Einführende Vorträge zur Offenbarung

Kapitel 17

Es ist unbedingt notwendig, daß wir alle im Sinn behalten, falls wir es nicht schon vorher festgestellt haben, daß Offenbarung 17 nicht dem chronologischen Verlauf der Weissagung folgt. Es handelt sich um eine Schilderung und nicht um eine der Visionen, welche uns vorwärts führen. Die siebte Schale enthielt in ihrem Inhalt den Fall Babylons, welche „ins Gedächtnis vor Gott (kam), ihr den Kelch des Weines des Grimmes seines Zornes zu geben.“ (Offenbarung 16, 19).

Unser Kapitel erklärt, wie es kam, daß Babylon für Gott so abstoßend wurde und wofür Er sie so hart richtet. Tatsächlich geht der Heilige Geist bei der Beschreibung von Babylon insbesondere auf seine Beziehungen zum Tier ein, jener kaiserlichen Macht, von der wir am letzten Abend nicht wenig gesehen haben. Folglich sind das die beiden Hauptziele des Gerichts, die in diesem Kapitel vor uns gestellt werden. (Es stimmt, auf das Gericht über das Tier wird sich nur als eine Niederlage durch das Lamm bezogen. (V. 14). Die Einzelheiten werden für einen späteren Zeitpunkt in dieser Prophetie zurückbehalten.) Daher müssen wir uns ein wenig mit diesen beiden Gegenständen – Babylon und dem Tier – näher beschäftigen.

Der Grundsatz ist völlig klar. Der Mensch hat immer in der einen oder anderen dieser beiden Weisen gesündigt, wenn wir auf die Sünde in ihren umfassendsten Ausprägungen blicken. Die Frau – jene eigenartige Frau – steht für Verderbnis; die menschliche Natur verwöhnt sich in ihren eigenen bösen Begierden, ohne auf Gottes Willen Rücksicht zu nehmen. Das Tier ist ein Ausdruck des menschlichen Willens, der sich in unmittelbaren Gegensatz zu Gott aufrichtet. Kurz gesagt: Die eine kann als Verderbnis, das andere als Gewalttätigkeit gekennzeichnet werden.

Es gibt zu diesem Thema indessen noch einiges mehr, welches mit großer Genauigkeit in der Heiligen Schrift vorgestellt wird; denn es handelt sich um den Grundsatz der Sünde in der einen oder anderen Form von Anfang an. Wir können bemerken, daß es in diesem Fall einer der Engel ist, der die sieben Schalen hatte, welcher zu Johannes sagt: „Komm her, ich will dir das Urteil über die große Hure zeigen, die auf den vielen Wassern sitzt.“ (V. 1). Es gab zwei besondere Ausprägungen ihrer Sünde. Die eine war verbotener Umgang mit den Königen der Erde, die zweite die Vergiftung der Bewohner der Erde mit dem Wein ihrer Hurerei.

Und er führte mich im Geiste hinweg in eine Wüste.“ (V. 3). Es handelt sich um eine völlige Wüste in Hinsicht auf die Erkenntnis oder den Genuß Gottes. Die Frau saß dort auf einem scharlachfarbigen Tier, das ist die wohlbekannte kaiserliche Macht des Römischen Reiches. Dieses war „voll Namen der Lästerung“ in seinem bösen Widerstand gegen Gott und bekleidet mit den Kennzeichen, die wir schon gesehen haben, nämlich „sieben Köpfe und zehn Hörner.“ Der Geist Gottes betrachtet es in seiner Endgestalt und Vollständigkeit, soweit ihm erlaubt war, diese zu erlangen. „Das Weib war bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und Edelgestein und Perlen.“ (V. 4). Alles, was den natürlichen Menschen anziehen kann, und auch alles, was ihm hinsichtlich der Religion schön genug aussieht, war vorhanden. Aber sie hatte einen goldenen Becher in der Hand „voll Greuel und Unreinigkeit ihrer Hurerei.“ Sie trägt den furchtbaren Stempel des Götzendienstes und zwar sowohl in dem, was sie den Menschen gibt, als auch darin, was auf ihrer Stirn vor Gott geschrieben steht. „An ihrer Stirn einen Namen geschrieben: Geheimnis, Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Greuel der Erde.“

Die Menschen wurden dann und wann und schon von einem frühen Zeitpunkt an getäuscht, sodaß sie die wahre Aussage des Kapitels aufgaben. Manchmal bestanden sie auf eine Anwendung in Hinsicht auf das heidnische Rom. Manchmal, wiederum, wandten sie es auf Jerusalem in seinem verderbten Zustand an. Eine ernsthaftere Betrachtung beseitigt indessen schnell beide Sichtweisen durch die Beziehung der Frau zum Tier und insbesondere durch das, was ein wenig später gezeigt wird. Die Anwendung auf das alte heidnische Rom ist schon grob und sinnlos genug; doch der Versuch, den Abschnitt auf Jerusalem zu beziehen, ist von allen Vorstellungen die widersinnigste. Weit davon entfernt, durch die kaiserliche Macht getragen zu werden, wurde Jerusalem durch dieselbe niedergetreten. Falls es irgendeine heidnische Macht seit den Tagen Johannes gab, welche anstatt Jerusalem zu stützen, dasselbe verfolgte und unterdrückte, dann war es Rom. Jerusalem war keine protzige Hure, welche jenes gewaltige Reich wie eine Reiterin bestiegen hatte.

