Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 9

Einleitend seien einige den ganzen Psalm betreffende Bemerkungen vorangestellt. Der Psalm beschreibt verschiedene Seiten der Herrlichkeit Gottes und verbindet dies mit ermunternden Worten. Wenn auch die Umstände der Gottesfürchtigen einem ständigen Wechsel unterliegen und Leiden unterschiedlichster Art auf sie zukommen, bleiben sie dennoch zuversichtlich und lassen sich nicht den Mut wegnehmen. Im Vertrauen auf die unveränderliche Güte Gottes erleben sie Seine Wundertaten, sie freuen sich in Ihm und besingen Seinen Namen. Mag die Welt voller Unrecht sein und das Recht der Gläubigen verletzt werden, so wissen sie doch, dass der Thron des gerechten Richters droben unerschütterlich feststeht. Die Zufluchtsstätte in Gott ist eine unbesiegbare hohe Feste für ihren Glauben. „Der Name des HERRN ist ein starker Turm; der Gerechte läuft dahin und ist in Sicherheit“ (Spr 18,10). „Vertraut ewig auf den HERRN; denn in Jah, dem HERRN, ist ein Fels der Ewigkeiten“ (Jes 26,4). Das den Treuen als Lohn zugesicherte, ewig bleibende Gut wird in Psalm 9 des Öfteren dem wertlosen irdisch Vergänglichen, das dem Gericht verfällt und verschwindet, gegenübergestellt (Spr 8,21). Es steht unerschütterlich fest, dass der HERR die Seinen liebt und kennt (Joh 10,14 und 13,1). Er nimmt Kenntnis von dem Weg der Gerechten (Ps 1,6; Jer 12,3) und wird die an Ihn Glaubenden weder vergessen noch verlassen (Vers 19). Er wird ihren „Namen nicht auslöschen aus dem Buch des Lebens“ (Off 3,5).

Den Herrn zu loben, Ihm zu danken und Seinen Namen zu besingen, ist seit jeher das große Vorrecht der Gläubigen (Verse 2 und 3). Dies mit ganzem Herzen und mit Freuden zu tun, ist der feste Vorsatz des Psalmdichters. Auch in seiner Umgebung möchte er über die Wundertaten Gottes berichten (Vers 2; Ps 86,12.13; 105,1–3; 138,1–5). Solch wunderbare Ereignisse lässt die Macht der Hand Gottes erkennen. Durch seine Berichte frischte David auch die eigene Erinnerung an viele gnädige Fügungen auf. Damals und bis heute wird das Tun Gottes in vielen geistlichen Liedern festgehalten und zu Seiner Ehre mit Dankbarkeit besungen. In alle Ewigkeit werden die Beweise Seiner Liebe nicht vergessen werden.

In Vers 4 berichtet David von einer Glaubenserfahrung. Die Ursache dafür, dass seine Feinde umkamen, war die unsichtbare, nun aber offenkundig gewordene Gegenwart Gottes, der ihm zur Seite stand und seine Sache zu einem guten und gerechten Ende brachte. Die Herrlichkeit Gottes, des allein völlig gerechten Richters, konnte hier ans Licht treten, weil Davids Anliegen nicht nur dem Tatbestand nach, sondern auch hinsichtlich seiner inneren Einstellung vor Gott eine gerechte Sache war (Vers 5), „denn Gott ist unter dem gerechten Geschlecht“ (Ps 14,5). Die Schuldigen zu bestrafen, Nationen zu schelten, Gottlose zu vertilgen und ihren Namen für immer auszulöschen (Vers 6), stand ausschließlich dem Richter der ganzen Erde zu. Wenn Er urteilt und richtet, dann hat dies ewige Gültigkeit und unabänderliche Folgen (Ps 34,17 und 69,29). „Der Feind – dahin sind sie, Trümmer für immer“ (Vers 7), niemand wird sich an sie erinnern. Der Thron Gottes dagegen steht in Ewigkeit fest (Vers 8; Ps 29,10 und 45,7), er wird in der Zukunft zum Gericht auf Erden aufgestellt werden. „Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen“ (Mt 25,31;). Er wird Zion bewohnen (Vers 12; Ps 2,6), um von dort aus alle Völker der Erde in Geradheit zu richten (Vers 9; Ps 96,13; Jes 5,16; Apg 10,42; 17,31). Wenn auch im Lauf der Menschheitsgeschichte die Gerechtigkeit unzählige Male mit Füßen getreten wurde, so wird doch am Ende des jetzigen Zeitlaufs nach der Wiederkunft Christi offenkundig werden, dass alle Wege Gottes zuletzt auf die Offenbarung der vollkommenen Gerechtigkeit in Seinem Sohn hinauslaufen. Dann wird der Herr Jesus, der HERR (oder: Jahwe, Jehova), sich kundgeben als der, der dem göttlichen Recht überall auf Erden Geltung verschafft und Gericht ausübt (Vers 17). Unter Seiner Regierung über die Welt als Ganzes kann sich niemand mehr gegen den anderen erheben, ebenso wenig ein Volk gegen das andere. Das göttliche Recht allein hat absolute Gültigkeit. Wer anders handelt, wird unverzüglich das Opfer seines bösen Vorhabens; er wird im eigenen Netz gefangen (Vers 16), „verstrickt in dem Werk seiner Hände“ (Vers 17; Ps 34,22 und 58,12).

