Nehemia 13,4‒31

Die Bestimmung der chronologischen Einordnung der Ereignisse dieses Kapitels ist nahezu unmöglich. Uns wird nur gesagt, dass Eljaschib sich „vorher“ mit Tobija verbunden hatte und eine große Vertrautheit mit ihm hatte. Zudem lesen wir, dass Nehemia während dieser Zeit nicht in Jerusalem war (V. 6). „Vorher“ meint wohl vor der Absonderung von dem Mischvolk (V. 3), sodass sich die Einweihung der Mauer vermutlich durch die Abwesenheit des Herrschers verzögert hatte. Wenn dies der Fall ist, dann fanden die hier beschriebenen Ereignisse vor den mit der Einweihung der Mauer verbundenen Diensten statt. Dies ist jedoch von geringer Bedeutung, denn wie bereits erwähnt, müssen wir nach der moralischen und nicht nach der historischen Reihenfolge schauen. Es ist nicht schwer, den Zusammenhang hier zu deuten, denn was war der Grund für Nehemias Reise nach Jerusalem? Die Mauern der Heiligen Stadt aufzubauen (Neh 3 und 6), und durch die gute Hand Gottes über ihm konnte er das Werk vollenden, zu dem er berufen worden war. Die Mauer war errichtet worden, und er und das Volk hatten das Ereignis mit großer Freude gefeiert. Unter dem Eindruck dieses Tages hatte das Volk das Haus Gottes in Ordnung gebracht und erkannt, dass es ein für den HERRN abgesondertes Volk war.

Und was finden wir als nächstes? VERSAGEN ‒ Versagen in allem, wozu das Volk sich verpflichtet hatte und woran es sich unter Fluch durch ein ernstliches Gelübde gebunden hatte (siehe Neh 10). Die Lektion des Auftrags Nehemias ist daher die Lektion jeder Haushaltung: Was auch immer Gott der menschlichen Verantwortung anvertraut, endet in Versagen. Ja, sogar mehr, denn wir sehen, dass das menschliche Versagen genau zum Zeitpunkt großer Segnung und Gnade Gottes zum Vorschein tritt. Adam zum Beispiel wurde ungehorsam, sobald er als Haupt und gesegneter Stellung eingesetzt worden war. Ebenso sündigte Noah, sobald er die erste Frucht seines Weingartens auf der neuen Erde einsammeln konnte. Israel fiel ab, bevor überhaupt die Gesetzestafeln das Lager erreichten. Und David lud kurz nach der Aufrichtung seines Königreiches Blutschuld auf sich. Auch in der Geschichte der Kirche ist es nicht anders. Am Ende von Apostelgeschichte 4 sehen wir die vollkommene Antwort auf das Gebet des Herrn, dass „sie alle eins seien“ (Joh 17,21), denn „die Menge derer aber, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Und dann, in Apostelgeschichte 5, finden wir die Sünde von Ananias und Saphira, und in Apostelgeschichte 6 das Murren einer Gruppe von Jüngern gegen die andere. Auch mit den Aufträgen Einzelner verhält es sich so. Man nehme zum Beispiel den Apostel Paulus. Lange bevor er seine Reise beendet hatte, sah er das äußerliche Versagen der Versammlung, indem „alle, die in Asien sind“, sich von ihm abgewandt hatten (2. Tim 1,15).

Diese Beispiele erklären die bedeutungsvolle moralische Einordnung der Erzählung Nehemias. Das Echo der Freude Jerusalems darüber, dass es wieder von seiner Mauer der Absonderung umgeben war (12,43), war kaum verklungen, als all das Böse, das das Volk bis hierhin geplagt hatten und der Grund für die lange Zeit ihrer Verbannung waren, wieder auftauchte. Das Buch schließt mit dem Bericht über Nehemias Kampf mit den Übertretern in Israel und seinen unermüdlichen Bemühungen, die Herrschaft Gottes in der heiligen Stadt zu erhalten.