Gleichzeitig ist der Versuch, Babylon auf das antike Rom zu beziehen, fast genauso unglücklich, und zwar aus eindeutigen Gründen. Solange Rom heidnisch war, trug es nie in vollem Sinn sieben Köpfe; auch existierte nicht eines von den zehn Hörnern. Eine Teilung des auseinandergebrochenen Westreiches in zehn Königreiche fand sich erst, wie alle wissen, lange nachdem Rom aufgehört hatte, heidnisch zu sein. Niemand kann darüber streiten, daß diese bemerkenswerte Gruppe von Königreichen in Europa als ein Ergebnis der Vorsehung aus der zerstörten Einheit des Römischen Reiches entstand, nachdem die Barbaren in dasselbe eingedrungen waren. Mit ihrer Freiheitsliebe, die sie aus ihren germanischen Wäldern mitgebracht hatten, duldeten sie nicht, daß eine einzige eiserne Herrschaft wie im alten Reich, länger bestand. Jeder Stamm richtete in den verschiedenen Bruchstücken des zerstückelten Imperiums sein eigenes Königreich auf. So ist jeder Versuch einer Anwendung der Weissagung auf die heidnische Periode angesichts der Tatsachen sinnlos. Wir werden finden, daß die Schriften viel Licht gewähren, um die wahre Bedeutung der Prophezeiung bestimmen zu können, und daß keine Anwendung auf die Vergangenheit in irgendeiner Weise die geschilderte Lage zufriedenstellend erklären kann. Wenn es in Hinsicht auf die alten Zeiten nicht gelingt, den Forderungen des Kapitels vollständig zu genügen, so ist offenbar, daß auch das Mittelalter vorüberging, ohne eine Erfüllung, als ganzes gesehen, zu bringen. Wenn wir zur vollen Erfüllung der Weissagung kommen wollen, müssen wir auf die letzten Tage voraus blicken.

Das trifft zusammen mit dem, was wir im allgemeinen in diesem Buch gesehen haben. Ich leugne jedoch nicht, daß gewisse Elemente, die in der Apokalypse sinnbildlich dargestellt werden, damals schon bestanden und heute bestehen. Niemand kann nüchtern bestreiten, daß Babylon in einer gewissen Weise damals einen Platz einnahm. Daß das besondere und vor allem vollständige Wesen Babylons sich so zeigt, wie es hier geschildert wird, ist indessen eine andere Sache. Wir dürfen gewiß sagen: Ihr Becher war noch nicht voll. Vor den Menschen war das noch nicht voll ausgeprägt, was Gott schon voraussah und zuletzt Sein Gericht herausfordern muß. Noch einmal gesagt: Nach meiner Meinung scheint es nachweislich richtig zu sein, daß die Verbindung mit dem Tier, die hier vorgestellt wird, uns zubilligt, auf den letzten Zustand Babylons vorauszublicken. Demnach gibt es also keine Frage, daß einige der Akteure in den letzten Szenen des großen Dramas, wie die herrschende Stadt und das Römische Reich, damals schon anwesend waren. Auch die sittlichen Merkmale fehlten nicht. Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit hat schon lange gewirkt, obwohl der Feind noch nicht den Abfall (Apostasie) eingeführt hat und noch weniger die Offenbarung des Gesetzlosen. Aber was immer damals schon existierte – das, was der Heilige Geist hier als Ganzes vorstellt, vermögen wir nicht zu irgendeiner Zeit der Vergangenheit verwirklicht sehen. Darum müssen wir notgedrungen auf eine vollständigere Entwicklung warten, bevor das Lamm das Tier richtet, nachdem letzteres zusammen mit den zehn Hörner Babylon vernichtet hat.

Eine andere Bemerkung muß noch gemacht werden. Es ist schwer einzusehen, wieso die Stadt Rom oder irgend etwas Staatsbürgerliches, das mit ihr in Verbindung steht, „Geheimnis“ genannt werden kann. Teilweise aus diesem Grund haben viele ausgezeichnete Männer versucht, diese Vision auf das Römisch-Katholische System anzuwenden; und ich gebe zu, daß hier ein großes Maß an Übereinstimmung vorliegt. Jenes religiöse System hat eine unvergleichlich nähere Verbindung mit jener geheimnisvollen Hure als irgend etwas sonst, von dem wir bisher gesprochen haben. Es besteht kein Zweifel, daß Rom in einer gewissen Form die Frau ist, welche in diesem Kapitel beschrieben wird. Die sieben Köpfe oder Hügel deuten eindeutig auf jene Stadt, welche vor allen anderen Städten am besten und in Wirklichkeit alleine als eine solche gekannt ist, die über die Könige der Erde herrschte. Es könnte daher viel gesagt werden zu Gunsten der protestantischen Anwendung des Kapitels im Vergleich zur Theorie der Praeteristen1 bezüglich des heidnischen Roms. Doch dieses werden wir als mangelhaft finden aus Gründen, die, wie ich denke, jedem unvoreingenommenen Leser einsichtig sein werden.

Das ernste Brandzeichen ist nicht dem lästerlichen Tier, sondern der Stirn seiner Reiterin eingeprägt: „Geheimnis, Babylon, die große.“ Die Frage lautet: Warum wird sie so bezeichnet? Falls es sich nur um eine kaiserliche Stadt handelt – was hat das mit einem Geheimnis zu tun? Die einfache Tatsache, daß sie fern und nah alles erobert und eine gewaltige politische Macht auf der Erde ausübt, begründet doch keineswegs irgendein Anrecht auf einen solchen Namen. Ein Geheimnis weist eindeutig auf etwas für den natürlichen Verstand des Menschen Unentdeckbares hin – ein Geheimnis, welches ein besonderes und neues Licht von Gott zum Enträtseln benötigt. Wenn es indessen auf diese Weise offenbar gemacht wurde, ist es eindeutig genug. Das gilt auch für jenes Babylon, das hier vor uns steht. Zu Recht erhält sie ihren Titel von der alten Quelle des Götzendienstes und einer vereinigten Macht ohne Gott. Verwirrung ist hier das charakteristische Moment. Die Bezeichnung entstammt der altbekannten Stadt der Chaldäer, dem ersten Ort, der in beiderlei Hinsicht berüchtigt wurde.

