Kapitel 9

„Und am vierundzwanzigsten Tag dieses Monats versammelten sich die Kinder Israel unter Fasten und in Sacktuch gekleidet und mit Erde auf ihren Häuptern. Und die Nachkommen Israels sonderten sich ab von allen Kindern der Fremde; und sie traten hin und bekannten ihre Sünden und die Ungerechtigkeiten ihrer Väter“ (9,1–2).

Das Laubhüttenfest wurde gefeiert, und es hatte eine „sehr große Freude“ gegeben. Der letzte Tag – der achte – fiel auf den 23. des Monats. Daher beginnt Kapitel 9 mit dem darauffolgenden Tag. Unter der erforschenden Kraft des Wortes des Gesetzes hatte das Volk gewehklagt, doch ihm war gesagt worden: „Dieser Tag ist dem HERRN, eurem Gott heilig; seid nicht traurig und weint nicht!“ (8,9). Jetzt jedoch, wo die Festtage abgelaufen waren, war die Zeit gekommen, ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen- jener gottgemäßen Trauer, die Buße hervorbringt – und so versammelten sich die Kinder Israels am 24. Tag des Monats „unter Fasten und in Sacktuch gekleidet und mit Erde auf ihren Häuptern“. Die Öffnung Wortes Gottes hatte dem Volk Licht gegeben und ihm den Charakter seiner früheren Wege offenbart. Es hatte sogar seine verborgenen Sünden in das Licht des Angesichts Gottes gestellt. Ergriffen im Herzen und im Gewissen wegen seiner Übertretung war das Volk mit allen äußerlichen Zeichen der Buße und der Demütigung versammelt. Gesegnete Wirkung des Wortes Gottes, und der Anfang aller wahren Wiederherstellung und Segnung!

Die Aufrichtigkeit der Trauer über ihre Sünden zeigte sich in ihren Handlungen: „Und die Nachkommen Israels sonderten sich ab von allen Kindern der Fremde.“ Für die Einführung des Wortes „Nachkommen“ [oder „Same“] an dieser Stelle gibt es einen Grund. Es soll zeigen, dass sie ein heiliges, zu Gott abgesondertes Volk waren, Nachkommen Seines Volkes Israel, das für Ihn selbst auf der Grundlage des Blutes des Passahlammes erlöst worden war. Daher waren sie der „heilige Same“ (Esra 9,2; vgl. 1. Joh 3,9), und als solcher mussten sie ihren heiligen Charakter aufrechterhalten. Die Verschwägerung mit Fremden war daher eine Verleugnung der Stellung, in die sie gebracht waren, sowie das Abbrechen der Grenzen, die Gott selbst zwischen ihnen und anderen Völkern aufgerichtet hatte. Dies empfanden sie nun, und dementsprechend „sonderten [sie] sich ab von allen Kindern der Fremde“. Zweifellos war das aus Sicht der Menschen Engstirnigkeit, wodurch sie sich den Vorwurf der Lieblosigkeit einhandelten. Doch was machte dies, solange sie in Übereinstimmung mit Gott handelten? Wenn Gott die Füße seines Volkes auf einen engen Pfad stellt, ist es ihre Aufgabe, darauf zu bleiben, wenn sie auf dem Weg des Segens gehen wollen.

Als nächstes traten sie hin „und bekannten ihre Sünden und die Ungerechtigkeiten ihrer Väter“. Man beachte, dass Absonderung dem Bekenntnis vorausging. Nachdem ihnen durch das Wort gezeigt worden war, dass sie gesündigt hatten, indem sie sich mit Fremden verbunden hatten, handelten sie entsprechend dem, was sie einsahen, und bekannten dann ihre Schuld vor Gott. Dies ist immer die Reihenfolge Gottes. In dem Moment, in dem wir erkennen, dass das Wort Gottes etwas verurteilt, was wir gebilligt oder womit wir uns verbunden haben, gebührt es sich, dass wir es abweisen oder uns davon absondern. Keine Umstände können in einem solchen Fall eine Verzögerung rechtfertigen. Wir sollten es dem Psalmisten gleichtun, der schreibt: „Ich eile und säume nicht, deine Gebote zu halten“ (Ps 119,60). Unsere Sünden zu bekennen, während wir daran festhalten, ist nichts als Spott.

