Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 48

Der vorliegende Psalm 48 befasst sich mit der engen Beziehung Gottes zu Seiner Stadt Jerusalem, dem Ort der Anbetung, wo Er Seine Herrlichkeit und Macht offenbaren will. Dort soll Sein Name in besonderer Weise gerühmt werden. Seine Güte und Majestät sind wie alle Seine herrlichen Eigenschaften ewig unveränderlich. Sie stehen im folgenden Psalm 49 im Gegensatz zu der nur scheinbaren, vergänglichen Größe der Menschen, deren Blicke und Wünsche auf das Irdische gerichtet sind. Demgegenüber fordert der 48. Psalm zum nachdenklichen Betrachten dessen auf, was Gottes Güte dem Glaubenden schenkt. Wer sich eingehend mit dem befasst, was die Schrift lehrt, lernt Gottes Weisheit, Seine Wege und Ziele kennen und findet darin eine beständige Freude.

Ihren Ruhm, ihre Schönheit und ihren Bekanntheitsgrad verdankt die Stadt Jerusalem allein dem Gott, auf dessen heiligem Berg die Stadt liegt. Ihr Ursprung und ihr Bestehen gehen auf Ihn zurück (Verse 2 und 9). Im Gegensatz zum folgenden Psalm ist hier mit keinem Wort von menschlichem Dazutun die Rede. Gott ist der Ruhm und der Reichtum dieser Stadt; alle Ehre gebührt Ihm allein. Für eine noch in der Zukunft liegende Zeit hat Er den Plan gefasst, der auserkorenen Stadt einen herausragenden Ehrenplatz zu geben. Dann wird sie Sein Regierungssitz sein, „eine Freude der ganzen Erde“, „der Schönheit Vollendung“ (Vers 3; Ps 50,2; als Gegensatz vergl. Klgl 2,15). Im vorliegenden Psalm wird der HERR in voller Übereinstimmung mit dieser Stadt gesehen. Er lässt Jerusalem teilnehmen an Seiner Ehre, an Seiner Macht und an Seinem Frieden. Was in dieser Welt schön und hoher Ehre wert erscheint, muss sich in der Zukunft an der äußerst begünstigten Stellung Jerusalems, der zukünftigen Regierungsstadt des Messias, messen lassen (Ps 46,5; 87,2–7; 110,2; 122,2–9; Jes 33,20–24; 65,18f). „So spricht der HERR: Ich kehre nach Zion zurück und will inmitten Jerusalems wohnen; und Jerusalem wird ‚Stadt der Wahrheit' genannt werden“ (Sach 8,3–9; Mt 5,35). Indessen wird die höchste Verehrung in dem Zion der Zukunft Gott selbst zukommen. Dort wird Seiner Majestät größte Hochachtung und das Ihm gebührende Lob entgegengebracht werden (Vers 4). Er besitzt das Vertrauen aller, und von Seiner Güte wissen sich dann alle abhängig. Der Glanz der Paläste Jerusalems hat seine Ursache in Gottes Herrlichkeit und in dem Ruhm Seines Namens. „Denn der HERR hat Zion erwählt, hat es begehrt zu seiner Wohnstätte: Dies ist meine Ruhe auf ewig; hier will ich wohnen, denn ich habe es begehrt“ (Ps 132,13.14).

Die Verse 5 bis 8 beschreiben einen massiven Angriff auf Israel mit seiner Königsstadt und daraufhin die Niederlage der verbündeten feindlichen Könige samt ihren Heeren und ihrer Seemacht. Es ist hier nicht zu erkennen, wer die Angreifer sind und zu welchem Zeitpunkt sie den Krieg herbeigeführt haben. In vergangenen Zeiten ist das Land Israels mit seinen Städten vielfach durch Kriege heimgesucht worden. Für die Zukunft ist nach den Prophezeiungen der Schrift noch Schlimmeres als das bisher Erlittene zu erwarten. Doch wie schon in der Vergangenheit, so werden sich die Feinde vor allem in der noch kommenden Endzeit plötzlich mit der Macht des Gottes Israels konfrontiert sehen. Bei diesem Anblick weichen die angreifenden Heere erschrocken und mit Entsetzen zurück. Sie sehen Jahwe, den HERRN, Selbst vor sich, der ihnen die geistige und körperliche Kraft wegnimmt und sie und ihr Kriegsgerät mit einem bloßen Wort vernichtet (Jes 8,9; 29,5–8; 31,9; 33,3; 37,33–38). Wenn die Angreifer Tarsis-Schiffe als besonders gut ausgerüstete Überseeschiffe zur Kriegführung einsetzen, wird der Schöpfer einem Sturm gebieten, sie zu zertrümmern (Vers 8; Jes 2,16f). Ihm stehen alle Mittel zur Verfügung. Ihm steht es frei, auch gänzlich Unbekanntes, bisher nie Dagewesenes, zur Befreiung der Stadt und des Volkes einzusetzen, das Er liebt. Seine Nähe bedeutet für sie absolute Sicherheit und unbehelligtes Weiterbestehen, sie sind auf der Seite des unüberwindlichen Siegers. Das ist dem Psalmdichter und den Gottesfürchtigen in seiner Umgebung von gläubigen Vorfahren als unumstößliche Wahrheit überliefert worden und nun erleben sie es selbst. Sie wiederum übermitteln ihre Erlebnisse von Gottes wunderbaren Fügungen den folgenden Generationen (Vers 9). Gottes Heerscharen stehen sowohl im Himmel als auch in der ganzen Schöpfung jederzeit zum Dienst bereit. Die heilige Stadt ist Seine von Ihm gegründete und auserkorene Wohnung im kommenden Reich des Messias Israels. Er liebt sie und gibt ihr den Verheißungen Seines Wortes gemäß ewigen Fortbestand (Ps 87,2.5; 125,1f; Jes 14,32; 26,1; Jer 33,16).