Doch der Versuch, das, was hier gesagt wird, auf eine zukünftige Stadt Babylon in Chaldäa zu übertragen, scheint mir genauso vergeblich zu sein. Es gibt einen ausdrücklichen Gegensatz zwischen der Stadt, die Johannes schildert, und dem Babylon des Altertums. Letzteres wurde nämlich in der Ebene Sinear (1. Mose 11) gebaut, während von ersterer gesagt wird, daß sie sieben Köpfe habe, welche als sieben Berge erklärt werden. Ich gebe zu, daß es in dem Sinnbild einiges mehr gibt als nur die buchstäblichen Hügel Roms; denn es wird von ihnen gesagt, daß sie auch sieben Könige darstellen. Gleichzeitig haben wir aber nicht die Freiheit, ein solches Kennzeichen aus der Beschreibung auszuschließen. Es steht geschrieben, um geglaubt und nicht um übergangen oder wegerklärt zu werden.

Kurz gesagt, es scheint so, daß Gott in Seiner Skizze von Babylon sicher gehen wollte, daß Rom als Stadt und System klar in dieser Szene als Bild erkannt wird. Diese umfaßt notwendigerweise eine mittelalterliche Beschreibung, obwohl die vollen Ergebnisse nicht vor dem Ende des Zeitalters auftreten werden. Sie reitet nämlich auf dem Tier bzw. Weltreich, welches so dargestellt wird, daß auch der Einbruch der Barbaren in der Vergangenheit sowie der noch folgende Zehn-Königreiche-Zustand miteinbegriffen wird. Außerdem kann, wie ich denke, nicht bezweifelt werden, daß hier Rom vorausgesetzt wird, nachdem es den Namen Christi bekannt hat. Das folgt schon aus dem Ausdruck „Geheimnis“, der Babylon beigefügt wird, welcher eindeutig dieses Geheimnis in den Gegensatz zu einem anderen Geheimnis stellt. Wir brauchen nicht zu suchen, was dieses andere Geheimnis ist. Wir wissen genau, daß es Gott und der Gottseligkeit entspricht. (Vergl. 1. Timotheus 3, 16!). Aber nun ist das Geheimnis ganz und gar anders: „Geheimnis, Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Greuel der Erde.“

Hier sehen wir Gutes und Böses in einer gottlosen Vereinigung – und zwar nicht zum besseren, sondern zum schlechteren. Diese Verbindung zwischen Gott und dem natürlichen Menschen ist dem Grundsatz nach unheilig, daher unheilbar in ihrer Praxis. Denn dieser Mensch ersetzt die Gnade und das Wort Gottes, das Blut Christi und die Macht des Heiligen Geistes durch Zeremonien und benutzt den Namen des Herrn als einen Deckmantel für ekelhaftere Habsucht und einen weitgreifenderen Ehrgeiz, als er in der allgemeinen Welt gefunden wird. Alles dieses hat seinen Platz in Babylon, der Großen. Sie ist die Mutter der Huren und (mit noch größerer Schuld) der Greuel der Erde. Damit wird Götzendienst eingeführt, echter schamloser Götzendienst, nicht einfach jenes unterschwellige Wirken eines götzendienerischen Geistes, vor dem jeder Christ zu wachen hat. Es geht um eine wirkliche Anbetung des Geschöpfes neben dem Schöpfer, wobei erstere gewohnheitsmäßig der Anbetung Gottes vorgezogen wird. Wer kennt nicht die Abscheulichkeiten des Marienkults?! Babylon ist die Mutter der „Greuel der Erde“. Folglich handelt es sich nicht einfach um gedankliche Götzen, welche die Kinder Gottes zu umgarnen vermögen, sondern um einen Götzendienst, welcher der Erde selbst angepaßt ist – alles durchdringender handgreiflicher Götzendienst.