Sie bekannten auch die Ungerechtigkeiten ihrer Väter, und sie taten dies, weil die Hand des HERRN in genau dieser Hinsicht über ihnen war. Es waren die Sünden ihrer Väter, aufgrund derer sie die Gefangenschaft in Babylon erlitten hatten und jetzt unter einem heidnischen Monarchen gebunden waren, obgleich sie durch die zärtliche Barmherzigkeit Gottes in ihr eigenes Land zurückgeführt worden waren. Daher gingen sie zurück zu der Wurzel all des Bösen und bekannten vor Gott die Sünden ihrer Väter genauso wie ihre eigenen. Ihre Demütigung war daher an diesem Tag kein bloßes äußerliches Werk, sondern indem sie vor dem HERRN in dem Licht seiner Gegenwart standen, wünschten sie, alle Sünden und die Ungerechtigkeit aufzudecken, aufgrund derer sie Züchtigung erlitten hatten.

In Vers 3 finden wir die Einzelheiten ihres Tuns in dieser ernsten Versammlung:

„Und sie standen auf an ihrer Stelle und lasen im Buch des Gesetzes des HERRN, ihres Gottes, ein Viertel des Tages. Und ein anderes Viertel des Tages bekannten sie ihre Sünden und warfen sich nieder vor dem HERRN, ihrem Gott“ (9,3).

Der jüdische Tag bestand aus vier Perioden von jeweils drei Stunden, anfangend um sechs Uhr morgens. Demnach lasen sie drei Stunden lang die Schriften und bekannten und anbeteten weitere drei Stunden lang. Welcher segensvolleren Beschäftigung hätten sie sich widmen können? Sicherlich waren sie in dieser Sache göttlich unterwiesen und geleitet; und wird uns nicht aus der bloßen Tatsache, dass dies aufgezeichnet wurde, der wahre Weg der Erweckung und Wiederherstellung in Zeiten des Niedergangs oder des Abfalls gezeigt? Würde doch das Volk Gottes sich überall in gleicher Weise zu versammeln wissen, indem es Gnade sucht, sich selbst von aller ihm bekannten Ungerechtigkeit abzusondern, seine Sünden zu bekennen, das Wort für Licht und Führung zu suchen und sich vor Gott zu demütigen! Beschuldigungen der Kaltherzigkeit und Gleichgültigkeit, der Unempfindlichkeit gegenüber unserem wahren Zustand werden an jeder Ecke gehört. Und damit einhergehend sind durch die Macht Satans Anzeichen zahlreicher Ungerechtigkeiten überall sichtbar. Doch lasst uns dann in dem Beispiel dieser Kinder der Gefangenschaft die göttliche Abhilfe sehen, den wahren Weg einer echten Wiederbelebung.

Es mag an einigen Orten nicht mehr als zwei oder drei geben, die das gegenwärtige Böse empfinden – doch lass diese zwei oder drei sich zusammenfinden, um sich und alle anderen durch das Wort zu prüfen und ihre Sünden und die Sünden ihrer Väter und Brüder zu bekennen, so würden sie sich bald über Gottes Eingreifen und seine Befreiung freuen. Unser Mangel an Kraft ist in dieser Hinsicht nichts als ein Beweis der Größe unseres Versagens. Selbst wenn wir auch nur unsere Kraftlosigkeit im Gebet bekennen würden, so wäre dies ein hoffnungsvoller Anfang in so manch einer Versammlung. Möge der Herr das Gewissen seines geliebten Volkes aufrütteln, und möge Er dafür sorgen, dass bald an vielen Orten gesehen werden kann, wie sich die Heiligen in wahrer Reue des Herzens und zitternd vor dem Wort Gottes versammeln, um sich zu demütigen und vor Ihm zu bekennen.