Gemeinsam mit dem Psalmdichter sinnen die Gottesfürchtigen nach über die Güte Gottes; sie haben dazu Seine Nähe im Tempel aufgesucht (Vers 10). Sie lassen die Wundertaten Seiner Liebe an ihren Augen vorüberziehen und bringen Ihm Lob und Dank dafür. Was Er bisher für sie getan hat, darf ihr Glaube auch für die Zukunft erwarten. Wo das, was der Name Gottes beinhaltet, gut bekannt ist und praktisch erfahren wurde, da ist vielfältiger Anlass gegeben, Seine Güte und Treue zu erheben und Seinen Namen zu rühmen (Neh 12,27ff). In Seiner Nähe im Heiligtum kommt man zum Nachdenken und erkennt Seinen Willen (Verse 10 und 11; Ps 73,16.17). Gott will, dass die Erkenntnis Seines Namens und in der Folge auch Sein Lob sich ausbreiten bis an die Enden der Erde (Ps 67,3; Jes 11,9; Mal 1,11). Seine Gerechtigkeit wird einst in Seinem Reich die ganze Erde erfüllen. „Wahrheit wird sprossen aus der Erde und Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel“ (Ps 85,12). Dann „wird der Gerechte blühen, und Fülle von Frieden wird sein“ (Ps 72,7f). Der gerechte Gott, der Urheber und Erhalter des Rechts, ist auch der Gott des Friedens. Wenn Christus, der wahre Melchisedek, in Seinem kommenden Reich auf der Erde den Thron bestiegen hat, dann herrscht Er als König der Gerechtigkeit und auch als König des Friedens (Heb 7,2).

Die Herrschaft Christi, des Friedefürsten und Messias Israels, wird für die Stadt Jerusalem, den Berg Zion, und für die Landstädte mit den Bewohnern Judas ein Anlass zu ständiger Freude sein (Vers 12). „Zion hörte es und freute sich, und die Töchter Judas frohlockten, wegen deiner Gerichte, HERR“ (Ps 97,8). Dieser Jubel Israels und der Tochter Zion, das heißt Jerusalems, wird in bewegender Form in Zeph 3,17 beschrieben: „Der HERR, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein rettender Held. Er freut sich über dich mit Wonne, er schweigt in seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel“. Gottes Gerechtigkeit hat dann alle Feinde weggefegt. Der gemeinsame Jubel des HERRN und des Volkes hat seinen Ursprung in der Liebe Gottes und wird genährt durch ihre völlige Übereinstimmung mit Ihm und untereinander. Dann haben sie nichts mehr zu befürchten, sondern nur noch unendlich Gutes zu erwarten. Diese Hoffnung verbindet sich mit der Stadt Jerusalem, auf der sehr weitragende irdische Verheißungen ruhen. Die Juden sollten ihre Stadt, die hier mehrfach Zion genannt wird, und ihre Geschichte mit ihren einzigartigen Ereignissen nachdenklich betrachten und sich die ihr geltenden Prophezeiungen ins Gedächtnis rufen. Die so außergewöhnliche Stadt Jerusalem sollte, verbunden mit den Absichten und dem Handeln Gottes, einen festen Platz in ihren Vorstellungen von der Zukunft haben. Ihre Erkenntnisse sollten sie zum Ruhm des HERRN an ihre Kinder weitergeben, auch als ein Zeugnis ihres persönlichen festen Glaubens an die Treue ihres Bundesgottes (Verse 13–15). Ihm haben die Gottesfürchtigen dieses Psalms ihr ganzes Vertrauen entgegengebracht und sind nie enttäuscht worden. Sie sind überzeugt, dass Er sie nie aus dem Auge lassen und sie lebenslang auf allen Wegen bis zum Tag ihres Abscheidens leiten wird. Dass diese Überzeugung nicht zu Selbstsicherheit und Trägheit in den Dingen des Glaubens verleiten darf, ergibt sich deutlich genug aus der Geschichte Jerusalems. Denn infolge ihres Unglaubens und ihrer Sünden überließ der HERR die Stadt wiederholt der Hand ihrer Feinde. Vers 15 gibt zu bedenken, dass niemand von einem irdischen Besitz behaupten kann, dass dieser hinfort immer sein Eigentum bleiben werde. Der Gläubige hingegen besitzt ein kostbares ewiges Teil, er darf sagen: Dieser Gott ist mein Gott immer und ewig (Vers 15).

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