So lautet der Bericht Gottes über Babylon, die Große. Beachte (was die Auslegung, um die wir uns gerade bemühen, bestätigt), daß Johannes sich, als er die Frau betrunken vom Blut der Heiligen und dem Blut der Märtyrer Jesu sah, mit „großer Verwunderung“ wunderte! Ginge es einfach um eine Verfolgung durch Heiden – was gab es da zu verwundern über ihren tödlichen Haß gegen die Wahrheit und jene, die sie bekannten? Daß eine offen heidnische Weltstadt, welche sich der Anbetung von Mars, Jupiter, Venus und anderen bösen Monstrositäten der heidnischen Mythologie (Sagenwelt) geweiht hatte, vom Evangelium gereizt wurde, war eigentlich zu erwarten und eine notwendige Folge. Stellte es doch alles bloß, wodurch die Gefühle der Gläubigen (an die Götzen; Übs.) verletzt werden konnten, nachdem der kompromißlose Geist Christi bekannt gemacht worden war. Hätten jene Männer, die predigten, nichts über die heidnischen Nichtigkeiten gesagt und einfach das Evangelium als etwas besseres vorgestellt, als sich die Heiden rühmen konnten, bezweifle ich nicht, daß die Heiden das bereitwillig anerkannt hätten. Es ist nämlich ausreichend nachgewiesen, daß es unter ihnen eine Diskussion gegeben hat, die sogar von einem der bösesten ihrer Kaiser vorgeschlagen wurde, ob nicht Christus in ihrem Pantheon2 anerkannt und angebetet werden sollte. Das geschah einige hundert Jahre vor Konstantin3, tatsächlich in der frühesten Epoche des Christentums. Doch es bestand niemals der Gedanke, Christus den einzigartigen Platz zu geben, der Ihm zustand; denn Christus besitzt nicht allein den höchsten, sondern auch einen ausschließlich Ihm gehörenden Platz. Nun war für das Heidentum in jeder Form nichts widerwärtiger und schwerwiegender als die Wahrheit, wie sie in Christus geoffenbart worden war und welche alles entlarvte, was nicht sie selbst war – nämlich nicht die endgültige und ausschließliche Wahrheit. Folglich war das Christentum, indem es unmittelbar die Falschheit des Heidentums angriff, für Rom von allen Dingen am abstoßendsten. Daher konnte man erwarten, daß das heidnische Rom sich gegen das Christentum stellte. Das bewiesen auch die Tatsachen.

Doch ein solches Übel war es nicht, das den Propheten erstaunte. Er war voller Verwunderung, daß diese geheimnisvolle Art des Bösen, dieses Gegen-Zeugnis des Feindes (nicht ein Antichrist, sondern eine Antikirche) sich zeigt als eine heilige katholische Kirche Gottes, die weitgehend von allen anerkannt wurde – daß das Christentum (wenn nicht sogar die Christenheit) zum bittersten Verfolger wurde. Es war mörderischer gegen die Zeugen Jesu und die Erlösten Gottes ergrimmt, als es das Heidentum jemals in irgendeinem Land zu allen Zeiten gewesen war. Das erfüllte Johannes natürlich hochgradig mit Verwunderung.

„Und der Engel sprach zu mir: Warum verwundertest du dich? Ich will dir das Geheimnis des Weibes sagen.“ (V. 7). Hätte Johannes wirklich unter die Oberfläche geblickt und gesehen, daß unter der schönen Verkleidung des Christentums dieses Weib von allen Dingen unter der Sonne für Gott das verderbteste und hassenswerteste Gebilde war, wäre er darüber nicht so überrascht gewesen. Darum sagt der Engel:Ich will dir das Geheimnis des Weibes sagen und des Tieres, das sie trägt, welches die sieben Köpfe und die zehn Hörner hat.4 Das Tier, welches du sahest, war und ist nicht und wird aus dem Abgrund heraufsteigen und ins Verderben gehen; und die auf der Erde wohnen, deren Namen nicht in dem Buche des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, daß es war und nicht ist und da sein wird.“ Der abschließende Ausdruck bezieht sich auf das Tier in seinem letzten Zustand, in dem es mit Babylon zusammenstoßen wird. Das müssen wir im Sinn behalten. Es wird uns dabei helfen zu sehen, daß es für Babylon, wie auch immer seine Zustände in der Vergangenheit waren, einen zukünftigen Zustand geben wird; und in diesem wird Babylon untergehen. Beachten wir: Das Tier oder Römische Reich wird hier beschrieben als etwas, das einst existierte, später zu bestehen aufhörte und zuletzt eine besondere Gestalt annimmt, wenn es wieder aus dem Abgrund heraufsteigt. So schlecht das heidnische Rom auch war – es wäre falsch zu behaupten, daß es jemals aus dem Abgrund herausgekommen ist. Als Paulus an die Erlösten in Rom schrieb, bestimmte er zu jener Zeit ganz besonders die Pflicht seitens der Christen, sich den damaligen Gewalten bedingungslos zu unterwerfen. Natürlich stand die Anwendung auf das Römische Reich unmittelbar vor jedem Christen zu Rom. Es gab überhaupt keinen Zweifel am Wesen des Kaisers. Es gab niemals einen schlimmeren als er [Nero; Übs.]. Dennoch nahm Gott diese Gelegenheit wahr, den Christen ihre Pflicht gegen die weltlichen äußeren Autoritäten über ihnen zu bestimmen. Es galt im allgemeinen als Regel, daß die weltlichen Gewalten von Gott eingesetzt waren. Das bedeutet aber nicht, daß sie aus dem Abgrund heraufgestiegen sind.

Es wird indessen eine Zeit kommen, dann hört auf, daß die Gewalten von Gott eingesetzt sind. Darauf bezieht sich der letzte Zustand des Tiers. Gott bestätigte in Seiner Vorsehung die großen Reiche des Altertums; und dieser Grundsatz hält an, solange die Kirche (Versammlung) auf der Erde ist. Daher müssen wir die göttliche Quelle der Regierung anerkennen, sogar dann, wenn ihre Inhaber alle solchen Gedanken aufgegeben haben und behaupten, daß ihre Herrschaft in der Welt von dem Volk ausgeht unabhängig von Gott. Der Tag wird aber kommen, an dem Satan erlaubt wird, seinen eigenen Wegen zu folgen. Für eine kurze Zeit (welch eine Barmherzigkeit, daß es nur eine kurze Zeit sein darf!) wird Satan ein Reich einführen, das seinen Absichten entspricht. Es entspringt satanischen Grundsätzen, welche Gott leugnen. Das scheint ein Teil von dem zu sein, was das aus dem Abgrund heraufsteigende Tier bedeutet. Darum wird hinzugefügt: Es wird „ins Verderben gehen; und die auf der Erde wohnen, deren Namen nicht in dem Buche des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, daß es war und nicht ist und da sein wird.“ Der Ausdruck „und doch ist“ ist hier sehr unglücklich gewählt.5 Er ist ein Fehler jener schlechten griechischen Texte eines Erasmus, Stephanus, usw.6 Es muß hier stehen „und da sein wird.“ Es besteht kein Gedanke, durch einen solchen Widerspruch (Paradox) den Verstand zu verwirren. Die wahre Lesart ist an dieser Stelle weder schwer verständlich noch zweifelhaft – außer für den Unglauben. Es gibt hier nicht den geringsten Widerspruch. Alles ist klar und einfach – „das Tier ..., [das] war und nicht ist und da sein wird.“