Bis die Zeit gekommen ist, dass Christus erneut auf dieser Erde erscheint und „weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht“ (1. Kor 15,24), wird es weiterhin Unterdrückung, Drangsal, Blutvergießen, Schreien der Gebeugten, Elend und Hass geben (Verse 10.13.14). Indessen können alle davon Betroffenen jetzt noch jederzeit im Vertrauen auf die Zusage des zehnten Verses ihre Zuflucht zu Gott nehmen (Ps 46,2f und 59,10). Dazu muss man notwendigerweise Seinen Namen kennen. Gott macht Seine Hilfe davon abhängig, dass man durch Glauben weiß, wer Er ist. Denn: „wie werden sie nun den anrufen, an den sie nicht geglaubt haben?“ (Röm 10,14; Heb 11,6); es gibt keine bessere und wichtigere Erkenntnis für den Menschen als diese. Jeder sollte sich vergewissern, was die Wahrheit ist und wem und welcher Heilslehre er Glauben schenkt. Wer Gott glaubt und vertraut und Ihn im Gebet sucht, den wird Er nicht verlassen (Verse 11 und 19; Röm 10,11–13). Gott verzeichnet jedes Unrecht und jede Bluttat (Vers 13; 1. Mo 4,10 und 9,5f). Das an Ihn gerichtete Schreien und Rufen eines in Not Geratenen, eines Elenden und Niedergeworfenen hört Er (Ps 10,14; Lk 18,1–8). Nur Er kann retten „aus den Toren des Todes“ (Vers 14). „Gott aber wird meine Seele erlösen von der Gewalt des Scheols; denn er wird mich aufnehmen“ (Ps 49,16). Sein Ziel ist: „damit ich all dein Lob erzähle“(Vers 15). David hatte im Grunde seiner Seele immer das Lob und die Verherrlichung Gottes im Sinn. Um Gott das Lob am rechten Ort darzubringen, wollte David „in den Toren der Tochter Zion“ (das ist Jerusalem) sein, dort wollte er „frohlocken über deine Rettung“.

In den Versen 14 und 15 werden zweierlei Tore vorgestellt: die Tore des Todes und die Tore der Tochter Zion. Sie unterscheiden sich auf die größtmögliche Weise. Der auf dem Grundsatz des Glaubens Errettete sollte sich immer wieder daran erinnern, woraus er errettet und wozu er berufen worden ist. Dass Gott ihn errettet hat, wird ihm ein ständiger Anlass zum Danken und zur Anbetung sein. Furchtbar ist dagegen das ewige Schicksal aller, die Gott nicht kennen (Verse 16–18). Sie werden niemals mehr eine Gelegenheit haben, von dem Bösen, das sie in ihrem Leben getan haben, frei zu werden. Gottes Heiligkeit und Sein Abscheu vor der Sünde zeigen sich in der Ausübung des Gerichts über die Gottlosigkeit. Dem ewigen Gericht kann niemand entkommen. Niemals wird der Schöpfer, der allein „aus den Toren des Todes“ errettet, sich der Gottlosen annehmen; denn sie haben Gott verachtet und vergessen. Zu ihrer ewigen Bestrafung gehört daher das Los, für immer vergessen zu sein (Mt 25,46).

Die Armen und Elenden, die ihre Hoffnung auf Gott setzten, haben nicht zu befürchten, dass Gott sie vergessen habe (Vers 19). Obwohl es den Gottlosen oft recht gut zu gehen scheint und sie sich gerne zuversichtlich geben (Ps 10,4–6), ist dies für die Geringen und Armen kein Grund, sie zu beneiden. Die schwachen Frommen sollen in der Furcht des Herrn ausharren und im Glauben an ihrer Hoffnung festhalten, die über alles Zeitliche hinausgeht. Denn für sie gibt es eine Zukunft, ein herrliches Ziel im Reich Gottes, „und deine Hoffnung wird nicht vernichtet werden“ (Spr 23,17.18). Während ihres Lebens waren sie oft bekümmert, sie vermissten Recht und Gerechtigkeit und hatten auf Erden wenig zu erhoffen. Der Herr Jesus, der ihr Retter ist, ruft ihnen zu: „Glückselig ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes. Glückselig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden. Glückselig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen... euer Lohn ist groß in dem Himmel“ (Lk 6,20–23). Der Gottlose, der in seiner Selbstüberschätzung die Oberhand gegenüber Gott und den Menschen zu haben meint, verschätzt sich sehr. Diejenigen aber, die Gott kennen, suchen ihr Leben in Demut vor Ihm zu verbringen. Mit Recht erwartet der Allmächtige dies von jedem Menschen. Wer es unterlässt, Ihn anzuerkennen, bringt sich für immer in eine schreckliche, ausweglose Lage. Darum bittet David: „Lege Furcht auf sie, HERR“ (Vers 21). Würden sie eingestehen, dass sie vor Gott nur wie ein Hauch sind (Ps 39,6 und 144,4), dann wird diese Einsicht sie davor bewahren, sich zu überheben. Zu oft überschreitet der überhebliche Mensch in seiner Selbsteinschätzung die Grenze des Gebotenen. Im Brief an die Römer (Kap. 12,3) wird der Christ ermahnt, „nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt“.

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