„Und vorher hatte Eljaschib, der Priester, der über die Zellen des Hauses unseres Gottes gesetzt war, ein Verwandter des Tobija, diesem eine große Zelle gemacht, wohin man vorher die Speisopfer legte, den Weihrauch und die Geräte und den Zehnten vom Getreide, Most und Öl, das für die Leviten und die Sänger und die Torhüter Gebotene, und die Hebopfer der Priester“ (13,4–5).

Das erste, was erwähnt wird, ist die Sünde Eljaschibs. Eljaschib war der Enkel Jeschuas, der mit Serubbabel zurückgekehrt war. Er hatte die Stellung des Priesters inne und war „über die Zellen des Hauses unseres Gottes gesetzt“. Dennoch hatte er sich in Missachtung des Wortes Gottes mit Tobija, dem Ammoniter, verbunden und ihm sogar „eine große Zelle gemacht, wohin man vorher die Speisopfer legte, den Weihrauch und die Geräte und den Zehnten vom Getreide, Most und Öl, das für die Leviten und die Sänger und die Torhüter Gebotene“. Diese Zelle war „in den Höfen des Hauses Gottes“ (13,5.7). Dies bedeutete Verderben beim Oberhaupt und Stellvertreter des Volkes vor Gott. Wen wundert es bei einem solchen Vorbild, dass das Volk seinen Schritten folgte, mit denen er sich schuldig machte? Es ist ein schrecklicher Fall der verhärtenden Wirkung der Vertrautheit mit heiligen Dingen, wenn das Herz vor Gott nicht aufrichtig ist. Eljaschib war ständig im Einsatz für die Arbeit seines hohepriesterlichen Dienstes im Heiligtum, und so war er abgestumpft und gleichgültig geworden gegenüber dem Charakter des Gottes, vor dem er erschien, sowie gegenüber der Heiligkeit seines Hauses. Sein Dienst war in seinen Augen ein Dienst, und nichts weiter – und so nutzte er ihn für seine eigenen Absichten und zum Vorteil seiner Freunde. Ach, ein Muster, das sich schon so häufig wiederholt hat, sogar in der Versammlung Gottes.

„Während all diesem war ich aber nicht in Jerusalem; denn im zweiunddreißigsten Jahr Artasastas, des Königs von Babel, war ich zum König zurückgekommen. Und nach Verlauf einer Zeit erbat ich mir Urlaub vom König; und als ich nach Jerusalem kam, bemerkte ich das Böse, das Eljaschib zugunsten Tobijas getan hatte, indem er ihm eine Zelle in den Höfen des Hauses Gottes gemacht hatte. Und es missfiel mir sehr, und ich warf alle Hausgeräte Tobijas aus der Zelle hinaus“ (13,6–8).

Nehemia teilt uns mit, dass er während all dieser Zeit nicht in Jerusalem war. Er hatte dem König einen Besuch abgestattet, doch bei seiner Rückkehr bemerkte er das Böse, das Eljaschib in Verbindung mit Tobija verübt hatte, und schreibt: „Und es missfiel mir sehr.“ Es gibt solche, die das Missfallen dieses hingebungsvollen Mannes verstehen können. Es war ein gottgemäßes Missfallen, denn es entsprang einem Empfinden der Verunehrung, die dem Namen des Herrn angetan wurde. Es war ähnlich dem Missfallen Jeremias, als er ausrief: „O dass mein Haupt Wasser wäre und mein Auge ein Tränenquell, so wollte ich die Erschlagenen der Tochter meines Volkes Tag und Nacht beweinen!“ (Jeremia 8,23). Man könnte es auch mit dem des Apostels vergleichen, als er den Galatern seine ernsten Ermahnungen, seine flehentlichen Bitten und seine Vorhaltungen machte. Dass es doch mehr solche gäbe, die mit so einem Eifer für das Haus Gottes erfüllt sind! Auch empfand Nehemia nicht nur bloßes Missfallen, sondern es leitete ihn dazu, diese Zelle des Tempels von ihren Beschmutzungen zu reinigen. Er warf alles Hausgeräte Tobijas hinaus und sagte:

„Und ich befahl, dass man die Zellen reinigen sollte; und ich brachte die Geräte des Hauses Gottes, das Speisopfer und den Weihrauch wieder hinein“ (13,9).