Doch dieses Geschehen wird eine große Umkehrung menschlicher Geschichte und politischer Grundsätze (Maxime) sein. Eine solche Erfahrung wurde niemals gemacht. Welches Weltreich hat einmal bestanden, versank dann und erschien erneut mit viel größeren Ansprüchen und gewaltigerer Macht, nur um zuletzt in schrecklicher Weise unterzugehen? So etwas ist in der Geschichte unbekannt. Einer der allerseits bestätigten Grundsätze (Axiome) besagt, daß Königreiche – wie auch Menschen in dieser Hinsicht – beginnen, den Höhepunkt erreichen und verfallen. So wie der Mensch nicht an die Auferstehung der Menschen glaubt, ist es nicht verwunderlich, wenn er auch nicht an die Auferstehung eines Weltreichs glaubt. Der Hauptunterschied besteht darin: Bei den Menschen bewirkt Gott die Auferstehung, bei dem Weltreich ist es nicht Gott, sondern der Teufel, der es auferstehen läßt. Jenseits jeden Widerspruchs handelt es sich um ein durchaus unübliches und unnormales Wiedererscheinen, das in der Geschichte der Welt eine Ausnahme darstellt. Folglich wird die Wiederbelebung des Römischen Reiches die Menschen in einem Sturm der Verwunderung mit fortreißen. Sie werden kaum wissen, weil sie nicht glauben, was hier geschrieben steht, daß es bald aus dem Abyssus oder bodenlosen Abgrund herauskommen wird. Das heißt: Satan wird die Quelle seiner abschließenden Auferstehung und Macht sein. Er, und nicht Gott in irgendeiner Weise, wird ihm sein Wesen verleihen.

Hier ist der Verstand, der Weisheit hat: Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf welchen das Weib sitzt. Und es sind sieben Könige.“ (V. 9–10). Ich habe schon die doppelte Bedeutung des Sinnbilds „Berge“ berührt. Fünf von ihnen sind gefallen, der eine ist, der andere ist noch nicht gekommen.“ Das heißt: Der sechste Kopf (er regierte in den Tagen Johannes‘) war die kaiserliche Herrschaftsform. Nichts dieser Art könnte klarer sein. Wir finden hier eine Zeitangabe von beachtlichem Wert. Ein siebter Kopf sollte folgen; und was noch mehr bedeutet: Der siebte Kopf sollte unter einem besonderen Gesichtspunkt auch der achte sein. „Und das Tier, welches war und nicht ist, er ist auch ein achter und ist von den sieben und geht ins Verderben.“ (V. 11). In einem Sinn würde es einen achten Kopf geben, in einem anderen Sinn war er einer der sieben. Er ist vielleicht der achte Kopf wegen seines außerordentlichen Auferstehungscharakters; er war aus den sieben, weil äußerlich gesehen, das alte Kaisertum wieder auftreten wird. So scheint mir, wird der verwundete Kopf, der später geheilt wird, zu erklären sein. Er ist aus den Sieben unter dem Gesichtspunkt, daß es sich um das Kaisertum handelt. Aber er ist ein achter, weil er aus einer teuflischen Quelle stammt, wenn er wieder erweckt wird. Niemals vorher hat es so etwas gegeben.

Und die zehn Hörner, die du sahst, sind zehn Könige, welche noch kein Königreich empfangen haben, aber Gewalt wie Könige empfangen eine Stunde mit dem Tiere.“ (V. 12). Sie sollen alle gleichzeitig mit dem Tier herrschen. Das ist keine weniger wichtige Aussage, um das Kapitel zu verstehen. Alle, welche rückblickend die Geschichte betrachten, wissen, daß es, als die zehn Könige auftraten, kein Tier oder eine kaiserliche Gewalt gab. Erst die Zerstörung der kaiserlichen Einheit Roms verschaffte die Gelegenheit für die wohlbekannten zehn Königreiche, welche die Barbaren danach aufrichteten. Ich erhebe keine Frage hinsichtlich der Zahl Zehn. Wir wissen, daß es manchmal neun, manchmal elf oder mehr Königreiche waren. Wenn wir voraussetzen, daß es sich hier um unumschränkte Tatsachen handelt, bekräftige ich, daß sie nach der bisher abgelaufenen Geschichte ihre Macht nicht für ein und dieselbe Zeit mit dem Tier empfangen hatten. Das ist nämlich die Bedeutung von: Eine Stunde mit dem Tiere.“