„Und Jeschua und Bani, Kadmiel, Schebanja, Bunni, Scherebja, Bani, Kenani traten auf die Erhöhung der Leviten, und sie schrien mit lauter Stimme zu dem HERRN, ihrem Gott. Und die Leviten Jeschua und Kadmiel, Bani, Haschabneja, Scherebja, Hodija, Schebanja, Petachja sprachen: Steht auf, preist den HERRN, euren Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und man preise deinen herrlichen Namen, der erhaben ist über allen Preis und Ruhm! Du bist, der da ist, HERR, du allein; du hast die Himmel gemacht, der Himmel Himmel und all ihr Heer, die Erde und alles, was darauf ist, die Meere und alles, was in ihnen ist. Und du machst dies alles lebendig, und das Heer des Himmels betet dich an. Du bist es, HERR, Gott, der du Abram erwählt und ihn aus Ur in Chaldäa herausgeführt und ihm den Namen Abraham gegeben hast. Und du hast sein Herz für treu vor dir befunden und hast mit ihm den Bund geschlossen, das Land der Kanaaniter, der Hethiter, der Amoriter und der Perisiter und der Jebusiter und der Girgasiter zu geben – es seinen Nachkommen zu geben; und du hast deine Worte erfüllt, denn du bist gerecht“ (9,4–8).

Der Rest des Kapitels (Verse 4–38) beschreibt das Bekenntnis oder zumindest einen Teil dessen, das seitens des Volkes abgelegt wurde. Zunächst traten Jeschua, Bani, usw. „auf die Erhöhung der Leviten und sie schrien mit lauter Stimme zu dem HERRN, ihrem Gott“. Dann sprachen die Leviten, Jeschua und Kadmiel, usw.: „Steht auf, preist den HERRN, euren Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Dann wandten sie sich vom Volk zu Gott und begannen mit Lobpreis und Bekenntnis. Der Leser wird bemerken, dass dieses Ausschütten ihrer Herzen vor Gott eine Aufzählung der Wege der Gnade Gottes mit seinem Volk ist, verbunden mit dem Bekenntnis ihrer eigenen andauernden Sünde und Herzenshärte. Seitens Gottes hatte es nichts als Gnade, Barmherzigkeit und Langmut gegeben, und auf ihrer eigenen Seite nichts als sündige Undankbarkeit und Rebellion. Und so rechtfertigten sie Ihn und verurteilten sich selbst – ein sicheres Merkmal eines Werkes der Gnade zur Buße, ob in den Herzen von Heiligen oder Sündern. Es wird belehrend sein, dieses bemerkenswerte Gebet zu untersuchen.

Zunächst loben und preisen sie den herrlichen Namen ihres Gottes und erkennen gleichzeitig an, dass Er über alles hoch erhaben und der absolut souveräne Gott ist (V.5). Als nächstes beten sie ihn als Schöpfer an, wobei sie nicht bloß anerkennen, dass Gott der Urheber der Schöpfung ist, sondern dass der HERR (JEHOVAH) der SCHÖPFER war. „Du bist, der da ist, HERR, du allein, du hast die Himmel gemacht.“ Dieser Unterschied ist wichtig. Es gibt viele, die zum Beispiel einräumen, dass Gott der Schöpfer war, jedoch zögern, von Herrn Jesus Christus zu bezeugen: „Alles wurde durch Ihn, und ohne Ihn wurde auch nicht eines, das geworden ist“. Der natürliche Mensch mag ersteres anerkennen, doch nur ein wahrer Gläubiger könnte letzteres anerkennen.

