Einführende Vorträge zur Offenbarung

Kapitel 5

In Kapitel 5 sehen wir die lebendigen Wesen und die Ältesten eng verbunden – aber nicht mehr! Wir finden hier, dass sie sich vereinigen. Sie stehen nicht einfach nur miteinander in Verbindung, sondern sie vereinigen sich tatsächlich. Das wird uns mit den Worten gezeigt: Als das Lamm „das Buch nahm, fielen die vier lebendigen Wesen und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamme, und sie hatten ein jeder eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk, welches die Gebete der Heiligen sind. Und sie singen ein neues Lied“ (V. 8–9).

Die bemerkenswerte Wahrheit, die in ihrer Wichtigkeit hier beachtet werden muss, ist: Kapitel 5 zeigt uns zum ersten Mal das Lamm, wie es als besondere Person und ausdrücklich auf dem Schauplatz vorgestellt wird. Das war im 4. Kapitel nicht so. Dort sahen wir die Entfaltung der richterlichen Herrlichkeit Gottes in ihren verschiedenen irdischen oder haushälterischen (dispensationalen) Wesenszügen mit Ausnahme der des 1000-jähigen Reiches. Natürlich ging es dabei nicht um seine besondere Offenbarung an uns als Vater. Wir wissen, dass Jahwe in sich selbst in gleicher Weise Vater, Sohn und den Heiligen Geist umfasst. Doch hier wird der Heilige Geist getrennt gesehen unter einer symbolischen Verkleidung als die sieben Geister Gottes. Der Herr Jesus ist in diesen Versen noch nicht unterschieden. Die herrliche Vision Dessen, der auf dem Thron sitzt, mag daher sowohl Vater als auch Sohn umfassen. Es geht eher um Gott als solchen als um die Offenbarung der Persönlichkeiten – um den allgemeinen oder wesensmäßigen Gedanken und nicht um formale persönliche Unterscheidung. Aber in Kapitel 5 wird eine Herausforderung ausgesprochen, welche sofort die Würde, den Sieg und den Frieden des Lammes enthüllt – jenes heiligen, auf der Erde verworfenen Dulders, Dessen Blut Menschen für Gott erkauft hat, die sich in dem Verderben der Sünde und im Elend befanden.

Wir erkennen hier also die volle Segnung des Menschen und der Schöpfung von Seiten Gottes. Ja, der Mensch wurde nicht nur befreit, sondern, bevor diese Befreiung sich entfaltete, wurde er auch in ein Verständnis der Gedanken und des Willens Gottes eingeführt. Christus ist genauso notwendig die Weisheit von Gott wie auch die Macht von Gott. Ohne Ihn kann kein Geschöpf etwas verstehen – ebenso wenig wie ein Sünder ohne Ihn die Errettung kennen. Wir benötigen für alles Christus; und wie gesegnet ist, dass wir Ihn haben! Doch was auch immer die Herrlichkeit der Szene vor dem Propheten in Offenbarung 4 ist, das folgende Kapitel zeigt uns die wunderbare Person und den Weg durch welche der Sünder in das Bewusstsein der Segnung und zur Wertschätzung der göttlichen Wege und Gottes Herrlichkeit gebracht wird.

„Und ich sah in der Rechten dessen, der auf dem Throne saß, ein Buch, beschrieben inwendig und auswendig, mit sieben Siegeln versiegelt“ (V. 1). Ein Geschöpf konnte diese Siegel nicht öffnen – nicht ein einziges. Doch der starke Engel rief mit lauter Stimme; und der Herr Jesus tritt schließlich hervor, um den Ruf zu beantworten. Er nimmt die Herausforderung an, indem Er nach einer angemessenen Zeit erscheint, welche die Unfähigkeit aller anderen erwiesen hatte. So wurde der Trost, den Johannes von dem Ältesten empfing, gerechtfertigt; denn die Ältesten verstehen immer. Johannes sah, dass der Löwe aus dem Stamm Juda das Lamm ist, Welches auf der Erde verachtet wurde und jetzt im Himmel verherrlicht ist. Dieses tritt herzu und nimmt die Rolle aus der Rechten Dessen, Der auf dem Thron sitzt. Danach fallen alle – die lebendigen Wesen und die Ältesten zusammen – vor dem Lamm nieder mit einem neuen Lied.