Gerade das Umgekehrte ist der Fall. Sie empfingen ihre Macht als Könige, als das Tier aufgehört hatte zu bestehen. So ist der Unterschied zwischen der vergangenen Geschichte (wenn wir die Auslöschung des Kaiserreichs und die Erhebung der zehn Königreiche betrachten) und der gewiß erfolgenden Erfüllung der Weissagung in der Zukunft, indem wir auf das blicken, was Gott uns wirklich gesagt hat, vollständig. Ich erkenne keinesfalls an, daß die Ausdrucksweise hier schwierig oder mehrdeutig ist. Wir müssen die Menschen tadeln, welche die Prophetie falsch angewendet haben. Doch wir erlauben durchaus, daß eine zeitweilige Erfüllung schon stattgefunden haben kann. Wir können gut verstehen, daß Gott Sein Volk in den finsteren Zeiten des Mittelalters durch dieses Buch getröstet hat. Dann mochte auch ein sehr unvollkommener Blick auf seine wahre Bedeutung durch Gottes Gnade die Gläubigen in ihren Prüfungen, soweit sie gingen, ermutigt haben. Erlöste hatten von Seiten Roms leiden müssen; und es ist leicht zu sehen, daß die geoffenbarte Verfolgerin Babylon genannt und mit der regierenden Stadt Rom gleich gesetzt wird. Soweit waren sie richtig. Auch liegt kein Grund zur Verwunderung darüber vor, daß sie durch teilweises Licht Hilfe empfingen. Sogar in Hinsicht auf die Rechtfertigung hatten sie damals nur eine unvollständige Sichtweise. Ihre Vorstellung über Christus als das Haupt der Kirche, Sein Priestertum und fast alles andere war äußerst dürftig, falls wir überhaupt von Einsicht darüber bei ihnen sprechen können. So war es bestenfalls ein geringer Schimmer, den sie in Bezug auf die Prophetie wahrnahmen. Wir können indessen verstehen, daß der Herr dieses Geringe größere Wirkungen entfalten und nicht wenig Gutes bewirken lassen konnte und auch bewirken ließ.

Gibt es indessen irgendeinen Grund, daß wir uns mit dem Maß zufrieden geben, das die Menschen früher besaßen? Das ist die harte Knechtschaft, welche eine einfache geschichtliche Tradition ihren Verehrern auferlegt. Das Festhalten an dem, was andere vorher gewußt haben – oder ein wenig mehr –, verkürzt auf ein Minimum an Wahrheit. Wenn Gott so gnädig ist und Sein Wort so reich, voll und tief, erscheint es doch traurig, wenn wir Seine Kinder schon ausreichend mit dem zufrieden sehen, was ihre Seelen rettet oder vor einem eindeutigen geistlichen Verhungern bewahrt. In Gegenwart der Gnade denke ich nicht, daß diese Einstellung zu Gottes Verherrlichung und noch weniger zu ihrem eigenen Segen beiträgt. Der einzige richtige Grundsatz in allem besteht darin, zur Quelle der göttlichen Wahrheit zurückzukehren und dort Erfrischung, Kraft und Fähigkeit für alles, wozu uns Gott beruft, zu suchen. Zweifellos hat Gott die Aufmerksamkeit Seines Volkes jetzt in einer bemerkenswerten Weise für den Wert Seines Wortes geweckt – und nicht zum geringsten in Bezug auf jenen Teil desselben, den wir hier untersuchen.

Es ist klar, daß der Vers sich nicht mit der römischen Macht beschäftigt zu der Zeit, als das Reich ein einziges Haupt aufwies, noch mit dem byzantinischen [östlichen; Übs.] Teil nach dem Auseinanderbrechen [des Gesamtreiches], noch mit dem westlichen Zustand nach seiner Aufteilung unter die Könige, die auf die Amtsenthebung von Augustulus7 folgten. In mittelalterlichen Zeiten mag es tatsächlich zehn Könige gegeben haben (im Gegensatz zum antiken Zustand des Tiers ohne solche), aber kein Tier oder kaiserliches System war ihr Haupt. Das trieb die Menschen zu dem Gedanken, den Papst zum Tier zu machen. Diese Vorstellung ist jedoch völlig unzureichend, das Wort Gottes zu erfassen oder ihm in der richtigen Weise zu begegnen; denn dieses gibt eindeutige und starke Argumente, welche den Fehler aufzeigen, diesen Vers auf den Papst als seine vollständige Erfüllung zu beziehen. Dieser eine Vers zeigt nämlich nachdrücklich die zweifache Tatsache, daß die zehn vorgestellten Hörner ihre königliche Macht zur selben Stunde bzw. Zeit wie das Tier empfangen und nicht erst danach, als seine Herrschaft ausgelöscht war. Das Tier sowie die zehn Könige erhalten ihre jeweilige Macht zu ein- und derselben Zeit.

Diese Tatsache beseitigt ein ganzes Gewebe von Auslegungen; denn wir finden dann sofort eine ganz einfache Aussage, die jedes Kind Gottes, welches glaubt, daß wir hier das Wort Gottes vor uns haben, anerkennen muß. Eine Einführung der Geschichte an dieser Stelle verwirrt nur das Thema; und jene, welche am meisten auf ihre Bedeutung hinweisen, sind genau diejenigen, welche sich dabei über die geschichtlichen Tatsachen hinwegsetzen. Doch das alltägliche Wissen genügt schon; denn wer weiß nicht aus der Bibel, daß es zur Zeit der Geburt Christi ein römisches Reich gab mit einem einzigen Kaiser und nicht einen solchen Zustand wie ein Reich, welches in zehn Königreiche unterteilt ist? Wir lesen vom Ausgang eines Gebots, daß alle Welt sich einzuschreiben habe. Natürlich hätte zuerst eine Rücksprache mit den Königen statt finden müssen, wenn es diese Könige gegeben hätte und sie ein anerkannter Teil jenes Reiches gewesen wären, nämlich als dem Tier untergeordnete Herrscher. Doch keineswegs! Es war ein bedingungsloses Gebot, das damals ausging, und zwar unstrittig vom einzigen Haupt des ungeteilten Reiches. Jahrhunderte später folgte nicht nur die Teilung in Osten und Westen, sondern auch jener zerrüttete Zustand im Westen, als das kaiserliche Oberhaupt nicht mehr bestand. Die Prophetie zeigt uns jedoch, wie das Tier wiederbelebt wird und die davon unterschiedenen Könige zur selben Zeit herrschen, bevor das göttliche Gericht sie beim Kommen Christi und Seiner Heiligen vernichtet. Letzteres muß auf jeden Fall zukünftig sein.