Dann fahren sie fort mit Gottes gnädigem Handeln in der Berufung Abrahams, wie Er „den Bund mit ihm geschlossen [hat], das Land der Kanaaniter ... zu geben“, und sie fügen hinzu: „Und du hast deine Worte erfüllt, denn du bist gerecht.“ Was für einen Ruheort hatten sie für ihre Seelen in ebendieser Treue und Gerechtigkeit ihres Gottes gefunden! Sie hatten gelernt, dass auch wenn sie selbst nicht glaubten: „Er bleibt treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen“ (2. Tim 2,13). Petrus preist in seinem zweiten Brief dieselbe Tatsache, indem er denen schreibt, „die einen gleich kostbaren Glauben mit uns empfangen haben durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Heilandes Jesus Christus“ (2. Pet 1,1). Es gibt nichts, was ein Sünder mehr fürchtet als die Gerechtigkeit Gottes. Doch für den Heiligen ist sie die unveränderbare Grundlage, auf der seine Seele in völligem Frieden ruht, jetzt, da durch den Tod und die Auferstehung Christi die Gnade durch Gerechtigkeit regiert. So kann er auch in der Treue Gottes frohlocken, indem er weiß, dass Er das auch halten wird, was Er versprochen hat. Diese Aussage - „Und du hast deine Worte erfüllt, denn du bist gerecht“ – ist daher von größter Bedeutung (vgl. 5. Mo 26,3).

„Und du hast das Elend unserer Väter in Ägypten angesehen und hast ihr Schreien am Schilfmeer gehört. Und du hast Zeichen und Wunder getan an dem Pharao und an allen seinen Knechten und an allem Volk seines Landes; denn du wusstest, dass sie in Übermut gegen sie gehandelt hatten; und du hast dir einen Namen gemacht, wie es an diesem Tag ist. Und das Meer hast du vor ihnen gespalten, und sie zogen mitten durch das Meer auf dem Trockenen; aber ihre Verfolger hast du in die Tiefen gestürzt, wie einen Stein in mächtige Wasser. Und in einer Wolkensäule hast du sie geleitet bei Tag, und in einer Feuersäule bei Nacht, um ihnen den Weg zu erleuchten, auf dem sie ziehen sollten. Und auf den Berg Sinai bist du herabgestiegen und hast vom Himmel her mit ihnen geredet; und du hast ihnen gerade Rechte und Gesetze der Wahrheit, gute Satzungen und Gebote gegeben. Und deinen heiligen Sabbat hast du ihnen kundgetan und hast ihnen Gebote und Satzungen und ein Gesetz geboten durch Mose, deinen Knecht. Und Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben für ihren Hunger, und Wasser aus dem Felsen ihnen hervorgebracht für ihren Durst; und du hast ihnen gesagt, dass sie hineinziehen sollten, um das Land in Besitz zu nehmen, das du ihnen zu geben geschworen hattest“ (9,9–15).

Als nächstes greifen sie das Thema der Erlösung auf. Man beachte, wie es auf das Herz Gottes zurückgeführt wird. Denn wo fangen sie an? „Und du hast das Elend unserer Väter in Ägypten angesehen und hast ihr Schreien am Schilfmeer gehört.“ Dies sind fast genau die Worte, die Gott selbst benutzte, als Er Mose das erste Mal berief. „Gesehen habe ich das Elend meines Volkes, das in Ägypten ist“ (2. Mo 3,7). Sie erreichten somit die Quelle, aus der die segensvollen Gnadenströme geflossen waren. Nachdem sie hinzufügen, „und hast ihr Schreien am Schilfmeer gehört“ – ein weiteres Merkmal des Herzens Gottes –, fahren sie damit fort, von seiner wunderbaren Macht im Gericht über den „Pharao und an allen seinen Knechten und an allem Volk seines Landes“ zu erzählen, „denn du wusstest, dass sie in Übermut gegen sie gehandelt hatten; und du hast dir einen Namen gemacht, wie es an diesem Tag ist“. Dann sprechen sie von der Durchquerung des Roten Meeres, als Gott ihre Verfolger „in die Tiefen“ stürzte „wie einen Stein in mächtige Wasser“. Sie erinnern sich also an ihre machtvolle Erlösung aus dem Land Ägypten. Dann sprechen sie von der Wolkensäule und der Feuersäule, mit denen der HERR sie durch die Wüste geführt hatte, denn wahrhaftig hatte Er, der sein Volk aus der Hand des Pharaos erlöst hatte, es durch seine Gnade geleitet und es durch seine Stärke geführt zu seiner heiligen Wohnung (siehe 2. Mo 15,13).