So stellte er die Zelle, nachdem er sie gereinigt hatte, wieder für ihre eigentliche Nutzung her. In Verbindung damit wird noch eine weitere Entdeckung gemacht:

„Und ich erfuhr, dass die Teile der Leviten nicht gegeben worden waren und dass die Leviten und die Sänger, die das Werk taten, geflohen waren, jeder auf sein Feld“ (13,10).

Mit dem Einlass des Feindes in die Heiligtümer des Tempels waren die Bediensteten Gottes vernachlässigt worden. Die Leviten und Sänger waren vollständig für den heiligen Dienst am Haus abgesondert, und die Last ihres Unterhalts fiel nach göttlicher Weisung auf das Volk und war von diesem anerkannt worden. Doch sobald es durch den Einfluss Eljaschibs jedes Gespür für die Heiligkeit des Hauses verloren hatte, vergaß es seine Verantwortung, und die Diener des Herrn in seinem Haus waren gezwungen, auf die übliche Art sich zu versorgen zurückzugreifen – sie waren geflohen, „jeder auf sein Feld“. Genau dies ist auch in der Versammlung oft zu beobachten. In Zeiten der Hingabe, die durch den Geist Gottes hervorgebracht wird, gibt es solche, die für das Werk der Verkündigung des Evangeliums oder den Dienst am Wort alles aufgeben; und wenn die Heiligen mit Gott wandeln, begrüßen sie dies und unterstützen sie. Sie freuen sich darüber, dass Gott mehr Arbeiter in seine Ernte und in die Fürsorge für die Seelen seines Volkes sendet. Doch immer wenn Verfall einsetzt und Heilige weltlich werden, werden die Arbeiter vergessen, sodass die, die die Lektion der alleinigen Abhängigkeit von Gott, der für ihre Bedürfnisse völlig Vorsorge trifft, noch nicht gelernt haben, gezwungen sind, für ihren Unterhalt zu ihren eigenen Feldern zurückzukehren. Jedoch sollte ein Unterschied bemerkt werden: Es gibt heute keine Verpflichtung wie damals bei den Juden, die Leviten zu versorgen, jedoch ist es ein Vorrecht, dies zu tun. Und wann immer es für den Herrn getan wird, sind diese Opfer wie für Paulus „ein duftende[r] Wohlgeruch, ein angenehmes Opfer, Gott wohlgefällig“ (Phil 4,18). Nehemia schreitet sofort ein, um auch diesen Missstand zu beheben:

„Da stritt ich mit den Vorstehern und sprach: Warum ist das Haus Gottes verlassen worden? Und ich versammelte sie und stellte sie an ihre Stelle“ (13,11).

Auch die Leviten stellte er einmal mehr zurück in ihren Dienst. Er ging demnach bis zur Wurzel des Bösen vor – der Vernachlässigung des Hauses Gottes (Heb 10,25) – und stritt gleichzeitig mit den Vorstehern, die für diese Vernachlässigung verantwortlich waren. Denn wenn sie nicht darauf achteten, so würde das Volk schon bald ihrem Beispiel folgen. Tatsächlich hat das Hervortreten des Bösen das Volk Gottes zu jeder Zeit befallen, indem es sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte, anstatt mit dem Herrn und seinen Interessen und Ansprüchen beschäftigt zu sein.

Die Wirkung der kraftvollen Handlung Nehemias konnte sofort verspürt werden, denn wir lesen:

„Und ganz Juda brachte den Zehnten vom Getreide und Most und Öl in die Vorratskammern“ (13,12).