Laßt mich anmerken, wie sehr das alles zu der Gefühlslage in diesen modernen Zeiten paßt; denn die Herrschaft auf der Grundlage einer Verfassung (Konstitutionalismus, wie die Menschen es nennen) ist eine Frucht jenes Germanentums, welches sich dem zerbrochenen Römischen Reich überlagerte. Es waren die Barbaren, welche die vorherrschenden Begriffe von Freiheit sowie das Lehnswesen mit sich brachten. Folglich waren sie es, die fest für die Freiheit eintraten. Daraus folgte, daß alle Versuche, daß Reich erneut aufzurichten, bisher stets zu einem totalen Mißerfolg führten, obwohl es immer wieder in Angriff genommen wurde. Der Grund dafür ist offensichtlich: Es gibt einen Hinderer – „der, welcher zurückhält.“ (2. Thessalonicher 2, 7). Es kann nicht geschehen, bevor der richtige Augenblick gekommen ist. Wenn die gelegene Zeit da ist – und es wird mit Gewißheit geschehen –, wird das göttliche Hindernis weggenommen und dem Teufel erlaubt, das Schlimmste auszuführen. Die politische Seite dieses Geschehens wird hier mit überraschender Klarheit und in Kürze beschrieben. Die zehn Hörner sollen mit dem Tier zusammen ihre ganze Autorität erhalten. Das Tier übt natürlich die kaiserliche Macht aus, die anderen ihre königliche. Das geschieht zu ein und derselben Zeit, bevor das Ende hereinbricht. Es ist demnach eindeutig zukünftig. Somit ist es unmöglich, diese Dinge mit irgendeinem Anschein vernünftiger Wahrscheinlichkeit auf die Vergangenheit zu beziehen – dabei spreche ich noch nicht einmal von der Wirklichkeit oder der Wahrheit. Die Heilige Schrift und die Tatsachen weisen alle solche Theorien zurück.

Diese haben einen Sinn und geben ihre Macht und Gewalt dem Tiere.“ (V. 13). Bisher ist in der Geschichte immer das Gegenteil geschehen. Die Hörner haben sich ständig bekämpft und manchmal sogar den Papst. Seit damals hat die Welt niemals eine kaiserliche Macht gesehen, der sich alle beugen. Haben wir nicht alle von einem „Gleichgewicht der Mächte“ gehört? Damit haben sich die Nationen stets beschäftigt, damit nicht irgendeine Macht sich zum Tier entwikkeln konnte. Wenn sich auf der einen Seite einige Herrscher verbündet hatten, so haben sich sofort andere der Gegenseite angeschlossen; denn sie waren eifersüchtig auf jeden, der eine solche überragende Autorität und Macht erreichte, um über die übrigen zu bestimmen. Doch in der Zeit, von der hier wirklich gesprochen wird, ist alle diese politische Taktik vorbei. Diese haben einen Sinn und geben ihre Macht und Gewalt dem Tiere“ oder ihrem kaiserlichen Führer. Diese werden mit dem Lamme Krieg führen, und das Lamm wird sie überwinden; denn er ist Herr der Herren und König der Könige, und die mit ihm sind Berufene und Auserwählte und Treue.“ (V. 14).

Doch damit haben wir noch nicht das Ende Babylons erreicht. Sein Anteil an der Verderbnis der Hochstehenden und der Vergiftung der unteren Klassen – sein götzendienerisches Wesen – stand schon vor uns. Wir haben seine Verbindung mit dem Tier gesehen. Doch es kommt zu einer Auseinandersetzung. Dem Weib wurde erlaubt, auf dem Tier zu reiten. Anfangs darf sie auf das Reich einwirken und dasselbe beherrschen. Aber zuletzt wird sie zum Gegenstand des Hasses für die zehn Hörner und das Tier, welche sie bloßstellen, berauben und vernichten. „Und er spricht zu mir: Die Wasser, die du sahst, wo die Hure sitzt, sind Völker und Völkerscharen und Nationen und Sprachen.“ (V. 15). Solcherart war ihr Einfluß, der weit über das Reich des Tieres hinaus ausstrahlte.