Als nächstes bringen sie vor den Herrn sein Herabkommen auf den Berg Sinai, die Gabe des Gesetzes, des heiligen Sabbats, die Gebote und Satzungen und das durch Mose gebotene Gesetz. Weiter erinnern sie sich an das Brot vom Himmel, das Er ihnen für ihren Hunger gegeben hatte, an das Wasser, das Er aus dem Felsen hervorgebracht hatte für ihren Durst, und an das Land, das Er ihnen zum Besitz verheißen hatte.

„Aber sie, nämlich unsere Väter, waren übermütig, und sie verhärteten ihren Nacken und hörten nicht auf deine Gebote. Und sie weigerten sich zu gehorchen und erinnerten sich nicht an deine Wunder, die du an ihnen getan hattest; sie verhärteten ihren Nacken und setzten sich in ihrer Widerspenstigkeit ein Haupt, um zu ihrer Knechtschaft zurückzukehren. Du aber bist ein Gott der Vergebung, gnädig und barmherzig, langsam zum Zorn und groß an Güte, und du verließest sie nicht. Sogar als sie sich ein gegossenes Kalb machten und sprachen: Das ist dein Gott, der dich aus Ägypten heraufgeführt hat!, und große Schmähungen verübten, verließest du in deinen großen Erbarmungen sie doch nicht in der Wüste. Die Wolkensäule wich nicht von ihnen bei Tag, um sie auf dem Weg zu leiten, noch die Feuersäule bei Nacht, um ihnen den Weg zu erleuchten, auf dem sie ziehen sollten. Und du gabst ihnen deinen guten Geist, um sie zu unterweisen; und dein Manna versagtest du nicht ihrem Mund, und du gabst ihnen Wasser für ihren Durst. Und vierzig Jahre lang versorgtest du sie in der Wüste, sie hatten keinen Mangel; ihre Kleider zerfielen nicht, und ihre Füße schwollen nicht.

Und du gabst ihnen Königreiche und Völker und teiltest sie ihnen nach Gegenden zu; und sie nahmen das Land Sihons in Besitz, sowohl das Land des Königs von Hesbon als auch das Land Ogs, des Königs von Basan. Und ihre Söhne mehrtest du wie die Sterne des Himmels; und du brachtest sie in das Land, von dem du ihren Vätern gesagt hattest, dass sie hineingehen sollten, um es in Besitz zu nehmen; und die Söhne kamen hinein und nahmen das Land in Besitz. Und du beugtest vor ihnen die Bewohner des Landes, die Kanaaniter, und gabst sie in ihre Hand, sowohl ihre Könige als auch die Völker des Landes, um mit ihnen zu tun nach ihrem Wohlgefallen. Und sie nahmen feste Städte ein und ein fettes Land und nahmen Häuser in Besitz, die mit allerlei Gut gefüllt waren, ausgehauene Brunnen, Weinberge und Olivengärten und Obstbäume in Menge. Und sie aßen und wurden satt und fett und ließen es sich wohl sein durch deine große Güte“ (9,16–25).

Bis hierher ist dies eine Geschichte der Gnade – eines gebenden Gottes. Er hatte Abraham auserwählt, sein Volk erlöst, es geführt, zu ihm gesprochen und es erhalten. Alles war aus dem Herzen Gottes gegeben worden – in seiner reinen und souveränen Gnade. Als nächstes wenden sie sich ihrer Seite des Bildes zu. Und was für ein Kontrast, wie es immer der Fall ist, wenn das Herz des Menschen direkt neben das Herz Gottes gestellt wird! Was mussten sie dann über sich selbst angesichts all der Gnade und Barmherzigkeit sagen? Nicht eine einzige gute Sache, denn sie sagen: „Aber sie, nämlich unsere Väter, waren übermütig, und sie verhärteten ihren Nacken.“ Kurzum, sie bekannten Stolz, Widerspenstigkeit, willentlichen Ungehorsam, das Vergessen der Offenbarung der Macht Gottes in ihrer Mitte und Abfall. Auf Gottes Seite hatte es Gnade, Langmut und zärtliche Fürsorge gegeben – und auf ihrer Seite Undankbarkeit und nahezu jede Form des Bösen und des Verfalls.