Es ist auffallend, dass uns danach mitgeteilt wird: „Ich sah: und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron her und um die lebendigen Wesen und die Ältesten; und ihre Zahl war Zehntausende mal Zehntausende und Tausende mal Tausende, die mit lauter Stimme sprachen: Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht“ (V. 11–12). Jetzt sehen wir die Engel, die nun ausdrücklich und auffällig gezeigt werden. Warum ist das so? Wie kommt es, dass in Offenbarung 4 kein Engel erscheint? Warum hingegen in Offenbarung 5? – Gott folgt in seinen Wegen stets den weisesten Gründen. Davon spricht die Heilige Schrift; und wir werden durch den Heiligen Geist ermutigt, diese demütig, aber vertrauensvoll zu untersuchen. Was durch das Auftreten der Engel gekennzeichnet werden soll, ist anscheinend, dass die Übernahme des Buches durch die Hände des Lammes und seine Bereitschaft, die Siegel zu öffnen, einen Wechsel in der Art der göttlichen Regierung einleitet. Bis zu jenem Zeitpunkt besaßen die Engel eine Art des ausführenden Dienstes, in dem sie die Macht Gottes ausübten. Wo es um Gerichte ging oder andere außergewöhnliche Eingriffe von Seiten Gottes waren Engel seine Werkzeuge. Hingegen wird von diesem Moment an, wie mir scheint, vom Heiligen Geist ein großer Wechsel angezeigt. Die Engel mögen durchaus noch während des Verlaufs der letzten von Daniels siebzig Wochen benutzt werden. Es handelt sich immer noch um die Vorsehung und nicht um die geoffenbarte Herrlichkeit.

Das Anrecht der verherrlichten Heiligen wird auf diese Weise geltend gemacht. Wir wissen mit Gewissheit als ein Gegenstand der Lehre aus Hebräer 2, dass die zukünftige Welt nicht Engeln, sondern den Erlösten unterworfen sein wird. Hier scheint mir, dass dem Seher ein flüchtiger prophetischer Blick gewährt wird, der in die Lehre des Apostels Paulus fällt. Mit anderen Worten: Wenn das Lamm nachdrücklich auf den Schauplatz geführt wird, dann, und nicht vorher, sehen wir die Ältesten und die lebendigen Wesen in ihrem neuen Lied vereint. Sie vereinen sich zu einer einzigen Gemeinschaft, um das Lamm zu preisen. Sie singen: „Du bist würdig, … denn du … hast für Gott erkauft …“ So sehen wir sie in einer neuen Weise verbunden. Doch wir erkennen noch mehr. Jetzt werden auch die Engel gesehen als eindeutig von den anderen unterschieden. Setzen wir zum Beispiel voraus, dass früher die Verwaltung des Gerichts sich in der Hand der Engel befand, verstehen wir leicht, warum sie nicht von den lebendigen Wesen in Offenbarung 4 unterschieden sind. Denn tatsächlich stellen die lebendigen Wesen die Werkzeuge dar, durch welche Gott seine Gerichte vollzog. In Offenbarung 5 sehen wir indessen einen Wechsel in der Regierung. Die Engel, die gewöhnlich die Ausführenden waren, werden im Blick auf das Reich nicht länger als solche wahrgenommen. Ihre Macht ist nun den Händen der verherrlichten Erlösten anvertraut worden. Daher ist es einfach genug, dass die Engel zurücktreten. Sie werden von den Erben in den Schatten gestellt und befinden sich nicht mehr in derselben Stellung. Falls wir sie vorher als in den lebendigen Wesen eingeschlossen verstehen sollten, nehmen sie ab jetzt einfach nur ihren Platz als Engel ein. Sie werden demnach nicht länger mehr unter ersterem Symbol wahrgenommen. Diese Ausführung – der Vorschlag eines anderen Auslegers1 – empfiehlt als echte Erklärung dieses Problems sich selbst.

Wenn wir richtig liegen, und ich glaube, dass es so ist, folgt, dass die vier lebendigen Wesen zu einer gegebenen Zeit Engel und zu einer anderen Erlöste versinnbildlichen. Das Symbol stellt nicht so sehr die Personen, denen diese Gerichte anvertraut sind, heraus, sondern den Charakter der Ausführenden, die eingesetzt werden. Die Heilige Schrift liefert allerdings Argumente, um das Problem zu lösen. Der erste Hinweis wäre die auffallende Abwesenheit von Engel, welche, wie wir wissen, jene Wesen sind, welche Gott in seinen Handlungsweisen mit der Welt durch die Vorsehung, und zwar sowohl in alttestamentlichen Zeiten als auch in den Tagen des Neuen Testaments, benutzt. Die Kirche befindet sich jetzt noch in ihrer Bildungsphase. Wenn sie indessen vollständig ist, wenn die verherrlichten Erlösten hinaufgetragen worden sind und der Erstgeborene in seinem Anrecht anerkannt wird, werden auch sie in ihren Anrechten anerkannt. Denn da der Herr kommt, um sein Reich sichtbar einzunehmen, können wir leicht verstehen, dass der Wechsel in der Regierung zuerst im Himmel offenbar wird, bevor er sich auf der Erde entfaltet. Falls diese Gedanken stimmen, wird dieser Wechsel in Offenbarung 5 hervorgehoben. Das Allgemeine steht in Offenbarung 4. Der herannahende Wechsel wird in Kapitel 5 vorweggenommen. Das scheint mir die befriedigendste Weise zu sein, um das zu erklären, was hier vor uns gebracht wird.

Alle Ergebnisse dieses Wechsels werden von jeder Kreatur gefeiert, nachdem die erste Note des Liedes angestimmt worden ist (V. 13).

Fußnoten

  • 1 Wahrscheinlich handelt es sich um John Nelson Darby (Übs.).
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