Das Volk hatte ein Herz, und seine Zuneigungen für das Haus Gottes und seine Diener konnten hervorfließen, sobald Nehemia den Weg bereitet hatte. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der äußere Zustand des Volkes Gottes fast vollständig vom Charakter seiner Führer abhängt. Wenn diese ernsthaft und hingebungsvoll sind, wird das Volk es auch sein, während sich, wenn die Führer nachlässig und weltlich sind, dann werden sich diese Eigenschaften auch im Volk widerspiegeln. Heute ist dies in verschiedenen Versammlungen der Fall. Wer auch immer die sind, die herausragende Stellungen einnehmen, die Heiligen folgen ihrem Beispiel. Die Führer prägen mit ihrem eigenen Charakter den der Zusammenkünfte. Es mag Einzelne in der Versammlung geben, die völlig anders sind, doch wir sprechen von örtlichen Versammlungen als Ganzes. All dies zeigt nichts als die ernste Verantwortung, die auf den „Führern“ ruht, und erklärt gleichzeitig den Charakter der Ansprache an die Engel der sieben Versammlungen, denn die Engel repräsentieren – ob in einer, zwei oder mehr Personen – nichts als die gemeinsame Verantwortung der verschiedenen Versammlungen; und somit ist ihr Zustand der Zustand aller, und sie werden als dafür verantwortlich behandelt.

„Und ich bestellte zu Schatzmeistern über die Vorräte: Schelemja, den Priester, und Zadok, den Schreiber, und Pedaja, von den Leviten, und ihnen zur Seite Hanan, den Sohn Sakkurs, des Sohnes Mattanjas; denn sie galten als treu, und ihnen oblag es, ihren Brüdern auszuteilen“ (13,13).

Um der Wiederkehr des Bösen entgegenzuwirken, bestellte Nehemia Schatzmeister über die Vorräte. Die Grundlage für seine Auswahl war, dass sie als „treu“ galten, „und ihnen oblag es, ihren Brüdern auszuteilen“. In seiner persönlichen Aufrichtigkeit vor Gott war er unbeeinflusst von jeglichen ihn selbst betreffenden Überlegungen. Sein einfältiger Blick leitet ihn, nur die Eignung für den Posten im Sinn zu haben. Ehrlichkeit war hier nötig, denn der Posten war mit Vertrauen verbunden und erforderte Treue gegen Gott und gegen die Brüder. So suchte er nur solche aus, die die erforderlichen Voraussetzungen erfüllten. Die Zusammensetzung der Schatzmeister – ein Priester, ein Schreiber, ein Levit und ein weiterer – zeigt, wie sorgfältig er auch darin war, „auf das bedacht“ zu sein, „was ehrbar ist, nicht allein vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen“ (2. Kor 8,21).

Nachdem er dies geschafft hat, wendet Nehemia sich im Gebet an Gott:

„Gedenke meiner deshalb, mein Gott, und tilge meine guten Taten nicht aus, die ich am Haus meines Gottes und an dessen Dienst erwiesen habe!“ (13,14).

Es ist oft darauf hingewiesen worden, dass Nehemia in seinen Gebeten zu sehr mit sich selbst und seinen eigenen guten Taten beschäftigt war. Wir sagen nicht, dass dies nicht so gewesen sein mag, doch es ist noch eine andere Deutung möglich. Fast allein inmitten von zunehmendem Verfall, fand er seine Stärke und Ermutigung nur in Gott. Und so finden wir ihn inmitten all dieser Schwierigkeiten immer wieder mit diesen spontanen Gebeten. In jedem Fall ist klar, dass er nicht die Vergeltung von Menschen suchte, sondern damit zufrieden war, sich selbst und die Anerkennung seiner Werke in die Hände Gottes zu legen, wobei er sich sicher war, dass es Gottes Werk war, für das er sich einsetzte und für dessen Lohn er allein auf Ihn zählte.

„In jenen Tagen sah ich einige in Juda, die am Sabbat die Keltern traten und Garben einbrachten und auf Esel luden, und auch Wein, Trauben und Feigen und allerlei Last, und es am Sabbattag nach Jerusalem hereinbrachten; und ich ermahnte sie an dem Tag, als sie die Lebensmittel verkauften. Auch Tyrer wohnten darin, die Fische und allerlei Ware hereinbrachten und sie am Sabbat den Kindern Juda und in Jerusalem verkauften. Da stritt ich mit den Edlen von Juda und sprach zu ihnen: Was ist das für eine böse Sache, die ihr tut, dass ihr den Sabbattag entheiligt? Haben nicht eure Väter ebenso getan, so dass unser Gott all dieses Unglück über uns und über diese Stadt brachte? Und ihr mehrt die Zornglut über Israel, indem ihr den Sabbat entheiligt!“ (13,15–18).

Die Vernachlässigung des Hauses Gottes war nicht das einzige Böse, mit dem Nehemia zu kämpfen hatte. Das nächste war die Verletzung des Sabbats. Nachdem das Volk jeden Sinn für die Ansprüche Gottes in Bezug auf sein Haus verloren hatte, war es nur natürlich, dass sie auch die Heiligkeit des siebten Tages vernachlässigten, dessen Befolgung seit der Befreiung aus Ägypten (2. Mo 16; 5. Mo 5,14.15) ihm von Gott in Verbindung mit jedem Bund auferlegt worden war, in den Er nach seinem Wohlgefallen mit seinem Volk getreten war. Die Entheiligung des Sabbats war daher ein Zeichen dafür, dass sie bereits weit zurückgefallen waren und sogar auf der Schwelle zu einem völligen Abfall standen. Denn in dieser Hinsicht sündigten sie wider Licht und besseren Wissens.

Nehemia war in seinem Eifer für den Herrn erregt und er „stritt ... mit den Edlen von Juda und sprach zu ihnen: Was ist das für eine böse Sache, dass ihr den Sabbattag entheiligt? Haben nicht eure Väter ebenso getan, sodass unser Gott all dieses Unglück über uns und über diese Stadt brachte? Und ihr mehrt die Zornglut über Israel, indem ihr den Sabbat entheiligt!“ Es sollte bemerkt werden, dass, hinsichtlich des Vernachlässigens des Hauses Gottes die Vorsteher kritisiert werden, wohingegen für den Verstoß gegen den Sabbat die Edlen in erster Linie verantwortlich gemacht werden. In beiden Fällen fand sich die Quelle des Bösen in solchen, die ein Vorbild für das Volk hätten sein sollen. So ist es immer in Zeiten des Verfalls, denn nur die Führer können die Masse hinter sich her zur Sünde verleiten. Doch diese Tatsache machte die Aufgabe Nehemias umso mühsamer. Eigenhändig musste er sich mit solchen abmühen, auf die er bezüglich der Aufrechterhaltung seiner Autorität und seines Einflusses mit Recht hätten zählen können. Sicher war er ein treuer Mann, und deswegen war Gott mit ihm in seinem Kampf gegen die Übertreter in Israel. Nachdem er sie überführt hatte, dass sie vor allen gesündigt hatten (siehe 1. Tim 5,20), nutzte er seine Autorität als Herrscher, um ein Wiedereintreten des Bösen zu verhindern.

„Und es geschah, sobald es in den Toren Jerusalems vor dem Sabbat dunkel wurde, da befahl ich, dass die Türen geschlossen würden; und ich befahl, dass man sie nicht öffnen sollte bis nach dem Sabbat. Und ich bestellte einige von meinen Dienern über die Tore, damit keine Last am Sabbattag hereinkäme. Da übernachteten die Händler und die Verkäufer von allerlei Ware draußen vor Jerusalem einmal und zweimal. Und ich warnte sie und sprach zu ihnen: Warum übernachtet ihr vor der Mauer? Wenn ihr es wieder tut, werde ich Hand an euch legen! Von jener Zeit an kamen sie nicht mehr am Sabbat. Und ich befahl den Leviten, dass sie sich reinigen und kommen sollten, die Tore zu bewachen, um den Sabbattag zu heiligen.

Auch das gedenke mir, mein Gott, und verschone mich nach der Größe deiner Güte!“ (13,19–22a).

Als erstes gebot er, dass die Tore Jerusalems am Abend des Sabbats vor Einbruch der Dunkelheit geschlossen werden und verschlossen bleiben sollten, bis der Sabbat vorüber war. Die Tatsache, dass er einige seiner eigenen Diener an den Toren positionierte, um darauf zu achten, dass „keine Last am Sabbattag hereinkäme“, zeigt, auf wie wenige für diesen Dienst Verlass war. Zusätzlich widmete er selbst dieser Angelegenheit seine unablässige Aufmerksamkeit, indem er den Händlern und Verkäufern entgegentrat, als sie ein- oder zweimal draußen vor Jerusalem übernachteten, da ihre bloße Gegenwart eine Verführung für das Volk darstellte. Er drohte ihnen, Hand an sie zu legen, wodurch sie schließlich vertrieben wurden. Schließlich „befahl [er] den Leviten, dass sie sich reinigen und kommen sollten, die Tore zu bewachen, um den Sabbattag zu heiligen“. Es ist ein schönes Bild eines hingebungsvollen Mannes, der mit all seiner Kraft danach trachtete, den Ansturm des Bösen aufzuhalten. Für das menschliche Auge mag es als ein hoffnungsloser Kampf und, gemessen an den äußerlichen Ergebnissen, sogar als ein Misserfolg erscheinen. Doch Nehemia kämpfte den Kampf Gottes, was ihm bewusst war, und, wenn er Ihm treu blieb, konnte es niemals Niederlagen geben. Gott ist der Beurteiler dieses Kampfes und betrachtet das als Sieg, was das menschliche Auge als Katastrophe betrachtet (siehe Jes 49,4‒6). Nehemia hatte diese Lektion gelernt und so wendet er sich erneut im Gebet an Gott:

„Und ich befahl den Leviten, dass sie sich reinigen und kommen sollten, die Tore zu bewachen, um den Sabbattag zu heiligen.

Auch das gedenke mir, mein Gott, und verschone mich nach der Größe deiner Güte!“ (13,22b).

Er schaut nicht auf Menschen, sondern auf Gott, und wünscht sich, dass auch dafür seiner gedacht werde. Und doch, in seiner wahren Demut und im Bewusstsein seiner eigenen Schwachheit und seines Versagens tut er nichts weiter als zu beten, dass er verschont werde nach der „Größe“ der Güte Gottes. Es ist ein gesegneter Zustand der Seele, wenn der Diener dahin geführt wird, zu empfinden, dass er, was immer auch sein Dienst ist, nichts als die Gnade Gottes hat, auf der er ruhen kann! Auf dieser Grundlage der Gnade – von der Christus selbst ihr Kanal und ihr Ausdruck ist – kann er in allen Übungen und Kämpfen in vollkommenem Frieden und in Sicherheit ruhen.

Doch es gab noch eine weitere Übung:

„Auch besuchte ich in jenen Tagen die Juden, die asdoditische, ammonitische und moabitische Frauen heimgeführt hatten. Und die Hälfte ihrer Kinder redete asdoditisch und wusste nicht jüdisch zu reden, sondern redete in der Sprache des einen oder des anderen Volkes. Und ich stritt mit ihnen und fluchte ihnen und schlug einige Männer von ihnen und raufte sie. Und ich beschwor sie bei Gott: Wenn ihr eure Töchter ihren Söhnen geben werdet, und wenn ihr von ihren Töchtern für eure Söhne und für euch nehmen werdet!“ (13,23–25).