Und doch haben sie noch mehr zu sagen über die unerschöpfliche Güte des Gottes, der sie erlöst, sie auf Adlers Schwingen getragen und sie zu sich selbst gebracht hatte. „Du aber“, sprechen sie, „bist ein Gott der Vergebung, gnädig und barmherzig, langsam zum Zorn und groß an Güte, und du verließest sie nicht“. Und mehr noch, sie müssen – die Gnade Gottes erhebend – bekennen, dass, obwohl ihre Väter sich ein goldenes Kalb als Gott gemacht hatten, dem sie sogar ihre Befreiung aus Ägypten zuschrieben, „und große Schmähungen verübten, verließest du in deinen großen Erwärmungen sie doch nicht in der Wüste“. Nein, Gott hatte sie noch immer bei Tag mit der Wolkensäule und bei Nacht mit der Feuersäule geführt. Er gab ihnen seinen guten Geist, versagte ihnen nicht sein Manna, noch das Wasser aus dem Felsen – sondern versorgte sie vierzig Jahre lang in der Wüste, sodass sie keinen Mangel hatten: „Ihre Kleider zerfielen nicht, und ihre Füße schwollen nicht.“ Darüber hinaus besiegte Er Königreiche vor ihnen, mehrte ihre Kinder, brachte sie in das Land, das Er ihren Vätern verheißen hatte, gab ihnen Siege über die ganze Macht des Feindes und befähigte sie, feste Städte und ein fettes Land einzunehmen, und Häuser in Besitz zu nehmen, „die mit allerlei Gut gefüllt waren, ausgehauene Brunnen, Weinberge und Olivengärten und Obstbäume in Menge. Und sie aßen und wurden satt und fett und ließen es sich wohl sein durch deine große Güte“.

Auf diese Weise rühmen sie die unwandelbare Güte ihres treuen Gottes und messen daran ihr eigenes Verhalten und das ihrer Väter. Denn welche Antwort gaben diese auf all diese Gnade?

„Aber sie wurden widerspenstig und empörten sich gegen dich und warfen dein Gesetz hinter ihren Rücken; und sie ermordeten deine Propheten, die gegen sie zeugten, um sie zu dir zurückzuführen; und sie verübten große Schmähungen“ (9,26).

Der Leser wird die Wiederholung dieses letzten Satzteils bemerken. „Sie verübten große Schmähungen“ - sowohl in der Wüste (9,18) als auch im Land.

Das war es, was Gott in dem Volk, das Er aus Ägypten erlöst hatte, als Antwort auf all seine geduldige Gnade und Güte gefunden hatte. Von jetzt an wird eine Veränderung in Gottes Handeln mit seinem Volk gekennzeichnet, denn als nächstes fahren sie damit fort, sein Gericht über das Volk vorzustellen, obgleich sie bekennen, dass Er immer bereit war, zu ihrer Hilfe und Befreiung einzugreifen:

„Da gabst du sie in die Hand ihrer Bedränger, und diese bedrängten sie; und zur Zeit ihrer Bedrängnis schrien sie zu dir, und du hörtest vom Himmel her und gabst ihnen Retter nach deinen großen Erbarmungen, und diese retteten sie aus der Hand ihrer Bedränger.

Aber sobald sie Ruhe hatten, taten sie wieder Böses vor dir. Da überließest du sie der Hand ihrer Feinde, dass diese über sie herrschten; und sie schrien wieder zu dir, und du hörtest vom Himmel her und errettetest sie nach deinen Erbarmungen viele Male. Und du zeugtest gegen sie, um sie zu deinem Gesetz zurückzuführen; sie aber waren übermütig und gehorchten deinen Geboten nicht, sondern sündigten gegen deine Rechte, durch die der Mensch, wenn er sie tut, leben wird; und sie zogen die Schulter widerspenstig zurück und verhärteten ihren Nacken und gehorchten nicht. Und du hattest viele Jahre Geduld mit ihnen und zeugtest gegen sie durch deinen Geist, durch deine Propheten, aber sie gaben kein Gehör. Da gabst du sie in die Hand der Völker der Länder“ (9,27–30).

Dem gnädigen Eingreifen als Antwort auf das Schreien seines Volkes wurden die ernsten Ermahnungen an das Volk gegenübergestellt ebenso wie die Langmut und Warnungen durch die Propheten, „sie aber waren übermütig und gehorchten deinen Geboten nicht ... sie zogen die Schulter widerspenstig zurück und verhärteten ihren Nacken und gehorchten nicht ... Da gabst du sie in die Hand der Völker der Länder“.

Dies waren die Gründe für ihren aktuellen Zustand, doch sie fügen zum Lob ihres Gottes hinzu:

„Aber in deinen großen Erbarmungen hast du ihnen nicht den Garaus gemacht und sie nicht verlassen; denn du bist ein gnädiger und barmherziger Gott“ (9,31).

Und wieder rufen wir aus: Was für eine Geschichte! Es ist, wie zuvor gesagt, die Enthüllung des Herzens Gottes und des Herzens des Menschen. Doch ach! Es ist die Enthüllung des Herzens des Menschen unter dem Handeln Gottes, als der Gegenstand souveräner Barmherzigkeit und Liebe. Der HERR hatte in all diesen Jahrhunderten Frucht von seinem Feigenbaum gesucht, und wie Sein Volk nun selbst bekannte, hat er keine gefunden. Und doch hatte Er sie mit unermüdlicher Gnade in seiner unendlich langmütigen Geduld getragen. Und die noch kommenden Zeiten werden noch mehr das Ausmaß seiner Barmherzigkeit gegenüber seinem geliebten Volk hervorbringen, wenn Er es trotz alledem, was es war und ist, und ungeachtet dessen, dass es durch seine Sünde und den Abfall alles verwirkt hatte, wieder in sein Land sammeln und es darin in der Vollkommenheit des Segens unter der Regierung des Messias erhalten wird. Das sind die Ratschlüsse seiner Gnade, die bereits in und durch den Tod Christi offengelegt wurden – Ratschlüsse, die Christus selbst in Macht vollenden wird, wenn Er in Herrlichkeit erscheint, um das Königreich seines Vaters David einzunehmen und sein Zepter vom Strom bis an die Enden der Erde reichen wird.

Nachdem sie die Geschichte der Wege Gottes mit ihnen seit der Berufung Abrahams durchgegangen waren, legen sie nun ihr Anliegen vor. In der Tat könnte man die Wiederholung der Vergangenheit als Grundlage für ihre besondere Bitte bezeichnen, denn sie haben sich auf den unveränderbaren Charakter ihres Gottes gestützt, als „barmherzig und gnädig“, nach der Offenbarung, die Er von sich selbst nach der Sünde des Goldenen Kalbs gegeben hatte (siehe 2. Mo 34,6). Sie hatten anerkannt, dass sie nichts als Gericht verdienten und hatten daher bekannt, dass sie keine andere Hoffnung hatten als in Gott selbst. So hatten sie eine unerschütterliche Grundlage gefunden, auf der sie ihr Anliegen bringen konnten – das Herz Gottes.

Und was war ihre Bitte?

„Und nun, unser Gott, du großer, starker und furchtbarer Gott, der den Bund und die Güte bewahrt, lass nicht gering vor dir sein all die Mühsal, die uns betroffen hat, unsere Könige, unsere Obersten und unsere Priester und unsere Propheten und unsere Väter und dein ganzes Volk, seit den Tagen der Könige von Assyrien bis auf diesen Tag!“ (9,32).

Das war ihr Gebet. Es war die Vorstellung ihres eigenen beklagenswerten Zustandes unter der züchtigenden Hand ihres Gottes, indem sie es – wie auch früher – Ihm überließen, mit ihnen nach seinem eigenen Wesen als ein „barmherziger und gnädiger Gott“ zu handeln, denn sie wussten, dass sie nichts als Gericht verdienten. Sie fahren fort:

„Doch du bist gerecht in allem, was über uns gekommen ist; denn du hast nach der Wahrheit gehandelt, wir aber haben gottlos gehandelt. Und unsere Könige, unsere Obersten, unsere Priester und unsere Väter haben dein Gesetz nicht gehalten und haben nicht geachtet auf deine Gebote und auf deine Zeugnisse, womit du gegen sie gezeugt hast. Und sie haben dir nicht gedient in ihrem Königreich und in der Fülle deiner Güter, die du ihnen gegeben, und in dem weiten und fetten Land, das du vor sie gelegt hattest, und sind nicht umgekehrt von ihren bösen Handlungen. Siehe, wir sind heute Knechte; und das Land, das du unseren Vätern gegeben hast, um seine Früchte und seine Güter zu genießen – siehe, wir sind Knechte darin! Und seinen Ertrag mehrt es für die Könige, die du um unserer Sünden willen über uns gesetzt hast; und sie herrschen über unsere Leiber und über unser Vieh nach ihrem Wohlgefallen, und wir sind in großer Bedrängnis“ (9,33–37).

Und erneut bekennen sie hier in ihrer völligen Demütigung vor Gott die Sünden ihrer Könige, ihrer Obersten, ihrer Priester und ihrer Väter. Sie gestehen ein, dass sie das Gesetz nicht gehalten, dass sie nicht auf seine Gebote und Zeugnisse geachtet hatten und dass sie Ihm sogar in dem Königreich, das Er ihnen ebenso wie das große fette Land gegeben hatte, weder gedient hatten noch von ihren bösen Handlungen umgekehrt waren. Weiter beschreiben sie ihren gegenwärtigen Zustand im Land; und es ist im Gegensatz zur Vergangenheit sicherlich ein berührendes Bild, das – gleichsam gezeichnet durch den Heiligen Geist – nicht verfehlen kann, eine Antwort im Herzen dessen hervorzurufen, dem es vorgestellt wurde. Sie sagen, dass sie Knechte sind. Anstatt die Früchte und die Güter des Landes zu genießen, das Gott ihren Vätern gegeben hatte, waren sie Knechte darin, und sein Ertrag ging an die Könige, die Gott wegen ihrer Sünden über sie gesetzt hatte. Diese herrschten über ihre Leiber und ihr Vieh „nach ihrem Wohlgefallen, und wir sind in großer Bedrängnis“.

Auf diese Weise schütteten diese Kinder der Gefangenschaft ihre Bedrängnis vor dem HERRN aus. Sie rechtfertigen Gott in all seinem Handeln mit ihnen und sie erheben seine Gnade, Barmherzigkeit und Langmut ihnen gegenüber. Auch nehmen sie den Platz echten Selbstgerichts ein, denn sie verteidigen Gott gegen sie selbst, wobei sie in keiner einzigen Sache ihr eigenes Verhalten beschönigen. Nein, Er war gerecht in allem, was über sie gekommen war: Er hatte recht gehandelt, und sie hatten böse gehandelt. Auf einem solchen Platz – einem Platz, der Sündern immer geziemt, und auch Heiligen, wenn sie gesündigt haben – und bei einer solchen Rechtfertigung Gottes war ihre einzige Zuflucht die Barmherzigkeit ihres Gottes. Das war es, worauf sie sich niederwarfen – und zwar uneingeschränkt – und immer und immer wieder zugaben, dass sie auf nichts einen Anspruch hatten außer in der Tat auf das, was Gott für sie war. Es wäre gut gewesen, wenn sie es dabei belassen hätten, doch sie gingen weiter und sagen:

„Und auf all dieses hin schließen und schreiben wir einen festen Bund. Und auf der untersiegelten Schrift stehen die Namen unserer Obersten, unserer Leviten und unserer Priester“ (10,1).

Die Frage des Bundes, den sie machten, gehört jedoch zum nächsten Kapitel, denn dort finden wir seine Bedingungen und was das Volk und seine Führer in feierlichem Ernst zu tun gelobten.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel