oft gezeigt hat. In seiner Antwort gibt Gott uns ein Beispiel für Seelsorge in seinem Sinn.

Gott fragt Jona: „Ist es recht, dass du zürnst?“ Wusste Gott die Antwort nicht? Natürlich wusste Er sie. Der Grund der Frage Gottes ist ein anderer. Mit seiner Frage wollte Er Jona zum Nachdenken über seine innere Haltung bringen.

Im Leben des Herrn Jesus stoßen wir immer wieder auf Situationen, wo Er Fragen gestellt hat. Im Gegensatz zu uns stellte Er nie eine Frage, weil Er die Antwort nicht wusste. Er wusste sie immer. Die Fragen des Herrn Jesus dienten vielmehr dazu, Herzen zu öffnen. Menschen sollten über sich selbst nachdenken und selbst zu den von Ihm gewünschten Erkenntnissen kommen.

Jonas Reaktion

Jona gibt keine Antwort auf die Frage Gottes. Sie lag auf der Hand, aber er wollte sie nicht geben. Er ist nicht nur egoistisch und stolz, sondern zusätzlich noch verbohrt und bockig. Er ist weit davon entfernt, seine Lektion gelernt zu haben. Gott zwingt ihn hier nicht zu antworten. Der Augenblick würde allerdings kommen, wo Jona Ihm eine Antwort geben musste.

Jona ist hier ein Prototyp seines eigenen Volkes: „Dieses Volk hat ein störriges und widerspenstiges Herz; sie sind abgewichen und weggegangen“ (Jer 5,23). Genau das tut Jona jetzt. Er geht in seinem Ärger und Zorn aus der Stadt hinaus. Es heißt nicht, dass er vor Gott flieht, aber doch, dass er hinausgeht. Was hatte er dort verloren? Er setzt sich nieder, baut sich eine Hütte, um etwas Schatten zu haben, und wartet darauf, was nun mit Ninive geschieht. Hatte er doch noch Hoffnung, dass Gott das Gericht bringen würde? Indem er die Stadt verlässt, deutet er an, dass er in seinem Inneren keinen Raum für göttliche Barmherzigkeit hatte. Er verlässt den Ort, wo die Menschen Buße taten und in großer Trauer waren. Als echter Prophet Gottes hätte er jetzt für die Menschen zu Gott beten können,8 doch wie schon auf dem Schiff finden wir kein Gebet Jonas für seine Mitmenschen. Er wartet einfach passiv ab.

Teil 2: Der Wunderbaum

Verse 6–8: Und Gott der HERR bestellte einen Wunderbaum und ließ ihn über Jona emporwachsen, damit Schatten über seinem Haupt wäre, um ihn von seinem Missmut zu befreien; und Jona freute sich über den Wunderbaum mit großer Freude. Aber am nächsten Tag beim Aufgang der Morgenröte bestellte Gott einen Wurm, und dieser stach den Wunderbaum, so dass er verdorrte. Und es geschah, als die Sonne aufging, da bestellte Gott einen schwülen Ostwind; und die Sonne stach Jona aufs Haupt, dass er ermattet niedersank. Und er bat, dass er sterben dürfe, und sprach: Es ist besser, dass ich sterbe, als dass ich lebe.

Gott kümmert sich um Jona – der Wunderbaum wächst

Gott hatte Erbarmen mit Ninive. Ebenso hatte Er Erbarmen mit seinem irrenden Knecht. Er kümmert sich weiter liebevoll um ihn und erteilt ihm nun eine zweite wichtige Lektion. Gott bestellt einen Wunderbaum und lässt ihn einen Tag später verdorren. Mit diesem praktischen Beispiel will Er Jona unterweisen. Zuerst musste Jona Gehorsam lernen, jetzt soll er Barmherzigkeit lernen.

„Gott, der HERR“ ist der Handelnde. Diese Formulierung muss uns auffallen. Es ist nicht einfach „Gott“ oder der „HERR“, sondern hier werden beide Namen Gottes zum einzigen Mal im Buch Jona miteinander verbunden.9 Im 1. Buch Mose – und speziell im Schöpfungsbericht – finden wir diese Bezeichnung Gottes häufig, sonst eher selten. Gott beschreibt damit seine besondere Beziehung zu Jona. Als „Gott“ (Elohim) ist Er der Ursprung der Schöpfung. Er ist der allmächtige, allwissende und allgegenwärtige Gott, dem nichts zu groß und nichts zu klein ist. „HERR“ (Jahwe) hat es mit seiner Beziehung zu Menschen zu tun – und später besonders zu seinem irdischen Volk Israel. W. Kelly schreibt dazu: „Wir könnten sagen, dass Er als Gott den Baum bestellte, aber als Gott, der HERR, bestellte Er ihn, um ein Schatten über seinem Kopf zu sein und ihn von seinem Kummer zu befreien.“10

Wieder „bestellt“ Gott etwas. Er greift in die Natur ein und sorgt für einen schnell wachsenden Baum, der Jona Schatten bietet. Gottes Mittel sind nicht auszuschöpfen. Zuerst war es der Sturm, dann der große Fisch; jetzt ist es ein Baum und wenig später ein Wurm und ein schwüler Ostwind. Wir lernen für uns, dass wir in allem, was Gott uns schickt – ob es angenehm ist oder unangenehm – seine liebende Hand erkennen. „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind“ (Röm 8,28). Wir verstehen das nicht immer, und wir fühlen das nicht immer, doch wir „wissen“ es. Das gilt auch für die Dinge, die Gott hier für Jona „bestellt“.

Der Baum wuchs schnell und gab Jona mehr Schatten als seine Hütte, die er selbst gebaut hatte. Es ist bemerkenswert, warum Gott ihm diese Wohltat gibt. Es wird ausdrücklich gesagt. Natürlich wusste Gott, dass am nächsten Tag der Wurm den Baum stechen würde, doch zunächst einmal ging es darum, dass Gott seinen Knecht von seinem Missmut befreien wollte. Gott wusste sehr genau, was im Innern Jonas vor sich ging. Er tat ihm leid und wollte ihn von seiner Missstimmung befreien. Es geht also nicht vordergründig um Züchtigung im Sinn von Strafe, sondern um Erziehung. Wir sind – wie die Freunde Hiobs – schnell geneigt, an Züchtigung zu denken, wenn jemand einen Fehler macht. Ohne Frage züchtigt Gott diejenigen, die Er liebt. Seine Art und Weise, mit seinen Kindern umzugehen, ist jedoch nie uniform und stets von Weisheit geprägt. Gott weiß genau, wie Er in bestimmten Situationen mit uns umgehen muss und welche Mittel Er anwenden muss.

Es ist müßig, lange Überlegungen darüber anzustellen, um welch einen Baum es sich in der Geschichte Jonas handelte. Was für den Fisch gilt, gilt für den Baum. Gott bestellte beide. Gott gibt uns keine weiteren Details. Das für „Baum“ benutzte Wort kommt in der Bibel nur an dieser Stelle vor und ist mit „Wunderbaum“ übersetzt worden. Es gab damals in der Gegend von Ninive sehr schnell wachsende Bäume. Deshalb liegt der Gedanke nahe, dass es sich um einen solchen Baum handelte. Man nennt sie „Kikajon“. Man hat auch an eine Art Rizinusbaum gedacht. Diese Rizinusbäume wuchsen in der Tat sehr schnell und konnten in kurzer Zeit eine Höhe von mehreren Metern erreichen. Dennoch bleibt es ein Wunder Gottes, dass dieser Baum so übernatürlich schnell gewachsen ist.

Jonas Freude

Zum einzigen Mal ist im Buch Jona von Freude die Rede. Jona freut sich über den Baum „mit großer Freude“. Jonas Egoismus bleibt. Seine Freude ist eine Ich-bezogene Freude. Vorher im Zorn und jetzt in seiner großen Freude – Jona denkt nur an sich! Er hätte besser daran getan, sich mit Gott über die Rettung der vielen Menschen zu freuen. Wenn im Himmel Freude ist über einen Sünder, der Buße tut (Lk 15,7), wieviel mehr dann, wenn eine Millionenstadt sich vor Gott demütigt. Der ältere Sohn in Lukas 15 war unfähig, die Freude seines Vaters zu teilen. Er wollte mit seinen Freunden fröhlich sein (Lk 15,29). Jona hatte keine Freunde, doch er freut sich an dem, was ihm zum Nutzen ist. Allerdings lesen wir nichts davon, dass er dankbar zu dem aufschaut, der ihm diesen Baum geschenkt hatte. Jonas Freude ist von den Umständen und dem momentanen Geschenk Gottes abhängig. Wenn wir an uns denken, wollen wir lernen, unsere Freude nicht zu sehr von momentanen Umständen abhängig zu machen, weil diese Freude oft so schnell verschwindet, wie sie gekommen ist. Die Freude von Paulus im Gefängnis von Philippi war ganz anderer Art. Seine Umstände waren misslich, dennoch freute er sich. Es war eine Freude „im Herrn“ und nicht „in den Umständen“. Freude in den Umständen ist wechselhaft. Freude im Herrn ist dauerhaft.