Die gotischen Horden wurden nicht in das Reich eingegliedert, noch weniger wurden sie zu Hörnern des Tiers. Auch gaben sie ihm nicht seine Macht; vielmehr zerstörten sie es. Sie vernichteten das Reich und keineswegs Babylon. Die vergangene Geschichte paßt demnach in keinster Weise zu dieser Weissagung. „Und die zehn Hörner, die du sahst, und das Tier ...“ (V. 16). ... Das ist von großer Bedeutung. Das Tier und die Hörner verbünden sich in ihrem Haß gegen die Hure. Nicht nur ihr gleichzeitiges Bestehen wird vorausgesetzt, sondern auch ihr einheitlicher Gefühlswechsel gegen Babylon. Die Freundschaft der Bösen ist nicht von Dauer. „Diese werden die Hure hassen und werden sie öde und nackt machen, und werden ihr Fleisch fressen und sie mit Feuer verbrennen.“ Es ist nicht das Evangelium, noch der Heilige Geist, sondern das gesetzlose, wiederbelebte lateinische Reich mit seinen Vasallenkönigreichen des Westens, die sich vereinigen und Babylon vernichten. Unheilige Liebe endet in Haß. Sie werden die Hure mit Verachtung und schimpflicher Entblößung behandeln. Als nächstes werden sie ihre Hilfsquellen beschlagnahmen. Zuletzt werden sie sie selbst vernichten. Kann irgend etwas weniger vernünftig sein (selbst wenn wir diese Grundlage einnehmen, so niedrig sie ist) als die Annahme, daß die verschiedenen Herrscher der westlichen Mächte, katholische Könige, sich mit dem Papst verbünden, um seine eigene Stadt zu zerstören? Oder seine eigene Kirche, welche auch immer Babylon gebildet hat? Einige Ausleger umgehen die Schwierigkeit, indem sie die Verwüstung auf die gotischen Mächte zurückführen (und das sind Protestanten), als ob sie einfach nur Praeteristen8 wären. Welch eine Verwirrung! Ist dieses nicht Grund genug, um zu sagen, daß es nicht den Schatten einer festen Basis für dieses System gibt?

Auf diese Weise spricht alles von der gleichzeitigen Gegenwart und der gemeinsamen Aktion zusammen mit dem Tier bei der Plünderung und darauf folgenden Zerstörung Babylons. Gott benutzt sie für seine Zwecke – zur Beiseitesetzung von ihr, der großen religiösen Verderberin, deren Mittelpunkt zu Rom gefunden wird. Wir können gut verstehen, daß der Umsturz der kirchlichen Macht nötig ist, um der kaiserlichen Macht ungehindert ein Feld zu überlassen, um sich selbst zu seiner letzten Form der Gewalttat, Rebellion und des Abfalls (Apostasie) gegen den Herrn zu entwickeln. Denn die Religion, sei sie noch so verdorben, wirkt als ein Hemmnis auf den menschlichen Willen, wie es auch bei der Regierung, sei sie noch so böse, der Fall ist. Selbst die schlechteste Obrigkeit ist besser als gar keine. Daß eine verdorbene Religion besser ist als gar keine, will ich nicht sagen. Auf jeden Fall beunruhigt sie die Menschen. Sie ist ein Stachel in der Seite jener, die überhaupt keine Religion wünschen. Folglich vereinigen sich die Hörner und das Tier und verwüsten die Hure. Daß jene Könige mit ihr getändelt hatten, daß das Tier sie einst getragen hat, wird die Galle für sie nur um so bitterer machen. Sie war Gott nicht treu gewesen und hatte den sich selbst angemaßten und mißbrauchten Namen Christi eingesetzt, um das zu gewinnen, was sie jetzt für immer verloren hat. Denn Gott hat in ihre Herzen gegeben, seinen Sinn zu tun und in einem Sinne zu handeln und ihr Königreich dem Tiere zu geben, bis die Worte Gottes vollbracht sein werden.“ (V. 17). Es handelt sich um die Zeit heftiger Verführung; erinnern wir uns daran!

Und das Weib, das du sahst, ist die große Stadt, welche das Königtum hat über die Könige der Erde.“ (V. 18). Nichts als nur Rom entspricht dieser Aussage. „Das Weib“ ist das mehr allgemeine Sinnbild, welches sie als die große kaiserliche Stadt kennzeichnet. „Die Hure“ zeigt ihren verdorbenen religiösen Charakter, indem sie das päpstliche Rom umfaßt, welches aber keineswegs mit einem Papsttum endet, wie es heute besteht.

Fußnoten

  • 1 Praeteristen: Ausleger der „Offenbarung“, die meinen, ihre Weissagungen seien schon in der Vergangenheit erfüllt worden.
  • 2 ein allen Göttern Roms geweihtes Heiligtum. (Übs.).
  • 3 Konstantin der Große (um 300), römischer Kaiser, der als erster Kaiser das Christentum anerkannte. (Übs.)
  • 4 Die Beschreibung hier bezieht sich auf Wesenszüge und nicht auf Zeitangaben. Wenn jemand, zum Beispiel, aus diesen Versen entnimmt, daß das Tier das Weib Babylon trägt, wenn es tatsächlich alle Eigenschaften zeigt, welche durch die sieben Köpfe und zehn Hörner vorgestellt werden, ist das ein Irrtum. Der Engel deutet so etwas keinesfalls an. Es geht hier um die verschiedenen Charakterzüge, unabhängig von der Zeit. Für letztere müssen wir die Heilige Schrift woanders untersuchen. (W. K.).
  • 5 Nach der englischen „King-James-Bible“. So auch in der „Schlachter Bibel 2000“. (Übs.).
  • 6 Erasmus von Rotterdam (um 1470 – 1536): bedeutender Gelehrter und wie Robert Estienne (Robertus Stephanus) (um 1500 – 1559), Herausgeber griechischer Ausgaben des Neuen Testaments (Textus Receptus). (Übs.).
  • 7 Anm. d. Übs.: Romulus Augustulus (um 460 – nach 476), letzter weströmischer Kaiser in Italien. Nach seiner Absetzung übernahmen die Germanen die Herrschaft über das weströmische Reich.
  • 8 Siehe Fußnote auf S. 153! (Übs.).
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel