Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 134

Mit den in Vers 1 angesprochenen Knechten des HERRN sind allem Anschein nach die Leviten als Diener im Tempel gemeint, denn ihnen ist durch das Wort Gottes aufgetragen worden, „vor dem HERRN zu stehen, um ihm zu dienen“ (5. Mo 10,8; 2. Chr 29,11; 31,2). Sie mussten ständig dienstbereit sein in der Reihenfolge der Abteilungen, denen sie zugeordnet waren. Sie hatten das ihnen durch die Schrift Gebotene zu verrichten und den HERRN zu preisen (Vers 1). Zudem hatten sie über das Heiligtum und seine Geräte zu wachen. Wenn sie zu ungewöhnlicher Zeit dort anwesend sein mussten (1. Chr 9,33) und nach Erledigung ihrer Pflichten keine weitere Beschäftigung hatten, konnten sie die Zeit nutzen, den HERRN zu loben, denn Ihm gebührt immer ein unbegrenztes Lob. Unermüdlichkeit und Einsatzfreudigkeit sollten den geistlichen Dienst kennzeichnen. Paulus und Silas lobsangen Gott um Mitternacht im Gefängnis. Ein Christ sollte jederzeit zum Loben und Danken bereit sein; er kann an jedem Ort beten und heilige Hände zu Gott erheben (Vers 2; Ps 63,5; 1. Tim 2,8). Gott ist überall zu jeder Stunde erreichbar, auch während der Nacht. Während der damaligen Zeit des alten Bundes hingegen war der Gottesdienst konzentriert auf das „Haus des HERRN“, das „Heiligtum“ und „Zion“. Indem er diese Voraussetzungen anspricht, will der vorliegende Psalm offenbar dazu anregen, das Loben und Danken nicht auf die eingerichteten Zeiten und Orte zu beschränken. Die gegebenen Gelegenheiten sollen nicht ungenutzt vorübergehen. Die „Knechte des HERRN“, die ständig das Gebotene im Heiligtum verrichteten, sollten ihre Aufgabe nicht als bloße Pflichterfüllung mit begrenzten Arbeitszeiten verstehen, sie sollten mit dem Herzen und nicht nur mit den Händen dabei sein (Klgl 3,41). Beim Loben und Danken ist nie außer Acht zu lassen, dass man sich durch Gebet und Lobgesang in die heilige Nähe Gottes begibt. Der Umgang mit Gott verlangt immer Demut, jedoch auch Konzentriertheit und Wachsamkeit betreffs der äußeren Umstände, vor allem hinsichtlich des eigenen Herzens und Geistes. Bereits zu damaliger Zeit durften die Leviten und Priester bei ihrem Dienst nicht vergessen, dass sie sich an heiligem Ort in der Nähe des HERRN aufhielten.

Wenn das ganze Volk an den Festen des HERRN nach Jerusalem zog, hatten sie die Heiligkeit des Ortes der Anbetung zu beachten; sie nahmen an „heiligen Versammlungen“ teil (3. Mo 23,1.4). Die Regelmäßigkeit und das gleichmäßig Wiederkehrende von Zusammenkünften können dazu führen, dass die Besucher das Geschehen nur noch als ständige Wiederholung von Altbekanntem wahrnehmen und gedankenlos zugegen sind. Sie würdigen die Zusammenkünfte nicht mehr als ein Geschenk des Herrn, das außerhalb des Alltäglichen liegt und im Wert hoch darübersteht. Wenn ein Gottesdienst zum bloßen Ritual geworden ist, hat man ihn entwertet; er ist zu einer Zeremonie entartet. Deren Unwirklichkeit und Unwahrhaftigkeit missfällt dem HERRN. Da nur noch die äußeren Formen gewahrt sind, spricht der HERR: „Wozu soll mir die Menge eurer Schlachtopfer? ...Wer hat dies von eurer Hand gefordert, meine Vorhöfe zu zertreten?“ (Jes 1,11.12). Die geistliche Unempfindlichkeit von Gottesdienstbesuchern, die Seine Gegenwart verkennen, verunehrt Ihn und entwertet das ganze Geschehen. Was sie bringen, ist wertlos und für Ihn ein Gräuel. Es fehlt die gebotene Wachsamkeit, die der Herr Jesus wünscht: „Gebt Acht, wacht und betet!“ (Mk 13,33). „Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird!“ (Lk 12,37). „Zu aller Zeit betend mit allem Gebet und Flehen in dem Geist, und hierzu wachend in allem Anhalten und Flehen“ (Eph 6,18).

Im vorliegenden Psalm enthält Vers 3 einen Segenswunsch, der von Zion, vom Haus des HERRN, dem Heiligtum, ausgehen soll (Ps 118,26; 128,5). In den jetzt genannten Schriftstellen handelt es sich um einen immer fließenden, ewig bestehenden Segen, der von Dem ausgeht, „der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 115,15; 121,2; 124,8). Nur dem Schöpfer steht alles zur Verfügung. Deshalb reicht das, was Er zu geben hat, weit über das in dieser Welt Vorhandene hinaus, und darum hat Sein Segen eine göttliche Fülle, die keine Grenzen kennt. Das zeitlos Vollkommene göttlicher Segnungen wird nicht mehr verkannt werden und ungenutzt bleiben, wenn in der Zukunft der HERR Selbst in Zion Wohnung genommen hat, nachdem Er zur Rettung der gläubigen Übriggebliebenen aus Israel als Messias erneut auf diese Erde herabgekommen ist. Dann wird der Tempel wiederaufgebaut werden. Der HERR „wird auf seinem Thron sitzen und herrschen, und er wird Priester sein auf seinem Thron“ (Sach 6,12.13). Seine Herrschaft wird von Zion ausgehen; von dort aus wird Er alle Nationen richten (Jes 11,4.5). Zugleich ist Er „Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks“ (Ps 110,2.4; Heb 6,20; 7,21ff). Ohne Unterbrechung fließen dann Segensströme, wie nur der Schöpfer Selbst sie bewirken kann (Ps 72,3.6.16). „In ihm wird man sich segnen; alle Nationen werden ihn glücklich preisen“ (Ps 72,17). Dann werden aller Ruhm und alle Ehre dem König und Messias Israels, dem Herrn Jesus Christus, zuteil.

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