Gott kümmert sich weiter um Jona – der Baum verdorrt

Der nächste Morgen bricht an. Doch beim Aufgang der Morgenröte bestellt Gott einen Wurm, der den Baum sticht, so dass er verdorrt. Doch damit nicht genug: Wenig später – beim Aufgang der Sonne – bestellt Gott einen schwülen Ostwind. Die Sonne brennt heiß, die Luftfeuchtigkeit ist hoch und Jona sinkt ermattet nieder. Ziel des Ganzen war es, Jona aus dem Kreislauf seines ichbezogenen Denkens herauszubringen.

Der Baum war groß und bot Schatten. Der Wurm war klein und unscheinbar und zerstörte doch den Baum. Der Wind war unsichtbar, aber dennoch deutlich spürbar. Alles stand dem Schöpfer zur Verfügung und hörte auf sein Wort. Alles diente der Erfüllung von Gottes Plan und Willen. Ob groß oder klein – Gott benutzt alles so, wie Er es will. Derselbe Gott, der den Baum zum Segen schickte, bestellt nun den Wurm zur Züchtigung.

Wir wissen nicht, um was für einen Wurm es sich gehandelt hat. Auch hier sind verschiedene Vermutungen geäußert worden. Es gibt in der Region Würmer, die vorzugsweise Rizinusbäume befallen und auch speziell nachtaktiv sind. Würmer werden in der Bibel zum ersten Mal in der Geschichte Israels erwähnt, wo sie das Man verdarben, wenn es zu lange liegen blieb (2. Mo 16,20). Ähnlich wie hier benutzte Gott sie zur Korrektur der Seinen.

Während Jona die Folgen des Wurms allein zu spüren bekommt, leiden die Bewohner Ninives mit ihm unter dem schwülen Ostwind. Im Osten und Südosten der Stadt lag die Wüste, und von dort kam der schwüle Wind. Die Mischung aus heißer Sonne und hoher Luftfeuchtigkeit muss das Leben an diesem Tag unerträglich gemacht haben. Es ist darüber hinaus nicht auszuschließen, dass der Wind zusätzlich feine Sandpartikel aus der Wüste mit sich brachte. Wie schon in Kapitel 1 sehen wir, dass die Menschen in der Stadt durch das Fehlverhalten Jonas in eine unangenehme Situation kommen. Jona scheint das in diesem Moment unberührt zu lassen.

Jonas neue Reaktion

Jona erlebt ein Wechselbad der Empfindungen. Sein Gefühlsthermometer geht auf und ab. Zuerst ist er aggressiv, dann wird er depressiv. Dann freut er sich, und jetzt liegt er wieder völlig am Boden. Er hat nur den einen Wunsch zu sterben. So geht es einem Menschen Gottes, wenn er sich ausschließlich von den Umständen leiten und beeinflussen lässt. Dann werden wir im wahrsten Sinn des Wortes launisch. Wenn es uns gut geht, sind wir fröhlich und zufrieden. Wenn uns etwas quer kommt, wehren wir uns oder – wenn das nicht hilft – sind niedergeschlagen, traurig und empfindlich.

Teil 3: Das Schlusswort Gottes

Verse 9–11: Und Gott sprach zu Jona: Ist es recht, dass du wegen des Wunderbaumes zürnst? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis zum Tod! Und der HERR sprach: Du erbarmst dich über den Wunderbaum, um den du dich nicht gemüht und den du nicht großgezogen hast, der als Sohn einer Nacht entstand und als Sohn einer Nacht zugrunde ging; und ich sollte mich über Ninive, die große Stadt, nicht erbarmen, in der mehr als 120.000 Menschen sind, die nicht zu unterscheiden wissen zwischen ihrer Rechten und ihrer Linken, und eine Menge Vieh?