Dies war das Böse, das bereits das Herz Esras so tief betrübt hatte (Esra 9,1‒3) und er ernsthaft auszulöschen gesucht hatte. Doch es war von neuem aufgekommen und begegnete auch Nehemia immer wieder während seiner Arbeiten (9,2; 10,31 usw.) mit seinem traurigen und öffentlichen Zeugnis über den Zustand des Volkes. Denn was machte es deutlich? Dass Israel den Boden der Absonderung zu Gott verließ und die heilige es umgrenzende Mauer niederriss ‒ die „Zwischenwand der Umzäunung“, mit der Er sie von allen Völkern des Erdbodens abgesondert hatte. Es war in der Tat nicht weniger als eine Verleugnung dessen, dass sie Gottes auserwähltes Volk waren – ein heiliges Volk für den Herrn. Demnach war es auch ein Aufgeben all der Vorrechte, Segnungen und Hoffnungen ihrer Berufung. Daher war es kein Wunder, dass Nehemia mit solch einer heiligen Entrüstung erfüllt wurde, und er „stritt mit ihnen und fluchte ihnen und schlug einige Männer von ihnen und raufte sie. Und ich beschwor sie bei Gott: Wenn ihr eure Töchter ihren Söhnen geben werdet und wenn ihr von ihren Töchtern für eure Söhne und für euch nehmen werdet“. Zudem erinnerte er sie an das traurige Beispiel Salomos:

„Hat nicht Salomo, der König von Israel, ihretwegen gesündigt? Und seinesgleichen ist unter den vielen Nationen kein König gewesen; und er war geliebt von seinem Gott, und Gott setzte ihn zum König über ganz Israel; doch ihn veranlassten die fremden Frauen zu sündigen. Und sollten wir auf euch hören, dass ihr all diese große Bosheit tut, treulos zu handeln gegen unseren Gott, indem ihr fremde Frauen heimführt?

Und einer von den Söhnen Jojadas, des Sohnes Eljaschibs, des Hohenpriesters, war ein Schwiegersohn Sanballats, des Horoniters; und ich jagte ihn von mir weg.

Gedenke es ihnen, mein Gott, wegen der Verunreinigungen des Priestertums und des Bundes des Priestertums und der Leviten!“ (13,26–29).

Es muss für das Herz Nehemias wirklich eine bittere Prüfung gewesen sein. War es doch der Bericht über die Bedrängnis des Überrestes in der Provinz sowie der niedergerissenen Mauer in Jerusalem und der mit Feuer verbrannten Tore (1,3) gewesen, der in seiner Seele den Wunsch geweckt hatte, dieses Böse zu beseitigen. Seinem Herzenswunsch wurde entsprochen und er war nach Jerusalem gegangen, hatte jahrelang gearbeitet und schließlich hatte er durch Gottes Güte seinen Wunsch in Erfüllung gehen gesehen. Doch jetzt muss er beim Abschluss seiner Arbeiten über die ständige Verweigerung des Volkes, in heiliger Sicherheit innerhalb der Mauern der Absonderung zu bleiben, trauern. Sie hatten ihren Schatz in der Welt, und auch ihr Herz war dort, und so wandten sie all den Segnungen des heiligen Ortes, an den sie gesetzt worden waren, mehr und mehr den Rücken zu. Und dennoch war Nehemia unverzagt und verharrte mit unermüdlicher Kraft in seinem Werk zugunsten seines Volkes, indem er nur danach trachtete, sich zur Ehre Gottes für den Dienst am Volk aufzuzehren und aufgezehrt zu werden. Zuerst „jagte“ er einen der Söhne Jojadas, des Sohnes Eljaschibs, des Hohenpriesters, von sich weg, der sich mit Sanballat, dem Horoniter, verschwägert hatte.

Wie wir gesehen haben, war Eljaschib selbst mit Tobija verwandt, sodass er und seine Familie mit den beiden aktiven Feinden Israels verbunden waren. Die Quelle des Verfalls, aus der die dunklen und bitteren Ströme der Sünde zum Volk flossen, befand sich hier also in der hohepriesterlichen Familie. Alles, was Nehemia erreichen konnte, war, den Sünder fortzutreiben. Doch er hatte noch eine andere Ressource, derer er sich bediente – er übergab die Sache Gott. „Gedenke es ihnen, mein Gott“, ruft er aus, „wegen der Verunreinigungen des Priestertums“ (3. Mo 21), „und des Bundes des Priestertums und der Leviten!“ (Mal 2,4‒7). Es mag merkwürdig erscheinen, dass Nehemia, der als Herrscher mit Autorität ausgestattet war, mit der Bestrafung dieser schuldigen Priester nicht fortfuhr. Tatsache ist, dass es unmöglich ist, durch Maßnahmen der Zucht den moralischen Zustand des Volkes zu verändern. Dies zu tun, würde dem Feind nur in die Hände spielen. In dieser Hinsicht muss manch gottesfürchtiger Mann in der Gegenwart offensichtlicher und abscheulicher Verstöße gegen das Wort Gottes untätig bleiben und sich wie Nehemia damit zufriedengeben, gegen die Übertreter zu Gott zu rufen. Wo es kein Sündenbewusstsein gibt, kann allein Gott mit dem Übertreter handeln, obgleich es wie in dem vor uns liegenden Fall oft nötig sein kann, den Sünder „wegzujagen“. Doch inmitten aller Verwirrung ist es ein gesegnetes Hilfsmittel, dass es möglich bleibt, alles dem Herrn zu übergeben, der zu seiner Zeit den Namen verteidigen wird, den wir verunehrt haben mögen.

„Und so reinigte ich sie von allem Fremden, und ich stellte die Dienste der Priester und der Leviten fest, für jeden in seinem Werk, und für die Holzspende zu bestimmten Zeiten und für die Erstlinge.

Gedenke es mir, mein Gott, zum Guten!“ (13,30–31a).

Nichtsdestotrotz setzte Nehemia sein Erneuerungswerk fort. Für den Moment ist alles wieder geordnet und nach den Vorschriften Gottes, und in dieser Hinsicht wird Nehemia ein Schattenbild von Ihm, der „sitzen [wird] und das Silber schmelzen und reinigen; und er wird die Kinder Levi reinigen und sie läutern wie das Gold und wie das Silber, sodass sie dem HERRN Opfergaben darbringen werden in Gerechtigkeit“ (Mal 3,3).

Damit enden die aufgezeichneten Werke Nehemias. Er hatte sich völlig mit den Absichten des Herrn und mit Israel eins gemacht und in seinen Arbeiten inmitten von Widerständen und Anfeindungen ausgeharrt. Nun, wo das Ende erreicht ist, begnügt er sich damit, alle Ergebnisse den Händen Gottes zu überlassen. Indem er von seinen Werken und von sich selbst wegschaut, ruft er daher aus:

„Und für die Holzspende zu bestimmten Zeiten und für die Erstlinge.

Gedenke es mir, mein Gott, zum Guten!“ (13,31b).

Dieses Gebet ist schon erhört worden, denn Gott veranlasste die Aufzeichnung des Berichtes der Werke Nehemias. Und Er wird es noch überströmender erfüllen, denn die Zeit wird kommen, in der Er Nehemias treuen Dienst öffentlich würdigen wird, gemäß Seinem vollkommenen Ermessen des Wertes seiner Arbeit. In der Zwischenzeit ist es wahr, und daran sollte immer gedacht werden, dass allein Gnade die Kraft und das Durchhaltevermögen des Dienstes in eines jeden Herzens hervorbringt. Auch ist es wahr, dass dieselbe Gnade die Frucht der Arbeit für die ermisst, in deren Herzen sie hervorgerufen worden ist. Gott ist die Quelle von allem. Er beruft und stattet seine Diener aus, Er erhält und leitet sie in ihren Werken, und doch sagt Er: „Wohl du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein in die Freude deines Herrn.“ (Mt 25,23). Ihm allein sei alle Ehre!

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