Gottes erneute Frage

In Vers 4 hatte Gott Jona gefragt: „Ist es recht, dass du zürnst?“ Jona war Ihm die Antwort schuldig geblieben. Jetzt fragt Gott zum zweiten Mal, ob sein Zorn berechtigt sei. Bei der ersten Frage Gottes ging es – wenn auch unausgesprochen – um Ninive. Jetzt fragt Gott noch einmal, ob Jonas Zorn berechtigt ist, und zwar geht es „nur“ um einen Baum bzw. einen Wurm. Was war dieser Baum im Vergleich zu den Millionen Menschen Ninives wert? – Aus diesem Vergleich sollte Jona eine Lektion lernen, die auch die Theologen zur Zeit unseres Herrn lernen mussten und die Er selbst in folgende Worte kleidet: „Geht aber hin und lernt, was das ist: Ich will Barmherzigkeit ...“ (Mt 9,13).

Jonas Antwort

Diesmal bleibt Jona die Antwort nicht schuldig. Er gleicht einem trotzigen Kind und versteigt sich in die Aussage, dass er mit Recht zürnt, und zwar bis zum Tod. Jona rechtfertigt seine innere Haltung. Er ist trotzig, bitter und völlig uneinsichtig. Vermutlich kannte er die Worte Hiobs und hätte besser danach gehandelt: „So habe ich denn beurteilt, was ich nicht verstand, Dinge, zu wunderbar für mich, die ich nicht kannte. Höre doch, und ich will reden; ich will dich fragen, und du belehre mich! Mit dem Gehör des Ohres hatte ich von dir gehört, aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche“ (Hiob 42,3–6). Auch die Worte Hannas werden Jona nicht unbekannt gewesen sein: „Häuft nicht Worte des Stolzes, noch gehe Freches aus eurem Mund hervor; denn ein Gott des Wissens ist der HERR, und von ihm werden die Handlungen gewogen“ (1. Sam 2,3). Was Jona antwortet, ist in der Tat vermessen, und wir staunen neu über Gottes Langmut. Es ist sehr gut möglich, dass wir Gottes Handlungen nicht verstehen, doch es steht uns Menschen niemals zu, Gott zu kritisieren und zornig über Ihn zu sein.

Gott hat das letzte Wort

Elihu sagt: „Dann macht er ihnen ihr Tun und ihre Übertretungen kund, dass sie sich trotzig gebärdeten“ (Hiob 36,9). Die Antwort Jonas ist das Letzte, was uns von ihm berichtet wird. „Ich bin verstummt, ich öffne meinen Mund nicht; denn du hast es getan“ (Ps 39,10). Nicht Jona hat das letzte Wort, sondern Gott. Gott kümmert sich weiter um Jona und züchtigt ihn nicht. Er hätte ihm schwere Vorwürfe machen können. Er hätte ihn einfach sitzen lassen und nicht weiter beachten können. Er tut es nicht. In seiner Liebe kümmert Er sich weiter um ihn und unterweist ihn.

Gott vergleicht das Erbarmen Jonas über einen Baum mit seinem Erbarmen über ein ganzes Volk. Er stellt Jona eine letzte Frage, die allerdings ohne direkte Antwort bleibt. Die große Stadt mit den vielen Leuten und besonders den Kindern, die noch nicht unter Verantwortung standen, war Jona egal. Der vergleichsweise wertlose Baum hingegen war ihm wichtig. Jona hatte für den Baum nichts geleistet. Dieser war ein Geschenk, das er gerne annahm und worüber er sich gefreut hatte. Aber das unendlich viel größere Geschenk der Gnade und Barmherzigkeit für Ninive lehnte er ab.

Jona fehlte das Verständnis für mindestens zwei Dinge:

  1. Das Verständnis dafür, dass Gott sich um seine Schöpfung kümmert. Menschen und Tiere sind ihm nicht gleichgültig. Ninive war eine große Stadt – das wird noch einmal wiederholt. Es gab eine große Anzahl von Kindern und eine Menge Vieh. Die erwachsenen Menschen waren verantwortlich für das Böse, das sie getan hatten. Die kleinen Kinder konnten noch nicht unterscheiden, was gut und böse war, sie waren dennoch ebenfalls mit einer sündigen Natur geboren. Die Tiere sind ein Teil der Schöpfung Gottes. Sie haben nie gesündigt, trotzdem leiden sie unter den Folgen der Sünde des Menschen. Die Schöpfung seufzt (Röm 8,22). Deshalb hat Gott Erbarmen mit ihr. „Gnädig und barmherzig ist der HERR, langsam zum Zorn und groß an Güte. Der HERR ist gut gegen alle, und seine Erbarmungen sind über alle seine Werke“ (Ps 145,8.9). „Alle seine Werke“ schließt die Tier- und Pflanzenwelt ein.
  2. Das Verständnis dafür, dass Gott gnädig und barmherzig ist und gerne vergibt: „Denn du, Herr, bist gut und zum Vergeben bereit und groß an Güte für alle, die dich anrufen“ (Ps 86,5). Im Propheten Jesaja lesen wir, dass unser Gott „reich an Vergebung“ ist (Jes 55,7). Jona hatte selbst diese Gnade erfahren, er wollte allerdings nicht wahrhaben, dass diese Gnade ebenso für andere da war.

Das Buch Jona schließt mit dem Erbarmen Gottes. Gott ist „reich an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe“ (Eph 2,4). In seiner Gerechtigkeit kündigt Gott Gericht an, während Er in seiner Liebe Menschen retten und sich über sie erbarmen will. Erbarmen und Barmherzigkeit haben mit Mitleid zu tun. Die Not und das Elend von uns Menschen erregt das Mitleid Gottes. Er hat „kein Gefallen am Tod des Gottlosen, sondern dass der Gottlose von seinem Weg umkehre und lebe“ (Hes 33,11). „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16). Gott ist ein Heiland-Gott, der will, „dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim 2,4). Seine Gnade ist in der

Person des Herrn Jesus erschienen, „Heil bringend für alle Menschen“ (Tit 2,11). Das sollte uns tief prägen, und das wollen wir aus dem Buch Jona lernen.

Jonas Einsicht

Das Buch schließt mit dem „Plädoyer“ Gottes. Dennoch bleibt die Frage: War Jona einsichtig? Wir können diese Frage nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Wir können es jedoch stark annehmen. Es gibt wenig Zweifel daran, dass Jona dieses Bibelbuch selbst geschrieben hat. Wenn er in seiner Trotzhaltung geblieben wäre – hätte Gott ihn wahrscheinlich nicht beauftragt, dieses Buch zu schreiben. Es ist ein Buch, das einerseits die Liebe und das Erbarmen Gottes in herrlichen Farben aufzeichnet und das andererseits das menschliche Herz eines Gläubigen in so dunklen Farben porträtiert. Deshalb gehen wir gerne davon aus, dass Gott mit Jona sein Ziel erreicht hat.

Fußnoten

  • 1 J. N. Voorhoeve: Das Buch Jona
  • 2 Wir sollten sehr vorsichtig mit dem Gedanken des „heiligen Zorns“ umgehen. Dass es ihn gibt, steht außer Frage. Aber Paulus warnt bei der Aufforderung zu zürnen gleichzeitig davor zu sündigen. Heiliger Zorn kann sehr schnell in eine fleischliche Erregung umschlagen und dann zu einer Sünde führen.
  • 3 C. Willis: Bei Gott ist Rettung
  • 4 W. Kelly: Lectures on the minor Prophets
  • 5 J. N. Darby: Betrachtung über den Propheten Jona (Synopsis)
  • 6 Der Bericht in Lukas 15 zeigt übrigens die gleichen Bemühungen des Vaters um seinen Sohn, die wir in Jona 4 in dem Bemühen Gottes um Jona erkennen. In Liebe und Zartheit bemüht er sich darum, seinen Sohn für sich zu gewinnen.
  • 7 Die einseitige Fokussierung auf sich selbst und das eigene Interesse ist im Übrigen eine der wesentlichen Ursachen für (nicht anlagebedingte) Depressionen und Burnout.
  • 8 Wir erinnern uns daran, dass ein Prophet jemand ist, der für einen anderen spricht. In der Regel reden Propheten im Auftrag Gottes zu Menschen, aber wir finden es auch umgekehrt, dass Propheten für Menschen zu Gott beten. Samuel ist ein Beispiel für beide Funktionen des Propheten. Er hatte im Auftrag Gottes ernst zu seinem irdischen Volk gesprochen. Als er Zeichen von Einsicht und Buße sah, lesen wir: „Und Samuel nahm ein Milchlamm und opferte es ganz als Brandopfer dem Herrn; und Samuel schrie zu dem Herrn für Israel, und der Herr erhörte ihn“ (1. Sam 7,9).
  • 9 Es ist ohnehin lehrreich, den Gebrauch der beiden Namen Gottes „Herr“ und „Gott“ (Elohim) im Buch Jona zu verfolgen. Der interessierte Leser sei an den Kommentar von W. W. Fereday verwiesen, der zu diesem Punkt ausführlich schreibt (vgl. W. W. Fereday: Das Buch Jona: S. 34–37).
  • 10 W. Kelly: Lectures on the minor Prophets
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